(SZ)Schändlich und gemein bis in alle Ewigkeit geschieht die
Verhunzung eines ehrenwerten Mannes. Freigeist, melancholischer
Spötter, Satiriker, Romancier, Rezensent auch, welcher, ungemein
fleißig aus Not, seinerzeit nur leidlich reüssierte, in unseren Tagen
jedoch ein Vermögen würde machen können. Einerseits weil sein
originales Œuvre sündteuer antiquarisch angeboten wird,
anderseits allein durch Vergabe seines Namens. Wohlgemerkt:
Zweihundert Jahre nach seiner Zeit! Jawohl, er ist's: Adolph Franz
Friedrich Freiherr von Knigge. Etwa der Knigge? Der Schlagersänger?
Iss nicht Fisch mit Mässsär...? Nein. Schämen sollten wir uns, wenn
man den spitznasigen, geistreichen Schmalkopf betrachtet, was alles
"Knigge" geheißen wird, nachdem ein Synonym aus ihm gemacht worden
war, ein Gattungsbegriff für korrektes Benehmen (sprich deutsch:
Benimm!). Knigge für Bettler, fürs Business, für Gesellschaften und
Gesellschafter, Knigge für Mäuse und Kiffer. Und das bloß, weil der
leibhaftige Knigge in lauterer Absicht ein alltagsphilosophisches
Büchlein "Über den Umgang mit Menschen" überschrieben hatte. 1788.
Kaum war er dahingeschieden, vierundvierzigjährig erst und erschöpft,
in Bremen, ist mit der Umdichtung und Umdeutung Knigge'scher
Handreichungen ("Täusche nie den Niederen, der dich um Schutz und
Arbeit bittet") begonnen worden. Das 19. Jahrhundert, Saeculum der
aufstrebenden Kleinbürger, verlangte nach Regeln und
Umgangssicherheit. Je hektischer die Industrialisierung alte Werte
verwirbelte und neue Klassen schuf, desto ängstlicher kopierte der
frisch gebackene Bourgeois Standesrituale des Adels. Der Markt, würde
man heute sagen, verlangte nach dem Guten Ton in fast allen
Lebenslagen. Bevor wir nun zur Sache selbst kommen - bemerkte
Diederich Heßling korrekt zu Beginn seiner Hochzeitsnacht - bringen
wir dem Kaiser ein dreifaches Hurra (Heinrich Mann, Der Untertan). Und
auf der Straße? Bist du eine junge Dame? Deine Blicke lass nicht
schweifen. Gehe niemals einwärts und platt. Ein Sohlengänger ist der
Bär, nicht der Mensch.
Unter der Hand, nicht aber in ihren Titeln mögen die Katechismen
gesellschaftlichen Wohllautes der wilhelminischen Zeit als "Knigge"
apostrophiert worden sein. Ungeniert missbraucht hat man den Freiherrn
erst in plumper Gegenwart. Hinter uns liegt, nach dem barbarischen
Weltkrieg Zwei, erst einmal die zwanghafte Wiederbesinnung auf
bürgerliche "Etikette", verschärft durch Erica (nicht "von") Pappritz.
Danach vollkommene Eliminierung 1968 ff. Seitdem findet eine
manierenlose Gesellschaft nichts dabei, Liebeskünste ehem. Gefährten
en detail zu verraten oder jedermann einen schönen Tach noch
zuzuraunzen. Und falsche "Knigges" in die Welt zu setzen. Der echte?
Er wurde geboren vor 250 Jahren.