(SZ)Der lang ersehnte, womöglich gegen allerlei familiäre Widerstände
erkämpfte Augenblick ist da: "Sie dürfen die Braut jetzt küssen!"
Tusch, Mendelssohns Hochzeitsmarsch, Reis, viel Glück und viel Segen.
Flitterwochen. Danach aber gewinnt irgendwann der Alltag Macht über
den guten Vorsatz, es besser zu machen als alle Paare zuvor. Dieser
und jener anfangs übersehene oder verdrängte Unterschied im
Lebensrhythmus fängt an zu wirken, der Mehltau der Missverständnisse
legt sich auf das Glück, das immer mehr in den Mühen der Ebene
versinkt. Müdigkeit tritt beiderseits zum falschen Zeitpunkt ein,
Streitereien um des Kaisers Bart brechen aus, bis das Wort "Krise"
fällt. Freunde geben gut gemeinte, also schlechte Ratschläge,
schließlich landet man bei der Familientherapie. Und dann geht gar
nichts mehr.
Bis dass der Tod euch scheidet. Das ist eine Ansage, einfach, klar und
ohne Faxen. So ging es Jahrhunderte dahin - und manchmal gut. Man
arrangierte sich, trat als Paar auf, war den Kindern Vater und Mutter,
auch wenn man sich sonst nichts zu sagen und zu bieten hatte. Aber wer
bringt nach Freud, der sinngemäß die Familie für den Hort größter
Verbrechen hielt, nach zwei Weltkriegen, nach Fernsehen und Internet
schon die Geduld auf, bis zum Grabe zu warten, wenn einem das
Schnarchen des Gatten/der Gattin längst auf die Nerven geht; wenn sich
alle Migränen und Hypochondrien in der eigenen Wohnung versammeln;
wenn Bequemlichkeit und Sex zum unüberbrückbaren Widerspruch werden.
Dazu das liebe Geld, das Ein- und Ausräumen von Geschirrspülmaschinen,
die seelischen Grausamkeiten. Der Kitt bröckelt aus allen Fugen,
erotische Nebenstellen werden eingerichtet, bis es dann eines Tages
kracht: Zerrüttung! Also lassen sie sich scheiden, rund 200000 Paare
pro Jahr, ohne Tod, aus Not, aber mit Anwalt. Dort legen sie ihre
Verhältnisse offen, es kommt zu - dramaturgisch gesehen - herrlich
schrillen Auftritten, wenn die Schmutzwäschegebirge normaler Ehen
abgearbeitet werden. Doch mit der Konjunkturflaute vergeht offenbar
die Lust auf Scheidung, will man den Meldungen von 25 bis 30 Prozent
Scheidungsrückgang etwa in München glauben. Die Kosten, die Kosten,
Damen und Herren! Die Anwälte jammern, während unter den Dächern
zähneknirschend zusammengerückt wird. Ehe heißt jetzt, wie im
Abstiegskampf der Bundesliga: von der Schicksals- zur Notgemeinschaft.
Kein Wunder, dass die Stimmung im Lande sinkt, der Missmut wächst,
weil es für Hans zu teuer wird, seine Grete loszuwerden, und weil
Grete ihren Hans weiter ertragen muss. Da sitzen sie nun, spielen
"Mensch, ärgere dich nicht" oder legen Patiencen, träumen von
Freiheit, Sinnlichkeit und Abenteuer und summen: Winter ade! Scheiden
tut weh!