(SZ) Kaufen, kaufen, kaufen heißt das Gebot der Stunde. Aber der
Bürger, dieser wirtschaftspolitische Blindgänger, hält ängstlich seine
Kröten zusammen und blickt in eine Zukunft, die die so genannten fünf
Weisen etwa so zuverlässig voraussagen können, wie es einst im alten
Rom die Eingeweidebeschauer auch schon konnten. Am besten, man sparte
zuerst einmal diese wichtigtuerischen Prognostiker samt ihren
Instituten ein. Aber so ein dickes, gedrucktes Gutachten macht eben
den Eindruck, den schon der Schüler im "Faust" hat: "Denn, was man
schwarz auf weiß besitzt,/Kann man getrost nach Hause tragen."
Tragen, wie? Eingeklemmt unterm Arm oder in einer Boxcalf-Aktentasche,
im Diplomatenköfferchen oder in diesen Felleisen, die Frau und Mann
als albern- modisches Dottersäckchen auf den Rücken geschnallt haben.
Oder einfach in der Plastiktüte, Tragetasche, im Türkenkoffer. Dieses
Utensil des täglichen Gebrauchs, das der gemeine Ossi auch nach der
Wende stets bei sich führte, um keine Gelegenheit zum Schnäppchen
auszulassen, feiert hundert Jahre. Complimenti! Ein Fortschritt ist
die Tragetasche zweifellos, was Gewicht und Faltbarkeit, weniger was
ästhetische Wirkung, Form und Haltbarkeit angeht. In steinerner
Vorzeit rollten Sammler und Sammlerinnen einfach große Blätter
trichterförmig zusammen, um Apfel, Nuss und Mandelkern, Korn, Samen
und Breiiges einzufüllen. Auch Tierhörner und Lederbeutel dienten als
Traggerät. Die Sachen in Papier einzutüten, gelang seit 1750, hundert
Jahre später gründete Buchbinder Gumpert Bodenheim in Allendorf,
Hessen, die erste Tütenfabrik. Aber die geniale Idee, an den plumpen
Papiersack zwei Henkel anzubringen und den Tütenboden standfest zu
machen, hatte 1902 der Wiener Wind- , pardon, Papierbeutelfabrikant
Max Schuschny. Als nach Weltkrieg Zwo Plastik statt Papier aufkam, gab
es kein Halten mehr. Seitdem schieben, knautschen, stecken feine Damen
und elende Penner, dicke Professoren und dünne Studenten, elitäre
Kunstkritiker und gemeine Redakteure Rundes und Eckiges, Längliches
und Breites, Weiches und Hartes, Champagner oder Sprudel in die
Plastiktasche. Auch Protestslogans à la "Jute statt Plastik" haben ihr
nichts anhaben können.
Postskriptum: Ein Leipziger, meldet die FAZ, hob vergangenen Montag
von seinem Konto 180 000 Euro ab, steckte sie in eine Plastiktasche
und ging seiner Wege, bis ihn ein unbeherrschbar dringendes Bedürfnis
überkam. An einem Trafokasten legte er schnell die Tüte ab und
erleichterte sich. Da rollten zwei Jugendliche auf Rädern heran und
schnappten ihm, vermutlich verärgert über das öffentliche Urinieren,
den Plastiksack weg, nicht ahnend, dass Tütenform und Tüteninhalt so
weit auseinander klaffen können.