(SZ)Ahnte nicht jeder, dass dies der Anfang vom Ende sei, als er zum
ersten Mal ins nackte Gesicht von Rudolf S. sah? Gewiss, den
Spitznamen "Ziege" war er nun los, aber sonst ging es mit Rudolf S.,
dem kühnen, liebestollen Rennradler, nur noch bergab. "Ab" ist das
entscheidende Wort: Der Bart ist ab, zischen jene, denen gerade der
Geduldsfaden gerissen ist. Warum hat sich Rudolf S. nicht rechtzeitig
in eine Westerwälder Höhle zurückgezogen und dort nach altdeutscher
Weise seinen Bart durch steinerne Tische wachsen lassen im
Bewusstsein, eines fernen Tages als Retter des Vaterlandes gefeiert zu
werden? Aber Rudolf S. wollte nicht wie Friedrich B. im Kyffhäuser
sitzen und Mythos werden. Stattdessen ist er in die Drogerie gegangen
mit den bekannten Folgen: Nassrasur mit mindestens Mach 3.
Wenn jetzt der Paketausfahrer Jürgen D. von seiner Firma UPS darauf
verpflichtet werden soll, im Außendienst glatt rasiert zu erscheinen,
dann könnte er auf Rudolf S. verweisen und schon deshalb das
Bartabnehmen verweigern, abgesehen davon, dass solches Verbot seine
Persönlichkeitsrechte beschneidet. Jürgen D.s Gattin mag ihren Mann
mit Auswuchs, seine Firma nicht. Vorm Münchner Arbeitsgericht
debattieren nun zwei Frauen um Jürgens Bart, die UPS-Anwältin
Anne-Caroline G. und die Arbeitsrichterin Angelika H. Kleine
Hilfestellung: Der Bart ist zuerst einmal ein hervorstechendes
Geschlechtsmerkmal bei männlichen Menschen, vielen Affen und manchen
Huftieren. Zugegeben, ein sekundäres. Seit der Jungsteinzeit aber hat
sich der Mann darum gekümmert, hat den Bart so lang wachsen lassen,
bis er wohl auch die Blöße bedeckte, oder hat sich rasiert, weil die
Liebste wegen Aufrauungen an Mund und anderen zarten Hautpartien das
Küssen und Schmusen verweigerte. Manch einer schritt auch zum
Abschaben, weil er sein Antlitz nicht hinter Barthaaren verstecken
wollte. Bartlose Jünglinge gelten jedenfalls immer schon als
begehrenswert bei Frau und Mann. Neben dem Einwand, Männern mit Bärten
sei nicht zu trauen, weil sie etwas zu verbergen hätten, zählt gegen
die Gesichtsmatratze vor allem das Argument, Spitz-, Backen-, Stutz-
oder erst recht Vollbärte machten älter. Das will natürlich keiner, es
sei denn, die jeweilige Mode verhilft der Gesichtsbehaarung zu
variantenreichem Renommee: Wallenstein ohne Knebelbart, undenkbar!
Oder der Bartwuchs wird zur stillen rebellischen Handlung, man denke
an den Oppositionsbart in der DDR, den unser Bundestagspräsident
ossibärenhaft noch in Ehren hält.
Aber der Bartfundamentalismus im Orient, muss es einen da nicht
grausen? Gegenfrage: Auf was soll der Muslim im Märchen und in
Wirklichkeit tausendundeine Nacht lang denn schwören, wenn nicht auf
den Bart des Propheten?