(SZ) Die erste Geschichte - rührend. Queen Victoria verliebte sich in
Prinz Albert von Coburg-Gotha, ihren Cousin. Es wurde eine
symbiotische Verbindung. Als aber Prinzgemahl Albert vorzeitig starb,
1861, nach einundzwanzig Jahren Ehe, zog sich die Königin zurück auf
beider Lieblingsschloss Balmoral in Schottland. Unansprechbare Witwe.
Wäre da nicht gewesen der persönliche Ghillie und Büchsenspanner des
Verewigten, John Brown, ein tannenhafter Highlander, prachtvoll im
Kilt, wie aus dem Bilderbuch. Avancierte nun während zwanzig Jahren
zum personal servant der Queen, zu ihrem Vertrauten. Nicht nur
Zeitgenossen waren indigniert. Was für eine most unusual friendship !
Und der britische Adel, naserümpfend, nannte die Königin hämisch "Mrs
Brown". Hintenherum. Im Vordergrund passierte gar nichts, weil die
Regentschaft nicht litt, weil Sun und andere Sex-and-Crime-Ungeheuer
noch nicht erfunden, weil das Allermeiste Gerücht war. Aber Queen
Victoria/John Brown wurden unsterblich. Google, die Suchmaschine,
fördert 114000 Einträge zu Tage, über hundert Jahre nach dem Tode der
Königin. Conclusio: Klatsch an sich ist ewig.
Die zweite Geschichte handelt von Berlin und Bonn. Am Rhein, sagt der
frühere Regierungssprecher und, pikanterweise, Bild-Chefredakteur P.
Boenisch - am Rhein sei das Privatleben von Politikern tabu gewesen,
eine Art Ehrenkodex habe es gegeben für die Journalisten. In Berlin
aber (so wiederum Boenisch und andere), sei jede Scham aus der
Berichterstattung verschwunden, um eine spießige Gesellschaft zu
befriedigen, welche für nichts sonst sich zu interessieren scheine,
als wer mit wem und wann ins Bett. An diesem Bonn (brav)-Berlin
(böse)-Verdacht ist richtig, dass in der entzückenden, winzigen, durch
und durch bürgerlichen prov. Hauptstadt am Rhein Journalisten und
Politiker sich gleichsam gegenseitig auf dem Schoß saßen. Man wusste
alles - voneinander. Der Rest war Schweigen. Seitdem ist im anonymeren
Berlin ein ganzes Regiment von wenig skrupelhaften und
geschichtsfernen Boulevard- und Society-Reportern über uns gekommen,
fern jeglicher Medienethik, ist die so genannte Klatschpresse förmlich
explodiert; seitdem fermentiert die exhibitionistische
"Spaßgesellschaft" sich selbst und färbte auf das Politische ab. Siehe
Scharping. Siehe anderswo: Diana. Siehe früher auch: Schröder.
Der Rest ist keine Geschichte, sondern Bild. Und andere. Aber Bild
führt. Jeden Tag böse Sex-Gerüchte um den Schweizer Botschafter. Wie
hält seine Frau das aus? April 02 war das. Und heute? Die gleiche,
widerwärtige Ummantelung: Die gemeinen Gerüchte um die Kanzler-Ehe.
Wie hält sie das aus? Schröder klagt. Günter Gaus, ein alter Ethiker
des Journalismus, rät: niedriger hängen! Gewiss richtig. Aber es fällt
schwer.