(SZ) Leichenbittermienen gibt es dieser Tage allenthalben,
  saisonbedingt natürlich: Novemberwetter, Nachwahlzeit. Grimmig
  besorgte Gesichter auf allen Kanälen, in Nachrichtenshows und
  Talkrunden rund um die Uhr, immer wieder die gleichen verkniffenen
  Züge, diese bleichen Wangen, diese ins Leere starrenden Augen - Marke
  "Ihr Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe . ..": Rilke, Jardin du
  Luxembourg, der Panther?! Von Fischer bis Westerwelle, von Merkel bis
  Merz, Müntefering sowieso. Die Zeigefinger sind in erhobene Stellung
  gebracht und wollen sich gar nicht mehr senken, wollen signalisieren,
  dass der Geist ein bewegtes Leben führt im Sprechenden.
  Erklärungsnotstand herrscht, Perspektivenmangel, Zukunftsdepression.
  Man muss kundtun, warum man vor der Wahl nicht sagen wollte, was nun
  ganz offensichtlich ist, oder warum der Gang zu Bush immer noch bei
  Powell endet und man dabei bloß nicht an Canossa denken möge ... Man
  sieht sich um den Schlaf gebracht, denkt man an dieses Deutschland und
  seine Zukunft. Apropos Schlaf: "Warum", ließ Heinrich Heine den Herrn
  von Schnabelewopski räsonieren, "fürchten wir uns vor dem Schlafengehn
  nicht weit mehr als vor dem Begrabenwerden? Ist es nicht furchtbar,
  daß der Leib eine ganze Nacht leichentot sein kann, während der Geist
  in uns das bewegteste Leben führt, ein Leben mit allen Schrecknissen
  jener Scheidung, die wir eben zwischen Leib und Geist gestiftet?"

  Aber auch mit dem Tod stimmt es ja nicht mehr wirklich, und wenn's nur
  eine Frage des Atmosphärischen wäre, der Stimmungsmache zwischen
  Allerheiligen und Halloween, kämen wir sicher prima hin mit Leuten wie
  Heine oder Rilke. Aber auch der Tod will organisiert sein, die ewige
  Ruhestätte, deshalb will nun Nordrhein-Westfalen sein Bestattungsrecht
  umkrempeln: Schluss mit dem "Asche zu Asche", kein Friedhofszwang mehr
  bei Urnenbestattungen - die Verstorbenen bleiben fortan im Schoß ihrer
  Familie! So ist es fürwahr sinnvoll für Düsseldorf, wo Heinrich Heine
  geboren ist, wie für Paris, wo er begraben liegt. Auch dort, wo das
  Prinzip der Gleichheit geboren ist, ist das Begrabensein eine
  mühselige Sache: Nur 5553 von 16000 Toten konnten 2001 intra muros
  untergebracht werden, weshalb auch hier umgekrempelt werden soll,
  geklärt, wer dieses Privilegs würdig wäre. Die Zeit soll angerechnet
  werden, die der Tote in der Stadt verbrachte, und die Intensität, mit
  der er in deren Leben sich engagierte.

  Es gibt vielleicht kein richtiges Leben im falschen, aber ein
  richtiges Nachleben soll es im allgemeinen geben. Und falls man nicht
  zurecht kommt mit der kommunalen Kalkulation - ein Verfahren wird
  dieser Tage propagiert, das die Asche der Toten chemisch zum Diamanten
  wandelt für einen Ring. Was für ein wertvoller Fingerzeig!