(SZ)Zugegeben, die Butterfahrten sind ausgestorben. Im Fernsehen läuft
eine geile Reklame, die uns weismachen will, dass der Margarine Jugend
und Zukunft gehören. Und der Chor der Fitness-Prediger und
Diät-Apostel liegt uns schon seit Jahren mit seinen
Anti-Cholesterin-Gesängen in den Ohren. Aber alte Liebe rostet nicht,
auch nicht in Zeiten, in denen selbst ein Brotaufstrich Sex-Appeal
haben muss. Die tiefe, verlässliche Bindung der Deutschen an die
Butter ist stärker, als sich die Propheten der internationalen
Schlankheitsreligion träumen lassen. Zärtlich hat der deutsche
Volksmund sie "gute Butter" getauft, und niemand, auch keine
Diätkönigin sagt: "Alles in Margarine." Ja, die Deutschen haben ihrer
Butterbindung an versteckter Stelle, in ihrer Unsinnspoesie ein
sprechendes Denkmal gesetzt: "Meine Mutter schmiert die Butter / immer
an der Wand lang..." Die Margarine mag in der Körpergeschichte der
Deutschen aufgeholt haben, aus ihrer Seelengeschichte lässt sich die
Butter nicht vertreiben.
Der deutsche Weg ist ja in letzter Zeit gelegentlich in die
internationale Kritik geraten. Wie die Butter. Und weil die beiden nun
mal zusammengehören, weil ein Deutscher eine Stulle mitnimmt, wenn er
sich auf den Weg macht, können sie auch nur gemeinsam aus Kritik und
Krise herausfinden. Heute wird damit ein unübersehbarer Anfang
gemacht. Denn heute ist der "Tag des Deutschen Butterbrotes", und wenn
Sie gerade mit dem Zug unterwegs sind und zum Beispiel am Berliner
Ostbahnhof oder in den Bahnhöfen von Frankfurt, Hamburg, Leipzig und
Stuttgart vorbeikommen, müssten Sie das eigentlich bemerken. Denn auf
diesen Bahnhöfen werden heute von 6.00 bis 18.00 Uhr auf großen Bühnen
öffentlich Butterbrote geschmiert. Das hat sich die CMA ausgedacht,
die Centrale Marketing-Gesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft, und
so gezielt die Lücke besetzt, die die ausgestorbene Butterfahrt
hinterlassen hat. Früher ging der Deutsche notfalls über Grenzen, um
zu seiner Butter zu kommen. Heute wartet die Butter auf ihn zwischen
Hamburg und München- Pasing, und es entbehrt nicht einer gewissen
Symbolik, dass er überall, wo ihn das Butterbrot erwartet, bei sich
selbst ankommt.
Der "Tag des Deutschen Butterbrotes" hat ein großes Ziel. Er will die
Vorjahresleistung von 100000 verteilten Stullen auf die 150000-Brote-
Marke schrauben. Die Bahnhöfe stehen in elektronischem Dauerkontakt.
Große Anzeigetafeln vermelden die Gesamtzahl der bundesweit
bestrichenen und verteilten Brote. Die in der Wahlnacht in ihren
politischen Optionen auseinander strebenden Regionen des Südens und
des Nordens wachsen so zumindest kulturell für einen Tag wieder
zusammen: in der Bekräftigung der Butterbindung der deutschen Seele.