(SZ)Auch das Endlose hat einmal ein Ende. Wer, zum Beispiel, hätte
  noch daran geglaubt, dass dieser zehrende, ätzende Wahlkampf jemals
  würde aufhören können? Doch jetzt ist auf einmal alles vorbei. Jetzt
  sind die Wahlplakate still verschwunden. Schröder weg, Stoiber weg,
  Guido weg. Nur ein paar PDS-Köpfe hängen noch, durchnässt und langsam
  verschimmelnd, im herbstlichen Wind.

  Und morgen schon, am Tag der Einheit, geht es mit einer anderen
  deutschen Ewigkeit plötzlich zu Ende. Das Brandenburger Tor, repariert
  und restauriert, wird wieder enthüllt. Die riesigen Plastikplanen,
  welche die Baustelle jahrelang gnädig bedeckten, werden enfernt.
  Höhepunkt der Zeremonie wird ein Auftritt des Modehändlers Willy
  Bogner sein, der sich, so der Tagesspiegel in kaum noch gezügelter
  Erregung ("Zieht das Tor aus!"), "von einem Heißluftballon abseilt,
  einen riesigen Reißverschluss öffnet und die letzte Verhüllung wie
  einen Rock zu Boden gleiten lässt". Dies ist das logische Ende einer
  Epoche, in welcher wir das historische Gemäuer nur noch als
  gigantische Reklamewand hatten erblicken dürfen. Den Älteren im Lande
  gehen vielleicht, wenn sie ans sagenhafte Tor denken, Wörter wie
  "Brandenburg" oder "Vaterland" durch den Kopf, vielleicht auch
  "Einigkeit" und "Gorbatschow". Der junge frohe deutsche Mensch aber
  kennt das Brandenburger Tor nur noch als "Tor Telekom". Und erinnert
  sich dankbar an die vielen Verhüllungsaktionen, deren vermutlich
  niedlichste die Eroberung des Tores durch die rosaroten
  Telekom-Panther war. Für manchen seriösen Hauptstadtbewohner war das
  ein Schock. Trost brachte allein der Gedanke, dass ein rosaroter
  Panther als Torhüter immer noch besser ist als ein mausgrauer
  Volkspolizist.

  "Was ist die Welt?", fragte der deutsche Barockdichter Hofmannswaldau,
  und eine seiner vielen düsteren Antworten hieß: "Ein faules Grab, so
  Alabaster deckt". Heute wissen wir es besser als der arme Poet: Die
  Welt ist eine einzige bunte Werbefläche. Kaum ein Quadratzentimeter,
  der sich nicht werbestrategisch nutzbar machen ließe - und das gilt
  nicht nur für steinerne Gebilde, sondern erst recht für den
  menschlichen Körper. Westerwelles "Schuhsohle 18" war ein schöner
  Anfang, gewiss. Aber warum sollte man nicht, wenigstens im Sommer, den
  Leib des deutschen Mannes lustig bemalen? Als Träger eines
  Bitburger-Bauches oder einer Warsteiner-Wampe könnte sich mancher ein
  nettes Taschengeld verdienen. Oder, körperaufwärts und radikal zu Ende
  gedacht: Millionen deutsche Glatzen, das sind Millionen bisher noch
  unentdeckte Werbeflächen. So, genug jetzt! Das Brandenburger Tor wird
  feierlich geöffnet, da wollen wir pünktlich dabei sein, Willy Brandt
  wartet schon! Nein, nicht Willy Brandt natürlich. Willy Bogner. Besser
  so!