(SZ)Die Göttin der Liebe - wer dächte nicht immer wieder an sie? Doch
  weil die Gedanken frei sind (und die göttlichen Gedanken erst recht),
  macht sich jeder eine andere Vorstellung von der unbegreiflichen Frau.
  Für den gehobenen Kulturbürger muss die Liebesgöttin unbedingt
  aussehen wie von Michelangelo gemeißelt oder von Botticelli gemalt.
  Der notorische Romantiker wird lüstern an Prinzessin Salome denken
  oder auch keusch ans Schneewittchen. Schlichtere Menschen der
  Jetztzeit mögen sogar Frau Feldbusch vor Augen haben oder auch Frau
  Strunz. Nur über eines dürften sich alle Venusanbeter einig sein:
  Schön muss sie sein, die Göttin der Liebe, unfassbar schön! Aber da
  fangen schon wieder die Probleme an. Was ist hässlich, was ist schön?
  "Schön ist hässlich/hässlich schön!", singen die tückischen Hexen in
  Shakespeares "Macbeth". Damit ist alles zum Thema gesagt. Und nichts.

  Die Schöne, von der heute die betrübte Rede sein muss, ist 2,40 Meter
  groß und 500 Kilogramm schwer. Einem solchen Ausmaß von Schönheit ist
  nicht jedermann gewachsen. Weshalb die Liebesgöttin, eine wuchtige
  Plastik des Künstlers Markus Lüpertz, jetzt geradezu ein Opfer des
  neidischen Hasses geworden ist. Weil sie nicht schön genug ist für
  eine anerkannt schöne Stadt namens Augsburg: das Gesicht eindeutig zu
  schief, der Körper bei weitem zu korpulent! Dass diese kuriose
  Aphrodite, diese bronzene göttliche Halbtonne, absolut lieb und
  sehnsuchtsvoll dreinschaut, hat die harten Herzen der deutschen
  Kleinstädter nicht erweichen können. Deshalb nun heißt es in dieser
  Woche: Augsburg ade! Nach einer Rast im Düsseldorfer Lüpertz-Atelier
  wird Aphrodite weiterreisen, Endstation Hauptstadt. Hier, das darf man
  heute schon prophezeien, wird sie mit der ihr zustehenden allergrößten
  Liebe empfangen werden!

  Sollte die Dame eine gute Reiselektüre brauchen, empfehlen wir Thomas
  Bernhard: "Die Macht der Gewohnheit". Jene böse Komödie, in welcher
  die Stadt Augsburg als "muffiges, verabscheuungswürdiges Nest", ja als
  "Lechkloake" geschmäht wird. Das Stück mit dem längst klassischen
  Refrain "Morgen in Augsburg", was hier dasselbe heißt wie "Morgen in
  der Hölle". Morgen in Berlin aber sollte die vertriebene Göttin den
  würdigsten Platz bekommen, gleich vor dem Reichstag. Ihr
  herzerwämender Anblick wäre womöglich die Rettung für eine Stadt, die
  derzeit vom Hass und (weiß Gott, weiß Göttin!) eben nicht von der
  Liebe regiert wird. Alle Querulanten könnten zur Statue pilgern, und
  alle wären wundersam erheitert: der verbitterte Schröder, der
  verkniffene Eichel. Der magere Merz, die mollige Merkel. Alle. Sogar
  Möllemann möglicherweise. Und die dicke Göttin würde sich freuen, und
  nur selten noch würde sie an ihre schlechten Zeiten denken. Gestern in
  Augsburg.