(SZ)Als die Württembergische Ständeversammlung 1827 über den Ankauf
  der Boisserée'schen Kunstsammlung debattierte, rief einer der
  Abgeordneten: "Mir brauchet Grumbiere ond koi Kunscht!" Mit
  "Grumbiere" (Grundbirnen) meinte er Kartoffeln, und in der Tat hat es
  die Kartoffel zu einer Alltagswichtigkeit gebracht, von der die
  "Kunscht" nur träumen kann. Nicht, dass sie unumstritten gewesen wäre,
  das beileibe nicht. In ihrer Frühzeit sagte man ihr nach, sie sei aus
  dem Speichel des Teufels entstanden und beherberge die Sünde; noch der
  Anthroposoph Rudolf Steiner lehnte sie ab, weil sie, aus dem Dunkel
  der Erde kommend, zu verfrühter Altersschwäche der Augen führe.
  Apropos Sünde: Ein altes Kräuterbuch versprach sich von der Knolle
  eine "Stärkung der ehelichen Wercke", und so arbeitete sich die
  Kartoffel hoch. Um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert verzehrte
  jeder Deutsche - Sünde hin, Altersblindheit her - 286 Kilo pro Jahr.

  Vor zehn Jahren gab es, bezeichnenderweise abermals in Württemberg,
  die Ausstellung 13 Dinge, deren Ehrgeiz es war, den "kulturellen
  Signifikationsbereich" gewisser Gegenstände zu erkunden. Unter ihnen
  fand sich, neben dem Hammer, dem Herzen Jesu, dem Besen und anderen
  Sachen von "Dingbedeutsamkeit", auch die Kartoffel. Um nur einen
  Aspekt zu nennen: Seinerzeit warb die Bayerische Vereinsbank mit dem
  Bild einer Artischocke, die von der Schrift "Oder doch lieber
  Kartoffeln?" wie von einem Heiligenschein umgeben war. Sie wollte
  damit die Solidität ihrer Leistungen herausstreichen, und im Hinblick
  auf die Artischockengeschäfte des Neuen Markts ist dazu zu sagen:
  Wären sie und andere nur bei dieser "Philosophie" geblieben!
  Mittlerweile zählt auch die Kartoffel nicht mehr zu den stabilen
  Werten. Es wetterleuchtet um sie, und die Blitze sind aus eitel
  Acrylamid. Wir haben wieder einmal einen Lebensmittelskandal, diesmal
  jedoch keinen, den man einem skrupellosen Unternehmer oder einem
  verbrecherischen Multi in die Schuhe schieben könnte. Diesmal müssen
  wir alle ihn auslöffeln, denn es sieht so aus, als hätten wir ihn uns
  in Jahrmillionen des Bratens und Röstens selber eingebrockt.

  Obwohl Ministerin Renate Künast ihre Pappenheimer von "mündigen"
  Verbrauchern kennt, sieht sie vorderhand davon ab, ihnen ein Gesetz
  über den ordnungsgemäßen Verzehr von Bratkartoffeln aufzuhalsen. Das
  muss man ihr aus zwei Gründen hoch anrechnen. Erstens sind in Zeiten,
  da die Gesetzgebungsmaschine ohnedies heiß läuft, nicht erlassene
  Gesetze allemal die besten. Zweitens scheint Künast die im Sujet
  verborgene Symbolik, eine der oben erwähnten Dingbedeutsamkeiten,
  erkannt zu haben: Klarer denn je gleicht unser aller Verhältnis zur
  Bundesregierung einem Bratkartoffelverhältnis, und da ist es vom
  Ranzigwerden zum Bruch nur ein Schritt.