(SZ) Das Café ist der Ort, an dem die schönsten Geschichten ihren
  Anfang nehmen, denn nirgendwo ist der Mensch aufmerksamer, nirgendwo
  bereiter. Immer beobachtet er jemanden, selbst wenn es nicht so
  scheinen mag. Kästner zum Beispiel dichtete im Romanischen Café in
  Berlin, er tat nicht nur so, er dichtete wirklich, aber aus den
  Augenwinkeln heraus verfolgte er doch, wie jeden Tag zur gleichen
  Stunde - na, fast jeden Tag, fast - vor dem Fenster ein hübsches
  Mädchen auf einem Fahrrad vorüberfuhr. Das Mädchen hatte ein lustiges
  Hütchen auf, an dem ein langes Gummiband flatterte, und deshalb nannte
  Kästner das Mädchen Pony Hütchen und ließ es, als Emils Kusine, im
  Roman von Emil und den Detektiven auftreten. Er mochte Pony sehr, das
  kann man leicht herauslesen, schon ein Satz genügt: "Sie saß wie eine
  Schönheitskönigin auf dem Stuhl, und die Jungen umstanden sie wie die
  Preisrichter."

  Pony mit dem lustigen Hütchen, an dem ein langes Gummiband flatterte,
  das ihr immer auf den Rücken schlug, auf ihren schmalen Rücken, hieß
  in Wirklichkeit Margot Beatrice Schönlang. Und sie fuhr zur
  Klavierstunde. Und Kästner schrieb. Und sie fuhr. Und er schrieb. Das
  dauerte ein, zwei Jahre. Und dann, als die Vermutung nahe lag, es
  bliebe ewig so, lernten sie sich doch kennen, und es kam, wie es
  kommen musste, denn die beiden verliebten sich, ja, so geht das im
  Café, am Ort der Anfänge. Manchmal aber, manchmal findet hier auch
  etwas ein schreckliches Ende. Und wie plötzlich! Wie unverhofft!
  Gerade erfahren wir aus Bozen, dass der Chefjurist der Stadt von
  Carabinieri festgenommen und unter Hausarrest gestellt worden ist,
  weil er jeden Tag - na, fast jeden Tag, nicht wahr - sich stundenlang
  im Café aufzuhalten pflegte. Gehe mal kurz hinaus auf einen
  Dienstgang, hatte er immer erklärt. Und sich dann ins Café gesetzt, wo
  ihn jemand von seinen Kollegen gesehen und verpfiffen haben muss.

  Das Mildeste, was wir über diese Kollegen sagen können, ist, dass sie
  ihn nicht verstanden haben. Der Staub der Akten, die sie mit ihren
  bestimmt wurstigen, unangenehm behaarten Fingern tagaus, tagein in
  sinnloser Mechanik auf- und wieder zuklappen, hat sich auf ihre
  bedauernswerten Seelen gelegt. Er aber, der Festgenommene, war auf
  geheimnisvolle Weise tätig in der Untätigkeit, immer ist das so,
  "niemals bin ich weniger müßig als in meinen Mußestunden", schrieb
  Cicero. Womit sich der Jurist beschäftigt hat? Vielleicht schrieb er,
  auf Servietten, einen Roman. Vielleicht schaute er, in einer
  bestimmten Erwartung, aus dem Fenster. Vielleicht aber veränderte er,
  nur für sich, auch bloß die Aufstellung der Bozener Fußballmannschaft
  fürs nächste Spiel - das Bozen jetzt, da man ihn unterbrochen hat,
  ohne Zweifel verlieren wird. Denn wie war das gleich? Ja, so: Jedes
  Spiel wird im Kopf gewonnen.