(SZ)Das schönste Schwarz der Welt - ja, das gibt es -, das schönste
Schwarz der Welt ist jetzt wieder zu sehen. Wie? Man trete aus seiner
Hütte, postiere sich breitbeinig, um nicht sein Gleichgewicht zu
verlieren, werfe dann seinen Kopf in den Nacken, so weit, dass sich
die Haut unterhalb des Kiefers schmerzlich spannt, und warte, warte,
warte. Man muss Geduld haben. Oder Glück. Man weiß nie genau, wann das
schönste Schwarz erscheint. Plötzlich ist es da, plötzlich sieht man
über sich das Schwarz der Vögel, die ins Warme ziehen, und wenn es
große Vögel sind, Kraniche zum Beispiel, und wenn sie sich gerade
erhoben und noch nicht viel an Höhe gewonnen haben, dann meint man
sogar den Luftzug zu spüren, den sie verursachen, ein leichter kühler
Wind zieht über die Kopfhaut, das ist eine Sinnestäuschung, natürlich
- oder doch nicht?
Und schon ist das Schwarz verschwunden, ist der Himmel wieder rein.
Jede Schönheit, jeder Genuss: Sekundensache. Wir senken den Kopf,
schütteln unsere halb erstarrten Glieder, fassen uns an den Kiefer,
treten zurück in die Hütte, mit immer derselben Frage, mit dem
alljährlichen Staunen, wie die Vögel ihren Weg in den Süden finden.
Wie machen die das nur? Sie richten sich nach Sonnenstand und
Sternbildern und Landmarken, schon klar, das weiß jedes Kind. Doch
kann jemand erklären, wie die ganzen Daten in das Hirn zum Beispiel
eines Fitislaubsängers gelangt sind, der doch, im Ganzen, nur acht
Gramm wiegt, acht Gramm wiegt der Fitislaubsänger, und dennoch scheint
er alle Sterne und jede Küste und die Sonne sowieso zu kennen, der
Himmel besteht für ihn aus lauter Straßen, Biegungen, Ecken, der
Himmel ist sein Kiez, den durchfliegt er notfalls mit geschlossenen
Augen, oder?
Na, wir wollen nicht übertreiben. Sein linkes Auge darf der
Fitislaubsänger, wie jeder andere Zugvogel, schließen, aber das rechte
Auge nicht, das rechte hat er unbedingt offen zu halten, denn im
rechten befindet sich, wie Biologen aus Frankfurt/Main pünktlich zu
Saisonbeginn herausgefunden haben, eine Art Kompass, der dem Vogel
hilft, sich an den magnetischen Feldlinien der Erde zu orientieren.
Das ist sein Geheimnis: Moleküle im Auge, allerkleinste Teilchen, die
sich schon bei geringstem Lichteinfluss selbst in Magnete verwandeln
und den Standort des Tieres im großen Magnetfeld widerzuspiegeln
vermögen. Wir wären im Stande, das jetzt noch genauer zu beschreiben.
Aber wozu? Wohin führte das denn? Schon stellen wir uns vor, wie wir
im nächsten Herbst unsere Hütte verlassen werden, leider, leider nicht
mehr das Schwarz im Sinn, das schönste Schwarz der Welt, sondern nur
noch die starren rechten Augen der davonflatternden Vögel, ja, mit
einem Feldstecher werden wir fiebrig versuchen, in diese Augen zu
dringen, Gottogott.