(SZ)Die einsame Insel in der Südsee ist ein Motiv, von dem Schulbuben,
schmallippige Manager und Frauen mit hochfliegendem Sinn für Schönheit
und Umwelt ausnahmsweise in Harmonie träumen können. Für die Einwohner
von Nauru ist der Traum gerade Wirklichkeit geworden: Seit Januar
funktioniert das Telefon nicht mehr. Die Fluglinie kann die Miete für
ihre einzige Boeing nicht mehr aufbringen und hat die Verbindungen zur
Außenwelt eingestellt. Gehälter werden den Insulanern schon seit
Herbst nicht mehr gezahlt. Niemand weiß, was nun auf dem Eiland unter
dem Äquator vorgeht, oder auch nur, wer derzeit die kleinste
Insel-Republik der Erde regiert. Selbst Naurus Ein-Mann-Vertretung bei
der Uno und der Konsul in Guam sind nachrichtenlos.
Gerüchte: Der Sitz des Präsidenten soll niedergebrannt sein. Jene
vergessenen Asylanten, die Australien den Nauruanern vor Jahren
aufdrängte, haben angeblich ihre Lager in eigene Verwaltung genommen.
Aber auf Satellitenbildern ist das alles nicht so genau zu sehen. Blau
ist der Himmel, blau ist immer noch das Meer, und der Blues hat alle
Aussicht, zur Nationalhymne der 12000 unfreiwilligen Robinsons zu
werden. Denn tief ist ihr Sturz. Einst hatten sie das höchste
Pro-Kopf-Einkommen im Pazifik. Und wie es sich gehört in einem
Paradies, war damit für viele nicht einmal Arbeit verbunden. Phosphat
mögen andere abbauen, eine fleißige Minderheit, viele davon
Gastarbeiter. Du, glückliches Nauru, kassiere! - so lautete das
Lebensprinzip auf dieser Insel der Seligen. Der Wohlstand und die
hohen Sozialleistungen waren auf Exkremente gebaut, auf Guano, zu
dessen Ablagerung Seevögel eine Million Jahre gebraucht hatten. Jetzt
ist nicht mehr viel Guano da, leider auch sonst recht wenig. Wo die
bis zu 63 Meter dicke Schicht von Mist abgeräumt war, blieb
überwiegend bizarres Ödland aus toten Korallen zurück. Keine Palmen,
keine Ananas, keine Kulisse für Landwirtschaft, Tropenromantik oder
Tourismus.
Where have all the Flowers gone - jene vielen Blumen, deretwegen frühe
Seefahrer Nauru "Pleasant Island" genannt hatten? Sie sind weg, so wie
das ganze, leichtsinnig im Ausland angelegte Phosphatgeld. Sogar die
Umsiedlung der gesamten Inselbevölkerung wird bereits als Ausweg
erwogen. Aber wohin, und auf wessen Kosten? Vor 1914 war Nauru
deutsche Kolonie. Mit Spätaussiedlern aus dem Stillen Ozean muss
jedoch vorerst nicht gerechnet werden. Leichtsinnigen Erdölstaaten
könnte sich Nauru als Studienobjekt empfehlen - freilich honorarfrei:
So sieht die Zukunft aus, wenn der einzige natürliche Reichtum
erschöpft ist. Am meisten wäre Joseph Conrad willkommen. Er könnte
seinen "Verdammten der Inseln" aktualisieren. Und heute hätte er
hoffentlich ein Satelliten-Telefon dabei.