(SZ)Nix passiert am Mittwochabend auf Schalke, keiner hat keinen
bespuckt, alle haben sich zivilisiert benommen, Gott sei Dank. Aber
wollen wir das wirklich feiern? Ach, nein, lieber nicht, da sei schon
Kant vor, der wusste, "die Menschen sind insgesamt je zivilisierter,
desto mehr Schauspieler". Und wenn sie aus dem Stück herausträten, das
ihr Leben ist, die Menschen, was täten sie? Na, sie spuckten nach
Herzenslust, sie folgten ihrem archaischen Trieb, ja, unzweifelhaft
ist das Spucken ein unterdrückter Teil unseres Wesens, je älter wir
wurden, umso besser haben wir gelernt, ihn zu verbergen. Aber welch
Wonne entgeht uns nun! Wie glücklich waren wir, als sich die
Konventionen noch nicht auf uns gelegt hatten! Was für Unmengen von
Kirschen haben wir gefressen, als Kinder im Garten der Großeltern,
nur, um die Kerne glatt zu lecken und sie hernach über die Hecke zu
spucken, auf vorüberziehende liebe oder doofe Nachbarn, egal, auf wen,
der Genuss lag schon im ploppenden Geräusch, das entstand, wenn der
Kern den Mund verließ, flppp, flppp, flppp.
Selten getroffen, müssen wir leider sagen. Entweder war der Nachbar
schon vorbei, oder er war noch einen Schritt entfernt, oder der Kern
blieb in der Hecke hängen. Heute wissen wir, dass Übung da nur bedingt
hilft. Über ein bestimmtes Maß an Treffsicherheit werden wir
bedauerlicherweise nie hinauskommen, denn es fehlen uns die
genetischen Voraussetzungen der Schützenfische. Der Schützenfische?
Ja, wie der Name schon sagt, der Schützenfische, Toxotes jaculatrix.
Sie schießen die Insekten, von denen sie sich ernähren, mit perfekt
gezielten Wasserstrahlen von Ästen und Blättern. Sie treffen ihre
Miniziele noch auf Entfernungen von über einem Meter, und das Beste:
Sie können sogar die trudelnde Flugbahn des getroffenen Insekts
berechnen, und wenn die nassgespritzte Beute hilflos ins Wasser fällt,
sind sie schon zur Stelle. Das Allerbeste aber hat gerade ein
Freiburger Biologe herausgefunden, das Allerbeste ist, dass die
Schützenfische dazu noch nicht einmal ihre Augen benötigen. Irgendeine
klitzekleine Stelle in ihrem Gehirn - in ihrem Fischgehirn! - befähigt
sie zu den größten Taten.
Respektvoll, nein: in Demut vor jener großartigen Schöpfung schließen
nun wir die Augen und stellen uns vor, wir verstünden es, das Talent
der Schützenfische mit dem unsrigen zu verbinden. Wir können endlos
Kirschen futtern, das ist dem Toxotes jaculatrix nicht gegeben, na,
niemand auf der Welt kann alles. Aber seine Zielsicherheit geht nun
auf uns über, wird uns eingewoben, und sollten wir im nächsten Sommer,
da wir unsere Augen noch immer geschlossen halten, eine Stubenfliege
lästig brummen hören, so werden wir im Mund schnell einen Kern
freilegen und sie kurz und trocken abschießen, flppp, dumme Fliege,
denkt, wir könnten das nicht!