(SZ)So ungefähr im Jahre 750 vor Christus trug Gott dem Amos aus Juda
  auf, der Spaßgesellschaft mal ordentlich die Leviten zu lesen, und
  sagte: Knöpf Dir besonders die Besserverdienenden vor. Das kam dem
  Amos überhaupt nicht gelegen. Erstens hätte er sich lieber um seine
  Maulbeerbaum- Plantagen gekümmert. Zweitens gehörte er selber der
  Oberschicht an. Und drittens: Warum trug Gott den Job nicht einem der
  vielen berufsmäßigen Propheten auf? Aber weil Amos wusste, dass Gott
  nicht mit sich diskutieren ließ, seufzte er nur leise in sich hinein
  und machte sich auf und zog durch Israel. In düsteren Worten geißelte
  er die Korruption und die soziale Ungerechtigkeit. Aber anstatt dass
  die Leute sich gebessert hätten, wünschten sie ihm die Krätze an den
  Hals und riefen ihm zu, er solle aufhören, so rumzunerven. Da erfasste
  den Amos, der seinen Job bisher eher missmutig erledigt hatte, eine
  heilige Wut, und er kam richtig in Fahrt. Denn wenn ihm etwas ganz
  furchtbar auf den Keks ging, dann waren es schlechte Manieren. Und so
  drohte er, wie Löwengebrüll und Donnergrollen werde der Zorn Gottes
  über das Land kommen. Und er rief mit lauter Stimme: Weh denen, die
  grölen zum Klang der Laute, / weh denen, die auf Elfenbeinbetten
  lagern und sich auf ihren Couchen fläzen!

  Hoppla, haben wir da richtig gehört? Die sich auf ihren Couchen
  fläzen? Um 750 vor Christus? Ja, wir haben richtig gehört, denn wir
  lesen eine moderne Bibelübersetzung. Und schon dämmert uns, was die
  moderne Bibelübersetzung uns mit ihren Couchen sagen will. Sie will
  uns sagen: Denkt bloß nicht, das sei eine alte Geschichte aus dem
  fernen Israel, die euch nichts angeht! Oh, nein, Amos ruft den Zorn
  Gottes auch auf euch herab, und denkt bloß nicht, ihr könnt ihm
  entgehen, indem ihr euere Gesichter hinter dem neuesten
  Schöner-Wohnen-Heft verschanzt!

  Der Prophet Amos wurde damals vom Volk Israel ins Ausland abgeschoben.
  Die schlechten Manieren aber breiteten sich aus in alle Welt. Die
  meisten Menschen haben sich inzwischen damit abgefunden. Allenfalls
  diejenigen, die ein biblisches Alter erreichen, erklimmen heute noch
  das Hochplateau des Zorns, von dem Amos herabwetterte. Der Bonner
  Ratgeber Stil&Etikette hat soeben die Faustregel veröffentlicht: Je
  älter der Mensch ist, desto mehr stört er sich an schlechten Manieren.
  Gerade mal ein Drittel der 14- bis 29-Jährigen kann schlechtes
  Benehmen bei Tisch nicht leiden. Aber drei Viertel der Deutschen über
  fünfzig ärgern sich "ziemlich" oder "sehr" über schlechte Manieren.
  Und was vor allem erregt ihren Zorn? Das Fläzen. Das Fläzen, besonders
  bei Tisch, wenn sich jemand mit weit ausgestreckten Beinen, fast
  liegend herumräkelt wie damals die Besserverdienenden in Israel auf
  ihren Couchen.