aus: PC Joker 5/92 (September/Oktober 1992)

smalltalk - Ein offenes Gespraech mit: Steve Meretzky

   Das Erscheinen von "Leather Goddesses of Phobos 2" bedeutete auch
   die Wiederauferstehung von Infocom, dem legendaeren amerikanischen
   Adventure-Label. Und ihren nach wie vor gueltigen Kultstatus
   verdankt die Company zu einem beachtlichen Teil unserem heutigen
   Interviewpartner!

Derzeit erleben wir ja die grosse Renaissance des Adventure-Genres, da
ist es nur recht und billig, wenn auch die Pioniere von Infocom wieder
ihre begnadeten Finger im Spiel haben. Ebenfalls recht kann es den Fans
sein, dass die Ledergoettinnen bei ihrem zweiten Auftritt vom Text- ins
Grafikadventure-Fach gewechselt sind - dass ihre Umschulung den
Herstellern [sic] billig gekommen waere, kann man angesichts dieses
"interaktiven Films" allerdings kaum behaupten. Was man wiederum ohne
jeden Zweifel behaupten kann, ist dies:  Power-Praesentation hin oder
her, Infocoms Comeback-Adventure ist ein waschechter Meretzky!

Eigentlich Ehrensache, gilt Steve doch als _das_ literarische Gag-Genie
der Branche. Auch zu Zeiten, als Adventures noch in Form duerrer
Textwuesten praesentiert wurden, waren Meretzky-Spiele stets
durchschlagende Erfolge; aus heutiger Sicht sind es allesamt
richtungsweisende Klassiker. Sein Debut-Programm "Planetfall" war so
eine Art inoffizieller Vorlaeufer von Sierras Weltraum-Seifenoper "Space
Quest", mit der Versoftung von Douglas Adams' satirischem Kultroman "The
Hitchhiker's Guide to Galaxy" [sic] gelang ihm dann ein satirisches
Kult-Adventure; nach "Zork" ist die (mit Preisen ueberschuettete)
Anhalter-Saga immerhin das meistverkaufte Infocom- Produkt aller
Zeiten.  Mit "Leather Goddesses of Phobos" entdeckte Steve die spassigen
Seiten des Sex noch vor Al Lowe und seinem "Leisure Suit Larry", und
nach dem Niedergang von Infocom machte er Legend mit seiner
"Spellcasting"-Reihe zum gefeierten Hit-Produzenten.

Trotz dieser beeindruckenden Serie von Erfolgen darf man sich unter
Mister Meretzky keinen eingebildeten Schnoesel vorstellen - bei unserem
Gespraech stellte sich sehr schnell heraus, dass er viel netter,
normaler und bescheidener ist als du und ich...

?:  Steve, bevor es ans Eingemachte geht, erzaehl uns doch mal kurz den
   Beginn Deiner irdischen Laufbahn.

SM: Tja, angefangen hat es bei mir nicht so toll, ich wurde naemlich am
   Tag der Arbeit geboren, genauer gesagt, am 1. Mai 1957 im Staate
   New York. Dann ging ich ein bisschen zur Schule und anschliessend
   ins College nach Boston. Als die ganze Lernerei endlich vorbei war,
   begann die absolut schlimmste Zeit meines Lebens - ich verdiente
   mir meine Fruehstuecksbroetchen mit praktisch angewandter
   Architektur und Hochbaukonstruktion. Gottlob verschaffte mir mein
   Zimmernachbar aus dem Studentenwohnheim einen Nebenjob als
   Spieletester fuer Infocom, was mir natuerlich viel besser gefiel.
   Daraus wurde allmaehlich ein Fulltime-Job, und irgendwann fragten
   sie mich, ob ich nicht Lust haette, selber Spiele zu schreiben...

?:  Wie Deine Antwort ausgefallen ist, wissen wir, aber macht Dir die
   Sache heute immer noch so viel Spass - Du drohst ja des oefteren
   damit, dass nach diesem oder jenem Spiel endgueltig Schluss sei?!

SM: Ach, das darf man nicht so ernst nehmen, ich kann mir in
   Wirklichkeit gar nichts Schoeneres vorstellen als immer nur
   Adventures zu schreiben, es ist einfach meine Berufung!

?:  Wenn das so ist, womit amuesierst Du Dich denn momentan gerade?

SM: Mit "Spellcasting 301: Springbreak". [sic] Und um Deiner Frage
   gleich vorzugreifen, es geht dabei eben um die Springbreak-Feier,
   eine Geschichte, die bei uns in den Staaten unheimlich populaer
   ist. Im Fruehjahr treffen sich die Studenten in Fort Lauderdale
   und lassen dort so richtig die Sau raus, es ist die Party ihres
   Lebens, wenn Du so willst. Das alles lasse ich Ernie Eaglebreak
   [sic] in "Fort Naughtydale" [sic] erleben, er muss dabei auch die
   ueblichen, na, sagen wir mal Sportveranstaltungen wie Saufen oder
   Body Surfen absolvieren, von denen es rund ein Dutzend in dem
   Spiel gibt.

?:  Wirklich schade, dass Dein Game nicht mehr rechtzeitig zur
   Olympiade fertiggeworden ist! Aber kannst Du uns nicht noch mehr
   darueber verraten?

SM: Nun, die technischen Verbesserungen von "Gateway" sind natuerlich
   alle drin, darueberhinaus enthaelt es teilweise bildschirmfuellende
   Grafiken, Animationen, ein Casino, einen fliegenden Teppich - und
   selbstverstaendlich die besten Witze seit langem!

?:  Das glauben wir unbesehen. Was planst Du als naechstes, "Leather
   Goddesses 3" moeglicherweise?

SM: Moeglicherweise, derzeit wird darueber aber nur geredet, konkret
   existiert davon noch keine einzige Befehlszeile. Falls es Dich
   interessiert, Infocom produziert gerade "Return to Zork", damit
   habe ich jedoch ueberhaupt nichts zu tun.

?:  In einem deutschen Computerspielemagazin wurde behauptet, dass der
   zweite Teil der Ledergoettinnen gar nicht von Dir stamme, stimmt
   das?

SM: Wie bitte?! Also ich fuer meinen Teil kann mich sogar recht
   deutlich daran erinnern, es geschrieben zu haben! Lediglich die
   bytemaessige Umsetzung, also die Programmierung im engeren Sinn,
   habe ich nicht selbst gemacht, das ist richtig. Aber darum habe ich
   mich auch bei den ganzen Legend-Spielen nicht gekuemmert, und es
   sind trotzdem echte Meretzky-Adventures.

?:  Was war eigentlich der tiefere Grund fuer die radikal geaenderte
   Benutzeroberflaeche in LGOP2, bei Deinen "Spellcasting"-Games ist
   die Tastatur ja auch noch gleichberechtigt neben der Maus?

SM: Wir wollten so den Anfaengern entgegenkommen, die jetzt ein
   aehnlich einfaches System wie z.B. bei "Loom" vorfinden.
   Andererseits war es uns auch wichtig, nur die feinsten Zutaten zu
   verwenden, damit es wirklich ein interaktiver Film wird - zur
   Verstaerkung des Kino-Effekts haben wir neben der leinwandmaessigen
   Grafik daher soviel Musik, Sprachausgabe etc. wie moeglich
   reingepackt!

?:  Apropos Sprachausgabe, wird Ernie Eaglebreak [sic] eines Tages auch
   noch deutsch lernen wie die Ledergoettinnen?

SM: Keine Chance, sorry. Etwas uebertrieben gesagt, hast Du bei den
   Goettinnen Bilder mit Text, bei den Legend-Spielen dagegen Text mit
   Bildern. Wir haben uns bei Infocom schon frueher mal ziemlich
   erfolglos an einem deutschen Interpreter versucht, doch das viel
   groessere Problem sind die Insider-Witze, von denen die meisten
   wohl nur dem amerikanischen Publikum verstaendlich sind.

?:  Es bleiben aber immer noch genuegend Gags fuer den Rest der Welt
   uebrig, zum Beispiel die Geruchskarte, die dem ersten "Leather
   Goddesses of Phobos" beilag.

SM: Du kannst Dir nicht vorstellen, was das fuer eine Telefon-Aktion
   war, bis ich endlich einen Haendler aufgetrieben hatte, der so'n
   komisches Zeug liefern kann! Aber verrueckte Beilagen waren
   schliesslich ein Markenzeichen von Infocom.

?:  Hast Du eigentlich seinerzeit fuer "Hitchhiker's Guide to Galaxy"
   [sic] direkt und persoenlich mit Douglas Adams zusammengearbeitet?

SM: Douglas hat mich hier einmal besucht, und spaeter war ich dann auch
   fuer eine Woche bei ihm in England. Er hatte zuvor schon etliche
   Infocom-Spiele gezockt und betrachtete es als interessantes
   Experiment, auch selbst mal ein Game zu machen. Dabei hat er
   ungefaehr zwei Drittel des Textes geschrieben und ich den Rest -
   in der Hauptsache natuerlich die interaktiven Sachen, also welche
   Spieler-Eingaben loesen welches Ereignis aus und solchen Kram.

?:  Wie war das denn ueberhaupt damals bei Infocom? Genauso lustig wie
   in Euren Spielen, oder eher todernst mit Stechuhr und so?!

SM: Och, das ging schon gut ab bei uns, wir mussten schliesslich die
   Gags erstmal an den Kollegen ausprobieren, bevor wir sie den
   Spielekaeufern zumuten konnten! Tatsaechlich war halt echter
   Idealismus zu spueren; als die Company dichtmachte, war es denn
   auch einer der schwaerzesten Tage meines Lebens. Und das, obwohl
   die Entwicklung vorhersehbar war.

?:  Trauerst Du persoenlich den alten Infocom-Spielen nach, oder
   findest Du die heutigen genauso gut oder gar besser?

SM: Ich denke, man muss einfach akzeptieren, dass die Leute im
   Zeitalter von VGA und Super VGA keine Textwuesten mehr sehen
   wollen, obwohl das in dieser Hinsicht relativ altmodische Legend-
   System schon seine Vorteile hat, vor allem, was die Komplexitaet
   betrifft. Ganz offen gesagt, kann ich auch mit der Machart der
   Lucas Arts-Games nicht allzuviel anfangen, das ist mir irgendwie zu
   viel Rumprobiererei. Aber letztlich werden sich die verschiedenen
   Systeme wohl immer mehr angleichen.

?:  Mit welchen Games verkuerzt Du Dir denn so Deine Freizeit?

SM: Na, mit Infocom-Adventures, was dachtest Du denn? Aber auch die
   Games von Magnetic Scrolls, unseres damals groessten Konkurrenten,
   sind nach wie vor nicht zu verachten. Meist reicht meine Zeit aber
   ohnehin nur fuer eine kleine Partie "Tetris" oder "Shanghai".

?:  Und welche Rolle spielen Ledergoettinnen in Deinem Privatleben?

SM: Also, meine Traumfrau ist eine Mischung zwischen Kathleen Turner,
   Goldie Hawn und Michelle Pfeiffer, kurzum - meine Frau Betty! Ihr
   verdanke ich schliesslich auch meine beiden Kinder Danny und Sasha,
   die mir helfen, meine Spiele zu schreiben...

?:  Was, so jung und schon...

SM: ...indem sie mich Nacht fuer Nacht auf Trab halten, und dadurch
   kann ich natuerlich auch viel laenger arbeiten!

?:  Achso. Wie sieht's mit sonstigen Hobbies aus, liest Du Arztromane,
   machst Du Bungee Jumping oder entspannst Du Dich beim Dauer-Duschen?

SM: Also lesen tu ich wirklich recht gerne, ansonsten muss ich Dich
   leider enttaeuschen. Meine Hoehenfluege finden eher im Kino statt,
   wenn sie die alten Klassiker zeigen, z.B. Casablanca oder 2001
   Odyssee im Weltraum. Die Terminator- und Aliens-Filme mag ich zwar
   auch, aber so'n Kommerz-Kram kann man sich ja nur einmal anschauen.

?:  Und welches Jahrhundert bevorzugst Du in der Musik?

SM: Da hoere ich praktisch alles an, am liebsten jedoch den Rock der
   60er Jahre.

?:  Letzte Frage, wenn die Adventure-Produktion morgen verboten wuerde,
   was wuerdest Du dann beruflich machen?

SM: Ganz klar, in den Untergrund gehen und eine Revolution gegen diesen
   unhaltbaren Zustand anzetteln!

?:  Und wenn Adventures noch gar nicht erfunden waeren?

SM: Dann muesste ich sie wohl erfinden - oder eben Buchautor werden...

?:  Dann sind wir ja beruhigt. Steve, man bedankt sich fuer das nette
   Gespraech!

[Foto mit Unterschrift: "Steve, seine Frau Betty und ein typischer
amerikanischer Kleinwagen" (ein VW-Kaefer)]

Steve Meretzkys Softographie:
  Planetfall (1983)
  Sorcerer (1984)
  The Hitchhiker's Guide to Galaxy (1984) [sic]
  A Mind Forever Voyaging (1985)
  Leather Goddesses of Phobos (1986)
  Stationfall (1987)
  Zork Zero (1988)
  Spellcasting 101: Sorcerers get all the Girls (1990)
  Spellcasting 201: The Sorcerer's Appliance (1991)
  Leather Goddesses of Phobos 2 (1992)