(SZ)Der Kanzler hat eine rote Nase. Lustig sieht er aus, der Kanzler
  mit der roten Nase, endlich wieder lustig. Beinahe wie damals, vor
  endlos fernen vier Jahren, als er frohgemut sein Kanzlerleben begann.
  Mittlerweile haben sich die Bilder ja sehr verdüstert: Man sah den
  Kanzler als Staatsmann und als Firmenretter, als Kriegsherrn und als
  Friedensfürsten. Fast immer sorgenvoll, zerfurcht - und kaum noch
  spaßig. Doch jetzt hat er die rote Nase. Wahrscheinlich nicht in
  Wirklichkeit. Aber immerhin auf abertausend Wahlplakaten in der ganzen
  Republik. Natürlich haben ihm nicht Machnig oder Müntefering die rote
  Nase verpasst, sondern anonyme Attentäter, die in heimlichen
  Kunstaktionen die Kanzlerplakate bemalt haben. Die meisten
  Schrödernasen sind klein und rund und niedlich, richtige Clownsnasen
  eben. Einige aber sind fast bedrohlich ins Längliche, geradezu
  Phallische gewachsen. Das wollen wir jetzt lieber nicht vertiefen!
  Sondern ratlos fragen, welche politischen Motive hinter den
  nächtlichen Nasenaktionen stecken mögen. Waren Schröders Feinde am
  Werk, und heißt ihre Nachricht: Schröder - der falsche Kanzler für
  ernste Zeiten? Oder ist die rote Nase ein politischer Liebesgruß mit
  der fiesen frohen Botschaft: Lieber ein Clown als Kanzler als ein
  Leitz-Ordner?

  Wahlplakate sind kostspielig, langweilig, überflüssig. Sie zeigen dem
  Wähler jene Köpfe, Nasen, Hälse und Kröpfe, die er ohnehin viel zu oft
  sehen muss. Manchmal sind diese Plakate für den Plakatierten sogar
  regelrecht schädlich. Nehmen wir unsere liebe Hauptstadt als Beispiel:
  Auf der langen Strecke zwischen Großem Stern und Brandenburger Tor
  fährt man an ungefähr einhundert Günter-Rexrodt-Plakaten vorbei. Ein
  Rexrodt allein, das wäre gewiss eine Begegnung der angenehmen Art.
  Hundert Rexrodts aber sind eindeutig zu viele Rexrodts - und bringen
  den Auto- wie den Fahrradfahrer in jenen gefährlichen Trancezustand,
  der als "Einschlafen am Steuer" übel bekannt ist. Und was nützt das
  schönste Stoiber-Plakat, wenn seine Botschaft hinterhältig verändert
  wurde? "Deutschland braucht keine neue Regierung" steht da nun
  überall. Oder: "Inkompetenz für Deutschland." Und der Plakatkandidat
  muss dazu lächeln, bei Tag und bei Nacht. Auf die FDP-Plakate
  wiederum, mit der magischen "18" und den schier genialischen Slogans
  ("Westerwelle statt Pleitewelle"), hat man jetzt überall eine
  tückische "1.8" geklebt. So gemein können die Menschen sein!

  Nächste Woche sind die Plakate dann weg. Niemand wird sie vermissen.
  Der Wähler wird sich von der Droge "Wahlkampf" ohne viel Mühe befreien
  und sich wieder seinen wirklichen Leidenschaften widmen. 100 Prozent
  Leben statt 18 Prozent Politik. Fußball statt Schröder. Ferien statt
  Fischer. Sex statt Stoiber. Dauerwelle statt Westerwelle.