(SZ) Wir träumen. In den frühen Tagen der Evolution träumten wir uns
  als Vögel davon. Oder wenigstens als Ikarus. Täppisch unvollkommen
  flatterten wir über Ideallandschaften. Als nach dem Sündenfall uns
  bewusst geworden war, dass wir aus Erdenstaub geschaffen, dass
  andererseits aufrechter Gang über Berg und tiefes Tal Kunststücke des
  Gleichgewichtssinnes verlangte und gute Hüftgelenke, löste der Mensch
  sich vom Baumgevatter Affen, erfand das Rad. Er wollte fahren; vor
  allem, als er bemerkte, dass dies gut war: gefahren werden. Gelenkt
  von Kutschern mit dem immerwährenden Namen Johann, wenn man Edelmann
  war oder feiner Säugling. Erst aber - um diesen Abriss der
  Kulturgeschichte zu beschließen - erst als der Mensch eine Masse
  geworden war, bescherte er sich gleichnamige Fortbewegungshilfen. Das
  Automobil. Andererseits die einstmals vielgeliebte Eisen- oder
  Bundesbahn.

  Wir träumen von alten, kaum vergangenen Tagen des Eisenbahnreisens.
  Ein Zug wurde gezogen und nicht geschoben. "Lokführer" geheimnisvoll
  verborgen. Wir hätten um nichts in der Welt gewollt, mit ansehen zu
  müssen, wie der Mann Pausenäpfel in sich hineinknurbst. Hinten drin
  wir. Verinnerlicht im liebenden Herzen den längst abgehalfterten
  Werbespruch: Für alle, die weg wollen. Die Bahn. Das war so.
  Unbeschwert losfahren, jederzeit, andere Strecken wählend, im sel.
  Speisewagen speisend. Bahnreisen? Einfach. Einsteigen. Krimi, Roman,
  Gedanke, Landschaft. Der Schaffner, streng aber gerecht. Bescheid
  wissend. Wir träumen nicht mehr. Die Bahn fährt, manche Züge sind
  schön, manche Strecken eingezäunt wie Hochsicherheitstrakte. Und in
  wenigen Tagen braust das wildgewordene (immer noch, man glaubt es
  kaum) - das wildgewordene Staatsunternehmen namens Deutsche BahnAG
  durch eine wüste Preislandschaft, durch ein widerwärtiges, typisch
  deutsches Tarifsystem, welches lauter Zwangsmittel enthält, um die so
  genannten Kundenströme zu lenken. Zum Teufel mit all jenen, welche die
  genuine Freiheit des Bahnreisens nicht begriffen haben, seinen Beitrag
  zur Kultur-Geschichte. Stattdessen einen Katalog von Strafen sich
  ausdachten für "Umbucher" und Stornierer, für diese Sittenstrolche.
  Und wie heißt der erwünschte Reisende? Ja: Frühbucher.

  Typisch deutsch an der so genannten Tarifreform, um einen allgemeinen
  politischen Disput auf Bahnniveau fortzusetzen, typisch deutsch ist
  die neue, maßlose Reglementierungswut. Typisch deutsch, dass die Bahn
  Fernsehberichte zum TageX, zur Änderung des Fahrplans, einschränkt.
  Typisch deutsch, dass auf der Leitungsebene der Bahn, mittlerweile
  weit verbreitet, nur mehr eine Controlling-Mentalität vorherrscht. Was
  so viel bedeutet wie: Spielräume zusperren. Das ist wohl gelungen.