(SZ) Dem alten Mann ist jetzt oft langweilig. Manchmal stellt er sich
  auf die Zehenspitzen und späht durch die Gitterstäbe, was ihm leichter
  fällt, weil er in der Haft etwas abgenommen hat. Jenseits der grauen
  Mauern des Hochsicherheitstraktes glaubt er ein Stück ostdeutscher
  Landschaft zu erkennen, das aber beim besten Willen noch immer nicht
  als blühend bezeichnet werden kann. Er wird wohl noch hier bleiben
  müssen. Der alte Herr seufzt.

  So würde es dem Bundeskanzler a. D. Helmut Kohl heute womöglich gehen,
  wenn man Unionschristen wie den Spes-sart-Inquisitor Norbert Geis noch
  ernst nehmen könnte, was sich aber derzeit nicht aufdrängt. An Kohls
  blühende Ost- Landschaften hat der Mann nicht gedacht, als er jetzt
  bis zu fünf Jahre Haft für Wahllügen forderte, denn dieses Delikt kann
  aus Unionssicht grundsätzlich nur von Sozialdemokraten und Grünen
  begangen werden. So viel sich zu deren Gebaren nun sagen ließe, so
  scheint es hier gebotener, sich mit dem Phänomen des moralischen
  Siegers auseinander zu setzen beziehungsweise mit jenen, die sich
  tragischerweise dafür halten. Dazu zählen erfahrungsgemäß betrogene
  Ehemänner oder auch vom Unglück verfolgte Sportler wie die in die
  Jahre gekommene Fohlenelf aus Mönchengladbach, die sich einst
  ungeachtet drängender Abstiegsgefahr zum "Tabellenführer der Herzen"
  ausrief. Und so erinnert die Union gerade eher an einen verschmähten
  Liebhaber, der sich die Absage der Braut nicht anders zu erklären
  vermag, als dass der Glücklichere, den sie ihm vorzog, die Schöne mit
  Tand, Gaukelei und verlogenen Verheißungen gewonnen habe. Dass sie
  vielleicht in Wirklichkeit weder seine Schachtelsätze noch seine ewige
  Besserwisserei ertragen konnte, kommt dem Verlierer zu keiner Stunde
  in den Sinn. Die Kehrseite dieses an sich ja begrüßenswerten Glaubens
  an sich selbst ist leider die Lächerlichkeit des Gehörnten, der
  "Betrug!" schreiend durch die Lande zieht. Denn vom Stil her gesehen,
  spielen Tabellenführer der Herzen oft ziemlich weit unten in der
  Regionalliga.

  Da Wirklichkeitsverlust noch nicht mit Haft bedroht ist, hat der CSU-
  Generalsekretär dieser Tage ungestraft ausgeführt, die Karte der
  Wahlkreisergebnisse sehe aus "wie1933". Vielleicht sollte man der
  Union noch zum Innehalten raten, bevor sie das Wählen rot-grüner
  Regierungen mit Gefängnis nicht unter fünf Jahren ahnden oder die
  Wiedereinführung der hochnotpeinlichen Befragung für Finanzminister
  fordern wird. Eines nicht so fernen Tages könnte sie vielleicht doch
  wieder eine Wahl gewinnen. Und sie sollte mit Friedrich Schiller
  bedenken, dass man sich dann auch ihrer Versprechungen erinnern wird:
  "Ewig jung ist nur die Phantasie / Was sich nie und nirgends hat
  begeben, / das allein veraltet nie!"