[1] Ich, Nebukadnezar, lebte sorglos in meinem Haus und glücklich in meinem
Palast. [2] Da hatte ich einen Traum, der mich er schreckte, und die
Gedanken auf meinem Lager und die Gesichte meines Hauptes ängstigten mich.
[3] Und es wurde von mir Befehl gegeben, alle Weisen Babels vor mich zu
bringen, damit sie mir die Deu tung des Traumes verkündeten. [4] Sogleich
kamen die Traumdeuter, Wahrsager, Chal däer und Zeichendeuter herbei, und
ich erzählte vor ihnen den Traum; aber sie konnten mir seine Deutung nicht
verkünden, [5] bis zuletzt Daniel vor mich kam, der Beltsazar heißt nach
dem Namen meines Gottes, und in welchem der Geist der heiligen Götter ist;
vor dem erzählte ich meinen Traum: [6] Beltsazar, du Oberster der
Schriftkundigen, von dem ich weiß, dass der Geist der heiligen Götter in
dir ist und dass kein Geheimnis dir zu schwierig ist, [ver nimm] das
Traumgesicht, das ich gese hen habe, und sage mir, was es bedeutet! [7] Das
sind aber die Gesichte meines Hauptes auf meinem Lager: Ich schaute, und
siehe, es stand ein Baum mitten auf der Erde, und seine Höhe war gewaltig.
[8] Der Baum war groß und stark, und sein Wipfel reichte bis an den Himmel,
und er war bis ans Ende der ganzen Erde zu sehen. [9] Sein Laub war schön
und seine Frucht reichlich, und Nahrung für alle fand sich an ihm; unter
ihm suchten die Tiere des Feldes Schatten, und die Vögel des Himmels
wohnten in seinen Zweigen, und von ihm nährte sich alles Fleisch. [10] Ich
schaute in den Gesichten meines Hauptes auf meinem Lager, und siehe, ein
heiliger Wächter stieg vom Himmel herab; [11] und er rief mit gewalti ger
Stimme und sprach: ?Haut den Baum um und schlagt seine Äste ab! Streift
sein Laub ab und zerstreut seine Früchte; die Tiere unter ihm sollen
wegfliehen und die Vögel von seinen Zweigen! [12] Aber seinen Wurzelstock
sollt ihr in der Erde lassen, und zwar in Fesseln aus Eisen und Erz im Gras
des Feldes, damit er vom Tau des Himmels benetzt werde und mit den Tieren
Anteil habe an den Kräutern der Erde. [13] Sein menschliches Herz soll
verwandelt werden, und es soll ihm ein tierisches Herz gegeben werden; und
sie ben Zeiten sollen über ihm vergehen. [14] Im Rat der Wächter wurde das
be schlossen, und von den Heiligen wurde es besprochen und verlangt, damit
die Le benden erkennen, dass der Höchste über das Königtum der Menschen
herrscht und es gibt, wem er will, und den Nied rigsten der Menschen
darüber setzt! ? [15] Diesen Traum habe ich, der König Ne bukadnezar,
gesehen; du aber, Beltsazar, gib die Auslegung, weil alle Weisen meines
Reiches nicht imstande sind, mir die Deutung zu verkünden; du aber kannst
es, weil der Geist der heiligen Götter in dir ist! [16] Da blieb Daniel,
den man Beltsazar nennt, eine Weile ganz starr, und seine Gedanken
erschreckten ihn. Der König ergriff das Wort und sprach: ?Beltsazar, der
Traum und seine Deutung dürfen dich nicht erschrecken! ? Beltsazar ant
wortete und sprach: ?Mein Herr, der Traum gelte deinen Hassern und seine
Auslegung deinen Feinden! [17] Der Baum, den du gesehen hast, so groß und
stark, dass sein Wipfel bis zum Himmel reichte, und der über die ganze Erde
zu sehen war, [18] der so schönes Laub hatte und so reiche Früchte trug und
an dem sich Nahrung für alle fand, unter dem sich die Tiere des Feldes
aufhielten und in dessen Zweigen die Vögel des Himmels wohnten - [19]
dieser [Baum] bist du, o König, der du so groß und stark geworden bist und
dessen Majestät so groß ist, dass sie bis zum Himmel reicht, und deine
Herrschaft bis ans Ende der Erde. [20] Dass aber der König einen heiligen
Wächter vom Himmel herabsteigen sah und sagen hörte: Haut den Baum um und
verderbt ihn; aber seinen Wurzelstock lasst in der Erde, und zwar in
Fesseln von Eisen und Erz im Gras des Feldes, dass er vom Tau des Himmels
benetzt werde und seinen Anteil habe mit den Tieren des Feldes, bis sieben
Zeiten über ihm vergangen sind!, [21] das hat, o König, folgende Bedeutung,
und dies ist der Beschluss des Höchsten, der über meinen Herrn, den König,
ergangen ist: [22] Man wird dich von den Menschen aus stoßen, und bei den
Tieren des Feldes wirst du dich aufhalten; und man wird dich mit Gras
füttern wie die Ochsen und dich vom Tau des Himmels benetzen las sen; und
es werden sieben Zeiten über dir vergehen, bis du erkennst, dass der
Höchste Macht hat über das Königtum der Menschen und es gibt, wem er will!
[23] Weil aber davon die Rede war, man solle den Wurzelstock des Baumes
belassen, so wird auch dir dein Königtum wie der zuteil werden, sobald du
erkennen wirst, dass der Himmel herrscht. [24] Darum, o König, lass dir
meinen Rat gefallen und brich mit deinen Sünden durch gerechtigkeit und mit
deinen Missetaten durch Barmherzigkeit gegen Elende, wenn dein Wohlergehen
dauerhaft sein soll! ? [25] Dies alles ist über den König Nebukad nezar
gekommen. [26] Zwölf Monate spä ter nämlich erging er sich auf seinem kö
niglichen Palast in Babel. [27] Da begann der König und sprach: ?Ist das
nicht das große Babel, das ich mir erbaut habe zur königlichen Residenz mit
meiner gewal tigen Macht und zu Ehren meiner Majes tät? ? [28] Noch war das
Wort im Mund des Königs, da erklang eine Stimme vom Himmel herab: ?Dir wird
gesagt, König Nebu kadnezar: Das Königreich ist von dir genommen! [29] Und
man wird dich von den Menschen verstoßen, und du sollst dich bei den Tieren
des Feldes aufhalten; mit Gras wird man dich füttern wie die Ochsen, und
sieben Zeiten sollen über dir vergehen, bis du erkennst, dass der Höchste
Macht hat über das Königtum der Menschen und es gibt, wem er will! ? [30]
Im selben Augenblick erfüllte sich das Wort an Nebukadnezar: Er wurde von
den Menschen ausgestoßen, fraß Gras wie ein Ochse, und sein Leib wurde vom
Tau des Himmels benetzt, bis sein Haar so lang wurde wie Adlerfedern und
seine Nägel wie Vogelkrallen. [31] Aber nach Verlauf der Zeit hob ich, Ne
bukadnezar, meine Augen zum Himmel empor, und mein Verstand kehrte zu mir
zurück. Da lobte ich den Höchsten und pries und verherrlichte den, der ewig
lebt, dessen Herrschaft eine ewige Herrschaft ist und dessen Reich von
Geschlecht zu Geschlecht währt; [32] gegen welchen alle, die auf Erden
wohnen, wie nichts zu rech nen sind; er verfährt mit dem Heer des Himmels
und mit denen, die auf Erden wohnen, wie er will, und es gibt niemand, der
seiner Hand wehren oder zu ihm sagen dürfte: Was machst du? [33] Zur selben
Zeit kam mir mein verstand zurück, und mit der Ehre meines Königtums kehrte
auch meine Herrlichkeit und mein Glanz zurück; meine Räte und meine Großen
suchten mich auf, und ich wurde wieder über mein König reich gesetzt und
erhielt noch größere Macht. [34] Nun lobe und erhebe und verherrliche ich,
Nebukadnezar, den König des Himmels; denn all sein Tun ist rich tig, und
seine Wege sind gerecht; wer aber hochmütig wandelt, den kann er
demütigen!"