(SZ)Als die zwangsrekrutierten jungen Soldaten Friedrichs des Großen
während einer Schlacht der Meinung waren, die Zeit zum Sterben sei
noch nicht gekommen, fauchte der Alte Fritz: Hunde, wollt ihr ewig
leben? Unvorstellbar, dass heute ein Wirtschaftsminister bei einem
Besuch an der Konsumfront die von Sonderangeboten und Niedrigstpreisen
umworbenen, aber dennoch zögernden Kunden anherrscht: Sparschweine,
wollt ihr ewig sparen? Der Ton ist feiner geworden, die psychologisch
geschulten Wirtschaftsdenker unserer Tage sprechen von Attentismus,
von schwer erklärlicher Kaufzurückhaltung bei gestiegenen Einkommen
(Durchschnitt!). Schwer erklärlich ist das deshalb, weil ein
ordentlicher Student der Ökonomie doch gelernt hat: Die Bedürfnisse
des Menschen sind unendlich. Zurzeit aber passen Theorie und
Wirklichkeit nicht zusammen, da kann an der Wirklichkeit etwas nicht
stimmen.
Doch, es stimmt. Auch wenn es für Mitteleuropa ungewöhnlich ist: Seit
mehr als einem halben Jahrhundert kein Krieg! Häuser bleiben stehen,
Porzellan geht nicht kaputt, Fabriken erzeugen bisweilen langlebige
Konsumgüter. Das hat Folgen. Gegen eine so gewaltige Werterhaltung und
Wertentscheidung hilft auf Dauer weder die ingenieurmäßig eingebaute
Sollbruchstelle in den Küchenmaschinen noch autozerfressendes
Streusalz. Und je rascher die Moden wechseln, umso voller sind
irgendwann die Kleiderschränke. Ein Gespenst geht um und flüstert:
Bedarf gedeckt. Und nun kommt auch noch jener teuflische Attentismus
hinzu, den Handelsketten und Discounter selbst erzeugt haben mit ihrem
"Ab heute noch billiger!". Das Wort kommt vom lateinischen "attentus",
was aufmerksam, abwartend, sparsam, ja sogar geizig bedeutet. Also
warten wir einmal ab, ob Schnitzel oder Aktien nicht noch billiger
werden. Und siehe da, sie werden.
Der Freidemokrat Graf Lambsdorff klagte seinerzeit als
Wirtschaftsminister, die Pferde wollten nicht saufen. Deren
Nachfolger, die Autos, saufen allerdings reichlich. Da herrscht
Attentismus verkehrt: Bevor das Benzin morgen teurer wird, fahren wir
heute ein paar Kilometer extra. Das ist die Ausnahme. Die
amerikanische Zeitschrift Time meint, die deutschen Verbraucher hätten
bereits vor der nationalen Aufgabe kapituliert, durch Kaufen die
Konjunktur anzufachen. Selbst die Franzosen, bis zum Sommer 2002 noch
frohgemute Konsumenten, hätten im November 1,7 Prozent weniger Geld
als im Oktober ausgegeben. Dabei sollten gerade sie die verderblichen
Folgen kennen. Es war ein französischer Barbier, der den Attentismus
erfand, indem er ein Schild an die Tür hängte "Morgen rasieren wir zum
halben Preis". So war zwar für Wachstum gesorgt, es wuchsen aber nur
die Bärte.