(SZ) In diesen Tagen des Frostes begab sich Folgendes. Ein Besucher
  aus Afrika sah morgens aus dem Fenster auf seinen geparkten Wagen und
  rief voll Grimm die Polizei. Man habe das Fahrzeug über und über mit
  weißer Farbe beschmiert. Laut Polizeibericht beruhigten ihn die
  herbeigeeilten Beamten: Es hatte geschneit. Von Glaubwürdigkeitslücken
  abgesehen (Hat der Besucher aus Afrika geglaubt, die ganze Stadt sei
  von Vandalenhand weiß gepinselt worden?), weist dieser Vorfall doch
  auf die Bedeutung des Missverständnisses im Leben hin. Zwar hat es
  manchmal böse Folgen ("Missverständnis: Hund bringt Handgranate statt
  Stöckchen"), doch insgesamt überwiegt seine befriedende Wirkung. Es
  tröstet die Union, die sich den Ausgang der Wahlen bis heute nicht
  anders zu erklären vermag. Es rettet den Arbeitskollegen, der die ihm
  anvertrauten Aufgaben wie üblich augenblicklich wieder vergaß: alles
  nur ein Missverständnis. Und ist nicht zuletzt die Liebe ein großes
  Missverständnis? Beruht sie doch auf dem Irrtum der Männer, die Frauen
  würden bleiben, wie sie sind, und dem der Frauen, die Männer würden
  schon noch so werden, wie sie sie haben wollen.

  Vielleicht wäre eine Welt ohne Missverständnisse sogar eine
  beängstigende, ja bedrohliche Vorstellung.Man wäre dann verpflichtet
  zu glauben, was die Leute sagen, ohne dass diese nachher behaupten
  könnten oder man sich einreden dürfte, man habe sie bedauerlicherweise
  nicht ganz richtig verstanden. Wenn man auf die schöne Frau mit den
  grünen Augen ergebnislos und fröstelnd anderthalb Stunden vor der
  Tapa-Bar gewartet hat, wenn man dann erfährt, dass sie mit diesem
  widerwärtigen Wicht von der Personalführung tanzen ging, wenn sie
  anderntags erklärt, dies sei aber ein schreckliches Missverständnis
  und man müsse zu gegebener Zeit unbedingt diese Tapa-Bar aufsuchen:
  Dann ist man nur zu sehr geneigt, dies zu glauben. Eine Welt ohne
  Missverständnisse böte also wenig Trost.

  Andererseits würden in so einer Welt die Abgaben nicht erhöht, nur
  weil die Regierung sagt: Die Abgaben werden nicht erhöht. Aber was
  soll die Regierung in Wirklichkeit sagen, wenn sie die Abgaben sofort
  danach dennoch erhöht? Erst das Missverständnis hilft ihr, das
  Unmögliche möglich zu machen und ihr Handeln zu erklären. Die
  Regierung sagt dann, sie habe nur versprochen, die Abgaben nicht zu
  erhöhen, als gewisse Umstände noch nicht gegeben waren. Dass die
  Umstände nun da sind, um deretwillen sie die Abgaben doch erhöhte,
  ändere ethisch betrachtet nichts daran, dass sie dies nicht habe tun
  wollen. Wer also glaube, sagt die Regierung, sie habe den Wähler
  betrogen, weil sie es doch tat, habe ihr Versprechen, die Abgaben
  nicht zu erhöhen, leider missverstanden. So einfach kann die Welt
  sein, nur wegen eines kleinen Missverständnisses.