(SZ) Entgegen einer verbreiteten Ansicht ist es ja keineswegs so, dass
  früher alles besser gewesen wäre. Wer, sagen wir, im Jahre 1856
  nächtens mit bohrender Pein in der Zahnwurzel erwachte, war übel dran,
  schlechter jedenfalls als jeder, der heute in der Notaufnahme hockt
  und jammert, dass er als Privatversicherter hier noch warten muss. Und
  auch mit der Sicherheit auf den Straßen war es seinerzeit so eine
  Sache. Wenn die Einspänner des aufstrebenden Bürgertums durch Feld und
  Wiesen ratterten, sprangen Vieh und Landmann in den Graben, und wehe,
  sie waren nicht behände genug.

  Und der Gefahren lauerten noch mehr, zum Beispiel "im Spessart vor
  vielen Jahren, als die Wege noch nicht so häufig als jetzt befahren
  waren", wie Wilhelm Hauff berichtet. Insofern ist es als Gewinn an
  Straßensicherheit zu betrachten, dass sich heute ebendort, wo einst
  das von schwarzen Geheimnissen umwitterte Wirtshaus im Spessart stand,
  ein schwerer Pfeiler der Autobahnbrücke erhebt. Aber selbst wenn die
  Spelunke noch immer Raubgesindel als Versteck für Überfälle auf
  Reisende dienen würde, könnte dieses jetzt auch nicht mehr tun als den
  hochmotorisierten Siebener-BMWs nachzuschauen, die mit 220 Sachen
  durch den dunklen Wald Richtung München rauschen. Und keiner ihrer
  Piloten bangt noch wie Hauffs Spessartwanderer, "dass der Abend schon
  heraufgekommen war und die Schatten der riesengroßen Fichten und
  Buchen den schmalen Weg verfinsterten".

  Eher könnte man dem Raser das Lied der Wildgänse ("Unstete Fahrt, habt
  Acht, habt Acht!") hinterherrufen, aber leider hat er nicht Acht,
  weswegen die Buchen und Fichten leicht zur Endstation werden. Da sich
  bedauerlicherweise auch mancher minder getunte Verkehrsteilnehmer
  nicht behände genug vor den Heranbrausenden in Sicherheit bringt,
  sinnt die bayerische Staatsregierung auf Abhilfe und mahnt die
  Haltlosen zu Einsicht und Besserung. Das mag erstaunen, weil doch
  gerade der Freistaat im Bunde mit seinem Gefährten im Geiste, dem
  ADAC, nicht ablässt, die illegitimerweise wiedergewählte rotgrüne
  Regierung als Fortschrittshemmnis zu brandmarken, das den schmalen Weg
  des Bürgers zu freier Fahrt verfinstere. Doch wie alle staatlichen
  Appelle an das Gute im Menschen wird auch dieser wenig bewirken, trotz
  seines bemerkenswerten Namens "Klimaschutz und Eigennutz" und trotz
  der 35 Euro Zuschuss für den Besuch eines Halbtageskurses, der dem
  Raser erste Ahnungen vermitteln soll, wie er den Druck des Fußes auf
  das Gaspedal zu lockern vermag. Das wird etwa so erfolgreich sein wie
  jene Broschüren der Sozialbehörde, in denen zur Delinquenz neigenden
  jugendlichen Problemgruppen Dinge mitgeteilt werden wie "Gewalt ist
  voll krass". Ja, genau, sagen die Problemgruppen dann, voll krass.