The Project Gutenberg EBook of Das heilige Donnerwetter. Ein Bluecherroman
by Adolf Paul



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Title: Das heilige Donnerwetter. Ein Bluecherroman

Author: Adolf Paul

Release Date: May 7, 2012 [Ebook #39650]

Language: German

Character set encoding: US-ASCII


***START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DAS HEILIGE DONNERWETTER. EIN BLUeCHERROMAN***





                       [Illustration: Titelseite]


_ADOLF PAUL_

*Das heilige*
*Donnerwetter*

Ein Bluecherroman



_Berlin_
Deutsche Buch-Gemeinschaft
G.m.b.H.





                Copyright 1918 by Albert Langen, Munich

                             Alle Rechte,
     insbesondere der Uebersetzung und Dramatisierung, vorbehalten!

                          _Printed in Germany_





                                 INHALT


1. Im Adlernest
2. Erster Flugversuch
3. Der alte Adler
4. Im Schatten
5. Aus dem Nest heraus
6. Der Solofaenger Nummer Eins
7. Vulkans Schmiede
8. "Prueske Dickkoeppe"
9. Jena
10. Zwei Welten
11. Zwischen den Schlachten
12. Das heilige Donnerwetter
13. Das Fell des Loewen
14. Der groesste Sieg
Bemerkungen zur Textgestalt






                                   1
                              IM ADLERNEST


In schnellem Flug huschte dann und wann der schneeweisse Koerper einer Moewe
vorueber und leuchtete grell gegen das von keinen Wolken bedeckte Blau des
Himmels auf. Aber keiner von den drei jungen Leuten, die nebeneinander auf
den zusammengerafften Segeln im Boote lagen, drehte auch nur den Kopf, um
die Kunststuecke des gewandten Luftseglers zu beachten. Sie starrten
unentwegt nach dem kleinen dunklen Punkt, der, kaum noch wahrnehmbar, sich
hoch in den Lueften bewegte.

"Aufgepasst!" rief der eine halblaut, "seine Kreise werden enger! Er sieht
Beute!"

"Er zielt!" rief der zweite.

"Er faellt!"

Der schwarze Punkt wurde schnell groesser, breitete sich zur Flaeche aus,
gliederte sich, wurde zum Koerper, dessen Kopf, Rumpf, Fluegel und Schwanz
sich scharf von der klaren Luft abzeichneten. Dann schoss er rasch tiefer,
hielt jaeh an und stuerzte pfeilschnell kopfueber in den See.

Mit einem Ruck schnellten die drei jungen Leute empor, standen da
kerzengerade im Boot und blickten dem goldbraunen Koerper des Raubvogels
nach, der ins Wasser hineinschoss, dass der Schaum hoch aufspritzte. Bald
kam er wieder zum Vorschein, hob sich zum Flug und steuerte mit ruhigen,
kraftvollen Schlaegen seiner maechtigen Schwingen in flacher Bahn der Kueste
zu, einen grossen, silberweissen Fisch in den Krallen mit sich fuehrend.

"Der Adler von gestern!" rief der laengste von den dreien. "Ich kenne ihn
genau! Die gleiche Groesse und Zeichnung! Nicht zu verkennen!"

"Er wird wohl hier in der Gegend nisten!"

"Sicherlich! Denn als er gestern drueben bei Hiddensee fischte, stieg er
mit seinem Raub jaeh in die Hoehe und flog nach Nordost, hierher. Jetzt
steuert er flach gegen das Land. Dort auf den Kreidefelsen wird es sein!"

"Schauen wir nach!"

Im Nu sassen zwei an den Riemen, der dritte am Steuer, und von kraeftigen
Schlaegen getrieben, glitt das Boot dem Ufer zu, wo hoch oben auf dem weiss
leuchtenden Kreidefelsen ein paar uralte Kiefern wie vorweltliche Riesen
ihre knorrigen Kronen aus der saftig gruenen Masse des Laubwaldes
emporhoben.

Auf diese Baeume setzten sie Kurs. Und lange dauerte es nicht, bis das
braungeteerte Boot sich am Geroell des Ufers scheuerte.

Bald war es an Land gezogen, Segel und Ruder versteckt, und die drei
Freunde sprangen von Stein zu Stein auf das Gemengsel von Sand,
Schlemmkreide und Feuersteinen hinauf, aus dem der schmale Uferstreifen
gebildet war, der den Felsenrand vom Wasser trennte.

"In einer der alten Kiefern da oben wird er sein Nest haben!"

"Klettern wir hinauf!"

"Wozu klettern? Weiter nach links weiss ich einen Pfad, der bequem zu
steigen ist!"

"Der gerade Weg ist der beste!" antwortete der, der zuerst geredet hatte -
ein lang aufgeschossener Juengling mit Adlernase und dunklen, blauen Augen.
Und ohne sich um die anderen zu kuemmern, nahm er entschlossen Anlauf,
packte mit kraeftigem Griff den naechsten Busch, stemmte die Fuesse gegen die
Spalten und Vorspruenge des Felsens, nahm im ersten Ansturm die halbe Hoehe
und blieb da auf einem breiteren Vorsprung stehen und blickte hinauf.

"Da ist er wieder!" schrie er und zeigte auf den Adler, der in raschem
Flug wieder seewaerts steuerte. "Was sagte ich? Sein Nest ist hier!"

"Vorwaerts nur!"

Ein paar kraeftige Klimmzuege, ein Keuchen und Fluchen, wenn der Fuss einmal
ausglitt und Steine und Sand prasselnd in die Tiefe schickte, dann waren
sie oben und fanden da den Dritten im Bunde lachend vor. Denn der
bequemere, wenn auch laengere Pfad hatte ihn doch zuerst ans Ziel gefuehrt.

"Lache nur!" rief der Lange. "Hier waerest du nimmermehr heraufgelangt!"

"Wozu denn Waende hochsteigen, wenn es auch so geht?" antwortete der
andere, ohne sich aus der guten Laune bringen zu lassen.

"Um auf dem geraden Weg zu bleiben! Umwege sind Abwege!"

Damit drang er den anderen voran durch den Laubwald nach der Anhoehe, wo in
einsamer Majestaet eine alte Kiefer thronte. Das Adlernest hatte er bald
herausgefunden. Aber wie hinaufkommen? Der riesige, mannsdicke Baum, der
es trug, hob sich wie eine Saeule zu maechtiger Hoehe. Sein von Wind und
Wetter glattpolierter Stamm bot dem Kletternden fast gar keine
Stuetzpunkte.

"Wo du da einen bequemeren Umweg finden willst, moechte ich nur wissen!"
rief der Lange.

"Freund Diercks klettert auf die Baeume wie ein Affe, Bruder!" antwortete
der zweite der beiden Bergsteiger. Und Diercks, der seine Kraefte vorhin
geschont hatte, spuckte in die Haende, packte den Baumstamm, umschlang ihn
mit Armen und Beinen und schob sich so langsam daran hoch, jede Muskel des
staemmigen Koerpers auf das Aeusserste anspannend. Endlos schien es den
Untenstehenden, bis sie ihn den Arm ueber den ersten Ast der Krone schieben
sahen, um mit Aufbietung der letzten Kraft den Koerper hinaufzuziehen.

Einen Augenblick blieb er sitzen, um Atem zu schoepfen, dann ging es weiter
von Ast zu Ast, bis an das Adlernest heran. Ein Blick hinein, ein
Aufschrei!

"Gebhard! Siegfried! Ein ausgewachsener Adler!"

"Schon fluegge?"

"Sicher! Aber er scheint noch keine Ahnung davon zu haben! Er liegt ganz
still!"

"Wirf ihn herunter!"

Einen Augenblick wurde es still da oben. Dann kam ein Aufschrei:
"Verflucht! Den Schnabel weiss er schon zu brauchen!"

Dann hoerte man nichts mehr als das Geraeusch eines zaehen Kampfes. Trockenes
Reisig und Grasbueschel flogen aus dem Neste zu den Wartenden hinunter, und
zuletzt sauste, mit kraeftigem Schwung geschleudert, ein fast
ausgewachsener junger Adler herab. Zunaechst fiel er in schwindelnder
Fahrt, dann auf einmal breitete er mit gellendem Aufschrei die Fluegel aus,
und zum ersten Male trugen sie den Koerper in sanftem Flug hinunter und
landeten ihn unweit der unten Harrenden. Einen Augenblick blieb er betaeubt
liegen, dann wurde er von vier kraeftigen Faeusten gepackt und ihm eine
Kappe ueber den Kopf gezogen.

Sein Bezwinger war unterdessen heruntergerutscht und kam jetzt heran.

"Den Vogel nehme ich mit nach Hause!" sagte er. "Da ich ihn fing, ist es
nur billig, dass ich ihn behalte!"

"Wo willst du ihn bei euch hintun?"

"In den Huehnerstall, bis ich ihm einen Kaefig gebaut habe!"

"Einen Adler in den Huehnerstall tun?" rief Gebhard, der laengere von den
beiden Bruedern, entruestet. "Das geschieht nie und nimmer!"

Und ehe die anderen es sich versehen konnten, riss er die Kappe vom Kopf
des Adlers fort und warf den Vogel in die Luft.

"Gebrauche deine Fluegel, jetzt wo du weisst, wozu sie taugen!" rief er.

Der Adler machte ein paar ungelenke Bewegungen mit den Schwingen und
setzte sich in einiger Entfernung wieder auf den Rasen, nahm aber dann,
von seiner Angst getrieben, noch einmal Anlauf. Zwei, drei Schlaege nur mit
den Fluegeln, und die Unsicherheit war verschwunden, er wagte den Flug und
schraubte sich in sanftem Bogen um den Baum herum, bis er ins Nest
hineinblicken konnte. Dann war er mit einer schnellen Bewegung darueber und
liess sich rasch hineinsinken.

"So!" sagte Gebhard und zog seine frei gewordene Kappe wieder ueber die
Locken. "Vor dem Huehnerstall waeren wir bewahrt!"

"Du bist nur neidisch," murrte sein Freund, "weil du ihn nicht selbst
fangen konntest!"

"Dafuer konnte ich ihm die Freiheit geben!" sagte Gebhard, und es
wetterleuchtete vor trotzigem Stolz in seinen dunklen Augen. "Frei wie die
Luft, die er atmet, muss der Koenig der Luefte sein! Ich musste ihm da helfen.
Und ich taete es nochmals, ob's dir passt oder nicht! Da" - er zeigte
landwaerts auf die Wiese unterhalb des Berges -, "da fliegen andere Voegel,
die nicht dem Himmel so nahe kommen. Fang' dir die ein!"

"Die schwedischen Husaren!" rief Diercks und vergass ueber dem Anblick den
Adler und seinen Aerger ueber Gebhards eigenmaechtigen Eingriff in seine
wohlerworbenen Rechte. Er jauchzte laut den blaugelben Reitersleuten zu,
die aus dem Wald heraufsprengten, um in wildem Galopp ueber die Ebene
hinwegzusausen.

"Den Flug machen wir mit!" rief er. "Die holen wir noch ein! Rasch, fangen
wir ein paar von Vaters Pferden unten auf der Wiese ein und setzen wir
ihnen nach!"

Gesagt, getan! Die drei unternehmungslustigen jungen Leute hatten sich
bald je ein Pferd eingefangen und ritten, statt den Reitern auf dem grossen
Fahrwege ueber Altenkirchen zu folgen, auf ihren ungesattelten Pferden
querfeldein nach der Wittower Faehre hin, wo sie gleichzeitig mit den
Husaren anlangten.

Diercks fand unter ihnen seinen Bruder vor, der bei den Schweden diente,
und viele Bekannte und Freunde ausserdem. Ueber den Zweck des Streifzuges:
nach dem Gang der Aushebung auf Ruegen zu sehen, wurde er gleich
aufgeklaert, und bald plauderten sie ueber die Aussichten Schwedens, seine
pommerschen Grenzen im Kriege gegen Preussen zu verbessern. Denn als
Schirmherr des Westfaelischen Friedens hatte Schweden sich den Feinden
Friedrichs des Grossen angeschlossen, die ihn an seinem kuehnen Unternehmen
hindern wollten, die Landkarte fuer sich bequemer zu gestalten. Er hob also
auch in seinen deutschen Provinzen Kriegsvolk aus. Und da waren die drei
waghalsigen Reiter kein unwillkommener Zuzug zu der Schar, durften sich
also ohne weiteres anschliessen, und trabten vergnuegt mit auf dem Wege nach
Bergen, bis Venz in Sicht kam. Dort verabschiedeten sich die beiden Brueder
von den anderen und ritten nach dem Gutshof hinauf, wo sie bei ihrem
Schwager zu Gast waren. Ihr Freund dagegen folgte den Husaren, nicht ohne
den lebhaften Neid seiner beiden Gespielen zu erregen, die gern noch
weiter mitgeritten waeren.

"Weiss Gott," sagte der juengste, "mir ist's, als gehoerte ich zu dem
Kriegsvolk und muesste mit, gleichviel wohin! Waere ich schon siebzehn, wie
du, ich liesse mich anwerben!"

"Ich besorg's dir, Gebhard und mir auch!"

"Die Schulbank zu druecken habe ich satt! Wozu auch, wo's Pferde gibt? Aber
nichts dem Schwager verraten!"

"Ich werde mich hueten! Der schickt mich dann gleich zurueck nach der
Schweriner Pagenschule, auf dass ich bei den Mecklenburgern graue Haare
kriege, ehe ich ein Offizierspatent bekomme! Da moechte ich nicht dienen!"

"Ich auch nicht!"

"Bei den Preussen aber noch weniger! Ich danke fuer die Fuchtel Fritzens!"

"Ich auch!"

"Bei den Schweden reitet sich's viel freier und lustiger!"

"Gehen wir zu den Schweden!"

Nachdem sie so im Fluge mit echt jugendlicher Sorglosigkeit diese nicht
ganz unwichtige Lebensfrage erledigt hatten, sprangen sie von den Pferden,
trieben sie wieder auf die Weide und gingen zum Gutshof hinauf, um den
Rest des Tages irgendwie totzuschlagen.

                                   *

In der darauffolgenden Nacht hatte Gebhard einen sonderbaren Traum.

Von scharfen Krallen an der Brust gepackt, wurde er ploetzlich von der Erde
gehoben und hoch durch die Luefte getragen. Schwindelnd schloss er die
Augen, sein Atem stockte, sein Herz schlug immer staerker und staerker.
Schliesslich ging die Aufwaertsbewegung in ein langsames Sinken ueber, die
Krallen liessen ihn los; er fiel, stiess sanft auf den Boden auf, oeffnete
die Augen und sah ueber sich den grossen Adler kreisen, hoerte dessen
gellende Schreie, die zu Worten wurden. Und die Worte wiederholten kurz,
schneidend, immer wieder seine beiden Vornamen: Gebhard Lebrecht, aber in
verkehrter Weise.

"Leb-hart! Geb-recht!

Leb-hart! Geb-recht!" so kreischte es aus der Hoehe. Und der Adler zog
immer weitere Kreise, stieg immer hoeher und verschwand schliesslich im
tiefen klaren Blau des Himmels, das sich ueber ihm woelbte, von rotbraunen,
knorrigen Aesten und blassgruenen Kiefernadelbuescheln umkraenzt.

Er atmete befreit auf, streckte sich auf dem Lager aus und fand es ganz
wie es sein sollte, dass er da oben im Adlernest auf trocknem Gras und
Reisig ruhte, statt in seinem Bett.

Dann setzte er sich auf und blickte neugierig ueber den Rand des Nestes
hinaus, sah unter sich wogende Laubkronen, Felder und Wiesen, schneeweisse
Kreidefelsen und weit in der Ferne, mit dem Himmel zusammenfliessend, das
endlose blaue Meer.

Und der Baum wuchs und schob seine Krone mit dem Adlernest immer hoeher in
die schimmernde, klare Luft hinauf. Immer weiter wurde der Rundblick, die
Insel ringsumher immer kleiner und kleiner. Frei und unbehindert sah
Gebhard ueber das jenseitige Land hinaus, sah Staedte, Burgen, Haefen,
Waelder, Felder und Wiesen, Fluesse und Kanaele und weit in der Ferne
schneeige Gipfel in Sonnenlicht gebadet.

Sein Herz schwoll im starken Gluecksgefuehl, mit dieser ganzen Herrlichkeit
eins zu sein und fest in diesem Boden zu wurzeln. Wonnetrunken liess er die
Blicke immer weiter schweifen, gen Morgen, ueber das Meer hinaus, wo
maechtige Knaeuel leuchtenden Dunstes, zu einer gewaltigen Wolkenwand
zusammengeballt, in den Strahlen der sinkenden Sonne goldrot
aufleuchteten, waehrend von Westen her ein stickiger, schwarzer Nebel
langsam herankroch und die ganze strahlende Herrlichkeit zu verdecken
begann. Immer mehr verschlang der Nebel von den gesegneten Gestaden, an
deren Anblick er sich soeben ergoetzt hatte. Bald wuerde er den Baum
erreichen und sein Adlernest und ihn selbst mit einer undurchdringlichen
Nebelkappe ueberziehn.

Eine quaelende Angst beschlich ihn. Er blickte hinauf, mit der letzten
Kraft seiner Augen das schwindende Licht trinkend. Da sah er den Adler
heransausen, hoerte wieder sein gellendes Gekreisch:

"Geb-recht! Leb-hart!

Geb-recht! Leb-hart!"

Und der junge Adler, dem er die Freiheit wiedergegeben hatte, war auch
dabei. Er tummelte sich in den Lueften, in stolzem Bewusstsein, ganz wie der
Alte seine Schwingen gebrauchen zu koennen, und schrie vor Gier danach,
seinen Hunger zu stillen. Mit Windeseile schossen sie auf den im Neste
Liegenden herab und gruben ihre Schnaebel in seine Brust. An sein Herz
wollten sie heran! Ein mutiges Herz war die rechte Speise fuer den Koenig
der Luefte! Das Herz wehrte sich aber und flog wie ein gefangener Vogel
zwischen den Staeben seines Rippengehaeuses hin und her, um sich dem Griff
des scharfen Adlerschnabels zu entziehen. Aber das Raubtier liess nicht von
seiner Beute! Immer tiefer wuehlte sich sein Schnabel zwischen die Rippen
hinein und versuchte das Herz aus seinem Kaefig zu reissen. Das Herz aber
war tapfer, krampfte sich zusammen und zog den Kopf des jungen Adlers
immer tiefer hinein. So kaempfte sein Herz mit dem Raubtier, staehlte sich
am Kampfe und wurde kraeftiger und staerker, bis es ihm schliesslich gelang,
mit einem gewaltigen Ruck den jungen Adler zwischen die Rippen
hineinzuziehen. Und da sass er nun im Brustkorb gefangen wie hinter dem
Gitter eines Kaefigs, an Stelle des Herzens, das er mit letzter Anstrengung
verschlungen hatte. Das Herz pulsierte wohl noch voller Sehnsucht wie
vorhin. Aber seine Sehnsucht hatte jetzt die Schwingen des Adlers bekommen
und Kraft, ihn hoch ueber alle Erdenschwere hinauszutragen.

Er brauchte nur zu wollen. Und im naechsten Augenblick stand er drueben auf
der gewitterschwangeren Wolkenwand, die sich immer noch hoch ueber Land und
Meer und ueber allen quaelenden Nebeln erhob. Mit Riesenkraeften packte er
sie und presste sie zusammen; Blitze zuckten, die Donner grollten, und vom
Feuer des Himmels verzehrt, loeste sich der schwarze Nebel auf, der schon
die Herrlichkeit des ganzen Landes bedeckt hatte, und alles lag wieder im
stillen Glanz, befreit da, von der Abendroete umglutet. - -

Aber hoch ueber ihm, dem es im Traum gegeben wurde, die Blitze des Himmels
zu schleudern, kreiste der Aar, dessen Junges ihm ans Herz gewachsen und
zum zweiten Herzen geworden war. Und gellend wie die Kriegstrompete
schmetterte er sein Gekreisch in die Luefte hinaus:

"Leb-hart! Geb-recht!

Leb-hart! Geb-recht!"

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Er erwachte jaeh und lag noch lange, ehe es ihm klar wurde, dass es nur ein
Traum gewesen war und dass er in seinem Bette lag in seiner Schwester Haus
zu Venz auf Ruegen und nicht im Adlernest draussen auf den Felsen von
Stubbenkammer. Und er starrte seinen Bruder Siegfried fragend an, der
lange draussen seinen Namen gerufen hatte und jetzt mit Freund Diercks
hereinstuermte, um ihn aus dem Schlafe aufzuruetteln.

"Auf!" riefen sie, "heraus aus dem Nest! Heute fangen wir den jungen Adler
wieder ein!"

"Den Adler?" fragte Gebhard und rieb sich die Augen und griff sich an die
Brust, wo er ihn hineingetraeumt hatte. "Meine Muetze zieht ihr ihm aber
nicht mehr ueber den Kopf! Das gibt dann wieder Traeume, wenn ich sie
aufsetze!"

Er sprang aus dem Bett, schluepfte in die Kleider, gab sich kaum noch Zeit,
den bereitstehenden Morgentrunk zu schluerfen, sagte seiner Schwester rasch
guten Morgen und war eben im Begriff, den anderen auf neue Abenteuer zu
folgen, als sein Schwager, der Kammerjunker von Krackwitz, ihn aus dem
Fenster seines Arbeitszimmers rief.

"Ihr muesst euch heute ohne Gebhard behelfen", sagte er, ohne ihren langen
Gesichtern Beachtung zu schenken. "Ich brauche ihn hier!"

Dagegen war nichts zu wollen. Gebhard musste mit sehnsuechtigen Augen die
anderen abziehen sehen und ging dann zu seinem Schwager hinein.

Der Kammerjunker war ein solider, ehrenfester Mann, ohne jeglichen Hang zu
abenteuerlichen Traeumereien, stand mit beiden Fuessen fest auf dem Boden
realer Tatsachen und packte das Leben von der nuetzlichen Seite an, wie
sich's fuer einen Mann von Grundsaetzen gehoert.

Nach gebuehrender Hervorhebung des Umstandes, dass er gewissermassen an
Vaters Stelle stuende, nachdem er Gebhard in seinem Hause aufgenommen
hatte, fuehrte er dem jungen Schwager zu Gemuet, er duerfe das Leben nicht zu
sehr auf die leichte Achsel nehmen. Er sei bereits sechzehn, also in einem
Alter, wo der Ernst des Lebens zu beginnen und das Spiel aufzuhoeren haette!
Ob er sich schon Gedanken ueber die Zukunft gemacht habe? Und was er wohl
zu werden gedenke?

"Soldat wie der Vater und die Brueder!"

Das waere ja alles gut und schoen! Aber - wo er der Juengste unter sieben
Bruedern sei, die alle dienten! Und bei dem beschraenkten Einkommen seines
Vaters? Ohne Zuschuss vom Vater koenne er nicht daran denken, auf der
Offizierslaufbahn vorwaerts zu kommen!

"So hilf du mir!"

Dem waere er wohl nicht abgeneigt! Aber gegen die militaerische Laufbahn
haette er seine Bedenken! Erstens gehoere Ruegen zu Schweden. Er waere also
Schwede und koennte ihn wohl durch seinen Einfluss in schwedischen Diensten
vorwaertsbringen! Aber - das haette seine zwei Seiten! Mit der schwedischen
Macht ginge es abwaerts. Lange wuerden die Schweden ihre deutschen
Besitzungen nicht mehr behaupten koennen! Eines Tages kaeme man unter andere
Herrschaft, und er haette dann von vorne anzufangen. Denn lieber gar nicht!
Lieber Landwirt werden! Da koenne er besser helfen! Er wuerde ihn in allen
Stuecken unterrichten und ihm dann helfen, eine eintraegliche Pachtung zu
bekommen, damit er auf eigene Beine kaeme im Leben! Das waere doch die
Hauptsache! Und haette er dann noch das Glueck, eine Frau zu finden, die
auch nicht mit leeren Haenden kaeme, dann waere er sein eigener Herr. Und
dann - wenn's nicht anders ginge, und wenn die Lust in ihm uebermaechtig
werden wuerde -, dann waere es immer noch Zeit, zur Fahne zu gehen! -

Bei der Rede des Schwagers wurde es ihm zumute wie gestern, als er die
Gespielen davon sprechen hoerte, den jungen Adler in den Huehnerstall zu
sperren. Alles in seinem Innern lehnte sich dagegen auf.

Die graue Alltaeglichkeit eines unbemerkten Schicksals sagte ihm wenig zu.
Im Spiele mit den Rostocker Buergerssoehnen war er stets der Fuehrer gewesen,
der sie alle anfeuerte, allen voranstuermte und die Palmen des Sieges an
sich riss! Nur so und nicht anders konnte er sich das Leben denken! Aber
tagaus, tagein hinter dem Pfluge torkeln, das sagte ihm ganz und gar nicht
zu. Er antwortete nicht. Und der Schwager, der sah, wie schwer ihm die
Entscheidung wurde, drang nicht weiter in ihn, sondern machte ihm nur den
Vorschlag, vorlaeufig auf seinem Gute alles zu erlernen. Er setzte ihm
sogar ein Gehalt aus, sobald er sich eingearbeitet haben wuerde, und lud
ihn zu einem Ritt durch die Felder ein, um erst alles in Augenschein zu
nehmen.

Gebhard folgte ihm schweigend.

Kaum sass er aber im Sattel, so war die Missstimmung verflogen. In der
Phantasie trabte er jetzt nicht aus, um die Erdarbeiter zu inspizieren,
sondern stuermte an der Spitze einer Schar Reiter auf den Feind los. Und
der Schwager hatte Muehe, ihm zu folgen.

Als sie nach einem erfrischenden Ritt zurueckkehrten, strahlten Gebhards
Augen wieder in voller Lebenslust, seine Stirn war klar. Er tat sich
guetlich bei einem reichlichen Mittagsmahl und empfing so den von der
Adlerjagd zurueckkehrenden Bruder. Der hatte geholfen, den jungen Adler
wieder einzufangen. Und Freund Diercks hatte den Wildvogel geradeswegs
nach Gagern gebracht, damit Gebhard ihm nicht wieder die Freiheit gaebe!

Abends aber, als sie zu Bett gingen, fluesterte ihm der Bruder etwas zu,
das sein Blut in Bewegung brachte.

"Morgen in aller Frueh', ehe der Schwager munter wird, geht's nach Bergen!"

"Nach Bergen?"

"Ja, zu den Husaren! Ich lasse mich bei den Schweden einstellen! Du auch!"

"Ist es denn moeglich?"

"Diercks hat es mit mir ausgemacht. Er will auch selbst Handgeld nehmen,
wie sein Bruder!"

"Was wird der Vater sagen?"

"Gar nichts! Und wenn schon -, sobald wir Handgeld genommen haben, nuetzt
es ihm nichts!"

"Aber der Schwager?"

"Der wird schon aufbegehren! Aber das geht uns nichts an! Mit dem werden
wir schon fertig!"

"Denkst du, dass man uns nimmt? Bin ich nicht zu jung?"

"Keinesfalls! Auf das Koerpermass kommt es an, und das hast du! Ich weiss
ausserdem, dass man uns will!"

"Ganz gewiss?"

"Ganz bestimmt! Gestern, als wir uns von den Husaren trennten und nach dem
Gasthof galoppierten, da sagte der Hauptmann zu Diercks: 'Die beiden
Jungen hole ich mir noch! Sie reiten ja wie die Deibel!' Und er musste ihm
versprechen, uns morgen zu ihm nach Bergen zu bringen! Ich gehe auf alle
Faelle hin!"

Gebhard sagte nichts. Er ging anscheinend ruhig zu Bett. Aber er vermochte
kein Auge zuzutun. Er war jetzt am Scheideweg, wo es galt, entweder den
breiten gesicherten Weg zu waehlen, den ihm der Schwager wies, oder den Weg
seiner Traeume, deren Ziel er noch nicht sah, auf den es ihn aber mit aller
Macht hintrieb. Lange lag er da und sann. Ploetzlich setzte er sich im Bett
auf. "Was ist aus dem Adler geworden?" fragte er.

"Der Adler?" antwortete der Bruder halb im Schlaf. "Den wollte Diercks mit
einer Kette an einem Pfahl im Garten anschliessen, bis sein Kaefig fertig
wird!" Und damit schlief er ein.

Als Gebhard aber den Bruder fest schlafen hoerte, stand er auf, zog sich
rasch an, schlich leise aus der Kammer hinaus, die Treppe hinunter, durch
den Garten und auf den Weg nach Gagern. Dort schwang er sich ueber den
Gartenzaun und fand schnell den Pfahl, an den der Adler gefesselt war. Mit
einer mitgefuehrten Kneifzange hatte er bald das Fusseisen durchschnitten,
ergriff den Vogel, warf ihn in die Luft und sah, wie er auf maechtigen
Schwingen durch die Nacht davonschwebte. Unbemerkt, wie er gekommen, ging
er dann wieder nach Hause, schluepfte rasch ins Bett und schlief bald
ebenso fest wie der Bruder - jetzt aber ohne zu traeumen.





                                   2
                           ERSTER FLUGVERSUCH


"Blitz und Donner!" fluchte der Wachposten am Eingang zum Zeltlager, das
sich am Waldessaum breitete. "Hier kann einer tagaus, tagein sich mit dem
saudummen Postenstehen die Beine in den Leib treten! Himmeldonnerwetter!
Wer endlich einmal dreinhauen duerfte! Zu denken, was ich alles an Beute
gemacht haette - von den Gefangenen nicht zu reden! Leutnant haette ich
schon sein koennen - Rittmeister sogar - wer weiss, vielleicht bald General!
Man hat's gesehen!"

"Sachte, sachte!" mahnte ein alter Graubart, der am Schilderhaus lehnte,
nahm die Pfeife aus dem Mund und klopfte sie an der Stiefelsohle aus. "Als
ich dereinst ins Feld zog, da hatte ich wohl auch wie du den
Marschallsstab im Tornister, obwohl ich bloss ein Trommlerjunge war. Und so
muss es sein. Die wenigsten erwischen ihn aber! Mir gelang's schon! Dass ich
aber auf meinen alten Tag nur Futtermarschall beim Regiment werden sollte
- darauf haette ich damals nicht schwoeren moegen!"

Er schwieg ploetzlich, hielt die Hand vors Auge und blickte ueber die Felder
hinaus, zwischen denen sich die Landstrasse heranschlaengelte. Ein
ploetzliches Klappern von eilenden Hufen hatte seine Aufmerksamkeit
geweckt.

Der Wachposten hielt in seinem Hin- und Hertrotten inne und blickte auch
hin.

"Ein durchgegangenes Pferd!"

"Wenn der sich nicht das Genick bricht!"

"Himmelsakra! Hecke und Graben im Flug genommen! Ratsch ueber die Wiese!"

"Jetzt klabastert's schon auf der Landstrasse! Das weiss den Weg nach deiner
Futterkiste!"

"Dann wird's auch wissen, wie leer sie ist! Heissa! Hussassah!" schrie der
Alte und trat zur Seite. Denn jetzt sauste es heran mit rasender
Schnelligkeit. Dann: ein Ruck - alle viere in die Erde gestemmt - den
Reiter in elegantem Bogen abgeschleudert und - war's Zufall, war's
Instinkt - still stand es gerade vor dem Futtermarschall, zitternd,
schaumbedeckt und leise wiehernd, als ahne es dessen nahe Beziehung zum
Hafertrog.

Die beiden Husaren hielten sich die Seiten vor Lachen.

"Habt Ihr's aber eilig, junger Herr!" sagte der Alte.

"Ich habe nur Eure Fahne gegruesst!" sagte Gebhard, der schon wieder auf den
Beinen war, und zeigte auf das blaugelbe Tuch, das ueber ihren Haeuptern
flatterte. Denn er und kein anderer war's, der in dieser uebereilten Weise
das schwedische Lager gestuermt hatte. "Die anderen sind aber gehoerig
nachgeblieben!" fuegte er hinzu und blickte ueber den Weg hinaus. "Sie
haben's nicht gemerkt, als ich ihnen ausgerueckt bin. Der Adebar auf der
Wiese, der passte aber auf, liess dicht hinter mir ein Klappern steigen, und
mein Brauner legte gleich los wie gestochen!"

Er versetzte dem Pferd einen Klaps auf die Lende, ging dann herum, fasste
es beim Kopf und blies ihm beruhigend in die Nuestern.

"Ein Angsthuhn bist du", gab er ihm kosend seinen Denkzettel und wandte
sich dann an den Alten mit einer Frage nach der Regimentsschreiberei.

"Ihr wollt Euch als Rekrut bei uns eintragen lassen?"

"Das stimmt! Zeige mir nur den Weg!"

"Kehrt lieber um! Oder, meinetwegen, geht zu den Preussen! Bei uns ist fuer
Euch kein Fortkommen! Das heisst, wenn Ihr vorwaerts wollt! Rueckwaerts reiten
wir schon!"

"Halt's Maul!" rief der junge Husar aergerlich. "Und pass auf, was du
redest! Wer wird sein eigenes Nest beschmutzen!"

"Ich nicht! Durch mich wurde es nicht beschmutzt! Durch dich auch nicht,
obwohl du auch weidlich schimpfst!"

"Ich?!"

"Eben du! Und solange ich dich kenne! Bist Husar, bist ein Reitersmann und
hast kein Pferd, wie so viele vom Regiment! Und du kriegst auch keins, wie
brav du auch schimpfst! Und - wie schaut's mit der Montierung aus?"

"Kann ich dafuer, dass die Offiziere das Geld fuer die Ausruestung am
Spieltisch vertun?"

"Nein! Aber du kannst deinen Schnabel halten, statt von deinen
Vorgesetzten schlecht zu reden!"

"Wie redest denn du?!"

"Mein Reden ist eines Mannes Rede! Aber du, Lausbub, hast das Maul nicht
so weit aufzureissen! Erst etwas mitmachen und dann reden! Ich," - der Alte
richtete sich auf und schlug sich auf die Brust, "ich war mit bei Narwa,
bei Riga, bei Clissow und Holofzin - leider aber auch bei Pultawa! Als
Trommlerjunge zog ich aus mit Koenig Karl dem Zwoelften, Gott hab' ihn
selig" - er zog ehrfurchtsvoll den Hut bei Nennung des Koenigs. "Mit ihm
zog ich aus, um den Moskowiter zu verpruegeln, und machte das ganze tolle
Abenteuer mit bis zum Kalabalik in Bender. Der grosse Krieg mit dem
Moskowiter und dann mit den Polacken, das war der Anfang vom Ende. Dir
wuensche ich, dass du den Schluss nicht sehen musst. Denn er wird uns wenig
Ehre bringen!"

Der Wachtposten machte achselzuckend kehrt und fing wieder sein Hin- und
Herwandeln an.

"Kann ich dafuer, dass die Offiziere das Geld fuer die Ausruestung am
Spieltisch vertun?"

Gerhard stand da, das Pferd am Zuegel, und fragte nochmals ungeduldig:

"Der Weg nach der Regimentsschreiberei?"

Der Alte beachtete die Frage kaum, setzte sich gemaechlich auf einem
Feldstein zurecht, zog den Tabaksbeutel, stopfte die Pfeife, schlug Feuer,
setzte sie in Brand und zeigte auf die Fahne, deren tiefblaues Tuch sich
in wogenden Wellenlinien warf. Sie breitete sich aus, liess ihr gelbes
Kreuz in der Sonne aufleuchten und sank dann in sanft weichenden Buchten
zurueck, um wieder Wind zu fangen und von neuem das Spiel zu beginnen.

"Die Fahne," sagte der Futtermarschall, "die kann sich schon sehen lassen!
Auf die koennt Ihr stolz sein, aber nicht auf die Regierung, die heute ihre
Ehre so maessig schirmt! Einst - so vor hundertundfuenfzig Jahren war's wohl
-, da flatterten die blauen Fahnen mit dem gelben Kreuz lustig uebers Meer
hinaus. Nach allen Richtungen hin flogen sie, als wollten sie den
schaeumenden Fluten Eystrasalts zurufen: 'Fortan seid ihr schwedisch - die
ganze Ostsee ist von jetzt ab ein schwedischer Binnensee!' Als ich mit dem
hochseligen Koenig Karl" - er zog wieder den Hut - "in den Krieg zog, da
hielten wir noch das ganze Land um die Ostsee herum. Als wir aber nach
achtzehn Jahren wieder geschunden nach Hause zurueckkehrten - da wagte die
blaugelbe Fahne sich kaum noch im Baltikum zu zeigen, die moskowitischen
Mordbrenner verheerten aber lustig die schwedischen Kuesten, und rein aus
Gnaden liess man uns beim faulen Friedensschluss das bisschen Pommern und die
Insel. Und die sollen wir jetzt auch noch verlieren! Zu dem Zweck ziehen
wir jetzt mit leeren Kriegskassen, auf lahmen Pferden hinaus in den Krieg!
Und das wollt Ihr, junger Herr, noch mitmachen?!"

"Den Weg nach der Regimentsschreiberei will ich wissen, weiter nichts!"
rief Gebhard nochmals ungeduldig und schlang die Zuegel um das Handgelenk.

"Ich werde Euch schon den Weg zeigen! Aber wisst Ihr auch, warum Ihr ihn
gehen werdet?"

"Warum denn sonst! Um mich bei euch Schweden als Kaempfer anwerben zu
lassen!"

"Als Kaempfer wofuer?"

"Fuer die Krone Schwedens -"

"Fuer die kaempfen wir Schweden laengst schon nicht mehr! Wir fuehren nur noch
die Kriege der anderen Maechte - bald Englands, bald Russlands, bald
Frankreichs, je nachdem - und tun es auch jetzt, nachdem jene Maechte
unseren Reichsrat gekauft haben, und ziehen gegen Preussen und gegen den
Schwager unseres Koenigs, weil - nun eben weil unser Koenig eine Schlafmuetze
ist!"

"Du sollst wider die Majestaet unseres allergnaedigsten Herrn nichts sagen!"
rief die Schildwache aergerlich und blieb vor dem Futtermarschall stehen.
Der aber liess sich nicht dreinreden.

"Ich pfeife auf solche Herrschaft", rief er. "Das ganze Land lacht ueber
den dicken Holstein-Gottorper, dem die Zarin unsere Koenigskrone ueber die
Nachtmuetze stuelpte, weil er ihr Neffe war!"

"Halt's Maul!"

"Den Weg nach der Regimentsschreiberei?" rief Gebhard immer ungeduldiger.

"Wartet lieber ab, bis unsere Regimentsschreiberei in Preussen steht!"
murrte eigensinnig der Alte, "denn so wird's bald kommen!"

"So wird's _nicht_ kommen! Himmelkreuzdonnerwetter noch einmal!" schrie
der junge Husar wuetend. "Sorgt nur fuer gute Pferde, setzt uns Jungen in
den Sattel und gebt uns Leute an die Spitze, die reiten koennen, dann sollt
Ihr was erleben! Mordselement, Herr! Hoert nicht auf den Ungluecksraben!
Geht nur immer in die Regimentsschreiberei! Geradeaus geht der Weg, dann
links in die erste Gasse gebogen, und dann fragt Euch vor! Und Gott
befohlen!"

Gebhard hoerte den Abschiedsgruss nicht mehr. Er sass schon im Sattel und
galoppierte ins Zeltlager hinein, gerade als sein Bruder und sein Freund
unten auf der Landstrasse zum Vorschein kamen, ihren Pferden die Sporen
gaben und ihm in vollem Trab nachsetzten, ohne sich um den Anruf der
Torwache zu kuemmern.

                                   *

War das eine Jagd! Ueber Felder und Wiesen flogen die Sturmvoegel des Alten
Fritzen - seine schwarzen Husaren, mit dem Totenkopf an der Stirn - auf
die Landstrasse zu, um die Schweden abzuschneiden, ehe sie zur Bruecke
gelangten.

Eine kleine Patrouille der Blaugelben nur war es, aber gut beritten.

Wie die Teufel pfefferten sie los, dass die Satteltaschen flogen, allen
voran ein baumlanger, schlanker Kornett, der die Kameraden durch nie
ermuedendes Zurufen anfeuerte.

Vorwaerts ging es ueber Stock und Stein. Aber die Schwarzen waren nicht
schlechter beritten. Dicht vor der Bruecke gerieten die Gegner aneinander,
mit einer Wucht, dass alles sich zu einem unentwirrbaren Knaeuel von wild um
sich schlagenden Pferdeleibern und dreinhauenden Reitersleuten
verwickelte.

Die Saebel blitzten, Kommandorufe schmetterten, Schimpfwoerter flogen hin
und her.

"Warum traegst du deine Rippen draussen auf dem Rock, statt im Busen, wie
sich's gehoert?" rief der Kornett und ritzte mit dem Saebel die gelbe
Verschnuerung seines Gegners auf. "Und den Totenkopf traegst du auf dem
Tschako, statt im Schaedel! Hast wohl nichts als Haecksel drinnen!? Wie?
Wollen mal nachschauen!"

Und er versetzte dem Gegner einen gewaltigen Hieb nach dem Kopf. Aber der
war nicht saumselig. Er parierte mit einer Doppelterz, dass Gebhard der
Saebel aus der Hand flog und seine Kopfbedeckung denselben Weg nahm.

"Die Muetze her!" schrie Gebhard zornesrot, gab seinem Pferd die Sporen,
flog dem Frechen an die Gurgel, packte mit eisernem Griff sein Handgelenk,
als dieser zum toedlichen Streich ausholte, riss ihm den Saebel aus der Hand,
die Muetze vom Kopf, hieb ihn vom Pferd herunter, stuelpte sich die Muetze
auf und - heissa, hussassa! - eine Gasse durch die sich balgende Rotte
gebahnt, ueber die Bruecke gesprengt! Und dann frei wie ein Vogel
weitergesaust nach dem Quartier, um Meldung zu erstatten. Die anderen
folgten.

"Ich haette gern die ganze Uniform zum Ansehen mitgebracht! Und den Kerl,
der drin steckte, auch!" sagte Gebhard, als er vor dem Rittmeister stand
und ihm den eroberten Tschako zeigte. "Es ist eine ganz neue Sorte von
Gegnern, schwarz mit gruenen Aufschlaegen, gruenem Kragen, gelber
Verschnuerung und diesem Tschako! Ich sehe die Uniform zum ersten Male!"

"Ich nicht", sagte der Rittmeister. "Aber als Gegner erst heute! Es sind
die Bellingschen Husaren! Der Preussenkoenig hat Verstaerkungen geschickt,
wie es scheint! Von seinen besten Reitern! Wir werden zu tun bekommen!"

"Gott geb's!" sagte Gebhard.

"Der Oberst Belling ist ein ganzer Kerl! Ich sah ihn einst bei Eurem
Schwager! Beim Krackwitzen auf Ruegen, mit dem er verwandt sein soll. Er
wird uns zu schaffen machen!"

"Wir ihm auch!" trotzte Gebhard. "Die Muetze moechte ich behalten! Bald hole
ich mir den Rest von der Uniform!"

"Das tut nur!" lachte der Rittmeister und verabschiedete ihn.

Er tat's auch binnen kurzem. Aber in anderer Weise, als er's sich dachte.

                                   *

"Ihr reitet zu toll, junger Herr", sagte der alte Futtermarschall und
streichelte das Pferd, als Gebhard sich einige Tage spaeter in den Sattel
schwang. "Man braucht nicht gleich wie'n Gewitter dreinzusausen und das
Pferd zuschanden zu reiten. Die Feinde laufen auch so!"

"Wer ein Blitzpferd zwischen den Schenkeln hat -", lachte Gebhard.

"Dem geht es frueher oder spaeter durch! Das hat man gesehen!"

"Jetzt bleibe ich im Sattel! Jetzt bin ich drin!"

"Das wart Ihr auch, als Ihr in unser Lager auf Ruegen hineingaloppiertet!
Und wurdet doch abgeworfen!"

"Halt's Maul!" rief Gebhard aergerlich, gab seinem Pferd die Sporen und
folgte den anderen, denen er bald weit voraus war.

Die Schweden waren dabei, einen Vorstoss in die Uckermark zu machen und
tasteten sich durch den Kavelpass, an der pommerschen und mecklenburgischen
Grenze vorwaerts, die Preussen vor sich hertreibend. Gebhard, der mit seinen
Leuten immer den anderen voran war, um aufzuklaeren, hatte Glueck. Denn
durch das schneidige Vorgehen der Sparreschen Husaren wurden eben seine
grimmigsten Gegner, die schwarzen Bellingschen Husaren, abgeschnitten.
Aber sie schlugen sich durch. Und als die Schweden wieder zurueckgingen, um
Quartiere zu suchen, waren jene gleich hinterher wie ein Schwarm Hornissen
und waren aus Verfolgten Verfolger geworden.

Gebhard, dem es mehr zusagte, den Feind zu suchen als vor ihm
zurueckzugehen, blieb ihm mit der Nachhut fest an der Klinge.

"Bischt zurueckbliewe, Buebele?" rief ihm ein huenenhafter Kerl von den
Bellingschen zu, mit dem er oft Hieb und Schimpfwoerter gewechselt hatte.
"Eil' dich! Sonst fange dir die andere den Fisch aus der Ostsee vor der
Nas' weg!"

"Erst schlachte ich mir ein paar von euch schwaebischen Kraehen zum
Angelfrass!" lachte Gebhard und zog vom Leder.

"I werd' di scho' schlachte, Buebele!" rief der Lange und ritt auf ihn zu.
Gebhard warf aber sein Pferd herum und entging so mit knapper Not der
Gefahr, umgeritten zu werden.

"Hast wohl das Reiten auf der Schulbank gelernt?" hoehnte Gebhard.

"I bring di noch auf die Schulbank! I schaff' dir noch Maniere!" rief der
Lange, feuerte seine Pistole auf das Pferd Gebhards ab, dass es sich baeumte
und den Reiter abwarf, fing dann mit geschicktem Schwung den Fallenden
auf, zog ihn quer ueber seinen Sattel und sprengte davon.

Und Gebhard liess es zu. Im Augenblick des Fallens ging mit ihm eine
sonderbare Veraenderung vor. Er war aus der Wirklichkeit jaeh wieder in
seinen Traum versetzt, fuehlte sich wieder, von den Adlerkrallen gepackt,
im weiten Flug durch die Luefte fortgetragen, schloss die Augen und
erwartete nun, im Adlernest zu landen. So lebhaft war die Vorstellung, dass
alles andere um ihn schwand und er wie gelaehmt dalag und sich ohne
Widerstand fortfuehren liess. Er sah nichts, hoerte nichts und wusste nicht,
was mit ihm geschah.

Durch die ohnmachtaehnliche Laehmung aller Sinne drangen ins Bewusstsein nur
die Worte des alten Futtermarschalls, die er ihm zurief, als er heute zu
Pferde stieg: "Wie's anfaengt, so hoert's auch auf."

Das war also das Ende!

Der Oberst Belling, ein wuerdiger, freundlich dreinblickender Herr mit
geroetetem Gesicht und ergrautem Schnurrbart, liess den gefangenen
schwedischen Kornett vorfuehren. Er betrachtete wohlgefaellig die
jugendliche, schlanke Gestalt und das bartlose Gesicht, aus dem
Jugendfrische und trotziger Wagemut hervorleuchteten.

"Name?"

"Bluecher!"

"Vorname?"

"Gebhard Leberecht!"

"Vater?"

"Christian von Bluecher, Rittmeister in der hessischen Armee!"

"Geboren wo?"

"In Rostock, zweiundvierzig!"

"Also achtzehn Jahre! Er ist zu jung, um schon Kornett zu sein. Was hat
sich Sein Vater dabei gedacht?"

"Ich habe ihn gar nicht danach gefragt!"

"So ist Er hinter dessen Ruecken zum Militaer gegangen!"

"Ich und mein Bruder auch!"

"Hat es denn so gebrannt?"

"Das freie Leben wollt' ich - wollte ein Pferd zwischen den Schenkeln,
hatte es satt, die Schulbank zu reiten! Mir brummt noch der Schaedel von
all dem Latein!"

"Schon gut! Aber warum denn gleich in auslaendischen Dienst? Warum zu den
Schweden? Gab's fuer einen Mecklenburger nichts Naeherliegendes - wenn's
schon Ausland sein musste? Preussen zum Beispiel?"

"Bei den Preussen dienen schon zwei meiner Brueder. Und was sie zu melden
wussten, verlockte mich nicht."

"Bei uns Preussen gibt's eben Disziplin!"

"Bei den Schweden auch, Herr Oberst!" versetzte Gebhard, und seine Haltung
straffte sich. "Das schwedische Regiment lag uebrigens gerade auf Ruegen, wo
ich zu Besuch war!"

"Und da war das die naechste Gelegenheit, von der Schulbank fortzukommen",
lachte der alte Herr. "Denn das war wohl dabei die Hauptsache! Wo war Er
denn auf Ruegen?"

"Beim Kammerherrn von Krackwitz, der mein Schwager ist."

"Da sind wir ja in Familie miteinander", rief der Oberst. "Der ist auch
mein Verwandter! Dann bleibe Er nur bei mir! Da werde ich schon fuer Ihn
sorgen, damit Er ein rasches Fortkommen findet! Will Er in mein
Husarenregiment eintreten? Zunaechst als Kornett?"

"Dem Koenig von Schweden habe ich den Fahneneid geschworen!"

"Der schwedische Koenig kann Ihn vom Eid entbinden, und wird es auch tun,
wenn Er darum nachsucht und gute Gruende gibt. Versteht Er: gute Gruende."

Gebhard schuettelte den Kopf.

"So hoere Er einmal und denke Er darueber nach! Was fesselt Ihn an die
Schweden? Doch nicht die Aussicht, nach jahrelanger Kriegsgefangenschaft
bei mir, als Kornett zu ihnen zurueckzukehren? Tritt Er bei mir ein, ist Er
in kurzer Zeit Leutnant und, wer weiss, vielleicht bald Rittmeister! Das
kann bei den Schweden lange dauern! Ich dagegen werde demnaechst ein
zweites Bataillon meines Regiments, im ganzen fuenf Schwadronen, anwerben,
und lange dauert's nicht, dann schaffe ich noch ein drittes Bataillon. Wer
bei mir Offizier ist, hat also schnelle Befoerderung zu gewaertigen. Schlage
Er nur ein!"

"Ich bin an meinen Eid gebunden, Herr Oberst!"

"Ich will Ihn gewiss nicht dazu verfuehren, gegen Ehre und Gewissen zu
handeln. Ich will Ihm aber etwas sagen. Ich werde in aller Form bei den
Schweden um Abschied fuer Ihn einkommen. Ich werde erboetig sein, ihnen
einen gefangenen Offizier fuer Ihn freizugeben. Und ausserdem schreibe ich
dem Koenig von Preussen und schlage Ihn als Kornett bei meinen Husaren vor.
Dann sitzet Er wieder frei im Sattel und kann drauflosreiten, was Ihm wohl
doch die Hauptsache zu sein scheint. Sonst kann Er lange die Pritschen in
den Kasematten druecken, und die sind bei uns Preussen weit unbequemer als
die Rostocker Schulbaenke! Fuer ein gutes Pferd will ich ueberdies Sorge
tragen! Lass Er mich nur machen, dann kommt alles auf die beste Art in
Ordnung, Sein Gewissen bleibt unberuehrt, und der Koenig von Preussen hat
einen Offizier mehr nach seinem Sinn! Einverstanden?"

Er hielt seine Hand hin.

Gebhard schlug ein, und so kam er endlich auf den rechten Pfad im Leben.

Als er nach kurzer Verhandlung seinen Abschied aus dem schwedischen Dienst
hatte - als die Bestaetigung des Alten Fritz als Kornett bei den
Bellingschen Husaren eingegangen war, und er, in seinem Quartier, vor dem
Spiegel stand, da trat ihm da ein baumlanger, spindelduerrer, bartloser
Husar entgegen, den er sich erst genau besehen musste, um mit ihm auf
vertrauten Fuss zu kommen. Ein schwarzer Pelz mit gruenen Aufschlaegen, gelbe
Schnuere ueber der Brust, auf dem Kopf den Tschako mit dem Totenschaedel -
das war ein ganz anderer Kerl als der blaugelbe, den er soeben ausgezogen
hatte.

"Allezeit bereit, soll das heissen! Das merke dir!" nickte er seinem
Gegenueber zu und tippte leicht auf den Totenschaedel! "Hast alles, was du
brauchst: die noetige Laenge, den forschen Blick! Fehlt nichts, als dass dir
der Himmel einen Schnurrbart ins Gesicht pflanzt!"

Sein Spiegelbild machte ein Gesicht, als wollte es sagen: "Was soll ich
mit der Pflanzung?"

"Du nichts! Aber die holden Maegdelein, denen sie auf die Lippen faellt! Die
werden es schon wissen!"





                                   3
                             DER ALTE ADLER


Den dreieckigen Hut mit der zerrissenen Tresse verkehrt auf dem Kopf, den
blauen, verschlissenen Waffenrock mit den roten Aufschlaegen halboffen um
den hageren Leib, Schnupftabak ueber der gelben Weste, Puder auf der
Schulter, die schwarzen Samthosen in den hohen Stiefeln verschwindend, die
Rechte schwer auf dem Krueckstock ruhend, den schweren Kopf mit den
vorquellenden Augen vorgestreckt, so stand der Grosse Koenig, einem alten
Raubvogel mit zerzaustem Gefieder nicht unaehnlich, im Kreise seiner
vierbeinigen Lieblinge und hielt Musterung.

Durch die offene Tuer zum Arbeitszimmer sah er seine Kabinettsraete mit
ihren Schreibtafeln warten, um die Fortsetzung seines Diktats aufzunehmen.

Der Kammerdiener meldete den General von Loelhoeffel, Inspekteur der
Kavallerie, der zur Audienz befohlen war.

"Warte Er, Loelhoeffel!" rief der Koenig hinaus, ohne zur Tuer zu gehen. "Erst
muss ich bei meinen Hunden nach dem Rechten sehen. Dann kann Er mir von den
Kavalleriepferden mitsamt ihren Reitern referieren, so Er mir etwas
Erbauliches zu melden weiss."

Die allerhoechsten Hunde waren eben dabei, hoechstihro Mahlzeit einzunehmen,
von betressten Lakaien mit Mundtuechern ueber den Arm alleruntertaenigst
assistiert.

Nichts auf dieser Welt vermochte sonst den Gebieter Preussens von seiner
Arbeit abzulenken, ausser der Sorge um das Wohlbefinden seiner vierbeinigen
Familienmitglieder. Fuer sie hatte er immer einige Minuten uebrig. Auf die
Meldung hin, dass das Diner der hohen Vierfuessler aufgetragen sei, erhob er
sich denn auch mitten im Diktat eines Briefes und verfuegte sich ins
Schlafzimmer, um die Haupt- und Staatsaktion der Abfuetterung in
hoechsteigener Person zu ueberwachen.

Er hatte befohlen, ihnen heute einen Extraleckerbissen von gebratenem und
gesottenem Huehnerfleisch zu geben, und passte genau auf, dass jedes Vieh
sein ihm zugedachtes Teil ordnungsgemaess erhielt und dass keins uebervorteilt
wurde.

Kosenamen fuer die Hunde, Scheltworte und gelegentlich auch Stockschlaege
fuer die Lakaien halfen da aus.

Zwischendurch, wenn die Koeter sich gelegentlich so ins Abnagen der Knochen
vertieften, dass sie Ruhe hielten, setzte der Koenig durch die offene Tuer
sein Diktat fort. Aber ohne die Hunde aus den Augen zu verlieren.

"Schreibe Er also weiter, wo wir aufhoerten!" rief er hinein. Und die
Kabinettsraete senkten die Griffel auf ihre Schreibtafeln. Der Koenig
diktierte: "Die Einfuhr von Kaffee ist, wie befohlen, tunlichst zu
beschraenken. - Hat Er das?"

"Zu Befehl!"

Der Koenig nahm bedaechtig eine Prise Schnupftabak aus der Dose, die er
nebst dem Krueckstock in der Rechten hielt, pfropfte sich die Nase damit
voll und meditierte dabei halblaut vor sich hin:

"Jeder Lump will heutzutage Kaffee trinken! Der pure Uebermut! Biersuppe
tut's ebensogut! Die trank ich selbst, als ich jung war! Das ist weit
gesuender! Und das Geld geht nicht ausser Landes! - - _Tu beau_, Alceste!"
rief er einem der Windspiele zu. "Goenne den anderen auch das Leben! - -
Weiterschreiben!"

Die Kabinettsraete gaben acht, und der Koenig diktierte weiter.

"Den Beuchower Gemeindeaeltesten wird auf ihre Eingabe beschieden, der
Invalide Faber bleibet im Amte! Fuer die Volksschule dorten ist er gut
genug! Es genueget uns vollauf, wenn auf dem platten Lande die Kinder Lesen
und Schreiben lernen! Wissen sie zuviel, so laufen sie in die Staedte und
wollen Sekretaers werden und so etwas. Das ist nichts! Der Invalide Faber
bleibet ihnen! Die sollten sich was schaemen, Leute, die fuers Vaterland
alles geopfert, nicht versorgt wissen zu wollen! Wo er sich ueberdies
nuetzlich macht, den Leuten das Vieh huetet und auch den Nachtwaechterdienst
versieht, so haben die Beuchower alles moegliche Gute von ihm und haben
nichts mehr zu wollen! - - Der Alkmene laesst du den Knochen! Ich komme dir
sonst!"

Wieder drohte er einem der Lieblinge mit seinem Krueckstock und wandte sich
dann zur Tuer.

"Macht also die Briefe zur Unterschrift fertig!" verabschiedete er die
Kabinettsraete, die sich verneigten und gingen. "Lass Er jetzt hoeren,
Loelhoeffel! Was bringt Er mir heute?"

Der General von Loelhoeffel trat naeher an die Tuer heran und blickte in das
Schlafzimmer hinein.

"Melde gehorsamst, Majestaet! Zunaechst haette ich das Abschiedsgesuch des
Rittmeisters von Bluecher von den Bellinghusaren Allerhoechstdero
Entscheidung zu unterbreiten!"

"Der Rittmeister bleibet in Dienst!"

"Der Rittmeister besteht aber instaendigst auf seine Entlassung!"

Der Koenig blickte den General scharf an.

"Ist der Kerl noch nicht muerbe? Wie lange sitzet er schon?"

"Zu Befehl", sagte Loelhoeffel und salutierte. "Der Rittmeister hat bereits
mehr denn dreiviertel Jahr strengen Arrest gehabt!"

"Viel zu wenig fuer einen Offizier, der sich unterfaengt, seinem Koenig
despektierlich zu kommen! Die Offiziers sollen lernen sonder Raesonieren,
Ordres zu parieren! Sie haben sich nicht in meine Politik zu melieren!"

"Melde gehorsamst: von politischer Wuehlerei steht in der Konduite des
Rittmeisters von Bluecher nichts!"

"Dann schreibe Er das hinein!"

"Zu Befehl!"

Der Koenig blickte seinen General an.

"Er muckst wohl mit mir? Wer mein General sein will, muss auf Subordination
halten!"

"Zu Befehl!"

"Nun, hatte ich meinen Truppen in Polen befohlen, die Polacken milde zu
behandeln, oder hatte ich es nicht befohlen? Antworte Er!"

"Zu Befehl! Es sollte alles vermieden werden, was die Krone Preussen bei
der polnischen Bevoelkerung verhasst machen koennte!"

"Sehe Er, so war das! Das hatten wir, die wir wissen, was wir wollen, bei
der Besetzung des polnischen Landes ausdruecklich befohlen! Und da muss mir
jener Sausewind mit dem Kopf durch die Wand wollen und setzet mir alles in
Feuer und Flammen! Er hat ueberdies noch die Keckheit, ob seines
Ungehorsams avancieren zu wollen! Und will noch meinen Rock ausziehen,
weil ihm das nicht gelang! Lassen wir ihn nur ruhig weiterbrummen, bis Er
ein Einsehen hat! Ihm schadet's nicht, und der Dienst gewinnt!"

Loelhoeffel raeusperte sich, salutierte nochmals und wagte eine Entgegnung.

"Es ist meine Pflicht als Inspekteur der pommerschen Kavallerie, Eure
Majestaet darauf aufmerksam zu machen, dass der Rittmeister von Bluecher
immerdar ein eifriger und meritierter Offizier war!"

"Davon muesste ich doch wissen!"

"Er hatte im letzten Kriege nicht das Glueck, unter den Augen Eurer
Majestaet zu kaempfen!"

"Das hat mit meinem Wissen nichts zu schaffen! Wir pflegen uns auch so
nicht all die jungen Leutnants zu merken, die uns einmal an der Nase
vorbeilaufen! Und wissen doch in der Armee Bescheid! - - Halte Hektor
zurueck, du dummer Esel!" fuhr er ploetzlich den hinter ihm stehenden
Lakaien an. "Er ueberfrisst sich sonst! - - Musst dir mehr Zeit nehmen, du
gutes Tier!"

Er kraute den Liebling und streichelte ihn zaertlich. Seine Augen
leuchteten auf einmal freundlich, und er wandte sich bedeutend weniger
kratzbuerstig dem General zu.

"Immerhin lese Er mir des Rittmeisters von Bluecher Konduite vor!"

Loelhoeffel suchte unter den Papieren in seinem Portefeuille ein Dokument
heraus, hielt es militaerisch steif vor sich hin und las mit lauter Stimme
vor:

"Trat mit achtzehn Jahren von den Schweden ueber, erhielt die koenigliche
Bestallung als Kornett im Husarenregiment von Belling, wurde am 4. Januar
1761 Sekondeleutnant, am 11. Juli 61 Premierleutnant, focht 62 in der
Armee des Prinzen Heinrich, Koenigliche Hoheit, Korps Seydlitz, als die
Bellingschen die Reichsarmee bis Hof in Bayern zuruecktrieben, machte da,
bei Auerbach, 500 Gefangene, wurde mit nur 60 Mann bei Libkowitz von 200
Oesterreichern angegriffen, machte 60 Gefangene, wurde in der Schlacht bei
Freiberg verwundet -"

"Ein braver Offizier," sagte der Koenig, "ich erinnere das alles jetzt ganz
gut! Soll aber ein gar wuester Spieler und Duellant sein und auch hinter
den Weiberschuerzen her - wie alle von den Bellingschen! Ein
Zigeunerregiment ist das immer gewesen und keine Husaren!"

Er stiess mit dem Krueckstock hart auf dem Boden auf.

"Gib doch dem Hund zu trinken," schrie er dem Lakaien zu, "du siehst ja,
dass er erstickt!"

Dem Hund wurde Wasser gegeben, seine Schnauze und Pfoten mit Servietten
abgewischt. Schweifwedelnd schlich er an den Koenig heran und leckte ihm
die Haende.

"Ein wuester Duellant - ein Raufbruder!" wiederholte der Koenig. "Er sieht,
ich kenne meine Leute!"

"Zu Befehl! Der Saebel sass ihm stets locker in der Scheide", sagte
Loelhoeffel trocken und blickte in sein Dokument. "Hier steht noch
angefuehret, dass der Regimentsadjutant Bluecher wegen Herausforderung seines
Chefs, des Obristen Belling, strafversetzt werden musste!"

"Was sagte ich!" knurrte der Koenig gallig. "Ein aufruehrerischer Krabat! An
seinen Chef wollte er heran! Und nun moechte er gar an uns selbst sein
Muetchen kuehlen! Ich werde ihn schon Mores lehren!"

Er erhob den Stock und schlug auf den Tisch. "Keinen Pardon vor ihm!
Keinen Pardon! Und den Abschied auch nicht!"

"Wollen Majestaet gnaedigst verstatten? Hier steht noch von einer
oeffentlichen Belobigung des gedachten Rittmeisters aus Allerhoechstdero
eigenem Munde!"

Loelhoeffel zeigte auf sein Dokument.

"Wo hatte ich? Wann haette ich?"

"Bei einer Revue in Stargard Anno siebenzig!"

"In Stargard? Lass Er sehen!" Der Koenig blieb stehen und dachte nach.
"Recht hat Er - der von Bluecher war's! Der hatte mit einer Handvoll Leute
dreihundert konfoederierte Polacken angegriffen, vier Rittmeisters und
achtzig Mann gefangengenommen! Und Er selbst, Loelhoeffel, musste ihn, auf
meinen Befehl, vor der Front loben! So war's! Sehe Er, unser Gedaechtnis
pariert Ordres noch besser, als unsere Offiziere es manchmal tun! - Ein
braver Mann! Ein tapferer Mann! Koennen solche Leute immer gut gebrauchen!
Der Rittmeister bekommt seinen Abschied nicht!"

"Sein Chef, der General von Lossow, befuerwortet die Entlassung!"

"Der von Lossow ist ein Besserwisser und ein Streber. Der soll mir nichts
weismachen wollen. Weswegen mag er den Rittmeister nicht leiden?"

Loelhoeffel las in seinem Papier nach und blickte dann den Koenig an.

"Zu Befehl! Eben wegen der Verfehlung, die Majestaet soeben Hoechstselbst an
ihm zu ruegen geruhte! Weil er entgegen des Allerhoechsten Verbots die
Polacken durch sein allzu forsches Zugreifen aufreizte, als er eine seiner
Postierungen ermordet vorfand!"

"Mir sind die Einzelheiten der Geschichte entfallen!" sagte der Koenig.
"Wir haben so viel und weit Schlimmeres im Leben erfahren! Erzaehle er mir!
Wo hatte der Bluecher zugegriffen? Wen hatte er -?"

"Einen polnischen Landgeistlichen in der Gegend von Kalisch, den er als
Anstifter in Verdacht hatte. - Er liess ihn aufheben und, da er nicht
bekennen wollte, _sans facon_ vor eine frisch aufgeworfene Grube stellen,
die Augen verbinden und eine Salve ueber seinen Kopf abfeuern!"

"Das wird dem huebsch in die Glieder gefahren sein!"

"Vor Schreck ist er fast ums Leben gekommen!"

"Gross waere der Schaden nicht gewesen! Unrecht ist ihm sicherlich auch
nicht geschehen!"

"Zu Befehl! Seine Schuld war mit grosser Wahrscheinlichkeit anzunehmen! Nur
nachweisen liess sich nichts!"

"Der Rittmeister tat gegen Befehl, dafuer gebuehrte ihm Strafe. Er handelte
aber ansonsten brav! Das wollen wir ihm lohnen! Sage Er einmal, Loelhoeffel,
wieso kommt jener Brausekopf dazu, mir einen despektierlichen Brief zu
schreiben?"

"Er fand sich unverdienterweise uebergangen! Er glaubte als aeltester
Stabsrittmeister ein Anrecht auf die erledigte Schwadron des abgehenden
Majors von Zuelow zu haben, die einem anderen gegeben wurde!"

"Was heisst Anrecht? Die Schwadrons vergebe ich! Ein Anrecht ausser Unserer
Entschliessung gibt's nicht! Und wider Unsere Entschliessung hat niemand
aufzubegehren. Der Rittmeister war ungehorsam - dafuer wurde er im
Avancement mit Recht uebergangen! Er schrieb uns einen despektierlichen
Brief, dafuer sitzet er in Arrest! So er sich aber demuetiget, wollen wir
ihn begnadigen und ihn befoerdern. Schreibe Er: der Rittmeister von Bluecher
wird zum Major befoerdert! - - - Nein, noch nicht! Erst soll er abbitten!
Sonst denkt er, er haette es uns abgetrotzt!"

Loelhoeffel raeusperte sich, blickte den Koenig unsicher an und wagte dann
doch noch der Gnaden des Koenigs anheimzustellen, dem Rittmeister, der
trotz seines Eigensinnes und seines jaehzornig aufbrausenden Temperaments
ein verdienter, tapferer Soldat sei, die ersehnte und erflehte Befoerderung
zum Major zuteil werden zu lassen. Um so eher, da gedachter von Bluecher im
Begriff sei, zu heiraten und einen Hausstand zu begruenden - -

Damit kam er an den Unrechten.

"Heiraten will er?" schrie der Koenig ausser sich und stiess mit seinem Stock
mehrfach auf den Boden auf. - "Was erzaehlt Er mir da fuer
Raeubergeschichten, Loelhoeffel? Weiss Er nicht, dass es sich vor die Husaren
nicht schickt, wenn sie Weibers nehmen? Dass sie dann keinen Schuss Pulvers
mehr wert sind?! Weiss Er nicht, dass ich vor alle derartigen Mariagen einen
greulichen Abscheu habe? Wie kann Er indizieren, dass wir einen Menschen
von solcher Fermete noch befoerdern? Er ist wohl des Teufels?!"

Der Koenig redete sich immer mehr in die Wut hinein und schrie, dass die
Hunde aengstlich wurden, ihm winselnd um die Beine liefen und den General
gar auch noch anknurrten, weil er den Zorn ihres Herrn geweckt und ihre
Ruhe gestoert hatte!

"Ruhe, ihr Biester! Oder wollt ihr etwa auch _mariage_ tun?" schrie der
Koenig und schlug nach seinen Lieblingen, zum masslosen Staunen der Lakaien.
"Ruhe, Mene! _Tu beau_ Alceste! Wo hat Er das Gesuch des Rittmeisters,
Loelhoeffel? Geb Er den Wisch her!"

Und er riss dem General das Papier aus der Hand, humpelte, so gut es ging,
auf seinen alten gichtischen Beinen an ihm vorbei ins Arbeitszimmer
hinein, warf das Papier auf die schraege Tischplatte, ergriff einen
Federkiel, stiess ihn mit Wucht in die Tinte, dass sie weit herumspritzte,
kratzte dann mit zitteriger Hand eiligst ein paar Worte unter das Gesuch
und sprach sie, wie immer, beim Schreiben laut vor sich hin.

"Der Rittmeister von Bluecher kann sich zum Teufel scheren!"

Er warf den Federkiel fort.

"Mag er sich in des Teufels Namen kopulieren lassen, soviel er will! Aber
unter meine Husaren fuehret er keine Schuerzenwirtschaft ein! Basta!"

Dann liess er den General stehen, eilte mit gehobenem Stock wieder ins
Schlafzimmer hinein, wo die Hunde nur mit Muehe von den Lakaien gebaendigt
werden konnten, und hieb - nicht die Hunde - aber die Diener durch, die so
schlecht aufpassten, dass ihm heute keine Ruhe zum Regieren blieb!

Und Loelhoeffel zog mit langem Gesicht ab. Es war ein schnoeder Abschied fuer
einen langgedienten, braven Offizier wie Bluecher. Aber mit der
Despektierlichkeit durfte man dem Alten Fritz nur vorsichtig nahen! Und
mit der _mariage_ nimmermehr!





                                   4
                              IM SCHATTEN


"Haette ich noch den schwarzen Dolman angehabt," sagte der Rittmeister
Bluecher und hieb Treff-As auf den Tisch, dass er zitterte, "weiss der
Deibel, ich haette mir vielleicht doch noch die Sache ueberlegt! Denn den
hatte ich mir sozusagen mit der Waffe in der Hand erobert und in Ehren
getragen! Im roten Dolman hatte ich immer das Gefuehl: den ziehst du bald
wieder aus! Gemuetlich war's ja nicht, drin zu stecken, nachdem der Alte
Fritz die von Gersdorffschen aufgeloest hatte und uns kommandierte, in ihre
entehrte Pelle zu schluepfen! Trotzdem ziehe ich sie mit Wonne wieder an,
wenn's endlich so weit gediehen ist mit der koeniglichen Gnade! Kinder!"
rief er, schob seinen Stuhl zurueck und fuellte die Glaeser, waehrend der
Postmeister die Karten mischte und der Apotheker Gewinn und Verlust der
letzten Runde getreulich buchte. "Mit keinem Koenig moechte ich tauschen, so
vergnuegt bin ich heute!"

"Nun ja," schmunzelte der Postmeister, "du hast auch alle Ursache! Reiten,
jagen, das Maedchen gekuesst, die Karte in froehlicher Runde gebogen, was
willst du mehr?"

"Gewinnen!" antwortete fuer ihn der Apotheker, der jetzt mit seiner
Rechnung im reinen war. "Gewinnen will er!"

"Gewinnen, verlieren, gleichviel!" lachte Bluecher. "Nur nicht sein Leben
lang hinter dem Ofen hocken, oder die Nase ueber die Schmoeker haengen und
Kriegsgeschichte oder so 'n Zeug pauken! Kriegsgeschichte, pfui Deibel!
Als Soldat mache ich Kriegsgeschichte und schreibe sie in Blut oder
beschreibe sie beim Rotspon! Die Tinte lasse ich die Federfuchser saufen!"

"Nun, die Kriegsgeschichte wird dir wohl nicht allzu laestig, seitdem du
des Koenigs Rock auszogst!" versetzte der Apotheker.

"Wenn ich auch den Rock auszog, mit Leib und Seele blieb ich doch Soldat!
Sollst sehen, bald reite ich wieder an der Spitze meiner Schwadron, die
mir von Rechts wegen zukommt!"

"Sei froh, solange du's nicht noetig hast! Geniesse dein Leben! Hast ja
alles, was der Mensch sich wuenschen kann: eine brave, liebe Gattin,
praechtige Kinder, giltst als einer unserer besten Landwirte hier in
Pommern - was willst du mehr?"

"Red' keinen Schwefel!"

"Na, hoere einmal!" sagte der Apotheker, "um nichts gab dir wohl der Koenig
neuntausendfuenfhundertfuenfzig Taler Meliorationsgelder fuer dein Gut?"

"Neuntausendfuenfhundertfuenfzig, ja! Das war so recht der Alte Fritz!
Zehntausend voll haette er mir ruhig geben koennen. Aber nein, er musste noch
etwas davon abstreichen, um seinen Sparsinn zu befriedigen! Sonst haette
ihm die ganze Sache keinen Spass gemacht! Und nun muss ich mich hier am
Spieltisch mit euch abrackern, um die Summe wieder abzurunden!"

"Das tust du auch redlich!" lachte der Apotheker. "Aber nach unten hin
scheint's mir!"

"Verliere ich, so gewinne ich auch - das Geld wie das Majorspatent, und
sitze im Sattel, ehe ihr's ahnt!" rief Bluecher uebermuetig. "Dieser Haufen
Taler auf Pik-Dame gesetzt, dass es so kommt!"

Er nahm eine Handvoll Talerstuecke aus einem auf einem Stuhl neben ihm
stehenden, mit Geld gefuellten Suppenteller, setzte auf die Karte und
verlor.

"Verflucht! Die Dirne ging mir durch die Lappen mit dem Geld! Die
Schwarzen waren mir niemals hold! Eine Blonde her! Coeur-Dame gewinnt!
Coeur-Dame war mir stets gewogen! Siehst du, was sagte ich? Hab' Dank,
holde Schoene! Her mit dem Geld! Kinder, ich koennte die ganze Welt in
Truemmer schlagen, so vergnuegt bin ich! Eine Kraft ist in mir!
Himmeldonnerwetter! - Ein Schwert in der Faust, einen Gaul unter mir,
Feinde genug zum Dreinhauen, was brauche ich mehr?!"

"Glueck im Spiel!"

"In der Liebe, du Giftmischer! Ich pfeife auf alles andere!"

"Nun", sagte der Apotheker und strich wieder den Einsatz ein. "Das haettest
du erreicht!"

"Noch einmal zur Attacke auf Fortuna, das Luderchen!" rief der
Rittmeister, "Karten her! Und hier der Rest!"

Er leerte seinen Suppenteller auf den Tisch, nahm neue Karten und verlor
noch einmal.

"Blasen wir die Reserve heran!" sagte er, ohne darum seine gute Laune zu
verlieren. "Ich hole Sukkurs!"

Er stand auf, ging ins Nebenzimmer, oeffnete die Ofentuer, steckte die Hand
hinein, zog sie aber gleich wieder leer heraus und machte ein langes
Gesicht. Kniete dann nieder und blickte in den Ofen.

"Da soll mir der Donner dreinschlagen!" fluchte er. "Drei Suppenteller
voll Geld stellte ich drinnen parat, zwei nahm ich heraus, wo zum Kuckuck
blieb der dritte?"

"Haben Panje Rittmeister etwas verloren?" floetete hinter ihm ploetzlich die
Stimme seiner alten polnischen Wirtschafterin.

Er schnellte empor.

"Hast du etwas gefunden, Sonja?"

"Kann sein!" schmunzelte die Alte.

"Etwa einen Teller -?"

"Einen Suppenteller - -"

"Mit -?"

"Mit etwas drauf, was hier im Hause nicht lange darauf zu bleiben pflegt!
Etwas, was Panje Rittmeister und seine buergerlichen Freunde meistens zum
Spass zum Fenster hinaus zu werfen pflegen!"

"Zum Spass?! I, du dummes Luder, das geschieht gewiss nicht zum Spass! Das
werfen wir zum Fenster hinaus, damit es zum Schornstein wieder
hereinkommt! Verstehst du?"

"Ach so! Dazu stellen Panje Rittmeister die Suppenteller in den Ofen?"

"Ja! Ging dir jetzt ein Licht auf? Damit das Geld doppelt und dreifach
wieder hereinfliegt - dazu schmeissen wir's zum Fenster hinaus! Denn
unterwegs jungt es - verstehst du wohl? Und den Teller stellen wir in den
Ofen, damit es nicht in die Asche faellt! Und nun sage mir, mein Taeubchen,
wo du den Teller mit dem Gelde hingetan hast."

"Oben ins Schlafzimmer, auf der gnaedigen Frau ihr Bett! Nachher, wenn
Panje Rittmeister schlafen geht, wird er sich freuen, noch so viel Geld im
Hause zu haben!"

"Sofort holst du es wieder herunter!"

"Die gnaedige Frau Rittmeister schlafen doch! Sie schliefen schon, als ich
das Geld hintat!"

"Hol es rasch her! Und dass du sie mir nicht dabei weckst!"

"Lassen wir das Geld ruhig auf der gnaedigen Frau ihrem Bett! Am Ende
jungt's da noch besser!"

"Nee!" lachte Bluecher, "da jungt ganz was anderes!"

"Die heilige Jungfer bewahre!" rief die Alte erschreckt. "Es ist laengst
mehr als genug! Die kleine und zarte Person, und schon sechs Kinder! Sechs
habe ich schon auf meinen Armen getragen! Panje Rittmeister, nichts fuer
ungut! Die Liebe ist eine schoene Sache! Aber, was zuviel ist, ist zuviel!
Und so viel Liebe hetzt den Menschen ins fruehe Grab! Sechs Kinder,
bedenket doch, Panje, was das fuer eine Frau heisst! Und dreie deckt schon
der gruene Rasen! Da liegen die kleinen Engelchen und rufen nach der
Mutter! Und die Mutter will zu ihnen und wird mit jedem Tag immer
blasser!"

"Red' nicht!" sagte Bluecher kurz und drehte seinen Schnurrbart. Es kam
etwas Feuchtes in seine Augen.

"Immer blasser wird sie! Und wie sollte sie auch nicht, bei dem tollen
Leben hier, wo der Postmeister und der Apotheker ihr Unwesen treiben, und
das Spiel und das Pokulieren nimmermehr aufhoert! Ich hab's auch nicht
leicht, wenn ich den Kindern Rede und Antwort stehen muss. Sie fragen mich
alles moegliche ueber den Papa - wo er seine Soldaten hat und wieso er
keinen bunten Rock wie die andern Offiziere traegt -"

"Himmelkreuzelement! Halt's Maul!"

"Ja, das ist immer das Ende vom Lied: halt's Maul! Ich haette man das Maul
halten sollen, vor zehn Jahren, als meine kleine Herrin mir von dem tollen
preussischen Offizier vorschwaermte, der ihr den Hof machte! Ich haette das
Maul halten sollen, vor vier Jahren, als Panje Rittmeister das schoene
Polen verliess und hierher nach Pommern zog! Ich haette sagen sollen: nein,
ich gehe nicht mit. Dann haette ich nicht sehen muessen, wie meine kleine
Herrin vor Gram elend umkommen muss! Sie, die Enkelin eines grossen Herrn,
des Starosten von Gnesen, des erlauchten Herrn von Bojanovsky selbst! Das
edelste polnische Blut! Einen Grafen haette sie haben koennen! Einen Fuersten
sogar! Sie hatte es nicht noetig, einen kassierten Offizier zu nehmen, der
sich mit niedrigen Buergersleuten gemein macht!"

Mit dem kassierten Offizier wagte sie sich aber erst dann heraus, als
Bluecher laengst nicht mehr im Zimmer war. Er hatte sie einfach
stehenlassen, als sie anfing, ihm ihre gewohnte Litanei vorzuleiern, war
die Treppe nach dem oberen Stock hinaufgeeilt, oeffnete leise die Tuer des
Schlafzimmers und schlich auf den Fussspitzen hinein.

Seine Frau schlief. Zu ihren Fuessen, auf dem Federbett, stand der Teller
mit dem Gelde.

Einen Augenblick stand er noch da und lauschte auf ihren Atem.

"Dass du das Geld bei dir hast, bringt Glueck!" sagte er, nahm den Teller,
ohne sie zu wecken, und ging leise, wie er gekommen war, zu seinen Gaesten
hinunter, setzte den Teller auf die Karte, die soeben ausgeschlagen wurde,
und rief:

"Das Ganze! Das Ganze gewagt!"

Und er gewann.

"Noch einmal!" rief er, schob den Teller nochmals hin und gewann abermals.

"So!" sagte er. "Nun ist's genug. Jetzt habe ich die Summe des Alten
Fritzen wohl genuegend abgerundet! Ich hatte also Glueck mit dem Gelde! Das
Glueck in der Liebe brachte mir auch Glueck im Spiel! Das hat wohl denn auch
gute Vorbedeutung fuer mein Gnadengesuch an den Koenig."

"Du hast wieder -"

"Ich habe dem Koenig fuer das mir geliehene Geld gedankt und die Gelegenheit
benutzt, um Wiedereinstellung als Major zu bitten, und zwar mit
Anciennitaet vom Tage meines Abschieds ab! Einmal hat er's mir
abgeschlagen. Das war vor vier Jahren! Jetzt wird er wohl ein Einsehen
haben!"

"Alle Wetter!" sagte der Postmeister. "Gut, dass du von der Sache sprichst.
Vorhin kam eben ein amtliches Schreiben an den Herrn Deputierten des
Pommerschen Landschaftsrates von Bluecher an. Vom Koeniglichen Kabinett,
scheint's mir! Ich nahm das Ding mit. Ihr machtet aber gleich einen Laerm,
dass ich nicht zu Worte kommen konnte, und dann hab ich's verschwitzt, als
es mit dem Spiel losging! Nun, aufgeschoben ist nicht aufgehoben! Da
nimm!"

Er reichte Bluecher einen Brief mit dem koeniglichen Siegel.

Bluecher nahm ihn, machte ihn schnell auf, flog den Inhalt durch, wurde
ploetzlich ernst und nahm sein Glas.

"Auf das Wohl Seiner Koeniglichen Majestaet!" sagte er kurz. "Er soll leben!
Und wir auch - wofern wir nicht fuer ihn sterben duerfen!"

"Abgelehnt?" fragte der Postmeister zoegernd.

"Abgelehnt!" sagte Bluecher kurz. "Abgelehnt zum zweiten Male! Das bedeutet
weiter nichts, als dass ich nochmals bei Seiner Majestaet mit meinem
Gnadengesuch vorstellig werde, und dann nochmals und dann nochmals, bis
ich damit durchdringe und er mich wieder einstellt. Ich lasse nicht
locker! Ist er eigensinnig - bin ich es noch zehnmal mehr! Jetzt kommt
aber; es wird schwuel hier drinnen! Draussen im Garten atmet sich's
leichter! Ich lasse eine Bowle ansetzen, die euch munden wird wie den
Kindern Israels das Manna in der Wueste!"

Er setzte den Hut auf, fasste den Postmeister unter den Arm und ging
hinaus, von den beiden anderen gefolgt.





                                   5
                          AUS DEM NEST HERAUS


"Enten waren da, die Masse", sagte der Rittmeister und zwirbelte seinen
Schnurrbart. "Aber sie hatten Glueck! Der Nebel wollte nicht weichen, die
Sonne machte sich's bequem! Und der Hund taugte auch nichts! Weiss der
Teufel, was ihm in die Nase gefahren war! Der Nebel hatte ihm wohl den
Riecher genommen! Denn er stiess direkt mit der Nase auf den Vogel, ehe er
ihn gewahr wurde! Der schoss dann wie ein Pfeil davon, und der dumme Koeter
stand da und glotzte in sein Kielwasser, wie es lustig durch das Schilf
rieselte, bis es zu spaet wurde und der Vogel untergetaucht war. Keinen
einzigen Aufflug brachte er zustande! Keine Moeglichkeit, zum Schuss zu
kommen!

Da musste ich selbst den Hund machen! Beim naechsten Vogel, den wir
aufstoeberten, sprang ich ins Wasser und machte ein alles andere denn
weidmannsgerechtes Hallo, um ihn zum Aufflug zu bringen!

Das gelang nun schon nach Wunsch! Aber alles, was ich vom Vogel bekam, war
weiter nichts als sein hoehnisches Schnattern und das Rauschen seiner
Fluegel und, wo er aufflog, eine sonderbare Bewegung im Nebel, die im
Daemmerlicht der aufgehenden Sonne Gestalt annahm und zu etwas
Menschenaehnlichem wurde!"

"Etwas Menschenaehnlichem?!" wiederholte die Frau Rittmeisterin und blickte
von ihrer Handarbeit auf.

"Ja, eine menschenaehnliche Gestalt, eine Nixe, die mich hold anlaechelte
und die Arme gegen mich ausstreckte. Deine Zuege hatte sie!"

"Geh!"

"Auf Ehre! Sie hatte es! Und ich, nicht faul, gleich hinterher, ohne an
den morastigen Boden zu denken! Und ploetzlich, ehe ich's mich versah, gab
der Grund unter meinen Fuessen nach, und im Nu stand ich bis zum Hals im
Sumpf!"

"Das geschah dir recht! Warum jagst du Nixen nach!"

"Deine Zuege hatte sie!"

"Wer's glaubt. Dann haettest du's sicher nicht so eilig gehabt!"

"So eilig sogar, dass es mir fast das Leben kostete!"

"Dein Leben achtetest du stets gering!"

"In dem Augenblick nicht! Ich gab gehoerig Hals! Und zum Glueck war der
Foerster nicht weit!"

"Der Hasse?"

"Ja! Im letzten Augenblick kam er hinzu, reichte mir seinen Flintenlauf,
und daran konnte ich mich dann so allmaehlich aus dem Schlamm herausholen!
Es haette aber schief gehen koennen!"

"Ja, da siehst du, wohin der Uebereifer dich fuehrt! Immer musst du Leben und
Gesundheit aufs Spiel setzen, und sei's nur um eine Wildente - oder,
meinetwegen, um eine Nixe zu erwischen!"

"So ist's! Immer aufs Ganze! Nur so erreicht man etwas!"

"Wenn man nicht das Genick dabei bricht!"

"Darum brauchst du nicht zu bangen! Ich komme nicht um! Ich bin fest
ueberzeugt, dass mir gegeben wurde, im Leben etwas Besonderes zu leisten!
Das macht fest gegen Schuss und Hieb! Wenn ich auch manchmal etwas
abgekriegt habe -, das Leben hat's noch nicht gekostet! Zum Krueppel wurde
ich auch nicht! Und heute, wo ich bis zum Hals versank und mich kaum noch
bewegen konnte, auch heute verliess mich die Zuversicht nicht, sondern ich
dachte: 'Habe ich etwas im Leben zu tun, so bleibe ich wohl am Leben!' Und
ich blieb! Die rettende Hand war gleich zur Stelle! Das gibt mir
Zuversicht. Denn so wie auf der heutigen Jagd, so war mein ganzes
bisheriges Leben, seitdem ich den Dienst quittierte. Bis zum Hals im
Schlamm versunken, ohne Moeglichkeit, mich zu bewegen, wenn nicht bald die
Hilfe kommt, mich aus dem Sumpf herausbringt, mich wieder als Soldat
einstellt und mich mittun und mitleben laesst! Denn so wie jetzt geht's
nicht weiter! So komme ich um! So versumpfe ich ganz und gar!"

"Warst du denn so ungluecklich mit mir?"

"Wie kannst du nur fragen? Saumaessig wohl war's mir die ganze Zeit! Ein
stolzes Gefuehl, als freier Herr auf eigenem Grund und Boden zu schalten
und zu walten und zu sehen, wie wir vorwaertskamen und uns wohl dabei
standen! Ich trug schon die Nase gehoerig hoch bei all der Anerkennung, die
mir von allen Seiten zuteil wurde! Das leugne ich gewiss nicht! Aber das
ist gewesen, und das soll mich von nichts mehr abhalten duerfen! Alles hat
seine Zeit! Das musste auch erlebt sein, und das habe ich erlebt! Das
genuegt aber nicht! Das erfuellt mein Leben nicht! So schlafe ich ein,
geistig wie leiblich. Und das darf nicht sein! Ich habe den Trieb, mich
weit darueber hinaus zu betaetigen, und wenn's mir das Leben kosten sollte!
Vorwaertsstuermen aufs Unmoegliche los, um es moeglich zu machen und auch
andere dazu treiben! Das habe ich! Das kann ich! Ob's der Abenteurer ist,
der mir im Blute liegt - ob's weiter nichts ist als purer Leichtsinn -,
jener Trieb muss befriedigt werden, oder ich krepiere!"

Die Frau Rittmeisterin blickte auf.

"Man soll das Leben nur fuer etwas einsetzen, was des Lebens wert ist!"

"Wer nicht bereit ist, es stets und immerdar fuer seine Sache einzusetzen,
wie gering sie auch anderen scheinen mag, der ist nicht wert, zu leben!"

"Du wirfst es aber hin, wie wenn du Geld auf eine Karte setzest."

"Und gewinne es zehnfach wieder!"

"Wenn du nicht Pech hast, wie meistens - Pech beim Spiel, Pech auf der
Jagd, Pech in der Liebe -"

"Wie kannst du das sagen?"

"Wieso nicht?! Wo du mit einer Frau leben musstest, die dir weiter keine
Empfindungen eingeben konnte als das Gefuehl, an ihrer Seite im Sumpf zu
versinken!"

"Verdrehe meine Worte nicht! Versteh mich recht: ich fuehle mich
zurueckgesetzt, ausgestossen, zu nichts nutz! Bloss als Brotverdiener auf der
Welt und weiter nichts! Mein Leben geht dahin, und ich leiste nichts! Die
Zeit schwindet, und ich stapfe noch immer auf demselben Fleck! Wenn ich
sehe, wie weit es meine ehemaligen Kameraden inzwischen gebracht
haben - -"

"Da solltest du dem Himmel danken, dass du des Koenigs Rock beizeiten
auszogst! Denn das machte dich zum freien Mann und erhielt deinen Sinn
unabhaengig! Gott behuete, dass du heute da stehen solltest, wo deine
Kameraden jetzt sind. Keinen Schritt koenntest du machen ohne Befehl -,
keine Bewegung ausser der reglementierten! Das kannst du aber jetzt -"

"Das kann ich jetzt erst recht nicht, wo ich die Ruecksicht auf die Familie
und auf unser taeglich Brot ueber alles andere stellen muss. Ich ziehe
jedenfalls das soldatische Reglement dem der Ehe vor! Verzeihe mir, aber
es musste einmal klar und deutlich ausgesprochen werden."

"Ich glaube," sagte die Frau Rittmeisterin, ohne die geringste Bewegung zu
verraten, "ich glaube, dass unsere Ehe dir genug Bewegungsfreiheit fuer
deine persoenlichen Neigungen liess. Jedenfalls nahmst du sie dir mehr als
reichlich!"

"Das tat ich! Und das haette ich auch als Offizier getan. Ich war dumm, als
ich den Dienst quittierte!"

"Du warst weder dumm noch klug, du warst ein aufrechter Mann. Und niemals
habe ich dich mehr geliebt als in dem Augenblick, wo du Manns genug warst,
deine Wuerde zu wahren. Denn Unrecht geschah dir, als ein Fuerstensproessling
dir vorgezogen wurde, der dir sowohl an Meriten wie an Dienstjahren
nachstand. Und du tatest recht, als du dem Koenig daraufhin deinen Degen
vor die Fuesse warfst! Jetzt aber, wo du jahraus, jahrein dem Koenig
schreibst und ihn um Wiedereinstellung als Offizier anbettelst, jetzt
schaeme ich mich deiner! An die zehnmal schriebst du ihm! An die zehnmal
gab er dir den Fusstritt, der dir ob solchen klaeglichen Gewinsels
gebuehrte!"

"Hoer auf!"

"Hoertest du wohl auf mit deinen Bettelbriefen? Schriebst du nicht unter
jeden Brief: 'in allertiefster Devotion ersterbend, Eurer Koeniglichen
Majestaet alleruntertaenigst gehorsamer Knecht'? -"

"Phrasen, weiter nichts!"

"Habe ich einen Phrasendrescher zum Mann genommen? Habe ich einem
alleruntertaenigst gehorsamen Knecht die Hand gegeben, der 'in
allertiefster Devotion erstirbt'? Oder war's ein Mann, der aus Ehrgefuehl
zum Rebellen werden konnte?"

Er nahm sie in seine Arme und kuesste sie herzlich.

"Halte dich nicht ueber Aeusserlichkeiten auf. Der althergebrachten, von der
Gewohnheit, oder sagen wir: vom Zeremoniell geheiligten Form muss ein jeder
genuegen, hoch oder niedrig, der sich dem Traeger der Krone naht! Das ist
weiter nichts als eine Redensart!"

"Mag sein! Aber eine Redensart, die entwuerdigt. Ich wuerde mich schaemen,
sie zu gebrauchen!"

"Und ich -, ich schreibe sie ihm nochmals und nochmals, bis er nachgibt
und mir meinen Willen tut. Wenn ich bloss ans Ziel komme, wenn ich
erreiche, taetig sein zu koennen, was kuemmert's mich, wie ich dazu komme?
Jeder Weg ist mir da recht! Und waere er noch so holperig, ich gehe ihn
doch ohne Zoegern! Das ist nichts als einfache Pflicht, der Macht
gegenueber, die mir anheimgab, eine Aufgabe ueber das Alltaegliche zu suchen!
Und daran hindert mich nichts - deine Verachtung nicht, und erst recht
nicht dein Schelten! In einem gebe ich dir aber jetzt recht: das Schreiben
von Bittgesuchen war dumm! Das werde ich kuenftig lassen. Es gibt andere
und bessere Wege! Wo ich Deputierter der Landschaft bin, kann ich auch so
an den Koenig heran. Das naechste Mal, wenn er hier Revue abhaelt, sorge ich
dafuer, dass ich die Landschaft vertrete. Da bedarf es keines
Audienzgesuches! Und das Weitere wird sich ergeben. Aber von meinem
Vorhaben lasse ich nicht ab. Soldat bin ich mit Leib und Seele, und Soldat
bleibe ich! Du sollst es schon sehen: eher als du denkst, wirst du als
Frau Majorin aufwachen!"

"Gott verhuete es! Dann muesste ich unser schoenes Gross-Raddow verlassen und
in der Garnisonsstadt leben!"

"Das schon!"

"Das waere mein Tod! Das kann ich nicht! Ich wuerde ersticken. Ich wuerde
ohne Licht und Luft zugrunde gehen! Bin ich dir denn kein Opfer wert? Ist
dir der Traum, dem du nachjagst, mehr als eine ruhige, gesicherte
Wirklichkeit an meiner Seite? Wozu jetzt noch einmal dein altes Leben von
vorne anfangen? Vierzehn Jahre warst du schon ausser Dienst, und du bist
nicht mehr der Juengste, hast nicht mehr das Ungestuem der Jugend, das
vorwaerts ueber alle Hemmnisse hinwegtreibt. Du wirst nur Enttaeuschung ueber
Enttaeuschung erleben und bitter bereuen, unser Glueck um ein Hirngespinst
geopfert zu haben. Du hast ja ohnehin Taetigkeit uebergenug! Hast ja die
Gueter - unser schoenes Gross-Raddow und Sassenhagen, das du eben angekauft
hast! Ein ganzes Leben brauchst du, um die hochzubringen. Wie kannst du
nur daran denken, daneben noch als Offizier zu dienen? Entweder die Gueter
werden vernachlaessigt, oder der Dienst wird es!"

"Dann lieber die Gueter", dachte der Rittmeister. "Die kann man ja
verkaufen, wenn sie im Wege sein sollten!"

Aber er sagte es nicht laut. Er sah, wie sie mit ganzer Seele daran hing,
ihr Leben in der bisherigen Weise weiterleben zu koennen, dachte an ihre
zunehmende Kraenklichkeit, fuehlte ein menschliches Ruehren, wurde grossmuetig,
opferbereit und schwang sich sogar auf, den Verzicht auszusprechen. Das
beruhigte sie.

Aber er selbst fuehlte, als haette er seiner ureigensten Natur Gewalt
angetan und das Heiligste verleugnet. Ein brennendes, fieberndes Verlangen
nach dem grossen Abenteuer seines Lebens, das er haben musste, wenn er nicht
elendiglich verkuemmern sollte, bemaechtigte sich seiner ungestuemer denn je
und liess ihm keine Ruhe mehr.

                                   *

In Sanssouci endete zu gleicher Zeit ein einsamer Mann, von Arbeit
ermuedet, von Krankheit zerruettet und von aller Welt verlassen.

Ein Leben erlosch, das Kampf gewesen war, Kampf und Sieg gegen eine ganze
Welt - ein Leben voll treuester Pflichterfuellung und Strenge gegen sich
selbst und alle anderen. Der alte Adler starb und schloss seine Augen fuer
immer.

Ein Aufatmen -, ein Gefuehl der Erleichterung ging durch das ganze Volk.
Die wenigsten gedachten bei der Todesbotschaft der grossen Lebensleistung,
deren Zeugen sie gewesen waren. Die erlittene Bedrueckung zitterte noch bei
allen nach.

Auch nach Pommern drang rasch die Kunde des grossen Ereignisses. Hier wie
dort im ersten Augenblick ein Aufjauchzen, das die Groesse dessen, der zu
Grabe getragen wurde, total verwischte.

Auch Bluecher ging es nicht anders. Aber zugleich fuehlte er etwas wie ein
Rauschen grosser Fluegel um sein Haupt und wurde von einer seltsamen
Empfindung beschlichen, als sei ihm ein Erbe ueberkommen.

"Jetzt ist's vorbei mit dem schmaehlichen Beiseitestehenmuessen! Jetzt ist
meine Zeit da!"

So jauchzte er auf bei der Trauerkunde. Und seine Frau schwieg. Sie sah es
ein, dass er nicht mehr zu halten sein wuerde. Der stille Verbuendete, den
sie in dem alten Koenig gegen ihn gehabt hatte, war nicht mehr! Keine Macht
gab's mehr auf Erden, die seinen Tatendrang, der stets ihr Eheglueck
sprengen wollte, eindaemmen konnte! Sie musste es ueber sich ergehen lassen,
wie es auch kommen wuerde!

Und Traenen der Wehmut, nicht des Stolzes, waren in ihren Augen, als sie
beim darauffolgenden Durchzug des neuen Koenigs durch Stargard ihren Mann,
hoch zu Ross, in der kleidsamen Uniform der pommerschen Landschaft, dem
koeniglichen Wagen voraussprengen sah. Und auch als er siegestrunken
zurueckkehrte und ihr vom Gelingen seines Unternehmens und von der Audienz
beim Koenige erzaehlte, sowie von dessen gnaediger Zusage, ihn bei
Gelegenheit mit voller Anciennitaet als Major in sein altes Regiment
wiedereinstellen zu wollen - auch dann vermochte sie nur mit Muehe die
qualvollen Seufzer niederzuhalten, die sich ihrer Brust entringen wollten.

                                   *

Einige Jahre spaeter stand er vor ihr in ihrer kleinen Wohnung im
pommerschen Staedtchen Rummelsburg, hatte den Feldzug in Holland hinter
sich, hatte den Verdienstorden um den Hals und war im Begriff, sich wieder
von ihr zu verabschieden, um in den Krieg gegen Oesterreich zu ziehen.

Er sah ihre bleichen Wangen, ihr abgezehrtes Gesicht, ihren mueden Blick,
sah mutlose Resignation in ihrer ganzen Art, sich zu geben, und sein Herz
schnuerte sich zusammen. Seinem Beruf zuliebe hatte sie auf das Landleben
verzichtet. Ihre Gueter, an denen sie hing, die aber aus der Entfernung
nicht bewirtschaftet werden konnten, waren verkauft. - Gross war das Opfer,
das er von ihr verlangt hatte - er sah es ein. Aber er hatte nicht anders
handeln koennen. Und jetzt galt es wieder Abschied nehmen.

"Diesmal wohl fuer immer", sagte sie wehmuetig laechelnd. "Ich dachte es
schon damals, als du in den hollaendischen Feldzug gingst. Und einmal muss
es ja sein! Es ist ja auch besser so. Ich sehe es ein - ich bin dir im
Wege und muss fort. Ich beklage mich nicht. Du warst immer gut, immer lieb
zu mir. Du kannst wohl aber nicht aus deiner Haut heraus. Dein Beruf muss
dir ja ueber alles gehen, und mir kommt es zu, ihn nach Kraeften zu foerdern.
Ich gehe also hinueber zu den Kindern! Es muss auch nach ihnen geschaut
werden! Sie rufen mich schon oft, viel lauter als die Lebendigen. Bleib du
denen ein guter Vater. Und hab' Dank fuer alles. Es war schoen mit dir. Und
wenn ich nochmals mein Leben anfangen koennte, ich wuerde dich wieder
nehmen!"

Er schloss sie in seine Arme und kuesste sie. Seine Traenen mischten sich mit
den ihren.

Dann riss er sich los, eilte hinaus, stieg in den Sattel und zog an der
Spitze seines Regiments sang- und klanglos zur Stadt hinaus.

"Wenn i kumm, wenn i kumm, wenn i wiederum kumm - -" summte er dabei leise
das alte Lied.

Als er aber wiederum kam - da war die Hochzeit gewesen. Ein anderer
Freier, der nirgends ungehoert anzuklopfen pflegt, hatte ihr das Brautbett
geruestet und sein Liebstes in kuehler Erde zur letzten Ruhe gebettet.

Die Kinder kamen zu den Grosseltern, und nichts war mehr da, was ihn
fesselte.

Der junge Adler war aus dem Nest heraus und hob seine Schwingen zum Flug.





                                   6
                       DER SOLOFAeNGER NUMMER EINS


Der Sachse Haeberlein von der Schwadron des Majors von Planitzer nahm im
ganzen Regiment der roten Husaren so etwas wie die Stellung eines Orakels
ein.

Er konnte lesen wie ein Schriftgelehrter, er schrieb und rechnete wie der
geriebenste Kriegskommissar und gehoerte auch nicht zu jenen Zaghaften, die
ihr Licht unter den Scheffel stellen!

Der Strom seiner Rede war wie ein brausender Wasserfall, seine Gier nach
Neuigkeiten hoerte nimmer auf - mit allem, was sich auf Erden zutrug oder
zutragen konnte, wusste er besser Bescheid als ein Bataillon von
Klatschbasen. Wo das Regiment auch biwakierte, spuerte er sofort das
Platzorakel oder wenigstens eine Zeitung auf und war sofort ueber die
politische Konstellation des Tages unterrichtet. Haette er die Faeden der
hohen Diplomatie in Haenden gehabt, Europa haette anders ausgesehen, und das
Koenigreich Sachsen erst recht.

Nun hatte er leider Gottes nur die Gesamtdiplomatie seiner Schwadron zu
fuehren, und er tat es mit einer Geduld und einem Opfersinn, der nur von
seiner unersaettlichen Neugier uebertroffen werden konnte. Zu dieser
Geheimdiplomatie gehoerte vor allem die heikle Aufgabe, den des Schreibens
Unkundigen - und sie waren in der Mehrzahl - die Briefschaften ihrer
Familienangehoerigen zu entziffern und sie, gegen ein geringes Entgelt fuer
Tinte und Papier, nach den Wuenschen der von solchem Ereignis Betroffenen
zu beantworten.

Insbesondere profitierte von diesen seinen unschaetzbaren Eigenschaften
sein Nebenmann rechts, der Wasserpole Gajewsky, der in jedem Nest, wo die
Schwadron durchkam, eine Braut sitzen hatte, die auf das hehre Eheglueck
polnisches mit ihm wartete und entsprechend vertroestet werden musste. Ohne
Dolmetscher war aber auch er ausserstande, diesen Trost zu spenden. Denn er
war aus edelstem Schlachtschitzenblut, hatte Ahnen bis ins Blaue hinein
und entstammte einem uralten polnischen Hause, das einst, in den Tagen des
Glanzes, ueber Tausende von Seelen geherrscht hatte, jetzt aber kaum noch
der eigenen Seele Herr war. Denn dessen Mitglieder, ueber sotane Kuenste
erhaben, liessen sich nimmermehr herab, sich mit Lesen oder Schreiben oder
irgendeiner Art von Buchgelehrsamkeit abzugeben - was ja in besseren
Haeusern stets zu den dienstlichen Obliegenheiten eines Beichtvaters zu
gehoeren pflegte.

Als Edelmann hatte er ja alle Haende voll zu tun, die Herzen zu brechen; am
Spieltische wurde nicht gerechnet; war die Tasche leer - und sie war es
meistens -, so hatte er die glaenzendsten Revenuen aus den im Monde
gelegenen Stammguetern zu erwarten, pumpte darauflos, solange sich glaeubige
Seelen fanden, leerte den Becher, solange der Wein floss, liess die Wuerfel
rasseln, kuesste die schoenen polnischen Weiber und was ihm da noch von
anderen Rassen mit unterlief, und balgte sich nach Herzenslust mit den
Nebenbuhlern herum.

Heute zwirbelte er melancholisch seinen blonden Schnurrbart und hoerte kaum
auf das, was der brave Sachse ihm vorschwefelte. Man hatte ihn gewaltsam
aus den Armen der Liebe gerissen, die im letzten Kantonnement besonders
weich und wohlig gewesen waren - hatte ihn in Marsch gesetzt, mit der
gesamten Schwadron hierher in den Hinterhalt gelegt, wo sie in aller
Herrgottsfruehe aufmarschieren und immer noch auf Befehl zur Attacke warten
mussten.

Noch brannte der letzte Kuss auf seinen Lippen, die nicht einmal Zeit
gehabt hatten, mit dem ueblichen Schwur ewiger Treue im Augenblick der
Trennung zu quittieren.

"Is sich nichts als purer Niddertracht, Panje Bluecherr seiniges", knurrte
er verdriesslich. "Ruft sich aus Quarrthier der Hund, ech sich hat der Hahn
gegackert!"

"Is ae Sauerei, der kanze Griech!" pflichtete der Sachse bei.

"Denk ich: Mordio, will sich gebben Monsieur Ohnehos Rendezvous zeitiges
cheute! Werrd ich lerrnen ihm fallen Husar polnisches unter Kuesse seinige!
Hat sich gerufen: pascholl! In die Sattel! Tatarata! Und dann Nitschewo!
Ahles nix! Nix Feind! Nix dreinhauen! Nix Kuesse! Betrug hundsgemeines!"

"Eja, freilich!" kraehte der Sachse. "Nichts als ae unnuetze Lauferei, der
kanze Griech! Mir siechen und siechen und siechen! Mir naehmen dem
Franzosen Ganohnen, Kefangene, Pakasche, - alles! Mir hauen ihm in die
Pfanne! Gaum aber looft er, da loofen mir egal ooch! Aber nich hinterher,
nee, zuruecke loofen mir und gucken in den Rhein, wie sein Wasser ooch
davonlooft, und freien uns dann gechenseitig, - der Vater Rhein und mir!
Wie mir aber mit der Medode nach Baris gommen dhun, wees der Gugguk!"

"Bischt ebens a Subalterner!" fiel ihm sein Nebenmann, der wortkarge
Schlesier Landeck, in die Rede. "Host nischts zu wissen! Maul holten,
dreinhauen, ist oalles, woas du noetig host!"

"Dreinhauen, jawohl! Aber 's Maul halten, nee, nu aeben nich! Und morgen
ooch nich! Duht's unser Pliecher etwa? Haelt der 's Maul? Reisst er's nicht
uff wie 'n Nilpferd, verdonnert die schockschwerenotverdammten
Oesterreicher, die uns egal immer unsere Fikdorien versauen, dass es eine
Schande ist?! Pakasche! Schweinebande, hundsmiserable! Egal raeumen sie
irgendwo eine Lienje, und mir muessen mit! Gaum hamm mir uns irgendwo recht
scheene einkerichtet, da muessen mir wieder raus!"

Der Schlesier tat wieder sein Maul auf.

"Host auf die Oesterreicher nich zu schimpfe! Bischt aus Sachsen; schimpf
auf die Preussen, bei dena du dienscht!"

"Die Preussen, eja, freilich! Die gennen mir ooch was! Da haetten mir ooch
die Nase dicke voll von!"

"Is sich blasiert derr Preuss!" warf der Pole ein und zwirbelte seinen
Schnurbart hoch. "Frisst sich zu vill - liebbt sich zu wennig! Wird sich
faul und dumm!"

"Und pequem!" eifert der Sachse. "Guck ae mal bloss die meerschten von den
Offiziers an! Ih, du Kieticher, ist das een Fuhrwerken, eh so 'n oller
dicker Major in den Sattel gommt! Und sitzt er endlich mal drinne, dann
schreits: 'Mei Guechenwaachen!' und das ist nun allemal das erschte. 'Wo
ist mein Guechenwaachen, Ginner? Wo steckt er bloss? Goennt ihr ihn nicht
saehn?' Da muss unserm Pliecher so 'ne Arche Noah von einem Guechenwaachen
bloss in die Quere gommen! Der versteht's! 'Ausspannen! In den Graben
werfen! Pferde vor die Ganohnen!' Der schafft's! Mordselement!"

"Ja, der hot's! Aso a Teiwelskerl is dos!" stimmte der Schlesier bei.

"Heut fiel er wieder vom Faerd!" fluesterte der Sachse. "Basst ae mal uff,
Ginner, des giebt wieder eene Sache! Wenn der vom Faerd faellt und wieder
hochgommt, da setzt's allemal Schlaege fuer den Feind und Fikdoria fuer uns!
So ist's immer kewaesen, da goennt ihr Kift druff naehmen, und des stimmt,
als wie zwee mal zwee is finfe!"

Der Pole machte runde Augen.

"Fill sich vom Ferrd, der Panje Bluechherr, saggst du?"

"Kopfieper runterkesaust!"

"Habb ich nicht gesehhen!"

"Siehst aeben bloss, wo die Weibsbilder fallen!"

Der Pole laechelte martialisch.

"Hatt sich gebrochen Genick seiniges, der Panje Bluechherr?" fragte er.

"Wo wird er wohl?!"

"Nu, wo werrd ich denn sehhen? Weiss ich doch: hat sich ein Schweineglueck,
der Panje Obberst!"

"Ein Schweineglueck", wiederholte der Sachse. "Haettest ihn saehn sollen, wie
sein Faerd ruecklings in den Kraben trat! Wie 'ne Stahlfeder schnellte er
aus dem Sattel auf den Weech rauf! Wie 'ne Gerze stand er vor der Front
ohne eene eenzige Schramme - wo er doch von Rechts wegen mit gaputte
Gnochen unterm Faerd liegen musste!"

"Er is gefeit", sagte der Schlesier kurz und buendig. "Oof ihn beesst kee
Stich, kee Hieb. Die Kugeln biegen vor ihm aus. Und wenn a faellt, faellt a
imma hinoof. Faellt a as Oberscht, kommt a as General hoch! Faellt a as
General, kommt a as Feldmarschall wieder in den Sattel!"

"Nu aeben!" lachte Haeberlein. "Warum nicht ooch? Wenn der Schlaesier sein
Maul uffdhut, da nimmt er's allemal dicke voll!"

Der Schlesier sagte nichts. Er sass nur da, wieder wie eine Statue, ohne
eine Miene zu verziehen, und blickte geradeaus.

"Unheimliches Kerl!" dachte der Pole froestelnd. Denn es war noch frueh im
Mai und das Gruseln leicht.

Bum, schossen drueben die Franzosen. Bum, Bum!

Ihr Feuer lag links auf Neustadt zu, wo die Hauptmasse der Bluecherschen
Truppen jetzt herauskam und auch zu kanonieren anfing. Aber eine Kugel
fand auch den Weg nach rechts, ueber den Wald, wo die Planitzer lagen, warf
Steine und Sand ueber die Reiter und dem Sachsen ins Maul, da er's eben
auftat. Er aber geschwind die Bescherung ausgespuckt. Und hinterher
brauste seiner Rede Strom mit doppelter Gewalt.

"Nu saacht ae mal bloss: Was hat wohl der Alte mit uns vor? Mir stampfen
hier egal uff eenem Fleck und lassen uns mit Dreck schmeissen! Warum naehmen
mir nich dem Kroppzeug drueben die Ganohnen wech? Die schiessen ja wie die
Schweine! Am Ende treffen die ooch noch! Und dann ade reiten! Een, zwee!"
fing er an, die Schuesse zu zaehlen. "Des reene Salutschiessen! Akrat wie in
Billnitz, wo wir mit den Rekruten durchkamen und die Maschestaeden ooch da
waren! Eja, des war scheen! Der Geenich von Sachsen, der Geenich von
Preissen und der Gaiser Leopold ooch noch, Gott hab ihn saelig! Und hinter
ihnen her der ganze Schwanz von hohen Herren und Gonfusionsraeden! Die
machten nu fix een Gollech um den gruenen Disch rum, zogen die Schlafmuetzen
feste ieper die Ohren runter und taten damit dicke, wie sie den lieben
Gott wieder in Frankreich einsetzen wollten und den Geenich Lurwich ooch!
- Und des war nu nichts als wie 'n Schpadziergang, und des hamm sie nun
verbrieft und besiegelt und begossen und waren noch lange nicht mit der
Beschaerung fertig - da hat der Franzos die Frechheit und erklaert uns den
Griech und haut seinem Lurwig den Doeskopp ab und ist ieper die Krenze, ehe
die Gonfusionsraede wach wurden! Nich ae mal ae Griechserklaerung hamm sie
fertig gebracht - nicht mal im Traum! _Die_ gennen nu die Franzosen wieder
alleen rausschmeissen - die Gonfusionsraede! Mir dhuns nimmer mehr, wenn mir
so weiter siechen!"

"Is sich ein Schweinewirtschaft hundsmiserables!" stimmte der Pole bei.

"Mir Roten sind schon parat - daran fehlt's nicht! Da ist schon unser
Oberst hinterher wie der Deibel! Bei den Hufschmieden, in den Gammern, auf
den Futterboeden - ieperall hat er hineingerochen! Mundierung und
Sattelzeug, Pulver und Blei - nach allem hat er gesaehn, und dass die
Glingen scharf geschliffen sind, war ihm allemal die Hauptsache! Mir sind
parat! Aber die anderen! Die Raede und - nun, ich will nichts gesagt haben
- _der Geenich ist ja een kuter Mann_ - een seelenkuter Herr! Wo er aber
zu schpaet Geenich wurde - nachher steht ooch alles andere im Lande zu
schpaet auf! Beim Gaiser Leopold ooch! Na, nu ist er ja tot, und dakechen
ist nichts zu sagen! Aber sein Laeben lang dachte der nicht daran, Gaiser
zu werden - der steckte dicke drinne im fetten toskanschen
Getreidegeschaeft und war een kuter Mann! Da stirbt der Bruder, und er muss
auf den Thron! Na, nu ist er das Aelend ooch los, und sein Sohn kann seine
Leute mit Mehlspeis und Backhaendl fuettern, bis ihnen die Baeuche platzen!
Haettest drueben bei den Oesterreichern bleiben sollen, Schlaesier, wo du
schon warst!"

"Mei Atzung find' ich ieberall!" entgegnete der Schlesier.

"Nun wenn schon - warum suchst du sie denn gerade hier bei den Preissen,
bei den Hungerleidern?"

"Was suchen die Sachsen und die Polen dahier? Am Ende wollte ich nur
sehen, wie mir der rote Dolman sitzt, wo ich doch dahier im selbichen
Rechiment schonn den schwarzen trug!"

"Nun schlag einer lang hin! Wo _mir_ schwarz waren, bist du ooch mit
kewaesen?"

Der Schlesier sass da wieder wie in Erz gegossen und antwortete nicht!

Bum! schossen die Franzosen vor Kirrweiler. Bum! sekundierte eine andere
Kolonne, die mehr rechts, durch Edenkoben herauszukommen begann. Die
Kugeln kamen jetzt von rechts und von links. Die Leute wurden unruhig, die
Pferde tanzten hin und her.

"Is sich ein verdammtes Schissen!" knurrte der Pole. "Waer' ich Obberst,
haett' ich gebben laengst Siggnall!"

"Ihr Polen habt's immer eilig mit dem Ueberlaufen!" sagte der Sachse
anzueglich. "Ihr liebt den Franzmann! Wenn ihr mit ihm Hiebe tauscht, denkt
man, es sind Gomplimente!"

Der Pole wollte antworten. Da bliesen endlich die Trompeten zur Attacke,
die Roten sausten aus ihrem Hinterhalt heraus und begriffen jetzt, warum
ihr Oberst sie so lange hatte warten lassen.

In die Flanke der Kolonne, die ueber Kirrweiler vorgedrungen war, ging es
mit schwindelnder Fahrt. Hier riss eine Kanonenkugel eine breite Bahn durch
die vorstuermende Masse - dort sank mancher Reiter, von einer wohlgezielten
Flintenkugel getroffen, aus dem Sattel. Aber die Luecken klafften nur einen
Augenblick, dann schlossen sich die Glieder, vorwaerts fliegend, und die
Roten waren drueben und droschen mit ihren Saebeln auf die Koepfe der
"Ohnehosen", dass es nur so eine Art hatte.

Der Schlesier, der Sachse und der Pole wetteiferten mit den anderen im
blutigen Handwerk und hieben und stachen und bekamen manche Schramme ab.
Es war ein Gewuehl, ein Gedraenge, ein Stampfen, ein Wiehern, ein Roecheln
der Sterbenden, ein Fluchen und Schreien, ein Schmettern der Trompeten.
Lange waehrte es nicht, da war der Widerstand gebrochen, die Kanonen
genommen, die Franzosen in voller Flucht und die Roten hinterher - wie die
Apokalyptischen Reiter, Tod und Verderben in die Reihen der Fliehenden
saeend.

Durch das Dorf Kirrweiler ging es auf Frischlingen zu, wohin alles in
voller Aufloesung floh. Die wilde Jagd folgte - allen voran Bluecher selbst,
alles anfeuernd und vorwaerts draengend. Mit ihm noch mehrere Zuege brauner
Husaren, die jetzt ihren roten Kameraden halfen, den Sieg zu vollenden.
Dann sauste Bluecher mit ein paar Schwadronen noch rasch nach rechts gegen
Edenkoben hin, um der darueber hinaus vorgestossenen franzoesischen Kolonne
in die Flanke zu fallen und auch ihr die Kanonen abzunehmen. Es gelang
nach heftigem Kampf mit der feindlichen Infanterie. Die Franzosen wurden
auch da in das Dorf zurueckgeworfen und in den engen Gassen, wo sich alles
staute, kurz und klein gehauen. Das Schlachtfeld war weit und breit mit
gefallenen und verwundeten Feinden besaet.

Bluecher triumphierte.

Am Morgen, als ihm das Anruecken der Franzosen gemeldet worden war und jene
ihre Tirailleursketten ausschwaermen liessen und mit der Kanonade anfingen,
da war sein General und Prinz Hohenlohe zu ihm geritten, hatte ihm
geraten, sich lieber vor der Uebermacht auf Neustadt zurueckzuziehen, ihm
aber freie Hand gegeben. Bluecher, dem der rechte Flankenschutz der
preussischen Armee oblag, dachte nicht einen Augenblick daran, zu
retirieren, sondern nahm den Kampf mit der Uebermacht auf. Und das Glueck
war ihm hold. Mit Kavallerie allein gewann er einen glaenzenden Sieg ueber
ein ganzes Armeekorps, schlug es entscheidend, nahm ihm Kanonen, Munition,
Gefangene und Pferde ab, und verbesserte so nicht nur seine eigene
Stellung, sondern auch die der ganzen preussischen Armee.

Die Belohnung blieb nicht aus. Nach kurzer Zeit traf seine Befoerderung zum
Generalmajor ein. Und zugleich wurde er Chef des Roten Husarenregiments,
des frueheren Bellingschen, in dessen Reihen sein ganzer Aufstieg erfolgt
war, und das von nun an nach ihm benannt werden sollte.

Als frischgebackener General nahm er dann seinem Regiment die Parade ab.

In langer Front standen seine Braven, Schwadron an Schwadron - die Pferde
mit den Koepfen wie nach der Schnur aneinandergereiht, in steter Bewegung
und ungeduldig auf die Trensen beissend, dass der schneeweisse Schaum im
Winde flog.

Praechtig leuchteten die roten Dolmans gegen das helle Vorsommergruen. Und
als auf Kommando die Saebel aus den Scheiden flogen, um den Chef zu
salutieren, zuengelte ein tausendfacher Blitz ueber das Feld. Es war ein
praechtiger Anblick, und wohl dazu angetan, das Herz eines rechten Soldaten
zu erfreuen.

Dann kam der neue Chef heran in vollem Galopp, schlank wie ein Juengling,
stolz wie ein Sieger. Spielend leicht lenkte er sein Pferd mit gewaltigem
Sprung ueber die das Feld umschliessende Hecke und hielt jaeh an, gerade vor
der Schwadron des Majors von Planitzer, wo auch der gute Sachse Haeberlein
seinen Kopf noch aufrecht hielt, aber von unzaehligen Binden zu einem
dicken weissen Knaeuel verunstaltet, durch den sein sonst so ruehriges
Mundwerk zur Untaetigkeit verdammt wurde.

Die dunkelblauen Augen Bluechers blitzten vor Freude, als sie die Reihen
seiner kriegserprobten Kaempfer ueberflogen.

"Guten Morgen, Husaren!" rief er mit weithin schallendem Bass.

"Guten Morgen, Exzellenz!" kam es aus den Reihen zurueck, dass es nur so
donnerte.

"Ich freue mich, euch zu sehen!" setzte er die Rede fort. "Ihr habt euch
immer brav gehalten! Ich habe mich auch gefreut, Seiner Majestaet melden zu
koennen, dass ihr unter meiner Leitung schon elf Kanonen, sieben
Munitionswagen und fuenf Fahnen erobert und einen Generalleutnant,
hundertsiebenunddreissig Offiziere, dreitausenddreihundertsiebenundzwanzig
Mann, elfhundertvierunddreissig Pferde gefangen habt, sowie, dass kein
Offizier des Regiments in Gefangenschaft geriet und kein Unteroffizier
gefallen ist. Seine Majestaet haben daraufhin geruht, mir selber zu
schreiben, haben mir den Roten Adler verliehen, mich zum Generalmajor und
zum Inhaber des Regiments gemacht, ausserdem mich beauftragt, euch seine
Allerhoechste Zufriedenheit auszusprechen. Eurer Tapferkeit und eurem
unwiderstehlichen Mut verdanke ich diese Ehrungen, die euch allen in
meiner Person zuteil werden.

Kinder, ihr habt euch einen guten Namen gemacht! In der ganzen Armee
achtet man die Roten Husaren, und der Feind fuerchtet sie! Ich bin stolz
auf euch und freue mich, dass das Regiment von jetzt ab meinen Namen fuehren
soll! Das eine merkt euch aber: ein Bluecherscher Husar _stirbt_, aber er
_kapituliert nicht_! Seine Parole ist: _immer vorwaerts_ und _nimmer
zurueck_! Sein hoechster Stolz: Blut und Leben fuer Koenig und Vaterland
opfern zu duerfen! So wollen wir's halten, und das geloben wir, indem wir
rufen: Seine Majestaet, unser allergnaedigster Koenig und Herr, er lebe
hoch!"

Donnernd brausten die Hochrufe ueber das Feld, die Fahnen senkten sich, die
Tambours schlugen den Generalmarsch. Der rangaelteste Offizier schickte
sich eben an, im Namen des Regiments zu danken und Glueck zu wuenschen. - Da
loeste sich aus dem ersten Gliede der Schwadron von Planitzer eine Gestalt
und kam langsam und feierlich auf den General zugeritten. Er scherte sich
nicht das geringste um das Entsetzen der Offiziere und Mannschaften,
schreckte auch nicht vor dem zornigen Blick zurueck, der ihm aus den Augen
Bluechers entgegenblitzte, er zuckte mit keiner Miene, ritt bis dicht vor
den General heran, salutierte mit dem Saebel und sprach ohne das geringste
Zittern in seiner Stimme: "Holten zu Gnaden, Exzellenz, wenn ich vorwitzig
bin und mich vor Dero Antlitz dervorwage! Wo aber Dero Exzellenz heut eene
geworden sind, und ich an de Sache nich aso ganz unschuldich bin, mecht
ich alleruntertaenichst melden, dass ich ooch meine ganz besondere Freide an
Dero Erhebung habe!"

"Wieso, mein Sohn? Was meinst du damit? Sprich aus, was du auf dem Herzen
hast!" antwortete Bluecher, dessen Augen anfingen, schelmisch zu leuchten.
Sonst von unerbittlicher Strenge beim geringsten Verstoss gegen die
Disziplin, war er heute gern gesonnen, ein Auge zuzudruecken, wenn keine
Boeswilligkeit vorlaege. Und der Bursche, der einen ernsten, soliden
Eindruck machte, hatte wohl einen besonderen Grund zu seiner Dreistigkeit.

"Wieso meinst du, dass du an der Sache nicht unschuldig bist?" fragte der
General nochmals.

"Weil Dero Exzellenz ohne mei Derzwischenkumma nich General geworden
waeren!"

"Sieh nur! Sieh nur! Du hast denn wohl beim Koenige eine Fuerbitte fuer mich
getan?"

"Zu Befehl nein, Exzellenz! Ich hob den Keenig aber daderzu derholfen, aus
dem Oberschten Bluecher oanen General zu mache!"

"Da soll der Donner dreimal dreinschlagen! Du bist dreist, Bursche!"

"Ich sage nur die Wahrheet: Und die Wahrheet is, dass der Keenig, ohne den
Oberschten Bluecher zu hoben, ooch nicht haette aus ihm a General mache
kenna!"

"Da hast du recht, mein Sohn! Nun hatte er mich aber -"

"Nun ja, das hatte er! Und das hat er ebens mir zu danke!"

Bluecher blickte ihn gross an. Er fing an, zu begreifen.

"Erinnern Dero Exzellenz noch das Gefecht am Kavelpass? Exzellenz waren
dazemal a schwedischer Junker, und ich wie itzt Reiter im Regiment. Den
Junker _fing ich_! Ich hoab's getan! Und aso bekam der Keenig von Preussen
den Mann, den er heute zum General machte und wohl noch heeher steigen
lassen wird, so Gott will!"

"So Gott will - das war ein gutes Wort!" sagte Bluecher. "Denn daran
liegt's, und so war's auch am Kavelpass, denk' ich! Er wird's gewollt haben
und nicht du!" Er rieb sich die Nase. "Dein Name?" fragte er.

"Landeck!"

"Landsmann?"

"Aus Esterreisch'-Schlasien!"

Bluecher betrachtete ihn forschend.

"An dein Gesicht kann ich mich nicht erinnern! Es ist ja auch lange her.
Und bei der bewussten Gelegenheit wird mir wohl der Schaedel von den vielen
Hieben gehoerig gebrummt haben! Aber das weiss ich, und darauf kann ich
schwoeren: ein Husar war's sicher, der mich fing! Und wo du ein Husar bist
und wo du behauptest, derjenige zu sein, so bist du's wohl auch gewesen,
dem ich mein Glueck zu verdanken habe! Nun erklaere mir aber eins, mein Sohn
- denn ein wenig daemmert's mir doch noch von der Begebenheit -, spricht
man noch heute - in Schlesien - _so gut Schwaebisch_ wie damals?"

Der Husar blickte ihn an, ohne zu begreifen.

"Der, der mich fing, mein Sohn, der schwaebelte naemlich ganz gehoerig, das
habe ich mir gemerkt! Nicht nur sein Saebel, auch sein Schwaebisch schlug
mir boes um die Ohren!"

Landeck kratzte sich hinter dem Ohr.

"Exzellenz," sagte er dann keck, "ob ich dazemal schwabbelte, ich weess es
nicht mehr! Das aber weess ich: ooch in Schlasien gab's dazemal Schwabben
die Masse - nich blossich in Preussen. Und es gibbt se halt noch, und aso
leechte wird se halt nich los, wer se hoat!"

Bluecher lachte.

"Gut geantwortet, mein Sohn", sagte er. "Sei's drum! Du bist mir der
Richtige! Du wirst heute mittag einen Loeffel Suppe bei mir essen! Und
nachher wollen wir miteinander auf den schwedischen Junker anstossen, den
du leben liessest! Den preussischen General koennen wir dann auch leben
lassen! Und nun, mein Herr Solofaenger, marsch auf deinen Platz! Und dass du
mir nicht noch einmal ohne Befehl aus der Reihe heraus reitest! Sonst
brummst du bei Wasser und Brot, und wenn du mich zehnmal gefangen
haettest!"

Gesagt - - der Schlesier warf sein Pferd herum und sass im naechsten
Augenblick wieder wie vorhin, unbeweglich wie eine Statue und salutierte
mit den anderen, dass die Sonnenblitze von den Saebeln nur so uebers Feld
zuengelten, als der neue Chef und Inhaber des Regiments, von seiner Suite
gefolgt, die Front abritt.





                                   7
                            VULKANS SCHMIEDE


Es war in Emmerich am Rhein.

Der General Bluecher hatte, wie gewoehnlich, seinen Abendspaziergang
gemacht, um bei seinem vertrauten Freunde, dem Obersten von Pletz, eine
Pfeife zu rauchen.

Sie sassen unter der Linde am Pfarrhofe, wo der Oberst in Quartier war,
schmauchten ihren Knaster in aller Ruhe und Gemuetlichkeit, labten sich
dann und wann aus den grossen Roemern mit Rheinwein, lauschten bisweilen auf
das Jauchzen der spielenden Dorfjugend und spannen dabei gemaechlich ihre
Unterhaltung weiter.

"Dein Glueck war's", sagte der Oberst schmunzelnd. "Du fingst schon an alt
zu werden."

"Da schlage der Donner drein!"

"Na, nun bist du ja wieder jung - nun sieht man dir wieder die siebzehn
Jahre an, trotz der grauen Schlaefen. Aber fast waer's schief gegangen!
Warst schon dicht dran, in die verkehrte Tonne zu springen!"

"Ins verkehrte Ehebett, sag's nur gerade heraus!"

"Nun ja! Viel hat nicht gefehlt, da waere es so verrueckt gekommen! Weisst du
noch, wie du brummtest und fluchtest, als du den Korb von deiner reichen
Witwe heimtrugst?"

"Halt's Maul!"

"Nun - der bist du ja gluecklich entgangen! Aber geflucht hast du! Und
gescheit hast du gesprochen - zum Kotzen gescheit - rein niedertraechtig
brav - von deinen armen Kindern, denen mit Gewalt eine Mutter besorgt
werden muesste, obwohl sie schon erwachsen waren! 'Opfern' wolltest du dich
-"

Der Oberst schlug auf den Tisch; er ereiferte sich immer mehr zum Ergoetzen
Bluechers.

"Man heiratet doch nicht wegen der Kinder, die man schon _hat_," schrie
er, "sondern wegen denen, die man erst kriegen will! Man nimmt eine Frau,
um selbst von ihr gepaeppelt und verhaetschelt zu werden, nicht aber damit
sie anderer Frauen Kinder bemuttern soll! Man fragt nicht nach dem
Geschaeft, zum Donnerwetter! Man heiratet entweder gar nicht, oder man
heiratet eine, in die man so verliebt ist, dass man es _doch_ tut!"

"Hab' ich das etwa nicht getan?" lachte Bluecher.

"Das ist es eben!" rief Pletz zum grossen Gaudium seines Gegenuebers. "Das
ist es gerade! Du haettest verdient, die alte Witwe heimzufuehren, und jetzt
hast du - ganz unverdienterweise hast du das grosse Los gezogen!"

"Trink, alter Brummbaer! Noergler du, hundsgemeiner! Auf die Frauen!"
Bluecher erhob sein Glas.

"Auf deine Frau!" antwortete der Oberst, trank aus und machte die
Nagelprobe. "Auf dein unverdientes Glueck!"

"Glueck wird eben nicht verdient!" sagte Bluecher und stellte sein Glas
fort. "Man hat's oder hat's nicht, je nachdem ob man es zu packen
versteht!"

"Nun ja - das konntest du meistens. Aber sonderbar ist es doch, dass du
gerade _sie_ - -"

"Nun ja, es _ist_ sonderbar. Und ich kann auch heute noch nicht begreifen,
wie so'n junges Ding, das meine Tochter sein koennte - wie sie mich so in
ihre Gewalt bekam, wie sie mich im Handumdrehen umkrempeln und zum
ordentlichen Menschen machen konnte!"

"Das wollen wir nicht hoffen! Das liegt dir nun gar nicht. Du bist und
bleibst schon derselbe Windhund, als den ich dich immer kannte, und daran
hat auch sie nichts aendern koennen. Aber sie gab ihre Jugend her, und das
verjuengt. Das ist der einzige wahre Jugendbrunnen fuer uns alte Leute. Ich
verstehe bloss nicht, wie du dazu kamst!"

"Ich auch nicht. Ich war eben zum Mittagessen in ihrem Vaterhause geladen.
Und sie sass mir gegenueber am Tisch. Das war alles! Anfangs sah ich sie
nicht und blickte kaum hin. Man hatte vorzuegliche Speisen und Weine
aufgetragen - ich hatte einen Mordshunger und hieb auf die Schuesseln ein,
wie sich's fuer einen rechten Husaren gehoert. Eben war ich dabei, den
Fluegel eines Kapauns abzunagen, und genoss es so recht von Herzen, da
blickte ich so aus Zufall auf und sah gerade in ein Paar grosse lachende
Augen. Ich sah ein Paar Lippen von feinsten geschwungenen Korallen, um die
es schelmisch zuckte, die aber verteufelt ernst wurden, als sie sich von
meinen Blicken beruehrt fuehlten. Mir wurde es auf einmal, als waere ich in
der Kirche, als woelbe sich ein himmelhoher gotischer Dom hoch ueber meinem
Haupte - als blicke vom Altar die heilige Mutter Gottes liebreich auf mich
Suender nieder. Ich wurde auf einmal so klein, alles, was mich bisher
erfuellt hatte, so nichtig! - Wie ein Verbrecher kam ich mir vor, der, von
gieriger Lust getrieben, eben im Begriff war, ihren Altar zu berauben! -
Vor boesem Gewissen vergingen mir Hunger und Durst - ich dachte an nichts
als nur daran: wie ich alles wieder gutmachen sollte! - Ich betete sie an
- nein, ich schwaermte, hol' mich der Teufel, ich glaube, ich hab's ihr
sogar gleich ins Gesicht gesagt und ihr auf der Stelle einen Antrag
gemacht! Was ich gesagt habe - wie ich's sagte, das wusste ich im naechsten
Augenblick nicht mehr, und heute noch weniger. Ich sah nur, wie man ihrer
Verlegenheit zu Hilfe zu kommen suchte und sie scherzhaft sofort meine
Braut nannte. Aber - wer aus dem Scherz schnell Ernst machte - das war
ich. Denn ich war verliebt wie des Kuesters Kater. Keine vier Wochen
dauerte es, dann war sie mein und die Hochzeit gefeiert!"

"So war's recht! Gleich die Festung stuermen! Nur keine lange Belagerung!"

"Ja, so hab' ich's immer gehalten: Immer gleich losschlagen, und nicht
erst lange kalkulieren! Wo wuerden wir hinkommen, wenn wir immer erst auf
Befehle warten sollten von Leuten, die sich's erst zehnmal ueberlegen und
dann noch nichts wagen! Wo alles auf dem Spiel steht - wo's das Leben
gilt, wo's darauf ankommt, die Sekunde auszunuetzen, da - hol' mich der
Deibel - wenn ich da nicht zuschlage! Wenn ich aber die zaghaften Kerls
sehe, die den Entschluss fuer das Ganze zu fassen haben, wie die sich erst
aengstlich nach allen Seiten nach Sicherung umgucken und darueber das feste
Ziel aus dem Auge verlieren, da wird mir bange um den naechsten Krieg. Die,
die vierundneunzig alles so brav vertroedelten, sie sind seitdem nicht
juenger geworden! - Und was an Jugend heranwuchs, kam meistens nicht auf
den rechten Platz. Auch nicht da ganz oben! Unser junger Herr -"

"Der wird noch gehoerig Lehrgeld zahlen muessen!"

"Und wir mit ihm. Es war ein Jammer, dass der zweite Friedrich Wilhelm so
frueh sterben musste!"

"Na, du hast ihm ja vieles zu verdanken. Aber der war auch kein
Draufgaenger -"

"Sage man, was man will, unter ihm wurde Preussen immerhin verdoppelt. Wir
koennten es auch jetzt gut haben, aber dazu gehoert vor allem da oben mehr
Wagemut, mehr jugendlicher Leichtsinn! Geradeheraus: dazu gehoert ein ganz
anderer Kerl!"

"Prinz Louis Ferdinand zum Beispiel?"

"Ja, das ist ein Kerl, der hat das rechte Zeug! Ein Held wie wenige, und
Glueck hat er auch! Wer so wie er die Kugeln verachtet, vor dem biegen sie
auch aus. Wenn der nur auf den rechten Platz kaeme!"

"Das wuerde dann schon zu spaet sein. Leute wie er verludern leicht, wenn
sie daneben geraten und sich immer nur ducken muessen!"

"Sage einmal," sagte der Oberst und klopfte seine Pfeife am Stiefelabsatz
aus, "ist das nicht deine Frau, die dort unten den Weg heraufkommt und dem
jungen Offizier an ihrer Seite so schoene Augen macht?"

Bluecher fuhr auf und blickte hin.

"Ja, das ist sie, und - alle Wetter!" - Er schnallte rasch den Saebelgurt
um und stuelpte die Muetze auf. "Wenn man den Teufel nennt, kommt er schon
gerennt. Auf Wiedersehen, Pletz, ich muss eilen! Wir haben hohen Besuch!"

Damit eilte er den Weg hinunter und den Kommenden entgegen.

Ein schoeneres Paar als die maedchenhafte, liebreizende junge Frau und den
stattlichen, schlanken, uebermuetigen jungen Offizier an ihrer Seite konnte
man kaum sehen. Lachend und scherzend gingen die zwei ihres Weges und
waren in ihre Unterhaltung so vertieft, dass sie Bluecher erst bemerkten,
als er vor ihnen stand.

"Koenigliche Hoheit hier in Emmerich?" fragte Bluecher salutierend.

"Wie Sie sehen", antwortete Prinz Louis Ferdinand, denn er war es. "Ich
benutze meine freie Zeit, um den Rhein hinunterzureisen, und habe nicht
die gute Gelegenheit versaeumen wollen, der Generalin Bluecher meine
Verehrung zu Fuessen zu legen. So habe ich auch das Vergnuegen, Sie zu sehen,
lieber General!"

"Das Vergnuegen ist ganz auf meiner Seite!" antwortete Bluecher, gab seiner
Frau den Arm und wandte sich wieder zum Prinzen.

"Hoheit reisen doch nicht mutterseelenallein?"

"Leider nicht! Fuer ein paar Stunden bin ich aber frei. Mein Adjutant ist
voraus, um Quartier zu bereiten und fuer morgen ein Schiff zu besorgen. Er
wird mich abends bei Ihnen abholen, solange muessen Sie mich schon
behalten."

"Wenn Hoheit nur vorliebnehmen wollen mit dem, was mein Haus -"

"Machen wir keine Redensarten! Es wird alles gut sein! Uebrigens, wenn
Sie's wissen wollen - nur zum Vergnuegen reise ich nicht den Rhein entlang.
Seitdem wir den dummen Luneviller Frieden haben und der Kaiser es so schoen
eingerichtet hat, dass alles drueben, auf der linken Rheinseite, nun
Frankreich sein soll, sehe ich mir ueberall am Fluss die Grenze daraufhin
an, wo wir's am besten anpacken koennen, wenn wir darangehen, sie wieder
nach Westen hin zu verruecken. Denn das kommt frueher oder spaeter!"

"Sicher!" sagte Bluecher. "Und hoffentlich recht bald. Denn wir brennen
alle darauf."

"Die drueben im Rheinland auch, nach allem, was ich gesehen habe. Unsere
ehemaligen Landsleute sind nicht zufrieden. Sie sind aber zu beneiden."

"Wieso denn?"

"Statt hundert Herren haben sie jetzt _eine_ Regierung - statt hundert
Landesgesetzen _eins_! Leibeigenschaft, Feudallasten, Kirchenzehnten,
Zunft- und Bannrechte sind sie los, Handel, Verkehr und Gewerbe sind frei,
die Gedanken auch! Kurz: die ganze neue Zeit, der wir uns so aengstlich
verschliessen, ist ihnen zuteil geworden."

"Dafuer muessen sie die Republik nach Belieben Rekruten ausheben lassen, und
zahlen Steuern bis ueber den Kirchturm. Dafuer muessen sie franzoesisch denken
und fuehlen und sich ihre deutsche Seele verwelschen lassen!"

"Das ist eben gut!"

"Der Teufel auch!"

"Denn je mehr sie leiden muessen, je mehr Hass sie gegen die Gewalthaber
aufbringen, die ihnen die neue Ordnung aufzwingen, um so eher haben wir
sie wieder. Und die neue Ordnung auch. Die haben wir bitter noetig. - Aber
leider koennen wir sie nur von draussen bekommen. Von selbst bringen wir
nicht die Entschlusskraft auf, das Alte und Ueberlebte abzustreifen. Sehen
Sie bloss auf die Armee hier und drueben. Was hat aus den lumpigen
'Ohnehosen' im Handumdrehen eine Armee gemacht, von deren Ruhm die ganze
Welt widerhallt? Was gab ihnen die Kraft? Sind sie etwa besser als wir?
Haben _sie_ die groessere Ausdauer, die besseren Knochen oder mehr Mut und
Tapferkeit und Todesverachtung?"

"Nein, zum Kuckuck!" rief Bluecher. "Den moechte ich sehen, der das zu
behaupten wagt!"

"Ich auch", sagte der Prinz. "Und doch sind sie uns voran. Weil sie das
Soeldnertum abgestreift und die allgemeine Wehrpflicht eingefuehrt haben.
Wie sieht's dagegen bei uns aus? Mannschaften, zum grossen Teil aus der
Hefe aller Welt aufgelesen, Gauner und lose Leute, die nur mit Gewalt und
entehrenden Strafen zusammengehalten werden, immer dem Volk fremd bleiben
und ihm feindlich gegenueberstehen muessen! Offiziere, die mehr Unternehmer
als Diener des Staates sind - die aus ihren Bataillonen und Regimentern
grosse Einnahmen herauswirtschaften wollen und das nur koennen, wenn ihre
Leute beurlaubt sind und sie ihre Loehnung in die eigene Tasche stecken
koennen. Die brauchen den Frieden wie das liebe Brot! Solchen Kriegern ist
der Krieg das groesste Unglueck. Wir koennen heilfroh sein, wenn wir keinen
ernsthaften Kampf zu bestehen haben werden, ehe diese Zustaende mit Stumpf
und Stiel ausgerottet sind. Und dazu koennen wir, Sie und ich, nichts tun,
als immer wieder die Stimme erheben - um _nicht_ gehoert zu werden. Die
Widerstaende sind zu gross. Wir haben, wenn nicht die Revolution, so doch
zum mindesten ein grosses Unglueck noetig, um diese Leute und Zustaende, die
nicht mehr taugen, fortzufegen!"

"Nee, nee!" rief Bluecher eifrig. "Wir brauchen keine Revolution, die alles
kaputt macht. Das Gute, was sich bewaehrt hat, muss bleiben - und viel Gutes
steckt in unserer Armee! Das Schlechte muss zum Teufel! Dazu haben wir bloss
ein paar richtige Kerls an richtiger Stelle noetig. - Ein paar Donnerkerls
am Kommando, mit klaren Augen und derben Faeusten, die zupacken koennen. Und
dann bloss ein bisschen mehr Entschlusskraft da oben! Das Weitere besorgt
schon die preussische Armee. Die nimmt's noch mit jedem auf. Noch hat sie
ihren alten Ruhm. Der wiegt mehr, als mancher hier zu Hause denkt - weit
mehr als der ganze welsche Kram. Sorgen Hoheit nur dafuer, dass wir nicht
immer mit Ketten am Fussgelenk marschieren muessen, dann ist auch kein
weiterer Grund zur Schwarzseherei. Ausser fuer den Franzmann!"

"Haette ich die Entscheidung," sagte der Prinz, und es blitzte in seinen
blauen Augen auf, "dann koennte es schon morgen losgehen. Darueber hatte ich
mich uebrigens schon mit Frau Gemahlin geeinigt", fuegte er hinzu, sie
galant ins Gespraech hineinziehend.

"Du willst doch nicht auch -?" drohte ihr Bluecher scherzhaft.

"Die Frau Generalin ist ganz fuer die Kriegspartei gewonnen, lieber
Bluecher. Da hilft Ihnen kein Straeuben!"

"Aber Malchen! Da haben wir am Ende schon den haeuslichen Krieg?"

"Hoffentlich!" lachte der Prinz. "In mir werden Frau Generalin jedenfalls
dabei einen stets kampfbereiten Bundesgenossen haben."

"Sieh nur, sieh nur! Der Bund waere denn wohl bereits geschlossen?" fragte
ihr Mann.

"Ja, sieh dich nur vor!" drohte sie. "Alle Tage schneien einem die
Maerchenprinzen nicht ins Haus!"

"Nun - ich nehme immer den Kampf auf!" lachte Bluecher. "Fahre du auf, was
du in Kueche und Keller an Munition hast - ein paar Batterien vom besten
Rheinwein lassen wir spielen -, wollen sehen, Koenigliche Hoheit, wer von
uns zuerst ins Gras beisst!"

"Topp!" sagte der Prinz.

Er kuesste leicht ihre Hand und empfing als Gegengabe einen dankbaren Blick.

Bluecher laechelte. Aber ein schlauer, hinterlistiger Zug zuckte irgendwo
hinter dem Schnauzbart, und seine Augen leuchteten hart auf wie beim
Jaeger, wenn er das Wild gestellt hat und das Gewehr anlegt.

"Hoheit haben sich wohl bei der Rheinfahrt auch die Entschaedigungen
angesehen, die wir diesseits des Flusses fuer Preussen herausholen werden,
fuer das, was uns der faule Friede drueben geraubt hat?" fragte Bluecher dann
im Weitergehen.

"Das war mit ein Hauptziel meiner Reise", antwortete der Prinz. "Und nur
um das zu verdecken, mache ich noch einen Abstecher ins Hollaendische
hinein. Ich spiele ja am Hofe die Rolle des ungebetenen Mahners, den man
nicht gern in der Naehe wissen moechte, wo grosse Entschluesse zu fassen sind!
Man hat mich gern ziehen sehen! Ich komme aber wieder. Und nachher sitze
ich den koeniglichen Kabinettsraeten, wie immer, feste im Nacken! Und mein
Vetter, der Koenig, wird auch keine Ruhe vor mir haben! Es steht aber auch
viel auf dem Spiel - es gilt, rasch zuzugreifen!"

"Das meine ich auch! Das Bistum Muenster ist wohl das wenigste, was wir
verlangen koennen, und dann -"

"Hannover", sagte der Prinz und senkte die Stimme. "Die Frucht ist laengst
reif. Wenn ich nur zu befehlen haette! Aber es sieht wieder aus, als wuerde
die gute Gelegenheit verpasst werden, wie schon sooft bei uns."

"Ein Wort nur," rief Bluecher, "und ich nehm's! Ich laure ja nur darauf!
Hannover muessen wir haben. Die Englaender koennen's nicht halten, und nehmen
wir's nicht, so nehmen's die Franzosen. Und die koennen wir nicht ein paar
Tagemaersche von Berlin gebrauchen!"

"Nein, das koennen wir nicht!" rief der Prinz. "Wenn Sie und ich und noch
ein paar solche Leute, die das und vieles andere einsehen, auch freie Hand
haetten, dann waere es im Handumdrehen besorgt! Aber bei uns geht alles nach
der Schablone! Was alt und verknoechert ist, sitzt oben und gebietet, nur
weil es von alters her Tradition war. Und Jugend und Wagemut muessen die
Zaehne zusammenbeissen und tatenlos beiseitestehen. Herrgottsakrament!"
platzte er mit einem Soldateneid heraus, ohne an die Anwesenheit der
jungen Frau zu denken. "Ich liebe die Franzosen nicht. Aber auf die Kerls
bin ich doch neidisch! Es war ja scheusslich, wie sie in den acht Jahren
der Revolution das Oberste zu unterst kehrten, wieviel Wertvolles und
Unersetzliches sie in Truemmer schlugen und im Sumpf und Blut erstickten.
Aber das hat manche tuechtige Kraft zum Wohl der Gesamtheit auf den rechten
Platz im Staate gestellt! Denken Sie nur an den Advokatensohn von Korsika,
der heute als Erster Konsul gebietet. Was hat er nicht in den paar Jahren
geleistet, seit wir zum erstenmal den Namen Bonaparte hoerten! Glauben Sie
aber nicht, _wir_, Bluecher, Sie und ich, haetten das Zeug zu gleich Grossem,
haetten wir nur die Gelegenheit?"

"Die Gelegenheit ist da, zum Greifen nahe! Sie war immer da! Nur wagt man
nicht, sie auszunuetzen! Man verwehrt uns das Losschlagen! Hier stehe ich
schon, Gott weiss wie lange, auf demselben Fleck in Emmerich auf Vorposten
und fluche und schmoeke meinen Knaster und blicke ueber den Rhein, ob nicht
der Franzmann mir bald den Gefallen tun wird, in Schussweite zu kommen!
Statt uebers Wasser zu setzen, in Frankreich hineinzumarschieren, den
Parisern _bon jour_ zu sagen und dem Herrn Bonaparte zu zeigen, dass
Preussen noch auf der Welt ist! Der haette dann anderes zu tun gehabt, als
ueber die Alpen zu kraxeln und sich bei Marengo billige oesterreichische
Lorbeeren zu kaufen! Dafuer haette ich gesorgt! Das kommt aber noch, und das
ist meine feste Ueberzeugung!"

Der Prinz antwortete nicht. Sie waren jetzt vor dem in einem Garten
gelegenen Wohnhause des Generals angekommen.

Der hohe Gast wurde durchs Haus gefuehrt, alle Raeume wurden ihm gezeigt -
auch die Wohnraeume der jungen Frau. Denn in einer Zeit, wo das schoene
Geschlecht noch im Bett zu empfangen pflegte, weil es die Sitte so gebot,
war ihr Allerheiligstes ein Raum, auf den jeder Gast, der nicht
unwillkommen erscheinen wollte, ein Anrecht hatte. Und der Prinz liess es
sich auch nicht nehmen, ihrem wohlverhaengten Bett seine Huldigung
darzubringen.

Die junge Frau am Arm, wanderte er so, von dem vorangehenden Hausherrn
geleitet, leicht plaudernd, von Raum zu Raum. Im Zimmer des Generals
bewunderte er mit Kennerblicken dessen reichhaltige Waffensammlung, liess
es zu, dass Bluecher, bei Vorzeigung seiner Schaetze, seine unvermeidliche
kurze Pfeife ansteckte, scherzte nur ueber den Qualm, den er produzierte,
und meinte, es kaeme ihm vor, als ob er in Vulkans Schmiede zu Gast waere,
um im Rauch und Qualm der unterirdischen Gewoelbe Waffen, Ruestungen und
andere kostbare Erzeugnisse seiner kunstfertigen Hand zu bewundern!

"Um so eher," sagte er, galant der jungen Frau die Hand kuessend, "da es
mir wie dem Kriegsgotte Mars ergeht, als er in der gleichen Lage war."

"Wie denn?" fragte die Generalin laechelnd.

"Ihm schwanden auf einmal die soeben angestaunten Schaetze. Das Gold verlor
seinen Glanz, die Edelsteine erloschen, die Blitze der blanken Waffen
trafen nicht mehr, sondern verpufften ihre Funken umsonst!- Alles
verblasste, denn aus dem innersten Gewoelbe trat ihm Vulkans hehrster Schatz
entgegen: die Goettin Venus selbst, lebendigen Leibes - und er war
geblendet."

"Aber - wie's scheint - doch nicht stumm!" lachte Bluecher und liess sich's
gefallen, dass sein Malchen, ihre Verlegenheit durch einen ploetzlichen
Hustenanfall verbergend, ihm die Pfeife aus dem Munde riss.

"Pfui, du verqualmst uns ja das ganze Haus! Kommen Sie, Hoheit - gehen wir
aus diesem Raum hinaus, wo er allein zu gebieten hat! - Ich fuehre Sie in
_mein_ Reich!"

Und sie zog ihn mit. Bluecher folgte. Und der Prinz, jetzt schon wie zu
Hause, forderte sie, draussen im Salon, auf, gleich den Tanzboden mit ihm
zu probieren.

Freudig willigte sie ein und liess sich von ihm die neueste Tour der
Gavotte zeigen, die man jetzt am Hofe der Koenigin Luise so gern zu tanzen
pflegte, damit sie nicht unwissend sei, wenn sie einmal zu Hofe kaeme!

Die Tour wurde durchgenommen - der Prinz sang die Melodie dazu. Und
Bluecher, der auch ein gewaltiger Taenzer war, wurde gleich Feuer und
Flamme, revanchierte sich sofort mit einem polnischen Tanz, den er beim
letzten Feldzug in Polen gelernt hatte, komplimentierte den Prinzen ans
Spinett, traellerte ihm selbst die Melodie vor, bis er sie spielen konnte,
und tanzte ihm dann mit seiner Frau einen feurigen Krakowiak vor, dass die
Dielen droehnten und die junge Frau nur so durch die Luft schwirrte. Im
Tanzen stand er noch seinen Mann.

Als der Prinz aber in voller Begeisterung ein wahres Feuerwerk von
Komplimenten ueber die junge Frau losliess, machte Bluecher dem rasch ein
Ende, schickte sie fort, um nach den Anordnungen fuer die Mahlzeit zu
sehen, und fuehrte seinen Gast solange durch den Garten.

"Zur Abkuehlung!" wie er nicht ohne einen Nebengeschmack von Ironie sagte.

Statt der schoenen Frau musste der gute Prinz also die Pferde des Generals
bewundern, die aber auch erstklassig waren und es gleichfalls verdienten,
vor einer Koeniglichen Hoheit Gnade zu finden. Bluecher versaeumte es nicht,
dabei in den Sattel zu steigen, um ihre Vorzuege recht anschaulich zu
machen, aber auch um zu zeigen, wie gut sie, trotz ihrer Wildheit, ihm
doch parierten, wenn auch sie, wie er nicht ohne Ironie beifuegte,
bisweilen mannstolle Spruenge versuchten.

Dann ging's durch den Garten, an den Fernblick ueber den Rhein, und zuletzt
um das Haus herum, wobei der Prinz sich genau nach allem erkundigte und
besonders von dem Efeu entzueckt schien, dessen armdicke Staemme sich an der
Wand emporschlaengelten, um mit dunklem Gruen die Fenster zu umrahmen. Er
zeigte hinauf nach dem Fenster der jungen Frau - denn wo das war, hatte er
gleich heraus - und fragte leicht, den Efeu mit der Hand pruefend
umfassend: "Daran klettern Sie wohl manchmal hinauf, Bluecher, wenn Sie's
eilig haben?"

"Das wohl nicht, Hoheit", lachte der General. "Denn ich pflege nicht den
Schluessel zu vergessen, wenn ich abends aus bin. Aber - zu machen waere es
wohl!"

Und gewandt wie ein Juengling, packte der hohe Fuenfziger den Stamm des
Efeus und kletterte halbwegs hinauf.

Da kam die junge Frau eben auf die Treppe heraus, um zu sagen, dass alles
zum Essen bereit sei, sah die lange Gestalt ihres Herrn und Gebieters
zwischen Himmel und Erde schweben und schrie leicht auf.

"Hat keine Gefahr, Malchen," rief Bluecher herunter, "mach' man ja kein
Geschrei!"

"Ihr Herr Gemahl ist ein liebenswuerdiger Hausherr!" lachte der Prinz. "Er
zeigt seinen Gaesten den naechsten Weg ins Allerheiligste!"

"Ich zeige hoechstens - wie sie herunterkommen, wenn sie den Kletterversuch
unternehmen!" bekam er zur Antwort, und Bluecher sauste herunter und zeigte
dann lachend seinem Gast den Weg in den Speisesaal.

Man nahm um den runden Tisch am offenen Fenster Platz, durch das man ueber
den Rhein hinausblicken konnte, liess sich die Gerichte der Frau Gemahlin
gut schmecken, begoss sie mit goldigem Rebensaft aus den Kellern des
Generals und war bald froh und guter Dinge.

Der General trank seinem hohen Gast zu und vergass auch nicht, ihm einen
Trinkspruch zu widmen, da er ja gern und ausgiebig zu reden pflegte und
man das also wohl von ihm erwarten mochte.

"Hoheit gestatten?" sagte er, seinen Roemer ergreifend.

"Ich erhebe mein Glas auf den alten, guten, preussischen Offensivgeist,
dessen glanzvollster jugendlicher Vertreter uns die Ehre antut, heute
unser Gast zu sein. Selten habe ich jenen Geist des Drauflosgehens mit
solcher Lust walten sehen, wie eines schoenen Julitages vor sechs Jahren -
bei Edesheim war es -, Hoheit wissen noch! Und selten wurde ich trotzdem
so enttaeuscht wie nach jenem Vorfall!

Meine braven Leute hatten sich den ganzen Tag wacker geschlagen und in den
Weinbergen einem an Menschen und Artillerie vielfach ueberlegenen Feind
standgehalten. Sie fingen schon an, muede und marode zu werden, und ich
musste schon zweifeln, ob sie bis zur Dunkelheit noch aushalten wuerden. Da
kam _soutien_! Ein paar frische Bataillone Infanterie, an ihrer Spitze ein
junger Offizier, mit dem ich sofort einig wurde, dem Feind gleich auf die
Pelle zu ruecken. Entschluss und Tat waren bei ihm eins. Kaum gesprochen,
war er sofort vom Pferd herunter und stuermte allein voran auf den Feind
los, der sich schon Sieger glaubte. Es war eine Augenweide zu sehen. Und
meine Roten saeumten auch nicht, einzugreifen, den Erfolg auszunuetzen und
alles zusammenzuhauen, was da kreuchte und fleuchte.

Da - kaum dass wir gesiegt hatten - kam der Befehl, zurueckzugehen, alles
war umsonst gewesen! Denn anderswo lief nicht derselbe Feuergeist an der
Spitze! Da hatten sich die Oesterreicher abdraengen lassen, und da half uns
kein Fluchen. Heute aber, wo jener junge Held mein Gast ist, heute moechte
ich mit ihm mein Glas darauf leeren, dass der Offensivgeist und die
Entschlussfreudigkeit, die uns beide damals beseelten, immer mehr massgebend
werden und nimmermehr in so schmachvolle Abhaengigkeit kommen moegen!"

Sie stiessen an und tranken. Der Prinz dankte, schlug aber ab, fuer seine
Person irgendeine Ehrung zu empfangen. Die gebuehre der Vertreterin des
schoenen Geschlechts. Er brachte dann auch _a tempo_ einen Trinkspruch auf
sie aus, so glutvoll und stuermisch, dass ihr das Blut in die Schlaefen trat,
und ihr Mann, um abzulenken, wieder das Wort nahm.

"Es ist ja zu verstehen," sagte er, ruhig laechelnd, "dass ein junger Mann
in seiner Huldigung der holden Weiblichkeit sich in Lobspruechen ihrer
koerperlichen und geistigen Vorzuege ergehen und den ganzen Wortschatz der
Galanterie aufbieten muss, um ihres Liebreizes Herr zu werden. Es gibt aber
Augenblicke, wo die Huldigung vor einer Frau _keine_ Worte findet - wo sie
uns, durch ihr blosses Dasein, derartig in den Staub vor ihrer Hoheit
zwingt, dass wir verstummen muessen. Wer einmal sein eigenes Kind an der
Brust der Mutter sah - wer erblicken durfte, wie es gesaettigt, still
daliegt, ihre Brust mit seiner kleinen Hand sanft streichelt und sie
dankbar anlaechelt, mit einem Blick voll tiefster Verehrung -, wer einmal
diese Weihe empfinden durfte -"

"Der scheint doch auch Worte dafuer zu finden", sagte der Prinz rasch, dem
General ins Wort fallend. Denn er wusste, dass dessen jetzige Ehe kinderlos
war, und sah einen Schatten ueber das Gesicht der jungen Frau huschen.

Ein dankbarer Blick aus ihren Augen lohnte es ihm.

Der General sah es und verstand wohl, wie sehr er sich in Nachteil gesetzt
hatte. Er liess sich aber nichts merken, schenkte die Glaeser voll, trank
seinem Gast zu, und so allmaehlich fing man wieder an, alles rosenrot zu
sehen, vergass alle wirklichen und eingebildeten Sorgen, lachte, scherzte
und freute sich wie ein Kind ueber jede Kleinigkeit. Und als die Sonne
schon im Westen sank und man sich anschickte, auf die Terrasse zu gehen,
um sie hinter den Huegeln drueben verschwinden zu sehen, da war's dem
Prinzen so gegangen, wie seinem Gastgeber selbst bei dem denkwuerdigen
Essen im Hause seiner nachmaligen Schwiegereltern - er hatte zu tief in
die grossen Augen der jungen Frau geblickt. Ihr Laecheln hatte es auch ihm
schon angetan. Und - als die letzten Strahlen der Sonne die leichten
Abendwolken zu vergolden anfingen und den Himmel in Brand setzten, da
loderte sein leicht entzuendbares Herz schon lichterloh. Er wurde blind und
taub, sah nicht die finsteren Blicke seines Gastgebers, hoerte nicht den
verhaltenen Unmut, der, trotz allen schuldigen Respekts, in seiner Stimme
zitterte.

Er fluesterte ihr zaertliche Worte zu, verliebte Blicke flogen hin und her.
- Denn die Maerchenprinzen waren nicht allzu haeufige Gaeste, und die gute
Erziehung gebietet Hoeflichkeit! Komplimente aus hohem Munde werden also
selten anders als mit dankbarer Ruehrung empfangen.

Kurz, der Prinz war auf dem besten Wege, seine kurz vorher so beredt
dargelegte Absicht auch praktisch zu bestaetigen, dass er's schon verstehen
wuerde eine Gelegenheit auszunuetzen - sobald er sie haette!

Schliesslich merkte die junge Frau an den Blicken ihres Mannes, dass sie das
Spiel zu weit hatte gehen lassen.

Schnell suchte sie der Unterhaltung eine andere Richtung zu geben und
erbat sich vom Prinzen die Gnade, sich an seiner weit und breit geruehmten
Fertigkeit im Klavierspiel ergoetzen zu duerfen.

Der Prinz, dem die Lebenslust schon weit erlesenere Freuden vorgaukelte,
sagte leicht seufzend zu, und man ging in den Salon. Er setzte sich ans
Spinett und liess sein Ungestuem ueber die Saiten dahinbrausen.

Die Spannung legte sich. Die fiebernde Unruhe wich aus den Gemuetern.
Langsam sanken die Menschenkinder aus den rosenroten Wolken, in denen sie
soeben hoch ueber allem Erdgebundenen geweilt hatten, zurueck zur
Alltagserde.

Der Prinz merkte es. Die Gelegenheit war nahe daran, ihm aus den Haenden zu
schluepfen. Das durfte nicht sein. Er schloss mitten im Stueck, sprang auf
und setzte sich der Generalin zu Fuessen.

"Hier ist der einzige Platz, von dem aus man Ihnen Ritterdienste widmen
darf!" sagte er feurig. "Ihnen zu Fuessen, Ihnen zu Ehren, Ihnen zuliebe
singen und dichten, um aus Ihrer Hand den Saengerpreis zu empfangen."

"Hoheit bringen mich in Verlegenheit!"

"Sie waren ebenso grausam, _mich_ in die groesste Verlegenheit zu bringen!
Denn so befangen war ich noch nie. Meine Haende spielten - mein Herz nicht!
- Mein Herz lag hier vor Ihnen im Staube - und hat mir meinen Platz
gezeigt! Hier habe ich wieder die Macht ueber mich gewonnen - hier singt
wieder alles in mir. Und wenn Sie befehlen, flechte ich aus meinen
Gefuehlen fuer Sie einen Kranz, ziere ihn mit Reimen und biete ihn Ihnen auf
den Knien als eine Gabe der Hochachtung dar. Genehmigen Sie's gnaedigst?"

"Sag' du ruhig ja, Malchen, geniere dich nicht und danke fuer die Gnade",
fiel ihm Bluecher in die Rede. "Dichtung ist Dichtung und hat mit der
Wirklichkeit nichts zu tun!"

"Sagen Sie das nicht, General", antwortete der Prinz. "Die Dichtung fuehrt
manchmal die Wirklichkeit herbei - auch wenn sie ihr noch nicht entnommen
werden koennte! Seien Sie nur nicht sicher!"

Er laechelte uebermuetig und trommelte dabei wie suchend einen Rhythmus auf
der Erde vor sich hin. "Hoeren Sie erst, und dann entscheiden Sie! Darf ich
anfangen?" wandte er sich an die junge Frau.

"Ich bitte darum, Hoheit!"

Der Prinz blickte verstohlen laechelnd zu Bluecher hin, wandte sich dann an
sie.

"Hier in Vulkans Schmiede kann man ja nur von Mars und Venus singen",
sagte er und fing an:

 "Mars, von Siegen uebersaettigt,
 kehrt in Venus' Liebesgarten
 ein, der Goettin aufzuwarten.
 Auf die Frage: Was berechtigt
 Ihn, hier einzudringen? gibt
 er die Antwort: weil er liebt
 - nach dem blutigen Entsetzen
 andrer Kaempfe - das Ergoetzen!

 Liebt zu sehn, wie kleine Fuesse
 kunstvoll sich im Tanze winden,
 Netze knuepfend, die ihn binden, -
 Fessel, die mit ganzer Suesse
 den Gefangenen bedrueckt,
 wonneschauernd ihn beglueckt,
 laesst in Liebesbanden schmachten
 ihn, den grossen Herrn der Schlachten!

 Amorinen, schnell geschaeftig,
 muehn sich um des Gottes Waffen,
 salben seine Glieder, schaffen
 Labung, deren er beduerftig,
 schnell herbei mit vielem Fleiss,
 bringen ihm den Siegespreis,
 winden um sein Haupt die Myrten,
 helfen alles loser guerten.

 So geruestet tritt der Heros
 an der Goettin Lager, - findet
 sie in Traenen. Klagend windet
 sich der zarte Leib, und Eros,
 sonst ihr Helfer, abseits steht,
 blind und taub, wie sie auch fleht,
 ihre Fessel schnell zu brechen,
 eilt nicht, ihre Schmach zu raechen.

 Mars, behende, packt mit schnellen
 Griffen zu, die Fesseln fallen,
 sausen durch die weiten Hallen,
 an den Felsen sie zerschellen.

 Ihrem Retter sittig dankt,
 sich erhebend, Venus, wankt
 auf ihn zu, reicht, lieblich floetend,
 ihm die Haende, sanft erroetend.

 Eros rasch nach seinen Pfeilen
 greift. Er zielt, und hinterruecklings
 trifft den Helden er - - -"

"Um Vergebung, Hoheit, wenn ich unterbreche", fiel ihm Bluecher hier
ploetzlich in die Rede.

"Bitte!" sagte der Prinz etwas nervoes und hoerte jaeh mit der Improvisation
auf. Auch die junge Frau schien nicht besonders erbaut von der Stoerung zu
sein.

Bluecher aber fuhr unentwegt fort:

"Ich wuerde mich schon sehr dafuer interessieren, zu hoeren, welchen
wunderbaren Reim Hoheit auf das haessliche Wort 'hinterruecklings' finden
wuerden -", sagte er.

"Warum haesslich?" warf der Prinz gestochen ein.

"Weil mir alles zuwider ist, was nicht offener Kampf Auge in Auge ist!
Aber davon wollte ich nicht reden! Ich wollte nur, ehe wir - im Gedicht -
so weit wie bis zur Untreue kommen, mir erlauben, an einen Umstand zu
erinnern -"

"Welchen?"

"Die holde Dame, Venus, hatte doch bekanntlich einen Gatten."

"Gewiss!"

"Dass er seinen Liebesgarten so schlecht bewachen wuerde, dass ihm der erste
beste Buschklepper ins Gehege fallen konnte, erscheint mir doch sonderbar!
Wo mag er wohl bei der Gelegenheit geweilt haben?"

"Was weiss ich? Nehmen wir an, er war damit beschaeftigt, dem Kriegsgott
Waffen zu schmieden!"

"Sehr wohl. Als alter Schmied seines Glueckes hatte er aber sicher gelernt,
sich nicht vom Laerm der Schmiede sein Gehoer so betaeuben zu lassen, dass er
nicht merkte, wenn fremde Voegel in seinem Neste Liebeslieder sangen."

"Ich denke auch nicht. Die Fabel belehrt uns ja darueber. Vulkan wartete,
bis er die beiden Verliebten _in flagranti_ ertappen konnte, fesselte sie
dann in einem kunstvoll geknuepften Netz und zeigte sie so aller Welt. Ob
auf ihre oder seine Kosten gelacht wurde, meldet die Fabel nicht. Ich
nehme aber das letztere an."

"Wenn er es so weit gehen liess, dass er ueberhaupt noetig hatte, seine
Geschicklichkeit im Knuepfen von Netzen zu zeigen, so verdiente er
allenfalls, ausgelacht zu werden", sagte Bluecher ruhig. "Ich haette diesen
Ehrgeiz nicht!"

"Von dir ist doch nicht die Rede", fiel die junge Frau ein, der es bei dem
Rededuell sonderbar zumute wurde.

"Hoffentlich nicht!" antwortete ihr Mann. "Von mir wuerde _in dem Sinne_
nicht die Rede sein koennen. Denn ich ziehe es fuer gewoehnlich vor,
vorzubeugen - _ohne_ mit meiner Geschicklichkeit darin zu prahlen. Ich
habe nur den Ehrgeiz, in der Sache selbst obzusiegen und lade nicht ein,
darueber zu lachen oder zu schwatzen."

"Sie sind eben sehr ruecksichtsvoll, lieber Bluecher", sagte der Prinz und
sprang von seinem Platz zu ihren Fuessen auf. "Mir scheint aber, mein Wagen
faehrt jetzt vor. Es wird Zeit, an den Aufbruch zu denken!"

Die beiden Gatten erhoben sich. Die Tuer oeffnete sich fuer den Adjutanten
des Prinzen, der sich zur Stelle meldete. Der Prinz kuesste galant die Hand
der Frau Generalin, nahm Saebel und Muetze von seinem Adjutanten entgegen
und wandte sich seinem Gastgeber zu.

"Fahren Sie ein Stueck mit, General, so plaudern wir noch ein wenig und
stechen bei mir eine Flasche aus?"

"Vielen Dank, Hoheit. Der Dienst ruft. Ich muss noch heute abend die Posten
inspizieren!"

"Nun denn, auf Wiedersehen!"

Noch ein Gruss der gnaedigen Frau, und er ging, von Bluecher bis an den Wagen
geleitet.

"Ich bringe Ihrer Frau noch eine Rose fuer das unterbrochene Gedicht!"
sagte er, indem er sich in den Wagen setzte. "Das wird meine Rache Ihnen
gegenueber sein, General! Es muss alles seine Ordnung und seinen gehoerigen
Abschluss haben!"

Lachend und gnaedigst gruessend fuhr er ab.

An einer Biegung des Weges, als sie schon ausser Sicht vom Hause des
Generals waren, liess der Prinz halten, sprang aus dem Wagen, befahl dem
Adjutanten, weiterzufahren und erklaerte, allein durch die Felder nach
Hause gehen zu wollen.

Der Wagen fuhr weiter, der Prinz streckte sich hinter einem dichten
Gebuesch aus und blickte hinaus in die blaue Sommernacht.

Vom Wege toente lauter Gesang einer Maennerstimme zu ihm herauf und das
Geraeusch von sich naehernden Schritten.

 "Wir haben ihn aufs Haupt geschlagen
 und taeten ihn aus dem Felde jagen,
 der Schimpf, der wird sich ma-achen.
 Mit Gottes Hilf' und unserm Schwert
 ihm teuer gemacht sein La-achen,
       ja Lachen."

Der Saenger war jetzt gerade vor ihm. Der Prinz erhob vorsichtig sein Haupt
und blickte auf den Weg hinunter.

Es war Bluecher.

Die kurze Pfeife im Mundwinkel blieb er, den Ruecken zugekehrt, einen
Augenblick stehen und blickte ueber den Fluss hinaus. Nahm dann die Pfeife
in die Hand und setzte den Weg fort, weitersingend.

 "Es gab ein blutig Retirad,
 dabei auch noch gar mancher hat
 sein jung frisch Leben verloren,
 den nun sein Muetterlein beweint,
 die ihn mit Schmerzen geboren,
       ja geboren."

"Inspiziere du ruhig deine Posten", sagte der Prinz halblaut. "Inzwischen
bringe ich mein unterbrochenes Gedicht zu Ende!"

Mit einem Sprung war er auf dem Weg, eilte schnell wie der Wind zurueck
nach dem im Halbdunkel liegenden Hause des Generals, riss eine der
schoensten Rosen an sich und schlich um das Haus herum nach der Seite, wo
er das Fenster der jungen Frau wusste.

Das Fenster stand offen.

Schnell entschlossen packte er den Stamm des Efeus und enterte hoch, die
Rose im Mund.

Eine Manneslaenge trennte ihn noch vom Fenster, da hoerte er unter sich ein
Fluchen und Wettern.

"Da schlage doch der Donner drein! Wer klettert mir da an der Wand.
Schockschwerenot, herunter oder -"

Es war Bluecher, der, von seltsamer Unruhe ergriffen, seine Inspektion
hatte fahren lassen und umgekehrt war.

Der Prinz fand sich sofort in die Situation, hielt sich mit einer Hand in
seiner schwebenden Lage fest, nahm mit der anderen die Rose aus dem Mund
und winkte.

"Seien Sie still, Bluecher, wecken Sie Ihre Frau nicht - ich will ihr nur
die versprochene Rose durchs Fenster werfen! Gnaedige Frau!" sagte er
entschuldigend zur Generalin, die jetzt am Fenster erschien. "Genehmigen
Sie huldvollst diesen duftenden Gruss als angemessenen Abschluss unseres
unterbrochenen Gedichtes!"

Noch ein paar Klimmzuege, und er war so weit oben, dass er die Rose
ueberreichen konnte. Die junge Frau nahm sie.

"Hierher die Rose!" kam es scharf von unten. Die Blume flog gehorsamst
Bluecher zu Fuessen. Fast ebenso schnell war auch der Prinz unten, stand
aufrecht vor ihm und blickte ihn herausfordernd an.

"So schnell geht's abwaerts, wenn ich dabei mitwirke!" sagte Bluecher, jetzt
vollkommen ruhig. "Darf ich bitten, die Rose!" Er reichte dem Prinzen die
Blume. "Sie hat sich als Wegweiser vortrefflich bewaehrt!"

Der Prinz machte eine abwehrende Handbewegung.

"Machen wir uns nicht laecherlich!"

"Ich sorge nur fuer mich", sagte Bluecher und steckte sich in aller
Seelenruhe die Rose ins Knopfloch.

"Guten Abend, General!" sagte der Prinz kurz, machte kehrt und verschwand
mit raschen Schritten in dem immer mehr zunehmenden Dunkel des Abends.

Bluecher wandte sich zu seiner Frau, die jetzt herauskam und ihre Hand auf
seinen Arm legte.

"Hier hast du die prinzliche Rose, Malchen", sagte er launig und steckte
sie ihr an den Busen. "Behalt' sie nur. Ich nehm's dir nicht krumm, wenn
dir ihr Duft ein wenig zu Kopfe steigt. So muss es ja sein: alles muss dir
zu Fuessen liegen, alles in dich verrueckt sein. Fuersten und Koenige muessen um
deine Gunst buhlen und ihre Knochen riskieren um einen Blick deiner Augen.
Nimm du's ruhig an. Dass sie dir nicht zu nahe kommen - _dafuer sorge ich
schon_, wie du siehst! In _dem_ Kriegshandwerk nehme ich's auch mit jedem
auf. Ich war selbst kein Kostveraechter, als ich jung war!"

Sie schlang ihre Arme um seinen Hals und blickte zu ihm auf.

"Du haettest das von dem Kinde nicht vor ihm sagen muessen", sagte sie leise
vorwurfsvoll.

"Werd' nur nicht sentimental, Malchen", sagte er und gab ihr einen
herzhaften Kuss. "Das steht dir nicht, und ich mag's nicht leiden. Meine
Tochter nehme ich jetzt ins Haus, da bist du nicht allein. Viel juenger wie
du ist sie nicht, ihr werdet euch gut anfreunden, denke ich! Und so kriege
ich sie von ihren Grosseltern fort. Die verziehen sie mir nur. Und ich kann
fuer meinen Tod nicht all diese welsche Erziehung der jungen Weiber leiden,
wie sie nur Franzoesisch parlieren und sich mythologisch vorschwaermen
lassen koennen.

Die Rike musst _du_ in Behandlung nehmen, Malchen, wenn sie kommt, und ihr
das Welsche gehoerig wieder austreiben! Versprich mir das! Und wenn sie
auch franzoesisch frisiert sein sollte, wofuer sie der Deibel holen soll, so
kaemm's ihr nur schleunigst aus! Kaemm's aus, Malchen, sonst lasse ich mich
von dir scheiden!"

Damit nahm er sie unter den Arm und ging mit ihr ins Haus hinein.





                                   8
                           "PRUeSKE DICKKOePPE"


Franz Joseph Gall, Anatom und Phrenolog, war auf seiner Rundreise durch
die groesseren Staedte Deutschlands auch nach Muenster gekommen, wo Bluecher,
nach der Besetzung des Muensterlandes, als preussischer Gouverneur
residierte.

Er las dort Glaeubigen und Unglaeubigen ein Kolleg ueber Dickschaedel,
Hohlschaedel und andere kraniologische Kuriosa vor. An der Hand eines
menschlichen Kraniums entwickelte er seine ebenso neue wie
aufsehenerregende Lehre, in der er es unternahm, nach der Gestaltung der
Schaedeldecke auf das Geistesvermoegen eines Menschen zu schliessen.

Das war im "Staate der Heiligen", wie Bluecher sie nannte, nichts denn ein
tollkuehnes Beginnen und ein Greuel vor dem Herrn! Zum Entsetzen aller
Strengglaeubigen unternahm der Herr Physikus ja nichts mehr und nichts
weniger als die Seele - die bis jetzt alleinige Domaene der heiligen Kirche
- zum Objekt einer profanen Wissenschaft erniedrigen zu wollen!

Man hatte sich wohl, durch die vor kurzem begonnenen Saekularisationen, an
vieles gewoehnen muessen! Man hatte gesehen, wie der Kirche Laendereien und
Viehherden entzogen worden waren! Man staunte ueber nichts mehr!

Aber eine Lehre, die die Decke eines ehrsamen Buergerschaedels und bisherige
bevorzugte Abladestelle kirchlichen Segens auf die Geheimnisse des
darunter gehorsamst schlafenden Seelenlebens untersuchen wollte - die
dessen Huegel und Talmulden zum Forschungsgebiet einer ganz gemeinen
Neugier erniedrigte und den Geist sozusagen mit den Fingern betasten
wollte, die ginge doch, und nicht nur figuerlich, ueber die Hutschnur!

Fuer Bluecher war die Phrenologie ein gefundenes Fressen und eine
Belustigung besonderer Art.

Als alter Husar hatte er wohl stets seinen Kopf fuer sich gehabt und sich
wenig darum gekuemmert, ob oder inwiefern er ins System der anderen
hineinpasste.

Als Gouverneur musste er ihn aber von Amts wegen taeglich mit so vielen
andersgearteten Querkoepfen karambolieren lassen, dass er freudig jeden
Versuch begruesste, eine Art Topographie des menschlichen Schaedelgelaendes zu
schaffen.

Es brachte immerhin ein bisschen Ordnung in die Sache hinein und wuerde am
Ende doch noch dazu beitragen, den amtlichen Geschaeftsgang zu
vereinfachen! Wenn der Herr Gouverneur sich auch nicht verhehlen konnte,
dass amtliche Konfusionen mit ueberfluessigen "Rueckfragen" und anderem
verfaenglichen Geschreibsel, als Ausfluss hoechster Beschraenktheit, durch
nichts mehr zu beschraenken seien! -

Immerhin verdiente der Versuch behoerdliche Beachtung!

Der Herr Gouverneur zaehlte also zu den eifrigsten und aufmerksamsten
Besuchern der Gallschen Vorlesungen, was in der guten Stiftsstadt sehr
bemerkt wurde und zu allerlei Vermutungen und Auslegungen Anlass gab.

Mit ehrfuerchtigem Staunen blickten die guten Muensterianer scheu zu seiner
hohen Gestalt hinueber, die, in der ersten Stuhlreihe sitzend, alle
ueberragte, und mindestens ebensosehr die Aufmerksamkeit auf sich zog wie
die ketzerischen Ausfuehrungen des gelahrten Herrn Physikus.

Weder das noch die wortlose Entruestung eines ehrsamen Auditoriums
entgingen seiner Aufmerksamkeit.

Mit liebkosender Schaerfe musterten seine Blicke die Sammlung erlesener
Schaedel, die sich hier ein Stelldichein gegeben hatten, wie um als
unfreiwillige Demonstrationsobjekte zu dienen. Seine Augen leuchteten vor
diebischer Freude auf, und es zuckte spitzbuebisch schlau um die Mundwinkel
hinter dem herabhaengenden Schnauzbart, wenn er einen besonders leckeren
"Ball" entdeckte.

Am haeufigsten schielte er zum Nachbar links hin, dessen kurze staemmige
Gestalt den geraden Gegensatz zu ihm selbst ausmachte. Wie Raubvoegel
umkreisten seine Adlerblicke den gewaltigen Kopf, aus dessen Gesicht,
unter buschigen Brauen, eine maechtige Hakennase gebietend hervorsprang.

Schmunzelnd wie ein Gourmet, dem sein Leibgericht aufgetragen wird, sass er
mausestill da, stellte aus naechster Naehe seine Untersuchungen an und
schien zu ganz merkwuerdigen Schluessen zu kommen. Indessen sein Opfer, in
Gedanken versunken, den Vorlesungen kaum zuzuhoeren schien und noch weniger
die Aufmerksamkeit beachtete, deren Gegenstand es war.

Endlich war der Anatomus mit seinen Ausfuehrungen zu Ende, nahm sein
Kranium unter den Arm, rollte sein Manuskript zusammen, verneigte sich
wuerdevoll, ging und liess sein kopfschuettelndes Auditorium sitzen.

Bluecher stand auf, und sein Nachbar ebenso, den er jetzt, im Stehen, um
Haupteslaenge ueberragte.

"Wissen Sie was, Baron?" fragte er laechelnd und strich seinen langen
Schnurrbart hoch. "Als der Physikus soeben den Totenschaedel aufhob, da
dachte ich: 'Nun geht das Kegelschieben los! Nun schmeisst er ihn nach den
anderen Koepfen!' Die wackelten auch schon bedenklich! Die waeren
durcheinandergekollert, dass es eine Lust waere! An seiner Stelle haette ich
den Wurf getan! So 'ne Sammlung Doeskoeppe war noch nicht da! Sehen Sie sie
nur an!" fluesterte er. "Ausschaun tun sie wie ein Haufen 'Marterln' von
allen moeglichen Stoppelfeldern hierherverpflanzt! Und statt der gewohnten
Kraehen und Dohlen schwirren ihnen lauter funkelnagelneue Gedanken um die
Koepfe, dass sie nicht mehr wissen, woran sie sind, und der Herr Physikus
noch weniger.

Keine Ahnung hat er - keine Ahnung! Was er da schwefelt, mag vor die
Franzosen gut genug sein, ihnen die Wuermer aus der Nase und das Geld aus
den Taschen zu ziehen - was ich uebrigens den Geizhaelsen goenne! Aber so'n
richtiger preussischer Dickkopp, wie ich einer bin, und Sie erst recht,
Baron, der wird nimmermehr zugeben, dass man den Schaedel erst befuehlen muss,
um zu wissen, ob einer lange Finger hat oder nicht. Der wird nicht sein
'Bekaempfungsvermoegen', wie die Ochsen, mit dem Schaedel dartun, sondern mit
blanken Hieben und derben Maulschellen, wenn's not tut. Und was das
'Eigentumsvermoegen' betrifft, das er auch vom Schaedel ablesen will - -"

"Da", lachte der Baron, "setzen Sie sich an den Spieltisch und verlieren
Sie und weisen es so - negativ nach!"

"Ich gewinne auch, mein Verehrtester, und nicht zu knapp! Und das liegt
bei den Karten und hat mit dem Schaedel nichts zu tun!"

"Soweit ich ihn verstanden habe," sagte der Baron, "gingen seine
Ausfuehrungen auch nicht so weit auf das Gebiet des praktischen Lebens ein.
Er wollte, meines Erachtens, nur rein theoretisch dartun, wie eine
geistige Faehigkeit mit den Hirnpartien, in denen sie ihren Sitz hat, ab-
oder zunimmt, und nachher durch die dadurch entstehenden Unebenheiten des
Schaedels nachzuweisen ist."

"Das ist eben falsch", sagte Bluecher bestimmt. "Die Erhoehungen des
Schaedels besagen gar nichts - bei den meisten Menschen jedenfalls nicht
mehr als: 'Hier ist beim gewoehnlichen Rindvieh der Platz fuer die Hoerner!'
- Da koennen Sie sich auf _mich_, als alten Landwirt, verlassen! Sehen Sie
sich nur in den Spiegel, Baron!"

Der Baron blickte ihn an.

"Ich moechte doch sehr bitten!" sagte er scharf.

"Sehen Sie sich nur in den Spiegel!" lachte Bluecher. "Nach den Theorien
Galls muessten Sie ein gutmuetiger, braver Spiesser sein - sanft, fromm und
nachgiebig - das Muster eines Familienvaters! Nach _meinen_ dagegen - und
ich verstehe etwas von Koeppen - ich habe mein Lebtag so ville eingeseift -
nach _meinen_ Theorien also, und wenn ich nicht wuesste, dass Sie der
Reichsfreiherr vom Stein sind und Oberpraesident der Westfaelischen
Domaenenkammer - da wuerde ich sagen: das ist ein Raufbold schlimmster
Sorte!"

"Um Gottes willen!"

"Oder zum mindesten ein geheimer Raubmoerder!"

"Das auch noch!"

"Gestehen Sie's nur, Sie haben so etwas auf dem Kerbholz!"

"Nicht einmal im Traum!"

"Sie werden doch unter Ihren reichsritterlichen Ahnen wenigstens einen von
der Sorte haben?"

"Kann schon sein!"

"Nun, sehen Sie! Da werden Sie von ihm ebensoviel geerbt haben, wie ich
von dem meinigen, und mit mir eines Sinnes sein und eine Schaedellehre
haben, und die ist nun die naemliche: wenn all die Dickkoeppe und Strohkoeppe
und Hohlkoeppe und Doeskoeppe und Schafskoeppe und Quasselkoeppe, von denen der
Schaedelgelehrte da nichts wusste, obwohl wir hier im Lande einen Ueberfluss
daran haben - wenn _die_ alle im Staate mitreden sollten, wie Sie es
wollen, oder sich gar zu einem Parlament zusammentun duerften, um Geschrei
und allerlei Konfusion zu machen - wie drueben in Paris -, das waere weit
schlimmer als eine allgemeine Kopflosigkeit! Da hilft nur _ein_ Mittel
dagegen, und das ist nun das naemliche, was die Jakobiner so gut zu
handhaben wussten, naemlich: die Guillotine! Aber auf die richtige Art
angewandt - an den Jakobinern selbst. Runter mit dem Salat, das hilft!
Nachher wird kein unnuetz Stroh gedroschen!"

"Der Meinung bin ich nun nicht!" antwortete der Baron energisch. "Es
schadet nicht, dass die Leute ihr Stroh dreschen, wenn sie nur mittun und
mitempfinden lernen. Nur wenn sie sich auch verantwortlich fuehlen, nur
dann wird das eingeschlafene Gefuehl der Zusammengehoerigkeit mit dem
Vaterland wieder wachgeruettelt. Und kein Fremder darf dann wagen, an
deutsche Gaue Hand legen zu wollen, wie er es jetzt wieder versucht!"

Sie waren inzwischen aus der Akademie herausgekommen und gingen langsam
durch die Strassen der alten Stadt nach Hause.

Auf dem Domhof kam ihnen eine goldstrotzende Prozession entgegen mit
wehenden Fahnen, Blumen und Weihrauch und der gesamten Geistlichkeit in
prachtvollen Gewaendern.

"Was nuetzt uns das Wachruetteln," sagte Bluecher, "wenn die da die Macht
haben, die Geister wieder einzuschlaefern?"

Der Freiherr zog seinen Hut, und Bluecher salutierte, bis die Prozession
vorbei war.

"Haben Sie gesehen, wie boes die Kerle mich anschielten?" fragte er dann
den Baron. "Die giften sich gewaltig, weil ich hier die Freimaurerloge
wieder aufgemacht habe. Een 'pruesken Windbuedel' - een 'lutherschen
Dickkopp' haben sie mich genannt. Der Windbuedel setzt ihnen aber noch ganz
was anderes als die Loge auf die Nase!"

"Da drueben haelt eine andere Prozession", sagte der Freiherr und zeigte auf
drei Soldaten, die einen gefangenen Deserteur transportierten und
ebenfalls von der Prozession aufgehalten worden waren. Sie blieben noch
stehen, um den General zu salutieren.

"Antreten! Melden!" rief Bluecher sogleich, als er sie sah. Und die Leute
kamen ueber die Strasse, gruessten ihn nochmals und gaben ihren Rapport ab.

Bluecher blickte den Gefangenen unwillig an. Er war ein junger, kraeftiger
Bursche. Die Haende waren ihm auf dem Ruecken gefesselt.

"Schaemst du dich nicht, Bursche?" rief Bluecher ihm zu. "Siehst, wie der
Franzos ueberall in der Welt haust und wie er seine langen Finger nach
immer mehr deutscher Erde ausstreckt - hast zwei kraeftige Arme zum
Dreschen und willst dich druecken, willst nicht helfen, deine Heimat von
den Schuften zu saeubern?! Abfuehren!" rief er, und die Leute salutierten
und zogen mit ihrem Gefangenen ab.

"Vaterlandsloser Gesell!" kam es noch verdriesslich aus dem Gehege seiner
Zaehne hervor.

"Das ist er wohl. Aber nicht durch eigene Schuld!" sagte Stein energisch.
"Und das duerfen Sie ihm darum auch nicht vorwerfen!"

"Das waere wohl auch!"

"Der, wie die meisten seinesgleichen, hat kein Vaterland! Der hat nur
einen Herrn, der von ihm moeglichst viel Steuern herauspresst und ihn
womoeglich noch zum Kriegsdienst aushebt. Und hat er nicht den einen Herrn,
so hat er den andern. _Wer_'s ist, ist ihm gleich - ob Preusse, ob
Franzose, was schert das ihn, wenn er ihn nur moeglichst wenig bedrueckt!
Das vaterlaendische Gefuehl ist eben ueberall bei uns im Aussterben. Ich
sagte es ja schon, und auch, wie es zu bessern waere, wenn nicht zu spaet
damit angefangen wird!"

"Ein Glueck, dass die Fahnenfluechtigen unter _meine_ Gerichtsbarkeit fallen!
Denn wenn Sie, Herr Praesident, ihn abzuurteilen haetten -"

"Ich wuerde in dem Falle versucht sein, Milde walten zu lassen - ich
gestehe es! Uebrigens werde ich bald hier nichts mehr zu richten haben!"

"Sie sind schon amtsmuede? Nach kaum zwei Jahren?"

"Das nicht! Man hat mich nach Berlin in die Regierung berufen. Ich soll
Minister werden."

"Und Sie? Haben Sie angenommen?"

"Ich habe - _bedingt_ angenommen. Ich moechte mir wohl die Gelegenheit
nicht entgehen lassen, zum Besten meines Vaterlandes taetig zu sein. Aber -
ich moechte sie auch gehoerig ausnutzen koennen!"

"Das traue ich Ihnen schon zu. Der Koenig liebt es aber nicht, wenn man ihm
Bedingungen stellt!"

"Ist mir gleich!"

"Was hat er denn geantwortet?"

"Er hat - _bedingt_ zugestimmt!"

"Das ist bei ihm schon viel! Mehr erreichen Sie sicher nicht!"

"Das genuegt mir aber nicht. Entweder ich bekomme die Befugnisse, die ich
brauche, um etwas leisten zu koennen, oder ich gebe mich mit dem ganzen
Kram nicht ab!"

"Was haben Sie denn verlangt?"

Der Freiherr blieb stehen, fasste Bluecher an einem Rockknopf und zwang ihn
so, auch stehenzubleiben. Ohne sich um die Blicke der Voruebergehenden zu
kuemmern, fing er dann an, seine Plaene zu entwickeln, durch die er dem
alten Schlendrian den Garaus zu machen gedachte und das alte Preussen von
Grund aus umgestalten wollte.

Erst den Beamtenkoerper neuordnen, die ganze Verwaltung vereinfachen, die
eigene Jurisdiktion und Finanzverwaltung der Provinzen aufheben und
einschlaegige Fachminister fuer das ganze Land einsetzen, so dem Reich den
fast foederativen Charakter nehmen und seine Teile zu einem Ganzen
verschmelzen - die Regierung vereinfachen; statt Generaldirektion und
Justizministerium und dem allein mit der Person des Koenigs verkehrenden
"Kabinettsministerium" ein Konseil einfuehren, dessen Mitglieder saemtlich
direkt mit dem Koenig verkehren koennten - dann durch Staedte- und
Landgemeindeordnungen Rechte und Pflichten der Buerger und der
Landbevoelkerung festlegen, ihnen Selbstverwaltung geben, das Gewerbe frei
machen, den Besitz ebenso, die Fessel des Handels beseitigen, die Armee
neuordnen auf Grund der allgemeinen Wehrpflicht, so dass das Werbesystem
abgeschafft wuerde und ein jeder es als eine Ehre statt als einen Zwang
empfaende, das Vaterland zu verteidigen. Zuletzt eine Volksvertretung
einsetzen, mit gesetzgebender Gewalt, die die Haushaltung des ganzen
Staates zu regeln haben wuerde - -"

"Das ist schlau von Ihnen, Baron, die Volksvertretung zuletzt zu nennen",
sagte Bluecher. "Ich hatte schon Angst, Sie wuerden damit den Anfang machen
wollen! Die Jakobiner und ihr Gequassel haetten wir sowieso frueh genug!
Wenn die bei Ihren Reformplaenen mitreden sollten - Sie wuerden sich
wundern, was dabei alles herauskaeme! - Sie wuerden Ihr eigenes Kind nicht
mehr wiedererkennen und all Ihre schoenen Plaene ins Wasser fallen sehen! Am
besten lassen Sie die Redebude ganz fahren. Die vertroedelt bloss die Zeit,
weiter nichts! Wozu denn! Machen Sie's lieber ganz allein! Machen Sie's
mit der koeniglichen Verordnung - die schafft's, wenn der richtige Mann sie
handhabt. Das sah man beim Alten Fritzen! Beschliessen - befehlen, und die
Sache ist da! Und ist sie gut und ist sie richtig gemacht, _dann erst_
lassen Sie die Leute reden, wenn's durchaus sein muss! Da aendert an einer
rechten Sache auch ein ganzes Parlament von Hohlkoepfen nichts!"

"Das Volk muss," sagte der Freiherr energisch, "und das ist das
allerwichtigste und davon gehe ich nicht ab - das Volk muss wissen, dass es
in seinen eigenen Lebensangelegenheiten mitzureden hat! - Es muss fuehlen,
dass es nicht nur dazu da ist, um ausgebeutet zu werden. So wie jetzt, ist
es ganz teilnahmlos. Wenn heute alles zugrunde ginge - es wuerde sich nicht
im geringsten dafuer interessieren. Denn der Staat ist sein Feind - oder er
ist ihm zum mindesten gleichgueltig! Das Volk empfindet nicht, dass es
selbst der Staat ist! Gelingt es nicht, ihm das zum Bewusstsein zu Dingen,
so sind wir als Staat verloren und als Volk erst recht."

"Verehrter Freund," antwortete Bluecher, "es kann sein, dass Sie recht
haben! Wir haben aber keine Zeit, kostspielige Versuche zu machen. Die
Welt brennt jetzt an allen Ecken und Enden - sollen wir da Kinder und
unerfahrene Leute mit dem Feuer spielen und unser eigenes Dach in Brand
setzen lassen? Was sagte ich vorhin - den reinen Verbrecherkopf, den
reinen Verbrecherkopf haben Sie!"

Stein lachte. Aber Bluecher fasste ihn beim Arm und zeigte auf den Turm der
Lambertikirche.

"Sehen Sie da hinauf", sagte er. "Da oben baumelten vor etlichen
Jahrhunderten - wie viele ist mir Wurst - zwischen Himmel und Erde, in den
drei eisernen Kaefigen, je ein solcher Neuerer wie Sie! Sie wissen: der
Schneidermeister und Koenig vom 'Neuen Zion', Johann von Leiden,
Knipperdolling, sein Kanzler und Henker, und Krechting - denn so hiess wohl
der Dritte im Bunde! Die hingen da, bis die Voegel des Himmels ihnen das
Fleisch von den Knochen gerissen hatten. Und das waren Leute, die auch -
in ihrer Weise - das Volk 'frei' machten, das Alte, Bewaehrte in Truemmer
schlugen, mit Feuer und Schwert vertilgten und 'das Neue Reich' auf dem
Schutthaufen aufrichteten. Vergessen Sie nicht: wir stehen hier auf dem
klassischen Boden solcher Revolutionen, mitten im ehemaligen Reiche der
Wiedertaeufer."

"Fuer blutige Revolutionen," sagte der Baron ruhig, "wie damals die der
Wiedertaeufer und heute die Franzoesische, ist hier bei uns kein dauernder
Boden. Die Methode fuehrt bei uns zu weiter nichts, als zu staerkster
Gegenwirkung. _Wir_ muessen das anders machen, wenn wir uns verbessern
wollen - und das moechte ich eben versuchen."

"Das tun Sie nur, Baron. Gehen Sie nach Berlin! Ich behielte Sie wohl am
liebsten hier, aber da sind Sie uns viel noetiger! Gehen Sie nach Berlin -
- seien Sie frech -!"

"Frech nicht, aber entschieden!" laechelte der Baron.

"Das ist bei mir ein und dieselbe Chose!" sagte Bluecher, nahm ihn beim Arm
und zog ihn weiter mit.

"Eins bitte ich nur aber aus", sagte er dann im Gehen. "Wenn Sie dabei
sind, alles neu zu machen - von der Armee lassen Sie die Finger! Die
besorgen wir vom Bau besser!"

"Ihr vom Bau haengt zu sehr am Althergebrachten, um Neuerungen die rechte
Unbefangenheit entgegenzubringen!"

"Man muss wohl, wie Sie, unabhaengiger Reichsritter gewesen sein, keine
Armee zu kommandieren und kein Land zu regieren gehabt haben, um beides
besser zu verstehen - nicht wahr?" lachte Bluecher.

"Ganz gewiss. Da behaelt man eben den Kopf frei, hat keine Scheuklappen vor
den Augen und ist an nichts gebunden als an sein gesundes, natuerliches
Urteil!"

"Sehen Sie - das gefaellt mir bei Ihnen, Baron! Aber trotzdem mag ich
nicht, dass die Zivilisten an der preussischen Armee herummaekeln! Es ist ja
viel daran zu bessern, das stimmt. Aber es steckt ein guter Kern darin,
der erhalten zu werden verdient -"

"Eben weil der Kern in der preussischen Volkskraft ruht", sagte der
Freiherr. "Aber nur _wir_ Eingeweihte empfinden das. Das Volk muesste sich
dessen auch bewusst werden, damit es an unserer Wehr mitschafft und so
seine Kraft verdoppelt!"

"Wer wuerde das nicht wuenschen? Sie wollen aber alles wegwerfen und von
Grund aus neu aufbauen."

"Auf _altem_ Grund neu - -"

"Das geht zu weit. Was gut und wertvoll ist vom alten Gemaeuer, das muessen
wir mit hinuebernehmen - wie unsere Vorfahren bei ihren Kirchenbauten. Die
fingen oft romanisch an - sehen Sie nur die alten Kirchen im Lande an -
und bauten ruhig gotisch weiter, sobald die Zeit es verlangte, und
schlugen so in _einem_ Bau Bruecken von Zeitalter zu Zeitalter. So eine
Bruecke ist unsere Armee. Werft sie ab - und drueben bleibt der Geist der
Ordnung, der Tapferkeit und des unbeugsamen Mutes, der sie immer
auszeichnete, und kann nicht zu uns herueber."

"Der braucht nicht herueberzukommen, denn er ist da, wie er immer in
unserem Volke da war. Er wird uns taeglich neu geboren!"

"Aber auch taeglich wieder totgeschlagen", erwiderte Bluecher ernst. "Und
das eben moechte ich vermieden wissen! Solch einen Totschlag am Geist der
Ordnung und Tapferkeit wollt ihr Herren vom Zivil eben begehen, wenn ihr
die Haende nach dem preussischen Heere ausstreckt! Ihr sollt mir aber die
preussische Armee nicht kaputt machen wollen. Ich habe mit in ihren Reihen
gekaempft im Siebenjaehrigen Kriege - ich war mit ihr in Polen, in den
Niederlanden, am Rhein Anno dreiundneunzig und vierundneunzig -, ich habe
gesehen, was der preussische Soldat kann, wenn die Fuehrung taugt. Ich
verstehe etwas von der Sache und weiss, solch eine Waffe wirft man nicht
ohne weiteres fort! Schwerenot! Wenn ich einen guten, scharfgeschliffenen
Saebel habe, der mir gut in der Hand liegt und mir vertraut ist, den werf'
ich nicht zum alten Eisen und hole mir einen neuen, der mir am Ende
weniger zusagt, sondern ich hau' feste zu! Aufs Dreinhauen kommt's heute
noch an wie immer! Der richtige Kerl muss nur da sein, der die Waffe der
Vaeter zu fuehren versteht, dann taugt sie auch!"

"Das weiss ich ebensogut wie Sie!" versetzte der Freiherr ein wenig
gereizt.

"Nun, was wollen Sie denn!" rief Bluecher nicht weniger heftig. "Wenn Sie
das wissen, da muessten Sie sich auch sagen, dass unsere Waffe nicht
verrosten kann! Da muessten Sie doch sehen, dass heute, wie immer, Leute
genug dabei sind, sie frisch zu polieren, den Geist und die Bildung beim
Offizier zu heben, das Untaugliche hinauszuwerfen und mit dem Schlendrian
reinen Tisch zu machen! Und auch, dass uns nichts fehlt als der Befehl zu
rascher Tat!"

"Das alles sehe ich wohl!" sagte der Baron. "Aber auch das viele
Ueberlebte, das leider Gottes die Macht hat, jede Entwicklung zum Besten
aufzuhalten. Da hilft nicht allein der Mann, der befehlen kann - denn was
nuetzen mir Befehle, wo der Gehorsam fehlt?! Der Geist, der sich
bereitwillig dem Ganzen unterordnet, der fehlt oben wie unten! Erst muss da
Wandel geschaffen - erst muss von Grund aus alles neu geordnet werden. Und
der Grund kann nur die allgemeine Wehrpflicht sein, die jedem Staatsbuerger
das Recht, aber auch die Ehrenpflicht gibt, das Land zu verteidigen, und
jede Anwerbung von auslaendischem Gesindel ausschliesst! _Da_ muessten die
Leute den Hebel ansetzen, die, wie Sie sagen, auch in der Armee dabei
sind, mit dem alten Schlendrian aufzuraeumen -"

"Am Ende haben sie's laengst getan!" rief Bluecher und blickte den Freiherrn
schalkhaft an. "Passen Sie nur auf, Baron! Sie werden noch von denen
ueberholt!"

"Das wuerde mich der Sache wegen freuen", antwortete Stein ruhig. "Nach
allem, was ich bis jetzt gesehen habe und nach dem, was ich zu meinem
Erstaunen soeben auch von Ihnen hoeren musste, glaube ich aber nicht recht
daran."

Bluecher laechelte.

"Sehen Sie sich nur die jungen Leute an, wenn Sie nach Berlin kommen! Da
werden Sie gleich am Hofe einen finden, der nach Ihrem Sinne ist - ein
junger Kerl, der beim Prinzen August Adjutant ist -, Clausewitz heisst er -
kein Windhund, leider, aber sonst ganz mein Fall! Ein Gesicht hat er, das
nach sehr gutem Rotspon aussieht - geht nicht aus sich heraus, ausser
wenn's eine Sache gilt, dann aber auch gehoerig! Den nehmen Sie sich vor!
Sagen Sie ihm weiter nichts als das eine Wort: 'Scharnhorst', da sollen
Sie sehen, wie er wie eine Pulvermine auffliegt und gleich Feuer und
Flamme ist. Auf den Scharnhorst schwoeren sie, all die jungen Leute, die er
bei der Kriegsschule ausgebildet hat. Und recht haben sie. Denn er taugt
was, er kann was, und er weiss, was er will. Aber ehe es so weit ist, dass
man allerhoechsten Ortes auf ihn hoert, da wird er wohl auch steinalt sein
und nichts mehr wollen koennen! Es ist leider Gottes nicht allen gegeben,
ihr Leben lang siebzehn Jahre alt zu bleiben."

"Deshalb sollen die, denen es gegeben wird," sagte der Baron mit Betonung,
"sich nicht dagegen straeuben, vorzugehen, wo es not tut!"

"Straeube ich mich etwa?" rief Bluecher lebhaft. "Wissen Sie, ob ich nicht
schon eine Denkschrift in der Sache fertig habe?"

"Bei Ihrer Aversion gegen alles Geschreibsel?" laechelte der Baron.

"Nun - wenn die Armee so heruntergekommen ist, wie Sie sagen, warum
sollten die Generaele dann nicht auch zur Feder greifen und Tinte
verspritzen statt Blut? Taugen wir weiter nichts - dazu taugen wir sicher!
Da stehen wir auch unseren Mann, besser als die meisten von den Herren
Diplomatikern!"

Und ohne die Entgegnung des Barons abzuwarten, zeigte er auf das Rathaus,
an dem sie jetzt vorbeigingen, und fragte ploetzlich:

"Waren Sie drin?"

"Wiederholt!"

"Haben Sie den Friedenssaal gesehen, wo der Westfaelische Friede gemacht
wurde?"

"Ich war drin!"

"Haben Sie sich die Bilder von all den Gesandten genau angesehen, die
jenen sauberen Frieden gemacht haben, deren Namen laengst vergessen sind?
Die haengen da mit Recht zur ewigen Schande der Zunft. Weil sie unser
armes, verwuestetes, entvoelkertes und ausgepluendertes Deutschland beim
Friedensschluss noch mehr zerstueckelten und dem Fremden verschacherten,
damit er es auf Jahrhunderte hinaus als Tummelplatz fuer seine Kriegsvoelker
gebrauchen konnte. Haben Sie sie gesehen?"

"Man zeigte sie mir!"

"Nun - haben Sie jemals so 'ne Sammlung Schafskoepfe beisammen gesehen?
Diplomatiker, wie nur wir sie noch heute haben - Schlauberger ihrer
eigenen Meinung nach, die so gut wissen, wie alles verkehrt gemacht werden
muss, nachdem die Welt sich verblutet hat! Und nachher muessen wir wiederum
bluten - weil die so ueberschlau waren, so saudumm zu sein! Sehen Sie sich
die noch einmal an! Und nachher gehen Sie nach Berlin, und lassen Sie sich
zum Minister machen! - Raeumen Sie mit dem Gesindel auf, rotten Sie's mit
Stumpf und Stiel aus! Da rennen Sie mit Ihrem harten Verbrecherschaedel das
ein, was zuerst herunter soll! Da haben Sie morsches Gemaeuer genug fuer
Ihren Bedarf! Kreuzelement, was die Leute bloss alles anrichten! Was die an
guten Gelegenheiten voruebergehen lassen - wie die uns allmaehlich von allen
Freunden trennen und die ganze Welt gegen uns aufbringen! - Weil das
Schlappschwaenze sind, muessen wir auch dafuer gelten! Ihretwegen wagt man
sich an uns heran! Da muesste schleunigst einer an die Spitze - ein ganzer
Kerl, der nichts versteht als nur das eine: die Wut loszulassen, die in
uns allen kocht, dass wir endlich einmal wie das heilige Donnerwetter
dreinsausen koennen und reinen Tisch machen! Wie wuerden wir dann in der
Welt dastehen! Ich muesste da vierundzwanzig Stunden zu befehlen haben!
Vierundzwanzig Stunden nur!"

"Ja, wenn Sie nur nicht zu jung waeren", sagte der Baron, ueber den Eifer
Bluechers schmunzelnd.

"Zu jung?! Sechzig durch!"

"Werden Sie erst siebzig - toben Sie sich erst aus! Sonst werden Sie uns
mit Ihrem jugendlichen Ungestuem alles kaputt machen, wenn Sie das Heft in
die Hand bekommen!"

"Davor brauchen Sie keine Angst zu haben. Man ist allerhoechsten Ortes
nicht so schlau, mich als Berater zu nehmen! Sonst wuerden wir nicht alle
Tage Sachen erleben, bei denen einem Dutzende von Laeusen ueber die Leber
kriechen! Schwerenot, wenn ich bloss an das Letzte denke, wie wir nun
gluecklich nach vielem Hin und Her die Franzosen doch in Hannover stehen
haben - alles, weil unsere klugen Herren da oben wieder so schlau waren
und so gerne moechten und doch nicht zuzugreifen wagten!
Himmeldonnerwetter, wie war's mir, als ich davon Wind bekam! Ich bin
kopfueber nach Berlin gereist, ich habe gefleht, ich habe geflucht - nichts
hat geholfen! 'Gehen Sie nach Muenster, General', war alles, was man mir
antwortete. 'Dort haben Sie Ihr Kommando!' Und ich ging - und - an der
hannoverschen Grenze in Diepholz, da empfingen mich schon franzoesische
Gendarmen und scharwenzelten und parlierten und machten die Honneurs, als
waeren sie dort zu Hause! Und Herr Mortier troff von Freundlichkeit und
falschem gallischen Gemuet ueber! Hol' ihn der Teufel! Wenn ich den nur
wieder herausschmeissen darf! Jetzt sieht's der Koenig schon ein! Jetzt
moechte er auch gern die Parlezvous wieder heraus haben! Aber statt mir den
Befehl zu geben, sie zum Teufel zu jagen, betraut er seine Diplomatiker
damit, und da wird's noch gute Weile haben. Die Leute muesste man dem
Physikus Gall in Behandlung geben. Der muesste ihnen die Schaedel ordentlich
befingern!"

"Ich moechte gern," sagte Stein und lachte in sich hinein, "ich moechte gern
wissen, was Sie sagen wuerden, wenn Sie, als ganz Unbeteiligter, Ihren
eigenen Kopf in die Finger bekaemen, um ihn auf seine Faehigkeiten zu
untersuchen! Ob Sie wohl wie ich denken wuerden?"

"Wie denn?"

"Lauter Gegensaetze! Schlau und gerissen - und ein Dickkopf erster Guete!
Feuer und Flamme fuer alles lebensfaehige Neue - und doch zaeh am
Althergebrachten festhaltend! Allen voranstuermend, wenn es eine Sache
gilt, aber mit einem Ungestuem, das Sie oft aus dem Sattel wirft! Pech im
Kleinen, Glueck im Grossen - nicht wahr, so wuerde die Rechnung lauten?"

"Wie sie lauten wuerde, weiss ich nicht. Das weiss ich aber: ich gaebe gern
meinen Kopf darum, dass da oben, auf der entscheidenden Stelle, der
richtige Kopf zwischen den richtigen Schultern saesse!"

Der Baron schwieg. Er blickte zum Residenzschloss auf, vor dem sie jetzt
standen und in dessen einem Fluegel er residierte, in dem anderen Bluecher.

"Hier trennen sich unsere Wege, General", sagte er. "Sie sind die militaere
Macht - ich die zivile. Wir wollen voneinander nichts wissen - wir wohnen
jeder in seinem eigenen Fluegel des gemeinsamen Baues. In der Mitte sind
die Raeume der Krone!"

"Und da," sagte Bluecher gallig, "da drin koennen Sie vor leeren Waenden
reden! Denn da wohnt fuer gewoehnlich - niemand! Statt einem, der einigend
ueber uns beiden steht und uns manchmal zu gemeinsamer Beratung zu sich
einlaedt - ein leerer Raum, der uns trennt!"

"Das stimmt", sagte der Baron. "Dafuer einigen wir uns aber - im
Kuechengarten! Den haben wir gemeinsam, trotz der getrennten Magen!"

"Die Jagd habe ich allein", nickte Bluecher.

"Und geben mir doch manchen Braten ab!"

"Nun, in der Magenfrage begegnen sich eben verstaendige Leute!"

Stein antwortete nicht. Er bueckte sich nur, nahm ein paar Fallaepfel auf
und reichte Bluecher einen.

"Da - beissen Sie in den sauren Apfel, General!"

"Det ist von Ihren Appelbaeumen, Baron! Drueben stehen meine - dort gibt's
saure Aepfel genug."

"Ich seh's! Ich werde mich auch nicht von Ihnen noetigen lassen - wenn wir
drueben bei Ihnen sind. Sie aber machen ein Gesicht, als waere ich die
Schlange im Paradiese!"

"Die stelle ich mir, aufrichtig gesagt, anders vor! Zum Suendenfall gehoert
uebrigens auch eine Eva. Ohne sie hat die Schlange im Paradiese keine
Bedeutung. Immerhin - geben Sie den Appel her! Ich bin keen
Kostveraechter!"

"Essen Sie ruhig - wenn er auch sauer sein sollte. Der Baum ist gut!"
sagte der Baron und biss selbst gierig in seinen Apfel hinein.

Den Mund voll, nickten sie einander zu und gingen so ein jeder in seinen
Fluegel des gemeinsamen Baues hinein - Bluecher lang, schlank und ruestig
ausschreitend -, Stein vierschroetig, breit und behaebig segelnd wie ein
weitbauchiger, vollbeladener Koff, dem keine Sturzwelle das Gleichgewicht
nehmen kann, der nicht stampft und schlingert oder zickzack kreuzt,
sondern, ohne auch nur einen Zoll auszubiegen, gerade auf das Ziel
zusteuert und wenn er darum auf Grund setzen muesste.

"Ein verfluchter Querkopf", brummte Bluecher, an dem freiherrlichen Apfel
kauend. "Ein kreuzverdammter, eigensinniger Dickschaedel! Hol' ihn der
Teufel! Aber ein ganzer Kerl! Der taete uns bitter not, da oben, in der
Konfusionsbude! Aber von der Armee soll er mir die Finger gefaelligst
lassen! Ja, _wenn der Kerl nur nicht recht haette_! Aber so! Und so'n
Zivilist! Das geht nicht! Das geht im Leben nicht! Da muessen wir sehen,
ihm beizeiten das Wasser abzugraben!"

Und schmunzelnd, als plante er wieder einen rechten Husarenstreich, riss er
die Tuer seines Dienstzimmers auf und stuermte hinein.

"Schumann!" rief er sein Faktotum mit Donnerstimme. "Schumann, alte
Schreiberseele, bring' mir Tinte und Papier! Heute sollst du deine Freude
an mir haben! Heute sollst du etwas erleben! Nee - keene Briefbogen -
Kanzleipapier! Jawoll! Oogen machste?! Schneid' mir den Gaensekiel zurecht
und glotz' nicht! Weh, wenn er kratzt oder gar spritzt! So! Her mit dem
Mordinstrument! Kehrt! Marsch! Himmeldonnerwetter, Kerl! Feixt der auch
noch?! Raus!"

Und der alte Wachtmeister Schumann, der sonst die ganze verpoente
Schreibarbeit allein besorgen musste, eilte still in sich hineinlachend
hinaus, nachdem er dem General alles Verlangte zurechtgelegt hatte.
Bluecher nahm den Federkiel, kratzte sich bedaechtig damit hinters Ohr,
stiess ihn ins Tintenfass, rueckte einen Bogen Papier zurecht, setzte an und
ritzte in seiner scharfen, eckigen Handschrift Zeile um Zeile nieder.

Zuerst, wie sich's gebuehrt, den Titel:

"Gedanken ueber Formulierung einer deutschen Nationalarmee."

"_Die_ Gedanken habe ich zu haben und die anderen Offiziers auch!" brummte
er im Schreiben. "Aber so'n Quasselkopp von einem Diplomatiker! So'n
Satanskerl! Wie kann er nur auf den rebellischen Gedanken kommen, da
mitplaerren zu wollen? So'n Kerl, der nicht einmal in sein eigenes System
hineinpasst! - So'n Reichsfreiherr, der keinem untertan war und keinen
Herrn hatte! Der und Rebellion! Und gar eine unblutige! Ich werde ihm
schon zeigen, wie das gemacht wird!"

In kurzen, knappen Saetzen und in der merkwuerdigsten Orthographie von der
Welt legte er dann seine Anschauung nieder, wie er sich die allgemeine
Wehrpflicht dachte, verlangte eine kuerzere Dienstzeit, groessere Loehnung,
bessere Behandlung der Soldaten - -

"Mir wird ganz fade im Hals von all dem ekelhaften Geschleime!" brummte er
dabei, als er bei der "besseren Behandlung" anlangte, rauchte dabei wie
ein Schornstein, spuckte, fluchte, kratzte sich den Kopf und stampfte auf
den Boden.

"Wie 'ne Fastnachtspredigt schaut's aus! Verdamm' mich, sobald einer mit
Tinte schreibt, statt mit Blut, wie's sein soll - da ist's aus - da - hol'
mich der Teufel - ich glaube, da waechst mir schon der Heiligenschein zum
Kopfe 'raus!"

Er flog auf und packte seinen Kopf mit beiden Haenden.

"Ich reisse dich noch los und fange mit dir das Kegelschieben an! Ich werfe
noch 'alle neune' mit dir, schmeisse dich dem Koenig mitten in die Visage,
dass er umfaellt und det ganze Bataillon mit - det ganze Bataillon! Aber
Schreiben - dazu bringst du mich nicht nochmals, oller Doeskopp!"

Er lachte laut auf - rief schleunigst seinen getreuen Wachtmeister
Schumann wieder herbei, drueckte ihn auf den Stuhl und steckte ihm den
Gaensekiel in die Hand.

"So," sagte er, "mach' du das Gekritzel fertig, mein Sohn! Aber aufgepasst,
dass du mir kein X fuer ein U machst! Det besorge ick alleene! Vorwaerts!"

Und mit grossen Schritten ging er auf und ab und diktierte, und Schumann
bemuehte sich nach Kraeften, gleichen Schritt mit ihm zu halten beim Sturm
auf den alten Schlendrian.





                                   9
                                  JENA


Es war bei der Auffuehrung von Wallensteins Lager im Koeniglichen Theater zu
Berlin.

Auf der Buehne stimmte der Kuerassier sein Lied an:

 "Wohlauf, Kameraden, aufs Pferd, aufs Pferd!
 Ins Feld, in die Freiheit gezogen!
 Im Felde, da ist der Mann noch was wert,
 da wird das Herz noch gewogen!
 Da tritt kein anderer fuer ihn ein!
 Auf sich selber steht er da ganz allein!"

So sang er, und die umstehenden Kameraden stimmten mit vorschriftsmaessiger
Begeisterung ein! Gegen Sitte und Brauch liessen sich aber auch aus dem
hintersten Parkett etliche ruestige Maennerstimmen hoeren, die mit Nachdruck
und Ueberzeugung den Kehrreim ueber die Koepfe der ahnungslosen Zuschauer
herausbruellten.

Es waren Leute vom Unterbefehl des Kuerassierregiments Gensd'armes, dessen
Offiziere heute aussergewoehnlich zahlreich anwesend waren und Logen und
Raenge fuellten.

Sie wurden Feuer und Flamme bei den frischen Soldatenszenen des beliebten
Schillerschen Stueckes, beneideten die Musketiere, Jaeger und Kuerassiere auf
der Buehne und lebten in Gedanken das lustige Lagerleben mit, das so grell
vom heutigen Kasernengetriebe abstach. Sie sangen mit und machten ihrem
Herzen Luft. Das Publikum horchte auf. Kein Ton des Missfallens wurde laut,
und das gab den noch Zaghaften unter den Marssoehnen Mut. Beim naechsten
Vers stimmte schon das ganze hintere Parkett in den Kehrreim ein:

 "Der dem Tod ins Angesicht schauen kann,
 der Soldat allein ist der freie Mann!"

So sangen sie mit, dass es im Hause droehnte. Und die eleganten Damen in den
Logen und Raengen blickten zu den jungen Offizieren hinueber, ihre Augen
gluehten, ihr Atem ging schneller; hin und her wogte es warm von Sinn zu
Sinn! Und als der dritte Vers stieg, da schlossen sie die Augen und sogen
begierig durch halboffene Lippen den Odem ein, der heiss ueber sie
hinbrauste, als ueberall im Theater die jungen Krieger einstimmten und das
Lied laut in den Saal hinausschmetterten:

 "Der Reiter und sein geschwindes Ross,
 sie sind gefuerchtete Gaeste.
 Es flimmern die Lampen im Hochzeitsschloss,
 ungeladen kommt er zum Feste.
 Er wirbt nicht lange, er zeigt nicht Gold,
 im Sturm erringt er den Minnesold!"

Als aber auf der Buehne die Soldaten sich die Haende gaben, einen grossen
Kreis bildeten und gemeinsam die Schlussstrophe anstimmten, in die das Lied
wie in einem grossen erhebenden Aufschrei ausklingt, da hielt nichts mehr
das angefeuerte Publikum zurueck.

Die Aufregung, in der man gelebt hatte, seit der letzte Uebergriff der
Franzosen bekannt geworden war - die Entruestung ueber sein freches
Unterfangen, preussische Gebiete zu besetzen und seine eigenen, vertraglich
festgelegten Zugestaendnisse an Preussen zu ignorieren -, der ganze
beleidigte Nationalstolz, der auf einmal erwacht war, musste Luft haben,
musste sich ausschreien und austoben, irgendwo und irgendwie! Und da war
das Schillersche Soldatenstueck mit seinem frisch pulsierenden Blut und
seinem heissen, vorwaertsstuermenden Atem wie geschaffen dazu, die Kinder des
kuehlen Nordens in rauschende Begeisterung zu versetzen. Im Taumel der
Gefuehle erhob sich das ganze Haus von den Plaetzen, die jungen Offiziere
eilten an die Bruestung, zueckten die Schwerter, liessen die Klingen im Takt
mit dem Gesang aufeinanderschlagen und sangen mit, von dem uebrigen
Publikum durch Zurufe und Winke mit den Tuechern angefeuert.

 "Drum frisch, Kameraden, den Rappen gezaeunt,
 die Brust im Gefechte gelueftet!
 Die Jugend brauset, das Leben schaeumt!
 Frisch auf! Eh der Geist noch verdueftet.
 Und setzt ihr nicht das Leben ein,
 nie wird euch das Leben gewonnen sein!"

 "Und setzt ihr nicht das Leben ein,
 nie wird euch das Leben gewonnen sein!"

So sang das ganze Haus mit, und der Vorhang fiel und erhob sich immer
wieder vor nie enden wollenden Beifallsstuermen. Das Tuecherschwenken und
Winken galt aber den Soldaten draussen im Theater noch mehr, als denen auf
der Buehne. Und als ein junger Offizier an die Bruestung trat und den Koenig
hochleben liess, da stimmte alles begeistert ein, und es dauerte geraume
Zeit, ehe sich das Haus leerte.

Vor dem Theater aber staute sich die Masse der draussen Wartenden mit dem
durch die vielen Ausgaenge herausstroemenden Publikum zu einem
undurchdringlichen Knaeuel, in dessen Mitte sich allmaehlich die Offiziere
als fester Kern zusammenfanden.

Ein junger Brausekopf sprang auf die Freitreppe hinauf und hielt eine
feurige Rede, in der er in derber Soldatenweise dartat, wie sehr es an der
Zeit waere, dass die Jugend jetzt das Heft in die Hand naehme und gutmachte,
was das Alter aus Bequemlichkeit und Zaghaftigkeit gesuendigt haette!
Endlich wollte man den Franzosen zeigen, dass Preussen noch da sei und in
der Welt mitzureden habe! Mit dem feigen Zurueckweichen vor welscher
Anmassung habe es jetzt sein Bewenden! Das Schwert muesse jetzt gutmachen,
was die Feder unfaehiger Staatsmaenner gesuendigt! Die Tage der Schmach
haetten jetzt ein Ende, und ein Hundsfott waere, wer sich da noch feige um
die Pflicht herumdruecke, Leben und Blut fuer die beleidigte Nationalehre
einzusetzen, oder wer gar noch daran daechte, den Franzosen die Hand zur
Versoehnung zu bieten! -

"Nieder mit den Franzosen!" schrien sie alle. "Nach der Botschaft! Nach
der franzoesischen Botschaft!"

Wie von einem Gedanken getrieben, stuerzten sie vorwaerts, lehnten sich mit
unwiderstehlicher Gewalt eine Gasse durch die angesammelte Menschenmenge
und eilten, die gezueckten Waffen ueber den Koepfen schwingend, auf das Haus
der franzoesischen Botschaft zu. Und hinter ihnen her waelzte sich eine
tausendkoepfige Masse, schreiend, tobend, jauchzend, johlend und alles was
lebte und ihr in den Weg kam, vor sich herfegend.

Das Haus der Botschaft lag in tiefem Dunkel. Als die schreiende Menge, die
jungen Offiziere mit den blitzenden Waffen voran, auf das Haus zustuermte
und den ganzen Platz davor fuellte - da huschten rasch ein paar Schatten
auf den Balkon hinaus und bogen sich ueber das Gelaender, blickten herab und
zogen sich dann schnell zurueck.

Kein Schlag gegen das Haustor droehnte, kein Zeichen von Gewalt war zu
bemerken. Einzig ein schneidendes, kreischendes Geraeusch, wie wenn
Hunderte von Schleifsteinen gleichzeitig gegen harten Stahl gestrichen
werden, war alles, was die oben atemlos Lauschenden von unten vernahmen,
und dann die Stille, in die das wueste Laermen allmaehlich ueberging.

Wieder huschten sie vor und blickten hinunter.

Da an der Treppe knieten die jungen Offiziere Mann an Mann und wetzten
ihre Saebel an den steinernen Stufen vom Hause Frankreichs.

Als sie fertig waren, sprangen sie auf, schwangen wieder einmal drohend
ihre Waffen gegen die franzoesische Fahne da oben am Mast und riefen wie
aus einem Munde:

"Hie Preussen allewege! Tod den Franzosen!"

Und jubelnd stimmte die tausendkoepfige Menge in den Ruf ein:

"Tod den Franzosen!"

Niemand antwortete von den oben Harrenden! Aber die dreifarbige Fahne
flatterte stolz und breitete und blaehte sich im Winde.

                                   *

Koenig Friedrich Wilhelm III., lang, robust und soldatisch steif, ging mit
ungelenken Bewegungen in seinem Arbeitszimmer auf und ab. Er schien
aergerlich ueber irgendeine Begebenheit, von der er ueberrascht worden war,
und die ihn jaeh vor die Notwendigkeit stellte, einen Entschluss zu fassen.
Am liebsten ueberliess er das seinen Ministern, weniger aus Bequemlichkeit,
als aus uebergrosser Bescheidenheit und einer jugendlichen Befangenheit, die
ihn, trotz seiner siebenunddreissig Jahre, noch beherrschte.

Jetzt aber galt es, durch einen persoenlichen Akt die Wuerde seiner Stellung
zu wahren und mit einer Kundgebung seines Willens dem Geist der
Beunruhigung entgegenzutreten, den die jungen Offiziere durch ihre
disziplinwidrige Kundgebung entfesselt hatten!

Die Revolte gegen die koenigliche Autoritaet - denn nur so fasste sie der
Koenig auf - musste schnell im Keime erstickt werden, ehe sie von Berlin auf
das uebrige Land uebergreifen konnte!

Den Kopf steifnackig in den hohen, goldgestickten Kragen zurueckgedrueckt -
das reiche blonde Haar aus der Stirn nach der Seite gestrichen - die
vollen Lippen vom kurzen Schnurrbart maessig beschattet - die Wangen vom
Backenbart eng umrahmt - die Augen trueb melancholisch blickend, so schritt
er bedaechtig einmal durchs Zimmer und dann noch einmal - blieb vor dem
Arbeitstisch stehen und blickte zum Kabinettsrat Beyme hinueber, der mit
devoter Haltung, in gemessener Entfernung vom allerhoechsten Schreibtisch,
das Resultat der koeniglichen Erwaegungen abwartete.

Ein Zucken durchfuhr die kleine dicke Gestalt, als er die Augen des Koenigs
auf sich gerichtet fand. Beflissen streckte er den Kopf vor, nahm die
Hacken zusammen, dass seine krummen Beine ein erstauntes O bildeten; seine
kohlschwarzen Augen quollen achtunggebend aus ihren Hoehlen hervor, bereit,
dem gnaedigen Herrn und Gebieter jeden Wunsch vom Gesichte abzulesen und
ihn so der Muehe zu ueberheben, ihm Worte zu verleihen.

Der Koenig sah es, liess die Finger seiner Rechten einen zaghaften Appell
auf der Tischdecke trommeln, blickte dann steif vor sich hin, ohne Beyme
anzusehen, und sagte mit sichtbarer Muehe:

"Junge Offiziers massregeln! Beispiel statuieren! Widersetzlichkeit
ausrotten! Haben Befehle gegeben! Er, Beyme, hat fuer strikte Durchfuehrung
und fuer Beruhigung der Stadt zu sorgen!"

Der Kabinettsrat verbeugte sich schweigend.

Der Koenig wartete, um irgendein Wort der Entgegnung von seinem Getreuen zu
hoeren, nahm dann ein bereitliegendes Dokument vom Tisch und reichte es
ihm, sichtlich dadurch belaestigt, allein reden zu muessen.

"Lesen!" befahl er.

Schnell wie ein Wiesel eilte der Kabinettsrat auf seinen krummen Beinen
vor, nahm mit tiefer Verbeugung das Papier entgegen, hielt es dicht ans
Gesicht und rollte mit seinen Blicken geschwind die Tintenspuren bis zu
den Unterschriften ab.

Dort blieben sie haengen, unter emporgezogenen Brauen, waehrend die Lippen
sich muehten, den erstaunten Kreis der Beine nachzubilden.

"Nun?" fragte der Koenig ungeduldig, endlich eine andere Stimme zu hoeren.

Beyme liess das Dokument bis zur Hoehe seines Bauches sinken, zuckte fast
unmerklich mit den Schultern, wiegte den Kopf einmal nach rechts, dann
einmal nach links, tat die Lippen auf - schloss sie aber wieder, senkte die
Blicke und blieb stumm stehen, mit der Miene der verkannten Unschuld.

"Man verlangt von Uns seine Entlassung, Beyme!" sagte der Koenig
ungeduldig, da er immer noch keine Antwort bekam.

Beyme blickte auf mit einem ruehrenden Augenaufschlag, seufzte aus der
Tiefe eines gekraenkten Herzens und senkte die Blicke wieder, so
alleruntertaenigst andeutend, dass er sich in das Unabwendbare finden wuerde,
wenn's sein muesste. Aber er erwiderte keine Silbe.

"Den Kabinettsrat Lombard sollen Wir auch fortschicken - Unseren Minister
Haugwitz auch! Sage Er doch seine Meinung!"

"Majestaet!" sagte der Angeredete mit einem gequaelten Seufzer. "Dero
alleruntertaenigstem Knecht wuerde es wenig ziemen, irgendeine Meinung ueber
ein Dokument zu verlautbaren, unter dem die erlauchten Namen fuenfer
Prinzen des koeniglichen Hauses stehen - der beiden Prinzen Brueder, des
Prinzen Oranien Hoheit sowie der Prinzen Louis Ferdinand und August!"

"Da stehen auch andere Namen!"

"Namen von Maennern, die sich des allerhoechsten Vertrauens erfreuen duerfen,
als welche die Generaele Ruechel und Pfuhl wohl zu bezeichnen sind, und auch
seine Exzellenz der Finanzminister Freiherr vom Stein -"

"Seine Unterschrift ist Uns allein hier massgebend", sagte der Koenig
langsam. "Die Prinzen und die Generaele sind nichts als Mitlaeufer. So meint
Er doch auch?"

Beyme hob das Dokument wieder zur Hoehe seiner Augen und rollte es noch
einmal rasch mit den Blicken ab.

"Wenn ich meine Ansicht alleruntertaenigst vorbringen darf, so zeigt das
Schriftstueck allerdings den Minister von Stein als Urheber an. Ganz seine
Art, gerade und ohne Umschweife auf die Sache loszusteuern, ganz seine
Verachtung einer jeglichen hoefischen Form! - Auch Seine Koenigliche Hoheit,
der Prinz Louis Ferdinand, wuerde wohl nicht ermangeln, seine
Geringschaetzung fuer das Althergebrachte darzutun - jedoch mit mehr Eleganz
und nicht ganz so unverhohlen und schroff."

"Dass der Freiherr vom Stein das Schriftstueck abgefasst hat, daran zweifeln
Wir nicht und halten es auch fuer sehr wahrscheinlich, dass er es geradezu
veranlasst hat", sagte der Koenig langsam. "Das ist aber nichts denn
Meuterei!" rief er dann ploetzlich mit erhobener Stimme und schlug so
heftig auf den Tisch, dass der kleine Kabinettsrat zitternd zurueckwich.

In gemessener Ferne blieb er stehen und starrte erschreckt, aber mit
unverhohlener Neugier, seinen Herrn und Gebieter an, der unbeweglich vor
dem Schreibtisch stand und wieder truebe ins Leere blickte.

"Haben den Baron hierherbefohlen, um Uns Rede zu stehen!" sagte der Koenig
schliesslich und zeigte auf die Tuer.

Der Kabinettsrat eilte zur Tuer und winkte hinaus.

Ein Adjutant erschien und machte die Meldung. Seine Exzellenz, der
Minister Freiherr vom Stein waere zur befohlenen Audienz erschienen.

"Vorlassen!" beschied ihn der Koenig und wandte sich zum Kabinettsrat, der
inzwischen das Dokument auf den Schreibtisch zurueckgelegt hatte.

"In der Naehe bleiben!" befahl er diesem kurz und reichte ihm einen Brief.
"Brief des Generalleutnants von Bluecher! Lesen! Antwort entwerfen!"

Beyme nahm den Brief, verbeugte sich ehrerbietigst und zog sich mit seinem
Portefeuille in ein Nebenzimmer zurueck. Der Koenig ging langsam durchs
Zimmer, stellte sich mit dem Ruecken gegen den Kamin, blieb dort in
soldatischer Haltung stehen, die Haende gerade an den Seiten haengend, den
Blick auf die Tuer des Audienzzimmers gerichtet.

Die Tuer oeffnete sich und die breite, gedrungene Gestalt Steins erschien
auf der Schwelle.

Mit einer kaum merkbaren Bewegung des Kopfes beantwortete der Koenig den
ehrerbietigen Gruss des Freiherrn. Eine kurze Handbewegung deutete auf das
auf dem Schreibtisch liegende Dokument.

"Haben gelesen!" sagte er muerrisch. "Er hat sich Freiheiten genommen. Er
ist Unser Minister fuer Zoll-, Manufaktur- und Kommerzwesen, Unser
Praezeptor aber nicht. Wer Uns zu dienen hat, entscheiden Wir. Unsere
Brueder und Vettern haben da nicht mitzureden. Unsere Minister und Generaele
noch weniger! Es sei denn, dass Wir sie um ihre Ansicht gebeten haben!"

"Majestaet wollen gnaedigst gestatten -", fing der Freiherr an.

"Aufruehrerische Gesinnung und meuterisches Gebaren dulden Wir nicht. Er
ist an der ganzen Sache schuld. Er hat das geschrieben! - Er hat die
Prinzen und Generaele veranlasst, ihre Namen darunterzusetzen. Gestehe Er!"

"Das Memorandum habe ich nicht geschrieben. Ich komme aber fuer jedes Wort
darin auf, als haette ich es getan!" sagte Stein bestimmt. "Es enthaelt
nichts, was nicht durch vorherige Besprechung mit den Unterzeichnern
vereinbart wurde. Die darin zum Ausdruck gelangten Ansichten geben nur die
Befuerchtungen wieder, die jeden vaterlaendisch gesinnten Mann heute
bewegen: dass die Politik der Kabinettsraete und vor allem des Grafen
Haugwitz uns an den Rand des Abgrunds bringt, wenn nicht schleunigst
Abstand davon genommen wird."

"Die Kabinettsraete fuehren nur Unseren Willen aus! Haugwitz hat grosse
Verdienste um die Krone und hat ueberdies viele Geschicklichkeit bewiesen.
Dass er Neider hat, wissen Wir. Es wird denen nicht gelingen, Unser
Vertrauen zu ihm wankend zu machen. Was hat Er gegen den Grafen? Sage Er
offen seine Meinung!"

"In der Tat", sagte Stein und richtete sich auf, so weit es seine kurze
Gestalt erlaubte. "Ich wuerde schlecht mein Amt als Berater der Krone
versehen, wenn ich die Frage nicht offen beantwortete! Der Graf Haugwitz
verdient in keinem Falle das grosse in ihn gesetzte allerhoechste Vertrauen.
Er treibt hinter dem Ruecken Eurer Majestaet seine eigene Politik, fuer die
die Krone nachher die Verantwortung tragen muss. Eurer Majestaet bestimmten
Befehl an ihn, sofort dem Kaiser der Franzosen Allerhoechstdero
Kriegserklaerung zu ueberbringen, fuehrte er nicht aus, zoegerte erst drei
Wochen, ehe er ins franzoesische Hauptquartier fuhr, und brachte uns dann
statt des Krieges den Buendnisvertrag mit Napoleon zurueck!"

"Zwischen seine Ausreise und seine Heimreise fiel die Niederlage unserer
Verbuendeten bei Austerlitz!"

"Oesterreich und Russland hatten sich wohl eben nichts Erspriessliches vom
Buendnis mit uns erwarten koennen. Sonst haetten sie lieber auf uns gewartet,
als zu frueh loszuschlagen und sich die Niederlage zu holen! Haugwitzens
feige, unentschlossene Neutralitaetspolitik hat die Krone Preussens so
allmaehlich um alles Ansehen bei den anderen Maechten gebracht und hat das
Land nach allen Seiten isoliert. Man traut uns nicht, weder Freund noch
Feind. Und so muessen wir jetzt, wo wir um unserer Ehre willen das Schwert
ziehen, allein und ohne Freunde und Bundesgenossen dastehen. Wir werden
einer sicheren Niederlage entgegengehen, wenn nicht Eure Majestaet
schleunigst Leute wie Haugwitz, deren Saumseligkeit und Ungeschicklichkeit
alles Unheil verschuldet hat, von der Leitung entfernen."

"Meine Armee wird ihm die gebuehrende Antwort darauf geben!"

"Ich befuerchte nein. Denn wie sind wir fuer den Kampf geruestet? Ohne Geld,
mit veralteten Gewehren und mit Waffenfabriken, die nicht den zehnten Teil
vom Bedarf leisten. Wir haben es versaeumt, uns beizeiten aus England und
Oesterreich neue Gewehre zu kaufen. Unser Heer mit allen seinen Vorzuegen
besteht zum groessten Teil aus Veteranen, die durch lange Beurlaubung dem
Kriegsdienst entfremdet wurden. Es wird von Greisen gefuehrt, die bei aller
Ruestigkeit doch nicht ueber die Erfordernisse des Paradeplatzes hinaus
etwas verstehen. Wie wir damit den kriegsgewohnten Truppen Frankreichs
standhalten wollen, ist unerfindlich. Was geschehen muss, muss also schnell
geschehen. Deshalb haben wir uns entschlossen, Eure Majestaet um eine
Entscheidung zu bitten, die Allerhoechstdieselbe doch frueher oder spaeter
treffen muessen. Wir bitten also um Entlassung des Grafen Haugwitz, wir
verlangen die Entfernung der Kabinettsraete Lombard und Beyme, die sich
zwischen die Krone und ihre Berater gedraengt haben und die nur verhindern,
dass Eure Majestaet von der wahren Sachlage der Geschaefte gebuehrend
unterrichtet werden!"

"Wenn Er, mein Herr Minister, die Unentbehrlichkeit der Kabinettsraete
dartun wollte, Er haette es nicht besser tun koennen als durch das, was Er
soeben vorbrachte. Fuerwahr, es wird Uns schwer, ein ruhiges Urteil zu
gewinnen, wenn Uns in solch ungebuehrlicher Weise, wie jetzt von Ihm,
Wuensche, Bitten und Vorschlaege vorgebracht werden. Allein zu dem Zweck tut
es not, treue Diener zu haben, die es verstehen, Uns in geziemender Weise
zu nahen. So muessen Wir es ablehnen, Ihm irgendwie auf seine Vorstellungen
etwas zu erwidern. Wir verweisen Ihn auf seinen Platz, Wir verbitten Uns
jede unaufgeforderte Einmischung seinerseits in die Rechte der Krone, die
Wir allein wahrzunehmen haben und auch wahrnehmen werden, ob es unseren
Untertanen in den Kram passt oder nicht. Er hat sich zu fuegen und Uns zu
vertrauen. Weder Unsere Minister noch Unsere Offiziere haben sich um
Unsere Entschliessungen zu kuemmern. Und wagen sie's, offen dagegen zu
revoltieren und gar, wie es zu Unserer Betruebnis vorgekommen ist, auf
offener Strasse dagegen zu demonstrieren, so werden Wir es verstehen,
Unsere Autoritaet zu wahren!"

"Wollen Eure Majestaet in Gnaden verstatten? Das, was die jungen Offiziere
sich erlaubt haben, das mag ungewoehnlich sein, eine Revolte ist es aber
nie und nimmer gewesen, auch in keiner Weise ein Versuch, gegen des Koenigs
Majestaet irgendwie aufzubegehren. Dem Feind allein galt jene Kundgebung.
Sie erfolgte spontan und aus dem unwiderstehlichen Beduerfnis, die Ehre des
Landes zu wahren!"

"Die Ehre des Landes wahrt der Koenig!"

"Der Koenig _und das Volk_. So muss es sein. So wird es kommen. Und dass
_die_ Erkenntnis zuerst hier in Eurer Majestaet Hauptstadt zum erhebenden
Ausdruck kam, dazu ist Eure Majestaet zu beglueckwuenschen. Ich flehe zum
Himmel, dass sich dieses Erwachen des Volkes nicht nur auf Berlin
beschraenken moechte. An jene Kundgebung muessen Eure Majestaet anknuepfen, von
da aus alles umgestalten, dann sind wir unwiderstehlich, dann kann uns
nichts mehr etwas anhaben. Wie war es aber bis jetzt. Ich habe mich
geschaemt, als die Franzosen Hannover ueberfielen und das hannoversche Volk
den Aufruf zur Rettung des Vaterlandes sich um die Fahnen zu scharen damit
beantwortete, dass es alle waffenfaehige Jugend ausser Landes schickte. Und
ueberdies der eigenen Armee den Unterhalt verweigerte, wenn sie nicht
schleunigst Kanonen und Ausruestung dem Feind ueberlieferte, damit der Krieg
nur aufhoere. Waren das Deutsche, die so handelten? Ich habe mir immer
wieder die Frage vorgelegt - und immer wieder antworten muessen - _ja, es
waren Deutsche_ - aber _deutsche Knechte_, denen jedes Gefuehl der
Teilnahme fuer das Geschick des Vaterlandes abhanden gekommen ist, und die
ihre Knechtschaft verdienen, wenn sie nicht lernen, sich selbst zu
befreien! Deshalb habe ich gestern, im Theater, laut mitgejubelt und
mitgesungen, als das grosse, heilige Gefuehl, fuer die Ehre des Landes das
Letzte herzugeben, so hell und klar aufloderte. Denn ich war dabei, und
werde immer dabei sein, wo es gilt! Keinesfalls aber gebe ich mich dazu
her, eine Politik der Knechtung des Volkes und der Kriecherei vor den
Franzosen, wie sie Haugwitz und Lombard wollen, mitzumachen. Noch weniger
lasse ich mir den Mund verbieten, wenn ich Maengel und Schaeden im Staate
sehe und die Pflicht und das Amt habe, nach bestem Gewissen zur Besserung
beizutragen. Wird das ungnaedig aufgenommen und gar als Ungebuehr geruegt, so
bleibt mir nichts, als entweder volles Vertrauen zu verlangen oder um
meinen Abschied zu bitten!"

Der Koenig hatte schweigend, ohne sich vom Kamin zu bewegen und ohne eine
Miene zu verziehen, der Rede Steins zugehoert. Er mochte nicht zeigen, wie
sehr die eindringliche Art des Freiherrn auf ihn gewirkt hatte, mochte
auch nicht das, was er als Ungebuehr bezeichnen musste, dadurch
sanktionieren, dass er irgendwie auf dessen Ausfuehrungen einging.

Er ging langsam und steif einmal durchs Zimmer, kehrte dann zum Kamin
zurueck und sagte, ohne Stein anzusehen und ohne die Stimme irgendwie zu
erhoehen oder im geringsten von seiner gemessenen Art zu sprechen
abzuweichen:

"Werden Ihm Unsere Entscheidung bezueglich seines Abschiedsgesuchs zukommen
lassen!"

Eine kurze Handbewegung, und die Audienz war beendet.

Der Freiherr verbeugte sich steif und nicht mehr als noetig, machte kehrt
und ging.

"Beyme!" rief der Koenig, und der kleine Kabinettsrat kugelte aus dem
Nebenzimmer herein, den Brief Bluechers und das Antwortschreiben in der
Hand.

"Hergeben!" sagte der Koenig und setzte sich an den Schreibtisch.

Er liess sich den Antwortsentwurf von Beyme vortragen, nahm dann, ohne ein
Wort des Beifalls oder Missfallens zu aeussern, Bluechers Brief vom
Schreibtisch und las ihn, noch einmal pruefend, durch.

Der General schrieb unter anderem:

"aufgefordert durch die taeglich immer bedenklichere Lage und gefaehrlicher
werdenden Schritte, welche Frankreich sich in militaerischer Ruecksicht hier
gegen Eurer Koenigl. Majestaet Grenzen erlaubt, muss ich endlich mein Herz zu
Fuessen des Koenigs, meines Herrn, ausschuetten; muss ich als treuer und grau
gewordener Diener von Hoechstdero erhabenem Hause meine Ansichten unserer
Lage Frankreich gegenueber zum ersten und zum letzten Male Euer Majestaet zu
Fuessen legen. - - - - - Frankreich meint es mit keiner Puissance redlich
und gut, am allerwenigsten mit Euer Koenigl. Majestaet, als der einzigen
Macht, die seinem Eroberungs- und Unterjochungssystem in Deutschland noch
allein im Wege steht. Es verbirgt sogar seine Ansicht nicht; denn
wenngleich es mitunter suesse Vorspiegelungen macht, so widersprechen alle
seine Handlungen gegen Eure Majestaet diesen geradezu. Die Invasion von
Hannover, der letzte gewaltsame Durchmarsch durchs Ansbachsche, und die
raeuberische Besetzung von Essen und Werden, sowie der ganze arrogante Ton,
den der franzoesische Monarch sich erlaubt, beweisen Euer Koenigl. Majestaet
mehr als genug, was ich zuvor gesagt habe. Alle treuen Untertanen Eurer
Koenigl. Majestaet, alle echten Preussen, und die Armee besonders, haben das
Herabwuerdigende dieser franzoesischen Demarchen tief empfunden, und fuehlen
es noch, und alles wuenscht die gekraenkte Nationalehre bald - recht bald -
blutig zu raechen.

Wer das Betragen Euer Koeniglichen Majestaet aus einem anderen Gesichtspunkt
darstellt - -"

Der Koenig sah bei diesem Passus vom Briefe auf und blickte Beyme lange an.
Dann las er weiter:

"- - wer Eurer Koeniglichen Majestaet zu fortwaehrendem Nachgeben, zum
Frieden mit dieser Nation raet, der ist entweder sehr, sehr gutmuetig, sehr
kurzsichtig, oder er ist mit franzoesischem Golde gekauft -"

Hier unterbrach der Koenig das Lesen und warf den Brief auf den Tisch. Er
nahm dann das Antwortschreiben Beymes aus dessen Haenden entgegen, zerriss
es, ohne es zu lesen, langsam und bedaechtig, zum Entsetzen des
Kabinettsrats und liess die Fetzen in den Papierkorb fallen.

"Wollen dem verdienten General nicht seine soldatische Offenheit strafen!
Wollen aber auch ihm keine unerbetene Einmischung verstatten - ziehen es
vor, ihn ohne Antwort zu lassen."

Beyme verbeugte sich schweigend.

"Hoerte Er vorhin, was der Freiherr vom Stein Uns zu erzaehlen wusste?"

"Der Baron war sehr laut - -"

"Er hat Uns seinen Abschied nahegelegt!"

Der Koenig blickte Beyme fragend an. Und dieser glaubte aus der veraenderten
Absicht des Koenigs dem General Bluecher gegenueber schliessen zu duerfen, dass
er doch nicht mehr so unempfindlich gegen die Vorstellungen Steins war,
wie vorhin. Er fand es also klueger, einzulenken und demnach zu raten.

"Der Freiherr verdient zweifelsohne eine Massregelung ob seines dreisten
Tones", sagte er zoegernd. "Er hat aber im Amte viel Eifer und Tuechtigkeit
bewiesen. Will er jetzt zuruecktreten, so tut er es nur, um sich der
Verantwortung zu entziehen - wenn das Unglueck, das er prophezeit, wirklich
eintreten sollte! Und da verdient er eben seinen Abschied _nicht_ zu
bekommen!"

Der Koenig merkte wohl, worauf sein lieber Beyme hinauswollte, sagte aber
nichts, sondern blieb sitzen wie vorhin und blickte geradeaus.

Ein Minister, der mit seinem Ruecktritt drohte - das war ihm neu!

Sonst pflegten diese Herren an ihren Aemtern zu kleben. Neun Zehntel ihres
Strebens ging darauf aus, sich die Gunst zu erhalten. Sie waren fleissig,
enthielten sich eines jeden Widerspruchs, machten ihre Dummheiten mit
groesster Diskretion, glatt, delikat unter Wahrung der Form, blieben trotz
etwaiger Fusstritte auf ihrem Platz, massten sich keine Verantwortung zu,
die ihnen nicht zukam, und belaestigten niemals mit Ansichten und
unerbetenen Ratschlaegen!

Und nun dieser Stein!

Ein ausgezeichneter Verwaltungsbeamter, ein fleissiger Arbeiter, aber
schroff, steifnackig, eigenwillig, geradeheraus und herrisch! Er stellte
gar Bedingungen! Entweder du tust meinen Willen oder ich gehe!

Das ginge nicht! Das duerfte nicht sein! Er sollte bleiben! Er muesse sich
aber ducken, muesse sich an die Trense gewoehnen. Nachher liesse sich schon
gut mit ihm fahren!

Der Koenig blickte Beyme an, der noch in gespannter Aufmerksamkeit wartete.

"Wollen Uns die Sache noch ueberlegen!" sagte er kurz. "Seinen Verweis hat
der Freiherr! Die anderen werden ihrem Teil auch nicht entgehen! Er aber
sorge dafuer, dass uns der Strassenpoebel mit aufruehrerischen Kundgebungen
nicht noch einmal inkommodiere! Dulden Wir das, so steht das ganze Volk
auf und will mitregieren!"

"Gestatten, Majestaet - auf der Strasse gibt es immer Leute, die
mitschreien, wo es zu schreien gibt. Sie sind nicht das Volk. Das Volk ist
froh und zufrieden, eine weise Regierung zu haben, die ihm den Frieden
sichert, damit es in Ruhe seinem Erwerb nachgehen kann. Die
Neutralitaetspolitik von Euer Majestaet Regierung hat das bewirkt und einen
noch nicht dagewesenen Wohlstand erzeugt. Man ist uebergluecklich und
zittert nur vor dem einen: in den allgemeinen Kriegsstrudel hineingezogen
zu werden. Man will den Krieg nicht -"

"Aber man schreit auf den Strassen und sucht ihn zu provozieren. Ob Krieg
oder Friede, haben Wir nach Unserem Ermessen zu entscheiden. Wir wollen
den Krieg nicht. Das merke Er sich, Beyme. Er kann gehen!"

Der Kabinettsrat verbeugte sich, so tief es seine kugelrunde Statur
erlaubte, und ging.

Der Koenig rief seinen Generaladjutanten und Kabinettsrat fuer militaerische
Angelegenheiten, den Oberst von Kleist, und verfuegte kurz:

"Den koeniglichen Prinzen ist zu befehlen, sich sofort zur Armee, zu ihren
respektiven Truppenteilen zu verfuegen. Haben zuviel Freiheit gehabt,
muessen sich wieder an Disziplin gewoehnen!"

                                   *

Der korsische wilde Jaeger liess seine Meute los. In der Urheimat der alten
Germanen, im Thueringer Wald, fing die Hetze an. Anfangs lauerte die Meute
weit auseinander zerstreut in Sueddeutschland, von Passau und Memmingen,
suedlich der Donau, ueber Ansbach und Wuerzburg bis Frankfurt am Main. Dann
nahmen sie die Faehrte auf und stoeberten vorwaerts aus allen den
verschiedenen Richtungen gegen den einen Punkt, wo Erzgebirge und
Fichtelgebirge einerseits mit dem Thueringer Wald, andererseits in stumpfem
Winkel zusammenstossen, sich wie eine schuetzende Barriere vor
Norddeutschland legen und nur durch einige Paesse im Quellengebiet der
Saale bequemen Durchlass gewaehren.

Dort wollte der wilde Jaeger seine Meute vorbrechen lassen, sie auf dem
rechten Saaleufer vorwaerts treiben und so die preussische Armee, die sich
noerdlich vom Thueringer Wald aufgestellt hatte, ueberfluegeln und von ihren
rueckwaertigen Verbindungen abschneiden. - Inzwischen tastete die preussische
Armee zaghaft bald rechts, bald links um den Thueringer Wald herum,
unsicher, ob sie den Feind abschneiden, ihm frontal entgegentreten oder,
in der Defensive verharrend, ihn mit verwandter Front, in der
Flankenstellung hinter der schuetzenden Saale erwarten sollte.

Ihr Hauptquartier hatte sie in Erfurt.

Erfurt, bis vor zwei Jahren eine stille Stadt in den Landen des Kurfuersten
von Mainz und Grosskanzlers des jetzt zertruemmerten Heiligen
Roemisch-Deutschen Reiches, bekam somit nachdruecklich zu wissen, dass es zum
Range einer Hauptfestung des grossmaechtigen Koenigreichs Preussen erhoben
worden war.

Die Stadt schien in ein wahres Feldlager verwandelt zu sein.

Tag und Nacht herrschte in den Strassen ein reges Treiben. Kanonen,
Munitionswagen und Fahrzeuge aller Art rollten droehnend ueber das Pflaster,
dass die Hauswaende zitterten und die Scheiben klirrten. Taktfeste Tritte
von marschierenden Truppen, Pferdegetrampel, Trompetengeschmetter,
Trommelschlag, Pfeifenklang, Schreien, Lachen, Schelten, Kommandoworte,
Geraeusche aller Art schwirrten durch die Luft.

In den Strassen und auf den Plaetzen draengten sich Neugierige jeden Standes
und Alters, rannten sich die Rippen ein und zertraten sich fluchend die
Huehneraugen. Stafetten und Kuriere aller Waffengattungen durcheilten mit
Windesschnelle die Stadt in allen Richtungen. Uniformen der beruehmtesten
preussischen Regimenter zeigten sich ueberall, auf dem Anger, im
Karthaeusergarten und in den Laeden auf der "Kraemerbruecke". Zopf und
Schnauzbart dominierten und wurden allseitig angestaunt. In den engen
Strassen der Altstadt war ein Gedraenge und Getriebe wie seit
Menschengedenken nicht. Und wackere Kriegerburschen pirschten die Gaesschen
ums Augustinerkloster nach holder Weiblichkeit ab und blickten wohl auch
nebenbei staunend zu den Klostermauern hinauf, hinter denen vor
dreihundert Jahren der hochgelahrte Herr Dr. Martinus Lutherus selbst das
Keuschheitsgeluebde abgelegt hatte, als er dorten als Moench eintrat.

Saechsisch, Schlesisch, Rheinisch, Platt und unverfaelschtes "Balinsch"
kaempften in babylonischer Verbiesterung um den Vorrang im Konzert. Bis
endlich die Kanonen der Zitadelle Petersburg mit dem koeniglichen Salut
einsetzten und die Glocken all der vielen Kirchen, vor allem die
altberuehmte "Maria gloriosa" des Domes mit ehernen Stimmen die Majestaet
des Koenigs von Preussen begruessten und so Preussen ueber alles zur Losung
machten und als Sturmzentrum alles Geschehens proklamierten, von dem aus
es deutsch nach allen deutschen Gauen, Widerhall heischend, schallen
konnte.

Am fuenften Oktober sollte beim Koenig Kriegsrat abgehalten werden.

Kriegsrat, das heisst fuer gewoehnlich Bestaetigung und Vermehrung der
Ratlosigkeit bei der Fuehrung. So war es auch hier in Erfurt. Da sollten
ein Dutzend oder mehr Koepfe das Unmoegliche vollbringen, sich um einen
Entschluss zu einigen, den der Oberbefehlshaber trotz seiner
Machtvollkommenheit nicht allein zu fassen wagte, sei's aus Alters- oder
Charakterschwaeche, aus hoefischen Ruecksichten oder um sich einer ihm
laestigen Verantwortlichkeit zu entziehen.

Tuechtigkeit und besondere Befaehigung allein sind leider nicht immer bei
Besetzung eines Amtes an dieser Stelle massgebend. Es gibt hoefische
Ruecksichten, die da mitreden, Ruecksichten auf Familie, Verwandtschaft,
Dienstalter, Rang und Namen, die oft den weniger Geeigneten, zum Schaden
der Sache, an fuehrende Stelle verhelfen und verhindern, dass die rechte
Person auf den rechten Platz kommt.

So kam es, dass der Herzog von Braunschweig, als aeltester Feldmarschall und
beruehmtester Heerfuehrer Preussens, mit dem Oberbefehl betraut wurde. Seine
siebzig Jahre waren kein Hindernis.

Aber - auch der General Fuerst Hohenlohe-Ingelfingen hatte Ansprueche auf
ein selbstaendiges Kommando, und man hatte geglaubt, ihm mindestens die
Fuehrung einer Armee geben zu muessen. Man schuf also, statt einer
einheitlichen, zwei Hauptarmeen, nominell mit dem Herzog von Braunschweig
als gemeinsamen Oberbefehlshaber, aber doch voneinander ziemlich
unabhaengig. Denn der Herzog, voll weltmaennischer Courtoisie, nahm jede
Ruecksicht und liess dem Fuersten Hohenlohe seinen Kopf fuer sich.

Dieser Kopf Hohenlohes hiess von Massenbach, Oberst und
Generalquartiermeister-Leutnant bei seinem Armeekommando.

Der Fuerst selbst war mehr zum Gehorchen als zum Befehlen veranlagt. Er
gehorchte also dem, der ihm in geeignetster Weise befehlen konnte. Und da
das nicht der Herzog war - gehorchte er also, wenn auch unbewusst, seinem
Generalstabschef Massenbach.

Dieser war ein Genie. Aber eins von jener Sorte, die besser als alle
anderen wissen wollen, wie man reiten soll, aber selbst nicht reiten
koennen.

Er hatte Ideen - strahlende Ideen - tiefe Ideen - unfassbar geniale Ideen,
die alles bisher Dagewesene in Schatten stellten. Er war von seiner
Vollkommenheit ebenso fest ueberzeugt, wie von der gaenzlichen
Bedeutungslosigkeit aller anderen Generalstaebler. Er war aus Schwaben, war
apoplektisch, kahlkoepfig, hatte rosige, bluehende Wangen und redete wie ein
Wasserfall.

Wenn er seine kleinen, runden, braunen Augen aufsperrte, sein Auditorium
fest anblickte und dabei ein Brillantfeuerwerk von gut gespitzten
Argumenten und Widerlegungen in endlosen Wortschlangen ueber die
nimmermueden Lippen herausliess, dann betaeubte er sein Auditorium - aber
auch sich selbst, so dass er jeden auch noch so begruendeten Einwand
ueberhoerte. Denn er ueberzeugte weder, noch liess er sich ueberzeugen. Er
konnte nur sich selbst reden hoeren und behielt, seiner Meinung nach,
deshalb stets das letzte Wort. Er hatte also recht, war masslos erstaunt
und ungehalten, wenn man doch gegen seine Meinung zu handeln wagte, und
tat alles, um es zu hintertreiben.

Also ein unbequemer Untergebener, der an keine Stelle hinpasst wo es grosse
Entschliessungen zu fassen galt, dem aber trotzdem ein viel zu weitgehender
Einfluss eingeraeumt worden war. Beim Kriegsrat wurde das merkbar.

Man zankte sich dort um die verschiedenen Offensivplaene der verschiedenen
Armeeleitungen - obwohl der Herzog von Braunschweig, als Oberbefehlshaber,
aus eigener Machtvollkommenheit den Angriffsplan entwerfen und, ohne
Befragung anderer, ins Werk setzen konnte und musste.

Seine Idee war von Anfang an: sofort mit zehn Divisionen in sechs Kolonnen
den Thueringer Wald zu ueberschreiten, sich bei Meiningen und Hildburghausen
zu vereinigen und von dort aus anzugreifen, eine Division im
Bayreuthischen zu postieren, um die Paesse zu besetzen und zu verteidigen,
und drei Divisionen rechts vom Thueringer Wald auf der Strasse nach
Frankfurt vorgehen zu lassen, um dort das Korps Angereau festzuhalten.

Waere dieser Plan sofort ohne Zaghaftigkeit als Ueberfall ausgefuehrt worden,
dann haette man auch sicherlich mit ihm Erfolg gehabt.

Auch wenn die Ueberrumpelung nicht gelang - wenn der Feind schneller sein
wuerde und der Bewegung der preussischen Armee zuvorkaeme, dann vereinfachte
dieser Plan doch die Verteidigung. Denn durch die konzentrierte
Aufstellung bei Erfurt und Weimar war man imstande, dem Feind frontal
entgegenzutreten, wenn er ueber den Thueringer Wald oder von der Frankfurter
Strasse kaeme, und waere durch die Saale geschuetzt, wenn er durchs
Bayreuthische gegen die deutsche linke Flanke vorginge. So haette man die
Rueckzugslinie auf Magdeburg und Wittenberg gewahrt und unter allen
Umstaenden die Elblinie und Berlin gedeckt.

Der Befehlshaber der zweiten Hauptarmee, Fuerst Hohenlohe, hatte sich aber
von seinem uebergenialen Generalstabschef Massenbach einen ganz anderen
Plan auskluegeln lassen, ueberwaeltigend, versteht sich, aber verwirklicht,
unklar und unpraktisch.

In der Hauptsache ging der Plan darauf aus, eine Offensive auf dem rechten
Saaleufer vorzunehmen unter gleichzeitiger Entsendung kleiner Detachements
auf der Eisenacher Strasse und Patrouillen durch den Thueringer Wald. Unter
gaenzlicher Umgehung des Oberbefehlshabers und hinter dessen Ruecken
unterbreiteten Hohenlohe und Massenbach dem Koenig diesen Plan.

Es gelang ihnen wohl nicht, dessen foermliche Annahme durchzusetzen. Aber
sie stifteten durch ihre Vorstellungen und Mahnungen immerhin allerhand
Verwirrung an, verursachten Zeitverlust, machten den ohnehin durch Alter
geschwaechten Oberbefehlshaber unsicher - und verschafften so dem Gegner
noch mehr Zeit, die er gut zu benutzen verstand.

Als der Koenig dann bei der Armee ankam, griff der Herzog begierig die
Gelegenheit auf, ihm die Verantwortung aufzubuerden, zog sich selbst auf
die zweite Stelle zurueck und veranlasste Zusammenberufung eines
Kriegsrates, der also den endgueltigen Entschluss fassen sollte, zu dem er
allein nicht mehr die noetige Entschlossenheit hatte.

Zum Kriegsrat waren erschienen, ausser dem alten, immer noch weltmaennisch
eleganten Herzog von Braunschweig und dem Fuersten Hohenlohe, der
achtzigjaehrige, stattliche und ungemein beruehmte Feldmarschall von
Moellendorf, in jeder Beziehung dekorativ und eine Zierde jeder
Versammlung, und der Kommandierende der dritten Armeegruppe, der kleine
feurige Draufgaenger General von Ruechel, mit blitzenden Augen unter krausem
weissen Haar, entschieden, polternd, herrisch und ein wenig martialisch
sich bruestend. In seinen eigenen und anderer Augen war er der gegebene
Oberbefehlshaber, wenn nicht hoefische und andere Ruecksichten die Prinzen
ihm vorgezogen haetten. Jedenfalls sah er in sich den berufenen Hueter der
friderizianischen taktischen Tradition, wie sie noch auf den Paradeplaetzen
mit Eifer und Gewissenhaftigkeit geuebt wurde.

Ferner waren anwesend die drei Generalquartiermeister-Leutnants Phull,
Massenbach und Scharnhorst, die berufen waren, unter Fuehrung des
Generalquartiermeisters und Kriegsministers Gensau, gemeinsam den
Generalstab zu leiten. Verschiedenartigere Leute als diese drei zogen noch
nie an einem Strang. Phull war unberechenbar, eigenwillig, schrullenhaft,
Scharnhorst ruhig, sicher und methodisch und Massenbach uebersprudelnd von
gelehrten Schlagwoertern und von Gruenden, gegen die nicht aufzukommen war.

Phulls Strategie ging von der Lage der Magazine aus, hatte sich eins von
diesen Magenzentren ausstrahlendes "Radialsystem" zurechtgelegt und kam
darueber nicht hinaus.

Massenbach wiederum klebte am Terrain und vergass darueber die Truppe.

Wogegen Scharnhorst, mit sicherer Intuition fuer die Bedeutung der
Individualitaet und deren Schulung, alles darauf legte, offene Augen, einen
klaren Kopf und schnelle Entschlussfaehigkeit zu schaffen, diese durch
kriegsgeschichtliche Studien zu foerdern und so einen Stab um sich zu
scharen, der, von keiner vorgefassten Theorie behindert, jeder der tausend
wechselnden Situationen im Kriege gerecht werden konnte.

Diese drei Systeme fuehrten miteinander Krieg und fuehrten ihn so mit dem
Feind.

Der kleine, oberflaechliche und verbindliche Minister des Aeusseren, Graf
Haugwitz, chevaleresk, hinterhaeltig, glatt, poliert und leichtfertig wie
immer, war auch dabei. Ihm zur Seite sein Adlatus, der fruehere Botschafter
in Paris, Marquis Luchesini. Der Diplomatie dieses Braven verdankte
Preussen den Pariser Vertrag, durch den es zum Vasallenstaat Napoleons
degradiert werden sollte.

Anwesend war ferner, wenn auch ohne Sitz und Stimme im Kriegsrat, die
rechte Hand des Koenigs, der Kabinettsrat Lombard, der einflussreichste Mann
am Hofe und im Lande verhasst wie kein zweiter.

In einer Zeit, in der die Friseure als Anekdotenerzaehler und
Neuigkeitskraemer ebenso geschaetzt waren wie als Kuenstler, und ihre
vornehmste Obliegenheit _die_ war: der feinen Welt die letzte Tournure zu
geben - da waren es nur Leute von Esprit, Witz und tadellosen Manieren,
die es auf dieser Laufbahn zu etwas bringen konnten. Sie waren
gewissermassen Hueter und Traeger des guten Geschmacks und dessen berufenste
Vertreter und waren in Reinkultur, was der hohe Adel erst durch die Kunst
ihrer Haende wurde. Sie fertigten die mondaene Attrappe an, die den Inhalt,
das uebliche suendige Fleisch und Blut, mit Anstand verdeckte.

Als Sohn eines Perueckenmachers hatte Lombard also in dieser Beziehung
Ahnen erster Guete, auf die er sich berufen konnte. - Er war auch
wohlgebildet, gefaellig, weltmaennisch geschliffen, aalglatt und falsch, von
der Ueberlegenheit der franzoesischen Kultur vollkommen ueberzeugt, und also
auch der eifrigste Verfechter einer franzosenfreundlichen Politik. - Er
war Traeger der Tradition von der Unumstoesslichkeit und Machtvollkommenheit
einer Kabinettsregierung, wie sie am preussischen Hofe noch in Reinkultur
bestand. - Er war ohne Ministerportefeuille maechtiger als saemtliche
Minister der drei Koenige, denen er gedient hatte, und war ohne Sitz und
Stimme in der Regierung doch massgebend, weil stets in persoenlicher
Beruehrung mit dem Koenig.

Des weiteren nahmen an der Beratung teil: der wuerdige General von
Koeckritz, der Generaladjutant Oberst von Kleist, und eine Unzahl Raete und
Schreibersleute!

Prinz Louis Ferdinand war nicht einmal als Zuhoerer geladen und wartete mit
Bluecher im Quartier des Generals von Ruechel auf Nachricht vom Verlauf der
Konferenz.

Das grosse Wort bei der Beratung fuehrte natuerlich Oberst von Massenbach,
der in langen und wortreichen Ausfuehrungen zu beweisen versuchte, dass
alles Heil nur darin zu suchen waere, mit beiden Hauptarmeen links ueber die
Saale abzumarschieren, die feindliche Armee auf dem Marsche anzugreifen,
die Rueckzugslinie auf Dresden zu nehmen und so auch Schlesien, das ohnehin
durch Boehmen gedeckt war, noch mehr zu schuetzen.

Ruechel wuerde inzwischen mit seiner Armee irgendwo auf der rechten Flanke
rekognoszieren.

Oberst von Scharnhorst dagegen, ruhig klar und ueberlegt wie immer, bestand
auf dem hauptsaechlich von ihm entworfenen Offensiv- und Defensivplan des
Herzogs von Braunschweig, freilich ohne den wortreichen Massenbach dadurch
niederkaempfen zu koennen, und im Bewusstsein, dass man durch das Zoegern wohl
schon den rechten Zeitpunkt verpasst hatte.

Man entschied sich endlich weder fuer das eine noch fuer das andere, beliess
die Hauptarmee als Zentrum bei Erfurt, stellte die Armee Hohenlohe, unter
gleichzeitiger Besetzung der Saalepaesse, als linken Fluegel bei Blankenhain
auf und den rechten Fluegel unter Ruechel bei Craula. Nebenbei sollte
rekognosziert werden.

Der wankelmuetige Oberbefehlshaber hoffte noch im geheimen auf Napoleon.
Wenn nur nicht zur Offensive geschritten wurde, wuerde dieser wohl auch
vermeiden wollen, als Angreifer zu scheinen, wodurch womoeglich noch in
letzter Stunde der ganze Krieg vermieden werden koennte.

In dieser Utopie wurde er allerdings bestaerkt durch einen soeben beim
Koenig eingegangenen versoehnlich gehaltenen Brief Napoleons!

Prinz Louis Ferdinand lachte laut auf, als ihm General Ruechel nachher den
Verlauf der Konferenz schilderte.

"Unser Oberbefehl erinnert mich taeuschend an ein russisches Dreigespann,
eine richtige Troika", sagte er. "Das mittlere Pferd laeuft da, wie Sie
wissen, in stetem, ruhigem Trab - die beiden Seitenpferde in Galopp! Alle
ziehen aber in einer Richtung vorwaerts. Wogegen beim Oberkommando die drei
Pferde - unsere drei Generalquartiermeister-Leutnants - alle woanders hin
wollen! Scharnhorst in der Mitte haelt den beiden andern, Phull und
Massenbach, die Stange, so gut er kann! Aber der Fahrer auf dem Bock, der
Herzog, gibt ihm nicht den noetigen Rueckhalt! Er faehrt unsicher, ist zu
liebenswuerdig und zuvorkommend, laesst jeden, der behauptet, ein Anrecht
darauf zu haben, zu sich auf den Bock, duldet, dass diese unerbetenen
Mitfahrer ihm noch in die Zuegel fallen und laesst das Fahrzeug bald nach
links, bald nach rechts schwenken, je nachdem sie ihm zurufen: 'Achtung
Stein! Aufgepasst eine Grube!'

Im Wagen aber, unter der Krone, sitzt mein Vetter, der Koenig, behauptet
die Wuerde und laesst sich von den auf dem Steg mitschaukelnden beamteten
Ohrenblaesern Lombard und Haugwitz schoene Vortraege halten ueber die
herrliche Aussicht, die man haben koennte, wenn's nicht so neblig waere, und
uebersieht darueber das schlechte Fahren des Kutschers!

Hinten aber, auf dem aufgestapelten Gepaeck, sitzt der Kriegsminister
Gensau, klein, dick und dumm, haelt seine Akten zusammen und schreibt und
rechnet und rechnet und schreibt und ordnet immer wieder die Gepaeckstuecke,
deren ueberfluessigstes er selbst ist, je nachdem wie sie, bei der Fahrt auf
dem holprigen Weg, durcheinandergeworfen werden."

"Gensau," sagte Ruechel, "von dem hoerte ich eben ein entzueckendes
Geschichtchen, als ich vorgestern meine Armee verliess, um zum Kriegsrat
hierherzukommen. Die Geschichte ist charakteristisch fuer das System und
buesst nichts dadurch ein, dass sie wahr ist. Ich stiess naemlich ploetzlich mit
dem alten 'Isegrim', Yorck, zusammen. Hoheit kennen ihn? - Nein?! - Klein,
duerr, knarrig, Querkopf erster Guete, sieht ueberdies aus wie eine schlechte
Karikatur vom Alten Fritzen! - Er stand also da und schimpfte und fluchte
und wetterte ueber die Schweinewirtschaft im Generalstabe, ueber die
Kopflosigkeit und die Unordnung und die Liederlichkeit bei der
Quartiermachung, kurz ueber Gott und alle Welt!

'Da steh' ich,' sagte er, 'und glaube nach beendigtem Tagesmarsch meine
wohlverdiente Ruhe haben zu koennen, und ploetzlich meldet sich zu
nachtschlafender Zeit einer meiner Offiziere bei mir.

'Was will Er?' hab' ich gefragt. 'Meldung vom feindlichen Anruecken?'

'Zu Befehl, nichts vom Feind zu sehen!'

'Was treibt Er sich denn herum? Hat Er nicht seine Befehle?' frage ich.

'Zu Befehl, die hab' ich!' sagte er. 'Ich habe Order Quartiere zu
beziehen. - Wir finden aber die Quartiere nicht!'

'Soll ich Ihm helfen?' frage ich. 'Hat ein Oberst und Regimentskommandeur
nichts Wichtigeres zu tun, als Kinderfrauendienst bei den Majors und
Leutnants zu versehen? Wo ist Sein Quartierzettel? Zeige Er her!'

Und ich nehme den Zettel und lese ihn vor, denn da stand deutlich und klar
der Name des Dorfes, wo er Quartier nehmen sollte. Und ich wasche ihm noch
gruendlich den Kopf und werfe ihm den Wisch wieder hin.

Da sagt er ganz ruhig: 'Lesen kann ich auch! Und was drauf auf dem Zettel
steht, weiss ich ebensogut zu deuten, wie der Herr Oberst selbst. Aber mit
Erlaubnis zu sagen - ich moechte das Dorf nicht nur angewiesen haben, ich
moechte es auch tatsaechlich haben!'

Das ging denn doch zu weit. - 'Soll ich Ihm den Weg zeigen? Schere Er
sich! Was zum Kuckuck behelligt Er mich mit dergleichen?' schreie ich ihn
an und kriege einen roten Kopf und gebe ihm noch einmal einen Denkzettel,
der sich gewaschen hat.

Der Kerl ruehrt sich aber nicht vom Flecke! Er geht nicht! Er steht nur da
und hoert in aller Ruhe zu, wie ich ihm mit Schweinerei und saumaessigem
Dienst und dergleichen um die Ohren werfe, und feixt auch noch und sagt
dann endlich: 'Wenn das Dorf zu finden waere - ich haette es schon gefunden!
Wir haben die ganze Gegend abgesucht! Aber nichts zu sehen! Die
Nachbardoerfer, ja, _die_ waren da, aber unser Dorf nicht! Kein Mensch
wusste etwas vom ganzen Dorf! Endlich haben wir einen uralten Kuester vor
der Tuer seines Hauses gefunden - der sagte uns Bescheid. 'Das Dorf,' sagte
er, 'war einst das groesste und reichste hier in der Gegend - bis der
Dreissigjaehrige Krieg kam! Der liess aber keinen Stein auf dem anderen, der
vertilgte das Dorf mitsamt den Bewohnern spurlos vom Erdboden!' - So sagte
der Kuester. Aber auf der Karte des Generalstabes steht das Dorf immer noch
verzeichnet - in den Quartierlisten der Armee auch! Und da drinnen, in dem
Dorfe sollen wir nun wohnen!'

So eine Sauwirtschaft ist nur unter dem alten Gensau moeglich', sagte Yorck
und fluchte und trug mir in drei Teufels Namen auf, die Sache gelegentlich
des Kriegsrats vorzubringen, was ich auch mit Wonne besorgt habe! Das war
meine Zutat zur heutigen Beratung! Mehr praktische Arbeit wurde von mir
weder geleistet noch verlangt, und von den meisten anderen 'Beratern' auch
nicht!"

Der Prinz lachte noch toller. Bluecher aber, aergerlich ueber die lange Dauer
der Beratung, schimpfte gleich los.

Ruechel haette von Rechts wegen das Oberkommando haben muessen - der Prinz
hier mindestens ein Armeekorps statt einer Division, und er, Bluecher
selbst, muesste die ganze Kavallerie unter sich haben, dann stuende man jetzt
nicht noch hier! Dann haette man laengst die Franzosen auseinandergejagt,
den Rheinbund gesprengt und den sauberen Koenigen von Napoleons Gnaden, den
von Bayern und den von Wuerttemberg mitsamt ihrem badischen Bundesbruder
gezeigt, wo man im deutschen Vaterlande von Gottes Gnaden zu Fuersten
ausersehen waere! Eine Schmach war's, dass sie, obwohl Deutsche, gegen
Deutsche kaempfen wollten! Ein Bloedsinn aber von der preussischen Regierung,
zu glauben, diese Abtruennigen nur dadurch vom Kampf abhalten zu koennen,
dass Napoleon sie nicht angriffe! Denn, ob er als Angreifer oder
Angegriffener dastuende, gleichviel! Die dreiundsechzigtausend Mann
Bayerns, Schwabens und Hessen-Darmstadts wuerden doch gegen Preussen
marschieren und helfen es einzuengen! Dagegen waere nur eins am Platze
gewesen: schnell wie der Wind dazwischenfahren! Und wenn ein paar von den
Zaunkoenigen Napoleons dabei vom Ast gefallen waeren - schaden taete das der
deutschen Sache nicht! Solche Fuersten koennte man entbehren!

Die Armeeleitung wusste aber nicht mehr, was sie wollte. Sie liess jede gute
Gelegenheit, dem Feind einen Streich zu spielen, voruebergehen und schien
nur zu dem einen entschlossen zu sein: stets zu spaet zu kommen.

So hatte man erst jetzt, wo man sicher sein konnte, dass die franzoesischen
Korps ihren Standort laengst verlassen hatten, den grossen Entschluss gefasst,
ihnen mit einem kuehnen Husarenstreich in die Quartiere, wo sie nicht mehr
lagen, zu fallen, um ihren natuerlich laengst stattgefundenen Aufmarsch zu
stoeren! Und statt sich damit zu begnuegen, sich mit ein paar Schwadronen
bei diesem nachtraeglich mutigen Unternehmen zu blamieren, wollte man die
ganze Vorhut unter dem Herzog von Weimar quer durch den Thueringer Wald, zu
ebendiesem Zweck schicken! - Ganze zwoelftausend Mann, die bei der
Hauptarmee viel noetiger waren, aber jetzt todsicher dort fehlen wuerden,
wenn's zur Entscheidung kaeme! Und das waren von den besten Truppen
Preussens!

Da waren darunter das beruehmte Regiment Kuhnheim, das aelteste der Armee -
das Regiment Braunschweig-Oels, das seinerzeit den Sieg bei Turin
entschied - das Regiment von Borck, das unter Bluechers eigenen Augen bei
Kaiserslautern in Schritt und Richtung wie auf dem Paradeplatz
marschierend die franzoesischen Linien durchbrach - da waren das seit
Zorndorf, Kollin und Prag beruehmte Pommernregiment Owstien, das
Grenadierbataillon Graf Wedel, die Yorckschen Jaeger, die Husarenregimenter
von Pletz und von Zieten - naechst seinen eigenen "Roten", auf die er
nichts kommen liesse, die besten der Armee! - Lauter Kerntruppen, auf die
ein Verlass sei! Und die liess man ziehen! Man war doch ohnehin viel zu
schwach! Durch Stockung der Anwerbung, durch Desertionen und durch die
vielen Invaliden, die beim Ausmarsch zurueckbleiben mussten, waren die
Truppenteile sowieso weit unter den Bestand gesunken, den sie haben
sollten! Viele Tausende waren so verlorengegangen! Und die ostpreussischen
Truppen waren ueberhaupt nicht ausgerueckt! - Das waren ueber zwanzigtausend
Mann. Fast fuenfzehntausend hatte man aus Angst vor den lieben Polen im
Herzogtum Warschau und zur Verstaerkung der Garnisonen in den nicht
bedrohten schlesischen Festungen gelassen! In Westfalen fuehlte man sich
auch der Bevoelkerung nicht sicher und liess dort fast ebensoviel stehen! -
Von den westpreussischen Truppen hatte man, daemlicherweise, eine
"strategische Reserve" gebildet, die irgendwo in der Luft hing und
sicherlich erst zum Vorschein kommen wuerde, wenn's zu spaet waere und die
anderen Truppen abgekaempft waren - sicherlich aber nicht, wenn sie
benoetigt wuerde! Von der ganzen beruehmten preussischen Armee, von
zweihundertundzwanzigtausend Mann, war nur die Haelfte zur Stelle, ausser
den achtzehntausend Sachsen, die nicht zaehlten! Ueberhaupt die
Bundesgenossen! Die haetten ganz anders angepackt werden muessen! Kurz und
gut erklaeren: Entweder du marschierst mit und schlaegst dich, wo es eine
deutsche Sache gilt, oder ich verschlucke dich! Sonderinteressen gibt's
nicht! Was war das nun wieder fuer eine Schlappschwaenzigkeit der
preussischen Diplomatiker gewesen, all den kleinen Fuersten Neutralitaet
zuzugestehen?! Mecklenburg, Anhalt, die Schwarzburg, die Lippe, die
saechsischen Herzoege, den Herzog von Braunschweig, alle liess man neutral
bleiben - und Kurhessen durfte gar abwarten, bis es saehe, auf welcher
Seite es zum Sieg kaeme, ehe es sich entschloesse einzugreifen! Kursachsen
schickte bloss seine halbe Armee, Weimar ein - sage und schreibe - ein
Bataillon Jaeger!

"Das sind alles in allem fuenfzigtausend Mann, die wir haetten _mehr_ haben
koennen, wenn wir nur den Mut gehabt haetten, einmal gegen diese
Herrschaften bestimmt aufzutreten! Aber das wagten wir nimmermehr! Was
heisst das, von Kurhessen eine derartige Niedertracht zu dulden! Das
liebaeugelt mit dem Korsen und will sich seinem Rheinbund anschliessen und
ihm die Stiefelsohlen lecken, wenn er ihm bloss gestattet, Darmhessen zu
schlucken! Und rutscht auf dem Bauch vor Preussen und macht auch den
Norddeutschen Bund mit, wenn wir ihm zugestehen, die angrenzenden kleinen
Standesherrschaften zu annektieren! Und schmeisst uns den ganzen Bund um,
weil wir dazu nur 'nein' sagten statt den Kurfuersten fest am Genick zu
packen und ihn auf die Knie zu zwingen! Himmeldonnerwetter, haette man mir
nur freie Hand gelassen, als ich auf dem Weg hierher durch Kassel kam. Ich
haette den guten Kurfuersten schon beim Schlafittchen genommen! Ich haette
uns die hessische Armee, mir nichts dir nichts, angegliedert! Und
mitgegangen waere sie! Aber da kamen wieder die beruehmten Kontraorders vom
Kabinett, und nun koennen wir sehen, wie wir's machen! Ich wuerde kein Wort
darueber verlieren, wenn es nur sonst ein Ende naehme mit dieser bodenlosen
Unentschlossenheit und diesem Hin und Her ohne Reim und Raeson! So geht's
ja nie und nimmer mit zwei kommandierenden Generalen und drei
Quatiermeistern, die alle woanders stehen und alle was anderes wollen, und
kreuz und quer kommandieren und nachher, jeder fuer sich, die Entscheidung
vom Koenig holen, der selbst nicht weiss, ob er alles oder gar nichts will!

Dabei ist die Armee noch in der Umbildung, hat die Einteilung in
Divisionen kaum durchgefuehrt, geschweige denn jemals im Ernstfall
ausprobiert! Wenn die Leute, die uns heute kommandieren, uns da nicht eine
grosse Schweinerei bescheren, will ich gehaengt sein! Ich bin gespannt, was
schliesslich bei dem Kriegsrat herauskommt!"

"Ich nicht!" sagte der Prinz, dem das Schimpfen des alten Haudegen
sichtbar grosses Vergnuegen bereitete. "Wenn mein Vetter gescheit waere,
wuerde er tun wie unser gemeinsamer Ahnherr, der grosse Friedrich, und
rundweg jeden Kriegsrat verbieten. Er wuerde die ratlosen Herrschaften nach
Hause schicken und Ruechel und Sie, Bluecher, und mich zu sich rufen und
sagen: 'Jetzt macht die Sache, ihr drei! Macht sie schnell, macht sie gut,
sucht den Feind auf und schlagt ihn!' Das tut er aber nicht, er ruft Herrn
Beyme, er ruft Herrn Lombard! Und Lombard, der ergraute, parfuemierte
Friseurjuengling - der Allerweltscharmeur, der blasierte, lebensmuede
Genussmensch - Lombard kommt taenzelnd herbei und lispelt delizioes: '_Sire,
vous voulez la guerre? Quelle horreur!_ Wossu _la guerre_? Man verstaendigt
sich - schliesst einen Kompromiss - beseitigt die Differenzen - reicht sich
die Haende! Unter Leuten von Welt das Leichteste, das Einfachste was sich
denken laesst! Jener Parvenu - jener Kaiser von Poebels Gnaden - er ist noch
zu neu in seiner Wuerde, er hat noch keine Manieren! Gehen wir ihm mit
gutem Beispiel voran!'

Und dann setzt sich der Herr Lombard an den Schreibtisch, streift die
Spitzenmanschette zurueck, taucht mit Grazie seinen Federkiel in
franzoesisch parfuemierte Tinte und schreibt soigniert, formvollendet, ohne
den geringsten Verstoss gegen die laengst abgestorbene Etikette, in
tadellosem Franzoesisch, aber im Namen des Koenigs von Preussen - ein
Manifest, als einzige Antwort auf die Unverschaemtheit Napoleons, unser
Ansbach zu besetzen! Und der Koenig laesst gehorsamst das Elaborat seinen Weg
in den Papierkorb des Korsen, statt in den seinigen nehmen! Er befiehlt
uns nicht, sofort wie der Blitz dreinzusausen und mit blanken Hieben im
eigenem Blute des Unverschaemten die einzige ihm gebuehrende Antwort zu
schreiben! Das haette unverzueglich und unverzagt schon vor Wochen getan
werden muessen! Da haetten wir die Franzosen zum Teufel gejagt! Aber
jetzt - -"

"Eine Schmach ist es!" rief Bluecher, "eine Schmach und Schande, wenn man
bedenkt, welcher Sprache sich jener kleine Kerl unseren Fuersten gegenueber
erfrecht! Schockschwerenot! Setzt der uns unten am Rhein seinen Schwager
auf die Nase, jenen Baeckerjungen aus Cahors, den Seiltaenzer Murat! Den
macht er zum Herzog von Berg, laesst ihn unsere Abteien Essen, Eltern und
Werden nehmen und dehnt so seinen Rheinbund immer weiter nordwaerts aus,
engt uns immer dichter ein - sucht Sachsen und Hessen auch heranzulocken
und laesst uns dann gnaedigst wissen, wenn wir uns darueber beschweren, dass er
so den Norddeutschen Bund hintertreibt: _Er_, Napoleon, haette die
Unabhaengigkeit aller deutschen Fuersten garantiert, _er_ werde keinen
Oberherrn unter ihnen dulden!

_Das_ muss sich ein Koenig von Preussen ins Gesicht sagen lassen! Und zieht
nicht gleich vom Leder, ruft nicht alles, was deutsch spricht, unter die
Fahnen zum Kampf gegen den Frechling, sondern ueberlegt's noch, macht einen
Schritt vorwaerts, zwei Schritte rueckwaerts und bloss halb mobil, zaudert und
ueberlegt und fragt: 'Soll ich, soll ich nicht? - Liebt er mich? Liebt er
mich nicht?' Wo es doch sonnenklar ist, dass er uns absichtlich auf die
Huehneraugen treten wollte!"

"Der Koenig hofft noch den Frieden zu bewahren - er hofft im letzten
Augenblick den Krieg abzuwenden", sagte der Prinz. "Und leider ist das
ganze Oberkommando ebenso vertrauensselig und tut nichts, um seine Zweifel
zu entkraeftigen! Ein Glueck ist es, dass ich die Vorhut der zweiten Armee
habe, und dass Sie, Bluecher, die von der Hauptarmee jetzt uebernehmen! Wir
werden uns da nichts entgehen lassen, nicht wahr?"

"Nein, hol' mich der Teufel, da soll mich nichts zurueckhalten!"

"Die erste Gelegenheit, mit den Franzosen handgemein zu werden, nutze ich
aus! - Sie sollen's sehen, ich mach's, und das wird eine Sache, von der
man reden wird! Und dann _gibt's kein Zurueck_! Fuer die Ehre Preussens,
Bluecher, fuer den Ruhm der preussischen Armee, dafuer setze ich mein Leben
ein! Das schwoere ich!"

"Ich auch, bis zum letzten Blutstropfen!"

Sie gaben sich die Haende, und Ruechel, als Dritter im Bunde, legte auch den
feierlichen Schwur ab, gab dann Bluecher die Befehle, auf die er wartete,
und hiess ihn sich auf seinen Posten begeben. Prinz Louis Ferdinand holte
sich noch vom Prinzen Hohenlohe Instruktionen und sass kurz darauf im
Sattel, um seine Division in Rudolstadt aufzusuchen.

                                   *

Im Schlosse zu Jena dampften die Schuesseln auf der Tafel des
kommandierenden Generals. Man hatte im Oberkommando der Hohenloheschen
Armee einen Mordshunger. Seit drei Tagen war man zu keinem rechten
Mittagsmahl gekommen, immer trafen gerade zur Tischzeit Hiobsposten ein,
die getroffene Dispositionen ueber den Haufen warfen und ohne Verzug neue
verlangten.

Im Salon warteten die Mittagsgaeste des Fuersten, der General Sanitz, der
fuer den erkrankten General von Prittwitz die in Jena stehenden Reserven
kommandierte, die beiden Adjutanten, Major von der Marwitz und Major
Loucey, und einige Stabsoffiziere.

Die Stimmung war gedrueckt. Ein Teil der Avantgarde unter Tauentzien war
von Bernadotte besiegt - der Rest unter Louis Ferdinand bei Saalfeld
geschlagen, der Prinz selbst gefallen! Man war zur Unterhaltung wenig
geneigt. Jeder der Anwesenden hatte seinen guten Teil Zweifel und
Ungewissheit zu tragen und zoegerte, ihm Worte zu verleihen. Und schliesslich
war man, wie gesagt, hungrig und entschlossen, sich wenigstens heute nicht
stoeren zu lassen, sondern erst auf die Schuesseln einzuhauen und dann auf
den Feind.

Der Fuerst liess auf sich warten.

Er beriet noch im Arbeitszimmer mit seinem getreuen Massenbach und
diktierte verschiedene sofort zu erledigende Dispositionen. Der Hunger
setzte ihm wohl ebensosehr zu wie seinen Gaesten, die draussen warteten.
Aber erst kommt der Dienst, und der verlangte heute schnellen Entschluss!
Dann wuerde die Suppe um so besser munden, und man haette, nach dem Essen,
auch ein Viertelstuendchen Zeit zum Ausruhen - was bei einem Sechziger, dem
die Strapazen des Hoflebens gelaeufiger waren als die im Lager, nicht ganz
ohne Bedeutung zu sein pflegt.

Die ersten Donnerschlaege des Korsen waren gefallen, der Nebel, der seine
Absichten bis jetzt verhuellte, hatte sich fuer einen Augenblick verzogen;
man erkannte, aus welcher Richtung das Gewitter nahte, sah, was man
versaeumt oder falsch gemacht hatte, und traf Massnahmen, der ersten
Verwirrung zu begegnen und die Dinge der neuen Sachlage gemaess zu ordnen.

Massenbach, sonst nicht gewohnt bei seinem fuer gewoehnlich gutmuetigen und
gefuegigen Herrn Widerspruch zu finden, hatte heute einen schweren Stand.

Der Fuerst hatte schliesslich auch seine eigene Haut zu Markte zu tragen. Er
war nervoes und ungehalten, die Verantwortung fuer Fehlschlaege auf sich
nehmen zu muessen, die der uebereifrige Eigensinn seines
Generalquartiermeisters verschuldet hatte. Er warf ihm vor, absichtlich
unklare und zweideutige Instruktionen an die Unterbefehlshaber gegeben zu
haben, wodurch jeder von ihnen sozusagen einen Freibrief auf
eigenmaechtiges Vorgehen erhalten und auch, zum Schaden des Ganzen, davon
Gebrauch gemacht hatte.

"Es geht nicht," sagte der Fuerst, "wenn man einen Befehl erteilt,
gleichzeitig anzudeuten, dass man die Sache vielleicht doch lieber anders
gemacht haben moechte! Ich habe mir unsere an den Prinzen Louis Ferdinand
ergangenen Befehle vorlegen lassen. Der Prinz musste nach ihnen glauben,
das Wohl der ganzen Armee hinge davon ab, uns den Flussuebergang bei
Saalfeld zu sichern. Deshalb warf er sich mit seiner einen Division dem
ganzen Korps Lannes entgegen und nahm einen aussichtslosen Kampf mit dem
Feind auf, statt sich, wie befohlen, in Ordnung zurueckzuziehen und nur in
Fuehlung mit ihm zu bleiben! Und da haben wir die Niederlage! Seine
Division in alle Winde zersprengt, die Stimmung bei der uebrigen Armee
verdorben und die Siegeszuversicht der Soldaten aufs schwerste
erschuettert!"

Das waere keineswegs der Fall, meinte Massenbach, zog schleunigst alle
Schleusen seiner Beredsamkeit auf und ueberschwemmte den Fuersten mit einer
Schwallwoge von guten Gruenden.

- Kleine Fehlschlaege - und nur um einen solchen handelte es sich in diesem
Fall -, kleine Fehlschlaege kaemen stets im Kriege vor; damit muesse man
rechnen, wie schmerzlich sie auch seien! - Die Schlappe bei Saalfeld wuerde
keinesfalls die Stimmung bei den Truppen verderben! Was Prinz Louis
Ferdinand in der Beziehung gefaehrdet haette, hatte er durch seinen
Heldentod wieder gutgemacht!

Hier nahm Massenbach den Mund recht voll, gab im breitesten Schwaebisch
eine begeisterte Lobeshymne altpreussischen Heldengeistes zum besten, liess
die kriegerische Tugend des echten Hohenzollernsprossen in den hehrsten
Farben schillern, beschrieb, wie der Prinz, als er seine fliehenden Reiter
zum Stehen bringen wollte, im Strudel mitgerissen wurde und vergebens
dagegen ankaempfte - wie er, als sein Pferd beim Uebersetzen eines
Gartenzaunes haengenblieb, von den Franzosen eingeholt wurde -, wie er sich
dann mit Loewenmut gewehrt, Pardon weder gegeben noch genommen hatte,
vielmehr den Stern des Schwarzen Adlers auf seiner Brust mit dem Hut
bedeckt, um nicht als Prinz erkannt und geschont zu werden, und wie er so
lieber mit dem Tod als mit der Schmach der Gefangenschaft seine Niederlage
besiegelte!

Sonst war Massenbach des Eindrucks seiner Beredsamkeit auf den Fuersten
sicher. Heute aber versagte sie total!

Keine Ruehrung, kein Seufzer, keine Traene! Auch kein einziges Zeichen des
Beifalls, als er die Nachricht hinzufuegte, die Truemmer der Division Louis
Ferdinand seien von General Grawert, der ihnen von Orlamuende aus nach
Rudolstadt entgegenrueckte, aufgenommen und neu geordnet worden!

"Die Schlappe bei Saalfeld war schon der zweite Donnerschlag, der uns
traf! Tauentzien bescherte uns den ersten bei Schleiz!" sagte der Fuerst
aergerlich. "Und Sie haben alles mit verschuldet, Massenbach! Haetten Sie
nur Ihren Plan: mit Gewalt das Hauptgewicht der Operationen auf das rechte
Saaleufer zu verlegen, zurueckgesteckt und strikte die Order des
Hauptquartiers befolgt! Nun wissen die Generaele nicht aus noch ein! Ein
jeder handelt fuer sich - meine Armee steht ueberall zerstreut! - Keine
Sammlung, keine Einheit! Wenn's _jetzt_ zum Schlagen kaeme, sind wir beim
ersten Anstoss in alle Winde zerstreut!" -

Auch gegen _die_ Besorgnis hatte Massenbach ein beruhigendes Pflaster
bereit.

- Er haette, wie der Fuerst ihm schon vorher in weiser Voraussicht bedeutet
hatte, Stafetten mit Marschorders ueberallhin ausgesandt, und aus allen
Richtungen strebten schon die zerstreuten Teile der Armee zum linken
Saaleufer hin! Verschiedene Truppen waeren schon angelangt! Die saechsischen
Regimenter zoegen sogar in dieser Minute durch die Stadt! Nachmittags wolle
er, Massenbach, selbst hinauf nach dem Landgrafenberg und dahinter, an der
Schnecke und am Kapellendorf, wie befohlen, das Lager ausstecken. Es waere
sogar hoechste Eile damit, um fertig zu werden, ehe die Truppen einrueckten!

- Ob nicht in Anbetracht dessen Seine Durchlaucht die Gnade haben moechten,
zu befehlen, dass aufgetragen werde? Die Suppe wuerde sonst kalt werden! -

Da kam ihm der Fuerst mit dem dritten Donnerschlag von dem mit Windeseile
ueber den Thueringer Wald hinaufziehenden napoleonischen Gewitter und teilte
ihm die soeben eingegangene Nachricht mit, Naumburg mit seinen reichen
Vorraeten und Magazinen waere gefallen!

"Naumburg?" fluesterte Massenbach und wurde ganz still.

"Ja," sagte der Fuerst, "und das haben wir auch durch unsere unklare
Befehlsgebung, an der Sie nicht so ganz unbeteiligt sind, verschuldet!
Derlei unliebsame Ueberraschungen, wie jetzt mit Naumburg, setzt man sich
nicht aus! Ich hatte bestimmte Befehle gegeben, die dem vorgebeugt haetten,
wenn sie befolgt worden waeren. Ich hatte, wie Sie wohl wissen, unseren am
weitesten nach Osten stehenden vorgeschobenen Postierungen befohlen,
gegebenenfalls sich _ohne Kampf_, aber in steter Fuehlung mit dem Feind,
von Hof ueber Schleiz nach Naumburg zurueckzuziehen und uns stets _a jour_
mit allem zu halten! Der Graf Tauentzien aber verwechselte, von Ihnen
angesteckt, seinen Posten als Kommandant der Avantgarde mit der Stellung
eines Oberkommandierenden! Er disponierte selbst, schlug sich gegen Befehl
und wurde, wie sie wissen, von Bernadotte aufs Haupt geschlagen! Damit
fing's an! Das war das _Horsd'oeuvre_! Weil Tauentzien sich statt auf
Naumburg nun so allmaehlich hierher, nach Jena, mit dem Rest seiner Truppen
zurueckziehen musste, fehlte mir seit Tagen jede Nachricht ueber die
Fortschritte der Franzosen auf dem Wege nach Leipzig! Die haetten wir
laengst haben muessen und unsere Gegenmassnahmen beizeiten treffen koennen,
staende Graf Tauentzien heute wie befohlen in Naumburg, statt bei uns zu
dinieren!"

"Der Graf hat abgesagt! Dienstlich verhindert!" beeilte sich Massenbach
einzuwerfen, wagte dann noch eine schuechterne Erinnerung an die wohl
laengst erkaltete Suppe vorzubringen und fand diesmal bei seinem Herrn ein
geneigteres Ohr. Denn der durchlauchtige Magen fing immer gebieterischer
an, sich Geltung zu verschaffen.

Man verfuegte sich also in den Speisesaal, trat an den reichgedeckten
Tisch, die Diener schoben die Stuehle zurueck, die Tafeldecker hoben die
Deckel von den Schuesseln, appetitlich duftende Daempfe reizten die Gaumen,
das Vorgefuehl kulinarischer Genuesse erheiterte die Stimmung - man wurde
gespraechig, fing an, alles in Rosenrot zu sehen, liess Vergangenes
Vergangenes sein, loeffelte vergnuegt die delikate Suppe aus und sah schon
den Madeira in den Glaesern funkeln.

Da stuerzte atemlos, unter gaenzlicher Missachtung einer jeglichen Etikette,
der Kammerdiener des Fuersten herein.

"Die Franzosen sind in der Stadt!" schrie er leichenblass, und all die
erhobenen Suppenloeffel blieben auf halbem Wege zu den aufgesperrten
Maeulern stehen, um sich dann langsam wieder auf die Teller zu senken.

"Die Franzosen?" sagte der Fuerst unglaeubig. "Unsinn! Sie koennen nicht
fliegen!"

Und er loeffelte wieder seine Suppe, kaltbluetig, wie's sich einem erprobten
Kriegshelden geziemt.

Aber einige von den Stabsoffizieren meinten, es waere doch wohl moeglich!
Sie haetten den Feind am Tage zuvor gesehen, als sie den Vorposten Befehl
ueberbrachten, und es waere schon anzunehmen, dass er heute seine Streifzuege
bis nach Jena ausgedehnt haette! Die Adjutanten eilten hinaus, um sichere
Nachricht zu verschaffen. Massenbach aber ass fuer drei, in beschleunigtem
Tempo, und der Fuerst, der sich auch nicht gern beim Essen stoeren liess,
befahl den Fisch zu servieren. Er schnalzte vor Wohlbehagen beim Anblick
der leckeren Forellen, die sich graublau und mattsilbern unter hellgelben
Zitronenscheiben auf den glaenzenden Schuesseln behaglich rekelten. Er liess
sich ein paar auf den Teller geben, nahm reichlich Butter dazu und fing
schon an, die groesste zu zerlegen.

Da ging draussen ein Geschrei und ein Getoese los, als waere das Juengste
Gericht ploetzlich ueber das Land Thueringen hereingebrochen - ein Laufen
war's, ein Fahren, ein Fluchen, ein Poltern! Der Fuerst liess Messer und
Gabel sinken, liess Forelle Forelle sein, erhob sich vom Tisch, befahl, die
Pferde vorzufuehren, liess sich Hut und Degen geben und ging aus dem
Speisesaal hinaus, von allen Anwesenden gefolgt, mit Ausnahme von
Massenbach.

Der hatte sich fest vorgenommen, sich heute durch nichts von der Stillung
seines Appetits stoeren zu lassen, weder vom Kaiser Napoleon noch von
irgendeinem anderen Engel des Gerichts! Er nahm also ruhig seinen Platz
wieder ein und gab dem Hofmeister einen Wink - die Lakaien traten mit
gefuellten Schuesseln an, und der Herr Generalquartiermeister nahm ihnen die
Parade ab, revidierte aufs gruendlichste, was sie an Proviant noch vorraetig
hatten, und verschonte auch nicht die Batterie von Flaschen, die
aufgefahren war! Indessen auf den Strassen der Laerm wuchs und den Ohren des
schmausenden Helden das geeignete kriegerische Tafelkonzert lieferte.

Draussen sah es wuest aus. Der Markt war uebersaet mit fortgeworfenen Gewehren
und Patronentaschen, deren sich die durchmarschierenden saechsischen
Regimenter, von wilder Panik ergriffen, entledigt hatten. Auf der
Saalebruecke war ein wirrer Knaeuel von festgefahrener Artillerie und
Munitionswagen, ein Schreien und Fluchen, um loszukommen, und schliesslich
ein rasches Davongaloppieren der Gespannpferde, nachdem die Fahrer die
Straenge durchschnitten und sich in die Saettel geschwungen hatten. Durch
alle Tore stroemten Soldaten in die Stadt hinein, um durchs naechste wieder
hinauszufluten; die Jenenser, von der allgemeinen Angst ergriffen,
sperrten sich in ihre Haeuser ein und gaben auch manchen von den wackeren
Vaterlandsverteidigern einen Unterschlupf - liessen aber dafuer die bei
ihnen in Quartier liegenden Offiziere nicht hinein, um ihr Gepaeck und ihre
Pferde zu holen. Alles schien den Kopf total verloren zu haben. Einzig ein
paar Regimenter der unter Tauentzien stehenden geschlagenen Avantgarde,
die von Hof ueber Roda nach Jena gekommen waren, nachdem sie mit dem Feind
handgemein gewesen waren und also wussten, wo er war und was sie an ihm
hatten - einzig sie behielten die Fassung. An ihrer Spitze umritt denn
Hohenlohe die Stadt, um die Friedensstoerer, falls sie wirklich noch da
waren, zu stellen und zu schlagen.

Da, wo er hinkam, war aber nichts zu sehen. Einige Leute wollten Franzosen
auf den Bergen um die Stadt herum bemerkt haben. Und da der Fuerst, bei
naeherem Nachsehen, ein paar Uniformen zwischen den Bueschen dort oben
bemerkte, so schickte er Patrouillen hinauf, um nach dem Rechten zu sehen.

Sie kamen zurueck und brachten als Gefangene - einige Verwundete von der
bei Saalfeld versprengten Division des Prinzen Louis Ferdinand mit, die
weder in Lazaretten noch in Buergerhaeusern Unterkunft gefunden hatten, die
auch, wie fast die ganze durch Gewaltmaersche gehetzte Hohenlohesche Armee,
in den letzten drei Tagen nichts gegessen hatten und nun, um ihren Hunger
zu stillen, dort oben in den Feldern nach Kartoffeln gruben. Fuer ihre
Entbehrungen hatte ja auch die bekanntlich puenktlich waltende Nemesis der
Weltgeschichte den Fuersten durch ebenso haeufige Stoerungen seiner
Mahlzeiten gestraft, da ja _er_ die Verantwortung zu tragen hatte und sein
Generalquartiermeister nur zu suendigen brauchte!

Diese armen Leute waren es, die den Schrecken ueber Stadt und Land
losgelassen und so vielen tapferen Leuten eine schmaehliche Niederlage
bereitet hatten.

Ein paar Hasenfuesse von der Strasse hatten sie gesehen und "die Franzosen
kommen!" geschrien. Und gleich war der Teufel los, Laerm wurde geschlagen,
Besinnung, Mut und Ordnung waren hin, und eine Schlacht ging verloren, in
der es nur Besiegte, aber keinen Angreifer und also auch keinen Sieger
gab!

Der Fuerst kehrte an der Spitze seiner Tapferen in die Stadt zurueck, befahl
die ineinandergefahrene Artillerie auseinanderzubringen und die Fahrer,
die die Straenge durchgeschnitten hatten und geflohen waren, festzunehmen
und mit aller Strenge der Kriegsgesetze zu bestrafen - eine Aufgabe, die
die saechsische Generalitaet guetigst uebernahm und auch puenktlich - - bis auf
die Bestrafung - durchfuehrte!

So konnte sich der Fuerst endlich wieder zu Tisch setzen und in den
inzwischen bei der Verwirrung gruendlich geleerten Schuesseln Nachschau
halten. Viel fand er nicht mehr vor, die Forellen waren laengst in andere
Gewaesser hineingeschwommen, die Lakaien hatten vor Schrecken in ihren
Verstecken weder sehen noch hoeren koennen, und der Herr
Generalquartiermeister war auf die Berge geklettert, um das Lager
auszustecken, das noch vor Sonnenaufgang bezogen werden sollte.

So endete der erste Tag der fuer die Franzosen so glorreichen Schlacht bei
Jena.

Aber mancher tapfere Bursche knirschte vor Wut mit den Zaehnen, als er von
der Panik hoerte, und schwur hoch und heilig, wenn es wirklich zum Kampf
kaeme, die Schmach mit dem Blute der Franzosen abzuwaschen oder selbst
dabei ins Gras zu beissen!

Am naechsten Tag kamen der Koenig und der Herzog von Braunschweig von Weimar
heruebergeritten. Sie wollten mit Hohenlohe die auf Grund der erlittenen
Niederlage Tauentziens und Louis Ferdinands veraenderte Sachlage beraten
und beschliessen, was nun zu tun waere, um sich der nach dem Fall Naumburgs
drohenden Ueberfluegelung zu entziehen und aus der Falle hinter der Saale
wieder herauszukommen.

Das Resultat der Beratung wurde, dass das Hauptheer von Weimar ueber
Auerstedt auf die Unstrut zu in Marsch gesetzt werden sollte. Ruechel, der
mit seiner Armee in Erfurt stand, sollte folgen, zunaechst nach Weimar -
der Herzog von Weimar sollte von seinem "Husarenstreich" nach Franken
zurueckberufen werden, Hohenlohe die Saaleuebergaenge bei Jena, Dornburg und
Camburg besetzen, um den Flankenmarsch der Armee zu schuetzen und dann
nachkommen. In Sachsen wollte man sich mit der Reservearmee unter dem
Herzog von Wuerttemberg treffen und so vereint dem Feind entgegentreten.

Der Rand des Saaleplateaus, vorzueglich der Landgrafenberg, sollte besetzt,
aber kein Angriff unternommen werden.

Man trennte sich wieder.

Der Fuerst, der sich bestimmt vorgenommen hatte, wenigstens heute zu Mittag
zu essen, wollte sich eben zu Tisch setzen, als ihm wieder zwischen Lipp'
und Bechersrand eine Probe gegeben wurde, wie sehr die Disziplin in seiner
Armee gelockert war und wie wenig er sich auf sie verlassen konnte.

Zunaechst wurde er durch die Nachricht gestoert, dass der Feind die dicht bei
Jena stehende Feldwache angegriffen hatte - was ja an sich keine
Katastrophe bedeutet haette, wenn jene Nachricht ihm nicht durch den Chef
jener Feldwache selbst ueberbracht worden waere, der auch gleich,
vorsichtshalber, sein ganzes Wachkommando nach der Stadt mitgenommen und
also dem Feind offene Bahn gelassen hatte. Das musste schleunigst in
Ordnung gebracht werden und wurde auch durch den Adjutanten des Fuersten,
Major Loucey, mit einem Bataillon eines der in Jena stehenden Regimenter
Tauentziens besorgt. Ausserdem bekam der saechsische General Senft, der
zwischen Jena und Dornburg stand, Befehl, mit seinen Dragonern die neue
Feldwache zu unterstuetzen, die Saaleufer zwischen Dornburg und Jena zu
beobachten, Dornburg zu besetzen und auch mit einigen Eskadrons nach
Camburg zu gehen, um die dort befindliche Bruecke, die in die Haende der
Franzosen gefallen war, zu nehmen.

Der General tat das alles aeusserst saumselig, wofern er es ueberhaupt tat,
dirigierte eine Eskadron halbwegs nach Camburg und setzte sich mit dem
Rest seiner Dragoner irgendwo zur Ruhe. Der Fuerst wusste aber davon nichts.

Es stand jedoch in den Sternen geschrieben, dass der gute Fuerst, der sosehr
die Freuden der Tafel liebte, gerade in dieser Beziehung seines Lebens
nicht froh werden sollte!

Mit Entbehrungen seines durchlauchtigen Bauches musste er die Suenden seines
Kommissariats vergelten, das so schlecht fuer das leibliche Wohl seiner
Soldaten sorgte. _Nolens volens_ musste er die Qualen des Hungers selbst
leiden fuer alles, was die braven Soldaten entbehren mussten! Und gar noch
fuer die Sachsen, obwohl diese ein eigenes Oberkommando, eigene Verpflegung
und eigenen Generalstab hatten und ihn in dieser Hinsicht gar nichts
angingen!

Das hinderte sie aber nicht, einen Kriegsrat ihres
Verpflegungsdepartements, mitsamt dem Adjutanten der kommandierenden
saechsischen Exzellenz, zum Fuersten zu schicken, mit der kategorischen
Mitteilung: Wenn die Preussen ihnen nicht sofort zu essen gaeben, wuerden
sie, die Sachsen, sogleich abmarschieren und den Krieg Krieg sein lassen!

Der Fuerst verzog keine Miene bei der wenig erfreulichen Tatsache, dass
seine halbe Armee angesichts des Feindes mit Rebellion drohte. Er
versprach alles und schickte sofort seinen braven Massenbach spornstreichs
nach Weimar zum Koenig, um Brot fuer die Sachsen zu erbitten. Denn er war
davon ueberzeugt, wo kein anderer etwas Essbares verschaffen koennte, da
wuerde Massenbach bewirken, dass die Steine zu Brot werden wuerden. Aber leer
kaeme er nicht zurueck! -

Nachdem der Fuerst diese Anordnungen getroffen hatte, setzte er sich nicht
noch einmal zu Tisch, denn das hatte er sich schon abgewoehnt und als
aussichtslos aufgegeben! Sondern er bestieg sein Pferd und begab sich ins
Lager, liess die Truppen aus den Zelten hervortreten und ritt die Front ab.

Es wurde eine lange Inspektion.

Er ritt die preussischen und schlesischen Bataillone ab, beim rechten
Fluegel der Aufstellung anfangend, fragte sie nach allem - ob und wie und
mit was sie versorgt waren -, was sie bekommen und was sie nicht bekommen
hatten? Er redete mit ihnen von den alten Feldzuegen, die sie gemeinsam mit
ihm durchgemacht hatten, sprach wie ein Kamerad, sprach auch wie ein
Vorgesetzter, schoen und markig, von altpreussischem Geist, von
ruhmgekroenten Fahnen und altbewaehrter Waffentuechtigkeit, von Treue und
Pflicht, von Koenig und Vaterland - entflammte so den Mut und den
nimmermueden guten Willen der Braven und bekam gleich Gelegenheit, ihn auf
die Probe zu stellen.

Denn noch hatte er den linken Fluegel nicht abgeritten, da knatterte und
ratterte es links herum am Rande des Saaletales los, und die Nachricht
wurde ihm gebracht: Jena waere geraeumt und auch evakuiert - die Franzosen
waeren drin, und Tauentzien, der die Avantgarde befehligte, waere auf den
Landgrafenberg heraufgekommen! Leider aber fast gleichzeitig mit ihm die
an Zahl weit ueberlegenen Franzosen, so dass er sich vom Talrand kaempfend
zurueckziehen musste!

Da war kein Zweifel mehr, was zu tun war! Als alter erprobter Kriegsmann
liess der Fuerst sofort Fuesiliere und Jaeger tiraillierend vorgehen und den
Feind aus dem naechsten Forst, wo er sich festgesetzt hatte, wieder
hinauswerfen. Er setzte dann preussische Grenadiere und reitende Artillerie
in Marsch, um die Franzosen, die noch nicht in allzu grosser Staerke auf dem
Plateau sein konnten, wieder in das Saaletal hinunterzuwerfen, von dem
sie, bei weniger Schlamperei und besserem Aufpassen der Vorposten, niemals
haetten heraufkommen duerfen! Alles jubelte ihm zu und war des Sieges gewiss.
Der Fuerst wollte auch seine Tapferen in hoechsteigener Person anfuehren und
war schon im Begriff, den Befehl zum Angriff zu geben.

Da kam Massenbach, den ein ungnaediger Himmel nicht unterwegs das Genick
hatte brechen lassen - da kam dieser Ungluecksmensch spornstracks aus
Weimar zurueckgesprengt, wohin ihn ein missguenstiges Geschick in
ueberfluessiger Sorge um den Magen der guten Sachsen entsendet hatte! Da kam
er atemlos an und brachte als erstes den strikten Befehl des Koenigs: unter
keinen Umstaenden irgendeinen Angriff zu unternehmen.

Der Fuerst wuetete und schlug sich zornig mit der Reitgerte auf den Stiefel,
als waere der Stiefel Massenbach. Er fluchte und wetterte und beteuerte:
Wenn der Koenig hier waere, wuerde er selbst zum Angriff blasen lassen! Die
Gelegenheit waere guenstig, es galt die Sicherheit, ja die Existenz der
ganzen Armee. Man muesse den Franzosen schnell wieder vom Plateau
hinunterwerfen! Nach einigen Stunden waere er zu stark, da waere es zu spaet!
Also keine Zeit, erst aus Weimar Befehle einzuholen! -

Massenbach zuckte mit den Schultern, sperrte seine runden braunen
Guckloecher auf, blickte dem Fuersten unverzagt ins Gesicht und wiederholte,
mit vor Ehrfurcht zitternder Stimme, den koeniglichen Befehl, hier keinen
Angriff zu wagen, aber sofort nach Dornburg zu gehen, um die dort
verlorengegangene Bruecke zurueckzunehmen, damit der Abmarsch der Hauptarmee
ungestoert vor sich gehen konnte.

Befehl ist Befehl.

Zaehneknirschend fuegte sich der Fuerst, befahl seinen Braven, statt vorwaerts
auf den Feind zu gehen, links abzuschwenken und nach Dornburg zu ziehen,
setzte sich selbst an die Spitze, da er nun schon das Kommando uebernommen
hatte, liess die Franzosen auf dem Plateaurand bleiben und ueberliess es dem
General Tauentzien, mit der Avantgarde die Hauptstellung zu bewachen.

Diese Stellung, vom Lager bei Kapellendorf bestimmt, war von dem
uebergenialen Massenbach fast mit dem Ruecken gegen den Feind gewaehlt. Ob er
es tat, um wieder einmal etwas anders und origineller als gewoehnliche
Leute zu sein - um dem Feind recht nachdruecklich seine Verachtung zu
zeigen -, oder aus uebergrosser Hoeflichkeit, um es ihm recht bequem zu
machen, der preussischen Armee in den Ruecken zu fallen, das mag
dahingestellt bleiben!

Massenbachs Genie reichte aber nicht so weit, anzunehmen, dass der Feind
sich gewiss nicht um des Koenigs von Preussen Verbot, zu kaempfen, kuemmern
wuerde! Da man aber den Gehorsam so weit trieb, sich auch kopflos aller
Vorteile einer starken Stellung zu begeben - da man also die Saale nicht
einmal so lange verteidigte, dass man die Absichten des Feindes erriet - da
die Bruecke ueber den Fluss nicht abgebrochen, die Stadt Jena geraeumt wurde -
da der Talrand ohne Widerstand dem Feind ueberlassen und ihm gar Zeit und
Raum gegeben wurde, dort, auf den beherrschenden Hoehen festen Fuss zu
fassen, so waere wohl vorauszusehen gewesen, dass man, ungeachtet aller
Verbote, doch gezwungen werden wuerde, eine Schlacht anzunehmen.

Man haette sich also ebenso gern gleich, ohne jene Fehler zu begehen, unter
unverhaeltnismaessig guenstigeren Bedingungen schlagen koennen und muessen.
Statt spaeter eine Schlacht in offenem Gelaende gegen vielfache Uebermacht
liefern zu muessen, haette man sich auf ein aussichtsreiches Nachhutgefecht
in vorzueglichen Stellungen beschraenken und mit dem Gros der Hauptarmee
nachziehen koennen.

Durch den Kadavergehorsam seines Generalquartiermeisters Befehlen
gegenueber, die der Befehlende selbst, nach Kenntnisnahme der veraenderten
Sachlage, sicherlich sofort zurueckgenommen haette, und durch seine eigene
Machtlosigkeit gegen diesen seinen boesen Geist, verlor Hohenlohe so die
Schlacht, schon ehe sie geschlagen war.

                                   *

Am Nachmittag desselben Tages kletterte ein kleiner Mann in grauem Rock,
den dreieckigen Hut auf dem Kopfe, den Abhang des Landgrafenberges hinauf,
stellte sich da oben auf den hoechsten Auslug, die Arme ueber der Brust
verschraenkt, und blickte ueber die Gegend aus.

Ein paar kurz hingeworfene Worte von ihm genuegten, und gleich flogen
Kuriere nach allen Richtungen hinaus mit Befehlen fuer die kaiserlichen
Marschaelle, schleunigst, wo sie auch waren, auf Jena zu marschieren, wo
man allem Anschein nach die preussische Hauptarmee gestellt hatte.

Inzwischen zog aber die preussische Hauptarmee ganz woanders in aller
Gemuetsruhe weiter an der schuetzenden Saale entlang.

Auf dem Landgrafenberge bei Jena bereitete sich das Gewitter vor.

Aus allen Schluchten, die rundherum zur Kuppe hinauffuehrten - aus dem
Rauhtal, dem Muehltal, aus der Eule und dem Steiger, fluteten in endlosem
Strom nach und nach an die hunderttausend Mann hinauf mit Ross und Wagen,
mit Rohren und Protzkaesten!

Wie ein Gewimmel geschaeftiger Ameisen, so kribbelte und krabbelte es von
kleinen nervigen, schnellfuessigen Kerls gegen den einen Punkt hin, wo der
kleine Mann im grauen Rock stand.

Baeume wurden gefaellt, Wege mit Geistergeschwindigkeit hervorgezaubert, und
laengs der so gewonnenen Bahnen glitten immer neue Reihen von Kanonen,
Protzkaesten und Pulverkarren hinauf. Und von oben keine Stoerung, kein
einziger Schuss, kein ueberraschender Angriff der preussisch-saechsischen
Armee, die, teils im Lager bei Kapellendorf, teils um Dornburg herum in
weitlaeufige Quartiere gelegt, an alles andere eher dachte als daran, den
unerbetenen Gast wieder in die Schluchten hinabzuwerfen.

Der kleine Mann stand da unbeweglich als ruhender Punkt und Richtzeichen
in all dem Getriebe, das auf ihn zustrebte, um nachher, von seiner Hand
zusammengefasst, sich wieder strahlenfoermig, wie aus einem Faecher heraus,
ueber die Gegend zu ergiessen und die preussische Armee zu umfassen, sobald
der Augenblick dazu da waere.

Der Wind spielte mit den Schoessen seines langen grauen Mantels. In der
zunehmenden Daemmerung verwob sich ihr Flattern mit den aus den Schluchten
der Saale aufsteigenden Duensten, die immerfort zunahmen, als ginge der
Nebel von den grauen Rockschoessen aus. Immer dichter wurden die Duenste,
schon fuellten sie die Taeler und die Schluchten und liessen einzelne Kuppen
nur noch als uebriggebliebene Inseln aus der Ueberschwemmung herausragen,
bis auch sie versanken und das Wolkenmeer sich vom Thueringer Wald, ueber
die Unstrut, bis weit nach der Elbe hin ausbreitete, Staedte und Gehoefte
verschlang und alles Leben vom Erdboden vertilgte.

Im Schutz dieses Nebels fing der kleine graue Mann an, seine Netze zu
legen und seine Fallen zu stellen, schnell, behende, sicher und leise
schleichend wie das Unheil selbst.

Sorglos ruhte das Wild. Nur weit in der Ferne und ausser Bereich des
Waltens jenes unheilschwangeren Geistes wachte ein Wille, von boesen
Ahnungen getrieben - ein Wille, der die Macht des Zauberers brechen
wollte. Aber er war noch unfrei, noch von den Fesseln blinden Gehorsams
gebunden.

Bluecher - denn er war es - ging da, von quaelender Unruhe getrieben,
rauchte sein kurzes Pfeifchen, schnupperte nach allen Windrichtungen hin,
raeusperte sich, hustete die sauverfluchten Nebeldaempfe aus, spuckte und
fluchte ueber den drueckenden Dunst, der das Atmen behinderte und den
Ausblick versperrte!

Er dachte daran, wie er einst im Traum den Wolken des Himmels Blitze
entriss und die Nebel verscheuchte.

Ja, das waere so etwas, frei zu fliegen, die Augen offen, alles sehen, im
Fluge das Notwendige gleich erfassen und blitzschnell zur Tat werden
lassen, statt wie jetzt, am Gaengelbande eines anderen, Befehle
auszufuehren, die der erste beste Stabsoffizier ebensogut bewaeltigen
koennte!

Als ihn heute unterwegs der Befehl des Koenigs erreichte, sofort seine
Truppen zu verlassen, um zu ihm ins Hauptquartier zu kommen, da dachte er:
jetzt ist deine Zeit da, jetzt braucht man dich zu etwas, was nur du
leisten kannst!

Er ritt schnell wie der Wind hin und kam abgehetzt an - nur um die
Nachricht zu empfangen, der Koenig schliefe und wuensche ihn erst am
naechsten Morgen zu sehen.

Eiliger war's also nicht!

Aergerlich suchte er sich Nachtquartier in einer Scheune und ging nun davor
auf und ab und lauschte auf die tausend verschiedenen Laute, die, wie
Hilferufe Ertrinkender, von allen Seiten aus dem Nebel herausdrangen.

Alles Leben schien von dem feuchten, klebrigen Dunst verschlungen. Fort
war die stolze preussische Armee, fort die strammen Grenadiere mit ihren
steif gedrehten Zoepfen und stolzen Schnauzbaerten, fort die bunten Roecke
der Husaren, die Harnische der Kuerassiere, die wehenden Helmbuesche und
blitzenden Seitengewehre! Alles war fort, alles versunken in den wogenden
Nebelschwaden, aus denen das Rollen der Raeder, das Wiehern der Pferde, das
Rufen und Pfeifen und Trommeln immer gedaempfter herausdrang, um
schliesslich zu verstummen, je nachdem wie die marschierenden Gruppen ihre
Biwake einnahmen.

Keine Muedigkeit vermochte aber den einsamen Mann dazu zu bringen, sich
auch zur Ruhe zu begeben. Am liebsten haette er sich an die Spitze seiner
"Roten" gesetzt, waere, auch ohne Befehl, aufs Geratewohl in den Nebel
hineingaloppiert, haette die Gegend bis zur Saale nach Franzosen
abgepirscht, haette das Kroppzeug gestellt, und, wie schon sooft, mit dem
preussischen Husarensaebel traktiert.

Aber, es wollte hier alles befohlen sein! Und die Kunst des Befehlens war
den wenigsten gegeben!

Der Teufel mochte auch wissen, wo seine "Roten" biwakierten und wie weit
sie zurueckgeblieben waren! Ohne sie gelaenge kein Streich! Die anderen von
der Kavallerie, das waren eben die anderen!

Stunde um Stunde verging; die Duenste begannen allmaehlich eine hellere
Faerbung anzunehmen; irgendwo im Osten wuehlte etwas Gelbliches sich muehsam
Weg durch die Nebel. Hoch und hoeher stieg es, ohne mehr zu erreichen, als
die Dichtigkeit der Dunstschleier noch anschaulicher zu machen. Ein fahles
Licht war alles, was bis zur Erde durchsickern konnte, so dass man zur Not
noch die Hand vor den Augen sah! Rundherum fing es aber an zu heulen und
zu rufen, als zoegen die alten Recken der Urzeit wiederum zur Jagd auf den
Thueringer Wald, waehrend die Raeder ihrer Streitwagen ratterten, die Pferde
wieherten und die Sippen folgten, unter Geschrei und Gejohle, um die
erlegte Beute zu zerteilen und fortzubringen.

Das Getoese nahm zu und schwoll, vom Nebel zusammengefasst, immer
unheimlicher an.

Jetzt zogen die alten Heidengoetter zum Ragnaroek aus; die Midgardsschlange
ringelte ihren Leib um die Welt; der Fenriswolf sperrte seinen Rachen auf;
alles eilte dem Endkampf entgegen - die Goetterdaemmerung war da!

Und er musste hier auf Befehle warten, statt sie selbst wie zuendende Funken
in den Tumult hineinzuschmettern!

Er hielt's nicht laenger aus. Er befahl, das Pferd vorzufuehren, liess seine
Adjutanten wecken - seinen Sohn, den Rittmeister von Bluecher und den
Rittmeister Graf von der Goltz - und ritt, von ihnen gefolgt, um sich beim
Koenige zu melden.

Der Koenig war schon zu Pferd. Er liess Bluecher wissen, dass bei Koesen
Franzosen ueber die Saale gegangen waren, und dass er gegen sie vorgehen
muesse. Befehle moege er sich beim Oberkommandierenden, dem Herzog von
Braunschweig, holen.

Der Herzog gab Bluecher, da die "Roten" noch nicht angelangt waren, von der
Division Schmettau mit, was von den Heisingschen Kuerassieren und vom
Dragonerregiment Koenigin da war. General Schmettau, der seine Kavallerie
selbst gut gebrauchen konnte, nahm das gewaltig krumm, ohne es indessen
aendern zu koennen.

Bluecher selbst, nicht gerade froh, seine eigenen Leute nicht um sich zu
wissen, liess aber fuenf gerade sein, liess zum Sammeln blasen, setzte sich
an die Spitze der Regimenter und galoppierte in den Nebel hinein!

Auf dem Landgrafenberg bei Jena aber war sein Widersacher, der kleine Mann
im grauen Rock, nicht muessig gewesen. Ihm hatte keiner etwas zu befehlen.
Und das Glueck war mit ihm. Kein Feind stoerte sein waghalsiges Unterfangen,
seine ganze Armee die Schluchten nach dem Berg hinaufklimmen zu lassen -
kein ueberraschender Angriff beim Aufmarsch -, kein ploetzliches
Hineinkartaetschen in die marschierenden Massen. Alles ging wie am
Schnuerchen. Und er selbst biwakierte inmitten seiner Garden auf der
hoechsten Kuppe so ruhig, als schliefe er in seinem Bett in den Tuilerien.
Nichts konnte seinen Schlaf stoeren, weder truebe Ahnungen noch der aus
allen Schluchten des Saaletales hervordraengende Laerm, der die ganze Nacht
anhielt, bis seine stolze Armee oben und nach allen Seiten hin in die
vorbezeichneten Stellungen aufmarschiert war!

Selbst hatte er schon die Stellungen der preussischen Armee rekognosziert
und war bisweilen so nahe an sie herangekommen, dass er Feuer bekam und
sich schnell niederwerfen musste.

Dann fing er, vom Nebel beguenstigt, an, seine Truppen wie Schachfiguren
hin und her zu schieben, schob Davoust mit seinem Korps weit ueber Naumburg
hinaus, um die preussische Armee von ihren Verbindungen abzuschneiden, zog
selbst alles Erreichbare von dem anderen Korps an sich heran und stand zum
Losschlagen bereit.

Gegen Morgen fing es dann an im Nebel zu rattern und zu knattern. Das
zeitweilige Aufblitzen des Muendungsfeuers aus den Gewehren und Geschuetzen
gab zu erkennen, wo Freund und Feind waren, liess aber keinen Schluss auf
die Menge oder die Art der kaempfenden Truppen zu.

Die Preussen griffen an.

Graf Tauentzien hatte die Bataillone Erichsen, Pelet und Rosen bei
Closewitz-Luetzeroda und im Issenstedter Forst aufgestellt und ging selbst
von Dornburg aus mit mehreren saechsischen Bataillonen vor. Gegen sich aber
hatte er die drei Divisionen des Marschalls Lannes mit vielem Geschuetz.
Ganze Regimenter loeste dieser als Tirailleurs auf, die Tauentziens kleine
Schar so heftig bedraengten, dass er sie auf Vierzehnheiligen und Altengoenne
zuruecknehmen und hinter den Divisionen des Generals Grawert in
Aufnahmestellung fuehren musste.

Dieser hatte den Nachteil von Massenbachs dumm gewaehltem Lager nach
Moeglichkeit wieder gutzumachen gesucht. Er hatte seinen linken Fluegel
linksherum auf Klein-Romstedt geworfen, bekam so die Front auf
Vierzehnheiligen und kehrte, wie sich's gehoerte, dem Feinde das Gesicht
zu, statt den Ruecken, was ihm nachtraeglich gar das Lob eines grossen
Feldherrn eingebracht hat.

Gegen Grawert schwaermten nun die franzoesischen Tirailleurs wie die
Grasmuecken aus und fuellten die ganze Gegend. Ihnen war auch Artillerie
beigegeben, so dass der Aufmarsch der Division Grawert im heftigsten Feuer
stattfinden musste. Trotzdem avancierten die Grenadiere so ruhig, als waeren
sie auf dem Exerzierplatz. Mit klingendem Spiel ging's im Geschwindschritt
vorwaerts, so dass die Infanterie dicht hinter der auf Linien
auseinandergezogenen Kavallerie blieb. Fast bis zu Vierzehnheiligen heran
kamen sie. Dann liess Hohenlohe haltmachen, um das Fallen des Nebels
abzuwarten.

Der Feind indessen wartete nicht, sondern schoss wacker hinein in die wie
Schiessscheiben dastehenden Reihen und lichtete sie nach Kraeften. Er selbst
war nicht zu sehen. Hinter jeder Unebenheit des Bodens nahm er Deckung und
hatte seine Kanonen so gut eingegraben, dass vom Rohre nichts zu sehen war.
Da sowohl Infanterie wie Kavallerie durch diese ununterbrochene
Belaestigung unruhig wurden, war ja nichts natuerlicher, als die letztere
gleich zur Attacke anzusetzen, sie zwischen die tiraillierenden Monsieurs
hineinsausen zu lassen und diese auf die preussische Infanterie
zuzutreiben. Aber der Gedanke fand bei der Fuehrung keine Gegenliebe, die
Kavallerie blieb weiter auf dem Flecke als Zielscheibe und durfte ihre
Saebel nicht gebrauchen.

Endlich fiel der Nebel, und vor den Augen der Tapferen tauchten die
franzoesischen Linien auf, wie sie mit klingendem Spiel zum Angriff
vorgingen und weit ueber die beiden Fluegel der Preussen hinauslangten.
Hinter ihnen standen ganze Kolonnen, von denen immer mehr Leute in die
Linien einschwenkten, je nachdem, wie sie sich dehnten und Luecken
entstanden.

Vor der drohenden Ueberfluegelung wankte und wich bei den Preussen alles
zurueck. Und wo's zurueckgeht, ist's vorbei mit Vertrauen und Zuversicht.
Hier und dort riss Unordnung ein, die Unordnung artete zur Flucht aus. Und
der Franzose, nicht faul, liess seine Kavallerie los, wo er die geringste
Verwirrung witterte. Wie die Affen sausten die kleinen betrunkenen Kerls
drein, fuchtelnd und schreiend, und ritten alles nieder, schon weil sie
ihre eigenen Pferde nicht halten konnten.

Manch preussischer Kavallerist biss vor Wut die Zaehne zusammen oder fluchte
laut ueber die unfaehige Leitung, die es gar nicht zum Dreinhauen kommen
liess! Sie raubte so den Preussen ihre beste Waffe, setzte sie falsch ein,
zog sie in Linien aus, liess sie im Kartaetschenfeuer stehen oder nur
schleichend vorruecken - etwas, was weder Leute noch Pferde aushielten.
Voll Neid schielten sie zu den Sachsen hinueber deren Kavallerie, obwohl
nicht besser, weit mehr leistete, weil sie besser gefuehrt war.

Immer mehr rueckte die Front der Franzosen vor, unter Trommelschlag und
schmetternden Fanfaren, drueckte die Mitte gegen das Dorf Vierzehnheiligen,
bog den rechten Fluegel um die preussische Linie herum - schob seinen linken
Fluegel weit ueber die nach Weimar fuehrende Chaussee hinaus und umfasste den
preussischen rechten. Der Rueckzug artete in Flucht aus. Die saechsischen
Bataillone Maximilian, Rechten und Winkel nahmen dabei mechanisch die
Faehrte auf die naechste Chaussee auf, gleichviel wohin sie fuehrte, und
kamen so gen Weimar, was ganz verkehrt war. Und die Naechststehenden
folgten in gleicher Richtung. Auf dem linken Fluegel dagegen gingen
Tauentzien und Holtzendorf auf Apolda zurueck. Die Armee wurde dadurch in
zwei Teile gerissen, und der Feind, nicht saumselig, schob nach, was er
konnte, und foerderte so nach Kraeften die Trennung.

Die Ankunft des Generals Ruechel mit seinen fuenfzehn Bataillonen aenderte an
der Niederlage nichts. Gegen die Uebermacht konnte seine Armee ebensowenig
an wie die Hohenlohes, der seine Soldaten keinesfalls an Tapferkeit
nachstanden.

Er liess sie in Treffen geordnet, staffelweise - "_en echelons_" -
vorruecken. Sie schlugen sich brav, solange es ging, wankten dann, wichen
und flohen. Er selbst wurde auch, wie alle anderen Befehlshaber, verwundet
und vom Strudel der Fliehenden mitgerissen. Sein ganzes Vorgehen hielt den
doppelt ueberlegenen Feind nicht von der Verfolgung ab - es war bloss eine
Einzelhandlung mehr in dieser aus lauter Teilkaempfen bestehenden Schlacht,
in der grosszuegige Fuehrung nur auf seiten Napoleons zu finden war.

Waehrend dies alles sich bei Jena zutrug, war weiter noerdlich auf dem
Plateau hinter der Saale, bei Koesen, Bluecher mit der Avantgarde in den
Nebel hineingaloppiert. Er stiess dann ploetzlich auf etwas, das er fuer eine
Hecke ansah, bald aber als feindliche Infanterie erkennen musste. Er
segnete den Nebel, der es ihm so ermoeglicht hatte, in den Ruecken der
feindlichen Aufstellung zu kommen, fluchte aber, weil er nicht daran
gedacht hatte, den Oberbefehlshaber gleich um mehr Truppen zu bitten, und
schickte den Grafen von der Goltz spornstracks zurueck, um Infanterie und
reitende Artillerie zu holen. Dann wuerde er versuchen, die feindliche
Aufstellung aufzurollen, und es waere ihm auch gelungen.

Aber sein Adjutant kam nicht zurueck, sein Sohn, den er nachschickte, kam
wohl wieder, aber ohne Bescheid.

Weder Infanterie noch Artillerie wurden ihm geschickt, dafuer fuhr eine
Batterie die Chaussee nach Hassenhausen in Karriere hinauf und wurde vom
Feind in der Fahrt genommen.

Bluecher gab dann seinen Eskadrons Befehl zur Attacke, um auch so die
feindliche Infanterie zu durchbrechen. Sie erhielten zwar von links
starkes Kartaetschenfeuer, gingen aber trotzdem erfolgreich vor, bis auf
einmal, durch irgendeine Schlamperei, bei irgendeiner Schwadron "Kehrt"
geblasen wurde, und infolgedessen alles stockte und zurueckwich.

Bluecher stellte die Ordnung wieder her und erneute den Angriff. Um das Mass
der Unordnung vollzumachen, wurde er aber dabei im Ruecken von der eigenen
Artillerie beschossen, und da war es aus! Die Kavallerie, die sich
umzingelt glaubte, wich, und als Bluechers Pferd erschossen wurde und man
den General selbst fallen sah, wandte sich alles zur Flucht, und er
selbst, auf dem Pferd eines Trompeters nacheilend, wurde vom Strom der
Fliehenden mitgerissen. Vergebens stellte er sich mit einer Standarte in
der Hand den Leuten entgegen, und bat und beschwor sie, stehenzubleiben, -
sie waren nicht zu halten.

Inzwischen waren die Divisionen von Schmettau und Wartensleben rechts und
links von der von Auerstedt nach Hassenhausen fuehrenden Chaussee
aufmarschiert und zum Angriff vorgegangen, um dem Feind diesen seinen
einzigen Stuetzpunkt diesseits der Saale zu entreissen.

Ihre altgewohnte Taktik aus der friderizianischen Zeit - das Avancieren
_en echelons_ -, Bataillonssalven abzugeben und mit dem Bajonett den Rest
zu erledigen, kam trotz aller Tapferkeit nicht gegen die neue Kampfart des
Gegners auf.

Sie litten entsetzlich im Tirailleurfeuer der behenden Franzosen, deren
Kartaetschen grosse Gassen in ihre wie Zielscheiben dastehenden Glieder
rissen.

Gleich zu Anfang der Schlacht wurde General Schmettau erschossen. Der
Herzog schickte darauf seinen Generalquartiermeister Scharnhorst nach dem
linken Fluegel, um die Ordnung wiederherzustellen und dort zu befehlen. Als
er aber selbst kurz darauf durch die Augen geschossen wurde, da fehlte
Scharnhorst, der ja die Befehlsausgabe fuer das Ganze zu ordnen hatte, an
der entscheidenden Stelle, und die Preussen waren ohne Fuehrung.

Feldmarschall Moellendorf war da, war aber schon zu alt und versagte
voellig.

Der Koenig war zu unerfahren und auch zu unentschlossen.

Die Schlacht war, wenn sie weiterging, trotz aller anfaenglichen Misserfolge
gewonnen. Allein man ahnte es nicht.

Man haette wohl wissen koennen und muessen, dass man hoechstens ein einziges
franzoesisches Korps sich gegenueber hatte -, dass man also ueber eine
erdrueckende Uebermacht verfuegte!

Davoust hatte mehr gelitten als die Preussen und hatte keine Reserven mehr.
Aber die preussischen Reserven unter Kalckreuth waren noch intakt.

Bluecher ahnte, wie die Sache stand. Er bat den Koenig um Kavallerie, um
noch einmal den Versuch zu machen, eine Entscheidung herbeizufuehren. Er
erhielt sie auch, aber, gerade als er zur Attacke blasen lassen wollte,
auch den unausbleiblichen Gegenbefehl. Er solle es lieber bleibenlassen.
Es nuetze doch nichts mehr. Die Kavallerie hatte es ja heute schon einmal
schlecht gemacht. Und die Reserven, die bei Eckartsberga standen und
untaetig zusahen, wie sich ihre Kameraden verbluteten -, die wollte der
Koenig nicht auch noch opfern! Er glaubte nicht an den Sieg und siegte
infolgedessen nicht. Er begnuegte sich damit, zu befehlen, die Schlacht
abzubrechen und einen allgemeinen Rueckzug auf Weimar zu nehmen, um sich
dort mit Hohenlohe zu vereinigen.

                                   *

Bluecher war tobend und fluchend fortgeritten, als der Koenig ihm seine
Zustimmung versagte, noch einmal mit der Kavallerie die Schlacht
wiederherzustellen.

Der Koenig, der seinen alten Haudegen kannte und ihm nicht recht traute,
schickte ihm gleich einen Adjutanten nach mit dem Befehl, zurueckzukehren
und bei seiner Person zu bleiben.

Sonst waere es nicht sicher, dass nicht Bluecher auf eigene Faust hin doch
noch etwas unternaehme!

Der Alte kam, meldete sich steif und korrekt zur Stelle, nahm seinen Platz
im Gefolge ein, wurde vom Koenig ins Gespraech gezogen, ritt gehorsamst
heran, salutierte, antwortete kurz: "Zu Befehl, ja - zu Befehl, nein!" auf
alle Fragen, die der Koenig an ihn richtete, und kam aus der Einsilbigkeit
gar nicht heraus.

Der Koenig liess sich aber nichts merken. Er tat, als waere alles in bester
Ordnung, und sprach weiter auf Bluecher ein, ohne seine schlechte Laune zu
beachten. Und das passte Bluecher nun ganz und gar nicht in den Kram.

Als der Koenig ihm seine Ansichten ueber die Ereignisse des Tages mit einer
fuer ihn sehr ungewoehnlichen Gespraechigkeit auseinandergesetzt hatte und
eine Pause machte, in der Erwartung, nun Bluechers Meinung zu hoeren zu
bekommen, da schwieg Bluecher steifnackig weiter.

Der Koenig konnte dann nicht umhin, ein wenig die Majestaet herauszukehren.
Er hielt sein Pferd an, was eine Stockung in der Vorwaertsbewegung des
ganzen Gefolges bewirkte, blickte auf Bluecher, dessen Pferd auch
gehorsamst und alleruntertaenigst stehenblieb und sagte ein wenig
ungeduldig:

"Nun? - Endlich Meinung hoeren lassen!"

"Zu Befehl, Majestaet, meine Meinung ist _die_, wir reiten in verkehrter
Richtung!"

"Was heisst das?"

"Wir kehren dem Feind den Ruecken -, das ist immer verkehrt! Die Richtung
vorwaerts ist mir lieber!"

"Uns auch! Wenn aber unsere Leute zurueckgehen!"

"Hasenfuesse gibt's in jeder Armee. Es sind aber genug tapfere Maenner dabei
gewesen!"

"Wir waren ueberfluegelt!"

"Die Ueberfluegelung haette ich abgestossen, so Eure Majestaet mich haette
gewaehren lassen!"

"Es waere Ihm ebenso schlecht gegangen wie bei Seiner ersten Attacke!"

"Die erste Attacke waere auch gut gegangen, haette uns die eigene Artillerie
nicht mit Kartaetschen beworfen! Der Feind war schon erschuettert! Er hatte
keine Reserven! Unsere Reserven waren nicht zum Kampf gekommen. Die
Schlacht stand schon. Ein kleiner Stoss noch, und sie wandte sich zu
unseren Gunsten! Wir haetten Davoust vernichtet und uns freie Bahn in der
alten Marschrichtung erkaempft! Majestaet wollen's mir zu Gnaden halten,
aber fuer so etwas habe ich Nase!"

"Und wenn's doch anders gekommen waere, als Er denkt, und das waere gewiss
der Fall gewesen - wir haetten nur unnuetz das Blut unserer Leute
verspritzt!"

"Majestaet halten zu Gnaden, aber dazu sind wir alle da! Wenn's gilt, Koenig
und Volk zu retten, ist kein Leben zu teuer!"

Der Koenig schwieg. Eine Weile ritten sie in Gedanken heiter. Er fing schon
an zu dunkeln.

Ploetzlich hielt der Koenig wieder sein Pferd an und richtete sich straff
auf; seine hohe Gestalt zeichnete sich kraeftig gegen den Oktoberhimmel ab.

"Nun haben wir ihn!" dachte Bluecher. "Jetzt gibt er klein bei. Jetzt gibt
er den Befehl zur Umkehr und laesst uns die Schlacht erneuern!"

Er hatte sich getaeuscht.

Der Koenig seufzte nur, blickte ihn dann an und sagte trocken: "Er haette
das Spiel nicht gewonnen, Bluecher!"

"Ich habe wohl dann und wann ein Spiel verloren, Majestaet - aber noch
oefter eins gewonnen! Und das nur, weil ich das Spiel _gewagt_ habe!"

Der Koenig hatte schon eine derbe Antwort bereit.

Da knatterte es ploetzlich irgendwo auf der rechten Seite los, Bluecher gab
seinem Pferd die Sporen, sprengte hin, um zu sehen, was los war, und kam
zurueck mit der Meldung, man haette ein paar naseweise Chasseurs zum Teufel
gejagt.

"Werden uns noch durchschlagen muessen!" sagte der Koenig eintoenig und
setzte den Weg fort. Bluecher ritt voraus und untersuchte das Terrain, war
bald hier, bald dort und kehrte bisweilen zum Koenig zurueck mit der Meldung
ueber seine Wahrnehmungen, wurde fuer seine Fuersorge bedankt, aber sonst
nicht weiter ins Gespraech gezogen.

Auf einmal, dicht vor Buttstedt, erhob sich an der Spitze der
zurueckgehenden Kolonnen ein grosses Geschrei. Herannahen von Truppen wurde
gemeldet. "Die Franzosen sind da!" schrie alles. "Wir sind abgeschnitten!"
Und gleichzeitig knallte es rechts und links im Gebuesch los.

Alles stockte.

Patrouillen gingen vor und kamen zurueck mit der Nachricht, Teile der Armee
Hohenlohe zoegen aus entgegengesetzter Richtung heran. Man haette heute bei
Jena gekaempft, der Fuerst waere geschlagen und gefluechtet - man wisse nicht
wohin - Grawert und Ruechel waeren vernichtet, die Sachsen gefangen - die
Franzosen verfolgten gegen Weimar die dorthin Geflohenen, man haette auch
hier bald mit ihrem Erscheinen zu rechnen!

Alles stuerzte vor, um selbst zu sehen und zu hoeren und von den Anrueckenden
naehere Kunde zu bekommen.

Jede Ordnung hoerte auf. Die Verbaende wurden zerrissen, alles eilte in
wirren Haufen durcheinander, schreiend, fluchend, tobend, ohne zu wissen
wohin, ohne auf das Kommando zu hoeren, nur vorwaerts auf dem naechsten Weg.
Und ging's nicht schnell genug auf den von der Bagage verstopften
Chausseen, dann wurde einfach gepluendert, die Regimentskassen verteilt,
die Proviantwagen geleert und in die Graeben geworfen. Und wo es etwas
Trinkbares zu fassen gab, wurde sofort ein allgemeines Gelage
veranstaltet. Die Trunkenheit nahm bei den durch langen Hunger
entkraefteten Soldaten reissend zu. Wueste Schmaehreden auf die Offiziere, die
das ganze Unglueck verschuldet hatten, wurden laut, die unflaetigsten
Schimpfwoerter schwirrten durch die Luft, vermischt mit dem kreischenden
Gesang der betrunkenen Polen, die mit Sack und Pack abzogen und sich laut
damit bruesteten, dass sie nun zu den Franzosen uebergingen.

Die Offiziere, die Ordnung zu schaffen suchten, wurden groeblichst
insultiert. Die Quaelgeister unter ihnen ernteten jetzt die Frucht lange
keimenden Missvergnuegens, wurden geschlagen, geschmaeht und ihnen ins
Gesicht gespuckt. - Die Mannschaften rissen ihre Abzeichen ab, warfen
Knoepfe, Achselklappen, Packung und Gewehre in den Kot, dass die Landstrasse
weithin mit den fortgeworfenen Gegenstaenden besaet wurde.

"Mit Preussen ist's jetzt aus!" schrien sie, "Preussen ist hin! Unseres
Diensteides sind wir ledig!"

Der Koenig war gleich nach Empfang der Ungluecksbotschaft von Jena mit
seinem Gefolge weitergeritten. Er nahm den Weg, statt nach Weimar,
nordwestlich gen Soemmerda, um von dort nach Sondershausen zu kommen,
welchen Ort er als neuen Treffpunkt und Sammelstelle fuer die Armee angab.

Sein Befehl an die Truppen, ihm dorthin zu folgen, wurde nur von einem
Teil befolgt.

Ein grosser Teil unter Moellendorf und Oranien war schon dicht vor Weimar
angelangt und zog von dort weiter nach Erfurt.

Der Koenig nahm in Soemmerda Quartier und begab sich gleich zur Ruhe. Am
folgenden Tag setzten ihm die Generaele zu, er moechte schnellstens
vorreisen, um im Hinterlande den Widerstand zu organisieren. Er waere jetzt
da viel noetiger als hier. Er weigerte sich aber standhaft, die Armee zu
verlassen.

Bluecher schwieg sich anfangs zu der Sache aus. Er ueberlegte es sich so:
Als Heerfuehrer ist der Koenig ebenso unerprobt und unfertig, wie die hohen
Generaele untauglich. Ist der Vorteil, die Autoritaet des Koenigs im
Bedarfsfalle zur Stelle zu haben, groesser als der Nachteil, selbst
moeglicherweise vor ihr zurueckweichen zu muessen? Die Sache schien ihm
unsicher. Allein wuerde er am Ende mit den Generaelen am besten fertig. Da
brauchte er kein Blatt vor den Mund zu nehmen.

Entschlossen setzte auch er dem Koenig zu und brach dessen Widerstand.

In liebenswuerdigster Weise bedankte sich der Koenig bei Bluecher fuer dessen
umsichtige Fuehrung bei dem gefahrvollen Nachtritt und entband ihn von der
Pflicht, ihn weiter zu begleiten, da die Armee seine Kraft anderswo besser
benoetige. Aber von den roten Husaren naehme er gern die Eskorte fuer die
Weiterfahrt nach Sondershausen an.

Bluechers Augen leuchteten vor Freude, als er das hoerte.

Die noetigen Befehle waren schnell gegeben. Aus den Reihen seines stark
zusammengeschmolzenen Regiments suchte er selbst die sichersten und
erprobtesten Leute aus, und bald zog da eine kleine Schar von fuenfzig
Husaren vor dem Quartier des Koenigs auf, unter dem Befehl des Rittmeisters
von Wolky, dem des Generals zweiter Sohn, der Leutnant von Bluecher,
beigegeben war.

Die "Roten" waren sehr ungehalten ueber den Rueckzug, gerade wo sie die
Hoffnung gehabt hatten, gegen den Feind gefuehrt zu werden, und zwar von
ihrem Alten selbst, den sie in der Schlacht schmerzlich vermisst hatten.

"Der Feind brauchte nicht viele Schlaege mehr," meinte einer, "warum wurde
nicht die Reserve eingesetzt?"

"Der alte Kalckreuth ist schon schlapp!" antwortete ein anderer. "Er hatte
schon laengst einen Knacks, und nun geht ihm wohl vollends die Puste aus!"

"Wir haetten bei unserem Alten sein muessen, als er zur Attacke blasen
liess!" sagte noch einer. "Da waer's ein anderer Tanz geworden! Wir haetten
ihn nicht aufsitzen lassen! Dunnerslag - so davonzulaufen vor den paar
Chasseurs! Eine Schmach war's und eine Schande! Aber die Koenigindragoner -
- und die Reitzensteinkuerassiere - und gar die von Heising! Die denken nur
an ihren Magen! Ihre besten Leute fouragierten, als es zur Schlacht gehen
sollte, und die anderen, nun, die sind eben nur bei den Paraden zu
gebrauchen! Na, nun werden wir ja - - - Kinder - das Regiment kommt zu
Ehren!"

"Man gut, dass wir zusammenblieben und hierherkamen. Ich war schon
entschlossen, mich in den Busch zu schlagen und zu sehen, wie ich
durchkaeme, als der Kuddelmuddel unterwegs losging und alles davon redete,
sich dem Franzmann zu ergeben! Und haette ich unseren Alten nicht gesehen -
ich waere laengst ueber alle Berge!"

Da kommandierte der Rittmeister: "Achtung!"

Die Glieder richteten sich; die Leute sassen wie angegossen in den Saetteln;
auf Kommando flogen die Saebel aus den Scheiden und salutierten. Denn
Bluecher erschien jetzt auf der Freitreppe, von zwei Lakaien mit brennenden
Armleuchtern begleitet.

Wie er so dastand in der Oktobernacht, hoch, schlank und elastisch wie
eine Stahlfeder, das Gesicht mit dem grauen Schnurrbart frisch geroetet,
die dunkelblauen Augen vor innerer Glut funkelnd, da war's jedem der unten
Harrenden, als traete er ihnen heute zum erstenmal vor Augen als der Herr
und Gebieter, dessen Wort ein jeder sich zu fuegen hatte, und wenn's
geradeswegs in den Tod ginge! Ein Gefuehl von Sicherheit und Zutrauen kam
sofort ueber sie; die Haltung straffte sich, die Faust krampfte sich
staehlern um den Saebelgriff, die Schenkel griffen fester um den Sattel, so
dass Reiter und Pferd miteinander verwachsen schienen. Und als Bluecher
vortrat, und mit seiner sonoren, weithin schallenden Bassstimme ihnen
zurief: der Koenig habe dem Regiment die Gnade erwiesen und von ihm eine
Eskorte angenommen, und er, Bluecher, erwarte von jedem einzelnen unter
ihnen, dass er sich der hohen Ehre wuerdig zeige und sein Aeusserstes hergebe,
um die geheiligte Person des Monarchen gluecklich durch alle Faehrnisse
hindurchzubringen, da bedurfte es nicht noch der Drohung, mit der er
glaubte seinen Worten weiteren Nachdruck geben zu muessen, als er die Worte
hinzusetzte: "Und das sage ich euch, Kinder, wer von euch nach einem
etwaigen Unglueck mir noch lebendig unter die Augen zu treten wagen sollte,
den wuerde ich mit eigenem Haenden in Stuecke hauen!"

Eisenhart klang das, und eisenhart stand der Alte da, wie ein Engel des
Gerichts, die Hand auf dem Saebel.

Nicht seinen lieben Roten galten diese drohenden Worte, das wussten sie
alle! Sie wussten, dass er sie wohl kannte und keinen Zweifel an ihnen
hatte. Er war ihr Vater und sie seine Kinder, Fleisch seines Fleisches,
Blut seines Blutes! Wie er fuer sie und mit ihnen, so wuerden sie alle
freudig auf seinen geringsten Wink in den Tod reiten - dazu bedurfte es
weiter keiner Mahnung und beileibe keiner Drohung! Die Worte soeben, die
hatten den anderen gegolten, die gestern so schlecht geritten waren und
ihren Alten im Stich gelassen hatten, statt ihm zum Sieg zu folgen!
_Denen_ waren sie ein gerechter Vorwurf, und die trafen sie auch - an den
Roten vorbei, die dabei stolz blickten und mit begeisterten Zurufen seine
Ansprache beantworteten.

Dann rief Bluecher den Rittmeister von Wolky und seinen Sohn zu sich, sagte
ihnen, er haette befohlen, dass das Husarenregiment von Schimmelpfennig und
das Dragonerregiment von Kraft rechts und links von der Chaussee
marschieren sollten, um die Reise des Koenigs zu sichern - befahl ihnen
aeusserste Wachsamkeit und ging dann hinein, um dem Koenig zu melden, dass
alles bereit sei.

Der Koenig wartete schon. Er bat die Generaele, sich vorlaeufig auf keine
Kampfhandlungen einzulassen, da er dem Kaiser Napoleon geschrieben haette
und Waffenstillstandsverhandlungen in Aussicht staenden. Dann
verabschiedete er sich vom General von Kalckreuth, dem er den Oberbefehl
ueber saemtliche in Soemmerda stehenden Truppen uebertrug, verbat sich das
Geleit des alten, todmueden Herrn, liess sich von Bluecher hinausbegleiten,
stieg mit seinem Gefolge zu Pferde und trabte davon.

Bluecher, von stolzer Genugtuung erfuellt, blieb stehen, solange er noch die
wogenden Reihen seiner roten "Kinder" sehen konnte. Dann machte er kehrt
und ging zum General Kalckreuth hinein, um die weiteren Massnahmen zu
besprechen.

Er fand den alten Herrn gaenzlich gebrochen vor.

Im Lehnstuhl zusammengesunken, kaum noch atmend, sass er da und starrte wie
entgeistert ins Leere hinaus.

An der Tuer wartete ein eben angekommener Kurier.

Mit einer schwachen Handbewegung zeigte Kalckreuth auf den Boten und sagte
tonlos: "Erfurt kapituliert! Moellendorf und Oranien mit zehntausend Mann
unserer besten Truppen haben sich kampflos Murat ergeben! Die Zitadelle
Petersberg auch!"

"Die Zitadelle auch?!"

Bluecher schlug auf den Tisch, dass der alte Kalckreuth vor Schrecken fast
vom Stuhle gefallen waere. Er schrie, dass alles zusammenlief und bestuerzt
ins Zimmer draengte, denkend, die Generaele waeren vom Feind ueberfallen
worden - obwohl der Feind doch nicht, wie der leibhaftige Gottseibeiuns,
durch den Schornstein zu kommen pflegte!

"Himmeldonnerwetter!" schrie Bluecher, "schlag diese Schufte tausend
Millionen Klafter in die Erde hinein, die Koenig und Land verraten - diese
Memmen, die nicht den Mut finden, lieber zu sterben, als ewige Schande auf
sich zu laden - diese hundsmiserablen Mummelgreise, die zu weiter nichts
taugen, als alt und ueberfluessig zu werden und im Wege zu stehen! Ich hab's
kommen sehen! Ich hab's gewusst! Da soll aber nur noch einer versuchen das
Maul aufzutun, um von Kapitulation zu reden! Wer's wagt, den erwuerge ich
mit diesen Haenden. Und wenn mich darob der Teufel lebendigen Leibes
dreimal holen wuerde - ich tu's!"

Der alte Kalckreuth erhob sich auf zitternden Beinen bei der
fuerchterlichen Drohung. Bleich, abgehetzt, todmuede von dem Nachtmarsch und
der vorhergehenden Schlacht, stand er da, die lebendige Illustration zu
dem Worte Kapitulation, und sah schon halb erwuergt aus. Er oeffnete die
Lippen - aber ehe er noch etwas entgegnen konnte, meldete sich ein eben
eingetroffener Kurier Hohenlohes, rapportierte, der Fuerst sei wohlbehalten
in Vippach und erbaete sich vom Koenig Befehle.

"In Vippach!" rief Bluecher. "Geb Gott, er waere ganz woanders, wo's recht
heiss ist! Geb Gott, er waere in der Hoelle mitsamt seinem Massenbach, und
kaeme nie wieder auf deutscher Erde zum Vorschein! Sonst erleben wir
womoeglich noch groessere Schweinereien als die, die er uns in Jena
bescherte! Was will der Fuerst noch Befehle, wo er ihnen doch nicht
gehorcht?!"

Kalckreuth stand mit offenem Munde und unausgesprochener Antwort und
blickte ihn entsetzt an. Schliesslich winkte er den Boten naeher heran und
gab ihm mit tonloser Stimme den Bescheid: er moege seinem Herrn bestellen,
der Koenig waere in Sondershausen, und der Fuerst wuerde gut tun, sich auch
dorthin zu begeben und sich dort Befehle zu holen.

Dann schrumpfte er in dem Stuhl zu einem leblosen Haufen mueder
Menschlichkeit zusammen und schlief auf der Stelle ein.

Bluecher aber liess sich ein kraeftiges Fruehstueck kommen und war bald wieder
bereit, es mit jedem Schicksal aufzunehmen.

                                   *

Die von Bluecher befehligte Arrieregarde war auf dem Rueckzug bis in die
Gegend von Weissensee gekommen, als ploetzlich Prinz August, der ein
Bataillon im Regiment Koenig befehligte, in voller Karriere an Bluecher
heransprengte und ihm schon aus der Ferne laut zurief:

"Die Hundsfoetter! Die Hundsfoetter! Kommen Sie rasch mit, General, wenn Sie
das Unglueck noch verhindern wollen, sonst haben wir im naechsten Augenblick
die Kapitulation!"

"Da soll doch der Donner dreinschlagen!" rief Bluecher, hochrot im Gesicht.
"Sind die Leute denn alle alte Weiber geworden?"

Er gab seinem Pferd die Sporen und sprengte nach dem Standort des
Kalckreuthschen Oberkommandos, wo der alte General eben im Begriff war,
sich zur Unterredung mit dem Marschall Soult zu begeben.

"Wer redet hier von Kapitulation?" schrie Bluecher ihn an. "Da kann doch
keine Rede davon sein, dass wir kapitulieren muessen! Wir schlagen uns
durch, wenn's sein muss - aber uns ergeben? Nee! Das geschieht nie und
nimmer!"

Kalckreuth setzte ihm lang und breit die Verhaeltnisse auseinander, die ihn
zwangen, besondere Ruecksichten zu nehmen: die koeniglichen Prinzen, die in
seiner Armee standen - die Garden, die er dem Koenig unversehrt erhalten
muesse, und schliesslich, aber nicht zuletzt, des Koenigs Verbot, sich in
einen Kampf einzulassen. -

"Was die Prinzen betrifft," antwortete Bluecher, "so sind sie selbst
sicherlich die letzten zu verlangen, dass hier kapitulieret wird, damit
ihre Haut heil bleibt. Sie werden sich fuer die Ehre bedanken. Und der Kopf
eines Gardisten ist nicht einen roten Heller mehr wert als der eines
gemeinen Soldaten. Der Koenig hat Kampfhandlungen verboten, sehr wohl! Aber
er hat uns nicht befohlen, seine Truppen dem Feind auszuliefern. Noch
weniger hat er uns untersagt, uns zu wehren, wenn wir angegriffen werden,
oder den Franzmann zu werfen, wenn er sich uns in den Weg legt. Pulver und
Blei haben wir genug, scharfe Saebel auch; sowie Leute, die dem Franzmann
damit dienen koennen. Wer wird so daemlich sein, dem Franzmann da etwas
anderes als blanke Hiebe zu geben?!"

Kalckreuth wollte noch etwas entgegnen. Ehe er aber dazu kam, erhob zum
masslosen Staunen Bluechers der Oberst von Massenbach seine Stimme -
Massenbach, der bei Jena von seinem Opfer, Hohenlohe, getrennt worden war
und jetzt ploetzlich im Hauptquartier Kalckreuths zum Vorschein kam.

Dieser Ungluecksmensch tat also sein wortreiches Maul auf und uebersprudelte
gleich von Gruenden und Gegengruenden und grosszuegigen Projekten, die
gaenzlich in den Wolken hingen.

Die Nutzlosigkeit jedes weiteren Kampfes staende ohne weiteres fest, die
brauche er nicht noch darzutun nach den Niederlagen, von denen die
preussische Armee betroffen worden war.

"Wozu noch mehr vergebliche Blutopfer! Wenn man unter den obwaltenden
Umstaenden kapituliert, dann nimmt man nicht dem Koenig eine Armee, sondern
erhaelt sie ihm!" sagte er dann und beantwortete die entruesteten und
erstaunten Ausrufe, die diese verblueffende Bemerkung begleiteten, mit
einem selbstgefaelligen und ueberlegenen Laecheln.

"Kapitulieren wir - ich wiederhole es -, dann erhalten wir dem Koenig seine
Armee! Denn der Kaiser Napoleon ist gross; er ist erhaben und edeldenkend;
er ist nicht nur ein grosser Feldherr und ein wahrhaft grosser Mensch,
sondern vor allem ein politisches Genie. Er will uns nicht vernichten, er
will ein starkes, mit ihm verbuendetes Preussen. Er wird, nach meiner festen
Ueberzeugung, dem Koenig seine Armee voellig intakt wiedergeben, wenn er nur
weiss, dass sie nachher gemeinsam mit ihm gegen Russland kaempft. Freilich
waere es dazu notwendig, dass wir uns jetzt erst politisch anders
einrichten!"

"Herr, was redet Er da fuer einen Kohl?" fiel ihm Bluecher in die Rede.

Aber Massenbach reckte seine kleine Gestalt auf, setzte die Stumpfnase
hoch und versuchte auf den viel laengeren Bluecher veraechtlich herabzusehen.

"Ich _deklariere_," sagte er mit Nachdruck, "die Allianz mit Russland ist
unser sicheres Verderben. Wer dem Staat redlich dienen will, muss den Koenig
daran zu hindern suchen. Rettung fuer den Staat ist nur noch in einer
Allianz mit den Franzosen zu finden!"

Damit kam er aber bei Bluecher schlecht an.

"So'n Sauverfluchter - so'n Schwerenotverdammter! Das muessen _wir_ uns
sagen lassen! So'n Gewaesch wagt er uns zu bieten!? Wo _wir_ allezeit
bereit waren und bereit sind, den letzten Hauch herzugeben, um den
Franzmann aus dem Lande herauszujagen, da wollen _Sie_ ihm Tuer und Tor
oeffnen und ihn gar noch in die Arme schliessen! Das ist Verrat - das
ist - -"

Er kam in solche Aufregung, dass er nicht weitersprechen konnte, und es
waere Massenbach sicherlich sehr uebel ergangen, waere nicht im selben
Augenblick ein Parlamentaer vom Marschall Soult angekommen, der den
Oberbefehlshaber zu einer weiteren Besprechung einlud.

Das nahm sofort seine ganze Aufmerksamkeit gefangen, und Massenbach wurde
vergessen.

Als man aber nachher zum Verhandlungsort ritt, da ritt Massenbach mit.
Denn er musste ja ueberall dabei sein und sein dickes Fell zu Markte tragen.

Soult und die begleitenden Offiziere waren nicht besonders liebenswuerdig.
Sie kehrten recht deutlich den Sieger heraus und fuehrten die Unterhandlung
in so hochfahrender Weise, als sei es eine Gnade von ihnen, ueberhaupt
darauf zu verzichten, die Preussen kurz und klein zu schlagen und zu Brei
zu treten.

Bluecher sprach kein Franzoesisch.

Er glaubte aber trotzdem aus der langen Unterhaltung Kalckreuths mit den
Franzosen ein paarmal das Wort "Kapitulation" heraushoeren zu koennen. Und
als das im Anschluss daran einsetzende Gefluester nicht aufhoerte, riss ihm
schliesslich die Geduld.

Er ging zum Marschall Soult hin und rief ihm laut und ohne Umschweife zu:
"Kapitulation hin, Kapitulation her! Als Soldat bin ich in Ehren grau
geworden. Als ehrlicher Soldat lasse ich mich jederzeit zusammenhauen,
wenn's nicht anders ist! Aber kapitulieren, nein! Die Feigheit duerfen Sie
nimmermehr von mir verlangen!"

Dabei schlug er auf die Saebelscheide, dass es klirrte.

Bei den Franzosen ging dann ein Geschnatter los.

Wer jener Monsieur sei, der so aufgeregt tat! - Ob er oder _le comte_
Kalckreuth das Kommando haette? Man liesse sich einen derartigen Affront
nicht bieten, man waere schockiert, konsterniert und wer weiss was noch! -
Man stampfte auf den Boden, liess die Aeuglein zornig blitzen und wetterte
und zeterte, dass die Stimmen sich ueberschlugen.

Bluecher fand das hoechst ergoetzlich und lachte ihnen aus vollem Halse ins
Gesicht.

"Wenn die Herren einen Wettkampf im Kraehen veranstalten wollen, ich habe
nichts dagegen!" sagte er. "Aber dazu bedarf es meiner Gegenwart nicht!"
Worauf er ihnen den Ruecken kehrte, in den Sattel sprang und
davongaloppierte. Die Franzosen taten das gleiche. Und die Herren
Kalckreuth und Massenbach kehrten betruebt zu den Truppen zurueck.

In bester Ordnung wurde denn, trotz dem Feuer der Franzosen, weiter
marschiert bis nach Sondershausen.

Dort legte Kalckreuth sein Kommando nieder, nahm Urlaub und reiste von der
Armee fort, was Bluecher aufs hoechste erfreut haette - wenn der Koenig nicht
dem Fuersten Hohenlohe das Oberkommando ueber die ganze Armee gegeben haette.

"Nun geht die Unordnung erst recht los!" fluchte er. "Fuer einen lahmen
Gaul tauschen wir einen blinden ein. Himmelsakrament, wo findet sich ein
Kerl, der alles in Ordnung bringt und mir hilft, diese Bangbuexen und
Stuemper zu Paaren zu treiben?! Wo find' ich den?"

Da oeffnete sich die Tuer, und auf der Schwelle stand ein unscheinbarer Mann
in etwas gebueckter Haltung, die Augen muede und truebe blickend, als waeren
sie von Arbeit ueberanstrengt; das Gesicht von tiefen Furchen durchwuehlt.
Mit nachlaessigen Bewegungen kam er herein, gruesste, strich sich die wirren
Haare aus der Stirn und blieb vor Bluecher stehen.

"Scharnhorst!" schrie dieser. "Sie kommen wie gerufen! _Sie_ fehlten mir
gerade! Ich bin nichts als Gift und Galle, nach all der Feigheit und
Miesepeterei hier. Erzaehlen _Sie_ mir wenigstens eine gute Neuigkeit!"

Scharnhorst schuettelte muede den Kopf.

"General," sagte er, "das geht nimmermehr, wenn Fuerst Hohenlohe jetzt den
Oberbefehl haben soll und Massenbach alles wieder verfahren darf!"

"Ob das geht!" rief Bluecher, gallig auflachend. "Geradeswegs zum Teufel
geht's, darauf koennen Sie Gift nehmen."

"Dann tun _wir_ beide wenigstens, was wir koennen, um den Schaden zu
vermindern! Retten wir die schwere Artillerie! Die laesst sich nun und
nimmer ueber den Harz bringen, wo der Fuerst sich jetzt mit der Armee
durchschleichen will. Sie bleibt auf den schweren Wegen stecken. Wenn Sie,
General, den Befehl ueber die Kolonne nehmen und mich alles anordnen
lassen, dann bringen wir die Artillerie viel sicherer und ebenso schnell
auf dem Umweg um den Harz herum ans Ziel. Wir ziehen ueber Osterode,
Braunschweig und bei Sandau ueber die Elbe. Ich lasse ueberall im voraus
Gespanne requirieren und bei den Haltepunkten bereitstellen, damit die
Artilleriepferde, die total abgetrieben sind, geschont werden koennen. Ich
sorge auch dafuer, dass wir sofort bei Sandau Faehrgelegenheit haben. Das ist
alles zu machen, wenn nur ein Mann wie Sie das Kommando nimmt, damit gut
aufgepasst, schnell und energisch im Falle der Gefahr durchgegriffen und
ohne Zaudern vorwaertsgegangen wird! Wollen Sie?"

"Sofort!" sagte Bluecher. "Das schaffen wir zusammen! Wir wollen den
anderen zeigen, Oberst, was zwei aufrechte Kerle vermoegen, wo andere die
Koepfe haengen lassen. Wie viele Rohre sind das?"

"Einunddreissig. Und ein Bataillon Infanterie als Bedeckung."

"Das genuegt! Wir nehmen noch an die sechshundert Pferde von meinem
Regiment! Kommen Sie, gehen wir gleich zum Fuersten und bringen es ins
reine, und dann los!"

Sie schuettelten sich die Haende. Beide hatten gefunden, was sie suchten.
Der Generalquartiermeister das starke aktive Temperament Bluechers, das
keine Hindernisse kannte und Autoritaet genug hatte, alles mit sich
fortzureissen - Bluecher den klugen, sicher und kuehl berechnenden Kopf
Scharnhorsts, den trefflichen Organisator, den unermuedlichen Arbeiter, den
vorausschauenden Blick, der schnell die Grenzen des Moeglichen erfasste und
nicht die geringste Kleinigkeit dem Zufall ueberliess, der die Notwendigkeit
des wagehalsigen Temperaments eines Spielers fuer die Durchfuehrung einer
Sache vollauf einsah, ihm aber auch im Bedarfsfalle einen Daempfer
aufzusetzen verstand.

Sie taten sich zusammen, um ein paar Kanonen zu retten, und daraus wurde
ein Bund zur Rettung des ganzen Vaterlandes. Ein Bund ohne feierlichen
Schwur, ohne Verbrieftes und Gesiegeltes - "vom Zufall herbeigefuehrt",
wuerde der Skeptiker sagen - "mit Notwendigkeit - aus Schicksal", wie der
Fatalist es deuten wuerde. Kurz und gut, es _wurde_. Und der Bund hielt.

Sie schritten also zur Ausfuehrung ihrer ersten gemeinsamen Tat und zogen
mit dem Artilleriepark ab.

Inzwischen fuehrte Hohenlohe die Armee auf den vielfach verschlungenen
Wegen durch den Harz und machte in Quedlinburg halt.

Dort wurde zur Abwechslung wieder einmal Kriegsrat gehalten.

Hohenlohe, der seine Niederlage bei Jena so schnell mit dem Oberbefehl
ueber die ganze Armee belohnt sah, hatte naemlich nichts Eiligeres zu tun
gehabt, als seinen lieben Massenbach wieder hoch in Ehren einzusetzen, und
da war guter Rat teuer.

Bei der Beratung erhoben sich Stimmen dagegen, dass von allen Seiten die
Truppen nach Magdeburg hinstrebten und so die Festung verstopften.

Der Hauptmann von dem Knesebeck schlug entschlossen vor, davon gaenzlich
abzusehen. Es waere, so meinte er, zweckmaessiger, nur die Versprengten nach
Magdeburg laufen zu lassen, um sie dort neuzuordnen. Die armierten und
formierten Truppen dagegen koennte man weit vorteilhafter nach Hameln
werfen, sich dort mit dem noch intakten Korps des Herzogs von Weimar
vereinigen lassen. Dann mit diesem, mit den westfaelischen Truppen Lecoqs,
und mit Bluechers Artillerie zusammen, Hessen und Westfalen insurgieren,
den Feind von Berlin und von der weiteren Verfolgung der aufgeloesten
Truppen abhalten, und dem Koenig Zeit geben, eine neue Armee zu bilden und,
vereinigt mit den Russen, heranzufuehren.

Der Plan, der das Gute an sich hatte, wieder die Aktivitaet der Truppen zu
beleben und ihre Unternehmungslust neu zu entfachen, fand allseitigen
Beifall.

Er hatte aber den einen und unverzeihlichen Fehler, nicht von Massenbach
zu stammen. Und damit war er erledigt.

Oberst Massenbachs Geist durfte sich nie und nimmer in den Bahnen eines
anderen bewegen. Und ihn gar der Unbequemlichkeit unterwerfen, sich mit
der Pruefung von Gedanken anderer Leute abzugeben, das ging ihm wieder die
Natur!

Er entschied also kurz: Die Idee des Hauptmanns von dem Knesebeck waere
gut, sie waere sogar ausgezeichnet, aber sie liesse sich leider nicht
verwirklichen. Unter den obwaltenden Umstaenden muesse an dem Plan, hinter
die Oder zu gehen, festgehalten und die Richtung auf Magdeburg eingehalten
werden. Das waere seine unverfaengliche Meinung.

Gruende gab er nicht an. Soweit durfte er seine Autoritaet nicht aufs Spiel
setzen. Er hatte es auch nicht noetig. Denn der Fuerst, muede, gelassen und
kurzsichtig wie immer, sagte zu seinen Ausfuehrungen ja und amen, ohne nach
Gruenden zu fragen. Und so bewegte sich alles im alten Trott.

In und um Magdeburg sammelte sich denn so allmaehlich der Rest der stolzen
preussischen Armee - alles in allem fuenfundvierzigtausend Mann -, um von
den kunsterfahrenen Haenden Massenbachs in neue Unordnung geordnet zu
werden.

In der Stadt hielt der jetzt allmaechtige Herr Hof, liess Offiziere und
Adjutanten, die nunmehr von ihm allein ihre Befehle erhielten,
antichambrieren und war nicht zu sprechen, kraenkelte an allen Ecken und
Enden, hatte seelische Depressionszustaende, bedurfte sehr der Schonung,
schrie und tobte ueber den Fuersten und alle Welt, die ihn mit allerlei
Drecksachen plagten, _ihn_, dessen Kopf von gigantischen, weltbeglueckenden
Problemen brannte! Man solle ihn in des Teufels Namen in Ruhe lassen! Er
beduerfe keines Rates; er wuesste schon am besten, was zu tun waere! Und
uebrigens waere er muede und muesse erst ausschlafen, um ueberhaupt denken zu
koennen!

So ungefaehr lauteten die "Befehle", die der Herr Generalquartiermeister zu
erteilen geruhte. Und so geschah es, dass das ganze Festungsglacis von
Packwagen und allerlei Tross derartig vollgefahren wurde, dass die
Artillerie der Bastionen im Ernstfalle nie und nimmer haette feuern koennen,
ohne erst die eigene Bagage zusammenzuschiessen - die Strassen waren von
festgefahrenen Fahrzeugen verstopft, die Soldaten langten an, kamen und
gingen planlos, statt sofort gefasst und auf ihre Truppenteile gebracht zu
werden. Und, als man schliesslich mit der Haelfte der Armee aufbrach, wurden
die verkehrtesten Massnahmen fuer den Weitermarsch getroffen.

In grossem Bogen strebte man auf Umwegen dem Ziele, Stettin, zu, liess dem
Feind den kuerzeren und bequemeren, geraden Weg nach Berlin offen, ueberliess
ihm also kampflos die dortigen reichen Vorraete, bis auf die Kassen, die
der Minister von Stein heimtueckischerweise vor der allerseits einreissenden
Schlamperei zu retten wusste.

Dafuer sorgte Massenbach in noch nicht dagewesener Weise fuer das leibliche
Wohl der marschierenden Truppen, so dass sie niemals zur Ruhe kamen und
stets hungrig blieben.

Der Weg nach dem jeweiligen Marschziel wurde mit groesster Sorgfalt so
gewaehlt, dass man sich selbst auf dem Bogen und der Feind sich auf der
Sehne bewegen konnte, damit man ja nicht vor den charmanten Franzosen ans
Ziel kaeme. Die Marschordnung wurde so eingerichtet, dass nicht zuviel
Kavallerie die dem Feinde zugekehrte Flanke der marschierenden Kolonne
schuetzte, dagegen die linke ungefaehrdete Flanke von der Masse der
Kavallerie bedeckt war - wohl zu merken, in Tagesmarschabstand, damit ihr
Chef, der alte Bluecher, nicht zu unbequem oder vorlaut werden konnte.

Fuer Nachtquartier, fuer Brot und Branntwein und anderes Essen wurde
getreulich gesorgt. Aber auch dafuer, dass man todsicher anderswohin
marschierte, wo nichts bereitstand und auch nichts aufgetrieben werden
konnte. Der Umwege gab es noch lange nicht genug! Es mussten immer neue,
immer andere gefunden werden! Den Anlass zum Suchen gab das ewige Schiessen
der eigenen Marodeure, ueberall, wohin man kam. Da witterte Massenbach
Franzosen die Masse! - Im Geiste sah er seine Lieben von ihnen
abgeschnitten oder umzingelt, erlaubte sich auch keinesfalls auf den
ketzerischen Gedanken zu kommen, zu kaempfen oder sich durchzuschlagen, und
teilte seine Mutlosigkeit und seine Ueberzeugung von der Nutzlosigkeit
eines jeden ferneren Widerstandes den Truppen mit.

So brachte er die Armee, bis auf die Haelfte zusammengeschmolzen,
ausgehungert und durch unnuetze Nachtmaersche bis auf den Tod ermuedet, _aber
kampflos_, bis in die Gegend von Prenzlau, wo sie fast gleichzeitig mit
den Spitzen von Murats Kavallerie, am 21. Oktober, ankam, nachdem bei
Wichmannsdorf, an dem Boitzenburger See, der Rest des beruehmten Regiments
Gens'darmes abgeschnitten, gefangen und zur Verherrlichung des Einzugs
Napoleons nach Berlin abgeschoben worden war.

Die von Bluecher und Scharnhorst vollstaendig gerettete und der Armee wieder
zugefuehrte Artillerie ging selbstverstaendlich fast gleichzeitig ebenso
vollzaehlig wieder verloren, sobald sie in andere, weniger geschickte Haende
gekommen war.

                                   *

Tram - tararam, tram, tram.

Tram - tararam, tram, tram -

Die Trommler schlugen drein, die Trompeten schallten, im Lustgarten schoss
man kaiserlichen Salut, die Glocken bimmelten aus saemtlichen Kirchen,
franzoesische Fahnen flatterten ueberall leicht, grazioes und kokett
bestrickend von allen Schloessern und Staatsgebaeuden und besonders reich
vom Brandenburger Tor, durch das der Einzug genommen werden sollte. Der
sterbende Oktober gab noch seinen schoensten Altweibersommertag her, um dem
Fest die richtige Weihe zu geben. Franzoesische Grenadiere saeumten die
Strassen ein. Bis weit hinaus auf die Charlottenburger Chaussee sah man die
schnauzbaertigen Kerle mit ihren doppelten Bandelieren, in schnurgeraden
Linien ueber der Brust gekreuzt, Gewehr praesentieren und sich martialisch
bruesten.

Und dahinter draengte sich alles, was in einer Stadt wie Berlin kreucht und
fleucht, reckte sich die Haelse lang, stiess sich die Rippen ein, zertrat
sich die Fuesse, fluchte, lachte, johlte und schrie vor Aufregung, jenes
apokalyptische Ungeheuer, das die ganze alte Welt in Truemmer geworfen
hatte, endlich einmal mit Augen zu sehen.

Tram - tararam, tram, tram!

Tram - tararam, tram, tram! -

Die Tambours schlugen ihre Wirbel mit Macht, die Blaeser bliesen aus vollen
Backen, immer naeher kam's, immer lauter schmetterten Posaunen und
Trompeten, die Pikkolofloeten wieherten, der Wind wehte die Klaenge immer
naeher, man vernahm schon die Melodie.

"_Allons enfants de la patri-i-e_", sang gleich ein blasser
Aesthetenjuengling mit interessanten dunklen Stirnlocken laut irgendwo
hinter dem Ruecken der anderen mit - mit einer Vehemenz dass sich seine
duenne Fistelstimme noch vor Ruehrung ueberschlug. "Das Lied - _das_ Lied
ist's, das die Welt erobert! Ueberall entflammt es die Herzen, ueberall
entfacht es die Begeisterung! Und wenn sie's hoeren, empfangen die
geknechteten Voelker dankbar ihre Freiheit aus der Hand des Befreiers!"

"Halt's Maul, Aff' verfluchter!" rief ihm ein dicker Fleischerbursche zu,
und versetzte ihm einen Bauchstoss, dass ihm das Singen verging.

"Au, meine Hiehneroogen!" kreischte schrill eine Stimme.

Eine andere gab zur Antwort: "Wennde schon Oogen in de Stiebeln hast, denn
guck dir doch unten besser vor, Rindvieh!"

"Bei ihm guckt bloss de jrosse Zeeh raus, und die hat keene Oogen nich! Die
is blind!" lachte ein dritter.

"Wat der uns woll noch an Steuern abknoeppen wird!" knurrte ein dicker
Budiker, stiess seinen Nachbar in die Seite und zeigte auf "seinen"
Gerichtsvollzieher, der sich eben an ihm vorbeidraengelte.

"Nu wat denn?" antwortete der Angeredete. "Der wird dir schon janz eklig
kommen und nich zu knapp! Denn wat dem sein neuer Herr und Jebieter is -
det Napolibum - det soll jerissener sind wie ville Jerichtsvollzieher! Det
jehoert woll ooch zum Jeschlecht derer von Nimm!"

Immer lauter wurde das Geschrei der Leute. Die Einzelgespraeche versanken
in dem allgemeinen Trubel, die Marseillaise, von droehnenden Trommelwirbeln
rhythmisch gehoben und vorwaerts getragen, schwoll immer machtvoller an und
erfuellte mit ihren Klaengen die Luft, die Posaunen spien ganze Massen von
Fanfaren aus, als gaelte es die Mauern Jerichos umzublasen. - Immer naeher
und naeher schob sich das Ereignis; ein Wald von silber- und goldgestickten
Fahnen schaukelte langsam und feierlich vorwaerts auf das Tor zu, durch
dessen mittleren Bogen hindurch und auf die "Linden" hinein.

Wo aber der Zug der Fahnen vorbeikam, verstummte der Laerm, die Koepfe
senkten sich, die Gesichter wurden ernst, zornige Worte pressten sich ueber
zusammengekniffene Lippen, die Faeuste ballten sich, die Augen wurden
feucht.

Es waren - _preussische Fahnen_, vor allem die Feldzeichen der preussischen
Garderegimenter, von Siegen schwer, von Ehren bekraenzt, die in den
Schlachten des Grossen Friedrich einst ihre Bluttaufe erhalten hatten und
jetzt, von achtzig franzoesischen Grenadieren getragen, auf der
altgewohnten Strasse ihrer einstigen Triumphe dem Besieger Preussens in
seiner Hauptstadt voranflattern mussten.

"Hol' der Teufel die Schufte, die sie so schlecht verteidigt haben!"
fluchte ein alter Veteran zwischen den Zaehnen.

"Nie wieder!" schrie ein anderer und vergass sich so weit, dass er die Faust
drohend gegen die franzoesischen Soldaten schuettelte. "Nie wieder wird euch
das hier im Lande vergessen werden, solange die Welt noch steht!"

"_Silence messieurs! Silence donc ici!_" wetterte es prompt aus der Reihe
der spalierbildenden Soldaten, und ein paar derbe Kolbenstoesse
unterstuetzten die Mahnung. Indessen verstummte die Marseillaise ploetzlich,
und der Zug hielt an.

Der Kaiser Napoleon, hoch zu Pferd und umgeben von den Marschaellen
Berthier, Davoust, Angereau, Bessieres und Lefebvre, hielt jetzt am Tor
an, um die programmgemaesse offizielle Begruessung entgegenzunehmen.

Eine Gruppe der angesehensten Buerger Berlins, an ihrer Spitze der
Zivilgouverneur Fuerst von Hatzfeld selbst, trat vor, um dem Kaiser die
Schluessel der Stadt feierlichst zu ueberreichen.

Der Fuerst hielt seine Ansprache; der Sieger von Marengo, Austerlitz und
Jena dankte mit seiner melodischen Stimme in leicht singendem Tonfall, die
Worte mit absichtlicher Feierlichkeit dehnend und fast skandierend. Er
liess dann die Schluessel der Stadt vom neuernannten Gouverneur in Empfang
nehmen, blickte auf das Tor hinauf zur bronzenen Viktoria, die ihm mit
ihrem Viergespann leichtgeschuerzt entgegengesaust kam, laechelte bedeutsam
und sagte dann, ohne seine Worte an irgendeinen zu richten:

"Die Dame faehrt in verkehrter Richtung. Der Sieg kommt heute aus Westen,
Messieurs, die Siegesgoettin also auch! Wir wollen ihr auf den rechten Weg
helfen!"

Ein Zeichen seiner Hand - die Musik fiel ein, die Trommeln schlugen, die
Blaeser prusteten, und durchs Siegestor der Hohenzollern zog die glaenzende
kaiserliche Kavalkade ein, strotzend von Orden und goldenem Schmuck, mit
wehenden Federbueschen, prachtvollen Gewaendern, von fuerstlich
aufgeschirrten Pferden getragen. Allen voran Napoleon selbst im grauen
Mantel, den schwarzen dreieckigen Hut auf dem Haupte.

"_Vive l'empereur!_" riefen vorschriftsmaessig die Garden. Vereinzelte
Hurrarufe aus der Menge wurden laut.

"'t is ja een janz kleener Mann!" quiekte ploetzlich eine Stimme.

"'n janz kleener!" brummte eine Bassstimme Antwort. "Det meen ick ooch! Und
det will nu janz wat Jrosset sind?! So'n Quatsch!"

"Fif Langperoehr!" johlten ein paar strebsame Gassenjungen.

Und dann brach ein Sturm los, wie er selten auf der Feststrasse Berlins
getobt hatte. Der Clou des Festzuges kam, die Ueberraschung, die Napoleon
den Berlinern als Angebinde bot, indem er gleichzeitig seine eigene
verletzte Eitelkeit in der raffiniertesten Weise raechte.

Hinter dem Festzug her wurde der Stolz der Berliner, ihr feinstes
Regiment, das Regiment Gens'darmes, wie eine Viehherde ueber die Linden
getrieben, durcheinandergeworfen, mit abgerissenen Uniformen, ohne Waffen,
ausgehungert und zu Tode gehetzt, um nicht beim Triumphe seines Besiegers
zu fehlen.

Eben _die_ Offiziere, die einst so mutvoll an den Stufen der franzoesischen
Gesandtschaft ihre Saebel gewetzt hatten, eben die mussten jetzt, dieser
Saebel beraubt, an dem Ort ihrer Tat gefangen vorueberziehen, um so ihren
einstigen Uebermut zu suehnen.

Und derselbe Poebel, der ihnen damals zujauchzte und noch lauter als sie
Frankreich verwuenschte - derselbe Poebel pfiff sie jetzt aus, beschimpfte
sie, verlachte sie, bewarf sie mit Kot aus dem Rinnstein und mit
unflaetigen Zurufen, und gab ihnen die Schuld an dem Krieg und an der
Niederlage und an der ganzen Schmach, die ueber das Vaterland
hereingebrochen war. Er haette sie in Stuecke gerissen, haetten nicht die
franzoesischen Grenadiere in der Aufrechterhaltung der Ordnung eine geuebte
Hand gehabt.

Man erhob sich zum Richter, vergass darueber, wie sooft, die eigene Schuld,
und machte sich dadurch erst recht mitschuldig! -

Der Sieger aber, der die Geschmacklosigkeit gehabt hatte, die in ehrlichem
Kampfe ueberwundenen Feinde wie eine Herde gefangener Barbaren im
Triumphzuge der Caesaren mitzuschleppen, er zog weiter nach dem Schloss,
empfing dort die sogenannte "Intelligenz", charmierte, poussierte,
kokettierte mit dem Allerweltsbuergertum, das auch hier in Berlin seine
ueppigsten Blueten trieb, alles bewitzelte, alles verspottete, und vor allem
jedes patriotische Gebaren ins Laecherliche zog.

Er teilte Auszeichnungen aus, er ordnete die Verwaltung der Stadt,
ernannte Gouverneure, Kommandanten, Richter und Polizeichef, empfing
Deputationen und hervorragende Persoenlichkeiten der Literatur, der Kunst
und der Geldaristokratie, lauter franzoeselnde Weltbuerger und
hypergebildete Kulturfexe, amuesierte sich ueber ihre plumpen
Schmeicheleien, liess sich ruhig anhimmeln und quittierte fuer die
Kriecherei, indem er dem besiegten Vaterland jener Vaterlandslosen eine
sofort zu entrichtende Kriegskontribution von hundertneunundfuenfzig
Millionen Mark auferlegte und ruecksichtslos einzutreiben befahl. Er
verstand den Spass und wusste eben, was Siegen heisst!

                                   *

"Sagen Sie mal, Herr Kamerad," sagte der Major von der Marwitz, der
Adjutant Hohenlohes, zum Kapitaen von Tippelskirch vom Generalstab, gerade
als dieser den Fuss in den Steigbuegel setzen wollte, "sagen Sie mal, ist es
Ihnen nicht aufgefallen, dass die kleinsten Ursachen oft die groessten
Wirkungen haben, und dass, insbesondere in der Weltgeschichte,
Begebenheiten von den weittragendsten Folgen, von denen das Schicksal von
Nationen abhaengt, meistens durch ganz nebensaechliche und sonst
gleichgueltige Umstaende herbeigefuehrt werden?"

"Ich gebe zu, ich habe schon manchmal darueber nachgedacht!"

"Dann werden Sie sich nicht wundern, dass ich jetzt behaupte: wenn wir hier
kapitulieren muessen, und ich sehe es schon kommen - -"

"_Ich_ kapituliere nicht - ich reite dann eher davon!" rief der Kapitaen
lebhaft.

"Recht tun Sie, Herr Kamerad! Und waere ich nicht als Adjutant an die
Person des Fuersten gebunden, so wuerde ich es auch so halten. Ich wollte
auch nur dartun, dass wir, wenn wir hier kapitulieren muessen, in diese
Zwangslage durch den Umstand versetzt worden sind, dass Herr Oberst von
Massenbach eine so ueberaus empfindliche Milz hat."

Der Kapitaen von Tippelskirch lachte.

"Es ist mein Ernst, Kamerad", sagte der Major. "Mit der Milz ist nicht zu
spassen - mit Massenbachs am allerwenigsten! Wozu das Ding eigentlich da
ist, darueber stritten sich von jeher die Gelehrten und streiten sich immer
noch. Bei Massenbach ist sie aber ganz bestimmt dazu da, um den guten
Oberst zu quaelen!"

"Da geschieht ihm nur sein Recht!"

"Sie koennen ueberzeugt sein, Herr Kamerad, dass ich ihm noch groessere Qualen
goennen wuerde, wenn wir nur nicht so sehr davon in Mitleidenschaft gezogen
wuerden."

"Wieso denn?"

"Nun eben weil jenes merkwuerdige Kluempchen Fleisch, das man Milz nennt,
dem Herrn Massenbach total das Reiten verleidet."

"Ach so!"

"Kaum sitzt er im Sattel und schlaegt ein rascheres Tempo ein, sofort
versetzt ihm seine Milz einen Stich, dass er den Atem verliert und nicht
weiter kann. Da hilft ihm nichts als der gewoehnliche langsame Trott, oder,
am liebsten, dass er im Wagen weiterfahren kann. Galopp oder Trab ist ihm
unmoeglich auszuhalten. Und dabei soll der Mann rekognoszieren."

"Wie das ausfaellt, laesst sich denken!"

"Ja, aber nur denken! Denn er nimmt die letzte Zeit auf seine
Patrouillenritte niemand mit! Er rekognosziert immer allein. Und wissen
Sie warum?"

"Nun?"

"Um ohne Zeugen zu sein! Ich habe die Ueberzeugung gewonnen - und ich
moechte beinahe darauf schwoeren, dass es sich so verhaelt -, ich habe also
die Ueberzeugung: er unterschlaegt wegen der Schmerzen in der Milz den
ganzen Ritt, setzt sich irgendwo im Gebuesch hin und kommt dann nach einer
Weile wieder mit den wahnsinnigsten Rapporten! Nur so habe ich mir all die
merkwuerdigen Beobachtungen erklaeren koennen, die er gemacht haben will. _Er
hat sie eben nicht_ gemacht. Er hat sich gesagt: 'Es _koennte_ so sein, es
koennte aber _auch so_ sein! Nehmen wir also das '_auch so_' fuer sicher!
Warum sollte ich mit meinem Scharfblick nicht eine Entfernung ohne
Vermessen einschaetzen koennen? Brauche ich eine Bruecke, ein Defilee, einen
Pass zu sehen, um zu wissen, dass sie da sind? Und was den Feind betrifft,
dass der hinter uns her und vor uns und ueberall ist - wer wuerde wagen,
_das_ von den Franzosen zu bezweifeln? Um _das_ festzustellen, dazu
brauche ich keinen Ritt zu machen! Das weiss man auch so! Wer
kontrolliert's mir uebrigens? Keiner! Und wenn schon - der Fuerst glaubt mir
aufs Wort! Die anderen Kerls koennen mir was! Wozu sich schinden?' So wird
er raesoniert haben!"

"Das hat allerdings etwas fuer sich", sagte der Kapitaen von Tippelskirch
und schlug sich mit der Reitgerte auf den Stiefel. "Mir war es auch
merkwuerdig, wie er so gar nicht mehr die Entfernungen einschaetzen konnte!
Denn der Kerl ist nicht dumm! Und kann er auf einmal nicht mehr rechts von
links unterscheiden, so liegt's nicht am Sehvermoegen, auch wird er nicht
so ganz auf den Kopf gefallen sein. Schliesslich muss er doch auch als
Generalquartiermeister die Karten kennen. Ich kann mir nicht helfen, aber
ich sehe da so etwas wie boesen Willen walten! Der Kerl hat etwas vor!"

"Wissen Sie, Herr Kamerad," sagte von der Marwitz zoegernd, "ich mag ihn
auch ganz und gar nicht. Aber Gerechtigkeit muss sein. An bewussten Verrat
glaube ich nicht. Dazu waere er meines Erachtens auch dann nicht imstande,
wenn er die Neigung haette, denn er ist zu feige. Er ist ein unbedeutender
Kopf, der zu Einfluss gelangt und uebergeschnappt ist, so dass er sich nur
noch mit grossen weltbewegenden Plaenen abgibt, die er weder fassen noch
bewaeltigen kann. Da passiert es ihm eben, so in Gedanken zu sein, dass er
rechts und links verwechselt, falsche Rapporte bringt und verkehrt
disponiert. Wir haben's dann auszufressen, sitzen in der Klemme und muessen
verhandeln."

"Das muessen wir eben nicht! Und wenn ich sehe, dass das losgeht, dann reite
ich davon. Wenn Sie mitkommen, soll es mir lieb sein."

"Ich ueberlege es mir noch!"

Der Kapitaen sprang in den Sattel und legte die Zuegel in der Hand zurecht.

"Er ist aber doch ein ausgemachter Franzosenfreund", sagte er aergerlich.
"Sie haben doch selbst gehoert, wie er gegen das Buendnis mit Russland
wetterte. Sie waren doch dabei, als er erklaerte: In dem Augenblick, wo wir
uns mit Russland alliieren, verlaesst er die preussischen Dienste und geht ins
Franzoesische!"

"Ich weiss. Ich habe ja selbst im ersten Aerger dem Fuersten gesagt, er muesse
wegen dieser Aeusserung erschossen werden. Aber der Fuerst hat mich
ausgelacht. Massenbach waere nicht ernst zu nehmen, sagte er. Und dabei
nimmt er ihn selbst verteufelt ernst und laesst sich von ihm total
beherrschen."

Der Kapitaen beugte sich vom Pferde herunter.

"Wissen Sie was, Kamerad, der eine von den beiden ist ein Schuft, der
andere ein Schwachkopf! Das meine Meinung! Wenn es ihre
Privatangelegenheit waere, wuerde ich keinen Ton sagen. Aber wenn Tausende
von Leben von ihren Schrullen abhaengen, wenn das ganze Land darunter zu
leiden haben wird, dass solche Leute zu befehlen haben - - Na -, wie
gesagt, ich reite meines Weges! Wenn's soweit ist, pfeife ich Ihnen!"

Er gruesste, gab seinem Pferd die Sporen und ritt davon. Major von der
Marwitz stieg auch in den Sattel und schloss sich dem Fuersten Hohenlohe und
Massenbach an, die sich jetzt zu einer Unterredung mit den Franzosen
begaben.

Auf einer niedrigen Wiese kamen sie ihnen entgegengaloppiert, versteht
sich, auf guten, erbeuteten preussischen Kavalleriepferden, um recht
niederschmetternd zu wirken. Murat selbst ritt das bei Saalfeld erbeutete
Pferd Louis Ferdinands; sein Gefolge hatte sich beim Regiment Gens'darmes
beritten gemacht.

"Dieser freche Gaskogner - dieser Naseweis von einem Baeckerjungen!" sagte
von der Marwitz laut, als er den blaurotgolden herausgeputzten
napoleonischen Reitergeneral sah, wie er sich unter der reichen
Verschnuerung bruestete und blaehte, die gelockten Haare schuettelte und
gleich anfing in einer Weise zu schwadronieren, gegen die Massenbachs
Zungengelaeufigkeit das reine Kinderspiel war.

Der war auch stumm wie ein Fisch und tat das Maul nicht einmal auf. Er
starrte nur, wie der Fuerst, entsetzt auf Murat, als dieser anfing, nach
rechts und links, nach Nord und Sued in die leere Landschaft
hineinzuzeigen, und ploetzlich vor seiner erstaunten Phantasie die ganze
franzoesische Armee aus dem Aermel schuettelte.

"_Voila le corps du marechal Lannes! Voila le corps du marechal
Bernadotte! Voila le corps du marechal Soult!_"

Soult, der hinter der Elbe stand! -

"_Je vous donne ma parole d'honneur, que vous etes cernes par cent mille
hommes! Je me trouve ici avec cent mille hommes, messieurs!_"

Und dabei hatte der Gauner nicht mehr als tausend Mann und sechs Kanonen!
Es waere ein leichtes gewesen, sie zum Teufel zu jagen, wenn man auch nur
den Gedanken eines Widerstandes zu hegen gewagt, und wenn nicht Massenbach
so liederlich rekognosziert haette.

Wen der Himmel aber verderben will, den schlaegt er mit Blindheit. Und so
sah der Fuerst Hohenlohe im Geiste nichts als diese fuerchterlichen
Truppenmassen von allen Seiten draeuen, sah desgleichen das Herz seines
geliebten Massenbach immer tiefer in die Hosen sinken und hoerte kaum noch
hin, als von der Marwitz ihn bat, doch von dieser tiefgelegenen Wiese auf
die Chaussee heraufreiten und selbst Umschau halten zu wollen, oder noch
besser, ihn mit einer Patrouille auszusenden, ehe er seinen Entschluss
fasse.

Massenbach hatte rapportiert! Massenbach hatte all das auch gesehen! - Das
genuegte!

Das war der Kehrreim vom Lied - das Gesetz, gegen das es keinen Einspruch
gab!

Und vollends, damit nichts am Grotesken fehlte: als in der Ferne, auf dem
Wege von Stettin, einer von den eignen Pulverwagen aufflog und eine
kugelfoermige Wolke hochging, die in der Luft eine Weile haengenblieb, als
dann alles verbluefft hinschaute, und man sich gegenseitig fragte, was das
wohl sein koenne, da fiel man zum Ueberfluss noch auf den Bluff eines der
laechelnden Herren Franzosen herein, der mit frecher Stirn ganz ruhig
erklaerte: "Das ist das Signal von Marschall Soult, dass er Sie von Stettin
abgeschnitten hat! Sie sind umzingelt, Messieurs!"

Der Chef der Artillerie, Oberst Hueser, kam dann noch mit der wenig
erfreulichen Nachricht hinzu: es fehle den Soldaten an Taschenmunition,
und er selbst haette nur noch fuenf Schuss pro Kanone uebrig. Und da war es
aus.

Da willigte Fuerst Hohenlohe ein und kapitulierte mit zehntausend Mann und
dreissig Kanonen vor Murats tausend Leuten und vor seinen sechs
fuerchterlichen Rohren! Alles, weil der Herr Generalquartiermeister Oberst
von Massenbach eine Milz hatte und diese ihn am getreulichen
Rekognoszieren behinderte! Und auch, weil der Artilleriechef nichts davon
wusste oder wissen wollte, dass einzelne seiner Batterien noch ueber mehr als
tausend Schuss verfuegten!

Inzwischen balgten sich Bluecher und seine Leute sechs Meilen davon nach
Herzenslust mit Bernadotte herum. Bei Lychen wurden sie handgemein.
Bluechers "Rote" hieben brav drein, die anderen Truppen taten auch ihr
Bestes, schlugen den Franzmann gehoerig aufs Haupt, bekamen wieder Mut und
Selbstbewusstsein und _sangen_ wieder zum ersten Male, seitdem der Rueckzug
angefangen hatte.

Da brachte man ein paar Deserteure von der Hohenloheschen Armee ein, die
der Kapitulation entflohen waren, weil sie keine Lust hatten, unnuetz eine
Reise nach Frankreich zu machen. Und von ihnen erhielt man Kunde von dem
Ereignisse. Das wirkte wie ein Donnerschlag. Laute Rufe des hoechsten Zorns
wurden bei den Offizieren hoerbar, und Bluecher fluchte und tobte, wie nur
er es konnte!

In der Siegesstimmung, in der er war, wollte er gleich dreinhauen, zum
Angriff vorgehen, sich nach Stettin durchschlagen und, wenn's sein musste,
bis zum letzten Mann kaempfen, um wenigstens so die von Hohenlohe und
Massenbach geschaendete preussische Waffenehre wiederherzustellen!

Er liess Scharnhorst rufen und beratschlagte die Lage mit ihm. Scharnhorst,
auch jetzt ruhig und besonnen wie immer, verstand es gut, die
Draufgaengernatur Bluechers zu baendigen, und fand auch gleich heraus, was zu
tun waere, um dem Ganzen am besten zu nuetzen. Und da sein Plan immerhin
einiges von einem Husarenstuecklein an sich hatte, so war Bluecher nicht
schwer zu ueberzeugen und willigte sofort ein.

Was Knesebeck beim Kriegsrat in Quedlinburg mit der ganzen Armee tun
wollte und nicht durfte, das unternahm jetzt Scharnhorst mit dem
Bluecherschen Korps.

Statt also nach der Oder durchzubrechen, wollte er lieber umkehren, auf
die Elbe zurueckgehen, Magdeburg gewinnen oder Hamburg, wenn's nicht anders
ging. - Die Hauptsache dabei war, die Franzosen von der Oder abzuziehen,
damit der Koenig Zeit bekaeme, sein Heer zu sammeln und die Festungen zu
verproviantieren.

Waehrend der Beratung hatte sich aber die Kunde von der Kapitulation unter
den Regimentern verbreitet. Und da es ueberall einige unsichere Kantonisten
gibt, so gab's auch hier verschiedentlich Aufregung, und Rufe wurden laut,
es sei am besten, wenn hier gleichfalls kapituliert wuerde, damit die ewige
Hetze endlich einmal ein Ende naehme!

Als aber die Leute das muntere, hoffnungsvolle Gesicht Bluechers sahen, wie
er mit Scharnhorst herauskam, und schmunzelnd versicherte: er wolle ihnen
bald wieder Gelegenheit zu manch gutem Husarenstuecklein geben, da fassten
sie sich wieder ein Herz.

"Wo ich etwas zu sagen habe, da soll kein preussischer Soldat Schande
haben! Das glauben Sie _mich_!"

So schloss er seine Ansprache.

Die kleine Neigung zur Meuterei war sofort verflogen. Man zog in
westlicher Richtung ab, vereinigte sich bald mit dem jetzt von Winning
befehligten Korps des Herzogs von Weimar und hatte die Genugtuung, die
drei franzoesischen Korps Lannes, Bernadotte und Soult von der Oder ab und
auf sich zu ziehen. Aber auch die Muehseligkeit, von ihnen scharf verfolgt
zu werden.

                                   *

 Massige Kirchen mit erzgruenen Daechern -
 ragende Tuerme mit Zinnen und Zacken -
 ringsum in leuchtendem Rot ein Meer
 von Ziegeldaechern und Treppengiebeln,
 von breiten Stroemen sanft umschlungen
 und tiefen Graeben mit stillen Gewaessern. -
 Kein draeuender Schlund auf Waellen und Mauern,
 kein Waechter im Turm, kein wehrhafter Streiter. -
 Auf hohen Waellen rauschen die Baeume,
 geheimnisvoll raunt es von alten Stuermen,
 von Streit und Orlog in fernen Zeiten,
 ehe alles im Dornroeschenschlaf versank,
 die Tat vertraeumte und weltfremd wurde.

 Da naht ein Ritter - mit rauher Faust
 er reisst im Gestruepp eine Gasse.
 Krachend saust aufs verschlossene Tor
 der Knauf seines Schwertes, bricht Schloss und Riegel,
 die Schlaege droehnen, die Bohlen bersten,
 das Tor springt auf; - - -
 schrill schmettert sein Streitruf hinein in die Stadt,
 verscheucht den Schlaf;
 aus rosigem, sonnigem Traum erwachend,
 blickt alles froh dem Leben entgegen.
 Da stuermt der Tod durchs Tor hinein,
 durch alle Gassen in alle Haeuser,
 mit Mord und Notzucht, pluendernd, sengend;
 in Rauch und Flammen und Stroemen von Blut
 sinkt alles hin.
 Sitte, Brauch und Gesetze der Vaeter
 und heimische Wahrzeichen weichen den Welschen.
 Statt Ordnung und Recht
 Erpressung, Gewalt, Guillotine!

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Im Rathause zu Luebeck, im Audienzsaal des Senats zu ebener Erde, hinter
den in Hufeisenform gestellten gruengedeckten Tischen, sassen vollzaehlig
versammelt, auf langen Sofas, die Mitglieder eines Hohen Senats, in
altspanischer schwarzsamtener Hoftracht mit breiten Halskrausen, die die
markigen Koepfe wie auf Praesentiertellern darboten.

Hinter der Balustrade, mitten im Saal, die ragende Gestalt Bluechers, den
langen Reitermantel ueber die Schulter zurueckgeschlagen, das graue Haar
sich wirr tuermend ueber der hohen Stirn. Wie ein alter, von stuermischem
Flug zerzauster Adler, wie ein Recke der Vorzeit, so mutete er an. Hoheit
strahlte seine ungebeugte Gestalt aus. Ehrfurcht floesste sie jedem ein,
auch den gestrengen Herren auf den Ratsbaenken, die versammelt waren, um
wider ihn die Rechte einer Freien Reichs- und Hansestadt zu wahren.

"Luebeck hoch in Ehren!" sagte Bluecher und erhob gruessend die Hand. "Dem
Haupt der Hansa - der altberuehmten Reichsstadt meinen ehrerbietigsten
Gruss! Es tut mir leid, als ungebetener Gast vor einem Hohen Senat
erscheinen zu muessen, und ich bedauere sehr, dass das Stadttor von uns mit
Gewalt geoeffnet werden musste. Aber herein mussten wir. - Not kennt kein
Gebot. Wir wurden von der Elbe ab- und hierhergedraengt. So gezwungen,
einige Tage hier zu bleiben, um meine Truppen ruhen zu lassen und mit dem
Noetigsten zu versehen, sichere ich einem Hohen Senat und der Buergerschaft
Luebecks die strengste Manneszucht zu und Schutz fuer Leben und Eigentum
jedes einzelnen.

Einen Hohen Senat aber bitte ich um Gottes willen zur Verpflegung und
Ausruestung meiner Truppen, um Lieferung von fuenftausend Dukaten,
achtzigtausend Broten, viertausend Pfund Fleisch, dreissigtausend Flaschen
Wein und Branntwein und Schuhe und Futter fuer fuenftausend Pferde!"

Die Senatoren blickten sich ernst an.

Der praesidierende Buergermeister, Dr. Plessing, nahm dann das Wort und
erinnerte in gemessener und wohlgesetzter Rede an die allseits anerkannte
Neutralitaet Luebecks, die durch seine Besetzung von der preussischen Armee
jetzt auf das groeblichste verletzt worden war, wogegen er, _in optima
forma_, den entschiedensten Protest hiermit einlegen wollte. Er bedaure
aufs tiefste die tapfere preussische Armee und gaebe die Notlage zu, wolle
sich auch nicht der Darstellung derselben durch ihren beruehmten General
verschliessen, koenne aber dessenungeachtet keinesfalls eine Verpflichtung
zur Lieferung seitens der Freien Reichsstadt Luebeck anerkennen und
erklaerte, indem er sie doch nach Moeglichkeit in Aussicht stellte, dass man
nur der Gewalt weiche.

Bluecher erhob bei den Worten sein Haupt.

"In welcher Form die Labung gegeben wird, ist mir gleich, wenn ich nur die
Gewissheit habe, ohne zum Aeussersten schreiten zu muessen, meine Leute hier
erquicken zu koennen. Eins moechte ich aber doch Eurer Magnifizenz zu Gemuete
fuehren: wenn das Nachbarhaus brennt, da hilft's mir nicht, mich vor _mein_
Haus hinzustellen und dem Feuer zuzurufen: 'Dies Haus ist neutral! Da hast
du nichts zu suchen, da darfst du beileibe nicht zuenden!' - Das Feuer
brennt, wo der Wind es hintreibt, und den fliegenden Funken kuemmert kein
Menschengebot. Ist der Krieg entfesselt, so zieht er seine Bahn. Wenn
Fieber den Koerper schuettelt, da nuetzt es nicht, der Krankheit zu sagen:
'Die rechte Hand lass mir in Ruhe, den Kopf auch - sie sind neutral -, da
darfst du nicht toben!' Nein - _da fiebert eben alles mit_, ob's will oder
nicht! Das ist _hoehere Gewalt_, meine Herren! _Die Gewalt_ war's, die mich
zwang, Ihre Neutralitaet zu verletzen, und allein _die_ Gewalt wird es wohl
sein, der Sie, meine Herren, hier weichen muessen. So moechte ich es
jedenfalls verstanden haben! Denn ich tue hier nichts denn meine Pflicht
gegen Koenig und Vaterland, wenn ich versuche, seine Armee zu retten und
seinen Feinden moeglichst lange unbequem zu werden! Und nun mit Gott!"

Er gruesste und ging.

Im Gasthaus Zum Goldenen Engel, dem Rathause gegenueber, war das
Hauptquartier aufgeschlagen.

Dort sassen Scharnhorst und der Hauptmann von Mueffling mit Gehilfen in
emsigster Arbeit, die Verteidigung der Stadt zu ordnen.

Die Mauern standen ja noch, waren jedoch verfallen, die Waelle mit hohen
Baeumen bestanden, Artillerie war nicht vorhanden. Luebeck war also eine
offene Stadt, aber leicht zu verteidigen, weil von zwei Seiten von Wasser
umgeben, ueber das nur durch die vier Tore Zugang war.

Gegen drei von ihnen, gegen das Burgtor, das Huextertor und das Muehlentor,
zog jetzt der Feind heran. Durch das Holstentor ging Bluechers
Rueckzugsstrasse, auf der er schon Kavallerie und Tross nach Ratkau
vorangeschickt hatte, waehrend die Trave, bis in die Gegend von
Israelsdorf, durch hinter dem Fluss aufgestellte Regimenter gesichert war,
und die Armee so hier vor Ueberfluegelung geschuetzt wurde.

Am Burgtor kommandierte der Herzog von Braunschweig-Oels.

Sowohl Bluecher wie Scharnhorst hatten bei ihrer Besichtigung dort viel zu
erinnern gefunden. Die Truppen vor dem Tor und auch die Artillerie waren
unzweckmaessig aufgestellt. Sie suchten, so gut es ging, die schlimmsten
Missstaende abzustellen, ermahnten den Herzog, sein Fussvolk beizeiten
zurueckzuziehen, damit der Feind nicht gleichzeitig mit ihm durchs Tor
eindraengen koennte, und kehrten ins Hauptquartier zurueck.

Dort fanden sie den Leutnant von Eisenhart, der soeben aus Muenster mit der
geretteten westfaelischen Landeskasse eingetroffen war, um sie ueber See
weiter in Sicherheit zu bringen. Bei der Geldknappheit Bluechers war er
hoechst willkommen, da er ihm so ueber die schlimmste Not hinweghalf. Nach
Abgabe einiger Faesser mit harten Talern wurde Eisenhart sogleich mit
seiner Geldfuhre nach dem Holstentor vorausgeschickt, um fuer alle Faelle
rasch damit entschluepfen zu koennen, falls der Feind doch unerwartet in die
Stadt eindringen sollte.

Scharnhorst fing an verschiedene eilige Angelegenheiten mit Bluecher zu
besprechen. Da trat ploetzlich ein untersetzter, duerrer Offizier mit
graemlichem Gesicht, den Arm in der Binde, auf krummen Beinen durch die Tuer
herein - ging auf Bluecher zu und fing zu dessen Verblueffung an, ihn in
kurzem, knarrigem Ton zu schurigeln.

"Ich haette mir von Ihnen eine bessere Fuehrung erwartet, General!" sagte
er. "Allerdings, Ihre Attacke bei Auerstedt war nicht beruehmt! Und ich war
vom Grossherzog von Weimar, meinem vorigen Chef, nicht gerade verwoehnt,
obwohl er fuer einen Prinzen ganz annehmbar funktionierte. Aber _Sie_
lassen uns laufen und laufen ohne Ende! Unsere Leute werden marode;
Tausende ueber Tausende sind uns bei den Gewaltmaerschen der letzten drei
Tage verlorengegangen. - Von meinen Jaegern allein, von denen jeder Mann
unersetzlich ist, vermisse ich ueber vierhundert!"

"Alle Wetter!" sagte Bluecher, bei Erwaehnung der Jaeger aufhorchend, "da
sind Sie wohl der Oberst Yorck?" und kam auf ihn zu, und betrachtete ihn
mit unverhohlener Neugier, aber auch mit Wohlgefallen. Den Obersten hatte
er, bei seiner Vereinigung mit dem Korps Weimar, unter seinen Befehl
bekommen. Er schaetzte ihn ungemein wegen seiner Tapferkeit und der
geschickten Fuehrung seiner Jaeger, hatte ihm gleich den Befehl ueber die
Nachhut ueberlassen und war deshalb bis jetzt nicht in persoenliche
Beruehrung mit ihm gekommen.

"Ich freue mich, Sie endlich einmal zu sehen, Herr Oberst!" sagte Bluecher
und reichte ihm die Hand.

"Nun, wenn Sie nicht immer so schnell weitergezogen waeren, General, so
haette das frueher sein koennen!" antwortete Yorck, ohne die ausgestreckte
Hand zu bemerken.

"Der Oberst von Yorck meldet sich zur Stelle", sagte Bluecher belustigt und
blickte Scharnhorst augenzwinkernd an.

"Ich merke es!" antwortete dieser.

"Ich haette das frueher besorgt," sagte Yorck noch kratzbuerstiger, "haetten
Sie es nur nicht so eilig gehabt. So kann ich also erst heute meine
Meinung vorbringen. Und die ist die: eine verlorene Schlacht waere weniger
moerderisch gewesen als diese Lauferei vor dem Feind. Sie haetten die
Schlacht in unserer Position bei Gadebusch ruhig annehmen sollen. Da hatte
ich meine Jaeger noch alle beisammen, und Sie Ihre Leute auch, General.
Munition hatten wir genug, und die Leute waren frischer. Da brauchten wir
uns nicht von unserem Wege abdraengen lassen wie jetzt. Der Marsch auf
Luebeck war ein Fehler. Hier muessen wir uns doch schlagen, aber lange nicht
in so guenstiger Verfassung wie dort. Sie haben sich eben von Ihren vielen
gelehrten Offizieren" - er zeigte veraechtlich auf Scharnhorst und Mueffling
- "gruendlich nasfuehren lassen! Das meine Meinung!" -

Gesagt, die Hand an die Krempe seines Huts gelegt, kehrtgemacht und
abmarschiert.

Bluecher lachte.

"Zum Kuessen ist er! So'n bissiger alter Dachs! Und recht hat er auch!
Hundertmal juckte es mich auch unterwegs danach, gehoerig dreinzuhauen! Und
waeren Sie Massenbach gewesen und nicht Scharnhorst, ich haette mich den
Teufel um Ihren Einspruch gekuemmert! Sie haben aber immer so gute Gruende,
Sie verfluchter Kerl, Sie! Und die schlechte Gewohnheit, immer recht zu
kriegen! Da haben Sie nun den Salat!"

Weiter kam er nicht, da wurde er durch heftiges Schiessen unterbrochen.

"Man schiesst am Burgtor! Kommen Sie, Mueffling, schauen wir nach."

Der Hauptmann von Mueffling stand auf, bereit, Bluecher gleich zu folgen.
Scharnhorst aber erhob energisch Einspruch.

An allen Toren wuerde heute gleichmaessig geschossen, das haette nichts zu
sagen! Wichtiger waere jetzt die Befehlsausgabe! Bluecher wuerde unbedingt im
Hauptquartier benoetigt!

Da kam das Schiessen immer naeher; man ritt im Galopp draussen auf der
Strasse. Franzoesische Kommandorufe wurden laut.

Bluecher blickte hinaus -

"Franzoesische Dragoner mitten in der Stadt! Ich werde mich wohl hier wie
in einem Sack fangen lassen! Der Teufel auch!"

Er lief die Treppe hinunter, von Mueffling und seinem Sohn gefolgt.

Auf dem Hof standen die Pferde bereit. In den Sattel gesprungen, die
Plempe gezogen, dem Pferde die Sporen gegeben, durchs Haustor hinaus, und
dann los, wie toll um sich hauend, so kam der Alte auf den Markt hinaus,
wo die Reserve stand.

Yorck, der ein paar Haeuser weiter wohnte, kam auch heraus, steckte seine
Jaeger in die Haeuser und auf die Boeden, von wo aus sie die Strassen
bestreichen konnten. Die anderen Truppen, von Bluecher angefeuert, gingen
in der Breiten Strasse vor. Wiederholt trieb man die Franzosen zurueck.

Da gelang es diesen, Artillerie auf dem Koberg in Stellung zu bringen. Von
dort aus konnten sie in die Koenigsstrasse und in die Breite Strasse
hineinschiessen.

Ihre Kugeln schlugen weite Gassen in die Reihen der Verteidiger. Als einer
der ersten sank, schwer getroffen, Yorck um.

Bluecher trieb die Seinen an, den Oberst zu retten und die franzoesischen
Kanonen zu nehmen. Man kaempfte erbittert auf beiden Seiten. Da traf die
Meldung ein, die Franzosen gingen laengs der Trave auf das Holstentor zu
und waeren im Begriff, die einzige Rueckzugsstrasse abzuschneiden.

Wollte er sich nicht gefangennehmen lassen, so war es jetzt hoechste Zeit,
seine Truppen aus der Stadt zu fuehren. Mit allem, was in der Naehe war, zog
er rasch ab und brachte sie noch gluecklich durch das Tor hinaus.

Nach vergeblichen Versuchen, noch mehr von seinen Tapferen herauszuhauen,
zog er dann weiter nach Schwartau, legte das Fussvolk dort in Quartier und
nahm selbst Wohnung in Ratkau, wo die Ueberbleibsel seiner Kavallerie
standen.

In Luebeck aber hausten die Franzosen in der barbarischsten Weise mit Mord
und Brand, Pluenderung und Notzucht und respektierten so die Neutralitaet in
der ihnen eigenen Art.

In ihren eigenen Chroniken, wo sie sich ihrer sonstigen Kulturtaten
ruehmen, steht nichts davon.

In den Rechenschaftsbuechern eines Hohen Senats zu Luebeck aber stehen noch
verzeichnet die Unsummen an Kriegskontributionen und erpressten
"Geschenken", die Bernadotte, Soult und Murat nebst Gehilfen zu ergattern
wussten.

Wogegen dort, auf der Schuldseite, der Name jenes Mannes laengst geloescht
wurde, der in einer Zeit, als alles den Kopf verlor und starke Festungen
ohne Widerstand kapitulierten, wenigstens den Versuch machte, sich
mannhaft zu wehren, und zwar in einer offenen Stadt.

Er brachte der Stadt wohl Leid dadurch. Aber das kittete sie nur um so
fester an das Ganze.

                                   *

Auf seinem Lager im Pfarrhofe zu Ratkau lag der General Bluecher
hingestreckt. Er fieberte.

Es war Mitternacht. Der Herzog von Braunschweig-Oels hatte ihn soeben mit
einem Unterhaendler des Marschalls Bernadotte verlassen, der ihm
Kapitulation zu ehrenhaften Bedingungen angeboten hatte.

Kapitulation - dieses in den Annalen der preussischen Armee nur in bezug
auf den Feind gebraeuchliche Wort, hatte ihn unablaessig verfolgt seit dem
Unglueckstage bei Auerstedt! Haette vorher im Ernst jemand gewagt, ihm
Preussen und Kapitulation in einem Atemzuge zu nennen, er haette ihn
ausgelacht, ihm den Ruecken gekehrt und ihn keiner Antwort gewuerdigt!

Seitdem er aber bei Auerstedt und anderswo die Unfaehigkeit der Armeefuehrer
gesehen hatte - seitdem klang ihm immer jenes fatale Wort in den Ohren,
Tag und Nacht!

Wo er konnte, hatte er alles getan, um zu verhindern, dass der preussischen
Armee diese Schmach angetan wuerde! Und wo er noch in letzter Stunde
hinzukam, war es ihm auch gelungen.

Freilich - ueberall hatte er nicht anwesend sein koennen!

Die Schmach bei Prenzlau, wo Hohenlohe mit der Hauptarmee die Waffen
streckte - diese unerhoerte Schandtat waere nie und nimmer geschehen, waere
er nur dabei gewesen!

Haette er nur eine Ahnung davon gehabt, er waere hingeritten wie der Blitz,
haette den Fuersten und jeden, der nur ein Wort von Kapitulation zu sprechen
wagte, vor den Kopf geschossen! Aber geschehen waere es nicht!

Denn das gab das Signal zu all den anderen Kapitulationen! Wenn der
Oberbefehlshaber selbst mit der Hauptarmee sich ergab - was Wunder denn,
dass die anderen folgten? Die Kavallerie bei Pasewalk, Bila bei Anklam, und
dann: Stettin, Kuestrin, Spandau! Wie reife Fruechte beim ersten Windstoss
vom Baume fallen, so fielen sie, die eine Festung nach der anderen, die
eine Armee nach der anderen! Und jetzt war er selbst in der schmachvollen
Lage, jenes Wort - jenes verhasste Wort fuer immer und ewig seinem eigenen
Namen anhaengen zu muessen!

Es war ja noch nicht soweit! Er hatte es ja abgelehnt, vor Tagesanbruch in
irgendwelche Verhandlungen zu treten! Bis dahin koennte noch manches
passieren! Freilich war nicht viel Hoffnung da! Travemuende, wohin er mit
dem Rest seiner Truppen ziehen wollte, war bereits gefallen; Geschuetz und
Gepaeck auf dem Wege dorthin verloren, keine Munition mehr, seine Leute
ohne Nahrung, frierend und hungernd! Da bliebe ihm nur - -

Er zwang seine Gedanken davon fort.

Der Braunschweiger hatte ihm auch ausfuehrlich vom Einzug Napoleons in
Berlin erzaehlt. Man hatte ja schon in Luebeck verschiedenes davon zu
munkeln gewusst - und der Unterhaendler Bernadottes hatte es sich jetzt noch
angelegen sein lassen, die Begebenheit in moeglichst grellen Farben zu
malen, um ihn gefuegig zu stimmen!

Er schloss die Augen, und sah es so deutlich vor sich, als haette er es
miterlebt, hoerte die droehnenden Trommelwirbel und das Schmettern der
Trompeten, die das Nahen des Siegers verkuendeten. Und dann ritt der kleine
Kerl an der Spitze seiner Garden durchs Brandenburger Tor hinein, vor ihm
die erbeuteten preussischen Fahnen, und dann hinterher - wie eine
Viehherde, die zur Schlachtbank getrieben wird - die gefangenen
preussischen Offiziere. Auch das hatte nicht an seinem Triumph fehlen
duerfen!

Und der Poebel auch nicht, der dem Triumphator huldigte und seine Opfer
auspfiff! - -

Er stoehnte laut auf, als er an die Szene dachte. Die Haende krallten sich
vor Wut zusammen beim Gedanken an all den Raub, den der Sieger in Berlin
gemacht hatte, und all die Schmach und Schande, die er dafuer aufs Haupt
der Besiegten haeufte!

Er lachte laut auf.

"So ist's recht!" rief er gallig, sich im Bett aufsetzend, und schlug mit
der Faust auf den Bettrand. "So ist's recht! Nur zu, nur zu! Tritt sie mit
Fuessen - tritt nach Herzenslust! Die Deutschen trittst du nimmer tot! Aber
du trittst sie zu _einer_ Masse zusammen! Nur so werden sie's, nur die
aeusserste Gewalt kann das bewirken! Tritt sie - ihnen zum Heil und dir zum
Schaden, wenn sie sich dann endlich gemeinsam gegen dich erheben!"

Er sank wieder zurueck und lag da lange mit geschlossenen Augen, heftig
atmend, die Wangen von Fieberglut geroetet. Gestalten tauchten vor seinem
inneren Gesicht auf, Gefaehrten der letzten Kaempfe, der Flucht und des
klaeglichen Rueckzugs!

Zunaechst Massenbach!

Den hatte er auf dem Strich, seit Greussen, wo dieser Schuft sich
unterfangen hatte, _sein_, Bluechers, Ehrenwort aufs Spiel zu setzen durch
falsche Verdolmetschung seiner Weigerung, es abzugeben!

Den hatte er seitdem nicht aus den Augen gelassen!

Bei Jena war die Memme nicht zum Vorschein gekommen, wie ueberhaupt
nirgends, wo es Ernst wurde! Da verduftete er gleich, um erst, wenn alles
gluecklich oder ungluecklich vorbei war, wieder aufzutauchen und neues
Unheil anzustiften!

Jetzt hatte er sich aber fuer immer und ewig unmoeglich gemacht!

Und das war das Gute bei diesem unerhoerten Unglueck, dass es die Spreu von
dem Weizen sonderte, Schaedlingen wie Massenbach die Larve vom Gesicht riss
und unfaehige Leute von den Fuehrerposten entfernte, um die, die sich
bewaehrt hatten, zum Heil des Ganzen an die Spitze zu bringen! So wurden
dem Wiederaufbau wenigstens von Haus aus keine Hindernisse mehr in den Weg
gestellt! -

Er fuhr auf.

"Er sagte doch -", fing er laut an, und die Stimme bebte vor Zorn - "er
sagte doch - -"

Er lachte laut auf.

"_Kapitulieren_, um dem Koenig eine Armee zu erhalten! So'n Wahnsinn! Und
darauf fallen gescheite Leute herein! So'n Wahnsinn! So'n gottverfluchter
Wahnsinn!"

Er sank wieder hin, wickelte sich in die Decke und lag wieder still da. Im
Kopfe brauste und brummte es von tausend Gedanken. Erlebtes und
Erlauschtes trat da wieder in Erscheinung und schoss in bunten Bildern
durchs Gehirn. Aus dem brodelnden Chaos tauchte bald dieses, bald jenes
wohlbekannte Gesicht auf, als haetten sich die Geister zur Heerschau um das
Lager des alten Helden versammelt, um zu raten, zu tadeln und ihm ueber das
Bitterste hinwegzuhelfen. Er sann und sann nach einem Ausweg aus seiner
Lage.

Koennte er dem Koenig wenigstens _seinen_ Arm und Kopf retten! Nur nicht
kapitulieren muessen, jetzt, wo jeder, der etwas taugte, benoetigt wurde!

Und doch, es war nicht zu vermeiden! - Was sonst aber taugte, das sollte
wenigstens dem Koenige erhalten werden!

Scharnhorst!

Da liesse er nicht nach - der musste sofort ausgewechselt werden - das waere
Bedingung!

Der gehoerte an fuehrenderer Stelle! - Das wollte er dem Koenig gehoerig unter
die Nase reiben! - Da waere kein Wort des Lobes zuviel!

Dieser Kerl - Donnerwetter, was fuer ein Glueck, dass er den gefunden hatte!

Er hatte einen Mann in dieser Welt, auf den zu bauen war, hatte ihn
ausprobieren koennen und das reine lautere Gold an ihm gefunden!

Wie hatte er sich nicht bei der Kunde von Hohenlohes Kapitulation
benommen! Wo sonst alles den Kopf verlor, blieb er ruhig, bestimmt,
zielbewusst, und war sofort und ohne viel Gerede im klaren damit, was getan
werden musste!

Ohne viel Gerede, das war die Hauptsache.

Und _den_ hatten die Franzosen nun gefangengenommen! Und Yorck auch, den
Braven, der sich wie ein Loewe schlug!

Ob der wohl mit dem Leben davongekommen war?

Das musste er wissen! Dann sollte auch der auf die Liste der sofort
auszuwechselnden Offiziere.

Der alte Isegrim, der mit seinen Jaegern waehrend des Rueckzuges so viele
glaenzende Proben von Heldenmut und aussergewoehnlichen Fuehrereigenschaften
gegeben hatte - bei Altenzaun, wo er dem Korps Weimar den Elbuebergang
deckte - auf der Nossentiner Heide, wo er stundenlang mit der Nachhut dem
Feind den Weg verlegte und ihm derartig an die Kehle sprang, dass er von
der Verfolgung an dem Tag genug hatte - auch der Yorck musste dem Koenig
erhalten werden, waere er nur noch am Leben!

Der Koenig, der wuerde wohl endlich gelernt haben, solche Leute zu schaetzen!
Er hatte wohl jetzt gesehen, was an denen war, die bis jetzt sein
Vertrauen genossen hatten! Es war eine harte Schule fuer ihn gewesen! Er
hatte sich aber brav gehalten! Zum erstenmal im Feuer! Gar nicht schlecht!
Freilich, er haette nicht die Schlacht abzubrechen brauchen!

Aber er war noch jung, unerfahren, und hatte nicht den rechten wagemutigen
Leichtsinn, wenn's galt, das unbedingt Noetige aufs Spiel zu setzen!

Das war aber die Hauptsache, zum Donnerwetter! Auf die Waghalsigkeit des
Spielers kommt es eben an! Von ihr haengt oft das Schicksal von Tausenden
ab! Es kann _so_ gehen - es kann auch so gehen! Man weiss es nicht im
voraus! Und doch muss es gewagt werden!

 "Wagemut, Wagemut,
 sengt mir das Blut!"

traellerte er ploetzlich laut vor sich hin. Und mit dem Gedanken, dass _er_
als Prinzenerzieher zuallererst ihnen die Lust beibringen wuerde, die Karte
zu biegen, damit sie nicht in den Ernstfaellen zauderten, sondern nach
rechter Mannesart fest zupackten - mit dem Gedanken schlief er ein und
schnarchte bald, dass die Balken sich bogen.

Kaum war der Tag angebrochen, so wurde er mit der Kunde geweckt, zwei
franzoesische Generaele haetten sich als Abgesandte Bernadottes eingefunden,
um die Kapitulation abzuschliessen.

"Hol' der Teufel die Kapitulation!" schrie er heiser den Hauptmann von
Mueffling an, der, nach der Gefangennahme Scharnhorsts, das Amt des
Quartiermeisters versehen musste. "Haben die Kerls keine Nachricht von
Yorck gebracht? Lebt er noch?"

Der Jubel, als die Frage bejaht wurde!

"Der Isegrim lebt! Der alte Dachs hat nicht ins Gras gebissen! Das dachte
ich! Das wusste ich! So was Garstiges, so was Widerborstiges kriegen nicht
einmal wir selbst klein! Geschweige denn die Ohnehosen mit ihren
Kaesemessern! Papier her - Papier und Tinte her!"

Das Fieber war fort, der Alte wie verwandelt! Das Glueck im Unglueck wirkte
besser als alle Medikamente. Er riss Feder und Papier an sich und kratzte
in dem unmoeglichsten, aber von innigstem, burschikosem Humor durchtraenkten
Deutsch rasch ein paar Zeilen zusammen und reichte dem Hauptmann das
Papier.

"Da nimm's, mein Sohn, gibt's den Franzosen! Das sollen sie fuer Yorck
mitnehmen! Der alte Kerl soll wissen, dass ich ihn liebe, obwohl er mir so
grob kam! - Er soll fuehlen, dass noch einer da ist, der gute derbe Hiebe
einschaetzen kann, und der den Teufel nach Hoeflichkeit in solchen Dingen
fragt, wenn der Hieb nur sitzt! - Und auch, dass ich an ihn denke, fuer ihn
sorge und von seinen Taten dem Koenig genau berichten und sie ins beste
Licht ruecken werde!"

Mueffling verbeugte sich, versprach alles getreulich zu besorgen und wagte
dann an den eigentlichen Zweck seines Kommens zu erinnern - an die
Kapitulation - -

Bluecher blickte ihn giftig an. Es galt also doch in den sauren Apfel zu
beissen.

Er spuckte dreimal verflucht aus und schrie, so gut es ging - denn er war
ganz heiser von dem vielen Kommandieren der vorhergehenden Kampftage -,
schrie seinen guten Hauptmann Mueffling an und sagte ihm, er moege in des
Teufels Namen denn das Dokument mit den Parlezvous' abfassen! Aber
deutsch, das baete er sich aus! Denn er unterschreibe nur, was er lesen
koenne, und die gaskognischen Gauner und welschen Windhunde koennten ihm die
Schuhsohlen lecken - er sagte etwas Schlimmeres -, sie koennten ihn
dreiteilen, wenn sie wollten, und in kleine Stuecke backen, aber er
unterschreibe nichts, wenn nicht hoch und heilig und ehrenwoertlich drin
vom franzoesischen Marschall verbrieft und gesiegelt wuerde, dass der Oberst
von Scharnhorst und der Oberst von Yorck - denn er lebte noch -, dass also
die zwei sofort ausgewechselt werden wuerden und gehen koennten, wohin sie
wollten! Und wohin _die_ wollten, das wuesste er schon - aber das ginge den
Franzmann nichts an!

Ohne das unterschriebe er also nicht! Und unterschriebe _auch_ so nicht,
wenn er nicht auch die Gruende angeben koenne, warum in drei Millionen
Teufels Namen er kapitulieren musste! Denn dass er das nicht gutwillig taete
- dass er kein solcher Schweinehund waere, das zu tun, solange er noch ein
Koernchen Pulver auf der Pfanne haette, das brauche er ihm wohl nicht erst
zu sagen?! Und freies Geleit bedinge er sich fuer sein Gepaeck aus. Denn da
waere die westfaelische Landeskasse mit drin. Die waere keine Kriegskasse und
wuerde nicht von der Kapitulation betroffen. Die Franzosen koennten sich den
Mund danach lecken. Und eine Eskorte fuer sie sollten sie auch noch
stellen. Und nun solle er sich scheren, Musje Mueffling, und ihm seine Ruhe
lassen! Und er baete sich aus, durch keinerlei Rueckfragen behelligt zu
werden! Er haette jetzt seine Orders - er wuesste Bescheid, er solle es gut
machen - basta! -

Damit wickelte er sich in seine Decke, drehte dem Quartiermeister den
Ruecken und schnarchte weiter.

Nach stundenlangem Hin und Her hatten die Unterhaendler endlich das
schicksalsschwere Aktenstueck fertig, durch das der letzte Rest des
Bluecherschen Korps die Waffen streckte.

Von sechzehn Bataillonen hatte Bluecher nur vier aus Luebeck retten koennen,
als die Stadt fiel, und zwei Kanonen von zweiundfuenfzig! Diese vier
Bataillone sollten nun die Waffen strecken - aber mit allen Kriegsehren.
Mit Seitenwaffen und Kanonen, mit fliegenden Fahnen und klingendem Spiel
sollten sie vor dem franzoesischen Heere vorueberziehen, und die Offiziere
sollten ihre Degen behalten duerfen. Auf die weiteren Bedingungen Bluechers
waren die franzoesischen Unterhaendler auch eingegangen. Nur - die Angabe
der Gruende zur Kapitulation wollten sie ihm nicht zugestehen. Das waere
gegen allen Brauch - das duerfe er nicht beanspruchen, und was sie da noch
an Gegengruenden vorzubringen wussten! -

"Was bei so'ner niedertraechtigen Sache Brauch ist oder nicht, ist mir
schnuppe!" sagte Bluecher, als ihm Mueffling das verdolmetschte. "Das
Kapitulieren ist ueberhaupt nicht bei mir Brauch und soll, hol' mich der
Teufel, nie wieder bei mir vorkommen! Und was ich beanspruchen darf, weiss
ich selbst am besten und brauche mir das von so'n paar hergelaufenen
Gruenschnaebeln von Franzosen nicht weismachen zu lassen! Die sollen mich
den Buckel herunterrutschen, aber unterschreiben tue ich nach _meinem_,
nicht nach ihrem Kopf! Und wollen sie das nicht, sollen sie sich zum
Teufel scheren!"

Die Franzosen guckten den alten kratzbuerstigen Herrn erstaunt an, der sie
so von seinem Lager aus mit heiserer Stimme anschrie. Sie blickten sich
an, zuckten die Schultern, blickten Mueffling an, steckten mit diesem dann
die Koepfe zusammen und fluesterten in bedauerndem Tone ein paar freundliche
Phrasen, von denen Bluecher nur die Worte auffing: "_monsieur le general -
- encore tres malade!_"

Dann nickten sie endlich wohlwollend zustimmend. Mueffling nahm das
Dokument, tauchte den Federkiel ein, legte ein dickes Buch unter und gab
das Ganze an Bluecher, der, auf den linken Ellbogen gestuetzt, nach der Wand
gedreht, und ohne den Siegern sein Gesicht zu zeigen, rasch ein paar Worte
hinkritzelte.

Dann reichte er Mueffling, ohne sich umzudrehen, Dokument und Federkiel,
legte sich wieder hin, nach der Wand gekehrt, und liess die Franzosen
Franzosen sein.

Sie blickten sich wieder an, blickten Mueffling an, schuettelten die Koepfe,
blickten in das Dokument hinein und buchstabierten laut:






"Ik kapitueliaer nuer, wei' ik kaenn Brott uen kann Muenissiong mehr 'abe -

                                                              Bluchere -"






Sie falteten das Dokument zusammen, legten die Finger an ihre Kaeppis und
salutierten mit ausgesuchter Hoeflichkeit die ihnen reichlich gezeigte
Hinterfassade des alten Haudegens, laechelten sich an, schuettelten die
Koepfe, rollten ihre kleinen Rattenaugen, dass sie lustig funkelten, drehten
die Schnurrbaerte spitz in die Hoehe, und verliessen dann mit Grazie die
Hoehle des Loewen, ohne von ihm eines Blickes gewuerdigt zu werden.

                                   *

Bluecher begab sich zunaechst als Kriegsgefangener nach Hamburg und hatte
die Genugtuung, nach einigen Tagen Scharnhorst dem Koenig senden zu koennen.
Er versaeumte nicht, ihn dem Monarchen angelegentlichst zu empfehlen und
die Verdienste seines Generalquartiermeisters waehrend des Rueckzuges im
hellsten Lichte strahlen zu lassen.

Der Einfluss Scharnhorsts zeigte sich bald.

Der Koenig hatte im Zeitraum von kaum drei Monaten so viele Schlaege auf
sein Land niedersausen sehen wie kein anderer preussischer Koenig vor ihm.
Ausser den Kapitulationen im freien Felde hatten die Festungen Erfurt,
Spandau, Stettin, Kuestrin, Magdeburg, Czenstochau, Hameln, Fort
Plessenburg bei Kulmbach sich ergeben, und Glogau und Breslau wuerden, nach
allem zu schliessen, bald folgen. Trotzdem war der Koenig noch ungebeugt. Er
hatte gesehen, was morsch und baufaellig in seinem Staate war, aber auch,
dass noch frische und unverbrauchte Kraefte vorhanden waren. Das hatte ihm
den Mut gegeben, ungesaeumt an den Aufbau seines in Truemmer sinkenden
Staates zu gehen.

Zunaechst fing er da an, wo der Schaden am offenkundigsten zutage getreten
war, bei der Armee.

Die Armee hatte es beim Volke verspielt! Preussischer Offizier zu sein, war
eine Schande geworden! Alle Welt fand sich befugt und berechtigt, die
Offiziere zu verhoehnen und zu beschimpfen! Der lang verhaltene Neid ueber
ihre bevorzugte Stellung kam jetzt elementar zum Ausbruch und machte sich
in der gehaessigsten Form Luft, durch Pamphlete, in den Zeitungen, durch
oeffentliche Insulten!

Es galt also, der Armee die Stellung in der allgemeinen Achtung
wiederzugeben, die sie als erste und unentbehrlichste Dienerin des Staates
haben musste, um ihres Amtes mit Erfolg walten zu koennen.

Es galt, ihr vor allem das Vertrauen zu sich selbst wiederzugeben! Es
galt, sie zu reinigen! Und das konnte wiederum nur der Offizier selbst
tun.

Der Offizier sollte selbst den Offizier richten! Jedes Regiment sollte ein
Tribunal einsetzen, vor dem ein jeder Offizier, der sich im Felde irgend
etwas hatte zuschulden kommen lassen, sich zu verantworten haben wuerde!
Die Gutachten dieser Tribunale sollten alle an eine Immediatkommission
gehen, die schliesslich die Urteile nebst Begruendung und genauem Bericht
dem Koenig unterbreiten muesste.

Am 1. Dezember 1806 erliess der Koenig von Ortelsburg aus, waehrend alles um
ihn wankte, sein ewig denkwuerdiges "_Publikandum wegen Abstellung
verschiedener Missbraeuche bei der Armee_".

Von dem Tage der Veroeffentlichung dieses Aktenstueckes an datiert die
Neuschoepfung der preussischen Armee, die sie zu der ersten der Welt gemacht
hat. Das Publikandum Friedrich Wilhelms des Dritten war der erste Baustein
in der Grundmauer, auf der sich sein Reich zum Heile Deutschlands wieder
neu aufbauen sollte.

Und Bluecher hatte da geholfen, die richtigen Mitarbeiter zu finden.

Wie der Magnet das Eisen, so zog der alte Haudegen alles Tuechtige an sich,
sonderte es so von allem Untauglichen und brachte es an den Tag. Und das
war schliesslich nicht das am wenigsten Wichtige in seiner Lebensleistung!





                                  10
                              ZWEI WELTEN


"Nun, Monsieur Roustan, wenn man Ihnen von der Redaktion des _Courrier
francais_ wieder einen Interviewer schickt, um Ihre Ansichten ueber das
Stueck Langeweile zu erforschen, das wir hier in den polnischen Suempfen
auffuehren, was wuerden Sie antworten?"

Roustan, der Leibmameluck des Kaisers, pflanzte sich breitbeinig mitten im
Zimmer auf, steckte die Haende in die Taschen seiner weiten Pumphosen, warf
sein turbanverziertes Haupt zurueck, gaehnte, als wollte er den Kronleuchter
verschlucken, drueckte dann sein glattrasiertes Kinn in das Halstuch hinein
und bohrte seine Blicke veraechtlich in sein Gegenueber.

"Ich wuerde," sagte er, "dem Herrn vom _Courrier francais_ genau das
gleiche antworten wie Ihnen, Monsieur Constant, dass man hier in diesem
verfluchten Nest ueberhaupt keine vernuenftigen Ansichten haben kann!"

"Sie sind eben verwoehnt, Monsieur Roustan!" sagte Constant und drehte
seine schlanke Figur vor dem Spiegel, schlug ein paar Staubkoerner vom
Aermel seines gruenen, goldgestickten Rockes, zupfte das Spitzenjabot ueber
der weissen Weste zurecht, nahm aus der Tasche seiner schwarzen Atlashose
eine Handvoll Goldstuecke, liess sie von einer Hand in die andere rieseln
und steckte sie wieder ein. "Sie verlangen Opern, Schauspiele, Hoffeste,
Sie wollen Ihre taegliche Suite von Bittstellern, die durch Sie an den
Kaiser heranzukommen hoffen, Sie wollen Ihre goldene Ernte, Ihre Geschenke
- -! Sie koennen aber nicht verlangen, in jedem polnischen Nest ein Paris
zu finden! Sie koennen nicht erwarten, taeglich hier von Malern um Sitzungen
bestuermt - oder von Frauen um Rendezvous - oder von Fremden als groesste
Sehenswuerdigkeit der Residenz angestaunt zu werden! Das strengt
schliesslich auch an, wenn es auch ein huebsches Stueck Geld einbringt! Sie
muessten froh sein, ein paar Monate mit dem Betrieb aussetzen zu koennen! -
Oder gehoert es zu Ihren unumgaenglichen taeglichen Lebensbeduerfnissen, jeden
Morgen im _Courrier francais_ 'Roustans Eindruecke' von den
Tagesereignissen zu lesen? Glauben Sie, wir koennen Europa nicht erobern,
ohne dass Sie Ihren journalistischen Senf dazugeben?"

"Sie sind neidisch, Constant", erwiderte Roustan. "Sie wissen, dass ich fuer
Journalisten nicht zu sprechen bin. Einmal nur habe ich mich dazu
hergegeben, nach der Premiere der Oper La Caravane mich ausfragen zu
lassen. Das war Pflicht. Denn die Wueste, die man auf der Buehne hingestellt
hatte - - ich sage Ihnen hahnebuechen, direkt hahnebuechen! - Das verstehen
aber die Pariser nicht! Da habe ich, als einzige Wuestenautoritaet - nun,
die Wuerde werden Sie wohl uns Mamelucken nicht abstreiten koennen -, da
habe ich der feinen Welt von Paris die Wueste klargemacht. Denn man
applaudiert nicht bei einem derartigen Schwindel! - Aber wozu davon reden?
Das alles ist Kinderei. Wenn ich mich von hier fortsehne, hat das ganz
andere Gruende!"

"Sie sind eben undankbar, Roustan! Sie duerfen taeglich um den groessten Mann
der Welt sein. Sie duerfen dabei sein, wo Weltgeschichte gemacht wird,
duerfen aus naechster Naehe zusehen, wie die Welt gelenkt wird! Sie werden
von Tausenden um diesen Vorzug beneidet, und Sie interessieren sich so
wenig, dass Sie keine Ansichten haben."

"Nehmen Sie ruhig an, Monsieur Constant, dass es nichts als Diskretion
ist", brummte Roustan gleichgueltig, nahm seinen blauroten Turban ab und
strich dessen Reiherfeder zurecht. "Sie fuehlen sich doch auch nicht wohl
in diesem Polennest, wo's nichts als Morast, Regen, Nebel und Kaelte gibt,
wo keine Menschen, die man Menschen nennen kann, zu sehen sind, ausser
unseren Soldaten, wo's ueberhaupt kein Leben gibt, kein Treiben, kein
Theater, keine Feste!"

"Keine Pariserinnen!" lachte Constant.

"Nun, dort hat man eben seine Freundinnen! Aber hier - nun - fuer sich
selbst sorgt der Kaiser schon! Aber fuer uns -! Wenn ich wenigstens meine
Nachtruhe haette! Aber seitdem er die Liaison mit der schoenen Polin hat,
seitdem er so kindisch verliebt ist, seitdem schlaeft er ueberhaupt nicht
mehr, seitdem ruft er mich jede Nacht immer wieder! Wenn Sie ein Mensch
waeren, Constant, wuerden Sie mich einmal abloesen und statt meiner vor
seiner Tuer schlafen, damit ich einmal ausruhen kann."

"Ich denke nicht daran", sagte Constant laechelnd. "Ich habe tagsueber
ohnehin so viel mit ihm zu schaffen, dass ich meine Nachtruhe vollauf
verdiene. Aber - in anderer Weise komme ich Ihnen gern zu Hilfe."

"Wie denn?"

"So, dass ich fuer die Ruhe seines Gemuets sorge. Der Kaiser muss eben anders
werden. So wie jetzt, geht es nicht weiter, sonst verlieren wir den
Feldzug! - Wir regieren ja nicht mehr, wir fuehren den Krieg nicht, alles
schlaeft ein, und keine Andeutung hilft. Er ist in Gedanken, er hoert nicht,
er laechelt manchmal still in sich hinein, oder er seufzt und spricht vor
sich hin! Verstehen Sie das? Er, der Mensch aus Stahl, dem man noch
niemals eine Leidenschaft ansah, ausser der einen: taetig zu sein, Tag und
Nacht Anordnungen zu treffen, die ins Getriebe der ganzen Welt eingreifen
- er benimmt sich jetzt wie ein ganz gewoehnlicher junger Mensch, der zum
erstenmal zu tief in die Augen eines jungen Maedchens geblickt hat! Das ist
entschieden ungesund. Er ist krank. Und da habe ich eben auf eigene Faust
eingegriffen und ihm einen Helfer hierherbestellt, der sein Ohr hat."

"Wen denn?"

Ehe Constant antworten konnte, oeffnete sich die Tuer, und eine seltsame
Gestalt trat ueber die Schwelle.

Roustan lachte laut auf.

"Der soll ein Helfer sein?" rief er und deutete auf den kleinen,
buckligen, gebeugten Herrn, dessen gestickte Hoftracht nur dazu vorhanden
zu sein schien, die Gebrechen seiner aeusseren Erscheinung recht deutlich
hervorzuheben.

Zwischen seinen hochgeschobenen Schultern lag ein maechtiger Kopf mit
kraeftiger Hakennase und gluehenden, von buschigen Brauen beschatteten
Augen, wie in ein Vogelnest versunken. - Sein Degen schlug ihm gegen die
schiefen Waden und verwickelte sich bei jedem Schritt in ihnen. Er blieb
an der Tuer stehen und kaute an seinen krallenartigen Fingern.

"Seit wann," lachte Roustan, "seit wann ist es Brauch geworden, in
Liebessachen den Huehneraugenoperateur zu konsultieren?"

Constant antwortete nicht, sondern wandte sich mit strenger Miene dem
Neuangekommenen zu.

"Sie haben uns lange warten lassen, Herr Koenig!" sagte er kurz in
gebieterischem Tone. "Sie haetten bei einigem Diensteifer schon vorige
Woche hier auf Finkenstein sein koennen. Wo sind Sie solange geblieben?
Haben Sie die Gelegenheit benutzt, sich erst in Ihrer deutschen Heimat
umzusehen?"

"Was Heimat", kreischte der sonderbare Mann in verdriesslich schnarrendem
Ton. "Ich habe keine Heimat, ich pfeife auf derartige Sentimentalitaeten!
Paris ist mir auch keine Heimat. Paris ist der Platz, wo ich mein Geschaeft
betreibe. Und was das betrifft, dass ich hier zu spaet komme, so laesst mich
das kalt. Wo in aller Welt kaeme wohl ein Huehneraugenoperateur frueh genug?
Erkundigen Sie sich uebrigens bei den Postillionen, die mich gefahren
haben, wenn Sie neugierig sind. - Fragen Sie die Soldaten, die meinen
Wagen zwei Tage lang in dem Loch stecken liessen, in das wir hineingeraten
waren, und die sich auch dann noch nicht beeilt haben wuerden, meinen Wagen
aus dem Dreck zu ziehen, wenn nicht der Wagen des Marschalls Lefebvre
sonst nicht haette vorbeikommen koennen. Nichts hat bei den Lausekerls
geholfen, keine Bitte, kein Trinkgeld -"

"Nun, wenn der Herr Doktor Tobias Koenig ein Trinkgeld verspricht, dann
ruehre ich mich auch nicht!" sagte Roustan, der seine Erfahrungen in diesen
Dingen bei hoch und niedrig zu machen pflegte. "Da bleibt's fuer gewoehnlich
beim Versprechen."

"Auf Ehre!" rief der kleine Kerl. "Ich habe die Boerse gezogen - ich habe
ihnen Geld gezeigt - schoenes rundes Geld -, vollwichtiges Goldgeld!"

"Goldgeld! Ha, ha!" lachte Roustan!

"Die haben gelacht wie Sie", fuhr der andere fort. "Sie haben gesungen,
sie sind weitergezogen und haben mich sitzenlassen. Da habe ich ihnen
nachgerufen: 'Auf Befehl des Kaisers -', aber sie haben auch dann nicht
Hand angelegt, sie haben bloss gefragt: 'Wer bist du denn?' Und da werde
ich nicht so dumm sein, zu sagen, ich bin Tobias Koenig, der kaiserliche
Oberhoffussarzt - ich habe mich schoen gehuetet! Einen Juden wuerden die nur
tiefer in den Morast gestossen haben! Ich habe mich damit begnuegt, mich in
meinen Mantel zu huellen, ich habe eine gestrenge Miene aufgesetzt, mich in
die Wagenecke gedrueckt und mit aller Wuerde gefragt:

'Wisst ihr nicht, wer ich bin? - Ich bin der Fuerst Talleyrand, der Minister
des Auswaertigen.' Da haben sie noch mehr gelacht. 'Nun, wenn du so 'ne
miserable Politik machst, dass wir in diesen polnischen Moraesten monatelang
steckenbleiben, dann schadet's dir nichts, wenn du auch selbst drin
sitzenbleibst!' Und sie haben gelacht und sind weitergegangen!"

"Nun," sagte Constant, "die Wege sind allerdings nicht beruehmt. Wir wollen
Ihre Entschuldigung fuer diesmal gelten lassen. Aber ein anderes Mal werden
wir nicht so gutmuetig sein. Jetzt werde ich den Kaiser wecken. Warten Sie
hier, Monsieur Koenig! Wenn wir Sie heute benoetigen, werden wir Sie rufen!"

Er liess sich von einem Lakaien einen brennenden Armleuchter geben und sah
nach der Uhr auf dem Kamin; als der Zeiger auf Punkt halb sieben stand,
ging er auf die Tuer des Schlafgemachs zu, oeffnete sie behutsam und trat
leise hinein.

Roustan beeilte sich, die Tuer hinter ihm zu schliessen, und stellte sich
davor.

Napoleon war schon wach. Er lag behaglich ausgestreckt in seinem breiten
Bett, von maechtigen Plumeaus zugedeckt, den Kopf mit einem roten, weiss und
blau punktierten Seidentuch umbunden, das ueber der Stirn zusammengeknotet
war.

Constant stellte den Armleuchter auf den Kaminsims, trat an das Bett heran
und gruesste.

Gegen seine Gewohnheit antwortete Napoleon nicht, hatte auch kein
Scherzwort wie sonst bereit, dankte nur mit einem Blick und starrte wieder
auf die Decke.

Constant liess einen Lakaien herein, der schnell im Kamin einheizte,
oeffnete die Fenster, nachdem er sich erst vergewissert hatte, dass der
Kaiser gut zugedeckt war, und schloss sie wieder, als der Ofenheizer
fortging.

Er trat wieder an das Bett heran, bereit, Befehle zu empfangen. Als
Napoleon ihn gar nicht beachtete, wagte er eine Frage, ob Majestaet seinen
Tee befehlen.

Eine abweisende Handbewegung war die Antwort.

Ob Seine Majestaet heute lieber einen Aufguss von Orangenblueten zu nehmen
geruhten?

Die gleiche Antwort.

Constant zog sich vom Bett zurueck, machte sich mit dem Feuer zu schaffen,
wartete einen Augenblick und machte dann wieder einen schuechternen
Versuch.

Der Kurier aus Paris sei angekommen - die Portefeuilles der Minister waeren
zur Stelle. Er, Constant, hatte auch vertrauliche Mitteilungen vom
Polizeioberinspektor Beyrat erhalten ueber den im Portefeuille des Innern
befindlichen Bericht des Polizeipraefekten von Paris, die ein
eigentuemliches Licht auf die Pflichttreue dieses hohen Beamten warfen. - -

Napoleon winkte wieder ab.

"Spaeter", sagte er kurz, und Constant zog sich wieder etwas zurueck.

Nach einer Weile trat er wieder vor und fing, trotz der abweisenden
Gebaerde Napoleons, an, wie ueblich, den Tagesklatsch vorzubringen.

Da war insbesondere der gefangene preussische General Bluecher - oder
Bluquaire, wie er ihn nannte, der sich wieder hatte Respektlosigkeiten
zuschulden kommen lassen. Der General war ein Grobian. Das Hauptquartier
in Rosenberg hatte ihn bestens empfangen, sein Zimmer mit Lorbeeren
bestreut, ihm eine Ehrenwache vor der Tuer postiert, der General Le Camus
hatte ihn in Person empfangen, der Generaladjutant General Daenzel ebenso.
Er aber hatte die Aufmerksamkeit kaum beachtet; er hatte verlangt, sofort
zum Kaiser gefuehrt zu werden; er hatte geschimpft und getobt, weil er
nicht gleich ausgewechselt wurde; mit seinen ebenso ungeschlachten
Gesellen spielte er von frueh bis spaet Karten, trank, rauchte, kurz, er sei
ein rechter Barbar! - Und jetzt kaeme das Unerhoerte: - als Majestaet neulich
an seiner Behausung vorbeigeritten waren und man ihn darauf aufmerksam
machte, da spielte er ruhig seine Partie Whist weiter und sagte nur: "Ich
will ihn gar nicht sehen, ehe ich ihn nicht sprechen kann." Diese
Unehrerbietigkeit - diese -

Er hoerte ploetzlich auf und zog sich etwas zurueck, denn der Kaiser sass
ploetzlich aufrecht im Bett und blickte ihn zornig an.

"Jetzt hoere ich Sie bald eine halbe Stunde schwatzen, Monsieur Constant!"
sagte er streng, "Sie haben mir aber mit keinem Wort mitzuteilen geruht,
wie Frau Graefin Walewska die Nacht verbracht hat."

"Zu Befehl!" sagte Constant eilig. "Die Frau Graefin schlaeft noch; ihre
Kammerfrauen warten noch an ihrer Tuer. Sobald sie aber eintreten duerfen,
bekomme ich Nachricht!"

Napoleon legte sich wieder hin.

"Du wirst nicht versaeumen, es mir sofort zu sagen, wenn sie wach ist, mein
Sohn!" sagte er kurz. "Ehe du das nicht besorgt hast, brauchst du mir
weiter nichts zu berichten!"

Constant wollte trotzdem ein paar Worte ueber irgendeine dringende Sache
wagen, da oeffnete sich die Tuer, und ein freundlich laechelnder, schon
ergrauter, aber ungemein jovial und heiter blickender Herr in reicher
goldgestickter Hoftracht, einen kostbaren Stock in der Hand, kam herein
und trat ohne Zeremonie an das Bett heran.

Er schien etwas erstaunt, vom Kaiser weder bemerkt, noch eines Grusses
gewuerdigt zu werden, fand sich aber rasch damit ab, stellte seinen Stock
an den Bettpfosten, ergriff die Hand des Kaisers, blickte nach seiner Uhr
und zaehlte aufmerksam die Pulsschlaege.

"Zehn Schlaege mehr als gewoehnlich", sagte er kopfschuettelnd und steckte
die Uhr ein. "Sonderbar!"

Napoleon blickte ihn gross an. Er hatte etwas Abwesendes im Blick, was bei
ihm sonst niemals zu bemerken war. Die Pupille, sonst gross, so dass das
Auge fast schwarz erschien, war jetzt zusammengezogen, dass die Augen in
einem satten, sanften Dunkelblau schimmerten. Es schien ihm Anstrengung zu
machen, sich zu zwingen, etwas mit Bewusstsein anzublicken. Irgendwelche
Traeume, irgendwelche Visionen hielten noch die Sehkraft in ihrem Bann.
Endlich war er mit dem Vorgang im reinen.

"Corvisart?" sagte er leise, mit einem Tonfall, den der Arzt noch niemals
gehoert, und der gar nichts von der sarkastischen, uebermuetig neckenden Art
hatte, die dem Kaiser sonst beliebte. "Heute ist weder Mittwoch noch
Sonnabend! - Wieso kommen Sie zu mir, und wo kommen Sie her? Sie sind doch
in Paris. Haben Sie denn dort schon alle Ihre Patienten unter die Erde
gebracht? Haben Sie vor den Dankbezeigungen der gluecklichen Erben fliehen
muessen? Gestehen Sie's gleich und ohne Umschweife, wie viele Leben haben
Sie heute auf dem Gewissen?"

"Lange nicht so viele wie Eure Majestaet!" antwortete Corvisart, rasch den
ueblichen Gespraechston zwischen ihnen aufgreifend.

Aber Napoleon war wieder mit den Gedanken anderswo. Weder hoerte er die
Antwort, noch warf er ihm ein rasches Scherzwort an den Kopf, auch kniff
er ihn nicht ins Ohr - und das war entschieden ein aeusserst ernstes
Symptom! Und die paar Worte der Begruessung! Wie matt, wie abwesend, fast
automatisch und mehr aus alter Gewohnheit hatte er seine alten Scherze
wieder abgeleiert!

Der Leibarzt schuettelte den Kopf. Dann, rasch entschlossen, strich er die
Bettdecke zurueck, legte sein Ohr an des Kaisers Brust, horchte, sah
erstaunt auf, horchte nochmals, richtete sich dann auf und blickte den
Kaiser ernst an.

"Wahrhaftig - _man hoert es schlagen_! Man hoert das Herz Napoleons! Solange
ich die Ehre habe, fuer die Gesundheit Eurer Majestaet verantwortlich zu
sein, ist es das erstemal, dass ich das erlebe! Das ist ein ernstes - ein
sehr ernstes Symptom!"

Napoleon laechelte, hoerte nicht und schien immer noch an etwas sehr
Angenehmes zu denken.

Corvisart nahm wieder das Wort.

"Majestaet", sagte er in ernstem, vorwurfsvollem Ton. "_Zehn_ Pulsschlaege
mehr als ueblich und ein hoerbarer Herzschlag! Bedenklich, sehr bedenklich!
Das zeugt von einem noch nie dagewesenen Nachlassen der Energie und der
Willenskraft! Wir regieren nicht mehr. Seit Monaten machen wir nicht mehr
Weltgeschichte! Sonst vergeht kein Tag, ohne dass Throne wanken, Dynastien
in Nichts versinken, neue erstehen und Voelker befreit werden. Und jetzt
diese ploetzliche Stille, diese Untaetigkeit! Wir verstecken uns hier in
diesem unwirtlichen, oestlichen Nest. Wir leben solide, brav, untaetig wie
ein spiessbuergerlicher Rentenempfaenger - wir sind taub und blind,
verschliessen uns der Welt, traeumen, laecheln still in uns hinein! Das kann
doch unmoeglich die Reaktion auf den fabelhaft schnellen Sieg ueber Preussen
sein? Wenn ich nicht wuesste, wie leger - wie _en canaille_ Eure Majestaet
stets das schoene Geschlecht zu nehmen pflegen, ich wuerde fragen: _ou est
la femme?_"

Napoleon hoerte auch jetzt nicht zu. Er lag da wie vorhin, immer noch
dieselben angenehmen Gedanken hin und her waelzend.

Corvisart schuettelte immer ernster sein graues Haupt, streckte die Hand
nach seinem Stock aus und wollte gehen, um Constant ueber die bedenklichen
Symptome naeher auszufragen.

Als haette sein Denken an Constant Napoleon angesteckt, setzte er sich
gleich im Bett auf und rief: "Constant!" und nahm, da dieser nicht gleich
erschien, die Glocke vom Tisch und klingelte ungeduldig.

Constant erschien, ein mit Briefen und Depeschen vollbeladenes Tablett in
der Hand.

"Ist sie noch nicht wach?" fragte Napoleon ungeduldig.

"Die Frau Graefin schlaeft noch!" antwortete Constant und stellte sein
Tablett auf den Kaminsims.

"Meinen Schlafrock!" rief der Kaiser, warf die Decke zurueck und schluepfte
rasch in die ihm gereichten weissen Pantalons und den Morgenrock aus weisser
Wolle, liess sich ein Paar ausgetretene rote Pantoffeln anziehen und setzte
sich in einen rasch herbeigeschobenen Sessel ans Feuer. Er nippte einmal
an der ihm gereichten silbernen Tasse, schob sie dann von sich, streckte
die Hand aus, nahm von dem ihm durch Constant dargebotenen Tablett einen
Brief, machte ihn auf, warf ihn auf den Teppich, machte noch einen auf,
las ihn fluechtig durch und legte ihn auf einen neben dem Kamin stehenden
Tisch. - Er schob dann das Tablett zurueck, was einen Austausch erstaunter
Blicke zwischen Kammerdiener und Leibarzt zur Folge hatte, streckte die
Fuesse so nahe wie moeglich an den Ofen heran und starrte eine Weile ins
Feuer. Constant machte noch einen schuechternen Versuch, seine Teilnahme zu
erwecken. Er reichte ihm die soeben eingegangenen Zeitungen, nach denen er
sonst begierig zu greifen pflegte, aber vergebens! Auch die Liste der im
Vorraum auf Audienz wartenden Personen wurde keines Blickes gewuerdigt.

"Corvisart," sagte Napoleon endlich, ohne vom Feuer fortzusehen, "Sie
alter Schuerzenjaeger muessen doch mit den Frauen Bescheid wissen! Wenn sie
der Schuh drueckt, ohne dass sie einen anhaben - wenn sie unendliche
Schmerzen leiden, ohne dass die Aerzte den geringsten Grund entdecken koennen
- wenn die geschicktesten Scharlatane der medizinischen Wissenschaft mit
all ihrem Hokuspokus nicht imstande sind, herauszufinden, was ihnen fehlt
- und meine saemtlichen Leibaerzte und Chirurgen, die im Felde stehen, haben
sich schon vergebens bemueht, das Raetsel zu loesen -, was halten Sie denn
von dieser merkwuerdigen Aeusserung der weiblichen Natur?"

"Sire -", fing Corvisart an.

Aber Napoleon war es mehr darum, zu fragen, als Antworten zu hoeren, die er
sich selbst viel besser als irgendein anderer geben konnte. Er fasste
Corvisart bei der Hand und sprach weiter, immer noch ins Feuer starrend.

"Corvisart," fragte er, "haben Sie jemals getraeumt? Heute nacht traeumte
ich, sonderbar, ganz merkwuerdig! Die Graefin Walewska war bei mir, hier im
Zimmer. Sie hielt die Haende in den Taschen ihrer Jacke und stand mit dem
Ruecken gegen den Kamin. Sie war aber nicht so sanft, auch nicht so lustig
und ausgelassen, wie sie es zuweilen sein kann! Sie hatte vielmehr etwas
Hinterhaeltiges an sich, das ich gar nicht bei ihr kenne, und blickte mich
ganz merkwuerdig an, indessen ihre Rechte immer weiter in der Tasche grub
und drinnen mit einem Gegenstand hantierte.

Das machte mich misstrauisch. Blitzschnell packte ich ihre Hand und fuehlte
durch den Stoff _eine Pistole_ - die sie vom Stoff gedeckt auf mich
richtete und abzudruecken versuchte. Ich, nicht saumselig, wandte die
Muendung der Waffe gegen sie und drueckte ab. Aber der Schuss versagte.

Dann nahm sie mir die Pistole aus der Hand.

'Soll ich dich lehren, mit ihr umzugehen?!' sagte sie lachend, eilte ans
Fenster, schlug es auf, zielte auf meine Armee, die hier draussen Parade
stand, und drueckte ab. Wie ein Feuerstrom ging es von der Muendung der
kleinen, kinderspielzeugaehnlichen Waffe aus und sprudelte gegen die
Truppen hin. Und wo die Feuergarben trafen, sanken sie hin. Meine schoenen
Grenadiere, meine Jaeger und Dragoner schmolzen vor meinen Augen wie
Bleisoldaten im Feuer und waren im selben Augenblick wie von der Erde
vertilgt.

Ich riss ihr die Waffe aus der Hand; sie lachte aber nur!

Ich zog sie mit mir, zwang sie auf die Causeuse da nieder, setzte mich
neben sie und nahm ihre Hand. Wie ich sie dann anblickte, verwandelte sich
ihr Gesicht, wurde katzenaehnlich, mit langen Haaren um den Mund - ich
entsetzte mich vor ihr. Ich zankte sie aus, weil sie mich hatte ermorden
wollen und sagte ihr, sie sei das niedertraechtigste Weib, was ich jemals
auf Erden kennengelernt habe.

Da nahm sie schnell ihr wirkliches Gesicht wieder an; ihre Augen standen
voll Traenen, und schluchzend gestand sie mir, sie haette sich raechen
wollen, weil ihr Fuss sie schmerzte und weil ich, der ich schuld daran
waere, ihr keine Linderung ihres Schmerzes gebracht habe. - Ich dachte an
dich, Corvisart, ich wollte dich rufen. - Da weckte mich Constant, und auf
einmal warst du da! Nun sollst du mir die Sache ins reine bringen und mir
sagen, was ihr fehlt."

"Ihr fehlt sicherlich gar nichts! Die ganze Sache ist weiter nichts als
eine Aeusserung der ganz gewoehnlichen weiblichen Niedertracht, die im Gemuet
einer jeden Frau lauert und nach Gelegenheit sucht, sich zu entfalten. Das
macht mir keine Sorge. Aber mit Euer Majestaet sieht es bedenklich aus.
Erst der Puls - dann das hoerbare Klopfen eines sonst in seiner Ruhe
einzigartigen Herzens - dann der Traum, wo sonst der Schlaf ganz traumlos
in den wachen Zustand ueberzugehen pflegt! Alles Symptome der Verliebtheit,
und sehr auffallend bei einem sechsunddreissigjaehrigen Manne, der stets,
auch in den Jahren der ersten Jugendschwaermerei, zu neunundneunzig Prozent
mit dem Verstand allein zu lieben pflegte! Denn dies allgewaltige
Ueberwiegen des Gefuehls, dies fast vollstaendige Zurueckdraengen eines
Verstandes, der in seinem Taetigkeitsdrang auf Erden seinesgleichen nicht
hat, das sah noch keiner bei Eurer Majestaet! Fuerwahr - ich bin sehr
neugierig, jene Schoene, die diese fast unglaubliche Handlung bewirkt hat,
kennenzulernen! Denn ich glaube fast - Eure Majestaet werden mehr von ihrem
Schuh gedrueckt als die holde Schoene selbst!"

Napoleon lachte und wollte eben etwas Lustiges antworten. Da kam wieder
Constant herein und meldete gehorsamst, die Frau Graefin haette soeben nach
ihrer Schokolade verlangt. Er fuegte hinzu, dass der Oberfussarzt Seiner
Majestaet, der lange und sehnlichst erwartete Tobias Koenig, endlich aus
Paris in Finkenstein eingetroffen waere.

"Es ist gut," antwortete der Kaiser, "Roustan soll ihn sofort zur Graefin
Walewska fuehren. Sie, Corvisart, gehen mit und ueberwachen die Operation,
wenn eine noetig wird. Sie haben die Verantwortung fuer alles, was
geschieht! - Ist mein Bad bereit?"

Constant meldete ehrerbietig, das Bad warte schon lange auf Seine
Majestaet, und richtete schnell den Befehl an Roustan aus.

Corvisart verbeugte sich und ging.

Der Kaiser ging ins Badezimmer, entledigte sich mit Constants Hilfe der
Kleidung und wollte eben ins Wasser steigen, als Roustan herbeigestuerzt
kam und meldete, die Frau Graefin waere ausser sich und verlange, den Kaiser
sofort zu sehen; sie liess sagen, sie waere dem Sterben nahe und muesse ihn
gleich sprechen!

"Fuenf Chirurgen habe ich mit im Felde", sagte der Kaiser verdriesslich und
zog das Bein, das er schon ueber die Badewanne ausgestreckt hielt, zurueck.
"Fuenf Chirurgen und vier Leibaerzte! Ich zahle ihnen Unsummen, und sie
taugen alle nichts! Wir muessen auch noch selbst die Huehneraugenoperation
der holden Dame leiten, als gaelte es, eine Schlacht zu lenken, muessen die
Truppen kommandieren, womoeglich selbst noch dreinhauen! _A la bonne
heure!_ Gehen wir! Meine Pantalons, Constant, schnell den Morgenrock! -
Nackt ziehen wir auch in _den_ Kampf nicht! Lass Roustan Vorzimmer und
Korridore leeren! Keiner darf mich sehen! - So - nun noch die Pantoffeln!
Und nun leuchte mir!"

Von Roustan geleitet, ging der Kaiser dann, den Kopf immer noch von dem
bunten Tuch umschlungen, zu den in derselben Etage des Schlosses gelegenen
Zimmern der Graefin.

Er fand die Dame auf einer Causeuse ausgestreckt, den einen Fuss in einem
goldgestickten, orientalischen Pantoffel steckend, den anderen nackt. Vor
ihr kniete der alte Jude und gab sich vergebliche Muehe, an ihrem
entzueckenden kleinen Fuss irgendein Gebrechen zu finden. Hinter der
Causeuse stand Corvisart, beide Haende auf den Stock gestuetzt und
betrachtete durch sein Binokel all das Schoene, das sich vor seinen
erstaunten Augen enthuellte, indes die schoene Graefin eigensinnig hin und
her rueckte, gar nicht stillhalten wollte und die Untersuchung zu einer
wahren Qual fuer den guten Koenig machte.

"Sire!" rief sie hinsterbend, "retten Sie mich aus den Haenden dieses
Ungeheuers! Er hat ein Messer - ich habe es gesehen - er hat ein Messer
aus seinem Etui da herausgenommen! Er wird mir die Adern oeffnen - wird
mich ermorden! Retten Sie mich!"

Napoleon lachte, erklaerte ihr, dass keine Gefahr vorhanden sei, sie haette
nichts zu befuerchten - ganz im Gegenteil. Er haette seinen ersten Leibarzt
und seinen ersten Pedikuren, die sonst beide in Paris unabkoemmlich seien,
und die er sonst niemals ins Feld mitzunehmen pflegte, extra um
ihretwillen von Paris hierherkommen lassen! In besseren Haenden koennte man
gar nicht sein! Sie sollte sich nur ruhig ihnen anvertrauen, damit sie
endlich von ihrem Leiden, das ihn, den Kaiser, mindestens ebensosehr
schmerze wie sie selbst, befreit werde!

"Ich lasse mich aber trotzdem nicht operieren, wenn Eure Majestaet mir
dabei nicht wenigstens die Hand halten!"

"Alles was Sie wollen, _ma chere_", sagte der Kaiser und nahm ihre Hand.
"Sie sehen, ich bin ja gleich auf Ihren ersten Ruf gekommen und habe mir
nicht einmal Zeit gegeben, mich anzukleiden!"

Sie blickte ihn von der Seite an und kicherte vor Freude, den Herrn der
Welt so ihrer Laune untertan zu wissen.

"Nun fangen Sie an, Monsieur Koenig", rief der Kaiser. "Zeigen Sie Ihre
Kunst! Aber vergessen Sie nicht, Sie haben die Ehre, den schoensten Fuss auf
Erden in Ihrer Hand zu halten. Seien Sie vorsichtig - ich wuerde Ihnen
keinen Missgriff verzeihen!"

Der Chirurg stoehnte, er wandte und drehte den kleinen Fuss hin und her und
versuchte vergebens die kranke Stelle ausfindig zu machen.

"Sire, ist es auch wahr, dass Sie mein Leiden ebenso schmerzt wie mich
selbst?" fragte die schoene Graefin kokett.

Der Kaiser versicherte, dass ihr Zustand ihm wahre Qualen verursache.

"_Et la Pologne, ma patrie?_" saeuselte sie dann bezaubernd. "Es floesst
Ihnen doch auch Mitleid ein, Sire?"

"Auch!" sagte der Kaiser.

"Sie lieben mich also?" fragte sie. "Sie lieben mich sehr - - au! - Sie
tun mir weh!", rief sie im selben Atemzug dem Chirurgen zu.

"Ich finde nichts - ich finde absolut nichts!" stoehnte dieser, und grosse
Schweisstropfen perlten auf seiner Stirn.

"Und Sie sind um meinetwillen direkt von Paris gekommen?" fragte sie und
sah den Alten neugierig an. "Allein um meinetwillen? - Und Sie auch,
Monsieur Corvisart? - Und Sie sind die beruehmtesten Aerzte, die es heute
gibt - die geschicktesten und teuersten von allen?"

Und als auch das bejaht wurde, und zwar vom Kaiser selbst, da schlug sie
die Haende zusammen, lachte toll auf, wie ein verzogenes Kind, dem ein Spass
gelungen ist, gab dem Huehneraugenoperateur einen Nasenstueber mit ihrem
nackten Fuss, dass er vor Erstaunen zurueckfuhr und sitzenblieb, lachte noch
toller auf, waelzte sich auf ihrem Lager vor Vergnuegen und schrie: "_Mir
fehlt ja gar nichts!_ - Ich habe nur sehen wollen, ob Sie mich lieben,
Sire, und ob Sie ohne Zoegern und ohne Murren alles fuer mich tun wuerden -
alles, was ich will!"

Sie flog dann auf und warf sich dem Kaiser, der in der ersten Ueberraschung
sich zornig erhoben hatte, um den Hals, kuesste ihn mitten auf den Mund und
herzte und streichelte ihn und kuemmerte sich dabei gar nicht um die beiden
Aerzte, die mit offenem Munde dastanden.

"Sie lieben mich also, Sire, Sie lieben mich ueber alles?"

"Ueber alles, Graefin!"

"_Et la Pologne, ma patrie - vous me la libererez, n'est ce pas?_"
lispelte sie noch bestrickender.

Napoleon lachte laut auf.

"Da drueckte wohl der Schuh!" rief er uebermuetig. "Gehen Sie, meine Herren,
da beduerfen wir Ihrer Kunst nicht! Da bin _ich_ der rechte Arzt! Gehen
Sie, Koenig, freuen Sie sich Ihres Nasenstuebers, den Sie von diesem schoenen
Fuss bekommen haben. _Der_ Fusstritt _adelt_, sagen Sie's Constant, und er
soll mich daran erinnern!"

Die Aerzte gingen und ueberliessen es dem Kaiser, die Kur zu vollenden.

Eine halbe Stunde spaeter sass er seelenvergnuegt in seiner Badewanne und
regierte von dort aus die Welt, dass es nur so eine Art hatte.

Die Wanne umstanden in gemessener Entfernung der Generalstabschef
Berthier, der Generaladjutant General Daenzel, der Architekt der Tuilerien,
der Generaldirektor der Museen, der Geheimsekretaer Meneval und mehrere
Gehilfen, waehrend Constant und Roustan mit dem Kaiser hantierten, und
Corvisart und Koenig das Kneten und Frottieren ueberwachten und gelegentlich
selbst mit Hand anlegten.

Und Napoleon bekam nie genug.

Er rief Roustan zu, fuer mehr und noch waermeres Wasser zu sorgen - lachte
ueber die roten und erhitzten Gesichter seiner Getreuen, die bald halb
erstickt aussahen, befahl, die Kuriere mit den Portefeuilles der
Ministerien vorzulassen, liess sich aus den Akten vortragen, traf
Entscheidungen, diktierte Randbemerkungen und Antworten, unterzeichnete -
immer noch in der Badewanne sitzend - Heiratskonsense und Ernennungen,
Gnadenbewilligungen, Amtsenthebungen, Erlasse und Dekrete, kommandierte,
scherzte, lobte und zankte, alles in einem Atem.

"Schreiben, Meneval!" rief er, und Meneval setzte sich an einen Tisch und
legte Papier und Feder zurecht.

Der Kaiser diktierte.

"_An Fouche_: - Madame de Stael, die wir, wie er wohl weiss, nicht
ausstehen koennen, ist, laut Rapport, wieder in Paris. Sie mag ihr Recht
auf 'freie Individualitaet' anderswo zur Schau tragen! An der Seine nicht!
Er soll sie gleich ausweisen! Die ehemaligen Jakobiner aber nicht. Das ist
nicht mehr noetig! Was noch von ihnen da ist, ist harmlos - laengst
kapitalistisch eingekapselt! Sie sind alle satt und traege und haben ihre
Giftzaehne laengst verloren. Bei der letzten Rezeption in der Akademie hat
der Abbe Sicard in unpassenden Ausdruecken ueber Mirabeau gesprochen! Wir
wollen keine Reaktion der oeffentlichen Meinung! Fouche soll ueber Mirabeau
lobend sprechen lassen.

_An Junot_ schreiben: Die Kontinentalsperre gegen England gilt auch fuer
die kaiserlichen Marschaelle und insbesondere fuer ihre Frauen. Ihre Weiber
- schreiben Sie Weiber, Meneval! - Ihre Weiber moegen Kraeutertee trinken,
der ist ebensogut wie der Karawanentee, Zichorienkaffee ebenso gesund wie
der arabische! Und sie moegen sich hueten, dass ich nicht gewahr werde, wie
sie Kleider von englischen Stoffen tragen. Er soll das auch Madame Junot
nachdruecklichst einschaerfen!

_Dem Erzkanzler Cambaceres_: Wir sind ueber die Unzufriedenheit und den
Pessimismus der Pariser erstaunt. Sie keifen, weil wir hier an der
Weichsel aufgehalten werden, und deuten unseren Sieg bei Eylau in eine
Niederlage um, weil er kein Austerlitz war. Sie sind verwoehnt. Das
gesellschaftliche Leben siecht dahin, weil wir und unsere Marschaelle nicht
in Paris sind! Das geht nicht. Man soll Feste geben! Er, Cambaceres, und
auch Lebrun sollen da mit gutem Beispiel vorangehen! Man soll
Verschwendung treiben, Geld unter die Leute bringen, Millionenbestellungen
an die Industrie vergeben, damit die Arbeiter gut bezahlt, satt und
zufrieden werden! Man soll in allen kaiserlichen Schloessern das Meublement
mit kostbaren Seidenstoffen neu beziehen, man soll Stiefel, Riemen und so
weiter fuer die Armee bestellen, die Handwerker mit Auftraegen maesten - -

_An Koenig Louis_: Mein Herr Bruder ernennt fuer meinen Geschmack viel zu
viel Marschaelle in Holland. Lieber die hollaendische Armee vermehren!

_An Koenig Joseph_: Journalisten sind Kokotten! Auch in Napoli! Man hat mit
denen bisweilen ein Verhaeltnis, aber erhoeht sie niemals zu legitimen
Gattinnen. Er gibt sich zuviel mit ihnen ab! Nicht auf ihren spitzen
Federn, auf den Spitzen meiner Bajonette ruht sein Koenigreich. Den Mob
regiert man mit Fusstritten, mit Schmeicheleien nicht!"

"_Et la Pologne, ma patrie!_" fuhr er dann halb singend fort. "Constant,
hat dir unser guter Fussarzt eine Mitteilung gemacht? Gut. Nachher daran
erinnern!"

"_La Pologne, ma patrie!_ - Im ersten Freiheitsrausch in Posen haben mir
die Polen alles bewilligt. Und jetzt? Wir sind enttaeuscht! Statt der
versprochenen hunderttausend Mann nur fuenfzehntausend schlecht
disziplinierte! Kaum zu gebrauchen! Wir werden uns ihretwegen auch nicht
derangieren! Hier, aus der Naehe gesehen, schaut Polen uebrigens ganz anders
aus! Seinetwegen werden wir nicht die Kontinente umstuerzen!"

Er schwieg einen Augenblick. Dann rief er Berthier, ordnete
Truppendislokationen in Italien, am Rhein, in Holland an, gab Orders nach
Spandau und Berlin ueber den Nachschub von Artillerie, Munition und
Proviant und fragte, ob nicht endlich vom Grafen Bertrand Nachricht ueber
den Stand der Friedensverhandlungen mit dem preussischen Hauptquartier
angekommen waere.

Und einmal bei Preussen angelangt, rief er Constant zu:

"Was wolltest du mir heute vom General Bluecher erzaehlen?"

Er wartete aber keine Antwort ab, sondern rief den Generaladjutanten,
General Daenzel, der in der mordswarmen Temperatur des Badezimmers aussah,
als ob er bald seine tapfere Heldenseele aushauchen wollte, und gab ihm
den Befehl, noch heute, nach der Parade, den preussischen General zur
Audienz zu bringen - oder vielmehr den General Le Camus damit zu betrauen.
Denn er, Daenzel, haette auch anderes zu erledigen!

Dann schickte er sie allesamt zum Teufel bis auf Roustan, schrie nach noch
mehr und noch heisserem Wasser, liess sich begiessen, kneten, frottieren und
war so vergnuegt wie ein Fisch im Wasser!

                                   *

Inzwischen sass Bluecher schon in aller Fruehe beim Whist in seinem engen
Quartier zu Rosenberg, das er mit dem Rittmeister von Eisenhart und seinen
Soehnen bewohnte.

"Heute bin ich wohl mit dem linken Fuss zuerst aus dem Bett gestiegen!"
brummte er, schlug eine Karte nach der andern auf den Tisch und sah
manchen schoenen Stich an seiner Nase vorbeitanzen. "Das kommt davon, wenn
man zu vieren in einem engen Zimmer logieren und verschaemt tun und sich
drehen und wenden muss, bis man das Gefuehl fuer rechts und links verliert!
Verflucht noch einmal, Pfalzgraf! Gib endlich bessere Karten, gib mir nur
ein einziges Mal die Honneurs! Immer und ewig kannst du mir nicht zumuten,
dazusitzen und zuzusehen, wie du den grossen Schlemm machst! Andere Karten,
sonst spiele ich nicht mit euch!"

Lachend strich Eisenhart die Karten zusammen, mischte und teilte sie
wieder in vier Haufen aus.

Bluecher nahm seine Karten, ordnete sie und brummte dabei wiederholt in
seinen Bart. Schliesslich legte er sie vor sich auf den Tisch.

"Es nuetzt ja doch nichts!" sagte er verdriesslich. "Solange wir hier in dem
verfluchten Nest festsitzen, ist's nichts! Alles geht mir wider den
Strich, seit ich Hamburg verliess! Zum Platzen ist das!"

"Exzellenz werden auch einmal gute Karten kriegen!" troestete Eisenhart.

"Sie werden mir keine geben, und die beiden Lausebengels noch weniger!"
antwortete Bluecher und schielte nach seinen beiden Jungen, die auch
mitspielen mussten. "Die freuen sich schon, wenn sie mich hereinlegen
koennen! Uebrigens ist das das wenigste. Die ganze Art, wie die Franzosen
mich behandeln, ist's! Die ist empoerend! Entweder man wechselt mich aus,
oder man tut es nicht! Zum besten halten gibt's nicht. Ich habe mich
ehrlich mit ihnen geschlagen und nicht wie ein Hanswurst. Die halten mich
aber zum Narren. Wenn's denen mit der Auswechslung ernst gewesen waere,
dann haetten sie mich doch zu Schiff ueber Kopenhagen reisen lassen koennen,
wie ich wollte. Und haetten ihren Monsieur Victor auf demselben Wege mit
Handkuss retourbekommen. Aber nein. 'Der Kaiser Napoleon will Sie sehen!
Der Kaiser will Sie sprechen!' hiess es. Und da muss ich alter Mann in dem
hundsmiserablen Maerzwetter wochenlang auf den Wagen liegen und mir die
Knochen durcheinanderruetteln lassen und hinter dem kleinen Kerl herreisen,
bis in die dunkelste Polackei hinein! Bis China waere es noch so
weitergegangen, haetten unsere Leute sich nicht endlich auf ihre preussische
Waffenehre besonnen und bei Eylau dem Franzmann Halt geboten. Und da sitze
ich nun bald zwei Wochen hier und fange Fliegen und langweile mich mit
eurem faulen Whist herum und werde von euch beschummelt und lasse mich von
den franzoesischen Luemmels zum Narren halten."

Eisenhart bedeutete ihm, vorsichtig zu sein, und sah sich besorgt um.

"Ach was, Pfalzgraf!" rief Bluecher aergerlich und fing wieder an seine
Karten zu sortieren. "Die werden schon wissen, woran sie mit mir sind! Da
brauche ich kein Blatt vors Maul zu nehmen!"

"Sie glauben im Gegenteil, Eure Exzellenz fuer ihre Sache gewonnen zu
haben!"

"Der Teufel auch!"

"Sie glauben es, und das ist gut!"

"Wenn Er mir da irgend etwas eingebrockt hat, Pfalzgraf, dann ist's aus
zwischen uns!"

"Ich habe etwas eingebrockt, und das ist die Freiheit, Exzellenz, die
Freiheit, baldmoeglichst wieder gegen sie zu kaempfen!"

"Geb Gott, dass es bald soweit waere! Aber mit ehrlichen Mitteln, Eisenhart,
mit ehrlichen Mitteln!"

"So ehrlich, wie bei den Franzosen ueblich!"

"Das verbitte ich mir. Auf eine Stufe mit den Gaunern lasse ich mich _in
puncto_ Ehrlichkeit nicht stellen!"

"Wie wollen Exzellenz ihnen sonst beikommen?"

"Wie sonst immer! Mit scharfen Hieben!"

"Wenn wir ihnen im Felde gegenueberstehen, ja, da ist das das Richtige.
Aber wo wir in ihrer Gewalt sind, da setzen sie Gewalt gegen Gewalt, und
sagen sich: 'Nein, der General Bluecher kann uns gefaehrlich werden, den
wechseln wir nicht aus, den behalten wir bis zum Ende des Krieges in
festem Gewahrsam'! Und schicken Eure Exzellenz nach Frankreich statt ins
preussische Hauptquartier, und uns mit!"

"Mag sein, dass Er recht hat, Pfalzgraf. Aber auf die Vorschlaege Napoleons
gehe ich nicht ein. Ich bin keine solche Schlafmuetze wie die Herren
Lucchesini und Zastrow, die da beim Herrn Napoleon in Charlottenburg
bettelten und ihm gleich mit Kusshand ganz Preussen links von der Elbe
schenken wollten, mitsamt allen Festungen bis zur Weichsel und Abkehr von
Russland und Gott weiss wie viele hundert Millionen noch dazu! Ich werde dem
Koenig nicht raten, Frieden zu schliessen! Ich werde ihm sagen, wie's hier
hinter der franzoesischen Front aussieht, und wie leicht es waere, jetzt
einen Schlag zu tun. Das werde ich, hol' mich der Deibel, dreimal
verflucht! - Und dann, will's Gott, hauen wir die Bande in die Pfanne.
Aber kein Wort sag' ich anders, keinen Ton pfeife ich aus einem anderen
Loch, wenn ich im Hauptquartier bin."

"Das sollen Exzellenz auch nicht tun. Aber erst muessen wir mit unseren
Nachrichten da sein, und zwar moeglichst bald, ehe die Verhaeltnisse bei den
Franzosen sich bessern. Daher muessen Exzellenz versprechen -"

"Nichts verspreche ich, nichts, was ich nicht halten kann!"

"Im Krieg ist jede List erlaubt. Exzellenz, als alter Husar, werden schon
oft in die Lage gekommen sein, den Feind zu taeuschen!"

"Das schon - das schon!"

"In der naemlichen Lage sind wir jetzt auch. Und da habe ich im Namen Eurer
Exzellenz versprochen, und das haben wir, der General Le Camus und ich, zu
Papier gebracht, dass Exzellenz bei unserem Koenig fuer einen seperaten
Frieden zwischen ihm und den Franzosen eintreten wollen, in dem uns
Preussen bis zur Elbe wieder herausgegeben wird."

"Ein separater Friede? Bist du des Teufels, Junge? Sollen wir die Russen
im Stich lassen?"

"Die Russen werden sich's nicht lange ueberlegen, ob sie uns im Stich
lassen sollen, wenn die Versuchung in der geeigneten Weise an sie
herantritt. Ich habe es versprochen! Exzellenz brauchen bloss ja und amen
zu sagen! Und nachher, wenn wir frei sind, tun wir, was wir wollen! Das
ist erlaubte Kriegslist, weiter nichts."

Die Soehne Bluechers redeten ihm auch zu.

"Kinder, ihr macht mit mir, was ihr wollt! Was werden die Franzosen von
mir denken!"

"Sie werden salutieren und sagen: 'Donnerwetter, ist das ein Kerl!'"

"Ein Mordshalunke, werden sie sagen!"

"Hoffentlich! Ich werde mich jedenfalls sehr freuen, wenn der Feind
moeglichst schlecht von Exzellenz spricht! Oder glauben Exzellenz etwa, sie
daechten gut von Ihnen?"

"Darum moechte ich die Kerls doch in allem Ernst ersucht haben!"

"Sie machen sich aber trotzdem ihre eigenen Gedanken. Und da ist nun der
Whist daran schuld."

"Wieso!"

"Nun, wenn wir so, wider alle Konvenienz, uns um acht Uhr frueh an den
Spieltisch setzen und den ganzen Tag dort verbringen, alle Einladungen
ausschlagen und bloss spielen, spielen, spielen - wenn unsere franzoesischen
Wirte den General Bluecher fluchen und immer mehr fluchen hoeren, da nimmt's
einen nicht wunder, wenn sie einmal fragen: 'Mein Herr, Sie rupfen wohl
den alten Herrn bis auf die Knochen? _Le general de Bluquaire_ soll doch
ein eingefleischter Spieler sein? Man sagt, er hat sein ganzes Vermoegen
verspielt?' Und das fragen sie dann in einem mitleidigen Ton und mit einem
vielsagenden Blick, als warteten sie nur auf ein Wort des
Einverstaendnisses, um gleich Geld anzubieten - grosses Geld, dafuer, dass wir
ihnen den Frieden vermitteln."

Bluecher legte die Karten aus der Hand.

"Ich will nicht hoffen, Eisenhart," sagte er ernst, "dass Er einen solchen
Antrag an mich uebernommen hat, oder dass das, was Er mir jetzt sagt, ein
Vorfuehler sein soll, ob ich fuer Geld zu haben waere! Denn dann muesste er
darauf gefasst sein, von mir ueber den Haufen geschossen zu werden!"

"Das waere auch verdient, Exzellenz. Und ich habe auch dem Herrn, der da
glaubte, mir so den Puls fuehlen zu duerfen, mit keiner Miene gezeigt, dass
ich fuer derartige Zumutungen irgendwelches Verstaendnis haette. Ich erzaehle
es auch jetzt nur, um Exzellenz zu zeigen, wie der Feind sich doch selbst
seine Gedanken macht und glaubt, was er will, wie anstaendig man sich auch
benimmt! Denn das ist ihm gaenzlich gleichgueltig! Je mehr er flucht und je
mehr er schimpft, um so besser! Das zeugt nur davon, dass unsere Hiebe
sitzen!"

Bluecher schwieg einen Augenblick und zupfte an seinem langen Schnurrbart,
liess sich dann eine frische Pfeife bringen und in Brand stecken und paffte
dem Rittmeister ganze Wolken ins Gesicht.

"Hm, ja - schoen! - Machen wir den Versuch! Probieren wir's denn mit dem
Husarenstreich! Aber erst neue Karten her!"

Neue Karten wurden gegeben. Und zum erstenmal, seit Bluecher in Rosenberg
weilte - _gute_ Karten, und alle Honneurs! Er strahlte wieder und war
eitel Glueck und Wonne, machte einen grossen Schlemm nach dem andern und
merkte gar nicht, wie seine Jungen die Karten so gut zu mischen wussten,
dass er immer wieder lauter Truempfe in die Hand bekam. Denn die Pfeife
schmeckte und gab etwas her und huellte alles brav in Daempfe ein. Eisenhart
wusste auch so gut und eifrig den Kriegsplan zu entwickeln, dass der alte,
gewiegte Spieler nicht daran dachte nachzusehen, ob auch richtig gemischt
wurde - wozu er ja auch keinen Grund hatte, solange die Karten gut fielen!
Im Grunde genommen waren die Franzosen ja auch ganz passable Kerle und als
Feinde gar nicht zu verachten! Und wenn schon ihre Freundschaft sich
verflucht fade anliess, so wollte er sich nicht widersetzen, er wollte
schon die Komoedie mitmachen! Aber nur bis zur Grenze! Keinen Schritt
weiter! Sobald er frei war, da wollte er auch seine Freiheit haben!

"Eins kann ich den Kerlen nimmermehr verzeihen", sagte er und schmunzelte
ueber die schoenen Stiche, die er immer wieder machte. "Und das ist, dass sie
mich nicht nach Berlin hineinlassen wollten. Zu denken, ich bin dicht vor
der Stadt, ich _soll_ da durch, es ist sogar der mir vorgeschriebene Weg!
Und da heisst es: 'Aussen herumfahren! In der Stadt koennen wir dich nicht
gebrauchen! Kommst du her, dann gibt's hier einen Aufruhr!'"

"Die Berliner haetten Kopf gestanden!" sagte der eine junge Bluecher stolz.

"Waere mir recht gewesen", schmunzelte der Alte. "Ich haette gegen den
Aufruhr nichts gehabt! So'n Krakeel waere mir gerade nach dem Sinn gewesen!
Und um das haben die Franzosen mich nun auch gebracht!"

Er schwieg und blickte auf. In der Tuer stand ein franzoesischer Offizier,
die Hand salutierend am Schirm seines Kaeppis. Durch das niedrige Fenster
guckten andere Offiziere herein.

Bluecher stand nicht auf und erwiderte kaum den Gruss.

"_Mon general_ -", fing der franzoesische Offizier an.

"Ich bin nicht so 'n Allerweltsgeneral, ich bin preussischer
Generalleutnant und bitte mir richtige Titulatur aus!"

Die ward ihm auch sogleich und in der liebenswuerdigsten Weise zuteil.

Ausserdem die Mitteilung: der General Le Camus liesse sich bestens
empfehlen, und er wuerde sich die Ehre geben, den Generalleutnant von
Bluecher zu der und der Zeit abzuholen, um ihn persoenlich von hier nach dem
Schlosse Finkenstein zu geleiten, wohin der Kaiser Napoleon ihn heute zur
Audienz befohlen haette.

Bluecher antwortete, er wuerde sich die Ehre geben. Er waere bereit, und er
liesse dem General Le Camus seine besten Gruesse uebermitteln. Worauf er dem
Rittmeister Eisenhart die Hand gab und sagte: "Pfalzgraf, verlasse Er sich
darauf: es bleibt dabei, bei dem Husarenstreich!"

                                   *

Napoleon war eben von einer Besichtigung des Leibregiments der Kaiserin
zurueckgekehrt und liess sich vom Generaldirektor der Museen, Monsieur
Denon, ueber die in den Museen Kassels und Berlins "gefundenen" Kunstwerke
Bericht erstatten, als man ihm die Ankunft des Generals von Bluecher
meldete.

Er gab Denon noch einige Instruktionen fuer seine bevorstehende
Entdeckungsreise nach Warschau, wo auch fuer Rechnung des "Musee Napoleon"
Schaetze zu heben waren, genehmigte die vorgeschlagenen "Enteignungen",
entliess huldvollst seinen talentvollen Mitraeuber und befahl, den General
vorzulassen.

Er wolle ihn ohne Zeugen sprechen, beduerfe auch eines Dolmetschers nicht!

Sein Generalstabschef, Berthier, holte dann Bluecher ab, bestaetigte ihm im
Namen Napoleons die mit dem Rittmeister von Eisenhart vereinbarten
Friedensbedingungen, die Bluecher dem Koenig von Preussen ueberbringen sollte,
geleitete ihn dann durch alle Zimmer bis zur Tuer des kaiserlichen
Arbeitskabinetts und verabschiedete sich dort von ihm.

Die Tuer oeffnete sich, und die beiden Gegner standen einander zum ersten
Male persoenlich gegenueber.

Bluecher lang und stattlich mit weissen Haaren und frischem,
lebensspruehendem Gesicht - der Kaiser klein, blass, energisch, lebhaft,
ohne einen weissen Faden im kastanienbraunen Haar - Bluecher in seiner roten
Husarenuniform, die Muetze mit dem Totenschaedel auf dem Arm - der Kaiser in
seiner gruenen Gardejaegeruniform mit den weissen Aufschlaegen und dem Stern
der Ehrenlegion in Gold gestickt, den schwarzen, dreieckigen Hut in der
Linken.

Er kam gleich auf Bluecher zu und fing an, lebhaft auf ihn einzureden.

Und Bluecher stand da, lang und breitbeinig, den Kopf vorgestreckt, und sah
auf den kleinen Kerl herab, der sich mit zierlichen Schritten vor ihm hin
und her bewegte - glotzte ihn an wie eine grosse Dogge, die die lustig
einschmeichelnden Spruenge eines zierlichen Affenpintschers um sie herum
anstaunt und dann und wann mit einem tolpatschigen Schlag der Pranke zu
vergelten versucht, dabei das Klaeffen des Kleinen mit einem gutmuetigen
Zaehnefletschen beantwortend.

Viel verstand er nicht von dem, was der Kaiser sagte, geriet aber sofort
in den Bann seiner spruehenden Beredsamkeit und der Energie, die aus jedem
seiner Worte, aus jeder Miene auf ihn einstroemte.

Er holte auch sofort zur Parade aus und fing an, ebenso lebhaft auf den
Kaiser dreinzuparlieren, in einem sonderbar zurechtgestutzten
Kauderwelsch, das in seinen eigenen Ohren gar lieblich klang und ihn
geradezu stolz machte. Lateinische, polnische und franzoesische Brocken
wuerfelte er dabei kunterbunt durcheinander, in einer Mischung, die ihm
sicherlich keiner so leicht nachmachte.

Aber als der Kaiser immer lebhafter wurde und ihn schliesslich an einem
Knopf seiner Uniform packte und anfing daran zu drehen und zu drehen, da
wurde er still.

Das war unheimlich! So liess er sich denn doch nicht beim Wickel nehmen!

Er horchte genau auf das, was der Kaiser zu ihm hinaufsprudelte -
schnappte einige Worte auf und begriff, dass lang und breit von der
Elblinie und von den kuenftigen Grenzen Preussens geredet wurde, wenn auch
nicht was, und dass der Kaiser ihm das taegliche Lied seiner Generaele von
der ihm zugedachten Rolle als Friedensvermittler jetzt selbst vorleierte.

Da aber das Drehen des Knopfes nicht aufhoerte, vielmehr ein Gefuehl
verursachte, als wuehle sich ein Bohrer immer tiefer und tiefer in ihn
hinein, da gab's bei ihm innerlich einen Ruck und ein Straeuben der Haare,
wie bei einem Kater angesichts des Hundes. Die Haltung straffte sich, die
Blicke spruehten Feuer und Flammen, er wollte schon etwas Kraeftiges
antworten.

Aber Napoleon wartete es nicht ab. Mit kleinen festen Schritten ging er
ein paarmal durchs Zimmer, setzte sich im offenen Fenster aufs
Fensterbrett, kam wieder vor und sagte in einem von fast echtem Gefuehl
vibrierenden Tonfall:

"_Mais mon cher - je l'aime, votre patrie! Oui, c'est vrai, j'aime la
Prussie!_" Und er setzte noch lang und breit auseinander, wie sehr dieser
ganze Krieg wider sein Gefuehl sei, und dass es ihm zumute sei, als muesse er
mit seiner Rechten seine Linke schlagen, wenn er das ihm so teure Preussen
schluege! Welche echt preussenfreundliche Gesinnung er noch mit einem
Haendedruck bekraeftigte.

"Ist schon recht," dachte Bluecher, "es gibt Freundschaft und Freundschaft,
und wie deine beschaffen ist, damit weiss ich Bescheid! Wenn du denkst, dass
ich darum fuer dein '_patrie_' auch nur einen Pfifferling uebrig habe, da
irrst du dich gewaltig!"

In voller Gemuetsruhe liess er dann noch einen rednerischen Ansturm ueber
sich ergehen, sagte weder ja noch nein, nickte nur dann und wann
zustimmend, eingedenk der Mahnung Eisenharts, lieber mit List die
sofortige Freiheit zu gewinnen, als sich noch nach Frankreich in
Gefangenschaft schicken zu lassen.

Und als Napoleon ihm die Hand zum Abschied reichte, da langte er zu und
drueckte sie recht herzlich wieder und schmunzelte freundlichst ueber das
ganze Gesicht.

"Ein Teufelskerl ist das!" sagte er nachher, als er seinen Soehnen und
Eisenhart von der Begegnung erzaehlte. "Ein ganz verfluchter Kerl! Und
charmant! Ich dachte bei Gott nicht daran, dass er eigentlich den
leibhaften Gottseibeiuns darstellt, dem man schleunigst das Genick brechen
muesste! Mehr als einmal haette ich ihn durchs offene Fenster hinausstossen
koennen, als er auf dem Fensterbrett sass, waere ich nur nicht so verflucht
gutmuetig gewesen, wie wir Deutschen es nun leider immer sind!"

"Wer weiss," sagte Eisenhart mit einem spitzbuebischen Laecheln, "wer weiss,
was fuer eine gute Gelegenheit Exzellenz da versaeumt haben, mit einem
raschen Stoss den Krieg zu beenden und Europa eine neue Karte zu geben!"

"Ehrlicher Kampf ist mir lieber", sagte Bluecher. "Und aufgeschoben ist
nicht aufgehoben. Wir werden ihm schon beikommen, wenn er auch ein guter
Schauspieler ist und die Kunst versteht, alle Welt dumm zu machen! Das
koennen wir schliesslich auch, wenn's sein muss. Fuers erste probieren wir's
mit Seiner Kriegslist, Eisenhart!"

So wurde es auch gemacht.

Beim Abschiedessen, das der General Le Camus ihm noch am selben Tag gab,
hielt Bluecher dann eine Rede auf Napoleon und brachte in aller Form seine
Gesundheit aus. Allerdings erst nachdem der franzoesische General Preussen
und seinen Koenig hatte leben lassen.

Dann aber, als nach vielem Hin und Her, nach langem Warten und endlosem
Aerger, endlich der Augenblick da war, in dem er ueber die Demarkationslinie
gehen durfte, waehrend von der anderen Seite der Schatten des gegen ihn
ausgewechselten Generals Victor gruessend vorbeihuschte, da war's mit einem
gewissen Gefuehl der Erleichterung, dass er seinem getreuen Adlatus und
Reisebegleiter zurief: "Los, Eisenhart!"

Und er liess Eisenhart nicht aus den Augen, als der mit dem General Daenzel
leise sprach. Er aergerte sich aber gewaltig, als der Franzose nur laechelte
und befriedigt Beifall nickte, obwohl Eisenhart in aller Form erklaerte,
mit der Friedensvermittlung Bluechers waere es nichts - seine ganze Zusage
in betreff der Friedensvermittlung waere nichts als erlaubte Kriegslist
gewesen, und man wuerde dem Koenig von Preussen gute Ratschlaege in ganz
anderem Sinne zu geben wissen.

Diese offene Kampfansage wollte Bluecher wenigstens dem Franzosen mit nach
Hause geben. Sie sollten da nicht eine Sekunde laenger als noetig glauben
duerfen, dass er auch nur das geringste fuer ihr "_patrie_" uebrig haette!

An seine Begegnung mit dem Kaiser dachte er aber mit vielem Interesse
zurueck.

Er staunte Napoleon an wie eine seltsame Naturerscheinung, die mit seiner
eigenen Welt wenig Zusammenhang hatte.

Napoleons lebhaftes Spruehen, sein eindringliches Drauflosagieren hatte ihn
nicht darueber zu taeuschen vermocht, dass er im Kaiser vor allem eine
masslose Energie und einen konzentrierten, kalten und klaren Verstand vor
sich hatte, dem keine Grenzen gesetzt waren ausser der einen, hinter der
Gefuehl und alles mitreissendes Temperament allein geboten.

Und da war _er_, Bluecher, wiederum zu Hause und wurzelte drin mit seiner
ganzen Persoenlichkeit, und konnte seinerseits auch nicht ueber die Grenze
hinaus.

Sie waren eben zwei einander voellig fremde Welten aus verschiedenartiger
Materie, vom Zufall fuer einen Augenblick zusammengeschleudert, sausten
aneinander vorbei, machten viel und gewaltiges Geraeusch und spien Feuer
und Funken und Flammen gegeneinander, jede nach _ihrer_ Art und ohne bei
der anderen zuenden zu koennen. Und sausten dann, jede in ihrer Richtung,
weiter und ueberliessen es dem Zufall, wieder einen Zusammenprall
herbeizufuehren und zu entscheiden, welche von ihnen wohl dann die andere
aus der Bahn schleudern wuerde.

                                   *

Bluecher stand vor seinem Herrn und Koenig und freute sich ungemein, denn er
wurde hier, im preussischen Hauptquartier zu Bartenstein, mit lauter guten
Neuigkeiten empfangen.

Die Kabinettsregierung war beseitigt, Lombard entlassen, Beyme fallfertig
und Bluechers ueber alles geschaetzter Freund Hardenberg seit gestern
Staatsminister und Leiter der gesamten Politik.

Fehlte nur noch Stein, der in Ungnade Entlassene, und sein Glueck waere
vollstaendig gewesen.

Der Koenig hatte ihn umarmt und gekuesst und sich hilflos nach einem Orden
fuer ihn umgesehen.

"Haben keine Sterne mitnehmen koennen bei der eiligen Abreise!" sagte er.

Hardenberg half dann mit seinem Schwarzen Adler aus, und der Koenig heftete
ihn selbst Bluecher an die Brust.

Bluecher fing dann an schwarz zu malen und gab eine erhebende Schilderung
von dem hoffnungslosen Zustand der franzoesischen Armee, die man mit
Leichtigkeit vernichten koennte, wenn man es jetzt sofort versuchte.

"Majestaet," sagte er, "ich steh' mit meinem Kopf dafuer ein. Wenn ich nur
dreissigtausend Mann unter meinem Befehl habe, dann durchbreche ich die
franzoesischen Linien und werfe den Feind wenigstens bis auf die Oder
zurueck. Ich bin mit offenen Augen durch das von ihm besetzte Gebiet
gekommen. Seuchen ueberall, Mangel an Proviant, Mangel an Munition; die
Leute marode und deprimiert von dem ungewohnten Klima; die Wege
entsetzlich! In den naechsten vier Wochen koennen keine Verstaerkungen zur
Stelle sein! Wenn wir jetzt dazwischenfahren, dann sind sie vernichtet -
dann kommt's zu einer Katastrophe, die dem Krieg eine neue Wendung geben
und unseren Leuten den Nacken wieder steifen wird! Wir werden, wenn wir
jetzt den Coup wagen, ueberall, in Hessen, am Rhein, in der Mark, Aufstaende
haben, wir werden die Franzosen ueber den Rhein zurueckjagen, und daran
wird's nicht fehlen. Glauben Majestaet, dass der Kaiser Napoleon nach seinen
grossen Siegen ueber uns um den Frieden bitten wuerde, wenn er es nicht
bitter noetig haette? Nein! Ich habe ihm in die Seele geschaut! Eine Stunde
lang hat er auf mich eingeredet - viel habe ich nicht davon verstanden!
Aber so viel habe ich begriffen: er schwefelte mir so eifrig vor von der
Notwendigkeit _fuer uns_, einen Separatfrieden zu schliessen, dass ich von
der Notwendigkeit _fuer ihn_ ueberzeugt wurde! Und ebenso eifrig wie er
selbst waren seine Leute. Wo aber der Franzose so liebenswuerdig wird, da
_will_ er auf diese Weise immer etwas ergaunern, was er anders nicht
bekommen kann. Sonst waere er der letzte, sich die Muehe zu geben, sonst
nimmt er, was ihm beliebt und wie's ihm beliebt und fragt nicht erst nach
der Meinung anderer!"

Es wurde die alte Geschichte.

Der Koenig sah es wohl ein - der General mochte schon recht haben -, es
waere nicht ausgeschlossen, jetzt durch einen kuehnen Handstreich einige
Vorteile ueber den Kaiser der Franzosen zu gewinnen! Nach der Schlacht bei
Eylau war er ja schon bedeutend entgegenkommender geworden! Allein man
duerfe nicht sein Letztes auf eine Karte setzen! Die Armee war bis auf
fuenfundzwanzigtausend Mann zusammengeschmolzen: allein koennte man nichts
gegen die Uebermacht unternehmen - man waere sowieso von der Hilfe der
Russen abhaengig. Es waere also das richtigste, zuerst mit dem Kaiser
Alexander zu reden - wenn er den Plan Bluechers billigte, so wuerde der
Koenig auch nicht dagegen sein! Er, Bluecher, sollte sofort zum Kaiser
mitkommen!

Das war fuer diesmal schon viel erreicht. Guten Muts folgte Bluecher dem
Koenig nach dem Quartier des Kaisers Alexander.

Dieser war gleich Feuer und Flamme.

Gewiss! Das waere ja glaenzend, das waere brillant! Das muesse gemacht, das
wuerde sofort ins Werk gesetzt werden! Darauf koenne sich Bluecher verlassen,
und die verlangten Truppen bekaeme er! Der Kaiser sagte dem General noch
die schoensten Komplimente und Schmeicheleien fuer seinen mutigen Rueckzug
nach Luebeck, und bedankte sich sehr fuer den ausserordentlichen Dienst, den
Bluecher der russischem Kriegfuehrung dadurch geleistet hatte, dass er die
Franzosen so lange vom Osten abzog. Er war so aimabel, so charmant, wie es
nur ein russischer Gardeoffizier sein kann. Seine Begeisterung war so
soigniert, so wohlgepflegt und ohne Ueberschwang, seine ganze Art, sich zu
geben, so korrekt und elegant, dass Bluecher ganz uebel zumute wurde.

Von diesem geschnuerten, parfuemierten, gut frisierten und schoenen jungen
Mann waren keine derben Hiebe, keine grossen Entschluesse und vor allem
keine Ausdauer zu erhoffen, das wusste er gleich! Und auch, dass mit schoenen
Worten und Schmeicheleien nach Art der Franzosen von ihm alles zu
erreichen waere.

Seine Zustimmung gab der Kaiser also auf der Stelle, jedoch alles Naehere
muesse Bluecher mit seinem Oberkommandierenden, dem General von Bennigsen,
vereinbaren.

"Mit dem werde ich wohl fertig", dachte Bluecher. "Der ist ja ein Deutscher
wie ich!" Und er ging hin.

Viel Deutsches war aber nicht mehr an dem kleinen russischen General mit
dem bauernschlauen, verschmitzten Gesicht zu entdecken - wenn nicht der
Hochmut deutsch ist.

Denn mit unsaeglich mitleidsvoller Verachtung blickte er auf Bluecher
nieder, der ja das Unglueck hatte, preussischer Offizier zu sein, was in
Bennigsens Augen, nach Jena, ungefaehr das allerletzte war! Und dieser
hergelaufene alte Husar, der wollte ihm noch ins Handwerk pfuschen - der
wollte selbstaendig kommandieren, auf eigene Faust Krieg mit dem Kaiser
Napoleon fuehren, vor dem seine Landsleute so brav davongelaufen waren?!

Ihm, Bennigsen, kaeme man nicht mit dergleichen! Ihm, der vor nicht
allzulanger Zeit einen Zaren vom Thron gestossen und dem jetzigen Kaiser
die Krone aufs Haupt gesetzt hatte, der also in Russland - das heisst im
groessten Reiche der Welt - das Heft in der Hand hielt!

Sein junger Kaiser war da wieder viel zu gutmuetig, viel zu liebenswuerdig
gewesen! Er war ein grosses Kind! Er liess sich von allen moeglichen
Abenteurern blauen Dunst vormachen, und nachher muesste er, Bennigsen, der
einzige von allen Moerdern seines Vaters, den er noch um sich duldete, die
Sache wieder einrenken!

Das wuerde er auch jetzt besorgen! -

Die Rechte in die Weste geschoben, die Beine uebereinandergeschlagen, der
Blick weit ueber Bluecher hinaus in die Ferne schweifend, so stand er da, an
den Ofen gelehnt, liess sich Vortrag halten und geruhte dann in Gnaden zu
sagen: die Idee waere ganz gut, aber vorderhand nicht auszufuehren! Sie
fordere Vorbereitungen! Und Vorbereitungen, das hiesse Zeit haben! Indessen
wollte er sich alles genau ueberlegen!

Worauf Bluecher gereizt erwiderte, ueberlegt und erwogen waere schon mehr als
genug. Wollte man noch damit Zeit vertroedeln, dann ginge inzwischen die
guenstige Gelegenheit verloren. Napoleon bekaeme wieder frische Truppen,
Munition und Proviant und wuerde sicherlich nicht zoegern, sofort vorzugehen
und die Russen ueber die Grenze zurueckzuwerfen.

Das waere ihm nicht unwillkommen, sagte dann der Renegat, ohne die Hand aus
der Weste herauszunehmen. Er wuerde sich sogar freuen, kaeme er bald aus
diesem elenden Ostpreussen wieder in seine geliebte russische Heimat
zurueck.

"So, auf _die_ Weise?" versetzte Bluecher dann und rief den anderen
Offizieren, die mitgekommen waren, zu:

"Kommt, Kinder, hier haben wir nichts zu suchen! Wir sind verraten und
verkooft!"

Er drehte Bennigsen den Ruecken und ging und fluchte, weil wieder eine gute
Gelegenheit versaeumt wurde, wo durch rasche Entschlossenheit und schnelle
Tat alles gewonnen werden konnte. Aus seinem schoenen Husarenstreich wurde
nichts.

Aber trotz alledem wurde am naechsten Morgen drueben bei den Franzosen Alarm
geblasen und ein Hallo gemacht, als wuerde die Welt aus den Angeln gehoben.

"Die Russen sind da! Die Preussen ruecken an und fallen uns in die
Kantonierungen!" schrie alles durcheinander. Die Trompeten schmetterten,
die Trommeln schlugen, Adjutanten und Stafetten flogen hin und her, man
schrie, kommandierte, fluchte und schimpfte.

Napoleon war ausser sich ueber seine Gutmuetigkeit, den alten Haudegen
Bluecher so leichten Kaufes entlassen zu haben! Der war sicherlich nicht
mit geschlossenen Augen durch die franzoesischen Linien gekommen! Der war
der rechte Mann, eine gute Gelegenheit auszunuetzen! Der kuemmerte sich den
Teufel um schlechte Wege und Unbill des Wetters, auf die sich das
franzoesische Feldkommissariat stets herausredete, nicht zum mindesten
jetzt, wo es ausserstande war, Munition, Kanonen und frische Truppen
heranzufuehren - vom Proviant gar nicht zu reden!

Die ganze Kavallerie sollte heraus, dem Feind entgegen und ihn aufhalten,
bis die anderen Truppen, die noch in ihren Quartieren zerstreut lagen,
versammelt waeren.

Kaum befohlen, klabasterten die kleinen Chasseurs wie die Deubels gegen
die Passarge los, von wo man die ganze Nacht ein Geschrei und Getoese
gehoert hatte, als waere die grosse russische Armee eben im Begriff, ueber den
Fluss zu gehen.

Mit altgewohntem Elan ritten sie gegen die ungebetenen Gaeste auf, die
Karabiner schussbereit, die Lanzen geschwungen. So kamen sie an das Ufer
der Passarge, ohne einen Schuss abzubekommen - hielten mitten im tollsten
Ansturm inne, sperrten die Augen und die Maeuler auf und dachten an alte
Maerchen von Wassernixen, die als Schwaene vermummt das Weite suchen, wenn
Gefahr naht, und wunderten sich, wo die Moskowiter auf einmal das Fliegen
gelernt hatten, und wie die schmutzigen, baertigen Kerls so schneeweiss wie
die Engel gen Himmel schweben konnten, wo sie doch eigentlich wie die
Teufel aussehen muessten und in die Hoelle gehoerten! Denn zu Tausenden und
aber Tausenden flogen bei Sonnenaufgang mit lautem Getoese wilde Schwaene
von der Wasserflaeche auf, zogen ihre weiten Kreise, stiegen ohne
Aufenthalt ins Blaue hinein und liessen unten Lanzenreiter und Chasseurs
mit gestreckten Haelsen sitzen und gaffen und das grosse Wunder des
hereinbrechenden Fruehlings anstaunen, gegen das kein Kaiser und kein Koenig
mit seinen Rossen und Reisigen aufkommen kann, wie gewaltig und maechtig er
auch ist.





                                  11
                        ZWISCHEN DEN SCHLACHTEN


Im Schlosse zu Koenigsberg sass, brav und bieder, Bluecher am Teetisch der
Koenigin Luise und zupfte Scharpie. Er brummte wohl leise in den Bart,
schmunzelte aber dabei und gab sich nach Moeglichkeit den Anschein, als sei
dies Werk der Liebe und nicht das rauhe Handwerk des Krieges so recht nach
seinem Sinn.

Er zupfte einen Faden - er zupfte zwei und legte sie behutsam vor sich auf
den Tisch.

Waeren es Karten gewesen, sie waeren schon anders dahergekommen!

Der dritte Faden flog auch bei dem Gedanken mit ganz anderem Schwung aus
der Hand und kam mit einem leichten Schlag auf die Platte.

Die Koenigin blickte von ihrer Arbeit auf und laechelte unfreiwillig.

Bluecher laechelte zurueck, und sein Gesicht strahlte in glaeubiger Verehrung
und inbruenstiger Anbetung.

Denn um die schoene Koenigin herum tauchten vor seiner Phantasie ploetzlich
all die Holden auf, denen seines langen Lebens Minnedienst gegolten hatte.

Heilige waren das wohl nicht gewesen! Er hatte aber auf den Knien vor
ihnen gelegen und hatte sie glaeubig angebetet! Und aus der Erinnerung
seliger Stunden laechelten sie ihm noch heute ihren Dank zu, weil er es
verstanden hatte, ein wenig Sturm in ihre Stille zu bringen!

Heilige nicht - aber doch umstrahlt von der ewigen Glorie eines freudig
geschenkten und ebenso freudig empfangenen und erwiderten Gefuehls - das
einzige, was dem Leben hienieden den vollen Abglanz der Ewigkeit zu
verleihen vermag.

So etwas mochte wohl in den Blicken des alten Frauenverehrers gewesen
sein, als er zu seiner jungen, liebreizenden Koenigin aufblickte. Aber
auch, dass sie _jetzt_ war, was die anderen alle nur noch gewesen waren -
der Inbegriff all dessen, was das Herz eines Mannes zur Anbetung zwingen
kann: Jugend, Schoenheit und inniges Gefuehl, das locken und necken und
kuehnem Angriff Abwehr bieten konnte, aber auch, wenn es galt, einen Tanz
wagen und freudig mitfliegen mochte - kurz, gerade so bodenstaendig und
unheilig, wie sich das Herz eines alten Husaren die Mutter Gottes
vorstellen mag - so und nicht anders! - -

Die Koenigin verstand wohl auch Gedanken zu lesen, denn vor den feurigen
Blicken Bluechers senkten sich ihre Augen, und in ihr Laecheln kam ein
Anflug von Spott. Das genuegte vollauf, um Bluecher auf das gebuehrende Mass
alleruntertaenigster Verehrung zurueckzufuehren.

Als Belohnung befahl die Koenigin, ihm Tee zu reichen, und tat gnaedigst,
als merke sie gar nicht, wie er mit der Gewandtheit eines Taschenspielers
den Leinwandlappen, an dem er notgedrungen zupfte, unter dem Tisch in
seiner Saebeltasche verschwinden liess.

"Es ist schoen von Ihnen, General," sagte sie vielmehr, "dass Sie uns bei
unserem Liebeswerk so eifrig helfen wollen!"

Und Bluecher in Wahl und Qual zwischen dem Tee und der Scharpie, griff
entschlossen nach einem neuen Leinwandstreifen und zog mit viel Muehe einen
Faden heraus.

"Wie immer gehorsamst zu Diensten, wenn Majestaet befehlen!" sagte er,
eifrig zupfend. "Ich gestatte mir aber alleruntertaenigst darauf
hinzuweisen, dass es mir _bei diesem_ Liebeswerk viel an der rechten Uebung
fehlt. Wir Soldaten sind gewohnt, in ganz anderer Weise mit der Scharpie
in Beruehrung zu kommen! Ich meine so, dass sie sich schmerzstillend auf
unsere Wunden legt. Und wenn wir dabei der zarten Haende gedenken koennen,
die, von Mitleid bewegt, uns so weiche Wohltat bereiten halfen, das
vermehrt die Heilkraft und stillt unsere Schmerzen sicherlich besser, als
wenn wir selbst sie zubereitet haben!"

Gesagt, und der zweite Lappen lag beim ersten in seiner Saebeltasche.

Die Koenigin laechelte.

"Wie schoen Sie das auch vorbringen, General," sagte sie und schob ihm noch
ein paar Streifen zu, "wir erlassen es Ihnen doch nicht, uns zu helfen.
Der Wunden gibt es viel mehr als Haende, die Schmerzen zu lindern! Zupfen
Sie also brav weiter und erzaehlen Sie uns dabei von Ihren Irrfahrten -"

"Meine Irrfahrten, Majestaet," sagte Bluecher ernst, "die ergeben sich alle
aus einer einzigen unausloeschlichen Schmach, in der wir leider noch leben,
und von der ich alleruntertaenigst mir zu gestatten bitte, nicht sprechen
zu muessen. Es sei denn, dass ich davon sprechen darf, wie wir sie wieder
gutmachen. Denn das ist kinderleicht!"

"Meinen Sie?"

"Das meine ich! Nur wollen und wagen und die gute Gelegenheit ausnuetzen,
dann hat's keine Gefahr. Denn unsere Soldaten - nun, die haben bei Eylau
gezeigt, wie sich ein preussischer Soldat schlaegt - sie haben da unsere
Waffenehre gerettet."

"Das sind Helden!" sagte die Koenigin geruehrt. Und Bluechers Augen blitzten.

"Wie die Kerle da zu den Klaengen des 'Alten Dessauer' ueber die
Schneefelder Sturm liefen, dass die Bajonette im Abendsonnenschein
blitzten!" sagte er begeistert. "Ich kann's sehen, als waere ich dabei
gewesen, wie sie mit der Gewalt einer Meeresbrandung alles vor sich
herfegten - ich kann den Donner ihrer siegenden Hurrarufe hoeren -, und
_das_, Majestaet, das tut meinem Herzen wohl, nach all der Schmach!"

Er zupfte wieder ein paar Faeden und verbiss die Ruehrung.

"Und was ich jetzt von Kolberg hoere," sagte er dann, "von den kuehnen
Ausfaellen Schills, von seinen Streifzuegen, von dem heldenmuetigen Geist der
Buergerschaft, die von der Aufgabe der Festung nichts wissen wollte. So
haette es ueberall sein muessen, die Leute haetten sich nur mit der Bitte um
andere Kommandanten an den Koenig wenden sollen, da haetten wir alle unsere
Festungen noch. Denn es gibt unter uns mehr solche Leute wie der Major
Gneisenau, der sich jetzt so brav in Kolberg haelt. Aber - - wenn man
bedenkt, dass die vierzehn preussischen Generaele, die in Magdeburg gefangen
wurden, zusammen dreizehnhundert Jahre alt waren - da ist's kein Wunder!"

Die Koenigin laechelte.

"Es koennen nicht alle so jung sein wie Sie, General", sagte sie mit
sanfter Anspielung auf seine fuenfundsechzig Jahre.

"Gewiss nicht, Majestaet", antwortete Bluecher unbefangen. "Aber wenn wir
jungen Leute nicht die vielen Vordermaenner gehabt haetten, dann haetten wir
ein Kommando gehabt und Gelegenheit, manches anders und vielleicht auch
besser zu machen!"

Der Koenigin war es peinlich, in ihrem Salon so offenen Tadel ueber Leute zu
hoeren, unter denen es doch manchen verdienten Mann gab. Sie unterbrach den
General.

"Sie wollten mir doch von Ihren eigenen Taten erzaehlen", sagte sie, ohne
von ihrer Arbeit aufzublicken.

"Zu Befehl!" sagte Bluecher. "Ich war auch dabei, alleruntertaenigst von den
Taten zu referieren, die ich wohl planen, aber noch nicht ins Werk setzen
durfte!"

Die Koenigin empfand den unausgesprochenen Vorwurf gegen den Koenig, der in
der Antwort verborgen war, und antwortete nicht, blickte auch nicht von
ihrer Arbeit auf.

Bluecher benutzte rasch die Gelegenheit, wickelte unterm Tisch den
Leinwandstreifen vom Finger ab und liess ihn wie die anderen schnell
verschwinden. Aber doch nicht so schnell, dass es die Koenigin nicht sah.

Sie laechelte wieder und blickte ihn an.

"Wir verstehen wohl, worauf Ihre letzten Worte hindeuten", sagte sie
gnaedig. "Uns sowohl wie dem Koenig waere es auch lieber, Ihren Mut und Ihre
Einsicht in geeigneterer Weise betaetigt zu wissen, als es jetzt leider der
Fall sein kann. Wir bedauern am meisten, dass Sie nicht hoch zu Ross, an der
Spitze einer Armee, gegen die Eindringlinge vorstuermen koennen. Am Koenig
und an mir liegt's nicht, wenn Ihren Wuenschen nicht stattgegeben werden
konnte. Ich meinerseits kann Sie also heute nur so beschaeftigen wie jetzt
und dazu den Vers machen: Kommt Zeit, kommt Rat! Aber Sie haben kein
Leinen mehr, lieber General - hier!" und sie reichte ihm hoechstselbst
wieder einen neuen Streifen.

Er nahm ihn gehorsamst, dankte alleruntertaenigst, zupfte an seinem
Schnurrbart, blickte melancholisch in seine Teetasse und sehnte sich
unchristlich nach einem guten Rotspon und einer Pfeife echten Knasters,
fand sich aber dann in die Plage, schluerfte gottergeben seinen Tee und
zupfte einen Faden - zupfte gar zwei.

"Halten zu Gnaden," sagte er dann ploetzlich und liess die Hand aufs Knie
sinken, "wollen Majestaet gnaedigst verzeihen, wenn ich trotz dem Gesagten
es doch wage, Majestaet um Allerhoechstdero Vermittelung beim Koenig
anzuflehen! Denn noch ist es nicht zu spaet, gegen den Franzmann
vorzugehen! Noch ist die Gelegenheit gut!"

"Zeigen Sie Ihren guten Willen, zupfen Sie brav!" sagte die Koenigin
scherzhaft, ohne auf den ernsten Ton des Generals einzugehen. Denn sie
hatte wiederum gesehen, wie der spitzbuebische Alte einen ihrer kostbaren
Leinwandfetzen in seine Saebeltasche schmuggelte. "Sie muessen mir noch
einen ganzen Haufen Scharpie abgeben. Wer weiss, welche Ritterdienste Ihrer
noch harren, wenn Sie die Probe mit Glueck bestehen!"

Bluecher fuegte sich und zupfte brav eine Weile und dachte dabei zurueck an
die Friedenszeit in Muenster, mit der vielen unfreiwilligen Schreibarbeit,
in der er damals nicht allzu eifrig mit seinem Freunde Stein wetteiferte!

Ob Stein es sich wohl auch mitten im Krieg gefallen lassen wuerde, acht
Tage hintereinander Tee zu trinken und Scharpie zu zupfen, statt seine
Plaene zum Wohle des Staates mit aller Energie auszufuehren?

Er lachte innerlich bei dem Gedanken an seinen schroffen, staemmigen alten
Freund, den wohl nicht einmal der Liebreiz der Koenigin Luise gezwungen
haben wuerde, so galant zu sein!

Stein hatte uebrigens jedem Missbrauch seiner Kraft vorgebeugt. Er hatte
seine Meinung offen und ungeschminkt dem Koenig ins Gesicht gesagt und
seine Strafe empfangen - war ungnaedig entlassen worden, gerade jetzt, wo
er mehr denn je noetig war.

Der Gedanke machte Bluecher zornig. Er knuellte den Lappen in der Hand
zusammen, hob, ohne diesmal zu schmuggeln, seine Saebeltasche hoch, schob
mit trotziger Energie die Hand hinein und tat ohne Umschweife den Lappen
zu den anderen.

"Ei, die schoene Saebeltasche!" sagte die Koenigin. "Geben Sie her, General!
Die muss ich mir genau ansehen!"

Und Bluecher hakte gehorsamst die Saebeltasche los und ueberreichte sie
seiner hohen Gebieterin.

Die Koenigin nahm sie, betrachtete sie genau, drehte und wandte sie nach
allen Seiten, untersuchte, wie sie zu oeffnen sei, blickte auch hinein und
fand ihre geraubten Leinwandfetzen drin huebsch saeuberlich
beieinanderliegen.

"Ach sieh", sagte sie hold laechelnd und hielt ihren wiedergewonnenen
Schatz hoch. "Seht nur den braven General Bluecher! Nicht genug, dass er
sich hier bei uns im Dienste der Naechstenliebe bemueht, er will sich auch
zu Hause weiter betaetigen - er hat sich Arbeit mitgenommen! Fuerwahr, ein
leuchtendes Beispiel ritterlichen Opfermuts. Indes, das duerfen wir nicht
annehmen. Die Leinenstreifen behalten wir hier. Sie werden doch nicht
darum kommen, sie zu zupfen, General! _Wir heben sie Ihnen bis morgen
auf_, wo wir Sie wiederum zum Tee und Scharpiezupfen erwarten!"

Worauf die Koenigin die Saebeltasche zurueckgab, die Leinwandstreifen vor
sich auf den Tisch legte und sie ausglaettete.

Bluecher war aber einer schoenen Dame gegenueber niemals auf den Kopf
gefallen, auch nicht, wenn es eine Koenigin war. Er stand also auf,
verbeugte sich galant, nahm der Koenigin rasch wieder seine ersparten
Leinwandstreifen ab, drueckte sie gegen sein Herz und sagte: "Halten zu
Gnaden, Majestaet, wenn ich diese Leinwandstreifen an mich nahm, so war es
keinesfalls, um sie zu Hause noch in Scharpie zu verwandeln, vielmehr, um
sie davor zu bewahren. In der Armee gibt's so manchen ritterlich gesinnten
jungen Mann, der jederzeit bereit ist, mit Freuden Blut und Leben fuer sein
Koenigshaus und seine Heimat zu opfern. Unter all den jungen Leuten gibt's
aber keinen - wie auch unter uns alten nicht -, der nicht das Bild unserer
liebreizenden Koenigin im Herzen truege. Sie ist in Wahrheit unsere
Schutzheilige geworden. Und deshalb wollte ich den kuehnsten unter den
wackeren Streitern diese Streifen verehren, auf dass sie sich damit
schmuecken wie frueher der Ritter, wenn er in die Schranken ritt, die Farben
seiner Herzensdame am Helm, und so zu immer groesseren Heldentaten entflammt
werden.

Das duenkt mich der Sache unseres Vaterlandes nuetzlicher, als wenn daraus
Scharpie gemacht wird!"

"Uns aber nicht", sagte die Koenigin, die ein leichtes Erroeten bei den
Worten des alten Schwerenoeters nicht unterdruecken konnte. "Wir freuen uns
ueber die Zuneigung, die aus Ihren Worten spricht, Herr General, sind aber
nicht so eitel, fuer unsere Person Ritterdienste anzunehmen, die einzig und
allein dem Lande zu gelten haben. Die Leinwandstreifen geben Sie mir nur
wieder her. Wir haben dafuer etwas anderes, das wir Ihnen in die
Saebeltasche hineintun moechten, damit Sie doch nicht ganz leer ausgehen.
Hier -", sie entnahm einem, auf einer Konsole neben ihr stehenden Naehkorb
einen Brief und reichte ihn Bluecher. - "Nehmen Sie das mit, aber lesen
Sie's erst, wenn Sie zu Hause sind! Der Koenig gab es mir fuer Sie! Er
schreibt Ihnen hoffentlich viel Erfreuliches drin! Und nun wollen wir Sie
fuer heute nicht laenger in Anspruch nehmen. Sie werden neugierig sein und
wissen wollen, was in dem Briefe steht!"

Sie reichte Bluecher die Hand, und er kuesste sie, verbeugte sich tief und
ging.

Schon im Vorzimmer erbrach er das koenigliche Schreiben.

Es enthielt die Ernennung zum Kommandanten eines neu zu bildenden Korps,
das von Pommern aus, mit schwedischen und englischen Hilfstruppen vereint,
im Ruecken der franzoesischen Armee operieren, so die Bewegungen der
Hauptarmee erleichtern und womoeglich auch die beiden Festungen Kolberg und
Danzig entsetzen sollte.

Die Ernennung erfolgte auf ausdrueckliches Ersuchen des Koenigs Gustav Adolf
von Schweden, der den General Bluecher gern zum Befehlshaber des
verbuendeten preussischen Kontingents haben wollte.

"Da waeren wir gewissermassen wieder in schwedischen Diensten angelangt",
sagte Bluecher, steckte das Schreiben ein und verliess das Schloss, nicht
gerade erfreut. Ihm waere es lieber gewesen, schon jetzt und in ganz
anderer Weise den grossen Wurf gegen Napoleon zu wagen, der so mit Haenden
zu greifen und gar nicht zu verfehlen war.

Dagegen duenkte ihn jenes Kommando in Schwedisch-Pommern wie eine
Verbannung.

                                   *

Es war ein heisser Sommertag. Der Roggen bluehte, die Aehren standen dicht
und steif ueber den Feldern am Memelfluss.

Hier und dort stieg eine leichte Wolke feinen Samenstaubs in die Luft,
schwebte in niedriger Hoehe ueber den Feldern und senkte sich wieder.

Kein Blatt bewegte sich.

Inmitten eines Feldes, unweit vom Fluss, rieselte eine leichte Bewegung
durch die Aehren und pflanzte sich im Zickzack quer durchs Feld fort bis
zum Grabenrand.

Und da kam - eine Maus heraus, blickte sich scheu nach allen Seiten um und
lief dann im Grase weiter dem Fluss zu. Aber nicht vorsichtig genug, um
unbemerkt zu bleiben.

Der scharfe Blick eines Bussards, der hoch oben in den Lueften seine Kreise
zog, hatte die Bewegung in den Aehren erspaeht. Kaum hatte die Maus den
schuetzenden Strohwald verlassen, so schoss er pfeilschnell hinunter, packte
sie und schwang sich hoch ueber dem Fluss in die Hoehe, seinen Raub in den
Krallen.

Ein Schuss - ein krampfhaftes Schlagen mit den Fluegeln - die Krallen liessen
ihre Beute los - ein kurzes hilfloses Flattern, und dann stuerzte der
Raeuber schwer getroffen zu Boden.

Sein Opfer aber schwamm gerettet unten im Fluss auf das naechste Ziel zu -
ein maechtiges Floss, das mitten im Wasser verankert lag.

Von keinem bemerkt, erreichte die Maus die rettenden Planken, kroch aus
dem Nass herauf, lief rasch ueber das Floss auf einen daraufstehenden
Pavillon zu, schluepfte unter den Vorhaengen hinein und verschwand.

Es war kein gewoehnliches Floss, auf dem die Maus so unverhofft gelandet
war.

Ueber Nacht auf Befehl eines maechtigen Kaisers entstanden, trug es auf
seinem glatten Bretterbelag einen aus kostbaren Stoffen und Teppichen
hergerichteten Pavillon, bestimmt, die beiden groessten Herrscher und
Gebieter der gewaltigsten Kriegshaufen der Erde zu friedlicher Zwiesprache
zu vereinen.

Der Zar aller Reussen, bei Friedland blutig aufs Haupt geschlagen, hatte
Napoleon um Waffenstillstand gebeten und zugleich den Wunsch geaeussert, den
"groessten Mann des Jahrhunderts" persoenlich zu sprechen.

Napoleon willigte ein, legte die Zusammenkunft auf den naechsten Tag - den
fuenfundzwanzigsten Juni - und gab seinem Artilleriegeneral Lariboissiere
den Befehl, fuer einen moeglichst pomphaften Rahmen zu sorgen.

Mitten im Fluss, wo die Demarkationslinie verlief, wollte der Sieger den
Besiegten empfangen.

So kam es, dass gegen Mittag an den Ufern des Memelflusses die beiden
feindlichen Armeen Aufstellung nahmen.

Was an Bevoelkerung da war, wurde gleichfalls zusammengetrommelt, um mit
dem bevorstehenden, glanzvollen Schauspiel beglueckt zu werden.

Alles war also vereinigt, was zu einer gelungenen Vorstellung gehoert: ein
geraeumiger, leicht zu ueberblickender Schauplatz, prunkhafte Dekorationen,
ein dankbares Publikum und eine stimmengewaltige, gut gedrillte Claque.

Die Hauptdarsteller liessen noch auf sich warten.

Der Schuss, der vorhin flussaufwaerts gefallen war und der dem Maeusebussard
das Leben gekostet hatte, hatte nicht viel Aufregung verursacht.

Man hatte das Opfer gesehen und den Taeter als einen der Baumeister des
Flosses festgestellt, dem kein Attentatsgeluest auf einen hohen Herrn
zuzutrauen war.

Das Publikum hatte den Knall als Zeichen zum Beginn des Spektakulums
aufgefasst und war enttaeuscht, weil nichts daraus wurde.

Denn noch hatte die Uhr nicht eins geschlagen. Und puenktlich um eins
sollte die weltbewegende Begegnung stattfinden.

Die Zeitchronisten haben es unterlassen, die hochwichtige Feststellung zu
machen, ob die Uhr die Ehre hatte, nach franzoesischer oder russischer Zeit
die bedeutsame Stunde zu schlagen.

Die russische Uhr geht bekanntlich vor.

Aber Russland war besiegt und konnte also gereimterweise keinen Anspruch
auf den Vortritt erheben. Und der Franzmann ist galant, wenn er nur als
Sieger einherschreiten darf, und demuetigt seinen Besiegten nur, wenn er
von ihm keine Vorteile erhoffen kann.

Anzunehmen ist wohl, dass die Arrangeure des Schauspiels sich auf
preussische Zeit geeinigt hatten, da man ja Preussen erobert und es auch
sonst in jeder Hinsicht in der Tasche hatte.

Preussen gab den Boden fuer die Veranstaltung her, die Bohlen und Bretter,
Stoffe und Teppiche und das ganze gemeine, schaulustige Volk. Es wuerde
ueberhaupt die Zeche zu zahlen haben. Warum sollte es denn nicht auch die
Zeit angeben!

Im uebrigen war Preussen nicht zum Friedensfest geladen.

Der Koenig von Preussen war wohl bei der Kunde vom Waffenstillstand schnell
nach dem kleinen Jagdschloss Szawl geeilt, wo der Zar sein Hauptquartier
hatte, und folgte dem Zaren von dort nach dem Dorfe Picktupoehnen, Tilsit
gegenueber, wo sie beide Wohnung nahmen.

Er war mit Recht besorgt. Denn weder war er gefragt worden, noch hatte man
ihn in die Konvention ueber den Waffenstillstand mit aufgenommen.

Er haette sich mit Recht sogar entruesten koennen.

Denn vor kaum zwei Monaten hatte der Zar mit ihm eine andere Konvention
geschlossen, in der sich beide Vertragschliessenden verpflichteten, nur
gemeinsam die Waffen niederzulegen.

Aber als regierender Herr wusste der Koenig wohl Bescheid, welche Sonderheit
solche politischen Vertraege an sich haben.

Er hielt jedoch nicht mit Vorwuerfen zurueck.

Der Zar aber nahm die Sache weiter nicht tragisch.

Er befand sich in der Lage eines jungen Mannes von Welt, der das Pech
gehabt hat, ein Spiel zu verlieren. Mit unbefangener Miene begleicht er
den Verlust. Wie hoch er auch ist, der gute Ton gebietet, ihn als
Bagatelle anzusehen. Man verbeisst sich den Aerger, nimmt frische Karten und
versucht bei einer neuen Runde noch einmal sein Glueck - bis es sich einem
zuwendet.

Das ist das Spiel. _C'est la guerre!_

Nur nicht die Haltung verlieren, dann kann man Unsummen verlieren und hat
doch im Grunde nichts verloren! Am allerwenigsten den Glauben und das
Zutrauen zu dem eigenen Koennen!

Den Glauben hatte der Zar!

Er war ein Genie, und das nicht nur in seinen eigenen Augen. Seine
gleichaltrigen Freunde, Dolgorucki, Lobanoff und all die anderen, sie
schwuren saemtlich darauf.

So wie er verstaende es keiner, mit durchblickendem Scharfblick jede
Situation sofort bis auf den Grund zu erschoepfen, den springenden Moment
zu erfassen und gleich zu entscheiden, was in jedem Fall zu tun - gewesen
waere.

Denn das wusste er. Den Treppenwitz hatte er. _Nachher_ - aber erst dann -
geruhte Seine Zarische Majestaet die Erkenntnis Ihrer Allweisheit
kundzutun, wenn seine Generaele schon mit echt russischer Schlamperei die
Schlachten verloren und die Feldzuege verbummelt hatten. Denn das
verstanden _sie_.

Und der Zar war grossmuetig, der Zar war gnaedig. Er war eine Seele von
Mensch und schlug ihnen nicht die Koepfe ab. Er dachte mit Gleichmut: ein
anderes Mal, wenn Gott ihnen eine nuechterne Stunde gibt, da erobern sie
mir die Welt! Und winkte herablassend gleichgueltig, laechelte kalt, behielt
die Haltung und sagte: "Nitschewo!"

Trotzdem mochten die Generaele ihn nicht bei der Armee haben und taten ihr
moeglichstes, um ihm den Aufenthalt dort zu verekeln. Aber umsonst.

Sie hatten seinen Busenfreund Czartoryski aufgewiegelt, ihm die Hoelle heiss
zu machen.

Der Gute setzte ihm auch brav zu und bewies ihm haarklein, dass er, der
Zar, bei seiner eigenen Armee nichts zu suchen haette. Sein Platz waere in
Petersburg, sein Amt das Regieren. In der Fuehrung von Armeen haette er gar
keine Uebung, er waere zu jung, zu unerfahren und was noch alles!

Der Zar hatte wohl kalt gelaechelt und "nitschewo" gesagt. Aber waeren nicht
die anderen guten Freunde gewesen, er haette sich vielleicht doch gefuegt!

Er, der Zar, haette sich von seinen eigenen Offizieren wie ein Schulbube
nach Hause schicken lassen.

Aber Dolgorucki hatte ihn bei der Ehre zu packen verstanden! Er hatte ihn
an den altrussischen Waffenruhm erinnert, dessen erster Hueter er jetzt
sein muesste! Er hatte ihm haarklein bewiesen, dass nicht Gelehrtheit, nicht
Erfahrung, sondern einzig und allein die faszinierende Persoenlichkeit die
Soldaten zur todesverachtenden Tapferkeit hinreissen und Schlachten
gewinnen koennte. Und diese Faehigkeit, beim ersten Erscheinen die Leute
hinzureissen, die hatte er, Alexander, wie kein Zar vor ihm! Er brauchte
sich nur zu zeigen, und alles war Feuer und Flamme!

Dies und noch viel mehr ging dem Zaren durch den Kopf, als er die
nuechternen Ausfuehrungen des sonst so wortkargen und gar nicht
unterhaltsamen Koenigs von Preussen ueber sich ergehen lassen musste. Er
blickte dabei laechelnd und ueber seine elegante Erscheinung aeusserst
befriedigt in den Spiegel gegenueber, der ihm getreulich half, die Miene
eines aufmerksamen Zuhoerers zurechtzulegen, und ihn auch dadurch
schliesslich so weit brachte, ein wenig zuzuhoeren.

Er lauschte also ein paar Sekunden den Auseinandersetzungen Friedrich
Wilhelms - gerade so lange, wie noetig war, um zu kapieren, dass der Koenig
ihn an ihre vorjaehrige Begegnung in der Garnisonkirche zu Potsdam mahnte
und auch an den feierlichen Treuschwur, den sie ueber dem Sarg des Grossen
Friedrich geleistet hatten!

Mein Gott, es war ja eine ganz huebsche Szene gewesen! Gutes Theater! Das
verstand er! Das hatte er gelernt!

Man macht nicht umsonst eine Schule durch, wie er, der Zar, sie hatte
durchmachen muessen!

Wenn je einer, so hatte er gelernt, mit dem Tod im Herzen sich laechelnd
und heiter zu zeigen und mit den Lippen zu scherzen, obwohl er bei jedem
Schritt den Strick um den Hals fuehlte! Stets den einen Fuss im Gefaengnis,
den anderen im Tanzsaal - stuendlich vom vaeterlichen Zorn den Tod erwarten
und doch den gehorsamen Thronerben und den liebenden Sohn herauskehren zu
muessen! Den liebenden Sohn - einem Vater gegenueber, den er hassen musste,
weil er ihm ans Leben wollte, und dessen Entthronung er schliesslich hatte
gutheissen muessen, um das eigene Leben zu retten.

Dass der Vater dabei sein Leben verlor - mein Gott, das war ja zu beklagen!
Er haette ihm schon das Leben gegoennt! Von ihnen beiden hatte nicht er dem
Vater - der Vater hatte ihm ans Leben gewollt! - Und wenn der alte Herr
dabei sein eigenes verloren hatte?! Nemesis!

Im Leben wie auf der Buehne - alles Theater! Nur seine Rolle tadellos
spielen! Darauf kam alles an! Das hatte er auch der lieben Mama gegenueber
gekonnt, die so gern regieren wollte und so boese war, als die Garden ihm
und nicht ihr nach dem Tode des Vaters huldigten. Wie hatte er sie dabei
gebeten, ihm doch die Last der Krone abzunehmen! Und wie brav fiel sie
darauf herein! Sprach ihren Herzenswunsch aus und gab sich ihm so in die
Hand! Eine Komoedie, wie sie im Buche steht!

Er wuerde auch heute seine Rolle gut spielen! Kein Wort von Politik
sprechen! Er wuerde den Korsen ganz leichthin ueber die Pariserinnen
befragen! Er wuerde ihm von den schoenen Russinnen vorschwaermen - beileibe
nicht von Preussen! Wozu auch von Preussen! Wozu von ernsten Dingen! Man
hatte ja seine Minister! Man kaeme doch zusammen, um sich persoenlich
kennenzulernen - sich gegenseitig in die Karten zu sehen -, nicht aber, um
gleich alle Truempfe auf den Tisch zu legen und offen zu spielen.

Er wollte Napoleon mit huebschen Histoerchen geschickt und elegant
einwickeln - sein Vertrauen gewinnen und dann, so ganz nebenbei, ihm
praktische Zugestaendnisse entwinden, die er sich nicht weigern koennte zu
machen, wenn er als guterzogener Mensch und als Mann von Welt etwas gelten
wollte.

Er wuerde ihm von seiner Jugend erzaehlen - von der Jugend eines Zaren. Den
ehemaligen kleinen korsischen Artillerieleutnant, der sich so recht und
schlecht durchgehungert hatte, muesste das doch interessieren! Er wuerde ihm
Intimitaeten von der Grossen Katharina zufluestern, von der lieben Grossmama,
die so gut fuer ihren Enkel zu sorgen wusste, die ihn schon als Knaben vom
Baum der Erkenntnis naschen liess, ihm huebsche Freundinnen zufuehrte und ihn
lehrte, bei all den geheimen Schleckereien am vollgedeckten Tische der
Liebe doch stets den Schein nach aussen hin zu wahren, sich niemals
erwischen zu lassen, sondern sich stets als Musterknabe Geltung zu
verschaffen. Die Grossmama, die hatte es verstanden! Die hatte ihm
geholfen, den lieben Papa an der Nase zu fuehren! Von ihr wollte er
Napoleon erzaehlen und dann von sich selbst! Vor allem von sich selbst als
Heerfuehrer!

Das wuerde ein Spass werden! Er wuerde Napoleon von den Schlachten erzaehlen,
die sie miteinander geschlagen hatten! Von Austerlitz vor allem! Vom
Kriegsrat seiner Generaele vor der Schlacht! Zum Waelzen war es, wie der
alte Kutusoff dasass und prompt wie immer einschlief, als die Beratung
begann! Wie die anderen Leuchten dann, der Fuerst Bagration, Buxhoevden,
Langeron _et tutti quanti_ - wie sie da herumstanden, sich von allem
moeglichen unterhielten und gar nicht zuhoerten, was der biedere Deutsche,
der General Weihroter, an der Hand der Karte Maehrens zu erzaehlen wusste -
wie sie gar nicht hinsahen - gar kein Deutsch verstanden! Nur Doktorow,
der gute, der gewissenhafte, der bodenlos langweilige, er hoerte zu, er
begriff! Wie aber dann Kutusoff erwachte, auf den Tisch schlug und
"Karascho!" sagte - "das haben Sie gut gemacht, Weihroter! Meine Herren
Generaele, Sie haben's gehoert? Sie haben's verstanden? Nicht?! Ein
Generalstabsoffizier soll's also ins Russische uebersetzen! Ein jeder soll
es schriftlich in Haenden haben! Und jetzt zu Bett!"

Und dann bekamen sie's schriftlich - vier Stunden nachdem die Schlacht
schon begonnen hatte!

"Napoleon hat ja gar keine Ahnung, wie leicht wir ihm das Siegen gemacht
haben! Er hat ja keinen Begriff von meinen Generaelen! Von meinem Marschall
Kamenski, der verrueckt wurde, als er zur Armee nach Wilna kam und den
Truppen sagte: Kinder, ihr seid verraten, am besten, ihr lauft gleich nach
Hause! Und der selbst dann auch sofort mit gutem Beispiel voranging. So
fingen _wir_ den Krieg mit Napoleon an! Und davon weiss er nichts! Er
glaubt, er hat da etwas noch nicht Dagewesenes geleistet, als er uns
schlug! Er sieht nicht, dass _wir_ nur gescherzt haben! Das werde ich ihm
aber gehoerig unter die Nase reiben - dann wird er klein, dann wird er die
Ohren einziehen. Und dann werde ich ihm sagen: 'Den russischen Soldaten,
Sire, den haben Sie erst gesehen! Aber ihn noch nicht kennengelernt, _wenn
er Ernst macht! Wir koennen auch Ernst machen, Sire!_ Aber wir wollen uns
lieber vertragen!'"

So leger - so von oben herab! Ich schone ihn - das wird der richtige Ton!
- Nicht als Supplikant - als der Herr des groessten Reichs der Erde - als
der geborene Sieger - - der sich nur aus Hoeflichkeit, aus guter Erziehung
schlagen liess - der sich nur nicht damit abgeben _wollte_, ihn jetzt schon
zu vernichten, weil, nun eben weil ich sein Genie bewundere! So wird's
recht!

Ein Adjutant trat ein und meldete, dass die Uhr jetzt halb eins waere, und
dass man um ein Uhr vom Kaiser der Franzosen erwartet wuerde.

Alexander stand auf, reichte seinem Bundesgenossen die Hand, versprach
hoch und heilig, alles das getreulich bei seiner Unterredung mit Napoleon
zu beruecksichtigen, wovon der Koenig von Preussen jetzt lang und breit
gesprochen und wovon der Zar kein Wort gehoert hatte - gab noch sein
Ehrenwort, nichts davon zu vergessen - was ja auch nicht gut moeglich war,
da er nichts davon im Kopfe hatte -, verabschiedete sich mit bruederlichem
Haendedruck, sprach die Erwartung aus, nach der Unterredung mit dem Feinde
die Beratung fortsetzen zu koennen, und ging.

Friedrich Wilhelm blieb allein zurueck und litt die nachtraeglichen Qualen
aller zaghaften und unentschlossenen Naturen.

Vor zwei Monaten, nach der verlorenen Schlacht bei Eylau, hatte Napoleon
Preussen in seine Kombinationen einbeziehen wollen und ihm
Wiederherstellung eines grossen Teiles seines Gebietes und ein Buendnis
angeboten, wenn Preussen von Russland abliesse.

Friedrich Wilhelm hatte ihm einen Korb gegeben. Aus purem Anstand!

Jetzt trat Napoleon in der gleichen Weise an Russland heran. Der Zar wuerde
aber sicherlich keinen Augenblick zaudern, Preussen im Stich zu lassen!

Friedrich Wilhelm waere ja selbst, trotz seinem Anstand, soviel
Realpolitiker gewesen, von Russland abzufallen, haette Napoleon ihm nur den
ganzen frueheren Besitz wiedergegeben! Er durfte also dem Zaren keine
Vorwuerfe machen, wenn dieser eine gute Gelegenheit besser zu benutzen
verstaende als er selbst! Und hatte es seiner eigenen Unentschlossenheit
zuzuschreiben, wenn er dem heutigen Verbruederungsrummel, statt als
Hauptteilnehmer, als betruebter Zuschauer aus der Ferne beiwohnen musste.

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Fuenf Minuten vor ein Uhr ging am linken Ufer der Kaiser Napoleon, von
einem glaenzenden Gefolge begleitet, an Bord einer schoen geschmueckten
Barke, von deren Hintersteven die Trikolore wehte.

Am rechten Ufer betrat zu gleicher Zeit der Zar Alexander mit seiner Suite
ein ebenso schoen geputztes Fahrzeug und liess das blaue Kreuz der
Andreasfahne entfalten.

Mit dem Schlage eins wurde Salut geschossen, die Musik intonierte links
vom Fluss die unvermeidliche Marseillaise - rechts die ebenso
unausbleibliche Zarenhymne.

Zu gleicher Zeit stiess man von Land ab - links eine Nussschale weltlicher
Groesse, rechts eine Nussschale ebenso weltlicher Nichtigkeit - und paddelte
brav und bieder nach der schwimmenden Buehne inmitten des Flusses hinueber,
wo heute die Drahtzieher des _theatrum mundi_ eine ihrer Hauptszenen vom
Stapel lassen wollten.

Zur gleichen Zeit legte man am Floss an. Die beiden machten ihr Entree auf
der Buehne und blieben wie auf Kommando freudig bewegt stehen. Der kleine
grosse Mann legte geschwind nach dem Rezept Talmas ein paar Zoll seiner
Groesse zu, schob die Schultern hoch, hob sich leicht auf den Fussspitzen und
schritt wie auf Kothurnen dem Zaren entgegen, die Arme liebevoll
ausgebreitet. Indes der Zar, lang, elegant, geschniegelt, geschnuert,
pomadisiert, frisiert und duftend wie ein ganzer Parfuemerieladen, die
Taille schmal wie die einer Wespe, die Brust geblaeht, die Augen blitzend,
das Laecheln zwei Reihen perlenweisser Zaehne zeigend, mit der Grazie eines
eleganten Kavaliers, der in der Quadrille gewandt gegen seine Dame
hinbalanciert, auf sein kleines Visavis zutanzte und es tiefgeruehrt an
seinen besternten Busen drueckte.

In gemessener Entfernung schaute in glaeubiger Andacht das Gefolge zu,
lauschte entzueckt dem schmatzenden Bruderkuss und harrte geduldig dessen,
was da noch kommen sollte.

An den Ufern tuteten und trommelten die Musikanten, die Grenadiere
Napoleons riefen "_vive l'empereur_", die baertigen "Naschi bratti" drueben
groelten etwas anderes, die braven Ostpreussen steuerten, um des lieben
Friedens willen einige gutgemeinte Lebehochs bei, die Kanonen donnerten,
im Zelt auf dem Floss flog die Maus in Todesangst die Waende hoch. - Sonst
schwamm alles in eitel Wonne.

Kurze Begruessung des beiderseitigen Gefolges. Die Namen Murat, Bessieres,
Berthier, Duroc, Caulaincourt wurden laut, desgleichen Grossfuerst
Konstantin "_mon frere_", "_mon __ami_" Fuerst Lobanoff, General Bennigsen,
Graf Lieven und noch ein General von des Zaren Gnaden.

Dann lud Napoleon seinen Gast in den Pavillon ein und liess ihm artig den
Vortritt. Sie gingen hinein - die Vorhaenge vor der Tuer wurden
zusammengezogen, und sie waren endlich allein.

Mit staunender Bewunderung zu Napoleon emporzublicken, war bei der
ueberragenden Koerperlaenge Alexanders nicht gut moeglich. Das fiel also von
selbst fort.

Aber die Sicherheit, die gewinnende Liebenswuerdigkeit und die natuerliche
Wuerde, mit der Napoleon sich gab, imponierten nicht weniger als die
gewaltigen Erfolge, von denen er getragen wurde.

Er begriff sofort: dem Manne konnte man nichts vormachen, da wuerde die
geplante Komoedie keine Wirkung haben, und jeder Versuch, ueberlegen zu tun,
waere bei ihm schlecht am Platze.

Mit schnellem Blick hatte Napoleon seinen Gast eingeschaetzt. Eitel,
oberflaechlich, unzuverlaessig, gerade so hatte er sich ihn vorgestellt!
Gerade so konnte er ihn gut gebrauchen! Ein vielversprechender junger
Mann!

Alexander sah, dass er dem Kaiser gefiel, und schaeumte sofort von
Herzlichkeit ueber.

"Warum", rief er, "muessen _wir zwei_ miteinander Krieg fuehren?"

"Seine Majestaet, der Kaiser von Russland, haben eben", antwortete Napoleon
verbindlich laechelnd, "sich dazu verleiten lassen, undankbare und
eifersuechtige Nachbarn, wie die Deutschen, zu schuetzen, und den Interessen
habsuechtiger Kaufleute, wie die der Englaender, zu dienen!"

Alexander fand sich bemuessigt, sich auf die Lippen zu beissen, und Napoleon
beeilte sich, den Eindruck seines Vorwurfs schnell zu verwischen.

"Den Bundesgenossen Englands bekaempfte ich in Eurer Majestaet, niemals aber
den Gebieter des grossmaechtigen Russlands!"

Alexander horchte auf.

"Wenn Sie nur den Kampf gegen England wollen, Sire," sagte er entschieden,
"dann werden wir uns leicht verstaendigen! Denn wenn je einer, habe _ich_
mich ueber England schwer zu beklagen!"

Und ohne eine Antwort abzuwarten, machte er gleich seinem Herzen Luft.

England hatte ihn in den Krieg gelockt! England hatte, wie immer, seine
Versprechungen nicht gehalten, seine Subsidien schlecht oder gar nicht
bezahlt und Truppen nur zum Schein geschickt, viel spaeter und in viel
geringerer Zahl, als ausgemacht worden war! Russland hatte eben nur den
Angriff Frankreichs auf England ablenken, selbst aber nichts dafuer haben
sollen! Dafuer zu bluten, waere aber der russische Soldat viel zu gut!

Dem pflichtete Napoleon ohne weiteres bei.

Er haette, sagte er, bei Austerlitz, bei Eylau und bei Friedland den
russischen Soldaten als einen nicht zu verachtenden, ja als einen
ebenbuertigen Gegner des franzoesischen kennengelernt. Russland und
Frankreich, von Natur aus zu Freunden bestimmt, haetten wie zwei blinde
Riesen aufeinander eingeschlagen. Warum? Sie wussten es selbst nicht! Einen
Vorteil braechte der Kampf weder dem einen noch dem anderen. Vereint
dagegen waeren sie unwiderstehlich und wuerden die Welt beherrschen!

Alexander schwieg.

Er sagte kein Wort von seinem ungluecklichen Bundesgenossen, der drueben am
anderen Ufer unter den russischem Generaelen wartete. Er blickte nur
Napoleon an und laechelte.

Napoleon verstand den Blick und erwiderte das Laecheln.

Und dann fingen sie an, die Erde zu teilen.

Erst erledigten sie den ueblichen Betrug an den gegenseitigen
Bundesgenossen.

Denn wozu hat man Bundesgenossen?

Was waere ueberhaupt ein intimes Verhaeltnis ohne das bisschen Untreue?

Erst die Untreue gibt ihm die rechte Wuerze!

Um die Aufregung und den Reiz beim Seitensprung haben zu koennen, darum
tritt man doch schliesslich in intime Beziehungen zueinander - wenn man es
auch erst nachtraeglich einsieht!

Unter Leuten von Welt versteht sich so etwas von selbst.

Jede Schandtat laesst sich plausibel machen! Schliesslich - wozu hat man
Geist - wozu Genie?!

Als der Erfahrenste in solchen Dingen half Napoleon seinem jungen Gast,
der die Anfaengerschaft nicht ganz verleugnen konnte, ueber den ersten
schweren Schritt hinweg und half ihm seine Buendnisverpflichtungen
zerpfluecken.

Die Sache war ja so einfach.

Als Freund und Verbuendeter hatte man doch immer das Recht, ja sogar die
Pflicht, bei den lieben Mitkaempfern zu intervenieren, wenn es Zeit war,
das Blutvergiessen einzustellen.

Als Verbuendeter Englands und kuenftiger Verbuendeter Frankreichs konnte der
Zar also England den Frieden mit Frankreich anbieten unter der Bedingung,
dass England den Verbuendeten Frankreichs - Holland und Spanien - ihre
Kolonien zurueckgaebe. Dafuer sollte es selbst Hannover zurueckhaben.

Napoleon wuerde in diesen Frieden einwilligen.

Weigere sich aber England, dann muesse man es unzweideutig wissen lassen,
dass es mit dem ganzen Kontinent Krieg haben wuerde.

Denn ausser Frankreich und Russland wuerden ihm dann Preussen, Daenemark,
Schweden und Portugal den Krieg erklaeren muessen, sobald die beiden
Verbuendeten es von ihnen verlangten.

Und man wuerde es verlangen.

Schweden wuerde sich vielleicht weigern. Und das waere gut. Denn dann koennte
Russland Schweden mit Krieg ueberziehen und ihm Finnland nehmen. - -

Alexanders Augen leuchteten, als Napoleon ihm diese Zukunftsmoeglichkeit
vorgaukelte.

Napoleon sah es.

"Der Koenig von Schweden ist allerdings Ihr Schwager", sagte er laechelnd,
und tat, als bemerkte er nicht die wegwerfende Bewegung, die Alexander bei
der Bemerkung machte. "Und er ist Ihr Verbuendeter. Wenn er aber _trotzdem_
nicht den guten Willen zeigt, sich Ihrer Politik anzubequemen, dann muss er
eben die Folgen tragen.

Schweden ist in seiner heutigen Gestaltung fuer Sie unmoeglich. Es ist der
_geographische Feind_ Russlands. Petersburg liegt zu nahe an der
finnisch-schwedischen Grenze - die schoenen Petersburger Russinnen koennen
in ihren Palaesten nicht ruhig schlafen, solange sie nicht davor sicher
sind, von den schwedischen Kanonen geweckt zu werden."

"Das", lachte der Zar, "waere allerdings eine Erwaegung, vor der alle
anderen Ruecksichten weichen muessten! Dem schoenen Geschlecht sind wir
entschieden jeden Krieg schuldig, den seine Ruhe von uns verlangt.
Finnland muessen wir unseren holden Damen zu Fuessen legen!"

"Das muessen Sie", erwiderte Napoleon. "Und was Ihren dritten Verbuendeten,
Preussen, betrifft -"

Alexander liess anstandshalber einen nicht allzu schweren Seufzer hoeren,
schwach genug, um Preussen nicht zu viele Provinzen zu retten.

"Hand aufs Herz, Sire," sagte Napoleon, der auch das nicht ueberhoerte,
"Russland kann nichts als Vorteile davon haben, wenn ich die deutschen
Hauptmaechte gehoerig schwaeche!"

Alexander murmelte undeutlich etwas von Ehrensache.

"Ich gebe zu, dass Sie Preussen gegenueber mit Ihrer Ehre engagiert sind",
sagte Napoleon. "Um Ihre Ehre zu retten und Sie frei zu machen, bin ich
auch bereit, Preussen gegenueber Zugestaendnisse zu machen.

Preussen hat meine Warnung, sich nicht auf englische Intrigen einzulassen,
verachtet, es hat verdient, vernichtet zu werden. Jedoch aus Freundschaft
fuer Russland will ich mich damit begnuegen, dass es mir seine polnischen
Provinzen, alles Land links der Elbe und Hannover abtritt, seine Armee
reduziert und eine Kriegskontribution zahlt. Doch davon spaeter. Die
Hauptsache fuer Sie wie fuer mich ist der Orient."

Alexander machte eine unfreiwillige Bewegung. Der Traum aller
Russenherrscher von der Herrschaft ueber Konstantinopel tauchte wie eine
Fata Morgana vor seiner Phantasie auf.

"Sie sind der Verbuendete der Tuerkei," sagte er schnell, "Sie haben mir
gegenueber dem Sultan seinen Besitzstand garantiert, Sie haben sogar von
Preussen verlangt, jeden Angriff Russlands auf die Tuerkei als Kriegsgrund zu
betrachten!"

"Ganz recht", sagte Napoleon. "Aber mein Verbuendeter, der Sultan Selim,
ist soeben, wie Sie wissen, wegen seines Buendnisses mit mir entthront
worden. Sein Nachfolger Mustapha muss also mein Feind sein. Sie sehen, ich
bin frei. Nichts hindert mich also, bei meinen Verbuendeten die gleiche
Vermittlerrolle zu Ihren Gunsten zu spielen, die Sie mir zuliebe bei Ihrem
englischen Alliierten spielen werden. _Ihre_ Rolle bringt Ihnen Finnland
ein. _Meine_ wird Ihren Gewinn noch um die Donaumuendungen vermehren. Ich
werde bei der Tuerkei die Ansprueche Russlands auf die Moldau und die
Walachei in aller Freundlichkeit, aber mit Nachdruck geltend machen.
Weigert sich die Hohe Pforte - und sie muss es -, so ergibt sich daraus
Krieg. Nach dem Krieg die Teilung."

"Und die Teilung?" fragte Alexander aufgeregt.

Napoleon, der gerade beim Verschenken war und dem Zaren grossmuetig schon
den dritten Teil von Schweden zugestanden hatte, schnitt nun einen
geraumen Teil aus dem Leibe der Tuerkei und gab Alexander Bessarabien, die
Moldau, die Walachei und Bulgarien - das letztere aber nur bis zum Balkan.

"Und Konstantinopel?" fragte Alexander immer aufgeregter.

Napoleon ueberhoerte es und stellte erst in aller Ruhe den Anteil
Frankreichs fest. Er wollte sich mit den tuerkischen Seeprovinzen begnuegen
und also Albanien, Thessalien, Morea, Kandia und die Inseln des Archipels
nehmen. Oesterreich muesse man wohl zur Beruhigung und als Entschaedigung fuer
andere verlorene Provinzen Serbien und Bosnien zugestehen.

"Und Konstantinopel?" fragte Alexander noch einmal mit Nachdruck.

Aber Napoleon ueberhoerte es wieder.

Er fing an, dem eitlen jungen Mann eine Menge wohlberechnete Komplimente
zu sagen.

Er ging aus sich heraus, er wurde herzlich und sogar warm, erklaerte ihm
seine ganze Sympathie, seinen heissen Wunsch, ihn als den ersten unter
seinen Freunden betrachten zu koennen, und forderte ihn schliesslich auf,
nach Tilsit ueberzusiedeln, damit sie sich alle Tage ohne Zeugen sehen und
sprechen koennten.

"Wir zwei erledigen dann in ein paar Stunden das, wozu unsere superklugen
Herren Minister sonst Wochen noetig haben! Zwischen uns beiden darf es eben
nichts Trennendes geben - gar niemand - gar nichts!"

"Nein, gar nichts, Sire!" antwortete Alexander eifrig. "Also -
_Konstantinopel_?"

Er liess dabei seine Hand schwer auf den Tisch fallen, als waere der Tisch
Konstantinopel und naehme er jetzt endgueltig von ihm Besitz.

Napoleon musste endlich seine Schwerhoerigkeit aufgeben.

"Konstantinopel?" sagte auch er und legte seine Hand noch schwerer auf den
Tisch, zog die Stirn in tiefe Falten und wandte den Blick nach innen. Fast
tonlos wiederholte er dann halblaut, wie fuer sich selber, indem er den
Kopf schuettelte: "Konstantinopel - nein - - - nein, niemals! Das waere die
Alleinherrschaft ueber die Welt!" - - -

Er blieb so einen Augenblick sinnend stehen, die Augen gesenkt, blickte
dann ploetzlich auf, sah die Enttaeuschung auf dem Gesicht des Zaren,
begriff, dass er ihm den ganzen uebrigen Orient nehmen koennte, wenn er ihm
nur Konstantinopel zugestehen wuerde, und beeilte sich, es wieder
gutzumachen.

"Nun," sagte er und verzog die Mundwinkel zu einem kaum merkbaren Laecheln,
waehrend das ganze uebrige Gesicht in steinerner Ruhe verharrte, "nun -
darueber laesst sich vielleicht noch reden! - Zwischen uns beiden darf es
eben nichts geben - gar nichts, was uns trennt!"

Und er blickte zum Zaren auf, holte mit der Hand aus, nahm mit Energie
einen Schritt zurueck und trat dabei der Maus, die sich, von dem schweren
Schlag auf den Tisch aufgeschreckt, nach einem anderen Zufluchtsort umsah,
unversehens auf den Schwanz.

Ein leises Quieken wurde hoerbar, und schnell wie der Blitz schoss die graue
Maus an seinem Fuss vorbei auf den Zaren zu, machte dort rasch kehrt und
verschwand wieder unter der schuetzenden Tischdecke.

Napoleon schrieb den Brettern und Bohlen des Flosses das Quieken zu und
blickte gar nicht hin.

Aber Alexander hatte die Maus gesehen und wich erschreckt zurueck.

Eine Maus - das bedeutet Unglueck, Entfremdung und Feindschaft!

Wie der Schatten eines fliegenden Vogels, so schnell war sie zwischen ihm
und Napoleon vorbeigehuscht, eben in dem Augenblick, als er versicherte:
"Nichts darf zwischen uns kommen!"

Der Herr der Welt hatte es nicht einmal in seiner Gewalt gehabt, jenes
armselige Wesen daran zu hindern, sein Machtwort Luegen zu strafen! Wie
wuerde er dann wohl verhueten koennen, dass etwas Ernsthaftes sich zwischen
sie beide schleichen wuerde!?

Die Teilung einer Welt, an der auch die Maeuse, wenn auch noch so
bescheiden, Anspruch auf Beteiligung erheben konnten, war dem Zaren fuer
den Augenblick verleidet. Seine zartbesaitete Seele war nicht fuer
derartige dunkle Genossen gestimmt. Er schwieg von Konstantinopel,
begnuegte sich vorlaeufig mit Napoleons halber Zusage, liess noch
anstandshalber ein Wort fuer den armen Koenig von Preussen fallen, den er am
naechsten Tag hier auf demselben neutralen, wenn auch schwankenden Boden
Napoleon vorstellen wollte, versprach nach Tilsit ueberzusiedeln, nahm den
Kaiser am Arm, ging mit ihm hinaus, fuehrte ihm nochmals seinen Bruder und
sein Gefolge in Freiheit dressiert vor, sagte den goldstrotzenden
franzoesischen Marschaellen einige wohlueberlegte Artigkeiten, fiel dann
wieder seinem Cousin Napoleon um den Hals, empfing auf beiden Backen den
obligaten Abschiedskuss und gab ihn getreulich wieder. Er bestieg dann
seine Barke, Napoleon die seine, und so ruderten sie wieder dahin zurueck,
woher sie gekommen waren, unter dem Donner der Kanonen und den Hurrarufen
ihrer Soldaten, die jetzt ebenso bereit waren, sich zuzujubeln, wie vor
einigen Tagen sich gegenseitig zu zerfleischen.

                                   *

"Weiss Er was, Gneisenau," sagte Bluecher und zeigte auf den Berg von
Geschriebenem, der auf seinem Schreibtisch ragte, "weiss Er, was das ist?"

"Nun?"

"Das sind meine Kanonen - das ist mein Pulver, meine Flinten und die
scharfen Hiebe, die ich jetzt noch austeile. _Akten_, Gneisenau - Akten!
Staubiges, tintiges Papier - krumme Gedanken weitschweifig hingekraxelt -
fades Geschleime mueder Gehirne - keine Fanfaren, die zum Angriff rufen -
kein klares Kommando vorwaertszusausen, die Sache beim Schopf zu packen und
rasch in Ordnung zu bringen! Ein muedes Hinschleppen ist's, ein tristes
Schleichen, ein schluerfendes Leisetreten, ein banges Zurueckweichen, ein
scheues Schielen um alle Ecken, ehe man den Fuss hinzusetzen wagt! Gott
verdamm' mich, wenn ich bloss daran denke, tritt mir die Galle ueber!
Schmidt, 'n frischen Piep!"

Er streckte die Hand mit der ausgebrannten Tonpfeife hinter sich, ohne
sich umzusehen.

Der Kammerhusar Schmidt nahm die Pfeife, ging hinaus und kam gleich wieder
herein mit einer frisch angebrannten zwischen den Lippen, paffte wie ein
Schornstein, bis sie gut in Gang war, nahm sie dann aus dem Mund und
steckte sie Bluecher unter den Schnurrbart.

Bluecher qualmte und rauchte, was das Zeug hielt, und legte dann gleich
wieder los.

"Ich hatte mir das ganz anders vorgestellt, als man mich zum
Generalgouverneur von Pommern machte und mir das Kommando hier gab!

Erst stibitze ich mir das bisschen Pommern zusammen, dachte ich, bis ich es
ganz habe. Dann die Mark Brandenburg dazu - dann Westfalen und Sachsen und
all das andere, bis ich Preussen wieder zusammengeflickt habe! So hab' ich'
s mir gedacht! Und das waere im Handumdrehen gemacht, haette man mich nur
gewaehren lassen! Aber man wagt nicht - man schlaeft! Schwerenot! - Ich muss
hier sitzen und Akten produzieren und dummes Geschreibsel fressen, statt
etwas Nuetzliches zu tun. Und jetzt gar noch andere richten, die so kuehn
waren, ohne Befehl loszuschlagen, um das Vaterland zu retten! Das," sagte
er und liess seine Hand schwer auf die Akten fallen, "das ist alles, was
Schill mit seinem tollkuehnen Losbrechen an greifbarem Gut erreicht hat -
alles, was er und seine Leute mit ihrem Blut erstritten haben -, dieser
Berg von geschriebenem Papier, den ich jetzt fressen muss. Der Aktenwust
ist ja auch ein ganz grosses Stueck vom Vaterland, das ist nicht zu leugnen,
das beste aber nicht! Und meinetwegen koennte das der Teufel gern holen! Je
eher, je lieber!

Ist's aber erhoert, mich zum Richter in so 'ner Sache zu machen? Wie?
Gerade mich, der ich doch immer auf dem Sprung stand, genau wie Schill
loszubrechen! Nun - das weiss Er doch am besten, Gneisenau!"

"Das weiss ich", antwortete der Angeredete. "Aber die anderen nicht!"

"Nun, ist das eine Art, mich zu zwingen, gewissermassen in eigener Sache
hier zu richten?! Ich komme mir als Richter direkt befangen vor!"

"Mir auch!" erwiderte Gneisenau.

"Nun, dann bleibe ich auch dabei! Ich bleibe ehrlich befangen und werde
mein Bestes tun, um die armen Kerle herauszuhauen!"

"Da denken Exzellenz ganz recht!"

"Fuer einen Schildbuerger ist Er ganz helle, Gneisenau, und versteht mich
ganz gut. Nun, Er ist ja nicht nur in Schilda geboren, Er ist auch von den
Jesuiten erzogen, und da hat Er's wohl her! Dafuer bin ich Freimaurer und
helfe, wo ich helfen kann. Die armen Kerle haben brav ihr Blut fuer's
Vaterland verspritzt, und das soll ihnen unvergessen bleiben."

"Wie viele sind es?" fragte Gneisenau.

"An die neunhundert werden's wohl sein. Allerdings, was dem Herrn Napoleon
in die Klauen fiel, kann ich nicht retten. Ich denke aber, wir brechen
einmal die Ketten, mit denen der Hund sie an seine Galeeren schmieden
liess. Und unsere herrlichen Jungens, die er auf den Waellen Wesels
niederknallen liess - solange auf deutscher Erde ein Herz noch schlaegt,
werden die Schillschen Offiziere drin ein Ehrendenkmal haben. Ein stilles
Glas ihrem Andenken!"

Sie tranken aus und blickten eine Weile schweigend vor sich hin.

Bluecher ging auf und ab und betrachtete dann und wann den jungen Obersten,
der vor ihm sass. Schlank, elegant bis in die Fingerspitzen ein vollendeter
Weltmann, mit einem feinen, frischen, sympathischen Gesicht, dessen
lebhaftes, stets bewegliches Mienenspiel ein reiches inneres Leben
widerspiegelte.

"Er hat es sich leicht gemacht, Gneisenau", sagte Bluecher dann, setzte
sich und goss sich wieder ein Glas voll. "Er hat seine Arbeit getan, und
nun, wo Stein und Scharnhorst von ihren Stellen haben weichen muessen, da
geht Er auch. Da macht Er nicht mehr mit, treibt sich draussen in England
rum, hat sein flottes vergnuegtes Leben und laesst der Welt ihren Lauf!"

"Wer weiss, wozu es gut ist", lachte Gneisenau wieder. "Am Ende bin ich
auch unterwegs meinem Vaterland nuetzlich."

"Das bleibt einem ja auch so unbenommen", meinte Bluecher. "Wenn's so
weitergeht, wie jetzt hier zu Hause, dann gehe ich auch in auslaendische
Dienste!"

Und damit liess er ein Ungewitter los gegen die verfluchte Schlamperei und
gegen das bange Ausweichen vor den Anmassungen Napoleons.

Zunaechst war es Stein, der, kaum ins Amt gekommen, auf Befehl des
Allgewaltigen hatte gehen muessen, allerdings nachdem er in den vierzehn
Monaten seiner Dienstzeit Preussen von Grund aus umgekrempelt hatte. Bis
auf die Volksvertretung hatte er alle Plaene zur Umorganisation der
Verwaltung durchgefuehrt, die er seinerzeit mit Bluecher in Muenster
besprochen hatte, und mit der Heeresorganisationskommission zusammen, die
Scharnhorst leitete, das Heer auf Grund der allgemeinen Dienstpflicht
neugeordnet.

Jetzt war er ob seiner Tuechtigkeit von Napoleon geaechtet worden, und
Hardenberg, den der allgewaltige Gebieter Europas einst als
Friedensunterhaendler und Staatsminister in Tilsit abgelehnt hatte, war
wieder in Gnaden von ihm aufgenommen und als Staatskanzler des Koenigs von
Preussen zugelassen worden.

Alles wurde durchgekramt und genau eroertert, auch wurde im Fluesterton die
geheime Mission besprochen, die Gneisenau im Auftrag des Auswaertigen Amtes
auf seiner Reise in England ausfuehren sollte.

Da kam Bluechers Sohn und Adjutant hinzu und meldete dem Vater, der Graf
von Gottorp waere von Kolberg aus hier in Treptow angekommen.

"Ich will ihn nicht sehen, wenn er nach mir fragen sollte!" rief Bluecher
lebhaft. "Der arme Mann tut mir leid. Ich moechte ihn nicht beschaemen. Ich
will ihm nicht in seiner jetzigen traurigen Verfassung begegnen, nachdem
ich in seinem Glanze mit ihm verkehrt habe. Aber du sollst in jeder Weise
gut fuer ihn sorgen. Es soll von uns nicht gesagt werden koennen, dass wir
mit einem Ungluecklichen kein Mitleid haetten!"

Der Adjutant ging.

Bluecher paffte eine Weile vor sich hin.

"Ja, ja, der Graf von Gottorp!" sagte er sinnend. "Vor nicht langer Zeit
hiess er Koenig Gustav Adolf von Schweden. Und ploetzlich, eines Tages kam er
ohne Krone und mit einem Diener als einzigsten Untertan hier durch auf der
Reise zu seinen lieben Verwandten in Russland. Jetzt ist er schon wieder
zurueck. Sein Schwager Alexander hat ihn wohl nicht ueber die Grenze
gelassen! Ein tolles Schicksal!"

Er paffte weiter und spuckte energisch aus.

"Es gibt eben Monarchen und Monarchen!" sagte er. "Ob aber die mit dem
gesunden Verstand oder die ganz verrueckten die schlimmsten sind, moechte
ich ungesagt sein lassen.

Ich habe beide Sorten ausprobiert.

Besonders die verrueckten, damals, als ich mit eben diesem gewesenen
Schwedenkoenig den glorreichen Feldzug hier in Pommern anfing, aus dem aber
auch nichts wurde, weil die Sicherheitskommissare in unserer Regierung es
so eilig hatten, uns den faulen Tilsiter Frieden zu bescheren. Gott
verdamm' sie!"

Er spuckte aus.

"Ein eigenwilliger Kerl, jener Schwedenkoenig!" sagte er dann. "Ein
Querkopf erster Guete! Zum Kuessen bockbeinig, ganz nach meinem Sinn! Immer
mit dem Kopf durch die Wand - und so muss es sein! Man muss nur wissen, wann
und wo und vor allem wozu. Und das wusste er nicht! Eben sein Pech! Das hat
ihm seine Krone gekostet!

Zuerst fiel ich doch auf ihn herein!

Kein Wunder bei der Zaghaftigkeit und Unentschlossenheit da oben bei uns!

Es war direkt erfrischend, als ich zuerst sah, wie er seine viel zu
friedfertigen Generaele schurigelte und Feuer hinter ihnen zu machen wusste!

Mit dem Manne laesst sich etwas anfangen, dachte ich gleich! Ganz ein Koenig,
wie ich ihn gebrauchen kann!

Als ich aber zum Losschlagen fertig war und er immer noch nicht seinen
Waffenstillstand mit den Franzosen aufkuendigen wollte, da gingen mir die
Augen auf. Ich dann wie der Blitz nach Stralsund und hinauf zum Koenig!

'Majestaet,' sagte ich, 'die pommersche Armee steht schlagfertig an der
Peene aufmarschiert und bereit, in Preussisch-Pommern einzuruecken, sobald
die schwedische mittut! Wir duerfen keine Zeit versaeumen! Danzig ist leider
Gottes nicht mehr zu retten, aber Kolberg haelt sich noch, das retten wir,
und Spandau und Stettin nehmen wir durch Ueberrumpelung sofort, wenn wir
nur nicht zaudern! Mir koennen Majestaet vertrauen, meinen Unterfuehrern
auch. Der Oberst Buelow hat die Infanterie in die beste Verfassung
gebracht, Borstell die Kavallerie, und die Freischaren Schills und
Marwitzens stoeren schon dem Franzosen seinen Schlaf! Die besten Pferde aus
Schleswig-Holstein stampfen in meinen Staellen vor Ungeduld, ihren Hafer zu
verdienen. Flinten und Kanonen sind funkelnagelneu nebst Pulver und Blei
aus England angelangt und gehen von selbst los, wenn _wir_ nicht schiessen.
Und was die Leute betrifft - es waren allerdings nur
viertausendachthundert, die ich aus Pillau mitbrachte. Sie sind aber in
den paar Wochen durch Freiwillige und Ranzionierte auf das Doppelte
angewachsen, kaum dass ich einen Aufruf veroeffentlicht hatte! In dem
Augenblick, wo wir ueber die Grenze gehen, werden die Leute in hellen
Haufen zu unseren Fahnen stroemen. Meine Armee wird wie ein Schneeball
wachsen, sehen die Leute bloss, dass wir Ernst machen! In Mecklenburg,
Hannover, Westfalen, Hessen ist alles vorbereitet, alles wartet. Im
Handumdrehen werden wir das ganze Volk unter Waffen haben. Und der Krieg
ist gewonnen! Nur frisch gewagt, und wir machen das Spiel!'

Der Koenig kuemmerte sich aber nicht darum! Er hoerte kaum zu.

'Hoer' Er, Bluecher!' sagte er nur. 'Komme Er mit! Ich will Ihm etwas
zeigen!'

Und dann stiefelte er los durch die Stadt nach den alten Aussenwerken hin,
kletterte in einer Bastion hoch, stellte sich da dicht hinter die
Brustwehr, die Arme verschraenkt, stand so eine Weile Statue, zeigte mir
sein heldisches Profil und blickte ueber die Gegend hinaus.

Dann fing er an, mit grossen Gesten in alle Himmelsrichtungen
hineinzuzeigen, und legte los.

'Komme Er her, Bluecher, komme Er nur her!'

Und ich musste gehorsamst hinaufklettern.

'Hier, wo ich jetzt stehe, auf eben diesem Flecke, stand vor bald hundert
Jahren Karl der Zwoelfte, ueberallhin sichtbar, mitten im dichtesten
Kugelregen! - - Kann ich auch, Bluecher - werde ich auch tun -, verlasse Er
sich nur darauf! - Mitten im dichtesten Kugelregen stand also der
Heldenkoenig da - und um ihn herum fielen seine Leute wie die Fliegen. Er
aber feuerte sie an. Dort - sieht Er? - von jener Pforte aus liess er seine
Tapferen zum Ausfall antreten! - - Da drueben stand der Feind -, da gerade!
Sieht Er? Da hatte er seine Batterien, und sie spien ganze Orkane von
Eisen gegen den einsamen Mann hier, dass Sand und Erde hoch um ihn
herumspritzte. Er aber wankte nicht - er wich nicht -, aufrecht stand er
da und rief immer wieder: 'Vorwaerts, ihr Blauen, packt sie, schlagt sie!!'
- Und seine Blauen rannten gegen die Uebermacht an, warfen die Feinde mit
blutigen Koepfen zurueck, vernagelten die Batterien und kehrten mit Wunden
bedeckt zurueck, Gefangene und Beute mit sich schleppend.

Niemals waere Stralsund gefallen, haette Koenig Karl bei seinen Leuten
bleiben koennen. Denn auf ihn allein kam es an! Wo er dabei war und sie
anfeuerte, da waren sie unwiderstehlich, sonst nicht! Und er musste fort.

_Ich_ aber bleibe! Ich weiche nicht von dieser Stelle, wie sehr man auch
zu Hause nach mir verlangt! Und ich schwoere Ihm, Bluecher, niemals wird der
Franzose ueber diese Waelle kommen!'

'Das ist alles schoen und gut', meinte ich. 'Aber wir wollen es lieber
nicht darauf ankommen lassen, dass der Franzose erst bei uns anklopft,
sondern ihm lieber jetzt gleich die Waffenruhe aufkuendigen, ihn aufsuchen
und aufs Haupt schlagen!'

Nein, das wollte der Koenig nicht. Erst muessten die Englaender da sein, das
Traktat mit den Insulanern muesste unterschrieben werden, und was noch!

Da half kein Reden. Er hatte seinen Kopf fuer sich!

Ich hab's mit der Eigenliebe versucht. Ich habe ihm seinen Namensvetter
und Ahnen, den grossen Gustav Adolf, als Beispiel hingestellt. Er hatte
aber an Karl dem Zwoelften einen Narren gefressen. Und von allen beiden
Helden hatte er gleich wenig abgekriegt. - Man sagt ja, der finnische
Hofstallmeister Munk habe in allerhoechstem Auftrag seinen Vater zum Vater
gemacht. Und da war's ja kein Wunder, wenn's mit den anderen Ahnen
haperte.

Ich haette ihn nicht herumgebracht. Da kam gerade Schill herangaloppiert
mit der Nachricht vom Waffenstillstand zwischen Russland und Frankreich,
dem wir auch beitreten mussten.

Ich habe geflucht, als ich's hoerte. So schoen wie wir bereit waren! Und da
sollte es wieder nichts werden! Ich musste es dem Koenig mitteilen und
kletterte noch einmal zu ihm hinauf.

Da nahm er mich beim Arm.

'Wer ist das?' fluesterte er und zeigte auf Schill. 'Nehme Er sich nur vor
dem in acht! Der ist gefaehrlich! Der wird Ihm gehoerig in die Suppe
spucken!'

'Ich wuensche, Majestaet,' sagte ich dann, 'dass ich noch ein paar solche
Kerle unter meinen Leuten haette. Denn er hat das schlechteste
Fuehrungsbuch, das ich noch jemals bei einem Offizier gesehen habe,
abgesehen von meinem eigenen, als ich in den Jahren war! Und er ist der
beste Offizier, den man sich wuenschen kann! Der geborene Rebell gegen
jeden Zwang, keck, uebermuetig, tollkuehn, reitet wie der Deibel, schiesst wie
ein Gott, ist hinter den Weibern her wie hinter dem Feind, und in beiden
Faellen unwiderstehlich! Er stuermt die Hoelle, wenn's sein muss! Wenn wir
noch Kolberg haben - ihm ist's zu verdanken. Denn da war's unter dem alten
Loucadou schon so weit wie in den anderen Festungen! und Schill und
Nettelbeck stachelten dann die Buerger auf, einen anderen Kommandanten zu
erbitten. So kriegten wir den Gneisenau hin.'

'Ja, der ist gut,' sagte der Koenig dann, 'sonst aber ist's eine Schande,
wie sich Ihre hoeheren Offiziere benommen haben! Und da waren doch tapfere
Leute darunter.'

'Gewiss', sagte ich. 'Es kam aber wie eine Seuche ueber sie mit den
Kapitulationen, und da hilft nur eine eiserne Kur!'

'Ueber die Bank schiessen!' sagte der Koenig - 'und den zuerst!' fluesterte er
dann, auf Schill zeigend, 'denn der ist gefaehrlich. Er hat's mit der
Melancholie! Ich seh's ihm an!'

Ich habe laut lachen muessen!

Aber der Koenig wiederholte: 'Er hat's! Ich kenne die Sorte! Meine Schweden
sind auch so! Sie fliegen auf wie eine Rakete, und dann, auf einmal, packt
sie die Melancholie, sie zerplatzen in lauter feurige Traenen, verpuffen,
und weg sind sie! Passe Er nur auf! Er wird's noch mit dem Schill erleben!
- - Was wollte er?' fragte er dann auf einmal neugierig.

Ich brachte ihm dann schnell bei, sein lieber russischer Schwager haette
uns drueben in Tilsit mit seinen Friedensverhandlungen einen boesen Streich
gespielt, und wir haetten nun die Zeit verpasst.

'Was?' rief er dann. 'Waffenstillstand haben die gemacht! _Dann kuendige
ich meinen sofort!_ Das wird sie kurieren! - Essen!' rief er seinem
General zu, 'wir kuendigen heute dem Marschall Brune die Waffenruhe! Und
meinem Schwager, dem Kaiser Alexander, wird geschrieben, wenn er mit dem
Moerder des Herzogs von Enghien jemals Frieden macht, ja wenn er nur daran
denkt, dann schicke ich ihm den Andreasorden zurueck - dann kuendige ich ihm
die Bekanntschaft -, dann gruesse ich ihn nicht mehr! Er soll sehen,
Bluecher, _dem setzt sich der Kaiser Alexander nicht aus_! Wir schlagen
also los, wir beide! Das wird die beste Antwort auf seinen
Waffenstillstand! So ein Bloedsinn akkordiert sich immer am besten mit der
Waffe in der Hand. Also: kuendigen, Essen!'

Der General Essen machte Einwaende.

Da brachte man aber die Meldung, die Englaender landeten endlich auf Ruegen,
und da war ich obenan. Der Waffenstillstand wurde gekuendigt, wir ruesteten
mit Feuereifer zum Aufbruch. Ein paar Tage hing mir der ganze pommersche
Himmel voller Geigen, und ich hatte schon die Welt so gut wie in der
Tasche.

Ich sah schon den Sieg zum Greifen nahe und streckte bereits die Hand
danach aus.

Da fielen mir die Sicherheitskommissare drueben in Tilsit mit dem
niedertraechtigsten und schandbarsten Friedensschluss, der je da war, in den
Arm - Gott strafe sie! - Gerade als ich die Marschbefehle ausgegeben
hatte! Und ich musste nun wieder hin zum Koenig Gustav Adolf - jetzt aber um
ihn zu bitten, den Waffenstillstand, dessen Kuendigung ich ihm eben mit
Muehe und Not abgerungen hatte, wieder zu verlaengern.

Da wurde er ganz wild, und ich konnte es ihm nicht verdenken, denn ich war
selbst bis zum Hals geladen.

Ob ich ihn wohl fuer verrueckt hielte? rief er mir zu. Und das tat ich ja,
obwohl mir seine Verruecktheit viel lieber war als manche daemliche Klugheit
bei uns drueben in Memel. Er wuerde jetzt erst recht losschlagen, rief er
noch. Und wer nicht mit ihm waere, der waere gegen ihn und wuerde danach
behandelt werden!

Er haette seine Aufgabe vom Himmel bekommen, sagte er -, er sei vom
Schicksal bestimmt, Napoleon zu stuerzen, die Bourbonen auf den Thron ihrer
Vaeter wieder einzusetzen und das vergewaltigte Recht zu Ehren zu bringen.

Dann kam er mir mit der Offenbarung Johannis und bewies mir haarklein, die
apokalyptische Hure, das waere die franzoesische Republik, und das wilde
Tier, mit dem sie sich abgab, waere Napoleon, und er, Gustav Adolf, waere
es, der dem Tier alle seine Koepfe abschlagen wuerde, die da alle Kronen der
Welt truegen! - - Nun, ich bin in der Apokalypsis nicht so gut beschlagen
wie im Whist -, sonst wuerde ich ihm schon wiedergeben, was mir der Koenig
da alles auskramte.

Er war total verrueckt.

Na, er hat's buessen muessen. Sein guter Schwager hat ihm nun richtig den
dritten Teil seines Reiches genommen; die anderen beiden Drittel nahmen
ihm ja die Schweden selbst, mitsamt der Krone, und schickten ihn mit
seiner apokalyptischen Politik ueber die Grenze.

Nicht einmal das Fell des toten Loewen, Karls des Zwoelften, in dem er so
gern herumstolzierte, durfte er mit sich ausser Landes nehmen. Und nun geht
er hier rum und klopft ueberall an, und nirgends ist seines Bleibens!

Und dabei hatte er bei all seiner Verruecktheit doch Blick fuer die Menschen
- insbesondere fuer die Verruecktheit der anderen! - - Denn nur bei den
anderen erkennt man sie, niemals bei sich selbst.

Was er da sagte von Schill und der Melancholie, das stimmte!

Ich habe die Brieftasche Schills in meinen Haenden gehabt, nachdem er
gefallen war -, denn ich musste ja sehen, ob da nichts fuer andere Leute
Kompromittierendes drin war.

Weiss Er, was ich drin fand?

- _Verse_, Gneisenau - schlechte Verse! - Mondscheingesaeusel - in Worte
geronnenes, fades Liebesgereimsel! - Wer haette das von dem Mann gedacht!

Da hatte ich's nun schwarz auf weiss, dass der seelisch einen Knacks hatte,
und da begriff ich auch, warum sein so kuehn begonnenes Unternehmen so
klaeglich enden musste.

Waere er vor mein Kriegsgericht gekommen - wegen der Verse haette ich ihn
verknackst -, wegen seines Privatkriegs mit Napoleon aber freigesprochen!

Na - haette er gewusst, dass sein Kopf, in Spiritus gelegt, dem Koenig
'Lustick' ueberliefert werden wuerde - er haette sich wohl einen anderen Vers
daraus gemacht - und fuer einen besseren Schluss seines Heldenliedes
gesorgt.

Leute wie die seinen haetten es aber nicht noetig gehabt, unnuetz zu sterben,
haette ihr Fuehrer nicht den Schuss Melancholie in der Seele gehabt, fuer die
der Schwedenkoenig eine so feine Witterung hatte.

Denke Er sich nur: Schill, dieser Brausekopf, dieser Sausewind, fuer den es
nichts Unmoegliches gab - dieser Tausendsasa, dieser Lausbub, der durch
seine kuehnen Husarenstreiche schon als junger Mensch zu einer sagenhaften
Gestalt emporgewachsen war, und der auch mit Recht die Ehrung verdiente,
an der Spitze unseres Heeres in Berlin einzuziehen - dieser Strauchdieb
von einem Herzensbrecher, der sich nur zu zeigen brauchte, und alles
jubelte und jauchzte ihm zu - dieser tolle Junge, der die Keckheit hatte,
als alles andere sich aengstlich davor drueckte, auf eigene Faust hin und
allein den Krieg mit Napoleon anzufangen - der verliert auf einmal mitten
im Kampfe den Kopf, verliert den Mut und gibt alles auf!

Das mag wer will als ploetzliche Reue auslegen! Ich nicht!

Ich glaube - und das spreche ich offen aus: _an dem Manne ist ein
Verbrechen begangen worden_!

Man hat ihn glauben gemacht, der Koenig billige im geheimen sein
Unternehmen, duerfe sich aber nicht offen fuer ihn erklaeren, bis alles gut
in Gang waere.

Und als die Umstaende allerseits unguenstig wurden und das Glueck sich gegen
Schill entschied, da liess man ihn klaeglich fallen.

Er hatte eben Pech - dreifaches Pech.

Erst die Mitstreiter hier zu Hause, die ihm draussen im Volke den Boden
bereiten sollten, und es schlecht taten. Dann die Oesterreicher -
Herrgottsakra, wenn ich an die denke, da kriege ich einen roten Kopf!

Die haben den Napoleon aufs Haupt geschlagen - sie haben ihn, nach Aspern,
in der Mausefalle auf der Insel Lobau, mitsamt seiner ganzen Armee,
abgeschnitten, ohne Verbindungen, ohne Bruecken, und sie greifen nicht zu,
sie machen ihm nicht den Garaus - sie lassen dem Hund noch wochenlang
Zeit, sich aus der Patsche zu ziehen, und warten geduldig, bis er aus
seinem Rattenloch herauskriecht und ihnen selbst einen Hieb auf den Kopf
versetzt! So 'ne niedertraechtige Schlamperei war noch nicht da!

Die Kunde von ihrer Niederlage bei Wagram war fuer Schill ein schwerer
Schlag.

Dass aber sein eigener Koenig sich dann auch gegen ihn erklaerte und ihn gar
mit einem Kriegsgericht wegen Insubordination bedrohte, dass der Monarch
selbst, an dessen geheime Unterstuetzung man ueberall im Lande glaubte, nun
diese Behauptung Schills Luegen strafte, das zog ihm den Boden unter den
Fuessen weg.

Aber er haette doch nicht den Kopf verlieren muessen! Er haette nicht zoegern
sollen, nach England zu gehen, ehe es zu spaet wurde! - Er haette sich
sofort nach dem naechsten Hafen aufmachen und an Bord gehen muessen, um
draussen in Spanien gegen den Franzmann zu kaempfen!

Nun, er hat seine Saumseligkeit mit dem Leben gebuesst! Ein Hundsfott, wer
dafuer auf seine tote Asche auch nur den Schatten eines Vorwurfs kommen
laesst!

Es haette aber alles anders kommen koennen und muessen, wenn man bei uns nur
gleich zugegriffen haette! Wer weiss - wenn die Oesterreicher gesehen haetten,
dass wir Ernst machten, dann haetten sie am Ende den Napoleon doch noch beim
Schlafittchen gepackt und die gute Gelegenheit benutzt, das welsche
Unkraut mit Stumpf und Stiel auszurotten.

Ich habe ja damals den Koenig gebeten - ich habe gebettelt und gefleht,
'lass mich nur, _gerade jetzt_, mit meinem Korps ueber die Elbe gehen! Mit
meinem Kopf stehe ich dafuer ein, dass wir dann unsere Provinzen
wiederhaben!' Die haetten wir auch! Ich haette drueben alles in Feuer und
Flammen gesetzt, und die Unternehmungen von Schill und Doernberg und
Braunschweig waeren nicht nutzlos vertan gewesen!

Aber man hat nicht den Mut gehabt! Seitdem unsere gute Koenigin starb, ist
es ganz verdreht!

Himmelsakra - mir war dann der mit der Apokalypse am Ende doch lieber!
Obwohl er in seinem Hass gegen Napoleon weiter nichts war als ein
klaeglicher Don Quichotte, der gegen apokalyptische Windmuehlen ritt. So
etwas ist aber am Ende mit Schlauheit zu lenken!

Wenn ich aber daran denke, dass unser guter Koenig einmal auch so von Tuer zu
Tuer wandern muesste, Obdach suchen - - -! Das kann noch kommen, Gneisenau -
das kann noch kommen, wenn's so weitergeht, und wenn er die Zeichen der
Zeit nicht besser versteht! Denn wenn er selbst nicht _will_, Gneisenau -,
wenn er nicht will -, und wenn _wir_ wollen! Und wir sind jetzt proppvoll
geladen! - Und wenn wir dann ohne Befehl losplatzen, wer spricht da von
Insubordination? Schockschwerenot! Wozu sind wir auch schliesslich da?

Ich werde wohl von Tuer zu Tuer mitgehen, wenn's soweit mit ihm ist?! Nee -
mein Leben gebe ich jederzeit fuer den Koenig her! Aber so 'ne Bettelei
mache ich nicht mit!

Die franzoesischen Sklavenketten mag tragen wer will -, _ich_ trage sie
nicht! Ich sag's ganz offen, und wenn man mir zehnmal den Mund verbietet!
Warum nicht auch? Wozu schuettelt Er den Kopf? Soll das auch
'Insubordination' heissen!?

Nun, dann lasse Er sich gesagt sein, dass Insubordination noch hierzulande
Mode werden kann, wenn's nicht anders moeglich ist, das Land zu retten!

Und der Ihm das sagte, das war der General der Kavallerie, denn dazu haben
sich mich ooch jemacht, seitdem Er nach England reiste, und zwar um mir
das Maul zu stopfen!

Sie haben mich zum General der Kavallerie gemacht, Sie haben mich aber
auch zum Domherrn gemacht!

Was lacht Er da?

Zum Domherrn, sage ich, indem, dass mir der Koenig eine Domherrnpraebende in
Brandenburg verliehen hat! Wenn der Staat seine Generaele nicht anders
zahlen kann, zahlt er sie eben so! Bargeld ist Bargeld, und wenn's von der
Kirche kommt, wird's wohl auch den rechten Gottessegen haben.

Er braucht aber nicht deswegen zu denken, dass ich jemals den Schleier
nehme oder fromm ins Kloster gehe und heilig werde! Ich bleibe, was ich
bin!

Der General der Kavallerie wird nicht minder kraeftig als der
Generalleutnant kommandieren: Vorwaerts druff uff den Feind!

Und wenn ich jemals als Domherr die Kanzel besteige, dann, Gneisenau,
soll's Pech und Schwefel vom Himmel regnen, und die Sicherheitskommissare
und Angstmeier sollen sich alle Tage dreimal in die Hosen - -! Das meine
Predigt! - Schmidt! Noch 'n Piep!"

Und Schmidt wusste Bescheid.

Er hatte mit Wonne bemerkt, wie gut der Tabak heute seine Schuldigkeit tat
und wie schoen sein Herr durch ihn ins Schimpfen kam.

Er stand schon auf der Lauer, eine frische Pfeife im Munde, und qualmte
und schmunzelte gehorsamst uebers ganze Gesicht bei den saftigen Worten
Bluechers, und wartete auf das Signal.

Sobald das Kommando fiel, nahm er sofort mit Wucht die Hacken zusammen,
reckte sich, dass die Knochen krachten, riss die Pfeife aus dem Gehege
seiner Zaehne, und dann, mit Paradetritt vorwaerts marschiert, Bluecher die
Pfeife mitten ins Gesicht gesteckt und ihm so das Maul gestopft!

Dann nahm er die Akten Schill unter den Arm und trug sie behutsam zur Tuer
hinaus. Bloss die Brieftasche Schills mit den Versen nicht! Die behielt der
General und Richter als einziges belastendes _Corpus delicti_ zurueck.

                                   *

Die Frau Generalin von Bluecher ordnete in aller Eile den Kaffeetisch in
ihrer Wohnung zu Stargard.

Ihr Herr und Gebieter hatte ihr eine Stafette mit der Nachricht geschickt,
er kaeme nachmittags zurueck von Berlin und baete sich zum Empfang eine Tasse
warmen Kaffee und Streuselkuchen aus. Es galt also rasch fertig zu sein.
Denn Bluecher pflegte schnell zu reisen und konnte jeden Augenblick
ankommen.

"Es war eine schlimme Zeit", sagte die Generalin zu ihrer Freundin Frau
von Bonin auf Schoenwerder, die gerade in Stargard war und den Nachmittag
ueber blieb, um Bluecher zu bewillkommen. "Es war nicht leicht, und ich
werde recht froh sein, wenn es jetzt ein Ende hat. Aber ich traue dem
Frieden nicht. Mit ihm war's immer so. Kaum dass man denken konnte: Gott
sei Dank, nun hat die Schererei ein Ende -, da ging sie erst recht los. Es
wird jetzt nicht anders sein. Erzwungene Ruhe ist fuer ihn Gift. - Und
wenn's jetzt wieder mit seiner Krankheit losgehen sollte, da befuerchte ich
das Schlimmste! Das letzte war fuer ihn ein schwerer Schlag!"

Sie rueckte noch die Kaffeetassen zurecht, schnitt Kuchen auf und ordnete
an den Blumen.

"Es war lieb von dir, ihm Blumen zum Empfang zu bringen", sagte sie und
nickte ihrer Freundin zu. "Er hat die Blumen gern."

"Du weisst, wie sehr wir alle ihn schaetzen und lieben", antwortete diese.
"Seit ihr wieder in Stargard haust, leben wir ordentlich auf. Und jetzt,
wo er nicht mehr die Plage des Dienstes hat, jetzt wollen wir alle helfen,
ihm das Leben so heiter und gemuetlich wie nur moeglich zu gestalten, damit
er seinen Ruhestand recht geniesst. Er darf es sich wahrlich goennen. - Wie
hat er seinen Abschied vom Dienst aufgenommen?"

"Nun, gern beisst keiner in den sauern Apfel! Aber du weisst, die Maenner
stellen sich immer ein bisschen an. Als er die koenigliche Botschaft bekam,
hat er laut gelacht, dass ich einen Schrecken kriegte. 'Endlich einmal ein
Entschluss am Allerhoechsten Ort!' hat er dann gesagt. 'Das ist immerhin
eine Besserung! Haette ich sooft kapitulieren wollen wie Kalckreuth, haette
ich Danzig verloren, haette ich so brav, wie er, vor dem Franzmann
gedienert und mir sagen lassen: 'Sie sind nicht zum Unterhandeln, sondern
zum Unterschreiben da', und haette ich dann unterschrieben und meinem Land
einen schmachvollen Frieden um jeden Preis verschafft - ich waere
Generalfeldmarschall geworden, wie er, und haette die hoechsten Ehren
genossen. Nun habe ich aber dem Koenig sein Land wiedergewinnen wollen, ich
habe geholfen, zu ruesten, Festungen zu bauen, Armeen auf die Beine zu
stellen und den Leuten Mut und Vertrauen auf die Zukunft einzufloessen. Und
der Dank ist nun - ein Fusstritt des Koenigs auf Befehl Napoleons!' - So hat
er geredet."

"Recht hat er!" sagte Frau von Bonin.

"Das meine ich auch", antwortete die Generalin. "Aber wenn mir trotzdem
nicht ganz rosenrot zumute ist, ist's kein Wunder! Er ist ja gewohnt,
rastlos taetig zu sein. Ueberall hatte er seine Finger mit im Spiel. An den
Arbeiten der Armeereorganisationskommission nahm er so eifrig teil, als
waere er mit drin gewesen. Er schrieb und empfing alle Tage Briefe, hatte
seine Berichterstatter ueberall im Lande und auch im Ausland, wusste stets
mit allem Bescheid, sass immer wieder dem Koenig und der Regierung im Nacken
und regte sich masslos auf, wenn dann nicht alles nach seinem Kopfe ging.
Ich habe mich manchmal ueber die Geduld des Koenigs gewundert."

"Der Koenig haelt grosse Stuecke auf ihn!"

"Gewiss! Das wusste er auch und - missbrauchte es deshalb vielleicht nicht
ungern. Immer ging es ja nicht gut. Einmal kam eine Befoerderung, ein
andermal eine gehoerige Nase, und alles beides kuemmerte ihn wenig. Nur
einmal wurde er ganz niedergeschlagen und war lange nicht mehr zu etwas zu
gebrauchen. Das war, als er unseren guten Eisenhart zum Koenig schickte, um
ihn seine Wuensche muendlich vortragen zu lassen. Denn selbst durfte er
nicht hin -, du weisst ja: persoenlich kann gegen ihn keiner aufkommen, und
man fuerchtete wohl seine Ueberredungsgabe. Aber Eisenhart hat auch ein
gutes Mundwerk, und da schickte er also den nach Koenigsberg, um den Koenig
zu ueberzeugen, dass sich auf den ersten Ruf in Preussen schnell
hunderttausend Mann versammeln wuerden, wenn der Koenig nur wollte, und dass
Oesterreich bereits vierhunderttausend Mann schlagfertig haette, um
gemeinsame Sache mit uns zu machen, und was noch mehr. Da antwortete der
Koenig: in Preussen fehle es an dem Fuehrer einer Armee von
hundertfuenfzigtausend Mann! _Meinem_ Mann liess er diese Antwort geben!"

"Nicht moeglich!"

"_Das_ hat er sich sagen lassen muessen, als ob er ueberhaupt nicht da waere!
Und auch, dass er sich um alles in der Welt ruhig verhalten moechte! _Er_
und ruhig! Er wurde krank - na, du weisst ja, wie's lange Zeit um ihn
stand! So niedergeschlagen habe ich ihn niemals gesehen, solange unsere
Ehe dauert. Er war ganz unertraeglich -, ich habe meine liebe Not mit ihm
gehabt!"

"Du Aermste!"

"Nun, das war nichts gegen das, was er selbst litt. Er nahm ab, wurde duerr
wie ein Skelett, schlief die Naechte nicht, hatte Halluzinationen, sah
Gespenster am hellen Tage, ass nichts, trank nichts als Kaffee und - ob
du's glaubst oder nicht - ruehrte auch nicht einmal die Pfeife an. Ich
glaubte schon das Schlimmste erwarten zu muessen. Da auf einmal nahm's eine
Wendung zum Besseren. Der Appetit kam wieder, er ass wie ein wildes Tier,
trank und fluchte und rauchte wie sonst. In ganz kurzer Zeit, so
geschwind, wie's nur bei ihm geht, war er obenauf! Weisst du, was ihn so
schnell kurierte?"

"Nun?"

"Dass der Koenig den General von Buelow zu seinem Stellvertreter im Kommando
ernannt hatte! Und auch zu seinem Nachfolger, falls er nicht wieder gesund
werden sollte. Das war das beste Gegengift gegen seine Krankheit. Sofort
packte ihn die Wut; er war auf den Beinen, schwang die Fuchtel, fuehrte
wieder die Geschaefte und genas -, _aus reinem Trotz_, und um Buelow recht
zu aergern. Das ist nun mein Glaube. Denn seine Wut auf Buelow war
unbeschreiblich. Und seitdem kann er ihn nicht mehr leiden."

Frau von Bonin lachte.

"Ja, so ist er," sagte die Generalin, "die Taetigkeit ist sein Leben. Er
krankt nach ihr und ist immer fertig zum Explodieren, wenn sie ihm
beschraenkt wird. Dann will er gleich alles hinwerfen, in fremde Dienste
gehen, verlangt seinen Abschied und bekommt ihn nicht und schoepft daraus
neue Hoffnung, endlich taetig sein zu duerfen, wie er will! Und ist es damit
wieder nichts, dann wird er von neuem gallig, bitter, niedertraechtig, halb
wahnsinnig, er verkuemmert, altert, ist fertig mit dem Leben und kann sich
doch nicht vom Dienst losreissen, weil er immer noch hofft, immer noch
einen Funken vom Kinderglauben an seine ihm vom Himmel gegebene Sendung
hat!" -

Sie wurde unterbrochen.

Ein Wagen fuhr rasselnd am Hause vor, und im naechsten Augenblick stand
Bluecher im Zimmer.

Er war ganz verwandelt. Frisch wie ein Fisch im Wasser und voll von
Hoffnung und Zukunftsplaenen.

"Das will nun ein in Ungnaden entlassener General sein!" lachte Frau von
Bonin.

"Was, Ungnaden!" erwiderte Bluecher uebermuetig. "Die Ungnade ist nur eine
Komoedie, um Napoleon zu taeuschen. Ich stehe oben besser angeschrieben als
je. Der Koenig war sehr gnaedig -, er war sogar sehr traurig. Ich habe ihn
ueber meine Entlassung troesten muessen. So liegt die Sache. Und das ist ein
ganz anderer Kasus als damals, wo ich vom Alten Fritz meinen Abschied
erhielt. Du weisst, Malchen, vierzehn Jahre habe ich nachher auf
Wiedereinstellung warten muessen. Und dass ich das musste, das hielt mich
nachher stets zurueck, sooft ich meinen Abschied nehmen wollte! Vierzehn
Wartejahre kann man sich in meinen Jahren nicht mehr leisten -, da
schluckt man lieber so manches herunter. Man soll eben seiner Sache treu
bleiben, Malchen -, Treue halten im Boesen wie im Guten! Dann bleibt sie
einem auch treu!

Jetzt hat mir der Koenig wegen Ungehorsams gegen seinen Befehl, die
Befestigungsarbeiten in Kolberg einzustellen, den Laufpass gegeben. Er
denkt, er muss es aus Ruecksicht auf Napoleon tun. Er wird mich aber
wiederhaben wollen und wird mich auch holen, sobald die Zeit da ist.
Meiner Sache bin ich sicher -, ich war's niemals so sehr wie jetzt, wo ich
eigentlich gar nichts mehr mit ihr zu tun habe. Jetzt erst fuehle ich, wie
unloeslich ich mit meiner Aufgabe im Leben verwachsen bin.

Nichts kann sie mir nehmen. Bestimmung ist Bestimmung. Was kommen soll,
kommt. Kein Koenig und auch kein Kaiser kann mir mit seinem Machtwort
nehmen, was mir von allem Anfang an als mein Ureigenstes gehoerte,
ebensowenig, wie er's mir verleihen konnte.

Siehst du, Malchen, was der Mensch nicht geben kann, das kann er auch
nicht nehmen. Das ist mein Glaube. Und nun warten wir in aller Ruhe und in
Gottes Namen das Weitere ab. Jetzt brauche ich auch nicht mehr Scharpie zu
zupfen, Malchen. Und nun - einen Kuss - und dann zu Tisch!"

Er kuesste allen beiden Damen rasch die Wange, bot ihnen dann galant die
Arme und fuehrte sie an ihre Plaetze.





                                  12
                        DAS HEILIGE DONNERWETTER


Jahrhundertelang war Deutschland der Tummelplatz der Voelker und wurde
unbarmherzig verwuestet, seine Bewohner geknechtet, ausgeraubt und
hingemordet, Handel und Nahrung lahmgelegt, seine Reichtuemer gestohlen,
seine Kunstschaetze geraubt und nach allen Windrichtungen hin verschleppt,
seine Kirchen und Schloesser und Kunstbauten in Ruinen verwandelt, seine
Entwicklung um Jahrhunderte zurueckgeworfen.

Und immer wieder bluehte das Leben in alter Kraft wieder auf -, immer
wieder stuermten beutegierige Horden heran mit Mord und Brand und
pluenderten und sengten.

Das in Stroemen vergossene Blut traenkte die Erde, verseuchte die Gewaesser,
schwaengerte die Luft - man atmete Unheil, trank dessen Odem mit dem Wasser
der Quellen, frass ihn in sich mit den Fruechten der Erde. Das bittersuesse
Gift schwellte die Adern, schlich durch den Koerper, erfuellte die Seelen
bis zum Platzen mit Spannung, erzeugte einen Hass, der jede andere Regung
unterdrueckte, der alleinherrschend wurde, ins unermessliche wuchs und
gewaltsam zur Entladung draengte. Das Licht des Himmels, seine Sonne, seine
Sterne, sein leuchtendes Blau, alles schwand in dem quaelenden Dunst, die
Farben des Lebens verblassten und erloschen. Es gab kein Gefuehl, keinen
Gedanken mehr, als verbissene Wut ueber schmachvolle Ohnmacht, kein Gebet,
das nicht den Herrn der Welten um Erloesung anrief und mit dem Himmel um
seine Blitze buhlte.

Die Schwuele des Gewitters lagerte ueberall, ergriff alles Leben und wuergte
zum Ersticken.

Immer draeuender tuermten sich die Gebilde des Hasses und der Empoerung
empor, ballten sich zu maechtigen Gewitterwolken zusammen und erfuellten den
Raum, bis endlich die Spannung zu gross, bis es der Last zuviel wurde und
das Gewitter losbrach.

Blitze zuengelten auf die Haeupter der Bedruecker nieder, warfen sie in den
Staub und zerschmetterten ihre Zwingburgen, indes der Donner grollend
durch den Raum fuhr und der Widerhall krachend von Felsen zu Felsen
jauchzte und Kunde von der Befreiung gab.

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Fast unbeschraenkt beherrschte Napoleon den Kontinent, alles lag ihm
gehorsam zu Fuessen. In jeder Festung, in allen Staedten Norddeutschlands
standen seine Truppen bereit, jeden Versuch zur Empoerung mit Gewalt
niederzuwerfen.

Durch dauernde Besetzung Preussens war er zum wahren Herrn Europas
geworden. Wer nicht sein Verbuendeter war, war ihm gehoerig. Die
Rheinbundstaaten, Bayern, Wuerttemberg, Baden, Hessen, Sachsen, Westfalen
und Mecklenburg, gehorchten jetzt seinem kleinsten Wink. Der Kaiser von
Oesterreich gab ihm seine Tochter zur Ehe. Sein Machtwort erstickte jede
selbstaendige Regung im Keime. Ohne seine Zustimmung geschah in den
deutschen Landen nichts. Koenige und Fuersten holten sich Weisungen aus
Paris, empfingen aus seinem Munde Lob und Tadel und setzten ihre Beamten
ab und ein nach seinem Gutduenken. Seine Armeen wurden von den unterjochten
Voelkern unterhalten, die Einkuenfte der Staaten als Kontribution nach Paris
geschafft -, bis aufs Blut sog er die Besiegten aus.

Ihre Heere mussten auf sein Geheiss marschieren und fuer den Ruhm Frankreichs
ihr Blut verspritzen - bis sie endlich begriffen, dass Blut und Leben nur
fuer die Heiligkeit der eigenen Sache einzusetzen seien.

Der Sohn der Revolution, von der unwiderstehlichen Kraft eines Volkes in
Waffen zu schwindelnder Hoehe gehoben, kehrte so, durch den Gang der
Ereignisse getrieben und von den eigenen Siegen verfuehrt, vom Volksheer
zum Soeldnertum zurueck. Er bewirkte gleichzeitig die entgegengesetzte
Entwicklung bei den Besiegten und gab ihnen so das Mittel zur Befreiung in
die Hand. Denn als sie sich dazu hergeben mussten, fuer eine fremde Sache zu
bluten, wurden sie sich ihres eigenen Volkstums bewusst und fielen von der
Sache des Eroberers ab, sobald sie ernstlich zu wanken begann.

Seine bunt zusammengewuerfelten Heerhaufen besassen sowieso nicht mehr die
Energie und den Schwung der ersten Revolutionsheere, noch weniger ihre
Begeisterung fuer die Heiligkeit einer Sache, die allein gegen eine ganze
Welt den Sieg ertrotzt.

Noch stand der Koloss aufrecht und wagte in seinem Uebermut den eitlen
Versuch, den Gott zu spielen und das, was nicht zusammengehoert,
zusammenzukitten.

Und das Unerhoerte geschah.

Als Napoleons aus unzaehligen Hilfsvoelkern zusammengesetztes Riesenheer
auszog, um seinen unbotmaessigen russischen Verbuendeten zu zuechtigen, da
marschierte zum erstem Male in der Geschichte des Landes ein ganzes
preussisches Armeekorps mit, um fuer den Ruhm Frankreichs zu bluten.

Siebzehntausend Mann stark zogen die Preussen aus unter Befehl von Grawert,
der bei Jena die Feldherrnkunst Napoleons am eigenen Leibe kennengelernt
hatte. Er erkrankte und wurde von Yorck ersetzt.

Wie ein Haufen Heuschrecken, so waelzte das Riesenheer seine Massen ueber
die deutsche Erde gen Osten hin, frass, wo es durchkam, das ganze Land kahl
und verwandelte es in eine Wueste. Bis es endlich hinter der russischen
Grenze verschwand und sich ueber die endlosen, duenn bevoelkerten Felder
Russlands ergoss, von einer ganzen Wolke von Marodeuren, Haendlern und
beutegierigen polnisch-juedischen Schacherern umschwaermt, die sich mit
seinen Abfaellen maesteten, alles, was am Wege blieb, auflasen, Kleider,
Ausruestung, Proviant und Beutestuecke erhandelten oder stahlen, die todmuede
am Wege Liegenden erschlugen oder sie bis auf die Knochen auspluenderten.

Schreck und Entsetzen hinterliess der Raubzug ueberall, wo er durchkam, und
laehmte die Kraft der Landeskinder so, dass keiner auch nur daran zu denken
wagte, die Hand zur Rache zu erheben, als nachher die Reste der Horden
wiederkamen, geschlagen, geschunden, zerfetzt und zerlumpt und von noch
groesseren Schwaermen Beutegeiern verfolgt.

Tausende von franzoesischen Offizieren, auch Napoleon selbst und seine
beruehmten Marschaelle, haette man ohne weiteres gefangennehmen koennen. Aber
man ruehrte keinem Finger gegen sie, man liess sie ungefaehrdet durch und in
ihre Heimat zurueck, wo sie dann gleich neue Heerhaufen zur Unterjochung
bereitstellten.

Man schlug das Raubgesindel nicht mit Knueppeln tot, man gab ihnen Lager
und Kleidung, speiste sie, pflegte sie, vergass das vergossene Blut und die
Traenen, das geraubte Gut und Geld -, aber beileibe nicht aus Gutmuetigkeit
und noch weniger aus Feigheit. Nein, jene Armseligen, in Lumpen
Zurueckkehrenden, sie waren immer noch die Herren. Und keiner wagte noch an
das unerhoerte Glueck zu glauben, dass jene gewaltige Macht, deren Diener sie
waren, jemals gebrochen werden koennte, auch dann nicht, als man es mit
eigenen Augen zu sehen und mit Haenden zu greifen vermochte.

Der Krieg wurde nicht erklaert, die Ruestungen nur in groesster Heimlichkeit
betrieben, und auch dann nur unter dem Schein, den Buendnisvertrag mit
Frankreich erfuellen zu wollen. Die Geheimdiplomatie war eifrig dabei, zu
vertuschen und zu verhuellen, kein klarer Wille wagte sich hervor, kein
offenes Wort wurde von massgebender Stelle gesprochen.

Da auf einmal klang es jubelnd hart drein, wie schmetternde Fanfaren aus
der alt-fritzischen Zeit. Von weit draussen an der Grenze klang es herueber,
aber so hell und klar, so bestimmt und zielbewusst, dass es in die
entfernteste Gegend des Landes drang und alle Herzen erzittern machte.

Es war der gleiche Ton, der Deutschland weckte, als Schill sein Panier
erhob.

Aber jetzt ging alles mit, jetzt erwachte begeisterter Widerhall ueberall -
ein Brausen, wie von einem herannahenden Sturm, ging ueber alles Land, das
Gewitter verkuendend, und erstickte mit seiner Gewalt jede Mahnung der
Aengstlichen, den Weckruf lieber, im Namen der heiligen Subordination, zu
ueberhoeren.

Isegrim Yorck war's, der ins Horn gestossen hatte.

Er hatte den Sprung ins ungewisse gewagt und seinen Kopf darangesetzt, um
seine Preussen aus der schmaehlichen Gemeinschaft mit den Franzosen zu
fuehren. Dem Korsen hatte er die erzwungene Waffenbruederschaft aufgesagt,
seinen Koenig mit einer vollendeten Tatsache ueberrascht und sein Volk auf
den Boden offener Stellungnahme gegen den wahren Feind gestellt.

Die Diplomaten rauften sich die Haare. Die Tat Yorcks kostete ihrer
Weisheit und dem Staate etliche Millionen, die Napoleon sonst gerade jetzt
haette zahlen sollen und vielleicht auch gezahlt haette, wenn alles
wenigstens dem Scheine nach beim alten geblieben waere.

Aber sie brachte dafuer etwas ein, was fuer alles Gold der Welt nicht
eingehandelt werden kann: die flammende Begeisterung, den
unwiderstehlichen Willen eines geknechteten und vergewaltigten Volkes,
seine Fesseln zu brechen und die Bedruecker niederzuwerfen. Sie entfesselte
das heilige Donnerwetter, dem nichts widersteht - mit dem stets der Sieg
ist, weil es die Empoerung der Natur selbst ist gegen die ihr angetane
Vergewaltigung.

                                   *

"Herr," rief der General Bluecher unwirsch und fuhr sich mit dem
Rasierpinsel im Gesicht herum, dass der Seifenschaum weit umherspritzte,
"Er ist wohl des Teufels! Wie heisst das? Was war das, was Ihm mir vom
General Yorck mitzuteilen beliebte?"

Der so angeredete Major Diedrich nahm die Hacken zusammen, reckte sich
stramm auf und brachte noch einmal seine Botschaft vor.

Die Infanterie Yorcks waere demnach durch die erlittenen Strapazen sehr
geschwaecht und von 30000 auf 25000 Mann zusammengeschmolzen. Das
Landwehrregiment der zweiten Brigade, das vor acht Tagen zweitausend Mann
gehabt hatte, hatte jetzt nur noch siebenhundert. In sechs Tagen hatten
die Truppen viermal Nachtmarsch gehabt, ohne dass abgekocht worden war. Sie
hatten bei stroemendem Regen auf dem aufgeweichten Boden biwakiert, die
meisten ohne Maentel - die Taschenmunition war von Naesse verdorben, in den
Munitionswagen war kaum Vorrat genug fuer eine Schlacht, und dabei haetten
die Parkkolonnen sechzehn Meilen Weg bis zur Neisse, um neuen Vorrat zu
holen. Der General Yorck liesse bitten, dem Korps doch etwas Ruhe zu
lassen.

Bluecher hatte mit offenem Munde, das aufgeklappte Rasiermesser in der
Hand, die Ausfuehrungen des Majors angehoert.

Jetzt fing er an mit wahrer Wut das Messer an einem ledernen Riemen
abzuziehen. Er warf dabei dem Major immer wieder giftige Blicke zu.

"Ruhe soll ich dem Korps lassen? Bin ich der Franzmann, der mit ihm Krieg
fuehrt? Hat Sein General nicht genug von dem daemlichen Waffenstillstand,
den wir kaum gluecklich hinter uns haben, und den wir noch haetten, wenn's
nach unseren Diplomatikern ginge? Ein Schuft ist Napoleon, aber gesegnet
soll er sein ob seiner Halsstarrigkeit, die Friedensbedingungen nicht
anzunehmen. Denn das allein hat verhindert, dass unsere Neunmalweisen den
Karren noch tiefer in den Dreck schoben!"

Damit nahm er eine Kohle, zog rasch einen Kreis auf der weissgetuenchten
Wand, starrte, in Ermangelung eines Spiegels, da hinein und fing an sich
den Stoppelbart abzukratzen. Denn jetzt war er wieder in der Offensive und
durfte als hoeflicher Mensch dem Franzmann nicht unrasiert kommen.

Der Major Diedrich benutzte die Gelegenheit, weitere Einzelheiten ueber den
schlechten Zustand des Yorckschen Korps vorzubringen, und Bluecher, der
seine Zunge dazu gebrauchen musste, beim Rasieren die Wangen von innen zu
strammen, konnte dabei seinem Missvergnuegen nur durch ein mehr oder weniger
lautes Grunzen Luft geben. Bis der Major ihm mit den zwanzigtausend in
Oesterreich gekauften Flinten auf den Leib rueckte, mit denen man die
Landwehr beglueckt hatte, und die die unangenehme Eigenschaft hatten, keine
Zuendloecher zu besitzen. Die hatte man in der Eile bei der Anfertigung zu
bohren vergessen. Und nun muesse die brave Landwehr, zum groessten Teil mit
Piken bewaffnet, in den Kampf ziehen!

Da hoerte Bluecher mit dem Schaben seines Bartes auf, sandte sich jaeh um,
warf dem Major einen vernichtenden Blick zu und wetterte los.

"Herr, was redet Er da von Zuendloechern? Bei dem Sauwetter, wo's, wie
jetzt, seit Monaten Strippen regnet, schiessen alle Flinten gleich gut, ob
sie Zuendloecher haben oder nicht! Die sollen die Leute ruhig behalten und
mit den Kolben auf den Franzmann losschlagen. Und taugen sie auch dazu
nicht, dann moegen sie sich drueben beim Feind bessere Flinten holen. Die
Franzosen haben ganz gute! Wozu haben wir den Krieg?"

Worauf er das Messer ansetzte und weiter schabte.

Aber der Major hatte noch mehr auf dem Herzen, und die Gelegenheit war zu
gut jetzt, wo der Alte das Messer an der Kehle hatte und die Zunge im Zaum
halten musste.

Er packte also aus.

Es fehle den Landwehrregimentern an Maenteln, sie haetten nur leinene Hosen,
statt Patronentaschen leinene Beutel, Kochgeschirr waere bei ihnen eine
Seltenheit und Stiefel erst recht. Bei den aufgeweichten Wegen kaeme man
kaum noch vorwaerts mit der schlechten Ausruestung.

"I der Deubel!" unterbrach Bluecher ploetzlich die Litanei. "Mit langen
Redensarten wurde noch niemals 'n Stiebel jemacht. Was red't Er denn? Wo
uns Hunderttausende von den besten franzoesischen Stiebeln freundlichst
entgegentanzen und bloss dadruff warten, genommen zu werden! Wenn unsere
Leute zu vornehm sind, um auf Pariser Sohlen zu laufen und sich die nicht
holen koennen, wo sie da sind, dann koennen sie meinetwegen barfuss laufen!
Und was den anderen Kram betrifft - die Maentel und Patronentaschen und gar
die Hosen -, das alles macht noch lange nicht den Soldaten! Die Leute, die
da mit Piken und Sensen geuebt und so die Griffe gelernt haben, die haben
eben gewusst, wie saumaessig es um Preussen stand, und dass es ihm an Flinten
und Stiebeln und Maenteln fehlte. Und sie sind doch gekommen und haben sich
zum Dienst gestellt. Warum, denkt Er wohl? Nicht, damit Er mir hier noch
eine Litanei vorbetet, sondern um Preussen all das zu verschaffen, was ihm
fehlt - vor allem die Freiheit und den alten Besitz! Das andere - die
Flinten und die Stiebel und der ganze Kram -, das kommt dann ganz von
selbst. Und nun schere Er sich, und lasse Er mich ungeschoren. Dem General
ist zu erwidern, dass es beim Marschbefehl bleibt. Er hat sich von Jauer
zurueck auf die Katzbach zu wenden und die vorgeschriebenen Stellungen bei
Brechtelshof einzunehmen. Verstanden?"

Der Major salutierte schweigend und ging. Und Bluecher begab sich nach
vollendeter Toilette hinaus, um die abmarschierenden Truppen zu
inspizieren.

Sein geuebtes Auge sah wohl alle Maengel und Gebrechen ihrer Ausruestung, sah
die beschmutzten, durchnaessten, frierenden und abgehetzten Kerle dastehen
und fragende Blicke auf ihn richten - sah aber auch unverzagten Mut aus
ihren Augen leuchten, als er vor der Front aufritt. Seine Blicke glitten
pruefend von Mann zu Mann die Reihen entlang.

Es waren keine baumlangen Pommern oder Mecklenburger, sondern zumeist
klein gewachsene, schmaechtige Leute aus den schlesischen Weberdistrikten.
Staat war mit ihnen nicht zu machen, aber sie wuerden schon anbeissen, wenn
man nur verstaende, im richtigen Ton zu ihnen zu sprechen, und ihnen gleich
zu Gemuet zu fuehren wuesste, dass der Krieg keine Schule der Verzaertelung sei,
und dass es dabei etwas Wichtigeres und Bedeutungsvolleres als Strapazen
und Entbehrungen gaebe.

Und diesen Ton fand Bluecher gleich.

Nachdem er die Reihen abgeritten war, hielt er vor der Front und rief in
seiner jovialen Art, mit einem listigen Augenzwinkern, dass sich ein jeder
sofort innerlich auf du und du mit ihm befand.

"Kerls, ihr seht aus wie die Schweine! Aber es macht nichts. Ihr habt doch
die Franzosen geschlagen! Das ist aber nicht genug! Ihr muesst sie heute
wieder schlagen, wie das Wetter und die Wege auch sind. Sonst sind wir
alle beschissen! Guten Morgen, Kinder! Und nun frisch darauflos!"

Worauf er schmunzelnd ueber das donnernde Lachen, womit die Front fuer die
Ansprache quittierte, sein Pferd herumwarf und zurueck in sein Quartier
galoppierte.

Dort erwartete ihn grosser Aerger und Verdruss.

Yorck selbst war gekommen, um wegen des vielen "unnuetzen Hin- und
Hermarschierens" das Oberkommando zur Rede zu stellen, und war eben in
heftigem Diskurs mit dem Generalstabschef Gneisenau, der vom Obersten
Mueffling getreulich sekundiert wurde.

Als er Bluecher sah, wandte er sich gleich an ihn, und zwar in einem Ton,
den dieser sich als Oberkommandierender keinesfalls gefallen lassen
konnte.

"Und wenn der Teufel selbst das ganze Oberkommando gegen mich zur Attacke
ritte - marschiert wird doch nicht, ehe ich nicht achtundvierzig Stunden
gerastet habe!" rief er ohne alle Einleitung Bluecher zu. "Das ist das
wenigste, was ich brauche, um meine Leute wieder schlagfertig zu haben.
Das moegen sich die Herren Kraftgenies hier -" er warf einen
despektierlichen Blick auf die beiden Mithelfer Bluechers - "unter die Nase
reiben! Und auch, dass ich dies kopflose Hin- und Hermarschieren, das sie
meinen Leuten zumuten, ohne ihnen Ruhe zum Essen und Schlafen zu goennen,
dass ich das mit den Menschen Schindluder treiben nenne. Und dazu sind
meine Preussen denn doch zu gut!"

Bluecher verbat sich ein fuer allemal in der energischsten Weise sowohl
diesen Ton wie auch jede Widerrede. Yorck und er seien wohl alte
Waffengefaehrten, aber das entbinde ihn doch nicht von der Pflicht
unbedingten Gehorsams seinem Vorgesetzten gegenueber. Zu befehlen habe hier
allein er, Bluecher. Er truege auch allein die ganze Verantwortung fuer die
gegebenen Befehle und verbaete sich eine jede Kritik.

"Herr General," sagte Yorck, noch aufgebrachter als vorhin, "ich pfeife
auf die Waffenbruederschaft, die sich solchermassen in Erinnerung bringt.
Und wer von uns beiden sein Handwerk besser versteht, darueber brauche ich
mich hier auch nicht auszulassen. Zum Kommandieren gehoert nicht nur das
Amt, man muss es auch koennen. Und kaeme es nur _darauf_ an - wer weiss, wer
von uns beiden jetzt hier dem anderen zu befehlen haette! Mich kuemmert aber
all das weniger! Mich kuemmert in erster Linie die grosse Verantwortung, die
ich vor meinem Koenig und meinem Vaterland fuer die mir anvertrauten Truppen
habe."

"Uns nicht weniger!" schrie Bluecher zornesrot. "Darueber hinaus gibt es
aber etwas, was ich militaerische Notwendigkeit nenne. Wenn die ein Opfer
verlangt, so bringe ich es unbedingt, und wenn es noch so schmerzlich
waere. Und trage die Verantwortung dafuer allein und teile sie mit keinem!"

"Wenn aber die Soldaten vorher zu Tode gehetzt werden, wozu und inwiefern
und mit welchem Nutzen will ein General dann jenes Opfer bringen? Wo
nichts ist, ist auch nichts zu opfern, wie gross die militaerische
Notwendigkeit auch sein mag. Haben Sie, meine Herren, im Vorjahre die
Truemmer der grossen franzoesischen Armee gesehen, als sie aus Russland
zurueckkam? Und haben Sie dagegen meine Preussen gesehen, wie die aus dem
gleichen Feldzug wiederkehrten? Meine Fuersorge fuer meine Leute war's, die
dem Koenig von Preussen da eine ganze Armee bewahrte, wo alles andere
zugrunde ging. Ohne diese meine Fuersorge haette der General von Bluecher in
seiner schlesischen Armee heute keine Preussen zu kommandieren. Waere mein
Eigensinn, den die jungen Leute hier im Oberkommando so gern bekritteln -
waere der nicht gewesen - haette ich nur den blinden Kadavergehorsam gegen
Vorgesetzte gehabt, den man heute hier von mir verlangt, ich haette mich
nimmermehr getraut, dem Marschall Macdonald, der heute die Franzosen gegen
uns fuehrt, den Gehorsam aufzukuendigen. Ich haette an einem Strange mit ihm
weitergezogen, und ich waere niemals dazu gekommen, in Tauroggen meinen
alten Kopf aufs Spiel zu setzen, um endlich eine reinliche Scheidung
zwischen uns und den Franzosen zu machen."

"Recht hatten Sie, Yorck", sagte Bluecher, dessen Augen leuchteten bei der
Nennung des Tages von Tauroggen. "Aber jetzt sind Sie im Unrecht. Denn ich
bin kein franzoesischer Marschall, dem ein preussischer General meines
Erachtens nimmermehr gehorchen kann, ohne vor sich selbst zu erroeten. Ich
bin hier der Oberkommandierende der schlesischen Armee, der hier im Namen
des Koenigs befiehlt und sich Gehorsam zu verschaffen wissen wird,
gleichviel ob ich persoenlich oder durch meine Generalquartiermeister die
Befehle erteile. Wobei eine Sache nicht zu vergessen ist, naemlich die: der
General Yorck hat den russischen Feldzug _als franzoesischer General_
mitgemacht. Das faerbt ab. Wir aber sind da rein geblieben und haben es
alle vorgezogen, den Dienst zu quittieren, statt mit dem Erbfeind
gemeinsame Sache zu machen. Deshalb haben _wir_ hier das Kommando jetzt,
wo es gegen den Franzmann geht, und haben es _nicht nur_ mit dem Vorrecht,
das der Koenigliche Befehl uns gibt."

Damit schnitt er jede weitere Eroerterung ab, ging in sein Zimmer und hiess
Gneisenau gleich zur Befehlsausgabe nachkommen.

Yorck aber, ausser sich ueber die ihm zugefuegte Kraenkung, ging in sein
Quartier, setzte sich hin und schrieb dem Koenig einen langen Brief, in dem
er um seinen Abschied bat und sein Gesuch ausfuehrlich begruendete.

Dann, als er den Brief abgesandt hatte, fuegte er sich, befahl Aufbruch und
liess es sich sogar gefallen, dass ihm vom Oberkommando der Oberst Mueffling
beigegeben wurde, um ihn in die befohlenen Stellungen zu geleiten.

Bluecher aber, mit Gneisenau allein geblieben, ging fluchend auf und ab.

"Himmeldonnerwetter!" rief er. "Muss ich auch noch mit meinen Untergebenen
um mein Kommando kaempfen! Das fehlte mir gerade noch!"

Er blieb vor Gneisenau stehen.

"Ich bin gewiss der letzte, die grosse Bedeutung von Yorcks Tat nicht
anzuerkennen, als er es wagte, den Aengstlichen zum Trotz, sich mit seiner
Armee gegen Napoleon zu erklaeren. Wenn er aber glaubt, deshalb das Recht
zu haben, sich wie ein Bleigewicht an unsere Fuesse haengen zu duerfen, so
irrt er sich. Ja, glauben denn er und seine Leute, dass wir blind und taub
sind? Da kommen die Kerle her und machen mir was vor und erzaehlen _mir_
von der schlechten Ausruestung! Die sehe ich ebensogut wie sie! Aber auch,
dass wir uns schoen hueten muessen, ihr so grosse Bedeutung beizumessen, dass
unsere Leute darob mutlos werden. Denn das hiesse uns unserer einzigen
guten Waffe: ihres felsenfesten Vertrauens auch noch zu berauben. Wenn ich
den wackeren Kerlen in die Augen schaue und das reine lautere Gold
gluehender Vaterlandsliebe mir da entgegenfunkelt, da denke ich: hol' mir
der Teufel Flinten und Patronen! - _Das_ da ist unbezwinglich! Das siegt!
Das fragt nach keiner Uebermacht! Und auf die Leute wagen unsere russischen
Bundesbrueder gar uebermuetig herabzublicken! Schockschwerenot - was haben
die Russen geleistet, das ihnen die Berechtigung dazu gaebe? Die prahlen
damit, wie sie im Vorjahre Napoleon besiegt haben - wo sie vor ihm
gelaufen sind, bis der sich in seinem Uebermut verrannte und nicht mehr
heil aus ihren endlosen Steppen herauskonnte. Nun kommen sie her und tun
dick, und setzen uns _ihre_ Fuehrung auf die Nase und wollen uns auch das
Ausweichen vor dem Herrn Napoleon beibringen! - Und unsere eigenen Leute -
die besten unter ihnen, wie der alte Isegrim soeben, die helfen da brav
mit. Der Geist des Rueckzugs und der Flaumacherei geht bei uns maechtig um!
Es ist hoechste Zeit, dass wir ihm den Garaus machen, Gneisenau!"

Er schwieg.

Aller Aerger und alle Bitterkeit der letzten Jahre wurden wieder in ihm
wach, und er durchlebte in einem kurzen Augenblick noch einmal die
schrecklichste Zeit seines Lebens, die Zeit, wo er aus jeder
liebgewordenen Taetigkeit verbannt, geaechtet und von den braven Strebern
gemieden leben musste. Bis er endlich die Fruehlingsluft der Befreiung
witterte, seine Zeit gekommen fuehlte und seine Stimme erheben durfte ohne
Furcht, nicht mehr gehoert zu werden.

"Mich juckt's in allen Fingern, den Saebel zu ergreifen", schrieb er da an
seinen unvergesslichen Freund Scharnhorst. "Wenn es jetzt nicht Seiner
Majestaet unseres Koenigs und aller uebrigen deutschen Fuersten und der ganzen
Nation Fuehrnehmen ist, alles Schelmenfranzosenvolk mitsamt dem Bonaparte
und all seinem ganzen Anhang vom deutschen Boden weg zu vertilgen: so
scheint mich, dass kein deutscher Mann mehr des deutschen Namens werth sei.
Jetzo ist es wiederum Zeit, zu dhun, was ich schon anno 9 angerathen,
naemlich die ganze Nation zu den Waffen anzuberufen, und wann die Fuersten
nicht wollen und sich dem entgegensetzen, sie samt dem Bonaparte
wegzujagen. Denn nicht nur Preussen, sondern das ganze deutsche Vaterland
muss wiederum heraufgebracht und die Nation hergestellt werden."

Es "juckte" ihn in allen Fingern, das ganze Heer, das ganze Volk blickte
auf ihn wie auf den gegebenen Fuehrer - und doch zauderte man, wie immer,
oben und wagte nicht, einen frischen Entschluss zu fassen. Der "Haudegen",
der "Draufgaenger" koennte es ja zu sehr mit dem lieben Feind verderben.
Eine Partei am Hofe schob, nicht ohne Aussichten, ihren Mann, den Grafen
Tauentzien, als Kandidaten fuer den Oberbefehl vor. Und einzig und allein
die ruecksichtslose Energie Scharnhorsts war es, der es gelang, den
Widerstand des Koenigs zu brechen.

Bluecher wurde mit dem Oberkommando betraut, aber - denn an allen
Entschliessungen des Koenigs hing ein einschraenkendes Aber, das teilweise
ihre Wirkung aufhob - Bluecher wurde unter russisches Oberkommando
gestellt, und mit ihm das preussische Heer.

Der Oberbefehlshaber, der alte Kutusoff, der ueberhaupt nicht mit seinen
Truppen das russische Gebiet verlassen wollte, tat der Sache der
Verbuendeten den Gefallen, gleich am Anfang des Feldzuges zu sterben. Aber
sein Nachfolger, Wittgenstein, war, bei allem guten Willen, ein gaenzlich
unfaehiger Feldherr. Er liess Napoleon Zeit, seine Armeen zu vereinigen,
verpasste jede gute Gelegenheit, ihn zu ueberraschen, liess die Preussen in
nutzlosen Kleinkaempfen verbluten, sah im Rueckzuge die einzig sichere
Frucht der teuer erkauften Siege, und gab ihnen so die Faerbung der
Niederlage.

Der frische Ansturm der Fruehlingsoffensive der Russen und der Preussen
verpuffte. Die blutigen Schlachten bei Grossgoerschen und Bautzen waren
umsonst geschlagen - die Schweden weigerten sich, die kaum befreiten
Hansestaedte vor Wiedereroberung durch die Franzosen zu bewahren - der
Koenig empfand schon die Situation "wie nach Jena und Auerstedt", und erst
der ploetzlich von Napoleon angebotene Waffenstillstand machte dem
Zurueckgehen der Alliierten nach der Weichsel ein Ende. Er daempfte aber
auch die lodernde Begeisterung, die die Erhebung getragen hatte, zu
dumpfer Verzweiflung. Und die waehrend des Waffenstillstandes einsetzenden
diplomatischen Verhandlungen waren nicht dazu geeignet, sie wieder zu
entfachen.

Die Herren Diplomatiker rieben ihre klugen Schaedel aneinander und brachten
einen Friedensvorschlag zustande, dessen Bedingungen in der Hauptsache
Raeumung aller preussischen Festungen seitens der Franzosen waren, sowie
Rueckgabe von Danzig an Preussen und von den illyrischen Provinzen an
Oesterreich, Aufloesung des Herzogtums Warschau und dessen Teilung zwischen
Russland, Oesterreich und Preussen, und ausserdem die volle Wiederherstellung
der Hansestaedte. Die Aufloesung des Rheinbundes und die Wiederherstellung
Preussens regte man wohl an, wagte sie aber nicht zur Bedingung zu machen.
Und Napoleon tat trotzdem den "Maechten" den grossen Gefallen, auf diese fuer
sie - aber nicht fuer ihn - unguenstigen Bedingungen nicht einzugehen. Der
faule Friede unterblieb, die Diplomatie wich wieder dem Schwerte,
Oesterreich trat der Allianz bei, und von allen Bergen loderten
Freudenfeuer auf und bekundeten das Ende des Waffenstillstandes und die
Wiedereroeffnung der Feindseligkeiten.

Bluecher aber brauchte sich nicht noch einmal von den russischen Generaelen
gaengeln zu lassen. Ihm wurde der Oberbefehl ueber die aus einem preussischen
und zwei russischen Korps gebildete Schlesische Armee gegeben. Und da die
Monarchen sich alle unter die Obhut der unter Schwarzenberg von Boehmen aus
operierenden Hauptarmee begaben, so hatte er das grosse und unerhoffte
Glueck, diese Gesellschaft mit ihren jede freie Bewegung behindernden
Erwaegungen und ihrem Gefolge von Besserwissern los zu sein, was seine
Siegeshoffnung nicht wenig staerkte.

Freilich - einer fehlte, dessen Verlust ihm einer verlorenen Schlacht
gleichkam: Scharnhorst, der durch seinen unermuedlichen Taetigkeitsdrang und
seinen Diensteifer seine in der Schlacht bei Grossgoerschen erhaltene Wunde
vernachlaessigt hatte und daran starb, gerade als er am noetigsten war.

Der Schmerz ueber diesen Verlust war schwer und andauernd. Er seufzte beim
Gedanken an den verlorenen Freund auf und umfasste dessen Nachfolger und
frueheren treuen Mithelfer mit einem zaertlich-dankbaren Blick, dass
wenigstens _er_ ihm geblieben war.

"Na, Gneisenau", sagte er gutmuetig, und es kam ein Ton warmer
Hoffnungsfreudigkeit in die Stimme, "jetzt gilt's, die Zaghaften im Lande
von ihren boesen Traeumen zu erwecken. Ein Donnerschlag, Gneisenau, der
ihnen den Nebel aus den Koepfen verscheucht, so dass sie wagen geradeheraus
zu sehen und zu denken! Eine froehlich schmetternde Siegesfanfare, die den
gesunkenen Mut wiederbelebt! Eine Tat, die unsere schlechten Waffen gut
macht und zu Ehren bringt! Vorwaerts, an die Arbeit, Gneisenau!"

Dann liess er sich die Meldungen von den Avantgarden seiner Korps vorlegen.
Aus denen ging hervor, dass der Feind auf den Hoehen jenseits der Katzbach,
von Goldberg bis Liegnitz, lagerte, aber nicht, ob er vorrueckte oder an
Zurueckgehen dachte.

"Auf alle Faelle greifen wir an", entschied der General.

Yorck erhielt den Befehl, von Jauer bis nach Schlauphof an der in die
Katzbach einfallenden Wuetenden Neisse vorzuruecken und sich da, von den
Uferhoehen gedeckt, in Kolonnen aufzustellen. Die Russen auf dem rechten
Fluegel unter Sacken sollten die feindliche Front bei Liegnitz festhalten -
die Russen auf dem linken Fluegel unter Langeron, die links von der
Wuetenden Neisse von Hennersdorf bis zum Gebirge standen, muessten ueber die
Katzbach auf Goldberg, Yorck in der Mitte gerade nordwaerts bei Kroitsch
die Katzbach ueberschreiten.

Die Befehle flogen den Kommandierenden zu und loesten bei ihnen
verschiedene Gefuehle aus - aber als Allerletztes das des Gehorsams.

Sacken allein erwiderte dem Offizier, der ihm Bluechers Befehle
ueberbrachte: "Gruessen Sie den General: hurra!"

Aber sein Landsmann Langeron, der im Tuerkenkriege selbstaendig kommandiert
hatte, der sich ungern dem Oberkommando Bluechers fuegte und sich als
bestellter Aufpasser des Hauptquartiers ueber ihn fuehlte, da man ihm von
dort stets geheime Mitteilungen von den Instruktionen an Bluecher gab,
dieser franzoesische Emigrant erklaerte kurzweg, er duerfe sein Korps nicht
aufs Spiel setzen.

Und Yorck wetterte und fluchte und tat einen Schwur: "eher werde er seinen
Degen zerbrechen, als ueber die Katzbach gehen!"

Kurz: mit der Disziplin bei den hoeheren Fuehrern der Armee war's uebel
bestellt.

Der General Langeron war sogar noch weiter gegangen. Er kalkulierte, trotz
aller Befehle vorzugehen, dass es weder einen Angriff noch eine Schlacht
geben wuerde, sondern, wie im Fruehlingsfeldzug, einen frischen, froehlichen
Rueckzug, und hatte, in weiser Fuersorge, bereits seine schwere Artillerie
nach rueckwaerts auf Jauer vorausgesandt. Durch diese Massnahme fehlte sie
ihm nachher in der Schlacht.

Nach den ausgegebenen Dispositionen Bluechers wurde aber an dem Tage
ueberhaupt nicht gearbeitet.

Denn auch der Feind parierte nicht. Er blieb nicht wacker in seinen
Stellungen stehen, um auf den Besuch zu warten, sondern ueberschritt
unvermutet die Katzbach einige Stunden, ehe die Schlesische Armee es tun
sollte, und enthob so deren Obergeneral der Pflicht, seine obstinaten
Unterfuehrer dazu zu zwingen.

Der Marschall Macdonald glaubte bestimmt die Schlesische Armee auf dem
Rueckzug, und er hatte ja, nach den bisherigen Erfahrungen mit der
Kriegfuehrung der Alliierten, allen Anlass dazu. Um so mehr, da sie wirklich
vor einigen Tagen zurueckgewichen waren, als Napoleon selbst mit seinen
Garden die Angriffsarmee verstaerkt hatte. Jetzt war der Kaiser nach
Dresden zurueckgeeilt, um sich der Hauptarmee der Alliierten
entgegenzuwerfen, und ueberliess Macdonald allein die Verfolgung. Weit
auseinandergezogen gingen die Franzosen zu diesem Zweck vor - und stiessen
zu ihrer nicht geringen Ueberraschung auf die Bluechersche Armee, die in
voller Schlachtordnung aufmarschierte.

Man war beiderseits sehr ueberrascht ueber die Begegnung. Der Himmel gab
seinen Segen dazu, indem es wie seit Wochen in Stroemen goss.

Frischer Mut und frohe Laune bei andauernd schlechtem Wetter ist nicht
jedermanns Sache.

Wenn der Himmel bestaendig voll grauer Wolken haengt, wenn Tag fuer Tag kaum
einmal ein Glimt von der Lichtspenderin zu merken und ein Ende der
Sintflut nicht abzusehen ist, dann schrumpft die Hoffnung zusammen, frohe
Zuversicht wandelt sich in bleiche Verzagtheit, und der Mensch moechte sich
am liebsten in irgendeine Hoehle verkriechen und da, in Erwartung besserer
Zeiten, hindaemmern, ohne noch die Hand zu ruehren, um sie herbeifuehren zu
helfen.

Gegen die Elemente ist Menschenwille machtlos. Und eine Welt, in der es
immerfort regnet, verlohnt sich nicht zu erobern.

So kam es wohl, dass ein aus Oberschlesiern bestehendes Bataillon nicht
stehen wollte, als einige Kanonenkugeln ihnen die ersten Gruesse Frankreichs
aus den Schluchten hinaufsandte, die zur Wuetenden Neisse hinabfuehrten. Die
Schlesier gaben gleich Fersengeld und waren schon im Begriff, die anderen
Bataillone in Unordnung zu bringen, als der Fuehrer der Avantgarde einige
Kanonen auf sie richten liess und sein Ehrenwort gab, ihnen auch deutsche
Kugeln zu kosten zu geben, wenn sie sich von der Stelle ruehrten. Das
wirkte Wunder. Die Leute hielten sich nachher im dichtesten Kugelregen wie
alte, kriegsgewohnte Soldaten, und die Ehre der schlesischen Landwehr war
gerettet.

Der Feind war ueber die Katzbach das Tal der Wuetenden Neisse heraufgekommen,
breitete sich von Schlauphof bis zu Dohnau aus und drang nun durch die
engen Schluchten nach dem Plateau hinauf, ohne zu ahnen, dass er da oben
die Hauptmasse der Schlesischen Armee versammelt finden wuerde. Bluecher
beschloss, ihn heraufkommen zu lassen und sich dann auf ihn zu werfen und
ihn wieder in die Schluchten hinabzustuerzen.

Yorck stellte seine Bataillone auf, aber nicht schnell genug und
vielleicht nicht ganz vorschriftsmaessig gerichtet. Denn das Oberkommando,
vom Obersten Mueffling vertreten, fand daran zu tadeln. Der alte Yorck
wiederum fand, dass er es nicht noetig haette, sich von Herrn von Mueffling
sagen zu lassen, wie er seine Bataillone an den Feind zu bringen haette.
Und inzwischen avancierte der Feind, ohne sich um die Kunststuecke zu
kuemmern.

Schliesslich hatte Yorck seine Truppen in schlachtmaessiger Ordnung. Selbst
fuehrte er die Brigade Huehnerbein am linken Fluegel, Horn mit seiner Brigade
den rechten. Prinz Karl von Mecklenburg-Strelitz hielt die zweite Linie,
Steinmetz' Brigade war in Reserve, die Reservekavallerie hinter dem ersten
Treffen. Und allen voran die Artillerie in vollem Feuern.

Der Feind wich - die Kavallerie fand die Zeit gekommen, ihm auf den Leib
zu ruecken, und jagte in die feindliche Geschuetzlinie hinein, weit ueber sie
hinaus, nahm Kanonen, hieb Karrees zusammen, geriet aber bald selbst in
Aufloesung und musste zurueck, als feindliche Reiterei in geschlossenen
Massen ihr entgegentrat. Das gab eine Jagd in umgekehrter Richtung, die
allerlei Verwirrung verursachte. Mehrere preussische Batterien gingen
verloren, die Chasseurs sausten zwischen die Bataillone des rechten
Fluegels hinein, Yorck klagte schon, dass ihm der sichere Sieg aus der Hand
gewunden wuerde.

Und immerfort regnete es in Stroemen. Die Munition bei Freund und Feind
wurde in gleich neutraler Weise vom Himmel durchnaesst, die Flinten schossen
wirklich, wie Bluecher vorausgesagt hatte, ebensogut ohne wie mit
Zuendloechern - das heisst: kein Schuss ging ab, weder bei den Franzosen noch
bei den Preussen. Bajonette und Kolben, Lanzen, Saebel und Piken machten da
ganze Arbeit. Denn auch die Kanonen brummten nur maessig in der dicken,
feuchten Luft. Es war die stillste Schlacht, die man sich denken konnte,
und doch eine der blutigsten und wuetendsten des ganzen Krieges.

Schliesslich gelang es der Infanterie, durch raschen Seitenangriff, der
franzoesischen Kavallerie Herr zu werden. Die russischen Husaren warfen sie
weiter zurueck, Sacken schwenkte, die feindliche Front ueberholend, rechts
ein. Da gab Bluecher Befehl zum allgemeinen Angriff. Er setzte sich selbst
an die Spitze der Kavallerie, Yorck fuehrte die Infanterie, und vor der
Wucht des Anpralls hielten die Franzosen nicht mehr stand. Mit blutigen
Koepfen kamen sie die Schluchten nach der Wuetenden Neisse und der Katzbach
wieder herunter, und diese Gebirgsbaeche, vom Regen angeschwollen, machten
gemeinsame Sache mit den Landeskindern und liessen die wenigsten von den
Feinden lebend wieder hinueber! Zu Tausenden ertranken sie in den
angeschwollenen Fluten. Die preussischen und russischen Kugeln schlugen in
die Massen hinein, die sich ueber die Bruecken draengten. Es war ein Sieg,
wie sich der alte Bluecher ihn nicht glaenzender wuenschen konnte.

Nur auf dem links von der Wuetenden Neisse aufgestellten linken Fluegel der
Armee unter Langeron gab es einige "Schweinerei", die fast den Erfolg des
Tages auf das Spiel gesetzt haette.

Man hatte sich da vom Feind zurueckdraengen lassen und war gar im Begriff,
aus der vorzueglichen, alles beherrschenden Stellung bei Hennersdorf
abzuziehen, als Yorck, nach der Entscheidung rechts von der Wuetenden
Neisse, die Brigade Steinmetz nach dem linken Ufer hinueberschickte, die
Gefechtslage dort wiederherstellte, Monsieur Langeron in die Offensive
zwang und mit ihm zusammen auch hier den Feind warf.

Achtzehntausend Gefangene, drei Generaele und eine Menge Stabsoffiziere,
hundertdrei Kanonen, zweihundertfuenfzig Munitionswagen, Lazarette,
Feldschmieden, zwei Adler und andere Trophaeen waren die Beute.

Die moralische Wirkung auf die Armee war aber ungeheuer, und die
wichtigste Errungenschaft des Sieges. Die bockbeinigen Herren
Untergeneraele mussten nolens volens, sich vor dem Glueck beugend, die
Ueberlegenheit einer Fuehrung, die vom Himmel so gut bedient wurde,
anerkennen.

Allein Bluecher selbst machte sich in seiner rebellischen Art ueber seine
eigene Strategie lustig.

"Na, Gneisenau," sagte er ploetzlich zu dem neben ihm reitenden
Generalquartiermeister, als sie sich am Abend in stroemendem Regen nach dem
Hauptquartier in Brechtelshof zurueckbegaben, "die Schlacht haetten wir
gewonnen, das kann uns eine ganze Welt von Theoretikern nicht abstreiten.
Nun lass uns auch mal daran denken, was wir klugerweisse zusammenbringen,
um den Leuten klarzumachen, _wie_ wir sie gewonnen haben. - Diesmal muss Er
die Strategie eben nachtraeglich zurechtmachen. Einen Plan muessen wir
gehabt haben! Das geht nicht anders! Was werden die Strategen sonst von
uns sagen, wenn wir uns erfrechen, so gegen alle Regel eine Schlacht
gewonnen zu haben?"

                                   *

Im Schloss des Grafen Hohenthal zu Wartenburg war der Bankettsaal hell
erleuchtet.

Um die Tafeln eine ernste Gemeinde.

Ein blutiger Tag war zu Ende. Man feierte einen glaenzenden Sieg -,
erfreute sich des Gelingens eines kuehnen strategischen Manoevers, von dem
eine entscheidende Wendung des ganzen Feldzuges zu erhoffen war.

Aber immer noch stand die Hauptmacht Napoleons ungebrochen da. Immer noch
flatterten die dreifarbigen Fahnen ueber der Hauptstadt seines saechsischen
Vasallen. Die Marseillaise schmetterte noch sieghaft wie bisher und
behauptete das Feld gegen die fremden Klaenge, die rebellische Rhythmen in
das Konzert zu werfen suchten.

Von allen Seiten kam das Echo feindlich gefaerbt zurueck - aus den
boehmischen Bergen - aus der Lausitzer Gegend und noerdlich von der Elbe,
kraeftig genug, um der Welt zu zeigen, dass die Todesstunde der
franzoesischen Alleinherrschaft geschlagen hatte.

Die Rollen waren vertauscht.

Jetzt war Napoleon nicht mehr der wilde Jaeger, vor dem alles auswich und
vor dessen Ungestuem alles erlag. - Jetzt war er selbst das gehetzte Wild,
noch furchtbar, wo seine Pranke traf, aber nicht mehr als Sieger Gesetze
gebend.

Dem ersten Ansturm des aus Boehmen vorbrechenden Hauptheeres der
Verbuendeten bot er siegreich Halt, schlug es bei Dresden entscheidend und
warf es ins Gebirge zurueck. Und triumphierend jubelte die Marseillaise.

Aber aus allen Himmelsrichtungen antworteten die Hoerner der Jaeger mit noch
staerkeren Siegesklaengen.

Bei Kulm war das ganze verfolgende Korps Vandammes vernichtet - an der
Katzbach Macdonald von Bluecher aufs Haupt geschlagen worden. Auch der
Fuerst von der Moskwa, Ney, und der Marschall Oudinot holten sich bei
Grossbeeren und Dennewitz derbe Schlaege von den Untergeneraelen des
zaghaften Kommandierenden der Nordarmee, des zum Kronprinzen von Schweden
avancierten Bernadotte - Niederlagen, die die franzoesische Stellung an der
Elbe, trotz Beherrschung der Elbfestungen, in Frage stellten.

Noch aber war die Lage nicht kritisch geworden.

Die Nordarmee der Verbuendeten hielt sich vorsichtig zurueck und nuetzte ihre
Siege nicht aus. Die Hauptarmee drueckte sich noch immer in den boehmischen
Bergen herum und wartete auf Verstaerkungen. Da brachte Bluecher Bewegung in
das Ganze und zwang seine zoegernden Mitarbeiter aus ihrer Zurueckhaltung
heraus.

Er kuemmerte sich den Teufel um die Hilferufe seines weit staerkeren
Waffenbruders Schwarzenberg, liess die Hauptarmee Hauptarmee sein, schickte
ihr nicht einmal einen Knopf von den erbetenen fuenfzigtausend Mann
Verstaerkungen hin, marschierte statt links, wie man's wuenschte, rechts ab,
wie er selbst es wollte, nach Nordwest, die Elbe abwaerts, an der
franzoesischen Hauptmacht vorbei, taeuschte inzwischen Napoleon durch eine
ploetzliche Diversion des Sackenschen Korps auf Meissen, stellte diese und
noch andere russische Truppen noerdlich der Elbe als schuetzende Kulisse
auf, hinter der er mit der Hauptmacht seiner Schlesischen Armee bis in die
Gegend von Wittenberg ziehen konnte. Dort ging er ueber die Elbe, stand mit
einem Schlag im Ruecken der franzoesischen Armee, bedrohte die rueckwaertigen
Verbindungen Napoleons, manoevrierte so diesen mit kuehnem Griff aus Dresden
heraus und von der Elbe fort, und brachte zugleich Schwarzenberg vom Sueden
und Bernadotte aus dem Norden in Bewegung. Denn jetzt mussten sie folgen
und helfen, den Ring um das Edelwild noch dichter zu schliessen.

Im Schlosse zu Wartenburg tafelte Bluecher mit seinen Offizieren nach
gluecklich erkaempftem Elbuebergang.

Der grosse Bankettsaal war hell erleuchtet.

In Kronen und Ampeln flammten die Kerzen. Durch die Loecher in den Waenden
und durch die zerschossenen Fensterscheiben funkelten die Sterne des
Himmels herein.

Ernst waren die Gesichter der Tafelnden und leise die Unterhaltung. Ein
jeder lauschte auf die gedaempften Trommelwirbel von draussen, wo in der
Abenddaemmerung die Gefallenen bestattet wurden, die um den Sieg ihr Leben
gelassen hatten.

Bluecher selbst, sonst eitel Frohmut und Laune, sass heute nachdenklich da.

Das Gelingen seines kuehnen Unternehmens erfuellte ihn wohl mit Genugtuung.
Aber der hohe Preis des Sieges, das viele kostbare Blut, das heute hatte
fliessen muessen, stimmte die Siegesfreude in Trauerklaenge um.

Ploetzlich ergriff er sein Glas und erhob sich von seinem Platz.

Feierlicher Ernst lag auf seinem Gesicht, seine Augen schimmerten in
feuchtem Glanz, und in der Stimme zitterte ein Ton tiefster Bewegung, als
er anhub:

"Lasset uns unsere Toten begraben. Widmen wir ein Glas den vielen
namenlosen Helden, die bis heute ihr Blut fuer die Befreiung unseres
Vaterlandes aus fremder Gewalt vergossen haben. Ein Name mag da fuer alle
gelten. Denn er, der ihn trug, war auch der Geringsten einer. Aus den
aermlichen Verhaeltnissen nahm er seinen Aufstieg zur Hoehe, wo jaeh seine
Laufbahn endete, und zeugt so davon, dass nur wer vom Volke geboren wurde,
dem Volke Befreier werden kann.

Er wurde es.

Ihm, seinem Geiste, seinem unermuedlichen Schaffen verdanken wir, wenn wir
jetzt dastehen, wo wir heute sind, und hoffen koennen, das hohe Ziel zu
erreichen, fuer das wir alle unser Leben geben wollen.

Was das heisst, brauche ich keinem von euch zu sagen. Wir alle wissen, dass
wir als Volk so tief gesunken waren, dass die grosse Masse dem Unglueck, das
unser Vaterland bis zur Grenze der Vernichtung niederwarf, fast
teilnahmslos gegenueberstand. Wir sind alle Zeugen der jaehen Wandlung - wir
haben das Aufflammen der Begeisterung miterlebt, das hoch wie niedrig
ergriff und zu Heldentaten befaehigte, von denen wir heute wiederum
staunende und ergriffene Zeugen gewesen sind.

Wer schuf sein Leben lang in stiller emsiger Arbeit die Waffe zu solcher
Tat? Wer lehrte sie uns gebrauchen? Wer war uns Freund, Organisator und
Mitstreiter, ohne zu ermueden, ohne sich Ruhe zu goennen - auch nicht als
er, zu Tode verwundet, Erholung und Pflege haben musste? Sei getreu bis in
den Tod - dies hehre Gebot erfuellte er ohne Zagen als erste und
selbstverstaendliche Pflicht.

Was befaehigte ihn dazu, was trug ihn und uns mit ihm durch alle
Niederungen der Knechtschaft zur Freiheit empor?

Es war der zaehe, durch nichts zu besiegende Widerstandsgeist unseres
Volksstammes, der wohl gebeugt, aber nimmermehr gebrochen werden kann, und
der, wenn es um das Heiligste auf Erden geht: um das Recht, frei unter
freien Voelkern sein Haupt aufrecht zu tragen, in flammendem Zorn
emporlodert, um unwiderstehlich, wie das heilige Donnerwetter selbst,
alles hinwegzufegen, was sich erdreistet, sich dem in den Weg zu stellen!

Dieser Geist hat sich heute wieder herrlich offenbart -"

Bluecher schwieg bewegt. Denn wieder rollten in langsamem Zeitmass
langgedehnte Trommelwirbel gedaempft herein, wie um seinen Worten noch mehr
Nachdruck zu verleihen.

"Die Trommel geht," rief er dann ergriffen, "sie mahnt unseren Sinn, ins
Jenseits zu blicken. Dort ziehen jetzt in endloser Schar die Geister
unserer gefallenen Brueder vorueber. Immer dichter draengen sie an den Thron
des Herrn aller Heerscharen heran und empfangen als Lohn fuer ihr Opfer die
Weihe, fortan, von jeder leiblichen Schwere unbehindert, mit uns zu
streiten, um unsere heilige Sache zum Siege zu fuehren.

Wir hienieden sind alle gering gegen sie. Ich selbst weiter nichts als ein
Handwerker, der die aufgegebene Arbeit geleistet hat.

Wer aber alles so bereitet hat, dass wir anderen hier den Erfolg haben
konnten, das war jener, von dem ich hier geredet habe -"

Er wandte sich mit den Worten an den jungen Leutnant von Scharnhorst und
winkte ihn naeher.

"Das war Ihr Vater", setzte er seine Ansprache fort. "Denn er und kein
anderer hat jedem Sieg, den wir erstritten, vorgearbeitet, er hat in Reih'
und Glied mit den anderen dafuer gekaempft, sein Leben eingesetzt und
verloren, wie der Geringste unter denen, deren Heimgang wir betrauern.
Blicke herab, verklaerter Geist unseres Scharnhorst, und vernimm es, wie
wir alle hier in die Hand deines Sohnes geloben, dir nachzueifern in Wort
und Tat, bis wir das deutsche Vaterland von den Feinden und Unterdrueckern
befreit und den preussischen Namen wieder zu Ehren gebracht haben."

Damit zog er den Sohn Scharnhorst an seine Brust und kuesste ihm die Stirn.
Die anderen traten ergriffen an den jungen Offizier heran und bekraeftigten
mit stummem Handschlag die Worte ihres Fuehrers.

                                   *

Im Schlosse zu Koethen sass der Kronprinz Karl Johann von Schweden, alias
Marschall Bernadotte, bei der Morgentoilette. Die geschickten Haende seines
Kammerdieners befreiten seine, trotz den fuenfzig Jahren, immer noch
rabenschwarzen Locken von den unzaehligen Papillotten, in die sie ueber
Nacht gewickelt waren, und ordnete sie in dekorativem Wirrwar um das
scharf geschnittene Profil herum, das so recht dazu geeignet war, auf
Muenzen und Medaillen majestaetisch zu wirken.

Zur Muenze geschlagen, haelt der Mensch den Mund, und das ist bei manchem
gekroenten Haupt entschieden von Vorteil.

Noch war der Advokatensohn aus Pau ja nicht so weit in der Karriere
gediehen. Er plapperte also ruestig drauflos.

Sein schwedischer Adjutant, der in ehrfurchtsvoller Haltung wartete, bekam
einen Erguss ueber alles moegliche, was die neugefuerstete Seele seines
Gebieters momentan bewegte.

"Wir schreiben also sofort an den General Bluecher, dass der Kaiser Napoleon
auf das rechte Elbufer uebergegangen ist, unsere Rueckzugslinie ernstlich
bedroht und uns noetigt, zu retirieren und ueber die Elbe zurueckzugehen. -
Wir fordern den General auf, uns mit der Schlesischen Armee zu folgen.
Und, damit er es auch tut -, deuten Sie ihm an, wir haetten uns bei dem
Kriegsrat in Trachenberg von den Monarchen zusichern lassen,
gegebenenfalls und insbesondere bei gemeinsamen Unternehmungen auch ueber
ihn und seine Armee den Oberbefehl zu fuehren."

Der Adjutant machte sich eiligst Notizen.

"Es ist an der Zeit, mit der Legende aufzuraeumen, ein ehemaliger Marschall
von Frankreich waere gerade gut genug, in Deutschland ein subalternes
Kommando zu fuehren! Wozu hat man mich wohl gebeten? Man ueberhaeuft mich mit
Komplimenten - man macht mir Versprechungen - der Kaiser Alexander selbst
wurde nicht muede, zu betonen, er haette mit mir die Strategie Napoleons in
die Dienste der Verbuendeten gestellt! - Nun, er hat nicht zu sehr
danebengegriffen. Aber wem gab man den Oberbefehl? - Mir etwa? Nein, dem
Fuersten Schwarzenberg!

Wer ist Fuerst Schwarzenberg? Auf welchem Schlachtfelde wurde sein Name
bekannt und beruehmt? Auf keinem, wo ich mitgekaempft habe. Und wo habe ich
nicht mitgekaempft? Wer gab bei Austerlitz die Entscheidung? Wer bei Wagram
- und das in solchem Masse, dass Napoleon vor Neid fast platzte und sich zu
Unbesonnenheiten mir gegenueber hinreissen liess, um mir die Palme des Sieges
zu entreissen.

Nun hat man mich - und laesst mich eine zweite - eine dritte Rolle spielen,
und verspielt so das Ganze. Sie werden es sehen. Napoleon wird den Leuten
ein Schnippchen schlagen. Und wenn nicht - dann haben sie's meiner
Vorsicht zu verdanken, die ihm stets zu entschluepfen wusste.

Napoleon weiss schon, was er an mir hat!

Er weiss mich als Feind einzuschaetzen. Er wird auf mich wuetend sein! Er
wird darauf brennen, vor allem mich zu vernichten, weil ohne mich die
anderen ihm dann auf Gnade und Ungnade ausgeliefert sein werden!

Ich huete mich aber, mich seinen Keulenschlaegen auszusetzen. Den billigen
Triumph soll er nicht haben. Wie koennte ich ihm auch standhalten?

Was fuer Truppen hat man mir dazu gegeben? _Mon dieu!_ Einen Bernadotte
nimmt man zum Oberkommandierenden - und gibt ihm derartiges Gesindel in
die Hand!

Diese preussische Landwehr, wie sieht sie nur aus! Was fuer eine Ausruestung,
welche Gesichter, welche plumpen Bewegungen, welche Ungeschicklichkeit!
Kein Griff, der sitzt - kein Elan, gar nichts! Die reinen Barbaren!

Und meine lieben Schweden - nun - nichts fuer ungut. Oberst, geben Sie's
nur zu - mit den Grenadieren Napoleons sich messen zu wollen, ist
eigentlich eine Arroganz von Ihnen! Brave, liebe Leute, meine neuen
Landeskinder, ich gebe es zu!

Aber was soll es heissen, dass man in Schweden so besorgt tat, als sie
ausrueckten.

'Opfern fuer fremde Interessen', sagt man! _Mon dieu!_

Ich werde diese Raritaeten von Soldaten dem schwedischen Vaterlande ganz
unbeschaedigt zurueckgeben! Man kann unbesorgt sein. Ich werde sie wie
meinen Augapfel hueten!

'Fuer fremde Interessen'?!

Weiss man denn nicht, dass meine Teilnahme am Krieg den Schweden Norwegen
einbringen wird? Oder traut man mir nicht einmal das zu?

Glaubt man in Schweden an das alberne Geruecht, die Schweden sollten
bluten, damit ich Kaiser der Franzosen werde, wenn Napoleon abgetan ist?

Es ist wahr, die Franzosen lieben mich! Sie waeren schon imstande,
mich - - -

Waere Napoleon nicht aus Aegypten zurueckgekommen - waere er damals nicht den
Englaendern entschluepft -, wer weiss, was geschehen waere?!

Wer weiss, wie die Welt heute aussehen wuerde, wenn statt ihm - ein anderer
- ich zum Beispiel, in den Tuilerien residieren wuerde?!

Nun, morgen ist auch noch ein Tag. Und wenn die Franzosen es mir nicht zu
sehr veruebeln, dass ich am Kriege gegen sie teilgenommen habe, dann - -

Schliesslich, ich tu' ihnen ja nicht weh. Aber man kennt die Treibereien
der Demagogen! - Es koennte gegen mich ausgenuetzt werden fuer den Fall, dass
man mich - - -

Wenn sie aber _trotzdem_ der Stimme ihres Herzens folgen, das stets fuer
mich schlug - wenn sie mich binnen kurzem zum Nachfolger Napoleons
ausrufen, dann werde ich meine Pflicht tun - _meine Pflicht_, Oberst!

Gewiss - ich _kenne_ meine Pflicht gegen die Schweden! Ein braves, ein
treues Volk! Aber eine drollige Sprache!

'Giff mik - - _un baiser_' - wie heisst das nun wieder: _un baiser_? - 'En
schiss' - danke lieber Oberst - 'en schiss' - _mon dieu_, man zerbricht sich
fast den Mund dabei! Es klingt ja beinahe wie Deutsch - ebenso unmoeglich
zu prononcieren, ebenso guttural! Eine Sprache fuer die Wilden! Man muesste
eigentlich bei euch in Schweden die franzoesische Sprache einfuehren!
Glauben Sie, Oberst, die veredelt die Manieren! Die wuerde euch Schweden
gut zu Gesicht stehen! Nun, wer weiss, was noch kommen kann, wenn man mich
_nicht_ - - -

Denn _wenn_ man mich zum Kaiser der Franzosen waehlt - es gibt eine
Pflicht, Oberst, die alle anderen Pflichten in den Hintergrund stellt, und
das ist die Pflicht gegen die Menschheit. Und meine Wahl waere: der ewige
Friede und also ein Segen fuer die ganze Menschheit.

Das kaeme dann auch den Schweden zugute - und weit mehr, als wenn ich meine
aufs Grosse gerichtete Kraft darauf verschwenden muesste, nur ihr kleines
Land zu regieren.

Schliesslich kann man sich auch in Schweden vertreten lassen -, oder die
beiden Laender enger aneinanderschliessen. Sie werden's sehen, es wird noch
kommen, man wird noch in Schweden Franzoesisch sprechen! -

Also, heute gehen wir ueber die Elbe zurueck.

Sie meinen, wir haetten ebenso gern gleich drueben bleiben koennen? Gewiss!
Ich war niemals fuer dies Abenteuer. Ich habe es kommen sehen, dass wir
zurueck muessten!

Immerhin, ich habe dem alten Haudegen Bluecher gezeigt, wie man so etwas
macht! Er hat bluten muessen, als er bei Wartenburg ueberging. - - Wieviel
sagten Sie? - Zweitausend Tote?! Das ist viel! Das ist ungeschickt!

Ich habe bei meinem Uebergang keinen einzigen Toten gehabt - keinen
einzigen! Eben weil ich die Gelegenheit besser wahrnahm und erst ueber den
Fluss ging, als der Feind mit Bluecher beschaeftigt war und nichts davon
merkte.

Wer zuerst kommt, auf den stuerzt sich die Meute, an ihm beissen sich eben
die Hunde fest!

Der gute Bluecher glaubt sich mir ueberlegen, er treibt mich gar an! Er
denkt, er koenne mit seiner Feldherrnkunst die meine duepieren?

Dabei hat er schon einmal in mir seinen Meister gefunden! Sie wissen: in
Ratkau, wo er vor mir kapitulieren musste! Er wird es nochmals erleben! Er
wird sich wundern, wenn ich heute die Karten aufdecke und ihm zeige, dass
er eigentlich unter meinem Befehl steht und mir zu gehorchen hat!

Er wird fluchen! Ha, ha, ha! Er ist ein Grobian, ein ungeschlachter alter
Landsknecht, ein unmanierlicher Barbar! Nun, er ist eben ein Deutscher!

Apropos - ihr Schweden seid doch auch halb deutsch! Wie kann man nur?
_Ridicule!_ Und eure Sprache auch!

Wie hiess es nun wieder: _donnez moi_ - 'giff mik un giss' - un giss! Wie
drollig! Wie laecherlich!"

So plapperte Seine neugebackene Koenigliche Hoheit mit der
Selbstgefaelligkeit eines Papageien weiter und imponierte seinem Adjutanten
und nicht zum mindesten seinem Kammerdiener mit seiner Zungengelaeufigkeit,
die, wie sooft bei seinen Landsleuten, ersetzen musste, was ihm an Geist
abging.

Als aber der Kammerdiener ans Barbieren kam, da stand das kronprinzliche
Mundwerk endlich so lange still, dass der Adjutant seine Meldung abstatten
und mitteilen konnte: der englische Bevollmaechtigte, General Stewart,
widerriete auf das bestimmteste einem Rueckzug ueber die Elbe.

_Wenn_ ueberhaupt zurueckgegangen werden muesste, da waere der General Stewart
dafuer, dann lieber ueber die Mulde, ja sogar bis hinter die Saale -,
ueberhaupt nach Suedosten auszuweichen, wie es Bluecher vorgeschlagen hatte,
um die Verbindung mit der aus Boehmen vorbrechenden Hauptarmee zu suchen
und die Rueckzugslinien Napoleons auf Weissenfels und Erfurt zu bedrohen.

Der Kronprinz hoerte gelassen zu, liess sich einseifen und antwortete mit
keinem Wort.

Er gedachte der Subsidien, die ihm England zahlte, und die wohl dessen
Bevollmaechtigten berechtigten, ein Wort mitzureden.

Als aber dann ein zweiter Adjutant mit der Meldung hereinkam, die
Franzosen haetten seine Schiffsbruecken bei Aken und Rosslau zerstoert, da
atmete der Kronprinz erleichtert auf.

Denn nun musste er links der Elbe bleiben, ob er wollte oder nicht!

Die Sache war entschieden. Der Englaender hatte seinen Willen, und selbst
brauchte er, dank dem Feinde, keinen Entschluss zu fassen.

So trieb man die Weltgeschichte entschieden am besten und bequemsten. Man
liess ihr ihren Lauf, trieb selbst mit und vertraute dabei seinem Glueck und
seiner angeborenen Faehigkeit, an die Oberflaeche zu kommen und sich dort zu
behaupten. Und wurde so ein Auserwaehlter von Gottes Gnaden.

                                   *

 "Ein Faehnrich zog in den Kri-ieg -
 widibum fallera, juchheirassa,
 ein Faehnrich zog in den Kri-ieg,
 wer weiss, ob er wiederkehrt,
 wer weiss, ob er wiederkehrt!

 Er liebt ein schwarzbraunes Maedchen,
 widibum fallera, juchheirassa, -
 er liebt ein schwarzbraunes Maedchen,
 das bitterlich um ihn weint,
 das bitterlich um ihn weint!"

So sang man an einem der vielen Biwakfeuer des Yorckschen Korps vor
Moeckern. Und weiter gen Wiederitzsch zu antwortete es von den Lagerfeuern
der Russen, die sich dort aneinanderreihten, in langgezogenen
melancholischen Toenen.

"Matjuschka-a babu-usch-ka - -", klagte da ein schmelzender Tenor das
ewige alte Russenlied vom roten Sarafan, an dem die Mutter nicht mehr
naehen soll, waehrend oben auf der Anhoehe die Silhouetten weithosiger,
bebluster Taenzer zu den Toenen der Balalaika sich gespenstisch hin und her
drehten, bald an dem flammenden Feuer vorbeihuschten, bald ins Halbdunkel
hineinhuepften, um gleich wieder zum Vorschein zu kommen, die Haende in die
Hueften gestemmt, die Hacken zusammengeschlagen, die Knie gebeugt, und dann
bald nach links, bald nach rechts heraus auf den Hacken gerutscht,
hochgeschossen, rundgeschnurrt und wieder in die Finsternis hineingehuepft.

Ein dumpfes Geraeusch von ferne rollenden Raedern, ein aufbrausendes und
wieder abnehmendes Stimmengewirr, Kommandorufe, Hoernerklang, Trommelschlag
und Pferdegetrappel verrieten, dass irgendwo bei Freund oder Feind im
Schutze der Nacht noch Truppenbewegungen vorgenommen wurden.

Klagen, Hilferufe, Jammern und Schmerzensgestoehn wurden ueberall laut, um
wieder zu verstummen.

Hier und da ein ploetzlicher Flintenschuss - ein Verwundeter, der seinen
Qualen ein Ende machte, oder ein schnelles Gericht ueber einen auf frischer
Tat ertappten Leichenpluenderer. -

Es war ein blutiger Tag gewesen. Yorck und seine Tapferen hatten wieder
die Hauptarbeit machen muessen.

Der alte Isegrim hatte geflucht und genoergelt wie immer und die
Anordnungen des Hauptquartiers bekrittelt, dann aber seinen Mann gestellt.
Und wen er mit eisernem Griff packte, der blieb oder kam zerzaust davon,
dass er fuer weitere Kaempfe kaum noch in Betracht kam.

Jetzt ruhte der Kampf.

Einzelne Lichter bewegten sich langsam hin und her ueber das Schlachtfeld,
hielten an und kehrten in die Richtung, aus der sie gekommen waren,
zurueck. Und wo sie anhielten, erhob sich das klagende Gestoehn zu neuer
Staerke, und die Hilferufe wurden wieder laut. Sie galten den
Militaeraerzten, die die Verwundeten aufsuchten, aber bei der reichen Ernte,
die heute der Tod gehalten hatte, nur den wenigsten helfen konnten.

Ringsherum, soweit das Auge blicken konnte, flammte Feuer an Feuer der
biwakierenden Truppen.

Zaeune, Obstbaeume, die Haeuser der Doerfer, ueberhaupt alles Brennbare in der
Umgegend, musste herhalten, um die vielen Tausende von Feuern zu naehren, an
denen die Soldaten all der Voelker, die hier zusammengestroemt waren, um
sich gegenseitig zu vernichten, ihre armseligen Sueppchen kochten und ihre
von den Strapazen der Maersche steifen Glieder gegen die Kaelte der
Oktobernacht zu schuetzen suchten.

Schatten huschten ueberall hin und her durch die Nacht, tauchten hervor aus
dem Dunkel, von dem Licht eines ploetzlich aufflammenden Wachtfeuers
gefasst, duckten sich jaeh und schwanden, um bald wieder anderswo zum
Vorschein zu kommen.

Bald waren es Marodeure, Pluenderer, Leichenfledderer, die sich an die
Gefallenen heranmachten und, wo der Tod nicht rasch genug fuer ihre
Beutegier gewesen war, mit dem Gnadenstoss nachhalfen - bald waren es
Ueberlaeufer der franzoesischen Armee - meistens Rheinbuendler, die das
Vertrauen zu dem Glueck Napoleons zu verlieren anfingen und nun zu den
Gegnern hinueberschlichen mit begierig empfangenen Nachrichten ueber
Truppenzahl, Munition und Proviantvorraete und mit der Versicherung, dass
die deutschen Hilfsvoelker Napoleons bereits entschlossen waeren,
regimenterweise ueberzugehen, wenn noch weitergekaempft werden wuerde. Dass
Napoleon an den Rueckzug dachte, wussten sie alle, und auch, dass er's nicht
tat, sondern sich bis zum letzten Atemzug schlagen wollte.

Die Stadt Leipzig hob ihre dunkle Masse gespenstig aus dem Ring von
Wachtfeuern heraus, der sich um sie herumschlang und deren Widerschein
roetlich auf dem mit Wolken bedeckten Himmel lag.

Von den Tuermen der Stadt flammten einzelne Lichter auf, sonst war alles
dunkel, und nur ein gedaempftes Geraeusch zeugte von dem Leben, das sich
noch drinnen bewegte.

Dicht an der Ziegelei im Dorfe Moeckern an der Elster loderte und flammte
ein grosses Biwakfeuer. Alles schlief drum herum, nur ein einzelner
Schatten ging langsam auf und ab.

Eine kleine Truppe von Reitern trabte heran. Ihr Fuehrer sprang vom Pferde,
trat auf den Schatten zu und salutierte.

"Melde gehorsamst: Graf Henckell von den westpreussischen Dragonern,
kommandiert, das Hauptquartier zu decken! Haben Exzellenz besondere
Befehle?"

Yorck, denn er war es, schuettelte den Kopf.

Der Rittmeister wollte sich eben entfernen, als Yorck ihn wieder
heranwinkte.

"Haben den Feind tuechtig zerzaust heute."

"Es war ein glaenzender Sieg, Exzellenz! Aber - es hat viel Blut gekostet -
viel Blut!"

Yorck schwieg eine Weile und blickte verbissen ins Feuer. Dann wandte er
sich wieder dem jungen Offizier zu.

"Bringt Er mir Rapporte?"

"Ich habe allerdings hier und dort herumgefragt -", fing der Rittmeister
zoegernd an.

"Nun?"

"Dreiundfuenfzig Geschuetze, zweitausend Gefangene genommen!"

"Weiss ich schon!"

"Die Mecklenburger haben einen Vogel erobert!"

"Der Adler wurde mir gemeldet, die genommenen Fahnen auch! Die Verluste
aber noch nicht ganz. Weiss Er schon Genaues?"

Der Rittmeister schwieg und blickte zur Seite.

"Rede Er!" kam es scharf von Yorck.

"Zu Befehl, Exzellenz! - Es waren alles Helden!" sagte er dann leise, und
seine Lippen bebten.

Yorck nahm den Hut ab.

"Der Herr sei ihnen gnaedig", sagte er und faltete die Haende.

"Wie viele?" fragte er dann.

"Von der Mannschaft fehlt der dritte Teil!"

Yorck zuckte zusammen.

"Ich hab's nicht vermeiden koennen", sagte er. "Es hat sein muessen!
Weiter?"

"Saemtliche Regimentskommandeure sind fort. Achtundzwanzig
Stabsoffiziere - -"

"Namen nennen!"

Der Rittmeister las aus seinem Notizbuch vor:

"Von der Landwehr: Rekowsky, Thiel, Graf Wedell. Dann: General Steinmetz,
Major Hiller, Losthin, Maltzahn, Kossecki, Major Mumm, Major Leslie,
Oberst Borcke, Major Goetze, Othegraven, Krosigk -"

"Genug!"

"Fast alle Hauptleute fehlen - die Leutnants fuehren die Bataillone -"

"Der Tod hat reiche Ernte gehalten", sagte Yorck und fletschte ploetzlich
die Zaehne. "Ja, ja!" setzte er schneidend hinzu, und ein grimmiges Laecheln
flog ueber seine verwitterten Zuege, "die Leute, die Er mir da genannt hat,
das waren eben - die 'Feiglinge' von Jena!"

"Herr General!"

Der Rittmeister stand aufrecht vor ihm und blickte ihn flammend an.

"Nun," sagte Yorck, "Er hat's doch auch vor sieben Jahren miterlebt, wie
nach Jena auf uns preussische Offiziere geschimpft wurde!

Kein gutes Haar liess man mehr an uns - kein Wort war schimpflich genug, um
unsere Feigheit und Wuerdelosigkeit zu bezeichnen. Und wer schimpfte? Nun,
eben jene braven Buergersleute, die am Brandenburger Tor Napoleon die
Schuhsohlen leckten und nachher nicht schnell genug nach dem Schloss
vorauseilen konnten, um ihn dort nochmals ebenso unterwuerfig zu empfangen.
Wer schimpfte aber auf die? Wer sagte auch nur ein boeses Wort, als jene
Speichellecker dem Sieger zuliebe ihre sogenannten 'Nationalgarden'
errichteten, damit er keine Garnisonen in den Staedten zu halten brauchte?
Wer entruestete sich darueber, dass jene Garden ihm halfen, die
Kontributionen einzutreiben, oder weil die Soehne der reicheren
Buergersleute sich in gruengoldene Uniformen steckten, um als berittene
Boten und Dolmetscher bei den franzoesischen Kommandanten Dienst zu tun?
Sagte einer auch nur ein Wort darueber, dass unsere Beamten waehrend der
Okkupation brav und bieder weiteramtierten, als sei Napoleon ihr
rechtmaessiger Herrscher, und ihm halfen, die Einnahmequellen des Staates
aufzufinden? Nein. Aber die preussischen Offiziere, die mussten ihre Haut
lassen. Nun - heute haben sie das besorgt, wenn auch nicht als
Suendenboecke, und den Herrn Napoleon haben sie bedient - aber in anderer
Weise, so wie's deutschen Maennern ziemt. Und wenn sie's damals vor Jena
und Auerstedt nicht so gut taten - Henckell - ich sag's Ihm ganz offen -
dann lag's eben an unserer hundsmiserablen, rueckenmarkslosen Regierung,
die wir hatten und noch haben, und die nicht regiert, sondern sich mit dem
Strom treiben laesst. Na, heute haben nicht die Franzosen, sondern wir
Soldaten sie ins Schlepptau genommen, und sie muss mit dahin, wo das Heil
des Volkes zu finden ist. Aber es ist ein saures Stueck Arbeit."

Er schwieg. Er dachte an den Tag von Tauroggen, auf den er mit gerechtem
Stolz zurueckblicken konnte - dachte an des Koenigs Wut, weil in "seinen"
Landen jemand gewagt hatte, einen Entschluss zu fassen und zur Tat werden
zu lassen, wo _er_ selbst es nicht wagte! Er dachte an seine Absetzung und
Stellung vor ein Kriegsgericht, von der er nur durch die Zeitungen erfuhr,
weil die Russen, mit denen er paktiert hatte, die koeniglichen Kuriere
abfingen und zurueckhielten, so dass er sich um jene Kabinettsorder nicht zu
kuemmern brauchte. Bis der Koenig nicht mehr zu bremsen wagte, weil er sah
und sich sagen musste: "Das ganze Volk steht auf und fegt dich fort, wenn
du jetzt nicht mitgehst!"

Da appellierte er "an sein Volk", das laengst ohne das in Bewegung gekommen
war! Und sein Volk vergass und gab sein Letztes: Besitz, Blut, Leben, alles
her!

An all das dachte der alte Isegrim wieder einmal und mit besonderer
Genugtuung, wie immer.

"An der Regierung liegt's", sagte er dann nochmals mit Nachdruck. "Und
ueber ihr Haupt kommt all das Blut, das in diesem Kriege unnuetz vergossen
wird!

Diese ganze Schlaechterei jetzt waere ueberfluessig gewesen, und mancher brave
Mann haette zum Besten des Vaterlandes noch lange leben koennen, wenn die
Regierung ihre Pflicht getan und sich zur rechten Zeit zur Tat aufgerafft
haette! Wie haben wir anderen im vorigen Jahr, als die Truemmer der grossen
franzoesischen Armee durchs Land zogen, beim Koenig und beim Staatskanzler
Hardenberg gebettelt.

'Lasst doch die Marschaelle und die paar tausend Offiziere aufgreifen, lasst
sie festsetzen! Das ist jetzt mit Leichtigkeit und ohne Blutvergiessen zu
machen!'

So haben wir gebeten. Aber nein - da musste gleich nobel getan und mit
Anstand und Menschenliebe geprahlt werden.

Die Leute wurden gefuettert, gepflegt, gekleidet, Geld und Vorspann wurde
ihnen geliefert, damit sie heil und munter in ihr Land zurueckkehren
koennten, um dort gleich ihrem Kaiser zu helfen, eine Armee gegen uns auf
die Beine zu stellen.

Das haette er aber nie und nimmer gekonnt, waeren unsere Regierenden nicht
solche Schlappschwaenze gewesen! Nun muessen die Besten unter uns bluten, um
das wieder gutzumachen. Und was dem Koenig dann zum Regieren uebrigbleibt,
das sind eben jene Biederen, die Napoleon so brav die Schuhsohlen zu
lecken wussten! Wenn ich aber entscheiden muesste, was uns mehr unnuetz
vergossenes Blut gekostet hat, unsere liebe Regierung oder die uebergeniale
Leitung, die wir hier in der Schlesischen Armee haben, und die sich heute
wieder so verflucht gescheit bewaehrt hat, dass wir bald alle draufgegangen
waeren - ich wuesste nicht, wem ich den Preis zusprechen muesste!"

Und dann zog er gegen Gneisenau los, in dem er die Wurzel alles Uebels sah,
und ueber Bluecher, der jenen gewaehren liess.

Die ewigen Hin- und Hermaersche seit dem Elbuebergang bei Wartenburg, erst
mit Gewaltmaerschen auf Leipzig zu - dann zurueck nach der Mulde, als
Napoleon folgte, und hinter die Saale, als jener gar bis Dueben vordrang!
Alles nur unnuetzes Leuteschinden!

Die Schlesische Armee musste so, nur wegen der Unruhe Bluechers, hin und her
wie das Schifflein im Webstuhl, und zog ausserdem die ganze Hauptmacht
Napoleons auf sich, weil der Kronprinz von Schweden nur eine Stunde
taeglich marschieren wollte, und die Hauptarmee im Schneckentempo sich ueber
die boehmischen Berge nach Sachsen hineinschob. Als die sich dann endlich
Leipzig so weit wie bis Liebertwolkwitz genaehert und die Reitermassen
Murats von dort bis auf die Stadt zurueckgeworfen hatte, so dass Napoleon
eiligst zum Entsatz zurueck nach Leipzig musste und von Bluecher abliess, da
goennte dieser seinen Leuten nicht die so sehr noetige Ruhe, da ging's
gleich in Eilmaerschen hinter Napoleon her und sofort in den Kampf, kaum
dass man sich ein wenig verpusten und abkochen konnte! Wobei Bernadotte,
wie immer, sein Bestes tat, um mit der Nordarmee nicht zu frueh zur Stelle
zu sein, um helfen zu koennen.

"Unsere geniale Fuehrung hatte eben so verdreht rekognosziert, dass alles
bald schief gegangen waere - waere nicht der preussische Soldat eben der
preussische Soldat gewesen!" Und er schimpfte auf Bluecher los.

Der hatte sich natuerlich in den Kopf gesetzt, dass der Feind von Osten ueber
das Plateau von Breitenfeld angreifen wuerde, statt aus dem Sueden von
Leipzig aus, wie er's auch nachher wirklich tat. Er stellte also die ganze
Armee mit der Front gen Osten auf, wobei das Yorcksche Korps den Feind an
der rechten Flanke zu fuehlen bekam, rechts drehen musste und vom Korps
Langeron abkam, das in der alten Richtung gegen die paar Feinde, die dort
standen, weiter vorging. Da das Korps Sacken als Reserve zurueckgeblieben
war, musste also Yorck allein den Hauptkampf ausfechten.

Das ganze Korps des Marschalls Marmont stand da um und hinter dem an der
Elster liegenden Dorfe Moeckern als Gegner und verteidigte seine Stellung
mit der aeussersten Hartnaeckigkeit.

Um jedes Haus, um jedes Gehoeft wurde Mann gegen Mann gekaempft, die
Landwehrleute schlugen mit dem Kolben drein, das Dorf wurde wiederholt
erobert und ebensooft verloren, die feindliche Artillerie warf ganze
Reihen von den Angreifern nieder. Yorcks Brigaden schmolzen hin wie Schnee
an der Sonne.

Aber er liess nicht locker, wo er einmal angefangen hatte.

Als er seine letzten Infanteriereserven verbraucht hatte, gab er endlich
der Kavallerie Befehl zur Attacke.

Mit lautem Hurra und Trompetengeschmetter sausten dann die
brandenburgischen Husaren unter Major Sohr in den Pulverqualm hinein, die
brandenburgischen Ulanen folgten, die litauischen Dragoner unter dem
Grafen Henckell ebenso, und dann alles, was noch an Kavallerie da war. Mit
verhaengten Zuegeln ging es auf die feindliche Stellung los, zwischen die
Batterien hinein, die Artilleristen wurden umgeritten und niedergesaebelt,
die Karrees zusammengehauen, und alles, was noch Leben und Atem hatte, in
wilder Flucht und immer zunehmender Aufloesung vor den Pferden
hergetrieben.

Alles, was Yorck noch an Truppen verfuegbar hatte, liess er jetzt zur
Verfolgung vorruecken. Die Tamboure schlugen den Sturmmarsch, und
Ostpreussen, Schlesier, Mecklenburger und Brandenburger taten ihr Bestes,
um die Niederlage des Feindes so vernichtend wie moeglich zu gestalten.

"Das sind alles die 'Feiglinge' von Jena gewesen!" sagte Yorck noch
einmal, als er mit dem jungen Rittmeister die Einzelheiten des Kampfes
durchgesprochen hatte. "Aber noch so'n Tanz, und ich habe keine Leute
mehr! Mancher Mutter Sohn hat heute die Erde kuessen muessen! Zu viele
waren's, - - zu viele!"

"Dafuer soll das Korps nun auch Ruhe haben!" antwortete der Rittmeister,
und meldete zugleich, dass das Korps Yorck am naechsten Tag nach Wahren
zurueckkehren sollte, um sich da neu zu formieren, und dass die Russen unter
Sacken dafuer in die Schlachtlinie einruecken wuerden.

"Der Teufel auch!" rief Yorck zornig. "Das Schlachtfeld, das wir gegen den
Feind behauptet haben, behaupten wir auch gegen die Freunde. Das werden
wir wohl den Russen ueberlassen?! Nimmermehr!"

Der Rittmeister erwiderte, er haette selbst Gneisenau die Disposition
diktieren hoeren. Wobei Yorck in Wut kam und eine ganze Reihe von
Grobheiten gegen Gneisenau losliess, von dem das wieder nichts als
bodenlose Niedertracht waere.

Da klang von einem der Biwakfeuer das alte Lied: "Nun danket alle Gott!"

Am naechsten Feuer wurde der Gesang aufgenommen und pflanzte sich so weiter
von Feuer zu Feuer ueber das ganze blutgetraenkte Feld, bis es, von
Tausenden von Stimmen getragen, gewaltig anschwoll, in machtvollen Klaengen
alle anderen Geraeusche verschlang, wieder abnahm, in sich zusammensank und
verstummte.

Yorck hatte seinen Hut abgenommen und stand da, still, gebeugten Hauptes,
und lauschte auf das Lied, bis es aufhoerte. Dann sprach er seinen alten
Lieblingsspruch leise vor sich hin: "Anfang, Mitte und Ende, Herr Gott zum
besten wende!", setzte seinen Hut auf und verabschiedete den jungen
Rittmeister mit dem kurzen Befehl: "So, nun gehe Er an seinen Dienst!"

Auf einem anderen Platz des Schlachtfeldes stand noch jemand mit
entbloesstem Haupt und sang das Danklied mit. Es war Bluecher.

Waehrend seine Generalstabsoffiziere die Schreibarbeit versahen und die
Dispositionen fuer den naechsten Tag ausfertigen, waehrend Isegrim schimpfte
und noergelte, machte er praktische Arbeit und legte selbst Hand an die
Bergung und Unterbringung der Verwundeten.

Jedes Leben, das er hier noch retten koennte, wuerde er hueten wie eine grosse
Kostbarkeit. Seine Tapferen hatten durch ihren Heldenmut heute vielleicht
das Zuenglein der Wage auf Sieg gerueckt, und nichts waere zu kostbar, um das
zu lohnen.

Denn, er fuehlte es, er war zur rechten Zeit mit ihnen hergekommen.

Drueben, jenseits Leipzigs, hatte es den ganzen Tag gewaltig gedonnert. Bei
der Schlamperei der Hauptarmee und mit der ganzen Hauptmacht Napoleons
gegen sich, hatte man wohl dort keinen entscheidenden Erfolg errungen.
Aber auch keine Niederlage erleiden koennen, nachdem es Bluecher gelungen
war, hier bei Moeckern Marmont festzuhalten und ihn daran zu hindern, zur
Unterstuetzung zu eilen.

Waere nur die Kronprinzenarmee zur rechten Zeit hier eingetroffen! Haette
Bernadotte nur seine Pflicht getan - da waere es moeglich gewesen, auch die
beiden russischen Korps der Schlesischen Armee bei Moeckern einzusetzen,
statt sie nur als Sicherung gegen moegliche Ueberraschungen aus der linken
Flanke aufzustellen! Dann haetten seine Preussen sich nicht verbluten
muessen!

"Kinder, wer heute abend nicht tot oder wonnetrunken ist, der hat sich
geschlagen wie ein Hundsfott!" hatte er vor Beginn der Schlacht seinen
Leuten zugerufen.

Und sie hatten sich wie Helden geschlagen.

Manch sangesfroher Mund war verstummt fuer immer. Aber die noch da waren,
sangen um so froher.

Waehrend des Gesanges war alles still geblieben. Auch ein paar Leute, die
auf einer aus zusammengelegten Gewehren zurechtgemachten Bahre einen
verwundeten Husaren trugen, blieben gerade vor Bluecher stehen, setzten
ihre Buerde ab, entbloessten ihre Haeupter und sangen mit.

Bluecher blickte hin. Es war ein Graubart wie er selbst. Er lag da in der
Uniform der schwarzen Husaren, unbeweglich ausgestreckt, und stoehnte
leise.

Bluecher ging hin, legte seine Hand auf den Arm des Verwundeten und fragte
nach seinem Befinden und seinem Namen.

"Krause! Auch frueher bei den Bellingschen gedient!"

"Der Tausend auch! Da sind wir wohl alte Kriegskameraden?"

"Zu Befehl, Exzellenz! Ich war's ja - der damals - am Kavelpass - Exzellenz
wissen wohl noch -?"

Bluecher schmunzelte.

"Ob ich's noch erinnere! Du warst es also, der mich gefangennahm?! - Sieh
nur! Das war gescheit von dir! Da hast du mir einen grossen Gefallen getan,
mein Sohn! Dafuer sollst du auch heute in meinem Bett schlafen! Ich geb's
dir ab. - Krause also?! Frueher hiesst du wohl anders! - Ich meine, das
letztemal, als wir von jener Begebenheit miteinander sprachen, da war dein
Name - -? Nun, gleichviel, wie er war! Du bist ein Husar, du hast dich
brav geschlagen - sollst es denn auch genau so gut haben wie dein General!
Tragt ihn in mein eigenes Quartier, Kinder!"

Die Traeger griffen zu. Als sie aber die Bahre hoben, setzte sich der
Verwundete mit Aufbietung seiner letzten Kraft auf, starrte Bluecher gross
an, seine Lippen bewegten sich, suchten nach Worten, das ganze Gesicht
arbeitete in Angst.

Schliesslich gelang es ihm.

"Es ist wahr - ich _war_'s - ich -"

Und dann sank er zurueck, der Kopf fiel hintenueber, die Augen quollen vor,
ein blutiger Schaum trat auf die Lippen.

"Der Tausend!" sagte Bluecher ergriffen. "Kaum finde ich meinen Solofaenger
wieder - da ist er hin! Hattest du es aber eilig, mein Sohn!"

Er beugte sich ueber den Toten und legte die Hand auf seine Stirn.

An den Wachtfeuern der Russen ging der Tanz weiter. Und drueben stieg der
letzte Vers vom Faehnrich, der in den Krieg zog:

 "Am Grab sang dann eine Nachtigall:
 widibum fallera, juchheirassa!
 Am Grab sang dann eine Nachtigall
 ob seiner Tapferkeit -
 ob seiner Tapferkeit!" -

                                   *

"Der Kerl denkt, weil er mich einmal bei Luebeck zur Kapitulation brachte,
wird er's jetzt immer wieder tun! Der Teufel auch!" fluchte Bluecher und
peitschte sein Pferd vorwaerts, dass seine Begleiter, Prinz Wilhelm und
Major Ruehle von Lilienstern, kaum folgen konnten.

"Dem Faultier werde ich schon zeigen, wo Koenig David sein Bier holte! Ich
werde dem Monsieur Polka tanzen lernen, dass es nur so eine Art hat! _Den_
Kerl haben die hohen Herren zum Kriegsrat in Trachenberg berufen und mit
ihm den ganzen Kriegsplan beraten - mit mir nicht! Dazu war ich ihnen
nicht gut genug! Aber zum Eseltreiber - hol's der Teufel!"

In vollem Trabe langten die Reiter in Breitenfeld, noerdlich von Leipzig,
an. Auf dem hoechsten Punkt des sanft gewellten Gelaendes hielten zwei
andere Reiter in glaenzenden Uniformen, mit blaugelben Straussfedern an den
Hueten.

Es waren Bernadotte und sein Adjutant.

Sie waren nicht etwa damit beschaeftigt, das Terrain fuer den Aufmarsch auf
das Schlachtfeld um Leipzig zu untersuchen. Der Kronprinz, der nun auch
schwedische Geschichte lernen musste, liess sich ueber die beruehmte Schlacht
Vortrag halten, die Gustav Adolf einmal, waehrend des Dreissigjaehrigen
Krieges, dem General Tilly auf eben diesem Boden geliefert hatte.

Sie waren eben damit so weit gediehen, dass die Sachsen, auf dem linken
Fluegel der schwedischen Aufstellung, vor dem Stoss der Wallonen Tillys in
wilder Flucht davongejagt waren; die Finnen unter Horn, die blauen und
gelben Regimenter unter des Koenigs eigener Fuehrung stuermten gerade gegen
die Anhoehe hier oben an, von wo die schwere Artillerie Tillys Tod und
Verderben in die Reihen der Schweden saete - das Schlachtenglueck wandte
sich eben den Schweden zu, die Worte des Adjutanten wurden immer
hochtrabender, die Luft war von "Siegesfahnen schwuel" - da galoppierte
gerade Bluecher mit seinen Begleitern in die Geschichte hinein und warf die
Forderungen des Tages in die Bresche - die glorreichen Gestalten der
Weltgeschichte verblassten vor den blut- und lebenstrotzenden der Gegenwart
und wurden schmaehlich in die Flucht geschlagen - Klios Griffel sank - die
Muse der Geschichte verhuellte ihr Haupt - kurz: der Adjutant hielt sein
Maul, und Mars beherrschte in Bluechers Person die Stunde.

Bluecher hielt, atemlos von dem schnellen Ritt, vor Bernadotte, sagte:
"_Bon jour!_" und: "Wie geht's?" trocknete sich den Schweiss aus der Stirn,
winkte Major Ruehle schnell naeher und schrie ihm mit heiserer Stimme zu:
"Sagen Sie ihm, dass es hoechste Zeit ist - hoechste Zeit!"

"_Qu'est-ce qu'il dit?_" fragte Bernadotte etwas nervoes wegen der
unerwarteten Unterbrechung seiner Geschichtsstudien.

"Sagen Sie ihm, es ist die hoechste Zeit!" schrie Bluecher noch
kratzbuerstiger. "Er soll seiner Armee Marschbefehl geben! Er soll sofort
ueber die Parthe gehen und auf den Feind einhauen! Die Schlacht beginnt,
wir warten schon seit Sonnabend frueh vergebens auf den Monsieur - heute
ist's Montag, und er steht erst hier weit hinter uns! So'n
Schneckenkriechen angesichts des Feindes war noch nicht da!"

Der Major Ruehle von Lilienstern verdolmetschte die Befehle seines
Obergenerals und tat es mit vielem Zartgefuehl. Er verstand es, den
temperamentvollen Ausbruch Bluechers in so tadellose Form zu kleiden, dass
die erstaunt gehobenen Brauen Bernadottes wieder in die normale Lage
sanken.

Durch eine Neigung des Kopfes gab er zu erkennen, dass er begriff.

"_Un moment!_" sagte er dann und fragte, sich an seinen Adjutanten
wendend: "Wo waren wir eigentlich? - Die schwere Artillerie Tillys stand
also auf dieser Anhoehe? Und Gustav Adolf machte dort drueben eine
Linksbewegung, um sich der drohenden Ueberfluegelung zu entziehen -
_n'est-ce pas_? Er setzte sich an die Spitze seiner 'Blauen' und seiner
'Gelben' - - -"

Und so liess er ungeniert die beruehmte Schlacht bei Breitenfeld im
Dreissigjaehrigen Kriege weitergehen, trotz der schon mit voller Gewalt um
ihn tobenden Leipziger Voelkerschlacht. Denn ein rechter Schlachtenlenker
laesst sich durch nichts verblueffen und verliert niemals seine Ruhe.

Bluecher, der immer noch kein Franzoesisch verstand, blickte bald Prinz
Wilhelm, bald Major Ruehle an, die nur schwer ihre Munterkeit verbeissen
konnten, und fragte: "Was redet er? Er spricht von Gustav Adolf! Er redet
von Tilly! Was gehen die mich an? Die sind alle beide laengst vermodert!
Heute heisst's Napoleon oder kein Napoleon! Und der Monsieur dort soll mir
Antwort auf meine Frage geben, warum er mich im Stich laesst?! Auch eine
Zumutung vom Grossen Hauptquartier, mich, der ich kein Wort Franzoesisch
kann, mit einem General zusammenzukoppeln, der kein Deutsch spricht! Weder
kann er mich, noch kann ich ihn kommandieren! Was mache ich nun mit dem
Kerl? Auf so'ne hahnebuechene Idee konnte nur ein Franzoesling wie Knesebeck
kommen!"

Bernadotte unterbrach noch einmal die Schlacht bei Breitenfeld, ritt an
Major Ruehle heran und fragte hoeflich nach den Wuenschen des Generals von
Bluecher. Und ob ihm etwas zugestossen waere? Er waere ja so aufgeregt!

Major Ruehle gab denn aus eigenem dem Kronprinzen Bescheid ueber den Anlass
zum fruehen Morgenritt, naemlich: den Kronprinzen zu bewegen, mit der
Nordarmee schnellstens ueber die Parthe zu gehen, oestlich von Leipzig in
die Luecke zwischen der Hauptarmee und der Schlesischen Armee einzuruecken
und so zu helfen den Ring um Napoleon zu schliessen und ihn dann mit aller
Macht anzugreifen.

Bernadotte schuettelte den Kopf. Er war mitten in der Kriegsgeschichte
drin, die andere gemacht hatten. Und nun stellte man ploetzlich die
Forderung an ihn: er solle selbst Geschichte machen! Geschichte
_demonstrieren_, ja, damit koennte er dienen! Und damit fing er denn auch
richtig an.

Er wies nach, dass derartige Einkreisungsmanoever in der Geschichte selten
oder niemals gelungen waeren. Sie waren in den meisten Faellen nur zum
Nachteil des Angreifers ausgefallen! Und jetzt, mit einem Gegner wie
Napoleon, und ohne ihm einen zweiten Napoleon entgegenstellen zu koennen,
das waere aussichtslos! Dem Hannibal war das einmal bei Cannae gelungen,
aber auch ihm nur das eine Mal!

Und Napoleon! Der kannte dies Terrain besser als jeder andere - ja besser
als die Einheimischen selbst! Der hatte, als junger Mensch, Europas Karte
buchstaeblich in sich hineingefressen! Sein Gehirn trug saemtliche Berge,
Fluesse und Taeler des Kontinents im Abdruck! Staedte, Flecken, Burgen,
Schloesser, Wege, Defileen - alles hatte er im Kopfe! Es existierte nichts,
worueber er nicht Bescheid wusste! Er war ein Genie in der Ausnuetzung aller
Moeglichkeiten! Gerade da, wo man es am wenigsten erwartete, sausten seine
Schlaege nieder mit der Ploetzlichkeit eines Donnerschlages! Nun, man wuerde
ja sehen! "Hier, im Norden, wird er durchzubrechen suchen, wenn ich ihn
recht kenne", setzte der Kronprinz seinen Vortrag fort. "Alles spricht
dafuer! Er muss nach Norden debouchieren! Den Plan, auf Berlin zu gehen, hat
er nur scheinbar fallenlassen! Er hat ja noch die wichtigsten
Elbfestungen: Dresden, Magdeburg, Hamburg. Er hat an der Oder: Kuestrin,
Stettin - hat Danzig, hat grosse Garnisonen ueberall, mit denen er sich
verstaerken und unserer Herr werden kann! Er wird hier an Breitenfeld
vorbei durchbrechen - und mir zugleich meine einzige Rueckzugslinie auf
Stralsund abschneiden. Dem kann ich mich nicht aussetzen. Er wuerde mich
einkreisen! - - Nun - mit dem Kronprinzen von Schweden wuerde er einen ganz
guten Fang tun!"

"Geb Gott, er naehme ihn! Wir geben ihn ihm mit Kusshand wieder!" sagte
Bluecher grob, als Ruehle ihm das alles verdolmetscht hatte. Es kochte in
ihm vor Wut, seine kostbare Zeit mit solchem Tratsch vertroedelt zu sehen,
und er schrie noch hochrot im Gesicht vor Zorn: "Der Kronprinz denkt wohl
am Ende, wir haben ihn uns kommen lassen, damit er uns den Napoleon
erklaert und uns angst und bange vor ihm macht?! Herr, solche Bangbuxen
haben wir ohne ihn mehr als genug. Wir brauchen nicht noch einen zu
importieren! Er soll seine Pflicht tun! Er soll sich auf seinen Platz in
der Schlachtordnung begeben und sich schlagen, wie's einem Mann geziemt!
Basta!"

Major Ruehle uebersetzte das in parlamentarische Ausdruecke und behauptete
mit eiserner Stirn: der General liesse den Kronprinzen doch freundlichst
bitten, seiner Armee Befehl zum Aufmarsch zu geben. Worauf Bernadotte, der
sich Bluecher gegenueber in der gluecklichen Lage eines Tauben befand, der
nichts zu verstehen brauchte, artig antwortete: er waere gern - und
besonders seinem alten Freunde Bluecher gegenueber - gefaellig! Jedoch die
Klugheit gebiete ihm, lieber hinter dem linken Fluegel der Schlesischen
Armee stehenzubleiben, um Napoleon in die Flanke zu fallen, falls er hier
durchbrechen sollte.

"Faule Ausreden, Herr!" schrie Bluecher ihn jetzt direkt an. "Der Herr
Napoleon soll eben keine Loecher zum Durchbrechen haben! Die sollen ihm
verstopft werden, und dann wird er in die Pfanne gehauen! Verstanden?! In
drei Teufels Namen, Ruehle, mache Er's doch dem Kerl verstaendlich! Aber
woertlich und ohne Umschweife!"

Das machte der Major, aber immer noch in seiner gewohnten diplomatischen
Weise. Worauf Bernadotte antwortete: Es waere gescheiter, wenn Bluecher mit
seiner Armee, die doch am weitesten vorn stuende, sich nach links schieben
wuerde und ihm ueberliesse, mit der Nordarmee in _seine_ Stellungen
einzuruecken.

"Das ist 'ne Unverschaemtheit!" schrie Bluecher. "Das Schlachtfeld, das ich
und meine Armee mit unserem Blute getraenkt haben, sollten wir, bloss zu
seiner Bequemlichkeit, dem Laffen ueberlassen! Hol' ihn der Teufel, aber
wenn er mir mit derartigem kommt, kann er noch an mir etwas erleben!"

Prinz Wilhelm legte sich jetzt ins Mittel und beruhigte den Alten.
Inzwischen wurde Bluechers Ablehnung ins Franzoesische uebertragen. Und in
_der_ Sprache klingt ja alles viel hoeflicher und liebenswuerdiger, als es
gemeint ist!

Bernadotte verschloss sich nicht den guten Gruenden, die Bluecher fuer seine
Ablehnung anfuehrte, und erklaerte sich schliesslich bereit, den
Linksabmarsch vorzunehmen und noch heute in die Schlacht einzugreifen,
wenn Bluecher ihm 30 000 Mann seiner Armee noch unterstellen wuerde. Das
ganze Korps Langeron verlangte er von Bluecher zu seiner Verstaerkung. Er
wollte dann gleich eine Meile flussaufwaerts gehen und bei Taucha, wo gute
Bruecken waren, die Parthe ueberschreiten.

"Da kommt er doch erst nachmittags an den Feind heran", rief Bluecher, sich
wieder ereifernd. "Wie kann einer so saudumm sein? Geradeswegs durch den
Fluss soll er! Sag's ihm doch, Ruehle! Geradeaus von hier geht sein Weg! Das
weiss der Gauner ebensogut wie ich! Er will sich nur druecken!
Herrgottsakra! Das ist nicht mehr Dummheit! Das ist Niedertracht! Ich
werde ihm die 30 000 Mann geben! Er soll sie haben um des lieben Friedens
Willen, damit er endlich aus dem Krieg Ernst macht! Ich schlage mich
ebensogut mit dem Rest allein! Aber er soll zumachen! Sofort auf der
Stelle vorwaerts! Das ist Bedingung! Sonst nehme ich ihm gleich meine Leute
wieder fort!

Bernadotte blickte fragend auf den Major. Er verstand, dass Bluecher
einwilligte, aber auch, dass er schimpfte.

"Der General ist so ungeduldig", bemerkte er herablassend. "Er hat's wohl
eilig? Nun gut! Gehen wir gleich in mein Quartier, setzen wir auf der
Stelle unsere Vereinbarung schriftlich auf!"

Aus dem Sueden von Leipzig hoerte man jetzt schon Kanonendonner, und Bluecher
konnte kaum noch seine Ungeduld meistern, waehrend Ruehle ihm Bernadottes
Worte uebersetzte.

"Schriftlich will der's auch noch?! Der Teufel auch! Es ist schon zuviel,
wenn ich's ihm muendlich versprochen habe! Er soll mir den Puckel
herunterrutschen!"

Womit er sein Pferd herumwarf und ohne Abschied davongaloppierte.

Der Prinz und Ruehle verabschiedeten sich in aller Form von Bernadotte,
bestaetigten ihm Bluechers Einwilligung und setzten dann dem alten Hitzkopf
nach!

Bluecher hielt unterwegs ploetzlich an.

"Ruehle!" rief er. "Erst befehlen Sie Langeron, sofort geradeswegs ueber die
Parthe zu gehen! _Nachher_, wenn wir ihn da haben, wo wir ihn haben
wollen, dann erst sagen Sie ihm, dass er heute seine Befehle vom
Kronprinzen von Schweden zu nehmen hat. Dann kann uns nichts mehr
passieren!"

Sie ritten weiter.

"Ruehle!" sagte Bluecher noch im Reiten, und ein spitzbuebisches Laecheln
huschte ueber sein Gesicht.

"Zu Befehl!"

"Wenn Er mir den Dolmetscher macht, da nuetzt einem ja das ganze Schimpfen
nichts! Ich habe schon sein Scharwenzeln bemerkt! Er ist ein Filou! Ich
werde noch Franzoesisch lernen muessen. Wie heisst denn Donnerwetter auf
franzoesisch - zum Donnerwetter?! Raus damit, dass ich dem Kronprinzen
wenigstens _das_ direkt an den Kopf werfen kann!"

"Die Franzosen haben das mit dem Donnerwetter nicht, Herr General!"

"Nun, mit denen ist eben nichts los! Da wollen wir es ihnen einmal
beibringen! Und nun vorwaerts!"

                                   *

Es war am Montag, dem 18. Oktober 1813.

Auf dem Colmberg hinter Liebertwolkwitz, suedlich von Leipzig, ging es
lebhaft zu.

Dort war fuer den heutigen Schlachttag der Monarchenhuegel, von dem aus die
drei verbuendeten Herrscher Oesterreichs, Preussens und Russlands den Fortgang
der Schlacht beobachteten, oder wie sie dachten - leiten wollten.

Drei nebeneinander aufgepflanzte Standarten in den Farben der Monarchen
bezeichneten den Standort der Allerhoechsten Dreieinigkeit.

Adjutanten, Ordonnanzen und Stallmeister eilten hin und her und brachten
Meldungen oder empfingen Weisungen. Auf kleinen Tischen lagen Karten und
Bestecke ausgebreitet. Furiere und Lakaien packten die Fruehstueckskoerbe
aus, entkorkten Weinflaschen und bereiteten, an rasch gemachten Feuern,
den Tee. Im Hintergrund wurden die Hohen und Allerhoechsten Leibpferde hin
und her gefuehrt.

Ganz vorne lagen in drei bequemen, etwas auseinandergerueckten Feldstuehlen
die drei Gewaltigen, von Generalstabsoffizieren aufgewartet, die den
erklaerenden Text zum Schauspiel sprachen und die Befehle der Majestaeten
empfingen, wenn ihnen Eingebungen von oben kamen.

Ein glaenzendes Gefolge bildete den Hintergrund zur Monarchengruppe und
gleichzeitig die Kulisse, hinter der die Geschaeftigkeit der niederen
Dienerschaft sich ungeniert breitmachen konnte.

Da waren die koeniglich-preussischen Generalmajore Freiherr von Hacke und
Freiherr von Knesebeck - der k. u. k. Feldmarschalleutnant Ritter von
Kutschera, der gleichfalls k. u. k. oesterreichische Oberstleutnant Graf
Waldstein-Wartenberg, der unter seinen Ahnen gar einen Wallenstein hatte,
die russischen Generaele Fuerst Wolkonsky und Graf Ovaroff, alles gewaltige
Helden und Schlachtenlenker, die tausendmal besser wussten, wie auf dem
Schlachtfeld alles gemacht werden sollte, als die, die es tatsaechlich
machten. Zuletzt, aber doch nicht der Letzte im Kreise, der
koeniglich-grossbritannische Generalleutnant Charles William Stewart, der
geheime Drahtzieher des von England bezahlten, von ihm erlaubten und in
seinem ureigensten Interesse gefuehrten Befreiungskrieges, der es mit dem
Sturz Napoleons vom Alp der Kontinentalsperre befreien sollte.

Der Kaiser Alexander war in den sieben Jahren seit Tilsit fuelliger
geworden. Seine juenglingshafte Gestalt war einer gewissen selbstbewussten
Maennlichkeit gewichen, die noch mehr vom Nimbus eines grossen Kriegshelden
umstrahlt wurde, seitdem sein Glueck ihm den Sieg des russischen Winters
ueber den bis dahin unbesiegten groessten Feldherrn seiner Zeit in den Schoss
geworfen hatte.

Er war infolgedessen, im Rate der drei Monarchen, die unbestrittene
Autoritaet in allen militaerischen Dingen, deren Entscheidung fuer gewoehnlich
den Ausschlag gab.

Er ging heute ganz in der Betrachtung des Schauspiels auf, das sich vor
ihm abspielte, uebte Kritik und gab Befehle und Anregungen.

Um ihn herum war ein Kommen und Gehen, ein Gewirr von Stimmen, eine
Aufregung, eine Verzueckung, alles tat, als ob ihm goettliche Offenbarungen
zustroemten, und er selbst gab sich auch ungeniert und mit Grazie den
Anschein, das Ganze zu leiten.

Der Koenig von Preussen trug immer noch seine alte, verdriessliche,
gelangweilte Miene zur Schau und schien von geheimem Aerger ueber irgend
etwas Unaussprechliches geplagt zu sein. Seine Blicke glitten immer wieder
musternd ueber die Uniform des neben ihm stehenden Generals von Knesebeck,
zaehlten die Knoepfe an seiner Hosennaht von unten bis oben, von oben bis
unten, und er genoss dabei im geheimen die Wonne toedlichen Gekraenktseins
ueber die Unverschaemtheit Napoleons, ihn bei ihrem ersten Zusammentreffen
auf dem Memelfluss zu fragen, ob er all die Knoepfe an seiner Hosennaht
immer auf- und zuknoepfen muesste! -

Nun, heute wuerde dem Korsen wohl das und so vieles andere mit Zinsen
heimgezahlt werden!

Kaiser Franz in weissem Uniformrock und roten Hosen, hager und vertrocknet,
mit dem langweiligen nichtssagenden Gesicht eines im Staub der Akten am
besten gedeihenden Kanzleimenschen, sass aufrecht im dritten Stuhl.

Ihm war's nicht ganz behaglich hier draussen, mitten im Trubel grosser
Geschehnisse. Ihm waere viel wohler am Schreibtisch in seinem Arbeitszimmer
zu Schoenbrunn, wo er nach Herzenslust Randbemerkungen und Verfuegungen in
all die Gesuche um Gnadenbewilligungen hoechst eigenhaendig einzeichnen
konnte.

So etwas musste taeglich erledigt werden, sonst haeufte sich das an! Und kein
anderer durfte das besorgen. Wer weiss, was ihm sonst an persoenlichem
Tratsch verlorengehen wuerde - und jetzt unwiderbringlich verlorenging,
solange er im Felde war!

Die ganze Kriegfuehrung war ihm mit der Zeit herzlich gleichgueltig
geworden. Es gab am Ende ja doch nur Niederlagen, wie oft man auch siegte!
Nach einem Aspern immer ein Wagram! Gegen Napoleon war ja nicht
aufzukommen!

"Kutschera!" rief er, und setzte sich noch gerader auf, so dass die Falten
in seinem graublassen Gesicht sich in gestrenge, senkrecht verlaufende
Parallelen legten. "Schauen's a mal nach mei Reitpferd nach! Ob's auch
parat ist? Vorgestern, bei Gueldengossa, waer's fast schief gange! Und heut
- man kann ja net wisse!"

Sein lieber getreuer Kutschera eilte, sich seines Auftrags zu entledigen.
Und der Kaiser blieb solange unbeweglich sitzen, ohne eine Miene zu
verziehen, und blickte in die Richtung, in die Kutschera gegangen war, bis
er wiederkam und alleruntertaenigst meldete, dass alles in Ordnung sei.

Der Kaiser ueberhoerte dabei, ob absichtlich oder nicht, die Frage seines
lieben Vetters von Preussen nach dem Inhalt des Briefes, den er am
gestrigen Tage von seinem Schwiegersohn Napoleon bekommen hatte.

Kaiser Alexander antwortete statt seiner.

"Der Kaiser Napoleon wird Mitteilungen familiaerer Art gemacht haben",
sagte er ablenkend.

"Ihrer Majestaet der Kaiserin Marie Louise geht es doch gut?" wandte er
sich dann direkt an den Kaiser Franz.

"Wollen das beste hoffen!" antwortete dieser trocken und blickte dann
vollkommen teilnahmslos ueber das Feld hinaus, wo es jetzt anfing immer
lebhafter zuzugehen.

"So, jetzt geben's mir halt an Ueberblick, Kutschera, wie vorgestern alles
richtig zugange ist!" befahl er dem Feldmarschalleutnant. "Mir ist's noch
nicht ganz klar!"

Kutschera legte los und gab seinem Herrn in kurzen Umrissen zu wissen, was
dieser am ewig denkwuerdigen Sonnabend, dem 16. Oktober, miterlebt und
groesstenteils uebersehen hatte.

Und Kaiser Franz liess es ins eine Ohr hinein, durchs andere Ohr hinaus und
dachte dabei an das letzte Gesuch, das er noch an seinem lieben
Schreibtisch zu erledigen gehabt hatte, ehe er ins Feld ging. Es war das
Gesuch einer Postmeisterswitwe gewesen um Niederschlagung ihrer
rueckstaendigen Steuern. Das hatte der Kaiser abgelehnt. Denn Steuer muss
sein. Wo kaeme der Staat sonst hin, wenn all die kleinen Leute auf einmal
kaemen und von ihren Steuern befreit sein wollten!? Sie musste zahlen wie
ein jeder. Aber, in einem Anfall von Grossmut hatte der gute Kaiser dem
abschlaegigen Bescheid eine Zuwendung von zweihundert Gulden aus seiner
Privatschatulle beigefuegt.

Zweihundert - das war entschieden zuviel gewesen! Hundert haetten es auch
getan! Ueber den Satz ging er sonst nicht hinaus! Dabei muesste es bleiben!
Das gaebe sonst Unsummen, die zum Fenster hinausflogen, bei den Tausenden
von taeglichen Gesuchen!

Waehrend der gute Kaiser solchermassen ueber seine Postmeisterswitwe
meditierte, fuhr sein lieber, getreuer Kutschera in seinem Vortrag fort
und setzte ihm die Stellungen der Franzosen auseinander, die man am
sechzehnten angegriffen hatte. Denn die fing man jetzt allmaehlich an im
Hauptquartier zu kennen, nachdem man sich zwei Tage lang die Koepfe
gekratzt hatte!

Drueben im zerschossenen und halb abgebrannten Dorfe Wachau, wo jetzt der
Prinz Eugen von Wuerttemberg mit seinen Franzosen und Russen stand, hatte
Napoleon seine Hauptarmee unter dem Befehl von Murat gehabt. Der rechte
Fluegel unter Poniatowski war weit zurueckgebogen am Pleissefluss entlang bis
Connewitz, der linke unter Macdonald von hier, am Colmberg, bis in die
Gegend von Klein-Poessna. Das Dorf links, zwischen dem Colmberg und Wachau,
war Liebertwolkwitz. Zwischen den beiden Doerfern, am Galgenberg, hatte
Napoleon sein Biwak gehabt - -

"Ein ga-anzer Kerl, mei Schwiegersohn!" sagte Kaiser Franz naeselnd. Er
fand es zwar nicht gerade fesch, aber doch verteufelt ueberlegen, gerade am
Galgenberg zu biwakieren.

Dann fing er wieder an zusammenzurechnen, wie viele Tage er keine Gesuche
um Unterstuetzung erledigt hatte - wie viele Gesuche pro Tag -, wie viele
Gulden pro Gesuch, und multiplizierte und addierte und kam zu einer
erklecklichen Summe an ersparten Geldern - erspart bloss dadurch, dass er
nicht zu Hause am Schreibtisch geblieben war. Und er wurde immer
zufriedener mit dem Leben im Felde, das ja sonst nicht seinem Geschmack
entsprach.

Dabei ging die Schlacht am sechzehnten in Kutscheras Vortrag weiter,
waehrend ihre heutige Fortsetzung vor den nichtssehenden Augen des Kaisers
weitertobte. Dieser bekam sie also doppelt, aber genoss sie nur einfach, da
ja der heutige Schlachttag noch nicht zum Vortrag befohlen und demgemaess
eingerichtet und fuer den Allerhoechsten Gaumen geniessbar gemacht worden
war.

"Am sechzehnten," sagte Kutschera naeselnd und die Worte langsam und
gemaechlich ans Allerhoechste Ohr schleifend, "am sechzehnten fing also
Prinz Eugen von Wuerttemberg den Kampf mit achtundvierzig Kanonen an. Von
hier aus, vom Colmberge, wo wir jetzt sind, antwortete Napoleon mit einer
Kanonade aus hundert Geschuetzen.

In drei Kolonnen gingen wir vor - in der Mitte, wie gesagt, Prinz Eugen
gegen Wachau, links von ihm, drueben, mit seinen Preussen und Russen Kleist
gegen Markkleeberg, das dort weiter links an der Pleisse liegt, waehrend
unsere Leute unter Feldmarschalleutnant Klenau den Colmberg hier nahmen
und Liebertwolkwitz stuermten.

Freilich mussten wir aus allen drei Stellungen gleich wieder heraus, nahmen
sie aber noch einmal ein und gingen schliesslich wieder zurueck.

Die Franzosen waren ja in der Uebermacht mit 138 000 Mann, gegen die wir
nur 70 000 aufbieten konnten. Denn Fuerst Schwarzenberg selbst war drueben
weiter links zwischen der Pleisse und der Elster mit 30 000 Mann unter
Meerveld vorgegangen und hatte den Feldmarschall Graf Gyulai noch noerdlich
zwischen den beiden genannten Fluessen vorgeschickt, bis Lindenau, um die
einzige Rueckzugsstrasse Napoleons nach Westen auf Weissenfels abzuschneiden.
Na, der Fuerst waere wieder da. Drueben in den Suempfen war kein rechtes
Fortkommen fuer ihn. Heute haben wir also seine Armee mit hier und ausserdem
die Reservearmee Bennigsens. Der Kronprinz von Schweden rueckt auch noch
nordwestlich von der Stadt in die Schlachtlinie, noerdlich steht Bluecher,
der Ring ist also um den Franzosenkaiser geschlossen, er kann nicht
heraus, er muss erdrueckt werden -"

"Der Gyulai soll zurueckgehen!" kam es dann ploetzlich mit ungewohnter
Schaerfe von Kaiser Franz.

Kutschera fuhr zurueck.

"Majestaet - das hiesse doch dem Kaiser Napoleon die Rueckzugsstrasse oeffnen!"

"San's mei Truppen, oder san's net?"

"Gewiss sind sie es -"

"Na, denn sofort einen Adjutanten zum Fuersten Schwarzenberg senden! Der
Fuerst soll sofort Gyulai mit seiner Truppe aus Lindenau zurueckziehen!"

Kutschera verbeugte sich. Der Adjutant wurde expediert.

"Nun erzaehlen's weiter!"

Kutschera erzaehlte dann den weiteren Fortgang der vorgestrigen Schlacht,
wie Klenau und Gortschakow mit dem rechten Fluegel zurueckgehen mussten - wie
Kleist mit dem linken standhielt, wie dagegen das Zentrum unter Prinz
Eugen durchbrochen wurde, als Murat mit achttausend Reitern zur Attacke
vorstuermte - wie die franzoesische Reiterei fast bis zum Wachberge hinter
Gueldengossa vorgedrungen war, wo die Monarchen an _dem_ Tag ihren Huegel
hatten, und wie sie allesamt gefangengenommen worden waeren, wenn nicht
Orlows Kosaken und die russische Gardekavallerie den Franzosen in die
Flanke gesaust waeren und sie vertrieben haetten.

"Mei Pferd!" rief dann Kaiser Franz ploetzlich. "Schauen's a mal wieder
nach, lieber Kutschera, ob's auch paratsteht? Und schauen's auch nach der
Bedeckung!"

Kutschera beruhigte den Kaiser darueber.

"Am Sonntag auf dem Wachberg war i je net dabei!" sagte der Kaiser. "Aber
heute bin i da. Und es kann ja net schade!"

Dann versank er wieder in Gedanken und fand es gar anheimelnd, dazu das
Rattern der Flintenschuesse von drueben zu hoeren. Und Kutscheras langsames
Dahererzaehlen wirkte so ungemein beruhigend dabei - ganz wie wenn man beim
Sturm und Unwetter daheim in der warmen Stube sitzt und den Hagelschauer
gegen die Scheiben peitschen hoert, waehrend im Ofen das Feuer knistert und
Grossmutter eine gruselige Geschichte erzaehlt.

Gruselig genug war es ja zugegangen.

Um vier Uhr nachmittags hatte Napoleon bereits den Sieg in der Tasche
gehabt, die Angriffe der Verbuendeten waren gaenzlich zurueckgeschlagen, er
liess schon in Leipzig die Kirchenglocken Sieg laeuten, befahl Marmont, der
noerdlich von der Stadt stand, zur Unterstuetzung herbei und wollte so die
Niederlage der Verbuendeten vollenden.

Da traf Schwarzenberg von seiner verunglueckten Expedition zwischen der
Pleisse und der Elster in Wachau ein und brachte die Schlacht zum Stehen.
Und von drueben kam Marmont, der sehnsuechtigst Erwartete, nicht. Vielmehr
wurde er bei Moeckern von Bluecher festgehalten und tuechtig zermuerbt. Als
Napoleon abends am Galgen biwakierte, hatte sich also das Blatt gewendet
und Fortuna bereits gegen ihn entschieden, obwohl von den Tuermen Leipzigs
das Siegesgelaeute noch zu hoeren war. Am naechsten Tag kaempfte er dann nicht
wieder, am naechsten Tag verhandelte er, und das war gut. Denn so hatten
die Verbuendeten Zeit, die Ankunft der Reserven Bennigsens und der Armee
des Kronprinzen von Schweden abzuwarten.

"Es war ja auch Feiertag!" sagte Kaiser Franz, der ein frommer Herr war
und auf Sonntagsruhe hielt.

"Drueben bei Bluecher fingen die Preussen aber trotzdem wieder an und
schlugen sich, bis ihnen der Fuerst Schwarzenberg den Kampf untersagte",
fuhr Kutschera fort.

Der Kaiser blickte schnell auf und winkte seinen lieben, getreuen
Kutschera naeher. - Ganz nahe musste der Feldmarschalleutnant kommen und
sich so tief herabbeugen, dass sein Herr ihm ins Ohr fluestern konnte.

Mit einem verschmitzten Seitenblick auf Friedrich Wilhelm, der ganz
teilnahmlos in seinem Stuhle sass und ins Leere starrte, fluesterte dann der
Kaiser rasch die paar Worte:

"Saupreissen, verfluchte!"

Und Kutschera schmunzelte und nickte Einverstaendnis. Der Kaiser versank
nach dieser Kraftaeusserung wieder in behagliche Gedanken. Er freute sich
darueber, wie gut er den gestrigen Sonntag zu gebrauchen gewusst hatte. Denn
er waere gern auf die Waffenstillstandsbedingungen Napoleons eingegangen
und haette schon seine Vorschlaege angenommen, wenn dabei sein Oesterreich
nur ein paar Provinzen mehr und Preussen ein paar weniger bekommen haette!

Nun, das koennte noch werden!

Noch war nicht aller Tage Abend! Kaeme sein Schwiegersohn mit heiler Haut
davon, dann - nun - wozu waere er sein Schwiegersohn? Es ginge ja auch so,
in aller Gemuetlichkeit und ohne Krieg! - Er hatte es ja schon schriftlich
von Napoleon in der Tasche - -

Der Kaiser schmunzelte.

Wie gut, dass der brave Meerveld, der mit Napoleon persoenlich so gut stand,
sich gestern so geschickt gefangennehmen liess! Das war alles, was noetig
war! Napoleon hatte ihm gleich sein Herz ausgeschuettet und ihn schon am
naechsten Tag mit Vorschlaegen und mit dem Brief geschickt. Und der Brief,
der enthielt nicht nur die geheimen Versprechungen an Oesterreich, der
enthielt auch die Bedingungen - Gegendienste, die verlangt wurden. - -

Der Kaiser fuhr auf.

"Hat man dem Gyulai schon befehlen lassen, von Lindenau zurueckzugehen?"
fragte er scharf.

"Zu Befehl! Es sind zwei Kuriere an ihn abgegangen!"

"Hoffentlich krepieren's net alle beide unterwegs?" sagte der Kaiser. "Es
ist sehr wichtig, Kutschera, sehr wichtig, dass Gyulai den Befehl erhaelt!
Mei Schwiegersohn ist ein ganzer Kerl! Man darf ihn net zur Verzweiflung
bringe, dann koennte es uns uebel gehe. Man muss ihm goldene Bruecken baue.
Aus Deutschland muss er wohl raus. Aber sein Reich drueben in Frankreich
soll er behalte duerfe. Nun, was denn?!"

Und er schielte rasch nach Alexander hin, der im eifrigen Gespraech mit
Fuerst Wolkonsky dastand und laechelnd mit den Schultern zuckte.

Ob der Kaiser Alexander ihm das wohl wiedervergelten taete, wenn diese
Schlacht fehlginge, was ja schon sein koennte? Ob der's ihm heimzahlen
wuerde, dass er nach der ungluecklichen Schlacht bei Austerlitz gleich einen
Separatfrieden mit Napoleon machte und sich verpflichtete, die verbuendete
russische Armee ausser Landes zu schicken? Ob der Zar nun seinerseits _ihn_
im Stich lassen wuerde? Ganz war dem jungen Menschen doch nicht zu trauen!

Kaiser Franz stand auf und ging zu seinem lieben Vetter Alexander hin.
Auch der Koenig von Preussen trat hinzu.

Der Koenig war jetzt mit einer Frage geladen und kaute sich bereits die
Worte zurecht.

Er nahm den Arm Alexanders und zog ihn zur Seite.

Er hatte ausgerechnet, dass Napoleon schon am sechzehnten haette
kapitulieren muessen, wenn Bernadotte mit der Nordarmee und die
Reservearmee Bennigsens rechtzeitig zur Stelle gewesen waeren. Man haette
dann annaehernd dreimal hunderttausend Mann beisammen gehabt, gegen die
Napoleon keine zweihunderttausend aufstellen konnte. Man hatte also eine
erdrueckende Uebermacht.

Und trotzdem ging's nicht recht vorwaerts. Die Meldungen bestaetigten, was
man auch von hier aus mit eigenen Augen sehen konnte, dass die
Oesterreicher, die auf dem linken Fluegel unter Hessen-Homburg von
Markkleeberg gegen Connewitz vorgingen, gegen Poniatowskis Polen nicht
recht vorwaerts kamen. Und gegen die Hauptmacht Napoleons bei Probstheida,
gerade vor ihnen, konnten Preussen und Russen unter Kleist und Barclay de
Tolly auch keine nennenswerten Fortschritte aufweisen, trotz allem Aufwand
an Pulver und Blei - von ihrem Heldenmut nicht zu reden. Da kommandierte
aber auch Napoleon selbst, und unter ihm Angereau, Victor, Lauriston,
Murat, also lauter kriegserprobte Leute. Der Koenig war besorgt.

Er blickte truebe in den Pulverqualm hinein, der ueber der Ebene lag und aus
dem immerfort Blitze herausschossen, vom scharfen Aufbellen der Geschuetze
begleitet.

Die Trompeten schmetterten, das Gewehrfeuer prasselte wie Hagelkoerner an
die Fensterscheiben, das Rattern der Trommeln, das Wiehern der Pferde, das
Schreien der Sterbenden, das Rasseln der Fuhrwerke, alles vereinigte sich
zu einem einzigen ohrenbetaeubenden Gedroehn, das ueber der Gegend lag.

Dann und wann zerriss der Wind die Pulverwolke, und marschierende Truppen,
vorspringende Schuetzenschwaerme -, galoppierende Reitermassen kamen zum
Vorschein und verschwanden wieder in dem Qualm.

Ueber dem Ganzen der herrlichste Sonnenschein, der das bis gestern
herrschende Regenwetter abgeloest hatte.

Gegen mittag wurde bei den Franzosen eine gewisse Nervositaet merkbar. Man
schien einen Sturm zu planen, um sich Luft zu schaffen.

Eine Vorwaertsbewegung kam aber nicht zustande. Rueckwaerts ging es auch
nicht. Der ganze Ring der franzoesischen Truppen suedlich um Leipzig herum,
gegen den die Verbuendeten anstuermten, stand noch fest und ohne Wanken da,
soweit das Auge vom Colmberg aus blicken konnte.

Die Unruhe drueben deutete also darauf, dass bei den Franzosen von den
Schlachtfeldern noerdlich und oestlich von Leipzig irgendwelche Nachrichten
eingegangen waren. Ob guenstige oder unguenstige, ob's Ansturm oder Rueckzug
gaebe, wuerde sich bald zeigen.

Endlich liefen auch auf dem Monarchenhuegel Meldungen ein.

Im Nordosten hatte Langeron mit seinen Russen Ney und Marmont aus
Schoenefeld an der Parthe auf die Vorstaedte von Leipzig zurueckgeworfen.

Im Osten griff endlich Bernadotte ein. Seine Preussen unter Buelow hatten
Paunsdorf gestuermt und Reynier, der es verteidigte, bis unter die Mauern
Leipzigs gejagt.

Dann traf von Bennigsen im Sueden die Meldung ein, Holzhausen waere genommen
und Macdonald zurueckgetrieben. Dreitausend Sachsen und einige Schwadronen
wuerttembergischer Reiterei waeren von Napoleon abgefallen.

"Die Nervositaet drueben deutet also auf Rueckzug!" sagte Kaiser Alexander.
"Er hat genug. Er wird die Schlacht abbauen! Wollen nachhelfen!"

Und dann gab er Befehle. Die Adjutanten flogen in alle Richtungen, es kam
bald wieder Bewegung in das Ganze -, mit lautem Hurra wurde von allen
Seiten wuetend gegen das franzoesische Zentrum Probstheida angestuermt, aber
umsonst.

Der Feind wich nicht und wankte nicht.

Es galt fuer ihn den Rueckzug zu sichern. Auf der von Kaiser Franz
freigegebenen Strasse ueber Lindenau hatte Napoleon bereits Bertrand nach
Weissenfels vorausgesandt, um Bruecken ueber die Saale zu schlagen. Und
jetzt, bei beginnender Daemmerung, fingen die franzoesischen Kolonnen schon
an, sich ueber den Ranstaedter Seitenweg aus der Stadt hinauszuschieben, und
schluepften so allmaehlich Regiment fuer Regiment aus dem feuerspeienden Ring
heraus, den die verbuendeten Truppen um sie geschlagen hatten.

Napoleon gab also die Schlacht verloren.

Freudestrahlend galoppierte Schwarzenberg mit der Siegesnachricht heran.
Und die drei Monarchen sanken bewegt in die Knie und dankten inbruenstig
dem Himmel fuer den Sieg, den ihnen ihre Voelker mit ihrem Blut und
Aufopferung von Leben und Gesundheit erstritten hatten. Sie schoben somit
dem Himmel diese Tat zu und waren alsdann der Pflicht ueberhoben, ihren
Voelkern dafuer zu danken.

Die Voelker hatten einfach ihre verfluchte Pflicht und Schuldigkeit getan.
Die konnten dann, nach gluecklich beendigter Loewenjagd und Erlegung des
Wildes, wieder an die Kette gelegt werden, damit sie kein Unheil
anrichteten und nicht am Ende jetzt, nachdem sie Blut geleckt und die
Freiheit von fremder Tyrannei erstritten, auch noch der heimischen los und
ledig sein wollten.

Drueben hinter Probstheida, an der Tabaksmuehle, sass in der Daemmerung muede
und zusammengebrochen der gefallene Herr der Welt am Biwakfeuer.

Um ihn herum wankte alles. Sein ganzes Werk - der stolze Bau seines
Weltreiches, von keiner inneren Notwendigkeit getragen, von seinem Ehrgeiz
nur und durch die Macht seiner gewaltigen Persoenlichkeit zusammengekittet,
drohte zusammenzustuerzen. Stueck fuer Stueck broeckelte es bereits ab und
wuerde am Ende ihn selbst unter seinen Truemmern begraben.

Und was bliebe davon uebrig?

Der Fluch der Geknechteten, der Ruhm unsterblicher Heldentaten -,
Verarmung, Entvoelkerung, Hunger und Elend ueberall, wo er seinen Fuss
hingesetzt hatte. Kein Funken Liebe schlug ihm entgegen aus dem ganzen
Rund seines Riesenreiches, kein menschliches Gefuehl des Dankes, nur kuehle
Bewunderung und unermesslicher Hass.

Wer Hass saet, erntet Hass. Ruecksichtslos waren seine Schlaege auf die Voelker
niedergesaust, hatten Gutes und Schlechtes miteinander niedergerissen und
Neues dafuer aufgebaut! Aber auch das nur mit Gewalt! Gewalt war der
Anfang, Gewalt das Ende.

Ob er wohl aus dem Chaos sich noch ein Stueck des Ganzen retten und dort
wieder anfangen koennte, Neues zu schaffen?

Ob er wohl wuerde anders als bisher walten koennen? Sich selbst umschaffen?

Er schuettelte den Kopf. Die Lippen zogen sich zu einem spoettischen Laecheln
zusammen. Er blieb, der er war. Noch war nicht alles verloren, noch war
auf eine Wendung des Gluecks zu hoffen! - -

Eine Granate schlug sausend in das Biwakfeuer und ueberschuettete ihn mit
gluehenden Kohlen und Asche. Das Feuer erlosch.

Er fuhr auf.

Die Nacht sank. Der Laerm der hinsterbenden Riesenschlacht legte sich
allmaehlich. Ringsumher flammten die Biwakfeuer der verbuendeten Gegner auf.

Er befahl seinen Wagen, warf sich in die Ecke und gab Berthier Befehl, den
allgemeinen Rueckzug anzuordnen. Selbst wollte er noch im Hotel de Prusse
in Leipzig ein paar Stunden ausruhen und dann nach Weissenfels
vorausfahren, nachdem er sich vom Koenig von Sachsen verabschiedet haette.

Die Rheinbundtruppen unter Macdonald und die Polen Poniatowskis sollten
bleiben, die Stadt verteidigen und den Rueckzug der Franzosen sichern. Dazu
waren sie gut genug.

Am naechsten Morgen drangen die Verbuendeten in Leipzig ein. Zuerst die
Koenigsberger Landwehr durch das Grimmaische Tor. Dann Bluecher an der
Spitze seiner russischen Regimenter in die Hallesche Vorstadt. Yorcks halb
aufgeriebenes Korps, das durch seinen entscheidenden Sieg bei Moeckern das
Schlachtenglueck zugunsten der Alliierten gewandt hatte, durfte, zum grossen
Leidwesen seiner tapferen Preussen, nicht am Schlusssturm auf die Stadt
teilnehmen.

Es war nach Halle vorausgeschickt worden, um dort die Saaleuebergaenge zu
besetzen, eine Massnahme, in der der alte Isegrim nichts als eine
Niedertracht Gneisenaus sah, dessen Annaeherungsversuch er schnoede
abgewiesen hatte. Er hatte Gneisenaus Glueckwuensche zum Siege bei Moeckern
mit einer schroff abweisenden Bemerkung beantwortet. Worauf Gneisenau sich
zu der Aeusserung verstieg: "mit Yorck vertraegt man sich am besten, wenn man
mit ihm verfeindet ist!" und liess seinerseits nichts daran fehlen.

Mit dem ueblichen Gepraenge und Tamtam hielten der Kaiser von Russland und
der Koenig von Preussen ihren Einzug in die eroberte Stadt. Kaiser Franz
blieb - wohl aus Familienruecksichten - der Siegesfeier fern. Der besiegte
Franzosenkaiser hatte ihm wohl wiederholt die vernichtendsten Niederlagen
und die beschaemendsten Friedensbedingungen aufgenoetigt. Aber - er war halt
sei Schwiegersohn geworde! Und - man konnte ja net wisse!

Der Einzug der beiden anderen Monarchen war dafuer um so eindrucksvoller.

Ueberall, wo ihre Kavalkade durchkam, lagen Tote und Verwundete.
Pferdekadaver, zerbrochene Lafetten, Pulverkarren und Marketenderwagen
sperrten fast die Strassen. Die Glocken laeuteten, die Haeuser flaggten, aus
allen Fenstern ertoente Freudengeschrei und begeistertes Winken. Hurrarufe,
Boellerschuesse und der Gesang der einziehenden Regimenter mischten sich mit
dem Gestoehn der Sterbenden und den Hilferufen der Verwundeten.

Auf dem Markt vor dem ehrwuerdigen Rathaus war grosse Parade,
Beglueckwuenschung der Monarchen, Belohnung der nicht gefallenen Helden,
Befoerderungen, Ordenssegen und Gnadensonne. Ein jeder bekam, was sein Herz
begehrte, und alles schwamm in Wonne.

"Die zwei grossen und schoenen Tage sind verlebt," schrieb Bluecher an seinen
Freund Bonin, "den 18. und 19. Fihl der grosse Coloss wie die Eiche vorm
Stuhrm, er der grosse Tiran hat sich gerettet, aber seine Truppen sind in
unsern henden. Poniatoffsky wurde Blessirt und ist ertrunken, man glaubt
Angerau desgleichen, Rennie und Lauriston sind gefangen, der erste ist
Blessiert, den 19. wurde zu ende des kampffes Leipzig mit Stuhrm und
grosser uf Opffrung genomen, man wollte Leipzig in brand schissen ich wider
setzte mich die Russischen Batterien und sie durften nur mit kugell
Schissen. -

an meiner seitte drank die Russische Infanterie zu erst in die Stadt, an
der anderen seitte die braven Pomern, es wahr ein kampff ohne gleichen,
100 Canonen sind in Leipzig genomen, unsere monarchen, dass heist der
ostreische, der Russische kaiser und unser koenig haben mich uf oeffentligen
margte gedankt Alexander drueckte mich ans HErtz."

Und an sein Malchen schrieb der zum Generalfeldmarschall Befoerderte, "als
Frau Feldmarschallin musst du nun anstendig leben und sey nur nicht geizig
und lass dich was abgehen! - - mit die ordens weiss ich mich nun kein Raht
mehr ich bin wie ein alt kutsch Perd behangen, aber der gedanke lohnt mich
ueber alles, dass ich derjenige wahr der den uebermuetigen tihrannen
demuetigte."

Alles jubelte, alles feierte in den ueberschwenglichsten Ausdruecken den
Fall des Kolosses, der solange wie ein Alp auf das Leben der Voelker
gedrueckt hatte.

Der Triumph war teuer erkauft, viel zu teuer, wenn man bedenkt, wie viele
Tausende von Menschenleben bei groesserer Entschlussfreudigkeit und
geringerer Unzugaenglichkeit der Regierungen haetten gespart werden koennen.

Leipzig spie wie ein Vulkan Verwundete in alle Richtungen hinaus, wie der
amtliche Bericht eines Arztes sagte. Tausende von Verwundeten wurden nach
Halle und anderen angrenzenden Staedten von den Schlachtfeldern um Leipzig
gebracht. In Leipzig selbst lagen mindestens zwanzigtausend von allen
Nationen.

In dumpfen Spelunken, wo kaum zu atmen war, in Kirchen und Schulen, wo der
Oktoberwind durch die scheibenlosen Fenster kaelteschauernd heulte, lagen
die Kranken aufgeschichtet wie die Heringe in ihren Tonnen, alle noch in
ihren blutigen Gewaendern, ohne Hemden, Bettuecher, Decken, Strohsaecke,
geschweige denn Bettstellen erhalten zu koennen.

"Keine Nation ist bevorzugt, alle gleich elend beraten, und dies ist das
einzige, worueber sie sich nicht zu beklagen haben", schreibt derselbe
Berichterstatter.

Aufgelaufene, brandige Glieder, gebrochene Arme und Beine, die weder in
die richtige Lage gebracht noch geschient und auch nicht amputiert werden
konnten aus Mangel an Heilgehilfen und an allen Hilfsmitteln -
Kinnbackenkrampf, Starrkrampf, Laehmungen ueberall - keine Waerter, keine
Hilfe, das war der Dank fuer geopfertes Leben und Gesundheit. Wer nicht
aufstehen konnte, musste im eigenen Unrat faulen.

Im Hofe der Buergerschule ein Berg aus Kehricht und Leichen, die nackend
lagen und von Hunden und Raben angefressen wurden - -

Heldentod nach Heldenleben.

                                   *

 Schrum tsim tsim -
 schrum tsim tsim -

kratzten die Fiedler lustig und beherzt ihren Baessen, Bratschen und
Kniegeigen die ersten drei Schlaege des Viervierteltakts ab, dass die Waende
wankten und die Kronleuchter klirrten. Der Kapellmeister schlug mit Wucht
hinterdrein und hielt seine ungestuem vorwaertsstuermenden Musikanten zurueck,
was er nur konnte, um das richtige altvaeterlich gezirkelte Zeitmass
herauszubringen.

 Tram taram taram taramta
 ramtam tara rara
 ramtam tara rara
 ramtam - - - - -

zwitscherten und naeselten Floeten und Klarinetten. Ihre Toene trippelten
huebsch brav neben der altbekannten Melodie einher, die die Primgeiger mit
flottem Saltarello in duftigen Umrissen ueber die Saiten warfen.

Mit unbewusster Grazie, schuechtern und zaghaft, wie wenn ein unschuldiges
junges Maegdelein die Fussspitzen zuechtig unter dem schuetzenden Saum ihrer
Roecke hervorstreckt, um, die Erde kaum beruehrend, elfenhaft
dahinzuschweben - so praezise, gezirkelt und genau bemessen huepften die
Toene prickelnd hervor, kitzelten die Tanzlust bei alt und jung und
brachten den ganzen Saal in Bewegung.

 Schrum tsim tsim -
 schrum tsim tsim -

Maennlein und Weiblein gaben sich die Haende, drehten sich im Kreis, wiegten
sich, neigten sich, chassierten nach links, chassierten nach rechts,
figurierten, gruessten, lachten, scherzten, vom Licht der tausend Kerzen
ueberflutet, von unzaehligen Spiegeln ins unendliche vervielfacht.

Soweit das Auge sehen konnte, Quadrille an Quadrille, streng nach der
Regel in ihren Bahnen beharrend und doch in lebhafter Grazie auf dem
glatten Parkett lustig und leicht hin und her gleitend.

Bunte Uniformen und schneeweisse Schultern schoben sich zierlich aneinander
vorbei. Es war ein Weben, ein Schweben, ein Trippeln, ein Trappeln, ein
Klirren von Sporen, ein Blitzen und Funkeln von Sternen und Geschmeiden,
bezauberndes Laecheln auf holden Gesichtern, blendende Perlenzaehne hinter
purpurnen Lippen, zum Beissen und Kuessen gleich verlockend, in tiefgruendig
traeumenden Maerchenaugen blitzschnelle Abwehr, wenn verstohlenes Druecken
und zaertliches Fluestern in heissem Ansturm zu rauben suchte, was erst nach
Sitte und Brauch in langer Belagerung erobert werden wollte.

Auf der Estrade an der Laengswand stand der Koenig von Preussen mit seinem
getreuen Knesebeck und anderen Bevorzugten und blickte zerstreut in das
bunte Getriebe.

Ein Laecheln lag ueber den sonst so griesgraemigen Zuegen, und er lauschte
belustigt auf die bissigen Bemerkungen, womit das Gefolge meuchlings die
Tanzenden bedachte. Ihm bot sich aber auch ein seltsames Schauspiel dar.

Auf dem Ehrenplatz vor dem Thronsessel bewegten sich vier Paare, um die
herum sich in achtunggebietendem Abstand ein Ring von Zuschauern gebildet
hatte.

Verliebt wie ein junger Leutnant, charmant und geschmeidig, tanzte da
Bluecher mit dem schoensten Maedchen im ganzen Saal -, ihm gegenueber auf
steifen Beinen, wuerdevoll und ernst, sein alter Waffenbruder und
Widersacher Yorck, der sich muehte, recht liebenswuerdig zu erscheinen, und
dabei verzweifelte Gesichter schnitt. Rechts und links von ihnen
vervollstaendigten Prinz Wilhelm und der Obrist von Katzeler mit ihren
Damen die Quadrille. Und Bluecher kommandierte, wie sich's gehoerte.

 "_Chassez croisez!_
 _Balancez!_
 _A gauche! -_
 _A droit! - - -_"

kam es mit Donnerstimme unter dem buschigen Schnauzbart hervor, und alles
parierte, alles figurierte im ganzen Saal, praezise wie auf dem
Paradeplatz, erst im engeren Verband der Quadrillen, und dann, als das
Kommando "_Grande chaine!_" fiel, zu einer einzigen endlosen Doppelkette
vereinigt, die sich in wogender Gegenbewegung um den ganzen Saal ringelte,
bis die auseinandergeratenen Paerchen sich wieder zusammengefunden hatten.

"Dem Koenig und Herrn alles Ordensegens spenden wir nun auch einen Stern!"
donnerte wieder die Stimme des Feldmarschalls durch den Saal. "Die Kegel
ran! _Etoile!_"

Und in jedes Karree sprang ein junger Offizier hinein, streckte die Hand
hoch, die anderen Herren ergriffen sie, und dann ging's in sausender Fahrt
um den so geschaffenen Mittelpunkt herum, dass es den Zuschauern auf der
Estrade schwindelig wurde.

"_Changez les dames!_"

In jedem Stern flogen die Damen aus dem Arm ihres Taenzers in den des
naechsten und so weiter, bis sie sich wiedergefunden hatten.

"Nun, Exzellenz, warum so steif mit dem Tanzbein?" rief Bluecher Yorck zu,
der ihm nicht schnell genug vorwaerts kam. "Wir sind nicht an der Katzbach,
wir sind am Rhein! Da setzt's andere Spruenge! In einer Tour bis nach
Paris!"

Yorck fing schon an eine Antwort zu brummen. Bluecher schnitt sie ihm aber
ab durch ein mit Stentorstimme hingedonnertes: "_Grande Polonaise!_"

 Tram tararam, tam, tam, tam -
 tram tararam, tam, tam, tam -

fiel die Musik sofort gehorsamst ein, mit dem gravitaetischen
Dreivierteltakt der Polacca, und Paar an Paar gereiht, defilierten die
Tanzenden mit Anstand und Wuerde am Thron vorbei und brachten dem gnaedig
dankenden Koenig ihre Huldigung dar.

Dann wurde Kurs auf die reich besetzten Buefette genommen, um sich dort
nach den Anstrengungen des "Feldzuges" zu laben und wieder gefechtsbereit
zu werden.

"Bekommen wir bald Frieden, Exzellenz?" lispelte die junge Dame Bluechers
und nippte an dem ihr von ihm dargebotenen kuehlenden Getraenk.

"Ebenso gewiss wie ich heute Geburtstag habe!" antwortete Bluecher, der
einer jungen Dame gegenueber an alles andere als an Friedensverhandlungen
dachte.

"Nun, den feiern wir doch eben!"

"Wir feiern ihn, ja! Aber wir haben heute den vierzehnten Dezember, und
ich war so frei, mich erst am sechzehnten auf die Welt befoerdern zu
lassen!"

"Das Glueck! Dann koennen Exzellenz ja uebermorgen wieder Geburtstag feiern!"

"Das mache ich mir auch zunutze! Heute hier in Wiesbaden, uebermorgen in
Frankfurt! Man hat's eben hier mit mir zu eilig gehabt! Und so ist es auch
mit dem Frieden! Die guten Leute koennen es nicht abwarten. Was uebermorgen
sein soll, nehmen sie schon heute vorweg! Und - wenn wir das nicht zu
verhindern wissen - so bekommt der arme Wechselbalg von einem Frieden sein
Wiegenfest, ehe er geboren ist, kommt zu frueh auf die Welt, taugt zu
nichts Rechtem und ist weder dem Sieger noch dem Besiegten zur Freude!
Aber, meine Gnaedigste, man spielt schon zum Walzer auf! Der Kampf geht
weiter. Verlieren wir nicht die Zeit mit Friedensgesaeusel! Da stuermt schon
unser mutiger Obrist Katzeler zur Attacke heran! _En garde!_ An die
Verteidigung!" -

"Der Walzer gehoert dem Obristen!" -

"Nun, dann retiriere ich! - Jugend gehoert zu Jugend! Aber besiegt erklaere
ich mich noch nicht! Kuess' die Hand, meine Gnaedigste! - Vorsicht, Katzeler!
Zu tief in holde Aeuglein geschaut, macht leicht straucheln!"

Er blickte dem davoneilenden Paar nach, machte sich dann an das Buefett
heran, tat sich guetlich an den dort aufgedeckten Leckerheiten, ass mit
einem wahren Baerenhunger und fluchte dabei ueber den faulen Frieden, mit
dem man ihm nach jedem Sieg um die Ohren schlug und der ihm sogar hier im
Tanzsaal die Kampfesfreudigkeit verleidete!

Er fluchte respektlos ueber den Koenig und seine "feigen" Ratgeber, die,
Majestaet versteht sich ausgenommen, alle miteinander an den Galgen muessten!
Immer wieder fielen sie ihm in den Arm, gerade wenn er den Gegner
vernichtend treffen wollte. Immer wieder verlaengerten sie den Krieg durch
ihre Dummheit, Aengstlichkeit und ihre uebereilten Massnahmen! Der Friede
waere laengst da und weit vorteilhafter, als sie zu traeumen wagten, wenn sie
ihm nur nicht immer zur Unzeit mit langgestreckten Haelsen nachliefen!

Aus dem Tanzsaal sprudelten die Melodien herueber, mit heiterem
Stimmengewirr und dem Lachen der Tanzenden vermischt. Bluecher ging auf die
Tuer zu. Drueben am Thron standen immer noch der Koenig, der Staatskanzler
und ihre Speichellecker.

"Hol' sie der Teufel!" brummte er halblaut. "Denen werd' ich wohl was
vortanzen?! Der Kuckuck auch. Zum Tanz aufspielen, das schon eher, wenn
sie sich nicht sputen und sich endlich aus dem Dusel aufraffen! Das gibt
dann aber eine andere Polka!"

Er verfuegte sich nach den entlegenen Saelen, wo fern vom Getaumel
trinkfeste Maenner Bacchus huldigten. Er tat im Vorbeigehen einen Blick in
den Spielsaal, ging aber nicht hinein. Er liebte immer noch das Spiel fast
ebenso leidenschaftlich wie die schoenen Frauen. Seit Anfang des Feldzuges
ruehrte er aber keine Karte mehr an.

Aufregung und Anregung gab ihm der Krieg zur Genuege. Dazu bedurfte er des
Spieltisches nicht!

Er begab sich also in den Keller, nahm unbemerkt im Dunkel einer Nische
Platz und liess sich Wein kommen.

Um den langen Tisch, inmitten des Saales, sassen eine ganze Reihe meistens
juengerer Offiziere mit hochroten Gesichtern in eifrigster Unterhaltung.
Sie schimpften, dass es Bluecher gar warm ums Herz wurde, und verdonnerten
die Diplomaten nach Noten.

"Habt ihr den Metternich gesehen?" rief einer. "Wenn ihr den Fuchs gesehen
habt, dann wisst ihr Bescheid. Wir Preussen sollen da immer und immer wieder
bluten, nur um den Englaendern und den Oesterreichern die Kastanien aus dem
Feuer zu holen! Und nachher werden wir geprellt! Wir haben Napoleon
besiegt, haben ihn aufs Haupt geschlagen - und der Herr Metternich hat
nichts Eiligeres zu tun, als ihm den Ruecken zu steifen! Habt ihr von den
Friedensbedingungen gehoert, die er jetzt wieder dem Franzmann geboten hat?
Friede und Freude, und die Pyrenaeen, die Alpen und den Rhein als Grenzen!"

Ein allgemeiner Aufschrei beantwortete die Nachricht.

"Schufte und Gauner sind's, die das befuerworten!"

"Es sind hohe Herren, Fuersten und Generaele darunter!"

"An den Galgen mit ihnen!"

"Aufknuepfen das ganze Gesindel! Schwarzenberg und Metternich voran!"

"Sind das Bundesbrueder!"

"Immer hinken sie nach, immer halten sie zurueck und tuscheln hinter
unserem Ruecken mit den Franzosen!"

"Die Oesterreicher denken nur an ihren eigenen Vorteil! Und den suchen sie
in Italien! Da wollen sie sich bereichern! Deutschland ist ihnen
gleichgueltig!"

"Ob wir frei werden oder nicht, ist denen Wurst!"

"Das ist ein Irrtum! Die Oesterreicher wuerden uns gern an Haenden und Fuessen
gefesselt sehen! Nur kein starkes Preussen, nur kein einiges Deutschland!
Deshalb paktieren sie und treiben hinter unserem Ruecken Kuhhandel mit den
Rheinbundfuersten, diesen Verraetern an der deutschen Sache! Sie befestigen
jene Koenige von Napoleons Gnaden auf ihren Throenchen, statt sie zum Teufel
zu jagen!"

"Ganz recht, und deshalb sollen wir eben nicht ihres Kaisers Schwiegersohn
Napoleon kaputt machen duerfen! Deshalb duerfen wir ihm nicht seinen
Laenderraub nehmen - deshalb liessen sie ihn bei Leipzig entschluepfen und
hinderten uns an der Verfolgung, wo wir ihm so brav an den Fersen hingen.
Keinen Mann haette er heil nach Frankreich zurueckgebracht, haette man uns
bei der Stange gelassen! Und die lassen ihn mit ganzen siebzigtausend Mann
nach Mainz hinueber!"

"So 'ne Schweinerei war noch nicht da! Die muessten mit Ruten gestrichen
werden, die das verbrochen haben!"

"Und jetzt, was machen wir jetzt! Sechs Wochen lang stehen wir schon am
Rhein und duerfen nicht hinueber. Unsere Herren Fuersten stehen da und gucken
ins Wasser und finden es tief und finden es breit, und schuetteln die Koepfe
und machen bedenkliche Gesichter. Der Koenig will nicht, der Kanzler will
nicht, das Grosse Hauptquartier will verhandeln, die Russen wollen heim in
ihr Land. Keiner wagt den Sprung! Inzwischen wird Napoleon wieder stark -
und wir muessen wieder bluten!"

So schrien und tobten sie erregt durcheinander, und der Tabaksqualm legte
sich in immer dichteren Wolken ueber sie und zog in langen Ringeln unter
dem Gewoelbe hin, durch die Tuer hinaus.

Bluecher sass unbeweglich in einer Ecke und liess sich nichts merken.

Am Ende des Mitteltisches, etwas abseits von den anderen, sass allein und
schweigend ein grosser, starker Kerl in Infanterieuniform und trank in
aller Ruhe mit tiefen Zuegen einen Schoppen nach dem anderen. Mit jedem
Glas wurde sein Gesicht roeter und seine Augen stierer. Er schien sich
gewaltig zu giften ueber all das, was die anderen vorbrachten, und kam
immer mehr in Wut.

Schliesslich fegte er Glas und Kanne vom Tisch herunter, stand auf, zog die
Plempe, schwang sie mit beiden Haenden hoch ueber den Kopf und liess sie mit
voller Wucht auf die Tischscheibe niedersausen.

"Borussia!" schrie er, dass es im Saal droehnte und alles verstummte und
sich zu ihm umwandte. "Borussia, wach auf! Von allen Seiten umschleichen
dich Feinde! Ringsum lauern falsche Freunde darauf, dich zu knebeln!

Denn du bist das Herz Deutschlands, die Wurzel seiner Kraft, die Quelle
seines Blutes und der staehlerne Ring, der bestimmt ist, all die deutschen
Staemme zusammenzuhalten und stark und maechtig zu machen. Huete dich vor
deinen schwachen Stunden, Borussia, lass dir kein Gift in die Ohren
traeufeln - wehr dich gegen die Falschheit derer, die ihre Dolche mit
Friedenspalmen verdecken! Wehr dich, sonst hast du umsonst geblutet, ohne
Nutzen den Kampf um die Freiheit gefuehrt. Ohnmacht, Armut, Knechtschaft,
Schmach und Demuetigung vor Fremden wird dein sicheres Los! Hoere nicht auf
den Sirenengesang! Lass deine Knappen mit ihren Schwertern auf ihre Schilde
schlagen, dass du die Stimme der Verlockung nicht hoerst. Du liessest dich
schon zu oft taeuschen! Du liessest dich zu Boden werfen, wurdest
ausgepluendert und zum Frondienst gezwungen! Und nun, wo der Himmel ein
Wunder tat und deine Fesseln loeste, wo du weiter nichts zu tun brauchst,
als die Hand auszustrecken und zu nehmen, was dein ist, da laesst du dich
beschwatzen, auf die Segnungen einer fernen Zukunft vertroesten, wo die
Gegenwart dir blueht wie noch nie!

Borussia, wach auf! Sieh in der Sonne den Rheinstrom glitzern! Sieh sein
heiliges Band alle deutschen Gaue umschlingen! Frei waelzt er seine Wogen
dem Meere zu, an beiden Ufern wieder deutsch, wie er's immer war, wenn du
nur wolltest. Lass nur nicht die Welschen an ihn heran! Die bleiben nicht
wie du traeumend an seinem Ufer stehen! Die werden stets zu neuen Raubzuegen
hinueberwollen, dir Mark und Blut aussaugen und sorgsam verhueten, dass du
jemals wieder zu Kraft und Macht erstarkst! Borussia, wach auf!"

"Die schlaeft schon nicht, junger Mann!" sagte Bluecher, trat aus seiner
Nische ins Licht hinaus, ein Glas in der einen, ein paar Flaschen in der
anderen Hand, und setzte sich an das andere Ende des langen Tisches. "Denn
das ist kein Schlaf mehr! Da gehoert ein ganz anderes Wecken dazu, als Sein
bisschen Kraehen! Da helfen auch nicht die Posaunen des Juengsten Gerichts!
Bei der dicken Schlafmuetze, die die Sicherheitskommissariusse der Madame
ueber die Ohren gezogen haben, koennte der Himmel herabfallen, und sie
merkte nichts. Die wacht nicht uff. Wir geben ihr wohl mitunter einen
Schubs und bringen sie auf die Beine, dass sie Anlauf nimmt und im Schlafe
siegt. Und dann faellt sie um und traeumt vom ewigen Frieden! Und der Feind,
der Herr Napoleon, der niemals schlaeft und niemals traeumt, er lacht sich
ins Faeustchen und geht ihr immer wieder durch die Lappen. An der Saale
haetten wir ihn jetzt packen koennen, an der Unstrut auch! Bei Auerstedt, wo
er uns schlug, haette er zur Wiedervergeltung eins auf die Muetze haben
muessen - bei Erfurt, wo wir frueher einmal vor ihm kapitulierten, bei
Fulda, ueberall waere er geliefert gewesen, wenn wir bei der Stange
geblieben waeren und zugelangt haetten. Am Hoerselberge hinter Gotha, wo wir
nach Jena so brav vor ihm gelaufen waren, da raechten wir uns aber in echt
deutscher Weise - da liessen wir ihn ebensogut vor uns laufen, gerade als
seine Vernichtung sicher war. Da spielten wir immer noch auf hoeheren
Befehl Blindekuh und sagten uns: 'Nee, da laeuft er nich, wo er laeuft! Er
laeuft sicher anderswo!' Und kletterten ueber die Vogelsberge und guckten in
das Lahntal hinein und wunderten uns bass, dass er uns nicht den Gefallen
tat, uns auch da etwas vorzulaufen.

Und nun sitzt er hinterm Rhein und pflegt seine Frostbeulen und salbt
seine wunden Fuesse. Und wir sitzen diesseits und blasen auf der
Friedensschalmei und tanzen und vergnuegen uns. Nun ja - huebsch sind ihre
Maedchen, das muss ich den Rheinlaendern lassen! Und ihre Weine - - Na, komme
Er her zu mir, junger Mann, brechen wir miteinander dieser Pulle den Hals!
Da drin ist Sonnenschein - da drin ist Glut und froher Mut, aber keine
solche Wut, wie Er sich wohl aus Seinem Surius drueben angetrunken hat!
Sieht Er, schoene Redensarten, die kann ich auch machen! Nun will ich Ihm
aber auch vormachen, wie man den Mund haelt, wo's gilt, eine Tat fuer ein
Wort zu setzen! Prost! Giesse Er den Rebensaft die Kehle runter! Und keinen
Ton dabei - keinen Ton, auf dass Ihm nicht die Galle uebertritt. Siebzehn
Jahre wollen wir wieder werden, voll guter Laune, Uebermut, Tollheit und
schwellender Kraft, die singt und jauchzt und sich des Daseins zu freuen
weiss. Dann sind wir morgen andere Kerle, und die Welt wird uns neu und
frisch und keusch wie eine aufbluehende Jungfer, die dem gehoert, der sie
ohne Federlesens zu nehmen versteht, aber nimmermehr dem Worthelden, der
ueber seinem Gefasel das Zupacken vergisst. Wir _tun_, was _wir_ tun! Wir
lassen Schufte und Gauner Schufte und Gauner sein! Wir haben anderes zu
tun, als dem Gesindel Galgen zu errichten und Strafpredigten zu halten!
Prost!"

Trotz seinem Schweigegebot versaeumte er es aber auch nicht, selbst das
Wort zu nehmen und eine Rede zu schwingen, sooft nur der Geist ueber ihn
kam.

Der andere hatte ihm eben nur das Wort aus dem Munde genommen und das
ausgesprochen, wovon er just im Begriff war, selbst ueberzusprudeln.

"Solche Leute muss man beizeiten dazu bringen, den Mund zu halten", dachte
er schmunzelnd. "Denn sagen sie zuviel, dann verderben sie einem nur das
Spiel!"

                                   *

Am Neujahrstag in aller Fruehe hielt Bluecher dann hoch zu Ross auf den
Huegeln des Rheinufers bei Caub und blickte in den grauen Tag hinein.

Unter ihm schlaengelte sich die dunkle Masse seiner braven Armee ueber die
Schiffsbruecke nach der kleinen Insel mitten im Fluss, wo die alte Pfalz
liegt, und weiter nach dem jenseitigen Ufer, die Huegel hinauf.

Die Felsen warfen in immer wachsendem Echo das Hurra und das
Freudengeschrei hinueber und herueber und kuendeten den Landeskindern
jenseits des Rheins: jetzt ist die Schmach getilgt, jetzt seid ihr wieder
Deutsche, wie ihr es immer wart und immer wieder werdet, was auch kommen
mag.

Dem alten Kaempfer schwoll das Herz vor Freude, er jauchzte mit, und durch
die Traenen, die ihm aus den Augen quollen, sah er sieben Sonnen, und alle
gingen sie ihm heute drueben, im Westen, auf. Drueben lag befreites
deutsches Land! Drueben lief der Feind, was das Zeug hielt -, drueben lag
Paris! -

Ein Katzensprung nur, und Paris war sein, die Hoehle des Loewen ausgehoben,
der Quell alles Unheils verstopft, der Feind der Voelker von seiner
ragenden Hoehe gestuerzt! Nichts koennte mehr etwas daran aendern!

Drueben liefen ja die Franzosen - - -

Sie liefen - liessen aber drueben im befreiten Lande eine Grenzwache zurueck,
der weder Pulver noch Blei etwas anhaben konnte: - den Typhus! Und der
machte seine Sache so brav, dass allein vom Yorckschen Korps fuenftausend
Mann ins Gras beissen mussten. Dem Typhus zur Seite wuetete ein noch
unheimlicherer Feind: der Meuchelmord, der in jedem Bauernhause lauerte,
je weiter man ins rein franzoesische Land drang. Denn es war ja ein
schwerer und unverzeihlicher Frevel von den Deutschen, den geheiligten
franzoesischen Boden mit Krieg zu ueberziehen! Wozu waren die deutschen Gaue
da? War es nicht seit altersher den Voelkern zur Gewohnheit geworden und
also zum Recht, dort ihren Hader auszutragen und ihre Streitrosse zu
tummeln?! Hatten sie nicht den Deutschen dafuer gedankt, indem sie ihr Land
nicht nur gnaedigst auspluenderten, sondern es auch mit den schoensten Ruinen
schmueckten?!

Kein Muehsal, keine Gefahr, keine Seuchen, gar nichts vermochte aber das
Ungestuem der Schlesischen Armee und ihres Fuehrers zu brechen.

Unaufhaltsam drang sie auf ihr Ziel vor, ob die anderen Heere folgten oder
nicht.

An Bernadotte brauchte Bluecher nicht mehr zu schleppen, da diesem Helden,
nach seiner gloriosen Leistung bei Leipzig, das Kommando der Nordarmee
genommen worden war.

Und die Hauptarmee mit ihrem ganzen Tross von Monarchen, Fuersten und
Diplomaten, kuemmerte ihn zunaechst wenig.

Die schleppte sich im gewohnten Tempo, fern vom Schuss, bei Basel ueber den
Rhein nach Frankreich hinein, blieb dort auf der Hochebene von Langres
staunend stehen, und bewunderte die sonderbare Eigenschaft dieser
Wasserscheide, von dort nach drei verschiedenen Meeren gleichzeitig ihr
Wasser lassen zu koennen.

Von all den Fluessen, die dort ihren Anfang nehmen, trug, wie zu billigen,
die Seine den Sieg ueber die anderen davon.

Aber schon ehe die Hauptarmee ihre schwerfaellige Masse nach dem Seinetal
in Bewegung setzte, fingen die Diplomaten Oesterreichs, unter Metternichs
Fuehrung, wieder an, dem Schwiegersohn ihres Kaisers auf der
Friedensschalmei ein Staendchen zu blasen, und boten ihm die alten Grenzen
Frankreichs von 1792 an und den ungestoerten Besitz seines Thrones fuer
immer und ewig -, was in unserer Laiensprache so viel wie bis zum naechsten
Krieg heisst. Denn Napoleon war ja, wie auch der preussische General von
Knesebeck hervorhob -, er war ein foermlich anerkannter und recte gesalbter
Monarch - er war Herrscher von Gottes Gnaden und hatte also zum mindesten
auf die Gnade der Mitmonarchen einen Anspruch.

Napoleon sah das auch ein, liess sich gnaedigst herbei, mit seinen
Ueberwindern zu verhandeln, und schickte zu dem Zwecke seine Friedensboten
nach Chatillon.

Da war es wieder Bluecher, der den friedfertigen Kampfgenossen in den Arm
fiel - aber in einer von ihm selbst am allerwenigsten beabsichtigten
Weise, indem er sich an der Marne gruendlich - nicht _ein_-, sondern
_fuenfmal_ von Napoleon schlagen liess.

Denn der Korse, der da seine schoensten Loewenspruenge machte und bald dem
einen, bald dem andern von den ihn umstellenden Jaegern an die Kehle sprang
und tuechtig zauste, der fuehlte sich wieder als Herr und Gebieter und
Baendiger der ganzen Welt.

Er schlug die einzeln marschierenden Korps der Bluecherschen Armee
nacheinander bei Montmirail, bei Chateau Thierry, Vauxchamps und Etoges.
Er schlug Wrede und Wittgenstein bei Nangis und den Kronprinzen von
Wuerttemberg bei Montereau. Und der Kamm schwoll ihm maechtig.

Er sah, wie die Schar seiner Angreifer anfing langsam wieder nach dem
Rhein zurueckzufluten.

Bald wuerde er sie da hinueberwerfen und gaenzlich vernichten!

Er hoerte schon seine leicht erregten Pariser ueber die Siegesbotschaften
und die vielen Gefangenen jubeln.

Sie wuerden ihm alles bewilligen, der neuen Gloire jedes Opfer bringen!
Also keine Rede von Verhandlungen mehr!

Er wuerde den Voelkern wieder den Frieden diktieren, wie sie es von ihm
gewohnt waren! Fort mit den Schreibern und Diplomaten mitsamt ihren
schlauen Finten und krummen Wegen! Ein Hieb des Schwertes zur rechten Zeit
- das bliebe stets die einfachste und wirksamste Diplomatie!

Napoleon bedankte sich also fuer die Gnade, die ihm die deutschen Fuersten
gewaehren wollten, lehnte die Unversehrtheit eines verkleinerten Reiches
und den Besitz eines nur auf franzoesischem Boden fussenden Thrones ab, rief
seine Unterhaendler zurueck und stand wieder kampfbereit da, mit zermuerbten
Armeen, aber im vollen Glanz seines Genies und seines Siegerruhmes,
drohend, gewaltig, gefuerchtet.

Da war's wieder Bluecher, der sich nicht blenden und verblueffen liess. An
Genie dem Gegner gleich, an urwuechsigem Temperament ihm ueberlegen, hielt
er stand, wo alles weichen wollte, gebot dem Imperator Halt und lenkte die
rueckwaertsstrebende Bewegung wieder vorwaerts.

Und die Saumseligen folgten schweren Herzens und ergaben sich in ihr
Schicksal, die Fruechte ihrer Siege pfluecken zu muessen.

                                   *

                       "_Sa Majeste l'empereur_"

stand es mit grossen Buchstaben mit Kreide auf einer der Tueren im Korridor.
An der Tuer zwei Gardisten in hohen Baerenfellmuetzen, die Gewehre mit
aufgepflanztem Bajonett geschultert.

Ein Adjutant kam eiligst die Treppe herauf, den Korridor entlang und auf
die Tuer zu. Die Wachen praesentierten.

Der Adjutant streckte die Hand nach der Klinke aus. Da oeffnete sich die
Tuer, ein paar Ordonnanzen kamen eiligst heraus, die zusammengefalteten
Zettel mit den soeben vom Kaiser diktierten Befehlen in der Hand,
salutierten und eilten die Treppe hinunter.

Gleich hinter ihnen trat Napoleon aus der Tuer heraus, den grauen Mantel
noch offen, den dreieckigen schwarzen Hut auf dem Kopf. In seinem Gefolge
waren Berthier und Caulaincourt.

Der Adjutant gruesste.

"Sire, es ist hoechste Zeit. Die Kosaken sind in der Stadt!"

Napoleon machte eine abwehrende Bewegung mit der Hand, ging an das Fenster
gegenueber und blickte, die Arme ueber die Brust verschraenkt, ueber die Stadt
und die Gegend hinaus.

Wie oft hatte er nicht ueber diese Huegel, ueber diesen Fluss, diese Waelder
geblickt, als er noch Zoegling der Koeniglichen Kriegsschule hier zu Brienne
war!

Von hier aus hatte seine Meteorenlaufbahn ihren blendenden Anfang genommen
- hier war das Tor, durch das er ins bunte Abenteuer seines maerchenhaften
Daseins hinausgeschritten war.

Jetzt musste er wieder hier durch - zurueck ins ungewisse, mit bitteren
Erfahrungen beladen, ohne den unbeugsamen Glauben, ohne das feste
Vertrauen auf das Glueck, das Berge versetzt. Das Misslingen war auch bei
ihm in den Bereich des Moeglichen gerueckt, seine Bahn zum Ausgangspunkt
zurueckgebogen! Musste er wieder anfangen -, wieder die Schulbank druecken,
wie damals, als ihm nichts unmoeglich, keine Aufgabe zu schwer erschienen
war? Hatte er seine Schulaufgabe fuers Leben schlecht gelernt? Bekam er sie
jetzt zur Wiederholung und zum Besserlernen zurueck? Wenn er auch noch
tausendmal die Kraft zum Umlernen aufbringen wuerde -, haette er wohl noch
den Mut, die Lust - die Zeit dazu? War's ueberhaupt der Muehe wert? War
nicht alles eitel - nichtig -, zum Ueberdruss fade?

Aus der Tiefe knallten Flintenschuesse, scharf, schneidend! Sie kamen
naeher.

Der Kaiser erhob sein Haupt mit einem Ruck, wie ein altes Kutschpferd, das
wieder den Knall der Peitsche hoert, knoepfte den grauen Ueberrock zu und
ging mit festen Schritten den Korridor entlang, ueber dessen Steinfliesen
die sinkende Winternachmittagssonne ihren bunten Schein goss, und ging
rasch die Treppe hinunter, von seinen Adjutanten und
Generalstabsoffizieren und auch von den Wachtposten gefolgt. Gleich darauf
rasselten Hufschlaege von Pferden uebers Pflaster. Die Flintenschuesse kamen
naeher, Hurrarufe mischten sich hinein, Stimmengewirr und rasche Tritte auf
der Treppe wurden laut.

Dann kamen baertige Gestalten herauf, die Lammfellmuetze schief auf dem
einen Ohr, Piken in den Haenden, die Saebel am Boden schleifend. Voran ein
Offizier, neben ihm der Korporal, eine Liste in der Hand.

Der Offizier zeigte auf die Tueren im langen Korridor und sprach bei jeder
einen Namen aus. Der Korporal schrieb jedesmal den Namen auf die
betreffende Tuer.

Sie blieben an der Tuer stehen, durch die Napoleon gekommen war. Die Sonne
war tiefer gesunken. Ihre Strahlen fielen gerade durch das Fenster und
warfen ein buntes Farbenspiel ueber die Aufschrift.

"_Sa Majeste l'empereur!_" las der Offizier. "Ist gut! Da brauchen wir uns
die Zimmer nicht erst anzusehen. Da kommt der Obergeneral hinein!"

Der Korporal liess sein Kreidestueck, das er schon im Anhieb hielt, auf den
Tuerspiegel fallen und schrieb einen Namen hin.

                        "Feldmarschall Bluecher"

stand da in grossen Buchstaben unter der alten Aufschrift zu lesen.

Ein Wink des Offiziers, und zwei Kosaken stellten sich jetzt rechts und
links von der Tuer als Posten auf. Die Sonne draussen war schon halb hinter
die Huegel gesunken, ihre letzten Strahlen roeteten nur noch ein wenig das
weissgetuenchte Dach. Es daemmerte schon. Der Offizier befahl, die Kerzen in
den Laternen auf den Treppenpfosten und an den Waenden anzuzuenden, und ging
mit seinen Leuten weiter.

Bald danach hallte das ganze Schloss von lauten Stimmen, schallendem
Gelaechter, Saebelgerassel und Sporenklirren wider. Die Treppe kam's herauf,
und bald waren sie da: eine Schar von Offizieren, allen voran der
Feldmarschall Bluecher, und mit ihm seine Adjutanten: von der Goltz, Graf
Nostiz, Gneisenau und andere.

Die Wachen salutierten, die Adjutanten oeffneten die Tuer, alle traten ein.

Im grossen Saale stand noch der Tisch gedeckt. Die Speisen waren unberuehrt.
Bei der Eile des Aufbruchs hatte die Bedienung alles stehen- und
liegenlassen, wie es war.

"Der Kaiser sorgt gut fuer seine Gaeste!" rief der Feldmarschall. "Zu Tisch
denn! Ich habe einen mordmaessigen Hunger! Die Flaschen drueben auf der
Kredenz sehen nicht uebel aus. Rasch eingeschenkt! Auf unseren Gastgeber -,
auf dass ihm der Deibel bald holt!"

Sie tranken.

Ein Krachen. In der Ecke des Saales barsten die Balken, Schutt und Gips
flogen ringsumher. Eine Kanonenkugel hatte eingeschlagen und war durch den
Boden weitergegangen.

"Er blieb uns die Antwort nicht schuldig!" lachte Bluecher. "Der Kaiser
wusste, wo die Suppenschuessel stand, und war wohlerzogen genug, uns nicht
hineinzuspucken! Prost Mahlzeit, meine Herren! Der Wein ist gut! Kuemmert
euch nicht um den Schutt!" rief er den Ordonnanzen zu, die sich gleich
daranmachten, aufzuraeumen. "Das Haus gehoert uns nicht. Wir brauchen's
nicht zu reparieren!

Lasst es euch gut schmecken, Kinder! Hoffentlich haben's unsere Pferde auch
nach Wunsch?"

Der Adjutant, Graf Nostiz, gab zur Antwort, fuer die Pferde waere bestens
gesorgt.

Er hatte auch alles angeordnet, aber in seiner eigenen Weise, indem er sie
nicht in die Stallungen, sondern nur um die Ecke des Schlosses fuehren und
dort gesattelt bereithalten liess. Denn ihm schien es hier noch nicht ganz
geheuer und auch nicht sicher, dass Brienne endgueltig in der Hand der
Deutschen bliebe und nicht noch von den Franzosen durch einen Handstreich
wiedergewonnen werden konnte. Zum mindesten fand er es verfrueht, schon
jetzt das Hauptquartier hineinzuverlegen, ehe die Truppen das Glacis fest
in der Hand hatten. Aber das Ungestuem des Feldmarschalls war nimmer zu
baendigen.

Nostiz ging mit dem Grafen Goltz auf die Terrasse hinaus, blickte in die
Daemmerung hinein und dankte gleich dem Himmel, dass er so fuersorglich alles
angeordnet hatte. Denn kaum war er draussen, so pfiffen ihm schon die
Flintenkugeln um die Ohren, und die Scheiben in den Glastueren gingen
klingend in Scherben. Kein Zweifel, der Kaiser war nicht gesonnen, Feinde
hier mitten unter seinen Jugenderinnerungen hausen zu lassen.

Er ging schon angriffsweise vor, kaum dass man sich in seinem warmen Neste
zur Ruhe gesetzt hatte, und war schon im Begriff, das ganze feindliche
Hauptquartier mit dem Feldmarschall und allen durch einen kuehnen
Handstreich aufzuheben und in seine Gewalt zu bringen.

Sie eilten hinein. Es hielt aber schwer, den eigensinnigen alten Bluecher
dazu zu bringen, das Schloss, in dem er schon anfing sich wohl zu fuehlen,
gleich wieder zu verlassen.

Erst als die Schiesserei immer naeher kam, liess er sich ueberreden,
hinunterzugehen und die Pferde zu besteigen.

Es war aber fast zu spaet. Kaum auf der Strasse, galoppierten ihnen
fliehende Kosaken mit den Rufen "Franzuski!" entgegen, und hinter ihnen
her klabasterten schon flinke kleine Chasseurs mit einer Schnelligkeit,
dass die Rossschweife an ihren Helmen wie Schleier hinter ihren Haeuptern
flatterten.

Mit Not gelang es noch, durch flinkes Einbiegen in eine Nebenstrasse ueber
die Felder zu entkommen. Dort aber drehte sich Bluecher um, blickte nach
der Stadt zurueck, wo schon aus allen Fenstern Lichter blinkten, und wo der
Laerm des Strassenkampfes immer lauter durch das Dunkel tobte, und sagte:
"Bilde dich nur nicht ein, dass du dorten lange ruhig schlafen wirst!"

Als er aber nach einigen Tagen, nachdem er Napoleon geschlagen hatte,
wieder nach Brienne kam und ins Schloss hineinzog, um drinnen doch das
letzte Wort zu haben, da prangte auf der Tuer im Korridor nicht nur ueber
den Worten "Feldmarschall Bluecher", sondern auch unter ihnen die
Inschrift: "_Sa Majeste l'empereur_".

Stracks nahm er aus der Hand seines Quartiermachers, der schon wieder bei
der Arbeit war und von Tuer zu Tuer pilgerte, die Kreide, machte einen
Strich quer durch die Rechnung und schrieb eigenhaendig darunter:

                              "_Bluecher_".

"Die Fremdenliste waere nun in Ordnung", sagte er schmunzelnd, gab ein
Zeichen, die Tuer zu oeffnen, und befahl auch schleunigst, fuer Speise und
Trank zu sorgen. Denn heute sei man bei sich selbst zu Gast, und man muesse
doch fuer seine Gaeste sorgen!

"Nachher koennen wir darangehen, mit dem Herrn Napoleon um das naechste
Hotel zu raufen!" fuegte er hinzu. "Und mir soll's recht sein, wenn's sein
Palais in Paris ist!"

Fuer heute liess er sich's aber beim Feldmarschall Bluecher in Brienne gut
schmecken, und wurde dabei von keinen lose herumstrolchenden Kugeln aus
kaiserlichen Flinten und Kanonen mehr gestoert.

                                   *

"Heute war man im Hauptquartier knieschwach mit Bescheid", sagte Yorck
halblaut, als er durch den Abend von Laon nach seinem Quartier in Chambry
ritt. "Dem Feldmarschall schien es heute nicht sosehr wie sonst daran
gelegen zu sein, das Tanzbein zu schwingen!"

Er schlug die Schneeflocken vom Rockaermel, hielt sein Pferd an und blickte
ueber die Gegend hinaus.

Der kurze Maerztag neigte sich seinem Ende zu. Durch das duenne
Schneegestoeber sah man noch, wie durch einen Schleier, die kleine Stadt
Laon auf ihrem Felsen aus der Ebene ragen, auf dem Rand des hoechsten
Plateaus eine Reihe von Windmuehlen, die sich scharf gegen den Himmel
abzeichneten.

Tausende von Lichtern glitzerten ueberall. Den Fuss des Felsens saeumten die
Biwakfeuer von Buelows Preussen. Rechts und links davon, durch die
Vorstaedte, bis weit ueber die Ebene hinaus, zeigten Feuer an Feuer die
weitere Aufstellung von Bluechers Armee an.

Hinter den Suempfen, der Stadt gegenueber, auf der Senkung des dort
verlaufenden niedrigen Plateaus, rueckten die Franzosen heran.

Nach dem unentschiedenen Gefecht bei Craonne, am vorhergehenden Tage, war
Napoleon selbst mit seinen Garden den weichenden Truppen Wintzingerodes
auf der Strasse von Soissons hierher gefolgt und hatte sie aus dem Pass bei
Etouvelles ueber den Ardonbach zurueckgeworfen.

Oestlich von ihm, auf der Strasse von Reims, rueckte Marmont auf das gleiche
Ziel zu.

Bluecher hatte hinter dem Felsen von Laon die beiden russischen Korps
Sacken und Langeron als Reserve aufgestellt, um je nach der Kampflage
rechts oder links hinter der Stadt vorzubrechen.

Nach seiner Vereinigung mit Buelows ueber Holland heranmarschierten Truppen
war er jetzt Napoleon doppelt ueberlegen. Er hatte auch vollstaendige
Selbstaendigkeit von der Hauptarmee erlangt und brauchte sich um die
langsamen Bewegungen Schwarzenbergs nicht zu kuemmern.

Nichts wuerde ihn daran hindern koennen, die letzte Scharte auszuwetzen und
dem Korsen die heimtueckischen Ueberfaelle an der Marne heimzuzahlen! So
hatte er sich heute Yorck gegenueber geaeussert, aber nicht in seiner
gewohnten energischen Weise, sondern mit einem mueden, abgespannten
Ausdruck in der Stimme, der seinen Worten geradezu widersprach.

Yorck lachte noch haemisch darueber, als er langsam durch das Schneegestoeber
weiterritt.

Man war im Hauptquartier sogar mehr als loeblich knieschwach geworden! Die
"Kraftgenies" und Draufgaenger dort, die sonst mit ihrem Ungestuem die
Soldaten abhetzten, hatten auf einmal ihre ganze Schwungkraft verloren!

Bluecher, sonst die nie versiegende Hauptquelle aller Energie, war ueber
Nacht zusammengeklappt und ein mueder Greis geworden!

War es nur eine voruebergehende Abspannung? Oder bereitete sich eine
ernsthafte Erkrankung vor?

Ganz apathisch hatte er heute dagesessen, einen Schirm vor den Augen, und
hatte fast teilnahmlos zugehoert, wie Mueffling und Gneisenau den
eingefangenen Hannoveraner Palm examinierten, der im Bureau des
franzoesischen Generalstabschefs Berthier irgendeine Vertrauensstellung
eingenommen hatte, und heute von den Kosaken aufgegriffen worden war.

Er hatte sich nicht einmal geaergert, ja kein einziges Mal geflucht, als
dieser ihm bezeugte, die gestrige Affaere bei Craonne haette eine
vernichtende Niederlage fuer Napoleon werden koennen, wenn die Preussen
diesem, wie befohlen, bei Corbeny in die linke Flanke und in den Ruecken
gefallen waeren. So aber hatte seine Nachhut unter Wintzingerode die ganze
Wucht des Angriffs allein auszuhalten gehabt und hatte sich nutzlos
verblutet. Und man konnte den Tanz wieder von vorn anfangen.

Dabei waere der Sieg so kinderleicht herbeizufuehren gewesen! Als sich ein
paar Husaren und Kosaken auf dem Wege von Fetieux bloss zeigten, hatten die
franzoesischen Train- und Artillerieknechte die Straenge durchgeschnitten,
alles stehenlassen, und waren davongeritten. Eine regelrechte Panik war
schon im Entstehen. Aber die preussische Kavallerie, die man schon glaubte
heransausen zu hoeren, kam nicht! Und aus der sicheren Niederlage wurde so
ein unentschiedenes Nachhutgefecht.

Das alles hatte ihnen der gefangene Kommissar Berthiers klipp und klar
auseinandergesetzt. Und Bluecher hatte keinen Ton gesagt, kein einziges
Donnerwetter ueber die verfluchte Schweinerei losgelassen! Gneisenaus
Gesicht war immer laenger geworden!

Sie hatten alle beide ploetzlich die Sicherheit eingebuesst! Ihre Kraft
schien erlahmt zu sein! -

Sonst schoben sie um des grossen Zieles willen jedes Bedenken beiseite und
zwangen die Soldaten zu den groessten Strapazen. Jetzt aber haeuften sie
Bedenken ueber Bedenken und waren aengstlich darauf bedacht, ihre Leute zu
schonen!

Yorck hatte laut lachen muessen, als Gneisenau ihm in allem Ernst erklaerte,
man muesse die Truppen schonen, damit der Koenig bei den
Friedensverhandlungen noch eine Armee haette, um sie in die Wagschale
werfen zu koennen! Daran dachte der gute Gneisenau sonst gewiss nicht!

Er war sonst stets von hochfliegenden strategischen Plaenen und genialen
Entwuerfen so erfuellt, dass eine solche Kleinigkeit wie ein Menschenleben
mehr oder weniger ihn nicht im geringsten kuemmerte.

Und jetzt auf einmal die diplomatischen Schmerzen!

War er kopfscheu geworden, als er die wohlgenaehrten, gut gekleideten und
tadellos ausgeruesteten Soldaten Buelows sah, die trotzdem auf glaenzende
Siege in Holland zurueckblicken durften - und neben ihnen die verhungerten,
abgerissenen, zerlumpten Schlesier Yorcks, die wie die "Grasteufel"
aussahen, und, ungeachtet aller Strapazen, in der letzten Zeit doch nur
Niederlagen gehabt hatten?

Sei's wie es sei, jedenfalls hatte Gneisenau stillschweigend sein Unrecht
zugegeben, und das erfuellte Yorcks Seele mit einer stolzen Genugtuung und
gab ihr Leichtigkeit und Schwung. Der Widerspruchsgeist, der ihm sonst
stets innewohnte, steigerte sich bis zum spitzbuebischen Uebermut. Er wollte
Gneisenau, wollte das ganze Hauptquartier noch mehr ins Unrecht setzen.
Jetzt, wo die zauderten und nicht mehr vorwaerts wollten, jetzt wollte er.
Er, der sie sonst immer zurueckhielt, ging ihnen jetzt aus reinem Trotz
durch und liess so das Donnerwetter los, das wegen der Krankheit Bluechers
und der schwachen Stunde Gneisenaus im Sturmzentrum selbst zu erlahmen
drohte!

Froehlichen Herzens gab er seinem Pferd die Sporen, kam in sausendem Galopp
am Bauernhause in Chambry an, wo er sein Quartier hatte, sprang aus dem
Sattel und trat in den Saal hinein.

Um den flammenden Kamin sassen die Offiziere seines Stabes in froehlicher
Runde und lasen mit verteilten Rollen aus Shakespeares Heinrich dem
Vierten.

Yorck winkte ihnen zu, sich nicht stoeren zu lassen, setzte sich auch an
den Ofen, starrte zerstreut ins Feuer und lauschte auf das Rasseln der
Verse.

 "O mein Gemahl, was seid Ihr so allein?"

lispelte mit hoher Fistelstimme ein junger Leutnant die Rolle von Lady
Percy hervor. Indes ein dicker Oberst mit tiefem Bass und gewaltiger
Inbrunst den Heisssporn Percy mimte und sich gar nicht an sie kehrte.

 "Fuer welchen Fehl war ich seit vierzehn Tagen,
 Ein Weib, verbannt aus meines Heinrichs Bett?
 Sag', suesser Gatte, was beraubt dich so
 Der Esslust, Freude und des goldenen Schlafs?
 - - - - - - - -
 Ich habe dich bewacht in leichtem Schlummer,
 Und dich von eh'rnem Kriege murmeln hoeren,
 Dein baeumend Ross mit Reiterworten lenken
 Und rufen 'Frisch ins Feld!' Dann sprachest du
 Vom Ausfall und vom Rueckzug, von Gezelten,
 Laufgraeben, Basilisken und Kanonen.
 Ein schwer Geschaeft hat mein Gemahl in Haenden.
 Und wissen muss ich's, wenn er mich noch liebt."

"Fort, du Taendlerin -", bruellte der Oberst den jungen Leutnant an.

             Ich lieb' dich nicht,
 Ich frage nicht nach dir. Ist dies 'ne Welt
 Zum Puppenspielen und Mit-Lippen-fechten?
 Nein, jetzo muss es blut'ge Nasen geben,
 Zerbrochene Kronen, die wir doch im Handel
 Fuer voll anbringen. Alle Welt, mein Pferd!
 Was sagst du, Kaethchen? Wolltest du mir was?"

"Ihr liebt mich nicht? Ihr liebt mich wirklich nicht?" lispelte der
Leutnant weiter.

"Nein, sagt mir, ob das Scherz ist oder Ernst?"

Worauf der Oberst jaeh aufschnellte und veraechtlich lachte:

 "Komm, willst mich reiten sehen?
 Wenn ich zu Pferde bin, so will ich schwoeren:
 Ich liebe dich unendlich. Doch hoere, Kaethchen:
 Du musst mich ferner nicht mit Fragen quaelen,
 Wohin ich gehe, noch raten, was ich soll!
 Wohin ich muss, muss ich: und, kurz zu sein:
 Heut abend muss ich von dir, liebes Kaethchen.
 Ich kenne dich als weise, doch nicht weiser
 Als Heinrich Percys Ehefrau. Standhaft bist du,
 - jedoch ein Weib, und an Verschwiegenheit
 Ist keine besser, denn ich glaube sicher:
 Du wirst nicht sagen, was du selbst nicht weisst!
 Und soweit, liebes Kaethchen, trau ich dir."

Sie lasen schlecht, mit falschem Pathos, viel Stimmenaufwand und
gewaltiger Mimik. Yorck achtete nicht darauf. Ein ungestuemer Tatendrang
war rein aus Trotz ueber ihn gekommen, seitdem er sah, wie zaghaft man im
Hauptquartier geworden war. Er wollte jetzt die Zuegel aufnehmen, die man
dort schleifen liess, die Fuehrung an sich reissen, einen waghalsigen Coup
unternehmen und so mit einem Schlag den Krieg zu Ende fuehren! Wie, das sah
er noch nicht klar. Er fuehlte nur bestimmt, im voraus, das grosse
Geschehnis nahen und wurde wieder jung und waghalsig wie jener Brausekopf
Percy in Shakespeares Stueck. Er wuerde, wie dieser, weder sehen noch hoeren
koennen, bis jener Gedanke, der ihn ganz erfuellte, in lebende Tat umgesetzt
worden war!

Am andern Morgen war dichter Nebel ueberall. Es wollte nicht Tag werden.

Man war zum Angriff bereit. Da pfiff es ploetzlich den wackeren Kaempfern um
die Ohren. Flintenkugeln flogen aus naechster Naehe in die Stadt und in das
Lager Yorcks. Wie ein Schwarm Hornissen, so summte und brummte es den
Yorckschen um die Ohren, ohne dass es moeglich war zu entdecken, woher es
kam.

"Das sind die Bienen des Kaiserreiches!" sagte Yorck. "Die kommen
herangesummt mit dem Morgengruss vom Kaiser! Die paar Insekten machen aber
noch lange keinen Sommer! Wir werden den frechen Kerls von Tirailleurs
schon eins auswischen!"

Der Nebel hob sich gegen elf Uhr, und als die Sonne durchbrach und die
Gegend erhellte, konnte der Posten oben auf der hoechstgelegenen Windmuehle
melden, dass die Armee Napoleons zu beiden Seiten der Strasse von Soissons
Aufstellung genommen hatte und zum Angriff vorging. Bald entbrannte auf
der ganzen Linie der Kampf. Napoleon konnte aber gegen die Uebermacht der
Bluecherschen Armee nicht an. Es gelang ihm nur, dessen Vorposten aus
Etouvelles zu vertreiben und den dortigen Pass ueber den Ardonbach zu
besetzen. Im Laufe des Tages rueckte dann oestlich von ihm auf der Reimser
Strasse Marmont heran und suchte gleich um die linke Flanke Yorcks
herumzufuehlen, mit der deutlichen Absicht, ihm die Rueckzugsstrasse nach den
Niederlanden abzugewinnen. Dem wurde rasch durch Kavallerie begegnet,
Yorck zog seine Vorposten aus dem vor seiner Front liegenden Dorfe Athis
heraus und liess es anzuenden, um ein verlustreiches Dorfgefecht zu
vermeiden.

Von beiden Seiten wurde eifrig kanoniert. Aber der erwartete Sturmangriff
der Franzosen unterblieb, und als der kurze Wintertag zu Ende ging, hatte
der Feind sich damit begnuegt, seinen Aufmarsch zu vollenden und
vorteilhafte Angriffsstellungen fuer den naechsten Tag einzunehmen. Seine
Truppen durften sich zur Ruhe begeben. Aber die Ruhe goennte ihnen Yorck
nicht. Er hatte ihre Passivitaet als ein Zeichen der Schwaeche aufgefasst und
sich gleich entschlossen, sie beim Einbruch der Dunkelheit zu ueberfallen.
Er holte die Genehmigung des Oberkommandos ein und traf sofort seine
Anordnungen.

"Das Vorruecken geschieht in geschlossenen Kolonnen und lautlos, bis man an
den Feind kommt. Es faellt kein Schuss, es wird nur mit dem Bajonett
angegriffen" - so lautete sein Befehl.

Alles setzte sich in Bewegung. Vorwaerts ging es ueber den gefrorenen Boden
gegen die Linie der feindlichen Feuer bis auf fuenfhundert Schritt
Entfernung.

Da brach auf einmal ein Hoellenlaerm los. Auf allen Trommeln wurde Sturm
geschlagen, die Trompeten und Fluegelhoerner schmetterten und tuteten, und
mit schallendem Hurra warfen sich die braven Schlesier auf den Feind, der,
vollkommen ueberrascht, an keinen Widerstand dachte, Hals ueber Kopf floh
und alles im Stich liess. Er wurde kraeftig verfolgt. Und nach ein paar
Stunden konnte Yorck dem Hauptquartier melden, dass das ganze Korps
Marmonts aufgerieben sei, seine gesamte Artillerie und Munition, Tausende
von Toten und Gefangenen verloren und auch das anmarschierende Korps
Mortiers mit in die Flucht gerissen hatte.

Napoleons Stellung war dadurch verzweifelt geworden. Er stand vor
Etouvelles mit wenig ueber dreissigtausend Mann, seine beiden Fluegel waren
erschuettert, er hatte einen nunmehr dreifach ueberlegenen Feind sich
gegenueber und den Engpass von Etouvelles als einzige Rueckzugsstrasse. Wenn
Bluechers Armee ihren Sieg ausnutzte und rasch weiter vorging, so war er
verloren, denn er wuerde sich dann einer Umzingelung nicht mehr entziehen
koennen.

Demgemaess wurde auch zunaechst vom Oberkommando disponiert. Buelow und
Wintzingerode sollten Napoleon festhalten, die anderen Korps von der
Reimser Strasse seine rechte Flanke umgehen, Sacken und Langeron um seine
linke Flanke herumgreifen und versuchen, ihm die Strasse nach Soissons zu
verlegen.

Bei Anbruch des Tages war schon alles auf dem Marsch. Yorck triumphierte
schon im voraus. Das Manoever konnte nicht misslingen. Man hatte endlich den
Loewen in der Falle! In ein paar Stunden waere er umringt und vernichtet und
der Krieg zu Ende. Alles draengte begeistert vorwaerts, sich der Groesse der
bevorstehenden Entscheidung bewusst, und bereit, das Letzte herzugeben, um
sie herbeifuehren zu helfen.

Da fiel das eigene Hauptquartier dem ungestuem Vorwaertsdraengenden jaeh in
den Arm. Gneisenau sandte ueberallhin Konterorders und befahl, den so
ruestig begonnenen Vormarsch einzustellen und in die alten Stellungen
zurueckzugehen.

Entgegen aller Vermutung war Napoleon zum Angriff geschritten, in der
richtigen Voraussetzung, dass ein Feind, dessen Korps er erst kuerzlich
einzeln geschlagen hatte, es jetzt nicht wagen wuerde, sie noch einmal
voneinander zu trennen, sondern vor allem bestrebt sein muesste, sie einem
Angriff gegenueber jetzt sofort zusammenzufassen.

Er versuchte also, als der groessere Menschenkenner, den Gegner zu bluffen,
und der Versuch gelang.

Die Rueckberufungsbefehle Gneisenaus flogen eiligst nach allen Seiten
hinaus. Yorck bat, bei der Stange bleiben zu duerfen, er gab gute Gruende,
er drohte, er fluchte, aber nichts half! Er, der sonst immer vom
Hauptquartier angetrieben werden musste, tat jetzt sein Aeusserstes, um es
zur Tat mitzureissen, aber vergebens.

Gneisenau war unerbittlich. Alles musste zurueck. Der sichere Triumph ueber
den "Feind der Menschheit" glitt Yorck aus den Haenden. Er musste gehorchen.
Aber in sein Quartier zurueckgekommen, befahl er seinen Wagen, liess seine
Koffer hineinwerfen, nahm Platz und fuhr ohne weiteres von seiner Armee
fort.

Das liess er sich nicht gefallen - das machte er nicht mehr mit! Da koennte
kommandieren, wer wollte - er hatte es jetzt satt!

Zu dem Aerger, von Napoleon gefoppt zu sein, kamen jetzt bei Gneisenau die
Schwierigkeiten mit Yorck.

Die Insubordination durfte nicht hingenommen werden. Aber einem Mann wie
Yorck konnte man nicht einfach eine Kugel vor den Kopf geben.

Bluecher allein vermochte da Wandel zu schaffen. Und Bluecher war krank. Er
fieberte, er phantasierte und nahm an allem Geschehen keinen Anteil.

So ruhte alle Verantwortung auf Gneisenaus Schultern. Und dieser sonst vor
nichts zurueckschreckende Mensch hatte eben seine "schwache" Stunde gehabt.

Dass Bluecher einen Sieg nicht bis zum Aeussersten ausnuetzte, das war noch
nicht dagewesen! Das ging nicht mit rechten Dingen zu! Das empfand jetzt
die ganze Armee. Er war entweder tot oder todkrank. Das stand fest. In
beiden Faellen musste ein neuer Oberbefehlshaber an seine Stelle treten. Das
Kommando waere dann einem von den russischen Generaelen zugefallen, und das
durfte auch nicht sein.

Die Krankheit Bluechers wurde also verheimlicht. Gneisenau amtierte in
seinem Namen weiter - nicht aber, wie sonst, in seinem Sinn. Der Konflikt
mit dem tuechtigsten Korpsfuehrer der Armee war da und musste aus der Welt
geschafft werden! Tot oder lebend musste Bluecher auf der Buehne erscheinen
und das besorgen. Aber wie das bewerkstelligen, wo der Alte in
Fieberphantasien dalag und auf keine Anrede eine vernuenftige Antwort gab?!

Gneisenau ging mit Mueffling zu ihm hinein.

In einer Ecke des Krankenzimmers brannte, dicht verhangen, eine Lampe. Der
Leibarzt Bluechers, Bieske, sass daneben, sanft eingeschlummert. Im Bett
waelzte sich Bluecher unruhig hin und her, die Augen mit einem alten
gruenseidenen Damenhut gegen das kaum merkbare Licht geschuetzt.

Die Augen schmerzten ihn. Ein zitterndes Flimmern lag ueber der Netzhaut,
im Spiel der Farben wogte alles hin und her, Gestalten tauchten auf,
drangen von allen Seiten auf ihn ein, schlossen die Glieder, zogen in
endloser, dichtgedraengter Schar an ihm vorueber, ernst, langsam und wuerdig
wie zu einer Trauerparade -, Offiziere in Gala-Uniform mit roten Kragen
und hohen Blechmuetzen, die Gesichter ernst und blass wie der Tod, die Augen
geschlossen, feierliche Ruhe in den Zuegen, an der Seite jedes einzelnen
eine Frau in Trauer, den verschleierten Kopf schmerzvoll geneigt. So zogen
sie ohne Unterbrechung an ihm vorbei, wo er draussen auf einem Felsen am
Rhein stand. Aus allen Schluchten, aus allen Waeldern, aus allen Taelern
ringsumher stroemten sie in immer dichteren Scharen an ihn heran und nach
dem Ufer des Rheins hinab, stiegen ins Flusstal hinunter und zogen dort
weiter, immer weiter gegen die Abendsonne hin. Die Blechmuetzen glitzerten
und blitzten, von den schwarzen Trauerschleiern der Frauen umwallt. - Wie
ein Spiel der Wellen im Abendsonnenschein, so flimmerte es vor den Augen,
verwob sich in der Ferne mit dem Widerschein auf dem Wasser und wurde zu
einem einzigen Strom, der leuchtend und flammend sich weiter den Weg durch
die Felsen frass.

Die Augen schmerzten vom vielen Glanz! Da erhob sich ploetzlich eine dunkle
Masse dicht vor ihm. Ein Felsen wuchs aus der Erde, hart, eckig und
knorrig - kein Felsen - eine menschliche Gestalt war's, mit zwei Koepfen,
in Wut verzerrt, die miteinander rauften, dass die ganze Gestalt ins Wanken
kam. - Yorck war's!

Bluecher frohlockte! Da war er endlich hinter das Geheimnis Isegrims
gekommen! Nicht einen -, _zwei_ gleich harte Koepfe hatte der alte Kerl,
die sich stets widersprachen! Das war des Raetsels Loesung, deshalb war mit
ihm nicht auszukommen!

Da fuhr ihm blitzschnell der Gedanke durch den Kopf: Yorck hielt ebenso
streng auf Ordnung bei seiner Truppe wie er selbst und duldete keine
Trosswagen hinter der Marschkolonne.

"Mein Champagnerwagen!" rief er ploetzlich, setzte sich im Bett auf und
hielt krampfhaft den alten gruenen Hut ueber die Augen gepresst. "Mein
Champagnerwagen!" Denn er hatte fuersorglich eine Fuhre Champagner direkt
von der Quelle nach Hause senden lassen, und er gab seitdem seinen
Mitarbeitern keine Ruhe, ehe er nicht diesen Schatz gluecklich in
Sicherheit jenseits der Grenze wusste.

"Mein Champagnerwagen!" schrie er. "Sorgt nur dafuer, dass der Isegrim ihn
nicht erwischt. Der baerbeissige alte Kerl hat ja zwei Koepfe! Er hat _zwei
Maeuler zum Saufen_! Er trinkt mir meuchlings den ganzen Krempel aus! Her
mit Papier und Tinte! Ich muss es ihm schreiben -"

Mueffling legte ihm ein Blatt Papier vor, und rasch, kaum leserlich,
kritzelte Bluecher ein paar Worte darauf, reichte ihm den Papierfetzen hin
und sank ins Bett zurueck. Eingedenk Ratkaus, wo dieser ihm auch etwas zum
Unterschreiben ans Bett gebracht hatte, rief er ihm noch energisch zu:
"Aber ich kapituliere nicht, Mueffling, ich kapituliere nicht!"

Dann fiel er ins Bett zurueck, blieb liegen und blickte bald Gneisenau,
bald Mueffling eigentuemlich an.

"Komm Er her!" rief er ploetzlich. "Naeher, nur immer naeher, ich will Ihm
etwas sagen!"

Mueffling beugte sich zu ihm herab, und fluesternd und geheimnisvoll
nickend, fing der Alte an:

"Weiss Er was? Ich habe ein Gefuehl im Leib, als waere ich mit einem
Elefanten schwanger - es dehnt sich und dehnt sich - manchmal ist's mir,
als waere mir die Stube schon zu eng - ich moechte nur wissen, wie das kommt
- und auch, auf welchem Wege ich so'n Ungetuem wohl auf die Welt bringen
werde?"

Das wurde Gneisenau zuviel. Entschlossen trat er an das Bett heran. In
kurzem, scharfem Ton, der unbedingt die Aufmerksamkeit des Kranken
erzwang, erzaehlte er von der Desertion Yorcks, die unbedingt die sofortige
Dazwischenkunft des Oberkommandierenden erheischte, um peinliches Aufsehen
zu vermeiden.

Bluecher begriff. Die Wut packte ihn, verscheuchte im Nu die
Fiebergespenster und machte seinen Geist sofort ganz klar.

"So'n Hundsmiserabler -, so'n Sauverfluchter! Und dabei hat der Kerl ganz
recht! Wir sind im Unrecht! Himmeldonnerwetter, klappe ich einmal einen
Augenblick zusammen, gleich geht alles schief! Wir haetten verfolgen
sollen, Gneisenau - haetten bei der Stange bleiben muessen, wo wir endlich
einmal den Kerl, den Korsen, im Sack hatten! Ja, sage Er einmal,
Gneisenau, wo hatte Er das mit dem Hangen und Bangen nur ploetzlich her?
Das kenne ich sonst nicht bei Ihm? Es waere schon besser, das Fieber haette
Ihn gepackt, nicht mich! Verflucht, dass ich gerade jetzt das Pech haben
musste, dazuliegen. Das muss ich wiedergutmachen. Her mit Tinte und Papier!
- Er ist ein altes Ekel, ein ruppiger Hund, der Isegrim! Aber - wie
prachtvoll hat er nicht soeben den Franzosen angebissen! - Nun, wo bleibt
das Papier? Der Fetzen da taugt -, her damit!"

Er deutete auf seinen Brief, den er vorhin geschrieben hatte. Mueffling
reichte ihn ihm.

"Da steht schon etwas drauf!" sagte Bluecher, der alles bereits vergessen
hatte. "Lese Er's mir vor, die Augen schmerzen mir!"

Mueffling las.






                      "Mein lieber, alter Freund!

So etwas tun wir beide einander doch nicht an. Was wuerde die Geschichte
dann von uns sagen?

                                                      Ihr alter Bluecher."






"Betrifft den Champagnerwagen Eurer Exzellenz", fuegte Mueffling dann
aufklaerend hinzu.

Bluecher blickte ihn an.

"Ob's Yorck betrifft, ob die Witwe Cliquot, steht jedenfalls nicht drin.
Das taugt denn gleich gut fuer alle beide. Was soll ich mich da noch
abquaelen! Schicken wir das ab! Das genuegt!"

So dachte auch Yorck, als der mit dem Briefe nachgesandte Kurier ihn noch
am selben Tage erreichte. Denn ihn reute schon der uebereilte Schritt. Er
griff begierig nach der dargebotenen Hand, benutzte die ihm gebaute
goldene Bruecke, kehrte zu seinem Korps zurueck, und alles war in bester
Ordnung. Bis auf Napoleon, der aus der Umklammerung entschluepft war, und
hinter dem nun das Kesseltreiben weiterging. Bluecher aber fiel in tiefen
Schlaf und war von Stund ab fieberfrei. Er blieb zwar noch koerperlich
schwach, aber gewann sonst schnell die alte Energie wieder und trieb mit
dem prachtvollen Feuer seines Geistes alles vorwaerts aufs Ziel. Sogar
seinen alten Koerper bezwang er!

Der konnte zwar nicht in den Sattel hinauf, der musste sich im Wagen
mitschleppen lassen. Halb sass Bluecher, halb lag er da, in Pelze
eingewickelt, die Augen durch den gruenen Damenhut geschuetzt.

So zog er langsam hinter dem von ihm entfesselten Sturm her und wurde von
ihm mitgezogen. Und jetzt gab's keine Hindernisse, keinen Widerstand mehr.
Was in den Weg kam, wurde fortgefegt.

Napoleons kecker Versuch, durch einen schnellen Marsch nach dem Rhein die
Feinde von seiner Hauptstadt abzuziehen, misslang.

Die Hauptarmee zauderte wohl wie immer. Schwarzenberg waere am liebsten
zurueckgelaufen, als er vom Zug Napoleons hoerte, liess sich aber schliesslich
doch bestimmen, ihm nur eine Reitertruppe zur Beobachtung nachzuschicken,
und folgte dann langsam in Richtung Bluecher, vorwaerts auf Paris.

                                   *

Am 31. Maerz 1814 hielten der Zar aller Reussen und der Koenig von Preussen an
der Spitze ihrer Garden feierlichen Einzug in Paris.

Die Schlesische Armee durfte nicht mittun. Sie hatte die Hauptlast des
ganzen Feldzuges getragen, hatte geblutet, gehungert, gefroren,
Gewaltmaersche geleistet, Schlachten gewonnen, Festungen erobert, in Schnee
und Eis notduerftig auf blossem Boden biwakiert, von der Katzbach bis zum
Montmartre Ungeheures verrichtet. Und jetzt, am Ziel, statt Ehren, Dank
und reichen Lohn fuer alles ertragene Muehsal zu erhalten, musste sie sich
damit begnuegen, aus der Ferne einen Blick ins Gelobte Land zu tun. Sie
durfte von der Barriere des Montmartres die schoene Seinestadt zu ihren
Fuessen bewundern, die, von allen Herrlichkeiten und Genuessen der Welt
erfuellt, sich dort unten ausbreitete. Sie musste trockenes Kommisbrot essen
und auf den Strassen biwakieren, statt in den Buergerhaeusern einquartiert zu
werden.

Und vom Koenig, fuer den sie geblutet hatten und dessen vornehmste Pflicht
es gewesen waere, aufs beste fuer sie zu sorgen, von ihm mussten sie hoeren:
ihre Montierung waere nicht propre genug; sie waere zu zerrissen und
unsauber, um beim feierlichen Einzug in diese glaenzende Stadt damit
paradieren zu koennen. Man konnte wohl den Krieg in Lumpen gewinnen, aber
nie und nimmer in Lumpen triumphieren. Zum Triumphieren waren die Garden
da. Dazu waren sie und ihre Uniformen die ganze Zeit geschont worden. Und,
damit sie auch nicht zu spaet kaemen, um jener Ehre teilhaft zu werden,
musste die Schlesische Armee, die zwei Tage frueher ohne Kampf haette Paris
nehmen koennen, auf Allerhoechsten Befehl einen Umweg um die Stadt machen.
Die Folge war, dass die Marschaelle Mortier und Marmont noch mit ihren
Truppen zur Verteidigung herankommen konnten, und dass noch viel Blut
fliessen musste, ehe Paris sich ergab. Auch vom geheiligten Blut der Garden,
die sich mit gewohnter Tapferkeit schlugen, als sie endlich mal ran
durften.

Bluecher machte aus Wut den Einzug nicht mit.

Yorck lehnte auch ab mit der Begruendung, er haette keine Pariser Kleider
mit.

Bluecher war gesundheitlich wieder obenan. Seine Augen mussten aber immer
noch von einem Schirm geschuetzt werden. Mit dem gruenen Damenhut wagte er
aber bei all seiner Tapferkeit den Parisern doch nicht zu kommen. Zu Pferd
war er noch nicht gewesen. Aber sein Mundwerk war wieder instand, und die
Galle funktionierte, wie sie sollte.

Der Einzug war schon seit mehreren Stunden vorueber. Vorher, schon in aller
Fruehe, hatte der Maire irgendeines Pariser Arrondissements nebst einer
Buergerdeputation bei Bluecher vorgesprochen, um ihm ihre ehrerbietigsten
Gruesse zu Fuessen zu legen und ihn zu bitten, die Buergerhaeuser von
Einquartierung zu befreien.

Das fand Bluecher empoerend.

Seinen braven Schlesiern zuzumuten, auf den Strassen zu kampieren, mit
Tausenden von reich ausgestatteten Haeusern vor Augen! Das ginge doch zu
weit.

"Ruehle!" rief er seinen Adlatus herbei. "Er kann ja mit denen parlieren!
Sage Er ihnen von mir: der Tyrann hat alle Hauptstaedte besucht, gepluendert
und gestohlen. Wir wollen uns so was nicht zuschulden kommen lassen. Aber
unsere Ehre fordert das Vergeltungsrecht, ihm in seinem Neste den Besuch
zu erwidern, und da waere es wohl doch nicht zuviel, wenn wir allesamt mit
Speise und Trank ordentlich bewirtet und gut einquartiert werden. Wir
lassen unsere Gaeste nicht auf der Strasse schlafen! Da sollen sie nur die
franzoesischen Soldaten fragen, wie sie's bei uns gehabt haben! Sage Er's!
Nein! Warte! Er ist ein Filou! Ich sag's ihnen selbst!"

Er stellte sich dann breitbeinig vor der Buergerdeputation auf, bohrte
seine Blicke in sie und fing mit weithin schallender Stimme an:
"Messieurs!" Und dann war er mit seinem Franzoesisch zu Ende.

"So," rief er dem Major Ruehle zu, nun _sage Er ihnen den Rest_! Aber ohne
Firlefanzen!"

Und er guckte dem Major hoellisch auf die Lippen, als der seinen Auftrag
erledigte, und begleitete jeden Satz, den dieser sprach, mit so drohenden
Blicken auf die braven Pariser Buerger, dass sie darob eigentlich haetten in
die Erde sinken muessen, was sie aber lieber unterliessen.

Am meisten regte sich Bluecher an dem Tage ueber die Monarchen auf.

Nach dem Einzug hatten sie nichts Eiligeres zu tun gehabt, als sich zu
einer Sitzung bei Talleyrand zusammenzufinden, um ueber das Schicksal
Frankreichs, zu dessen Herbeifuehrung sie selbst so wenig getan hatten, zu
beschliessen.

Der Zar, der Koenig von Preussen, Nesselrode, Talleyrand und andere traten
da zur Beratung an. Aber Bluecher, dem in erster Reihe der grosse Sieg zu
verdanken war, wurde nicht gebeten.

Sie beschlossen sofort die Absetzung Napoleons und verwarfen einstimmig
die Nachfolge seines Sohnes.

Talleyrand, bis vor wenigen Tagen der getreue Minister und Sachwalter
Napoleons, nahm dann das Wort und behauptete dreist: ganz Frankreich sehne
sich unaussprechlich nach der Rueckkehr der Bourbonen. Man moege den
Franzosen ihr geliebtes Koenigshaus wieder bescheren.

Die Fuersten und ihre Berater staunten. Wo sie durchs Land gekommen waren,
hatten sie nirgends eine Begeisterung fuer das alte Koenigshaus bemerkt,
wohl aber immer noch fuer den Kaiser.

Sofort hatte Talleyrand ein paar Leute bei der Hand, die Stein und Bein
schwuren: das franzoesische Volk in seiner ueberwaeltigenden Mehrheit wuensche
nichts sehnlicher, als die Schuhsohlen der Bourbonen zu lecken.

Es waren ein paar Leute von jener Sorte, die bei Umwaelzungen stets gleich
bei der Hand sind, um sich auf irgendeine bemerkbare Stelle vorzudraengen,
indem sie tun, als ob eigentlich _sie_ die siegreiche "Bewegung" geleitet
haetten, und deshalb als Lohn die lukrativsten Posten beanspruchen koennten.
Sie sprachen beredt, sie sprachen tiefbewegt, mit dem Brustton des
ueberzeugten und doch so besorgten Patrioten. Und man war viel zu gut
erzogen, um das nicht zu goutieren. Dem guten franzoesischen Volk duerfe man
einen mit solcher Inbrunst vorgebrachten Herzenswunsch nicht versagen.

Der Koenig von Preussen sass ganz teilnahmlos da.

Zar Alexander blickte ihn von der Seite an und dachte an Tilsit und an
seine Begegnung mit Napoleon auf dem Memelfluss, wo sie mit leichtem Herzen
ueber das Schicksal Preussens hinweggegangen waren. Er dachte an sein
Versprechen an den Koenig von Preussen. Und dabei fiel ihm ein, dass er auch
heute sein Wort verpfaendet hatte und also verhindert war, ohne weiteres
der Rueckkehr der Bourbonen zuzustimmen. Eine laestige Sache! Aber ein Wort
ist ein Wort! Und haette er es Bernadotte nicht gegeben, er haette ihm
Finnland zurueckgeben muessen, um seine und Schwedens Teilnahme am Kriege zu
gewinnen! Jetzt war ja der Krieg gluecklich gewonnen! Aber trotzdem -

Der Zar liess also laessig ein paar gleichgueltige Worte ueber Bernadotte
fallen und fragte die erlauchte Versammlung, ob es sich nicht empfehle,
diesen bei den Franzosen angeblich so beliebten Fuersten mit der Regierung
Frankreichs zu betrauen.

Gleich hatte Talleyrand wieder einen anderen Kronzeugen bei der Hand, der
hoch und heilig beteuerte, in der ganzen Armee waere Bernadotte als Mensch
und Soldat gleich veraechtlich. Man wollte keinen Militaer an der Spitze des
Staates mehr. Wollte man das, so hatte man ja Napoleon, den ersten
Soldaten der Welt, und brauchte keine von seinen Kreaturen zu nehmen.

Wozu denn das ganze Blutvergiessen, wenn alles beim alten bliebe?!

Das sahen die Monarchen auch gnaedigst ein. Und damit die Sache einen Sinn
bekaeme - denn die Befreiung Deutschlands genuegte den Herren nicht - so
stimmten sie also bei.

Da Talleyrand in seinem unerschoepflichen Vorzimmer auch einen Buchdrucker
bereitgestellt hatte, dem er den von ihm bereits im voraus aufgesetzten
Beschluss der Majestaeten uebergeben konnte, so durfte das franzoesische Volk
schon nach einigen Stunden an allen Strassenecken lesen, was es gewollt
hatte und wonach es sich so sehr gesehnt hatte, und wusste also Bescheid,
wusste, welche Wohltat es den fremden "Befreiern" verdankte, und wie
unaussprechlich gluecklich es fortan sein koennte, seinen kriegerischen
Tyrannen gegen einen in der einzig richtigen Weise von Gottes Gnaden
geborenen einzutauschen. Das heisst - insofern es lesen konnte.

"Darum Raeuber und Moerder!" sagte Bluecher gallig, als ihm das klaegliche
Resultat so vieler Opfer mitgeteilt wurde. "Darum haben also die Besten
unter uns ihr Leben lassen muessen - darum haben meine Leute sich blutig
geschunden und gehungert und gefroren, damit dieses dicke Schwein von
einem Bourbonen, dieser _Louis dixhuit_, auf dem Nachtstuhl seiner Vaeter
soll sitzen koennen!"

Er lachte grimmig auf, erhob sich und ging hinaus, um seinen Truppen
Lebewohl zu sagen.

Denn er machte die Sache nicht mehr mit, er wollte schon heute seinen
Abschied nehmen. Weder fragte man ihn um Rat, noch hoerte man auf seine
Wuensche.

Er hatte hundert Millionen Kontribution von den Parisern allein fuer
Preussen verlangen wollen, um die Armee einzukleiden und ihre rueckstaendige
Loehnung auszuzahlen. Aber der Koenig, der es hatte zugeben muessen, dass
seinem eigenen armen Volk in den paar Jahren franzoesischer Besetzung
_anderthalb Milliarden_ abgepresst wurden, er wollte nicht so "inhuman" an
den Parisern handeln. Das heisst, er wurde zu dieser Weichherzigkeit von
seinem lieben Vetter, dem Zaren, angehalten, der sich ploetzlich als
eingefleischter Freund und Beschuetzer alles Franzoesischen entpuppte. Der
Koenig vertroestete also seinen Marschall mit baldiger Zahlung der
rueckstaendigen Loehnung aus den leeren Kassen in Berlin, was diesen noch
mehr in Harnisch brachte.

"Wir werden uns noch auf Befehl besiegt fuehlen muessen, nachdem wir einen
Siegeslauf sondergleichen gemacht haben!" rief er. "Wir werden noch
draufzahlen muessen, statt fuer unsere verwuesteten Fluren und versengten
Staedte, fuer unsere geleerten Kassen und gestohlenen Kunstwerke Ersatz zu
bekommen! Blutegel muesste man den Franzosen ansetzen, um ihnen das geraubte
Geld wieder abzusaugen! Aber nein! Die sollen ihr Land ungeschmaelert
behalten und den ganzen Raub desgleichen! Hol' sie der Teufel! Na - wenn
der Koenig so den ganzen Gewinn verspielt, da fange ich auch wieder mit dem
Spiel an! Da wird wieder froehlich die Karte gebogen! Ich will mal sehen,
ob ich den Franzosen nicht wenigstens so einen Teil des vielen Geldes
wieder abknoepfe, was er bei uns eingesackt hat! Ich haette ja gern meine
Ruhe! Aber wenn's nicht anders ist - wenn's durchaus sein muss, ich arbeite
ja gern fuers Vaterland! Ich nehme von heute ab mein Hauptquartier im
Palais Royal!"

Vergnuegt schmunzelnd, in der Vorfreude dieses neuen unblutigen Feldzuges
gegen den Erbfeind, trat er vor die Front und redete die Leute an.

"Kinder!" sagte er, "jetzt seid _ihr_ die Ohnehosen, aber von der
_richtigen_ Sorte - wat een Buex nich ist, aber een Bangbuex ooch nich! Ich
haette gewuenscht, dass ihr, dreckig wie ihr nun einmal seid, an der Spitze
des Heeres beim heutigen Einzug den Parisern gezeigt haettet, wie ein
Sieger eigentlich aussehen soll und was fuer ein Teufelskerl das ist! Das
haette den Affen wohlgetan! Ihre Leute sind uns oft genug in abgerissenem
Anzug gekommen. Sie haben von unseren Bauern Champagner verlangt und sie
gepruegelt, wenn sie keinen bekamen. Von denen haettet ihr Weissbier fordern
und es in der gleichen Muenze bezahlen muessen. Was dem einen recht ist, ist
dem andern billig. Ich habe fuer euch sorgen wollen, ich habe Kleider, Geld
und gute Quartiere verlangt, es ist mir aber nicht gelungen. Ich setze es
noch beim Koenig durch, darauf gebe ich euch mein Wort! Ihr sollt wissen,
dass euer Vater Bluecher an euch denkt, auch wenn er nicht mehr unter euch
weilt. Ich lege heute das Kommando ueber euch nieder. Es war ein langer
Spaziergang, den wir miteinander gemacht haben, von der Katzbach bis zum
Montmartre, was soviel wie der Berg der Schmerzen heissen soll. Mancher
brave Mann unter euch hat unterwegs ins Gras beissen muessen. Aber wir sind
gut miteinander ausgekommen. Ich war mit euch stets zufrieden. Und wenn
ich's euch nicht immer recht machte - es war immer gut gemeint und nach
bestem Koennen getan. Aus seiner Haut kann keiner. Ich am allerwenigsten.
Und deshalb gehe ich. Denn wenn die Diplomatiker jetzt anfangen zu
negoziieren, da ist es fuer mich Zeit, mich zur Ruhe zu setzen. Wo ich aber
meinen Ruhepunkt finden werde, weiss der Kuckuck. Am Ende gibt's fuer mich
hier keinen in dieser unruhigen Welt! Na - gehabt euch wohl, Kinder! Seid
vergnuegt und denkt einmal zurueck an euren alten Marschall Vorwaerts!"

Donnernde Hurrarufe beantworteten den Abschiedsgruss, und Bluecher rieb sich
verstohlen die Augen, als er vom Gefolge begleitet an den Wagen ging.

"Der Koenig hat mich zum Fuersten machen wollen", sagte er dabei zu seinen
Begleitern. "Das ist nichts als Niedertracht! Das ist die Rache dafuer, dass
ich sooft auf das Fuerstengesindel geschimpft habe, das wir ueberall mit
rumschleppen muessen, und das nur jeder freien Bewegung im Wege ist. Ich
habe abgelehnt. Ich habe ihm geantwortet, ich haette nicht so viel Geld, um
fuerstlich zu leben. Ob er das wohl begriffen hat?" wandte er sich zu den
Offizieren mit einem schelmischen Augenzwinkern. "Er ist ja ein hoellischer
Rechenmeister geworden. Immer noch laesst er mich als Feldmarschall mit
Generalleutnantsgehalt leben. Er denkt wohl: du kannst dir mit Belohnung
und Vergeltung fuer den alten Kerl Zeit lassen, er geht wohl ab, und da
heisst es: das Kind ist tot, die Gevatterschaft hat ein Ende! Nun,
vorlaeufig tue ich ihm nicht den Gefallen! Er wird schon blechen muessen!"

Er drueckte den Offizieren die Haende, setzte sich neben seinen Adjutanten
in den Wagen, drueckte seinen gruenen Schirm ueber die Augen, liess die
Soufflette aufschlagen und fuhr so, von keinem erkannt, durch die
Abenddaemmerung, ohne Eskorte, ohne Musik und hurraschreienden Poebel in das
von ihm eroberte Paris hinein.





                                  13
                           DAS FELL DES LOeWEN


In eine Fensternische in der Hofburg zu Wien hatte sich der Freiherr vom
Stein zurueckgezogen und blickte ueber das Festgewimmel hinaus.

In den festlich erleuchteten Saelen bewegte sich eine in die Tausende
gehende glaenzende Schar der hoechsten Gesellschaft Europas. Was irgendwo
Namen oder Geltung hatte, war da. Die Fuersten fast ohne Ausnahme, ihre
leitenden Minister ebenso. Die Kaiserstadt Wien hatte ihre schoensten
Damen, ihre elegantesten Kavaliere entsandt.

Es wurde getanzt, geflirtet, gelacht, gescherzt; die Ereignisse des
Kongresses: die Korsos, Schlittenfahrten, Maskenbaelle wurden besprochen
und Plaene zu neuen Festlichkeiten entworfen. Ueber Politik sprach man
nicht. Sie war Anlass zu den Festlichkeiten gewesen, und das genuegte.

Man war naemlich hier an der schoenen blauen Donau zusammengekommen, um der
befreiten Welt einen endgueltigen, gerechten, dauerhaften und ewigen
Frieden zu bescheren.

Also eine aeusserst spassige Angelegenheit, wie die Ballkavaliere meinten.

Ein halbes Jahr paeppelte man schon diesen beruehmten Wechselbalg, und da
sah man ihn ploetzlich zu allseitigem Staunen im Begriff, sich zu einem
regelrechten neuen europaeischen Krieg auszuwachsen.

"Wie drollig!" lispelten die holden Schoenen, und traten laechelnd zum
Walzer an.

Oesterreich, England, Frankreich und dessen alte Rheinbundgenossen hatten
sich zu einer wahren Wegelagerergenossenschaft zusammengefunden, um den
Hauptkaempfern im Kriege, Preussen und Russland, ihren Anteil am Raub aus der
napoleonischen Hinterlassenschaft abzujagen. Schon zueckte man die Dolche
und lauerte auf Gelegenheit.

Inzwischen tanzten die Diplomaten, flirteten mit den schoenen Wienerinnen,
schlossen zaertliche Allianzen und waren emsig bestrebt, ihre galanten
Eroberungen abzurunden. Man wetteiferte miteinander im Aufwand, man
arrangierte Baelle, Schlittenpartien und Korsofahrten, man revidierte Menues
und Ballprogramme und zwischendurch auch, als neuestes Gesellschaftsspiel,
die Karte Europas, aber hauptsaechlich nur, um dabei die neuesten Bonmots
der Diplomaten zu belachen.

Die Schicksale der Voelker, die man ja auch in die Hand genommen hatte,
machten weniger Sorge - weil sie weniger amuesant waren.

Stein machte jenes Gesellschaftsspiel nicht mit.

Sein Einfluss auf dem Kongress war ueberdies gering. Er nahm nur teil als
Minister der besetzten Gebiete. Insofern hatte er mitzusprechen. Auf die
Entschliessungen der Grossmaechte hatte er wenig Einfluss. Sonst waere er
seiner ganzen Veranlagung nach die fuehrende Persoenlichkeit des Kongresses
geworden, statt dass die Leitung jetzt in die Haende des intriganten,
oberflaechlichen und selbstsuechtigen Metternich und seines sauberen
Kumpans, des Fuersten Talleyrand, ueberging.

Steins Platz im Schatten auf dem kaiserlichen Hofball entsprach also
durchaus seiner Stellung auf dem Kongress, als nichttanzender Staatsmann.

In den Nebensaelen wurde eifrig getanzt. Die Klaenge der Musik drangen bis
zum entlegenen Platz im Thronsaal, wohin der Freiherr sich zurueckgezogen
hatte, und uebertoenten das Stimmengewirr, so dass nur die Gespraeche derer,
die gerade an seiner Fensternische vorbeikamen oder dort stehenblieben,
deutlich zu hoeren waren. Drueben hielten die Majestaeten Cercle - Kaiser
Franz, Kaiser Alexander und Koenig Friedrich Wilhelm, jeder fuer sich. Sie
zogen bald diesen, bald jenen von den sehnsuechtig der grossen Gnade
harrenden Sterblichen "huldvollst" ins Gespraech, plapperten ihnen ein paar
leere Phrasen vor, entliessen sie und winkten andere herbei, um sie mit den
gleichen Nichtigkeiten zu begluecken.

Aus dem Kreise um die Allerhoechsten Herrschaften loeste sich eine schlanke
Gestalt in tadelloser Haltung, den feinen, wohlfrisierten Kopf unmerklich
nach den Klaengen der Musik wiegend. Leise traellernd kam er gerade auf die
Nische zu, in der Stein stand, und schien jemand zu suchen.

Es war Metternich, der allgewaltige Gebieter Oesterreichs.

Stein zog sich etwas zurueck.

Metternich blieb, ihm den Ruecken zugekehrt, stehen und musterte die hin
und her wogenden Massen. Endlich schien er gefunden zu haben, was er
suchte, und gab ein Zeichen.

Ein kleiner, hagerer Mann in unansehnlicher Tracht kam rasch auf ihn
zugeeilt. Unter vielen Buecklingen und "ach" und "oh" und "Exzellenz" und
"Eure Hoheit" stellte er sich ihm "gehorsamst zu Diensten".

Stein kannte ihn wohl.

Eine Persoenlichkeit von unheimlichem Zuschnitt, als beratender Expert zum
Kongress hinzugezogen, der Staatsrat Hoffmann aus Berlin - auch
"Seelenhoffmann" genannt.

Es gab im ganzen Deutschen Reiche kein Dorf, keinen Flecken, keine Stadt,
kein Land, deren Seelenzahl er nicht wusste.

Galt es auf dem Kongress ein Laendchen abzutreten oder gar zu annektieren,
gleich wurde "Seelenhoffmann" zu Hilfe gerufen. Er sagte, kaum befragt,
sofort die genaue Zahl der Seelen her, die innerhalb der Grenzpfaehle jener
Gegend nisteten, stellte eine Rechnung auf, buendelte die Seelen zusammen,
packte sie kunstgerecht ein und machte sie verkaufsbereit fuer den Markt.
Dann erst konnte der Handel losgehen.

Die Potentaten protzten dann jeder mit seinem Buendel Seelen, spielten
damit Versteck und suchten unauffaellig zu erraten, wie viele der
Gegenspieler unter sich hatte. Man schaetzte den gegenseitigen Bestand ein
- man tauschte, handelte und war mit groesserem oder geringerem Geschick
bestrebt, moeglichst viele Seelen aus dem Geschaeft herauszuschlagen. So
war's, so ist's, und so wird es immer bleiben, solange Menschen ueber
Menschen herrschen - ob sie's im Namen einer Monarchie, einer Demokratie
oder einer jakobinischen Schreckensherrschaft tun.

"Nun, lieber Staatsrat, haben Sie mir etwas in unserer Angelegenheit
mitzuteilen?" fragte Metternich.

Der Angeredete war gleich parat.

"Gewiss, Exzellenz. Mir scheint der Kasus nicht unloeslich. Wir muessten, mit
gutem Willen, schon ohne Krieg um die Frage Sachsen herumkommen koennen!
Wir geben Preussen Sachsen - und geben es ihm auch nicht - die Sache ist
sehr einfach!"

Metternich schuettelte den Kopf und gruesste zugleich mit viel
Liebenswuerdigkeit eine am Arm eines Diplomaten vorbeischwebende Komtesse.

"Wie meinen Sie das?"

"Ich meine, Exzellenz, auf die Zahl der Seelen, die Preussen bekommt, kommt
es ihm doch hauptsaechlich an. Die Seelen bringen doch Steuern. Sie sind
die einzige Grundlage fuer die Staatseinnahmen. Nur wer sich das
vergegenwaertigt, die Seelenzahl zusammenhaelt und klug vermehrt, bringt die
Finanzverwaltung seines Staates auf gesunde Basis. Geben wir Preussen also
ein wenig mehr Seelen, als es in Sachsen finden wuerde. Sie sind da, man
braucht sie nur aufzugreifen.

Lassen wir also Sachsen bestehen - machen wir's kleiner - aber vernichten
wir es nicht gaenzlich! Wozu auch? Warum den guten Koenig Friedrich August
schwerer als die anderen Rheinbundfuersten bestrafen? Er war ja nicht frei
- er handelte aus Zwang. Nun ja - was konnte wohl der kleine Sachsenkoenig
gegen den grossen Napoleon? Seien wir gerecht. Lassen wir ihn am Leben.

Wenn wir Preussen links vom Rhein mit einer Million Seelen abfinden - wenn
wir ihm in Polen achtmalhunderttausend, item in Westfalen die gleiche Zahl
geben, dann ist es fein heraus, und weit besser bedacht, als wenn es bloss
das bisschen Sachsen bekaeme!"

"Das scheint mir plausibel", sagte Metternich. "Ich will mir die Sache
ueberlegen. Stellen Sie mir die Rechnung genau zusammen, geben Sie alles zu
Papier, bringen Sie mir den Vorschlag morgen frueh genau praezisiert in
meine Wohnung - ich schlage es dann den Herren morgen vor. Leben Sie wohl,
Herr Staatsrat. Wenn das beim Kanzler Hardenberg durchgeht, werden Sie uns
erkenntlich finden!"

Der Staatsrat verbeugte sich, ganz uebergluecklich.

"Ich rede noch mit ihm, ich setze ihm alles haarklein auseinander!" sagte
er. "Da kommt er gerade! Gehorsamster Diener, Exzellenz, allergehorsamster
Diener!"

Er eilte auf Hardenberg zu, der eben durch den Saal kam, scharwenzelte um
ihn, verkaufte auch da seine Seelen, und liess nicht locker, bis er den
Kanzler beim Wickel hatte.

Inzwischen wurde Metternich von einem ganzen Schwarm Komtessen in die
Mitte genommen, die eben aus dem Ballsaal hereinflatterten, um die
Majestaeten anzustaunen. Er flirtete gleich drauflos, bot dieser jungen
Dame Puder an, half jener schnell mehr Rot auf die Wangen legen, hielt
ihnen seinen Taschenspiegel hin und half mit vieler Sachkenntnis die vom
Tanze erhitzten Gesichter wieder hoffaehig machen. Dann bot er der
schoensten Dame seinen Arm und fuehrte sie in die Naehe der Allerhoechsten
Herrschaften. Er war ein Herz und eine Seele und einer Meinung mit ihr,
fand wie sie die Polonaesen abscheulich langweilig und eigentlich nur einen
Tanz fuer Grossmuetter und alte steifbeinige Exzellenzen!

"Dagegen der Walzer, himmlisch!" lispelte die Schoene. "Da schwebt man in
tollem Wirbel hin, bis sich alles um einen dreht und flimmert. Und
schliesslich denkt man, man ist ein Stern am Firmament, und ringsherum
nichts als Sterne, die sich auch so im Tanze drehen und schweben!"

"Das sind Sie auch, Komtesse - ein Stern, aber Sie allein!"

Sie verschwanden in der Menge, die jetzt aus den Ballsaelen hereinflutete.

Steins Gedanken waren schon anderweitig beschaeftigt.

Ein leises ungleichmaessiges Stossen auf dem Parkett, das immer naeher kam,
nahm seine Aufmerksamkeit gefangen. Er brauchte nur noch die sanfte,
harmlose Stimme dazu zu hoeren, um zu wissen, dass Talleyrand heranhinkte.
Stein hasste und verabscheute ihn. Aber er erkannte ohne weiteres an, dass
dieser Mensch ohne Gewissen dazu praedestiniert war, die Seele jenes
Kongresses von Seelenhaendlern zu sein.

Mit seinem Klumpfuss hinkte er, zynisch laechelnd, jeder grossen Begebenheit
nach und nahm seinen Vorteil wahr. Im Zeitalter des _ancien regime_ als
Geistlicher, dem alle Boudoirs und tonangebenden Salons stets offenstanden
- waehrend der Revolution als allgegenwaertiges, allwissendes, eifriges,
aber nicht allzu exponiertes Mitglied jedes Klubs, der gerade am Ruder war
- beim ersten Konsul als allmaechtiger Minister, dem deutsche Fuersten und
Republiken ihre Schaetze zu Fuessen legten, damit er ihnen gnaedigst
verstattete, ihre Laendchen mit den Truemmern des Heiligen Roemischen Reiches
zu vergroessern.

Minister des Aeusseren unter Napoleon, blieb er in der gleichen Eigenschaft
bei dessen Nachfolger, und wurde - aber nur als persoenlicher Vertreter
Koenig Ludwigs - zum Kongress zugelassen. Das genuegte aber, um ihn bald zu
dessen einflussreichster Persoenlichkeit zu machen.

Die alten Beziehungen fanden sich schnell wieder. Ansichten und
Ueberzeugungen sind ja keine Gewissenssachen. Hatte man gestern eine, so
hat man dafuer heute eine andere, noch vorteilhaftere. Und schliesslich ist
ja ein Friedenskongress dazu da, damit man sich verstaendigt!

Man fand sich also leicht. Man gewoehnte sich schnell wieder daran, den
gewandten Raenkeschmied um seinen Rat zu bitten. Und er konnte wieder nach
Herzenslust intrigieren, geheime Faeden knuepfen oder loesen, die Maechtigen
der Erde miteinander aussoehnen oder entzweien, je nachdem es der eigene
Vorteil heischte. Nebenbei gewann, ohne dass es ihn weiter kuemmerte, sein
geschlagen am Boden liegendes Frankreich den Rang einer viel und heiss
umworbenen Grossmacht.

Das Stossen auf dem Parkett hoerte auf. Der Klumpfuss hielt still, die sanfte
Stimme Talleyrands drang durch. Er sprach zu dem neben ihm gehenden
Abgesandten des entthronten Koenigs von Sachsen, dem Grafen Schulenburg.

"Es ist nicht leicht, mein lieber Graf", sagte er im nonchalanten Ton.
"Ich habe meine liebe Not mit Ihren Angelegenheiten gehabt! Viel Arbeit,
viele Schreibereien, unzaehlige Konferenzen! - Ich knausere auch mit
Geschenken nicht! - Nun, dafuer setze ich meinen Willen durch! Wir koennen
nicht dulden, dass ein treuer Freund Frankreichs, wie es Sachsen immer war,
so mir nichts, dir nichts von der Karte weggewischt wird! Ihr Souveraen war
des _Kaisers_ Freund - und wir haben jetzt einen _Koenig_! Gleichviel! Die
Person des jeweiligen Monarchen hat wenig zu sagen. _Die Politik bleibt,
wie sie war!_ Nun - Sie sehen, _ich bin geblieben_ - ich mache sie doch
eben! Also ich werde mein Bestes fuer Sie tun! Sagen Sie das Ihrem
Monarchen! - Selbst kann ich nicht an ihn herantreten - es wuerde meine
Bemuehungen fuer ihn nur kompromittieren, liesse ich etwas merken. So etwas
muss behutsam, hintenherum gemacht werden! - _Fluestern_ Sie's ihm also zu:
er kann sich auf mich verlassen! Ich werde es an nichts fehlen lassen, an
_gar nichts_! Die Raete aber, die die Akten machen und deren Inhalt auch,
sie sind schlecht bezahlt. Sie brauchen Aufbesserung, _nehmen sie auch
gern an_! - Mein Gott - man hat Familie, man hat Schulden, man muss sich
vorsehen, und nimmt den Segen, wo man ihn findet! Was ist dabei?! Ich
werde es auch da an nichts fehlen lassen!"

"Daran dachte mein erhabener Souveraen auch", beeilte sich der Graf
dazwischen zu kommen. "Durchlaucht werden Aufwendungen fuer uns gemacht
haben."

"Ich bitte Sie, lieber Graf!"

"Das darf nicht sein. Der Koenig wuenscht wohl und ist auch damit
einverstanden, dass an nichts gespart wird. Er bittet Durchlaucht, ueber
seine Kasse zu verfuegen. Am liebsten wuerden wir einen Fonds zur voellig
freien Disposition bereitstellen!"

"Ungern trage ich Verantwortung fuer fremde Gelder!"

"Kein fremdes Geld, und von Verantwortung auch keine Rede! Durchlaucht
wollen ganz nach eigenem Ermessen und ohne Rechnung zu legen ueber den
Fonds verfuegen, als handle es sich um eigenes Geld. Nur eine einzige
Bedingung - -"

"Bedingung?!"

Talleyrand runzelte die Brauen.

"Eine leicht zu erfuellende: - _strengste Diskretion_!"

"Ach so!"

"Die Welt ist boshaft! _Wir_ sind ja ueber Verleumdungen erhaben - wer
duerfte wohl auf den Gedanken kommen, dass _wir_ - - Besser ist es aber, man
setzt sich nicht einmal der Moeglichkeit aus, ein Spielball boeser Zungen zu
werden!"

Sie gingen weiter.

Stein verliess seinen Beobachtungsposten und ging langsam um den Saal
herum, nach der anderen Seite hin, wo die Monarchen immer noch umschwaermt
wurden.

"Gewissenlose Vogelsteller sind das alles", knurrte er halblaut im Gehen.
"Sie legen ihre Schlingen, umstellen ganze Voelkerschaften, knebeln sie
nach Herzenslust und reden von Befreiung. Es ist ein eigen Ding um jene
'Freiheit'. In ihrem Namen wird gelogen, in ihrem Namen wird betrogen -
die Weltgeschichte ist voll von Raubzuegen und Vergewaltigungen der
persoenlichen Freiheit, die jener 'Freiheit' zu Ehren begangen wurden. Und
immer noch gehen die Voelker auf den Leim.

Wo auf der Gasse oder im Tempel von der Freiheit gepredigt wird, ueberall
ist Zulauf von naiven Seelen, die das Gequassel fuer bar nehmen und
glauben: nun wird sie kommen! Mit Leib und Seele nehmen diese Braven sich
dann der heiligen Sache an - das heisst, mit dem Leib nur, insofern es
nicht gefaehrlich ist, und mit der Seele nur, insofern man eine hat!

Hat man aber geholfen, jener gepriesenen Goettin Freiheit in den Sattel zu
helfen, dann kann es einem just passieren, wenn man die Augen zu ihr
erhebt, dass man in ihr nichts als eine neue und noch schwerere Tyrannei
erkennt als die, die man um ihrer schoenen Augen willen beseitigen half.
Soweit waeren wir jetzt. Wenn aber die Voelker merken, dass sie die Fessel
der fremden Tyrannei nur brachen, um von den einheimischen Gewalthabern
noch schlimmer geknebelt zu werden - dann -"

Er sprach nicht zu Ende.

Die wohlbekannte verdriessliche Stimme des Koenigs von Preussen wurde in
einer Gruppe vor ihm laut.

Der Koenig mit seinem Hardenberg und seinem Knesebeck und seinem Humboldt
hielt sich, wie immer, etwas abseits von den beiden Kaisern. Er blickte
gelangweilt um sich und hoerte kaum zu, was ihm sein Kanzler im Fluesterton
eiligst vortrug.

"Wird abgelehnt", sagte er dann barsch. "Geben dem Fuersten den Abschied
nicht! Ihm schreiben: koennen den Namen Bluecher nicht entbehren!"

"Wird sofort erledigt!"

"Wollen Beruhigungsmittel fuer ihn finden. Wollen ihm wieder Gelegenheit
geben, uns mit seinen Apothekerrechnungen zu kommen! Wird es noetig haben!
Soll ja wieder spielen! Ist jetzt nur in Wut, weil beim Kongress nicht
alles nach seiner Pfeife tanzt! Moechte gleich den ganzen Erdball
schlucken! Ist kein Politiker! Wuerde ganzen Kongress auf den Kopf stellen,
waere er dabei! Goennten ihm sonst gern das Tanzvergnuegen hier! - Wer ist
der stattliche General, der eben mit Kaiser Franz spricht?"

"Lord Wellington. Eben hier angelangt, um die Vertretung Englands zu
vervollstaendigen."

"Nachher vorstellen!"

Stein liess sie stehen und naeherte sich der Gruppe um Kaiser Franz.

"Den Koenig von Sachsen lasse ich nicht fallen", sagte der Kaiser eben,
etwas hitzig werdend und auf seine Worte weniger achtend. "Ich lasse eher
schiessen! Die deutschen Fuersten sind eines Sinnes mit mir!"

Er senkte die Stimme wieder.

"Hannover, Holland werden Koenigreiche, wie England wuenscht. Hat meine
Zustimmung! Preussen muss sich bescheiden!"

Sein Blick fiel auf den Reichsfreiherrn vom Stein, dessen Plan, ein
starkes geeintes Deutschland mit dem Herrscher Oesterreichs als Kaiser zu
errichten, er wohl kannte. Er wandte sich an ihn.

"Die deutsche Kaiserkrone lehnen wir ab! Freuen uns, der Qual ueberhoben zu
sein! Haben genug in Italien zu tun!"

Stein verbeugte sich schweigend und ging weiter.

Ihn widerte der ganze Handel an. So ging es nun Monat fuer Monat hin und
her ohne Entscheidung, ohne greifbares Resultat, und nichts geschah, als
dieses kleinliche Abwaegen kleinlicher Interessen gegeneinander. Die grossen
Fuersten wollten sich auf Kosten der kleinen vergroessern - die kleinen
wollten Wiederherstellung ihrer verlorenen Macht - der eine wollte dies,
der andere das, die Reichsritter, die Johanniter, die
Reichskammergerichtsbeamten, die Praelaten, die Frankfurter Juden - alle
kamen sie mit ihren Wunschzetteln, wollten Restitution, Entschaedigungen,
Monopole, Rechte fuer sich und Unrecht fuer die anderen. Die Flut schwoll an
und ueberschwemmte mit Akten und Gesuchen die armen Schreibersleute, die
sie zu registrieren hatten. Und die grossen Herren, bei denen die
Entscheidung lag, zuckten die Achseln zu dieser Sintflut, lachten,
scherzten, tanzten und flirteten.

"Das Schicksal der Voelker ist wie immer in den besten Haenden!" murmelte
Stein im Gehen. Er dachte mit Bitterkeit an seine kurze Amtszeit als
leitender Minister Preussens - dachte, wie kinderleicht es waere, in diesem
Lande Wandel zu schaffen, waere nicht immer Unverstand und Eigensinn und
Eitelkeit an der Spitze - haette nicht Unvermoegen, Gleichgueltigkeit und
Kraftlosigkeit Entscheidungen zu treffen und ins Werk zu setzen.

Er blickte veraechtlich den Zaren an, der sich jetzt als derjenige
anhimmeln liess, dessen Energie und Entschlossenheit allein das grosse Werk
zum gluecklichen Ende gebracht hatte, als jeder andere zweifelte und auf
dem halben Wege stehenblieb. Kein Mensch wusste, wer die ganze Zeit hinter
diesem Schwaechling gestanden hatte - keiner dachte daran, dass er, Stein,
es war, der ihm den Nacken steifte, als ihm beim Einfall Napoleons in
Russland das Herz tief in die Friedenshosen fiel, und ihn auch nachher dazu
brachte, seinen Soldaten und Generaelen zum Trotz den Feldzug in
Deutschland und in Frankreich zu fuehren! Willenlose Schwaechlinge, der eine
wie der andere, aufgeputzte Theaterpuppen alle miteinander! Koennte er nur
diese Sintflut von Fuersten, in der alles Lebenstuechtige zu ertrinken
drohte, von der Erde vertilgen, er taete es ohne Zaudern!

"Wie schade, dass Napoleon, dieser Baendiger der Fuersten, nicht hier unter
uns entstand!" murmelte er noch. "Er war den Leuten gesund! Waere er nur
nicht, von falschem Glanz geblendet, auch einer von ihnen geworden -,
haette er sich einen kuehlen Kopf bewahrt und der Versuchung widerstanden,
wer weiss, was noch geworden waere?!"

So weit kam er in seinen Gedanken, da entstand eine ploetzliche Bewegung im
ganzen Saal. Alles kam in Unruhe und stob auseinander. Die Saele leerten
sich fluchtartig. Die Monarchen draengten alle auf eine Stelle zusammen und
sprachen eifrig mit ihren Ministern und Raeten. Kaiser Alexander redete
aufgeregt auf Kaiser Franz ein, der ihm wiederum Vorwuerfe zu machen
schien, der Koenig von Preussen kam hinzu, Hardenberg, Metternich,
Talleyrand, alles, was dazu gehoerte, draengte auf die Gruppe ein und
horchte begierig - alle Intrigen, alle kleinen Feindschaften waren
vergessen -, die drohende Kriegsgefahr schien wie durch Zauber aus den
Gemuetern gebannt zu sein.

"Napoleon hat Elba verlassen! Er zieht auf Paris! - Der Koenig Ludwig ist
geflohen!" so rief im ganzen Saal alles durcheinander, ohne an die
Etikette zu denken.

"Mein Gott, was machen wir nun?" klagten ein paar niedliche Komtessen, und
blickten verzweifelt zu Metternich hinueber, der, sonst ihr Helfer in der
Not, jetzt kein Auge fuer sie zu haben schien.

"Der Maskenball beim Fuersten de Ligne wird sicher abgesagt werden! Heute
habe ich gerade mein Kostuem anprobiert - du weisst, fuer das _tableau
vivant_, in dem ich den Friedensengel darstellen sollte! Die Rolle lag mir
ausgezeichnet! Jetzt ist alles umsonst - alles nichts!"

"Dem Fuersten Bluecher befehlen, dass er sich sofort auf seinen Posten
begeben soll! Ernennen ihn zum Oberbefehlshaber unserer ganzen Armee!"
sagte der Koenig von Preussen im Gehen zu seinem Kanzler und liess sich noch
rasch Lord Wellington vorstellen, der allein im ganzen Saale kuehl laechelnd
dastand und das Auseinandertanzen des Friedenskongresses beobachtete.

                                   *

Kaum war Bluecher in seinem Hauptquartier zu Luettich angelangt, da wurden
ihm die Fensterscheiben eingeworfen.

Draussen schrie man: "Vivat Napoleon! Hoch Friedrich August! Nieder mit
Preussen!" und machte einen Hoellenlaerm, schwang die Waffen und lief Sturm
aufs Haus.

Es waren die guten Sachsen.

Sie waren mit den Beschluessen des Wiener Kongresses ueber sich nicht ganz
zufrieden. Sie erhoben ihre Stimmen und wollten gar mitreden. Die
achtmalhunderttausend verratenen und verkauften saechsischen Seelen muckten
dagegen auf, ihre wunderschoenen gruenweissen Landesfarben in preussisch
Schwarzweiss umtauschen zu muessen. Der ganze Handel gefiel ihnen nicht. Sie
bedankten sich, und man konnte es ihnen nicht verdenken.

Als man aber Ernst machte, als das preussische Oberkommando anfing, die
saechsischen Truppenverbaende, die jetzt zur Abwechslung gegen, statt fuer
Napoleon ausgezogen waren, zu zerreissen und die Boecke von den Schafen zu
trennen, siehe, da wollten sie alle keine Schafe sein, da bockten sie
heidenmaessig auf und machten ein gross Geschrei. Die, "welche noch", und
die, "welche nicht mehr" saechsisch sein sollten, wurden ploetzlich ein Herz
und eine Seele, als seien sie nicht mehr Kinder eines Volkes und gar eines
deutschen Stammes. So einig waren sie gegen ihre neuen Gewalthaber.

Sie meuterten also foermlich und fuehlten sich dazu nicht nur berechtigt,
sondern geradezu verpflichtet, da ihr Koenig sie noch nicht ihres Treueides
entbunden hatte.

Der hatte damit keine Eile.

Er hoffte im geheimen auf den Sieg Napoleons. Im Geiste sah er sich wieder
im ungeschmaelerten Besitz seiner achtmalhunderttausend gruenweisser Seelen
und etlicher schwarzweisser dazu.

Er hielt sie also nach Kraeften an ihrem Treueid fest wie ein Buendel
Heringe an ihrer Strippe. Und Bluecher, der mit den Beschluessen jenes von
ihm sooft verfluchten Kongresses nicht das geringste zu tun gehabt hatte,
musste wieder einmal ausfressen, was die Diplomatiker eingebrockt hatten.
Ihm wurden die Fensterscheiben eingeworfen. Er wurde angespuckt und in
reinstem Saechsisch gebeten, mit Extrapost zur Hoelle zu fahren. Man wollte
ihm sogar behilflich sein und zeigte ihm mit den Spitzen der blanken Waffe
den naechsten Weg.

Alles andere hatte er erwartet, nur den Empfang nicht.

Er hatte die Sachsen geehrt und bevorzugt. Er hatte sein Hauptquartier in
ihre Mitte verlegt. Er hatte dem saechsischen Korps die Bewachung seiner
Person anvertraut. Und nun musste er das erleben!

Dass ein Volk sich nicht wie ein Haufen Vieh verhandeln lassen konnte, am
allerwenigsten durch Beschluss fremder Maechte wie England, Frankreich und
Russland - dass es sich dagegen empoerte und sich zur Wehr setzte, das war zu
verstehen.

Aber Meuterei war Meuterei und angesichts des Feindes durch nichts zu
entschuldigen. Kein Heer der Welt, das nicht sich selbst aufgibt, durfte
das dulden. Kein Befehlshaber durfte es sich gefallen lassen, und wenn es
sein Leben gaelte!

Bluecher war auch nicht derjenige, der auswich, wenn man ihm mit blanker
Waffe unter der Nase herumfuchtelte. Er zog sofort vom Leder, wollte sich
dem meuternden Haufen entgegenstellen, und war nur mit Muehe von solch
nutzlosem Beginnen abzuhalten.

Seiner Umgebung gelang es, ihn zu ueberreden, sich fuer den Augenblick in
Sicherheit zu bringen. Aber er hielt ein strenges Gericht. Bei Strafe der
Dezimierung mussten die Aufruehrer ihre Raedelsfuehrer ausliefern.

Diese wurden erschossen, die meuternden Bataillone aufgeloest, ihre Fahnen
wurden verbrannt und das ganze saechsische Armeekorps nach Hause geschickt.

Bluechers Armee bestand fortan aus lauter Preussen, unter den vier
Korpsfuehrern Zieten, Buelow, Pirch und Thielmann.

Yorck, dessen widerborstiges Wesen im letzten Feldzug so viel Verdruss
verursacht hatte, wurde nicht mitgenommen. Gneisenau aber war wieder
Generalquartiermeister.

Die Armee bezog Stellungen von Luettich ueber Namur bis Charleroi, wo Zieten
kampierte. Wellington mit seinem aus Englaendern, Hannoveranern, Hessen und
Braunschweigern bestehenden Heer hatte von Nieuport ueber Bruessel bis zur
Schelde weit auseinanderliegende Quartiere bezogen.

Da wollten beide den Aufmarsch der Russen und Oesterreicher ueber den Ober-
und Mittelrhein abwarten, um dann konzentrisch in Frankreich einzuruecken
und mit einer Uebermacht von sechshunderttausend Mann Napoleon zu
erdruecken.

Napoleon tat ihnen aber nicht den Gefallen, darauf zu warten.

Fuer ihn gab es nur die eine Moeglichkeit, die feindlichen Heere einzeln und
nacheinander anzugreifen und zu schlagen.

Schnell wie der Blitz tauchte er eines Tages ploetzlich bei Maubeuge auf,
mit einer Armee von hundertachtundzwanzigtausend Mann und
dreihundertvierundvierzig Kanonen, schritt gleich zum Angriff, draengte
Zieten von Charleroi bis zum Lignybach zurueck, warf sich zwischen die
englische und preussische Armee, die zusammen zweihundertzehntausend Mann
und fuenfhundertvierundzwanzig Kanonen hatten, und bedrohte ihre wichtigste
Verbindungslinie, die Chaussee von Bruessel nach Namur.

                                   *

Vor einer Muehle in der Ebene von Fleurus stand ihr Besitzer, ein alter
flaemischer Windmueller, und blickte betruebt in die Gegend hinein.

Die ganze Nacht, den ganzen gestrigen Tag hatte er auf der Chaussee von
Charleroi den Laerm anrueckender Truppenmassen gehoert. Die Preussen, die
zuerst gekommen waren, lagerten noch in und um den Doerfern am Lignybach.
Jetzt rueckten die Verfolger, die Franzosen, heran. Und die Preussen machten
noch keine Miene, weiter auszuweichen!

Der Mueller seufzte.

Blieben sie, dann saesse er wieder huebsch in der Klemme! Dann wuerden von
hueben und drueben Kanonenkugeln heranfliegen, die neuen Fluegel seiner Muehle
zerschmettern und, wer weiss, sie am Ende gar in Brand stecken! Und er kaeme
um seinen Besitz! Seine schoene Muehle, die er, im Vertrauen auf einen
dauernden Frieden, wieder mit Muehe und Not instand gesetzt hatte, waere
hin, und er konnte betteln gehen!

Er seufzte, ging mit schweren Schritten in die Muehle hinein, stieg die
schwankende Leiter bis zum Dach hinauf, oeffnete die Luke und trat auf die
Plattform hinaus.

Von hier hatte er freien Blick nach allen Seiten und konnte sogar ueber die
hohen Pappeln und Weiden, die die Ufer des Lignybaches umsaeumten und unten
den Ausblick nach Osten behinderten, hinwegsehen.

Drueben im Osten, wo die scharfen Silhouetten einiger Windmuehlen sich gegen
den Himmel abzeichneten, kribbelte und krabbelte es wie ein endloser Zug
von Ameisen auf der Chaussee von Namur nach Bruessel, die sich am Kamm des
Hoehenzuges entlang wand. Gen Sombreffe ging es und noch etwas darueber
hinaus. Dort schien es sich zu stauen, quoll an, breitete sich aus und
begann langsam die hohe Boeschung von der Chaussee nach dem Bach zu
ueberfluten. Die Ameisen krochen naeher, bekamen blitzende Spitzen, bunte
Farben, sie wuchsen, gliederten sich, nahmen Form an, wurden zu Menschen,
Pferden, Geschuetzen, Wagen, und bedeckten bald den ganzen Abhang, mehrere
Meilen breit bis zum Bach herunter. Und schliesslich stand, wie auf einem
faecherartig sich ausbreitenden Amphitheater, die ganze preussische Armee
gefechtsbereit da.

Der Mueller nahm seine Muetze ab und wischte sich die Schweisstropfen aus der
Stirn. Der Tag war heiss, die Sonne brannte. Es wuerde noch ein Gewitter
geben.

Unten prangten die Wiesen wieder in saftigem Gruen, nachdem die erste
Heuernte geborgen worden war. Die Kornfelder standen reich in goldener
Fuelle und harrten des Schnitters.

Ein einziger Tag wuerde genuegen, diesen ganzen Reichtum zu vernichten.

In den naechsten Stunden schon wuerde der Schnitter Tod seine Sense
schwingen und Ernte halten. Die Erde wuerde wieder daliegen, aufgewuehlt und
mit tausend klaffenden Wunden, von blutigen Truemmern, Leichen und
Pferdekadavern bedeckt. Die Feldfruechte wuerden zerstampft, alles
vernichtet werden!

Wie oft schon hatten seine Augen das gleiche Schauspiel gesehen! Seit
seiner ersten Jugend kannte er's nicht anders, als dass fremdes Kriegsvolk
die Fluren seiner Heimat verwuestete. Immer wieder suchten sich die Voelker
Flanderns blutgetraenkte Erde zum Tummelplatz ihres Haders und ihres
Streites aus. Jahraus, jahrein brauste der Schlachtenlaerm ueber seine
fruchtbaren Gefilde hinweg. Das einst so reiche und maechtige Land
veroedete, sein Handel, seine Industrie suchte sich anderswo eine
gesicherte Heimat, und nur die alten Staedte mit ihren Burgen, Hallen,
Tuermen und weit ins Land hineinragenden Belfrieden zeugten noch von der
einstigen Macht und Herrlichkeit ihrer Bewohner.

Der Mueller stand noch eine Weile und blickte vertraeumt auf die dichten
Wolken, die sich im Osten allmaehlich ueber den Horizont erhoben und
anfingen, langsam das Blau zu verdecken. In einigen Stunden wuerde das
Gewitter da sein.

Unten wurden Hufschlaege von Pferden laut und verstummten am Eingang.

Gleich darauf knarrte die Leiter im Innern der Muehle unter wuchtigen
Tritten. In der Wandluke zur Plattform kam ein scharfgeschnittenes Gesicht
zum Vorschein, darueber ein dreieckiger schwarzer Hut, und dann eine gruene
Uniform mit weissem Brustlatz ueber einem starken kurzen Koerper. Im naechsten
Augenblick stand der Kaiser Napoleon vor dem Mueller, der eiligst seine
Muetze vom Kopfe riss.

Der Mueller kannte ihn wohl - und wem in der ganzen Welt waeren wohl die
Zuege jenes Maerchenhelden noch unbekannt gewesen?

Er trat auf den Kaiser zu und verbeugte sich tief. Er wollte die
Gelegenheit benuetzen, ihm ins Gewissen zu reden - wollte hinausschreien,
was er auf dem Herzen hatte, wollte ihm von hieraus die reiche Ernte
ringsherum zeigen, die jetzt auf ein Wort von ihm der Vernichtung
anheimfallen wuerde, und wollte sagen: "Sehen Sie, Sire, wie schoen das
alles ist, und wie reich uns der Himmel in diesem Jahre segnet! Das alles
hier unten sind Gaben des Himmels! Und Gaben des Himmels tritt man nicht
mit Fuessen! Denkt doch daran. Schont unser armes, gemartertes Land! Lasst es
nicht wieder verwuesten - lasst meine einzige Habe nicht vernichten. Es
kostet nur ein Wort! Ein Wort, Sire, von Ihrem Munde gesprochen! Sie haben
die Macht! Nuetzen Sie sie aus! Haben Sie Erbarmen!"

So wollte er sprechen. Als er aber die Blicke zu dem ehernen Gesicht des
Schlachtenkaisers erhob, da vergass er alles, da verlor er den Mut.

Was haette es auch genuetzt?!

Die Worte haetten keinen Einlass in das Bewusstsein jenes Gewaltigen
gefunden, der vor ihm stand. Dort drinnen war alles in voller Gaerung. Die
Vorfreude einer grossen Tat durchfieberte seinen Geist und spannte sein
ganzes Denken an. Gewaltige Ideen jagten sich, ungeheure
Gedankenverbindungen loesten sich dort unter jener Stirn ab, sein ganzes
Hoeren war auf die Zufluesterungen seiner inneren Stimme gerichtet. Wie waere
es ihm nur moeglich gewesen, das Wimmern jenes armseligen Wurmes zu
beachten, der sich vor ihm kruemmte!

Napoleon streckte die Hand aus, zeigte auf die Hoehen im Nordosten, und
fragte, ohne auf den Mueller zu sehen:

"Das Dorf drueben, von dem der Kirchturm aus der Talsenke hinter der
Windmuehle aufragt?"

"Brye!" antwortete der Mueller.

"Und drueben im Osten, rechts von Sombreffe, an der Chaussee von Namur?"

"Point de jour!"

"Das Dorf hier unten, wo der Bach im geraden Winkel von uns nach Osten
abbiegt, ist Ligny?"

"Ganz richtig!"

"Die drei Doerfer links davon, vor der Biegung des Baches sind also -?"

"Saint-Amand - Saint-Amand la Haye - Le hameau Saint-Amand!"

"Das Dorf am meisten links ist also Wagnelee. Und dahinter, die Strasse,
die die Chaussee quer schneidet, waere denn die alte Roemerstrasse?"

"Das stimmt!"

"Da waeren wir also orientiert!" sagte der Kaiser und fing an, das ganze
Amphitheater und den Horizont mit seinem Fernrohr gruendlich abzusuchen.

"Mindestens neunzigtausend!" murmelte er vor sich hin. "Sein viertes Korps
wird also noch unterwegs sein. Um so besser!"

Er schob sein Fernrohr zusammen, bueckte sich und rief durch die Luke in
die Muehle hinein.

"Marschall Soult soll sofort noch einen Kurier nach Quatrebras an
Marschall Ney abfertigen, den Befehl von heute frueh nachdruecklich
wiederholen und sagen, ich griffe um zwei Uhr die Preussen an, er moege
sofort alles, was vor ihm steht, wegfegen, Quatrebras und die Strasse von
Namur nach Bruessel besetzen, dann zwoelf- bis fuenfzehntausend Mann
hierherdetachieren und die Preussen in den Ruecken nehmen. Spaetestens um
zwei Uhr will ich seine Kanonen hoeren!"

"Zu Befehl!" antwortete drinnen eine Stimme, und die Leiter im Innern der
Muehle fing wieder an zu quietschen und zu knarren unter den Schritten des
Fortgehenden. Gleich darauf klapperten unten Hufschlaege, die sich rasch
entfernten.

"Ist der Bach die ganze Strecke von uns aus so dicht mit Baeumen
eingefasst?" fragte Napoleon den Mueller, der immer noch mit der Muetze in
der Hand dastand.

"Hinter Ligny - geradeaus von uns - ist eine baumlose Strecke", antwortete
dieser.

"Es ist gut!" sagte Napoleon, zufrieden, einen Platz herausgefunden zu
haben, von dem aus er die preussische Stellung flankierend beschiessen
lassen konnte.

Er ging um die Plattform herum und blickte nach Westen ueber das Feld
hinaus, wo seine eigenen Truppen im Anmarsch waren.

Links von der Chaussee Charleroi - Namur stand schon das Korps Vandamme in
Stellung vor den drei Doerfern Saint-Amand. Auf der Strasse selbst und
rechts am Bach, von dessen Biegung ab - also fast in rechtem Winkel zu
Vandamme - war das Korps Gerard im Begriff, sich auszubreiten - rechts von
ihm die leichte Kavallerie Pajols, Exelmanns Dragoner und Milhauds
Kuerassiere - hinter der ganzen Aufstellung, als Reserve, die Garde. Im
ganzen 64 000 Mann. Aber drei Lieues rueckwaerts, wo der Weg von Charleroi
sich in die Chausseen nach Bruessel und Namur teilt, hatte Napoleon noch
den Grafen Lobau mit zehntausend Mann stehen, um im Bedarfsfalle entweder
auf der einen oder der anderen Strasse zur Unterstuetzung vorgehen zu
koennen.

Voll stolzer Zuversicht blickte der Kaiser ueber seine Truppen hinaus - die
praechtigsten, die er seit langem gefuehrt hatte. Haette er die im Vorjahre
gehabt, nimmermehr waere der Feind in Paris eingezogen - die laecherliche
Elbaepisode haette er niemals erlebt, und der Kampf waere ihm jetzt erspart
worden.

Seine Veteranen waren aber in alle Welt zerstreut gewesen, in Spanien, in
den deutschen Festungen, in den Spitaelern, oder kriegsgefangen. Und er
hatte den Endkampf mit unerprobten Rekruten und mit schlechtem oder
minderwertigem Material ausfechten muessen, da seine Hauptdepots in
Deutschland verlorengegangen waren.

Diese Leute hier waren aber fast alle in zwanzigjaehrigen Kaempfen gestaehlt,
wetterfeste, gebraeunte Kerle mit Nerven aus Stahl und mit unbeugsamem Mut,
jeder einzelne zehn andere aufwiegend.

Napoleon zwaengte seinen dicken Koerper wieder durch die Luke hinein, ohne
den Muehlenbesitzer weiter zu beachten. Dieser hatte auch schon den Kaiser
vergessen und blickte interessiert nach der Muehle bei Bussy hinueber, wo
unter den dunklen Uniformen der Preussen einige rote Roecke aufleuchteten,
und viel Gold und Flitter verrieten, dass dort wohl der feindliche Stab,
mit Englaendern vermischt, seinen Standort hatte.

Die Gewitterwolken waren bis zur halben Hoehe des Himmels geklettert. Die
Sonne stand im Zenit und sandte eine moerderische Glut herab. Der Wind
schlief.

Vier Kuriere hatte Napoleon schon an Ney geschickt mit dem gleichen
Befehl, und noch immer hoerte er nicht dessen Kanonen.

Die Spannung wuchs ins ungeheure.

Fuehrte Ney puenktlich seinen Befehl aus, so gab's fuer die Preussen kein
Entrinnen mehr. Sie wuerden der sicheren Umzingelung und Erdrueckung nicht
entgehen koennen und waren fuer diesen Feldzug aus dem Spiel.

Die Niederlage der Englaender war dann nur eine Frage der Zeit - und die
politischen Folgen unabsehbar. Das Schicksal der Welt hing von der
strikten Ausfuehrung dieses einen Befehls an Ney ab.

Mit der Uhr in der Hand wartete Napoleon die Zeit ab. Der Zeiger rueckte
unendlich langsam vorwaerts - es wurde eins - es wurde halb zwei - zwei -
und immer noch keine Kanonade von drueben!

Was war denn los? Ney, sonst kaum zu zuegeln, und jetzt?

Napoleon verfluchte innerlich seine Unklugheit, seinen ganzen linken
Fluegel in die Hand dieses unzuverlaessigen Brausekopfs gegeben zu haben. Er
hatte aber keine Wahl gehabt. Die meisten seiner alten Marschaelle waren
kriegsmuede und unter allerlei Vorwaenden auf ihren Guetern geblieben. Sie
trauten seinem Glueck nicht mehr und zogen es vor, sich noch alle Auswege
offenzuhalten. Ein Sieg nur - und er haette das Vertrauen jener Zaghaften
wieder! Dieser Sieg winkte ihm heute so sicher wie einst bei Austerlitz -
bei Jena - bei Marengo, und gleich umfassend, gleich vernichtend fuer den
Feind! Koennte er nur selbst ueberall anwesend sein - selbst jede Einzelheit
seines Planes ins Werk setzen!

Er schickte rasch noch einen Kurier nach Quatrebras, mit dem eigenhaendigen
Befehl an Ney, sofort zum Angriff auf die Englaender zu gehen und gleich
einige Regimenter hierherzusenden. "Das Schicksal Frankreichs liegt in
Ihrer Hand!" schrieb Napoleon, zog dann die Uhr, wartete bis halb drei,
fluchte laut, weil er noch immer keinen Kanonendonner von Ney hoerte, und
erteilte endlich den Befehl zum Angriff.

Sogleich warf sich Vandamme mit seiner Division auf die drei Doerfer
Saint-Amand, in denen Zieten sich festgesetzt hatte. Es waren drei
Festungen, wie sie da unten im Talgrund am Bach lagen, von Obstgaerten,
Hecken, Zaeunen umgeben und untereinander verbunden durch die hohe gruene
Kulisse der am Lignybach wachsenden Pappeln und Weiden, die Freund und
Feind gleich unsichtbar fuereinander machten.

Die Doerfer wurden nach heftig hin und her wogendem Kampf von den Franzosen
genommen. Darueber hinaus war aber kein Fortkommen, der Bach blieb fuer sie
ein unueberwindliches Hindernis - die Stellung der Preussen auf den Anhoehen
dahinter war durch frontalen Angriff uneinnehmbar.

Bluecher hatte zwischen Brye und Saint-Amand 60 000 Mann stehen, die er so
allmaehlich in den Kampf eingreifen liess, um die Doerfer vom Feind
zurueckzuerobern. Nach stundenlangen wuetenden Kaempfen, die besonders in
Ligny aeusserst blutig wurden, beschloss Napoleon, einen Keil zwischen die um
die Doerfer kaempfenden beiden Korps Bluechers und seine Reserven zu treiben.
Er bildete aus sechs Bataillonen seiner Garde eine Sprengkolonne, fuehrte
sie selbst von der Biegung des Baches am Dorfe Ligny vorbei und liess dort
durch Sappeure eine Gasse in Kompaniebreite durch die den Bach umsaeumenden
Baeume legen, um dort zum Durchbruch der preussischen Front vorzustossen.

Die Gefahr fuer die Preussen war gross.

Bluechers rechter Fluegel hing in der Luft und konnte jeden Augenblick
umgangen werden, wenn der franzoesische linke Fluegel mit Ney eingreifen
wuerde. Er hatte die Unvorsichtigkeit begangen, die Schlacht anzunehmen,
ohne erst die Ankunft seines vierten Korps abzuwarten. Er vertraute auf
Wellingtons bestimmtes Versprechen, um vier Uhr zu ihm zu stossen, und
hatte Napoleon das gleiche Schicksal zugedacht, wie dieser ihm.

Aber weder Wellington noch Ney kamen.

Im vergeblichen Abwarten dieser Unterstuetzung auf beiden Seiten rieb man
sich im Kampf um die Doerfer auf, ohne vom Fleck zu kommen. Tausende von
Leichen bedeckten die Dorfstrassen, die Gaerten und die umgebenden Felder.

Der Nachmittag ging schon zur Neige. Die Hitze, immer noch drueckend, wich
ploetzlich, als auf einmal mit gewaltigem Krachen das Gewitter ueber das
Schlachtfeld niederging. Ploetzliche Dunkelheit ersetzte die fruehere
strahlende Helle, Blitze zuengelten. Der Donner erstickte das Krachen der
Geschuetze, der Kampf schien zu erloeschen in den den Wolken entstroemenden
Fluten.

Bluecher, der immer noch hoffte, Wellington mit seinen Rotroecken im Ruecken
Napoleons ankommen zu sehen, trieb seine Divisionen unaufhaltsam vorwaerts
gegen die von den Franzosen besetzten Doerfer. Er biss sich in sie fest und
liess nicht locker, er wuerde sie festhalten, solange er noch Kraft hatte,
bis der Englaender anlangte, um ihnen den Fangstoss zu geben. Aber der
Englaender kam nicht, und seine Leute ermuedeten. Er sprengte dann an die
Division Pirch heran, um sie selbst zur Unterstuetzung heranzufuehren. Als
die Leute Bluecher auf seinem Schimmel herangaloppieren sahen, blieben sie
stehen und gruessten den Marschall mit begeisterten Zurufen.

Bluecher, dem es an allem anderen mehr gelegen war, als mit
Huldigungstratsch auch nur eine Sekunde kostbarer Zeit zu verlieren, hielt
jaeh seinen Schimmel an, erhob sich in den Steigbuegeln, drehte sich zornrot
um und schrie ihnen mit Donnerstimme zu: "Leckt mich - - -! Dort steht der
Feind! Vorwaerts!" - gab dann seinem Gaul die Sporen und flog allen voran
in den Kugelregen hinein, der ihm aus den Doerfern den Willkomm gab.

Das Gewitter wurde immer heftiger, es dunkelte immer mehr. Es wurde schon
acht Uhr, und immer noch war keine Entscheidung, immer noch kein Ney in
Sicht!

Schliesslich wurde Napoleon des Harrens muede und erteilte seiner Garde, die
er solange wie moeglich geschont hatte, den Befehl zum Angriff.

Durch die offene Gasse zwischen den Baeumen rueckten die Bataillone vor,
ueberschritten den Bach und stuermten die Anhoehe auf der anderen Seite
hinan, um hinter die 60 000 Mann Bluechers zu kommen, die unten bei den
Doerfern kaempften, und sie von dem Korps Thielmanns, das noch oben an der
Chaussee stand, und von Buelow, falls der kaeme, zu trennen.

Das Gewitter wurde immer gewaltiger, Blitz auf Blitz zuengelte nieder und
beleuchtete die Einbruchsstelle, aus der die Kolonne der Baerenmuetzen
langsam und unwiderstehlich wie eine Naturmacht aus der Tiefe
heraufdraengte und alles vor sich hinwegfegte.

Die Gefahr war gross. Bluecher warf alles, was er an Kavallerie hatte, den
Franzosen entgegen, eilte selbst von dem Kampf um Saint-Amand zurueck nach
Brye und ordnete den Gegenangriff. Feurig wie ein Juengling, mit vor
Aufregung geroetetem Gesicht, sprengte der Dreiundsiebzigjaehrige, den Saebel
schwingend, in grossen Bogensaetzen allen voran und feuerte sie durch Zurufe
an.

Als kaeme er aus den Wolken, so wirkte im Aufflackern der Blitze seine
rasend vorwaerts stuermende Erscheinung auf Freund und Feind.

Ein ohrenbetaeubender Krach, ein minutenlanger Blitz, das Pferd Bluechers
machte einen Riesensprung, als wollte es mit ihm in den Himmel
hineingaloppieren, und dann war es verschwunden. Kein Blitz vermochte es
mehr aus dem Dunkel hervorzuzaubern. Aber wo es zuletzt gesehen war,
rasselten die Hufschlaege der jetzt zur Attacke vorstuermenden Kuerassiere
Milhauds vorueber - und dann zurueck, von den preussischen Reitern verfolgt.
Die Preussen fanden ihren Feldmarschall unter seinem Pferd liegend,
beschuetzt von seinem treu an seiner Seite ausharrenden Adjutanten Nostiz.
Sie befreiten ihn aus seiner qualvollen Lage, setzten ihn, dessen alte
Knochen immer noch unversehrt waren, auf ein anderes Pferd und brachten
ihn aus dem Schlachtgetuemmel.

Gleichzeitig brachen die Franzosen aus allen Doerfern hervor, die nun nicht
laenger zu halten waren, nachdem durch den Stoss der Garde die preussische
Schlachtlinie durchbrochen worden war. Die Preussen raeumten das Kampffeld
und zogen sich auf Tilly und Mellery zurueck. Die Strasse von Namur nach
Bruessel, ihre einzige Verbindung mit den Englaendern, war ihnen
verlorengegangen. Es blieb ihnen nur uebrig, entweder auf den Rhein
zurueckzugehen oder auf einem grossen Umweg noch die Vereinigung mit
Wellington zu versuchen.

Mitten in der Nacht traf Gneisenau auf Bluecher, der, auf Stroh gebettet,
in einer Huette in Mellery lag und von seinem Leibarzt Bieske gesalbt und
frottiert wurde.

"So'n Sturz mit dem Pferd war noch nicht da!" rief ihm der Alte entgegen.
"Wenn das nicht Glueck bedeutet, dann will ich gehaengt werden. Das naechste
Mal, Gneisenau, das naechste Mal! Heute haben wir Schmiere gekriegt, das
wollen wir ausbessern. Wir muessen uns zurueckziehen, daran ist nichts zu
aendern, _aber der Rueckzug geht vorwaerts_, wie immer - vorwaerts an den
Feind heran!"

Das waere auch seine Absicht gewesen, sagte Gneisenau, und das haette er
schon angeordnet. Er haette Buelow bereits andere Marschorders gegeben und
die Armee in die Richtung auf Wawre dirigiert, statt zurueck nach Namur und
Luettich.

"Wir geben wohl dadurch unsere Verbindungslinie auf," setzte Gneisenau
laechelnd hinzu, "und das ist ja bei einer geschlagenen Armee nicht gerade
ueblich! Aber wir kommen mit den Englaendern zusammen und fuehren hoffentlich
noch mit ihnen gemeinsam einen vernichtenden Streich gegen den Feind!"

Damit war Bluecher einverstanden. Das war ganz nach seinem Sinn. Gneisenau
ging. Und als der Doktor auch fort war, rief Bluecher seinen Kammerhusaren.

"Ist der Quacksalber nun weg?" fragte er. Und setzte, als die Frage bejaht
wurde, im Fluesterton hinzu: "Der hat mich nun wieder bepflastert und
gesalbt, wie's nicht anders von ihm zu erwarten war! - Das _Innerliche_
wollen wir uns aber selbst verschreiben. Hol' mir eine Flasche Champagner
her. Aber heimlich, dass es keiner sieht!"

Das besorgte der Husar, goss dem Feldmarschall ein Bierglas voll, bekam
selbst sein Teil, und so waren sie bald wieder klar zum Gefecht.

                                   *

Die Preussen marschierten.

Auf grundlosen Wegen, bei stroemendem Regen arbeiteten sie sich vorwaerts,
abgehetzt, hungrig, durchnaesst, aber doch frohen Mutes, weil ihr Marsch sie
wieder an den Feind heranfuehrte, und weil sie alle danach lechzten, die
Scharte auszuwetzen und fuer die gefallenen Kameraden Rache zu nehmen.

Der verfolgende Sieger machte es sich bequem.

Er nahm ohne weiteres an, die geschlagenen Feinde haetten nichts Eiligeres
zu tun, als wieder nach Hause zu laufen, und verfolgte sie also, nachdem
er erst weidlich gerastet hatte, in der Richtung auf den Rhein zu. Und so
marschierten die Preussen an seiner Nase vorbei, ohne dass er etwas merkte,
sammelten ihre Versprengten, ordneten ihre Verbaende und langten am
naechsten Tage ungefaehrdet in Wawre an.

Napoleon selbst haette sie nicht so leichten Kaufes entkommen lassen. Er
hatte aber den Fuehrer seines rechten Fluegels, den Marschall Grouchy, mit
der Verfolgung betraut, und zog selbst mit den Garden und der schweren
Reiterei in der Richtung auf Bruessel den Englaendern entgegen, die sich
langsam vor ihm zurueckzogen, um sich ihm schliesslich am Wald von Soignes,
auf dem Hoehenzuge von Mont St.-Jean, in den Weg zu legen.

Am 18. Juni frueh sprach General Friant von der alten Garde im
Hauptquartier beim Generalstabe vor, dem jetzt nicht Berthier, sondern
Marschall Soult als Generalquartiermeister vorstand.

Friant war einer der alten Veteranen, der alle Feldzuege mitgemacht hatte,
und genoss das groesste Vertrauen Napoleons.

Der Kaiser war noch nicht von seinem Rekognoszierungsritt zurueckgekehrt.
Die beiden Generaele ritten langsam Seite an Seite die Chaussee entlang dem
Kaiser entgegen.

Sie unterhielten sich ueber die vorgestrige Schlacht und die Aussichten fuer
die heutige und fuer den Feldzug ueberhaupt, und waren nicht ohne Bedenken.

"Der Kaiser hat das _Va-banque_-Spielen verlernt!" sagte der alte Friant,
der in den meisten Partien mitgespielt hatte und also Bescheid wissen
musste. "Frueher war es anders. Idee, Entschluss, Tat waren zugleich da -
waren _ein_ Blitz, der niedersauste, traf und zerschmetterte. Jetzt
ueberlegt der Kaiser, spekuliert, erwaegt die Chancen fuer und wider mit
einer gewissen Geniesserfreude im Auffinden von Spitzfindigkeiten und
versaeumt darueber den rechten Moment. Seine Siege sind laengst keine
Katastrophen mehr fuer den Feind und fuer uns nur keine Niederlagen. Die
Niederlage ist dafuer bei ihm in den Bereich des Moeglichen gerueckt. Das
verstimmt und macht einen unsicher!"

"Das macht das Fett", sagte der lange, hagere Soult mit seiner hohen
Fistelstimme, und strich seine wildflatternden Haarstraehnen aus dem
gefurchten Altweibergesicht. "Das Fett macht bequem, phlegmatisch und
kurzatmig - das verfettete Herz huepft nicht mehr in seinem Knochengehaeuse
wie ein Frosch auf einer gruenen Wiese. Es zappelt nur lahm, sinkt muede hin
und schlaeft ein. Daher die ploetzliche Schlafsucht beim Kaiser in den
letzten Jahren. Sie ueberkommt ihn ganz ploetzlich bei den ungeeignetsten
Gelegenheiten und ueberwaeltigt ihn unwiderstehlich, als erloesche auf einmal
in ihm alles Licht. Mitten im entscheidenden Moment einer Schlacht hoert er
auf einmal nicht und sieht nicht mehr; alles flimmert ihm vor den Augen
und fliesst auseinander; er muss sich sofort hinlegen und liegt dann da wie
ein Toter, ohne Traeume, ohne Bewusstsein. So hat er selbst es mir
geschildert. Es ist das Fett - ich wiederhole es. Und meines Erachtens
sind wohl auch die verschiedenen galanten Krankheiten nicht spurlos an
seinem Geist voruebergegangen."

"Dem moechte ich nicht beipflichten", sagte der alte Friant kopfschuettelnd.
"Sein Geist weilt in der klaren Hoehenluft wie frueher, gleich
durchdringend, gleich schnell im Erfassen der Lage und im Entwerfen der
Plaene. Aber der Koerper ist von den jahrelangen, nie aufhoerenden Kaempfen
muede geworden. Und wie seine leiblichen Glieder allmaehlich erschlaffen, so
auch seine geistigen: seine Unterfuehrer. Die Herren Marschaelle
funktionieren nicht mehr wie frueher. Sonst blitzschnelle Vollstrecker
seines Willens, sind sie jetzt unsicher und zaghaft und nur, wenn er
persoenlich dabei ist und sie antreibt, von dem gleichen Elan wie ehemals.
Und der Kaiser, sonst scharf und vernichtend in seiner Kritik auch dem
besten Freund gegenueber, ist jetzt sanft und nachsichtig geworden und
vermeidet die verletzenden Worte, die ihm sonst so schnell auf die Zunge
kamen. Ich habe mich gewundert, wie milde er heute dem Marschall Ney kam,
dessen Troedeln vorgestern das Misslingen seines schoenen Einkreisungsplans
verschuldet hatte."

"Ich nicht", sagte Soult. "Der Kaiser macht eben keine unnuetzen Worte.
Kein Wort kann am Geschehenen etwas aendern. Was vorbei ist, ist vorbei.
Als Ney gestern vor ihm stand, da stand er nicht als Vertreter seines
gemachten Fehlers da, sondern als Traeger einer Hauptaufgabe in der
naechsten Schlacht!"

"Die er uns denn auch verpatschen wird", antwortete Friant brummig. "Das
weiss Napoleon auch ebensogut wie wir. Er war keinesfalls von Nachsicht
gegen Ney beseelt. Er war nur vorsichtig. Er hat im Vorjahre eben an
seinen treuesten Dienern die bittere Erfahrung machen muessen, dass ein
Abfall auch bei denen moeglich ist. Das brennt sich in die Seele ein. Den
Treueid Neys hat er auch einschaetzen gelernt, als der gute Fuerst von der
Moskwa, wenn auch zu seinen Gunsten, den Bourbonen den feierlichen
Treuschwur brach. Auch wird er niemals am eisernen Kaefig vorbeikommen, in
dem Ney versprochen hatte, ihn nach Paris zu bringen. Der steht immer
zwischen ihm und dem Marschall. Mir scheint es jedenfalls seitdem immer,
als spraechen sie durch das Gitter jenes eisernen Kaefigs miteinander, und
als wuessten sie alle beide dabei nicht recht, wer von ihnen drinnen und wer
draussen ist. Ein gutes Zusammenarbeiten gibt das nicht. Napoleon aergert
sich heimlich, weil er Ney nicht entbehren zu koennen glaubt. Und Ney ist
unzufrieden, weil er schwach war und sich wieder gebrauchen lassen muss.
Denn er ist schwach - er ist gaenzlich ohne Charakter - er ist dumm,
geistlos, hat nichts als sein tapferes Herz und seinen Loewenmut, der alles
mitreisst und in Flammen setzt. Wie fest glaubte nicht der Schwachkopf an
seine eigenen Worte, als er vor einem Vierteljahr an der Spitze einer
Armee auszog, um Napoleon zu fangen. Und kaum erblickte er den grauen
Mantel und den schwarzen Dreispitz Napoleons wieder, da schrie er zuerst
von allen sein '_Vive l'empereur!_' und fuehrte den Kaiser im Triumph in
die Tuilerien. Und dann war wieder die Reue da mit dem boesen Gewissen ueber
den gebrochenen Treueid an Ludwig, den er niemals haette schwoeren duerfen,
den er aber, einmal gegeben, haette unbedingt halten muessen. Er fuhr auf
seine Gueter, zeigte sich nicht bei Hofe und stellte sich nicht beim
Kriegsausbruch, er ebensowenig wie Berthier, Massena, Angereau und all die
anderen. Aber - kaum schreibt ihm Napoleon die paar Worte: 'Beeilen Sie
sich, wenn Sie meine erste Schlacht noch mit ansehen wollen', da wirft er
sich aufs Pferd, galoppiert los, ohne Gepaeck und nur von einem Adjutanten
gefolgt, reitet die Pferde kaputt, nimmt von Mortier dessen Pferde in
Maubeuge und kommt noch frueh genug, um das Kommando des ganzen linken
Fluegels zu bekommen und uns die vorgestrige Schlacht zu verderben. Ich
habe nach dem allen nicht viel Vertrauen mehr zu seiner Fuehrung."

Soult antwortete nicht. Es war ihm peinlich, ueber einen alten
Kriegskameraden zu Gericht zu sitzen. Aber der alte Friant hatte sein
Thema noch nicht erschoepft.

"Es ist merkwuerdig," sagte er noch, "wie die geringfuegigsten Umstaende in
der Kindheit oft fuer das ganze Leben eines Menschen Bedeutung haben
koennen. Sehen Sie nur Ney an, diesen baumlangen, pausbaeckigen, rotwangigen
Recken, mit seinem dichten, hellblonden Haarschopf. Er ist reich und
maechtig, er ist Herzog und Fuerst geworden und hat einen Namen, von dessen
Ruhm Europa widerhallt. Und doch sieht man ihm immer noch den frueheren
Boettchergesellen an - den biederen Deutschen, brav, aufbrausend und
rauflustig, der seine Keile wuchtig wie wenige eintreibt - wenn der
Meister danebensteht. Sonst nicht! Er ist der typische deutsche
Landsknecht, wie er durchs ganze Mittelalter hindurchraste. Denn deutsch
sind die Leute aus seiner lothringischen Heimat, und sie werden niemals
rechte Franzosen.

Napoleon wiederum, er war das Kind des Schreckens - von seiner Mutter, in
der Aufregung der Flucht, zu frueh geboren. So eilig hatte er es, auf diese
Welt zu kommen, dass die Mutter nicht einmal Zeit fand, das Bett
aufzusuchen, sondern ihn auf einem Teppich gebar, der voll von Helden- und
Heroenkaempfen des Altertums war. Auf dem Teppich ist er sein Leben lang
geblieben! Aus dem Kampfgetuemmel kommt er nicht mehr heraus! Die
Schreckensherrschaft machte seinen Aufstieg moeglich! Schrecken verbreitete
er ueberall, wo er hinkam, Liebe nicht."

Heftige Rufe: "_Vive l'empereur!_" wurden laut. Die beiden Reiter hielten
an vor dem hochgelegenen Pachthof La Belle-Alliance, von dem sich die
Chaussee jaeh in das Tal senkt, und konnten von hier aus die in voller
Schlachtordnung aufgestellte franzoesische Armee ueberblicken.

"Hoeren Sie selbst," sagte Soult, "wie die Leute Ihre Worte Luegen strafen!"
und zeigte nach links in die Ferne, wo die schwere Kavallerie Kellermanns
hielt. Dort nahmen die Kuerassiere eben ihre Helme auf dem Pallasch hoch
und schwangen sie ueber den Koepfen, dass sie in der Sonne blitzten. Die
Bewegung pflanzte sich fort, je nachdem die kleine Gruppe Reiter, deren
erster Napoleon war, die Reihen durchritt. Die Lanciers nahmen gleichfalls
ihre Tschakos auf die Piken und huldigten ebenso begeistert ihrem Kaiser.
"_Vive l'empereur!_" schallte es ununterbrochen und rollte wie ein Donner
durch die Gegend.

"Sie entschuldigen, Herr General, ich muss aber schnell hin!" sagte Soult
dann ploetzlich, gruesste artig, gab seinem Pferd die Sporen und galoppierte
davon.

Friant hielt sein Pferd, das mitgehen wollte, zurueck, blickte ueber das
Feld hinaus, ritt dann langsam zur Garde hinueber, die im letzten Treffen
aufgestellt war, und nahm seinen Platz an der Spitze seiner "Baerenmuetzen"
ein.

Kurz darauf langte Napoleon nach beendigter Truppenbesichtigung am
Pachthof an.

An seiner Seite ritt sein Bruder Jerome. Im Gefolge die Marschaelle Soult
und Ney und die Generaele Lobau, Reille und d'Erlon.

Der Kaiser schwenkte sein Pferd herum und hielt an.

Wie immer, wenn er irgendwo haltmachte, sprangen vier Mann seiner
Leibgarde von den Pferden, stellten sich in weitem Viereck um ihn herum
auf und sperrten den Platz ab. Wie eine lebendige Burg schob sich dieses
Viereck hin und her, seinen jeweiligen Bewegungen folgend.

"Wie bei einem Faecher laufen die Flankenlinien unserer Aufstellung hier in
diesem Punkt zusammen", sagte Napoleon und blickte pruefend ueber seine
etwas tiefer stehende Armee, die in drei Linien, die eine kuerzer als die
andere, vor ihm aufmarschiert war.

Er nickte befriedigt, als er dicht vor sich in der dritten kuerzesten Linie
die feste Mauer seiner alten Garde sah, deren Grenadierbataillone, wie
wandernde Festungen seines Kaisertums, ihn durch alle Feldzuege begleitet
hatten und ihn auch heute vor jeder Tuecke des Zufalls beschuetzen sollten.
Rechts von ihnen wogte ein Wald von Eisenspitzen ueber den ungeduldig sich
baeumenden Pferden der Lanciers von Lefebvre-Desnouettes, waehrend links die
Linien der reitenden Garde, wie nach der Schnur ausgerichtet, ihrer
Verwendung harrten.

Napoleon winkte den Grafen Lobau naeher und zeigte auf die von ihm
befehligte junge Garde, die die Mitte der zweiten Linie zu beiden Seiten
der Chaussee hielt.

"Es waren viele blutjunge Gesichter unter Ihren Leuten zu sehen, lieber
Graf", sagte er. "Viele schmaechtige Gestalten, die ich Bedenken haben
wuerde, auf entscheidenden Stellen einzusetzen, wenn ich nicht wuesste, dass
es Franzosen sind - und vor allem, wenn sie nicht in Ihnen einen Fuehrer
haetten, der sie alle, nicht nur koerperlich, um einen Kopf ueberragt!"

Er nickte gnaedig dem ueber die Anerkennung stolz laechelnden Grafen zu und
liess die Blicke fast zaertlich ueber die eiserne Masse seiner schweren
Reiterei schweifen, die, von Milhaud und Kellermann gefuehrt, rechts und
links von der jungen Garde ihre Kuerasse und Helme in der Sonne blitzen
liess. Denn die Sonne brach jetzt endlich durch die Regenwolken, die sie
seit zwei Tagen dem Anblick der Welt entzogen hatten. Dann nahm die erste
Linie, die dicht am Rand des Plateaus ihre Massen ausbreitete, seine volle
Aufmerksamkeit gefangen.

"General d'Erlon!" rief er, und der General lenkte gruessend sein Pferd
naeher. "Ihre Divisionen stehen alle hintereinander. Lassen Sie lieber vier
Angriffskolonnen nebeneinander um je eine Division in Kompaniebreite
formieren. Ihre Leute waren bei Ligny nicht im Feuer. Heute sollen sie die
Hauptarbeit machen. Wenn das Signal zum Angriff gegeben wird und das
Artilleriefeuer ausgewirkt hat, dann steigen Sie in das Tal hinunter,
werfen den Feind aus den Pachthoefen La Haye und Papelotte, deren Daecher
dort unten rechts aus dem Gruen herauslugen, stuermen die jenseitige Anhoehe,
zerschmettern den linken Fluegel der Englaender, werfen ihn auf das Zentrum
und entreissen ihm die Chaussee nach Bruessel. Im Walde hinter seiner
Aufstellung werden wir ihm dann leicht den Garaus machen. Sie haben gegen
sich Schotten und Hannoveraner, wie ich heute festgestellt habe. Auf dem
Dorfweg, der sich drueben auf halber Hoehe die Boeschung entlang wie ein
Laufgraben hinzieht, werden Sie auch von den Inselbewohnern etliche im
Hinterhalt liegend vorfinden. Es wird nicht geschossen, nur mit dem
Bajonett gearbeitet, bis Sie oben sind.

Ich muss auf dem rechten Fluegel mehr Artillerie haben! - General Reille!"

Der Gerufene ritt in das Viereck hinein, das d'Erlon nach empfangenem
Befehl verliess.

"Sie werden", sagte Napoleon kurz und bestimmt, "von Ihrer Artillerie die
schweren Haubitzen nach dem rechten Fluegel hinuebersenden. Sie sollen dort,
wo die Front sich den Talrand entlang nach vorne biegt, Aufstellung nehmen
und von dort den Feind mit flankierender Wirkung beschiessen. Sie sehen die
Haeuser, die links von der Chaussee unten im Tal aus der gruenen Oase
emporragen?"

"Ich sehe sie."

"Es ist das Schloss Houguemont. Ich habe englische Garden drinnen
festgestellt. Werfen Sie sie hinaus. Erstuermen Sie dann die Boeschung des
Plateaus und schlagen Sie den Rest der englischen Garden, die mit den
Hollaendern und den Braunschweigern dort das Plateau garnieren. Suchen Sie
ihnen den Vereinigungspunkt der Chausseen von Nivelles und von Charleroi
zu entreissen, und draengen Sie auch den rechten feindlichen Fluegel in den
Wald. Sie werden den rechten englischen Fluegel nicht umgehen koennen.
Wellington hat ihn, in seiner Angst, vom Meer abgeschnitten zu werden,
doppelt so stark bedacht wie den linken. - Bis nach Hal haben wir seine
Truppen feststellen koennen. Dort stehen mindestens 15 000 Mann. Dafuer hat
er hier hoechstens 75 000 Mann beisammen, deren wir leicht Herr werden -
wenn jeder seine Schuldigkeit tut und heute meine Befehle genau und auf
die Minute befolgt."

Die letzten Worte sprach er mit etwas erhoehter Stimme und einem raschen
Seitenblick auf den Marschall Ney, dessen lange Gestalt etwas abseits hin
und her tanzte, da er sein Pferd in seiner Ungeduld immer wieder mit den
Sporen kitzelte und es so zum steten Pirouettieren brachte.

"Ney ist verdriesslich", fluesterte Napoleon seinem Bruder zu. "Es reut ihn,
vorgestern dem Teufel der Unentschlossenheit Einlass in seine Seele gewaehrt
zu haben. Ich habe meinen Ohren nicht getraut, als ich seine Ausreden
hoerte. Er hat tatsaechlich geglaubt, bei Quatrebras die ganze englische
Armee vor sich zu haben, statt, wie ich bestimmt annehmen durfte und ihm
auch sagte, nur ein paar tausend Mann, die in zehn Minuten zu erledigen
gewesen waeren. Dieser dumme Kerl erlaubt sich, noch auf eigene Gefahr hin
denken zu wollen, obwohl er weiss, dass ich fuer ihn und fuer euch alle zu
sehen und zu denken pflege! Er hat mich gar verbessern wollen - - und hat
mir so meinen schoenen Plan verpfuscht. Haette er gehorcht, wir stuenden
jetzt in Bruessel, und Wellington haette nimmermehr gewagt, sich mir hier in
den Weg zu legen. Jetzt hofft Wellington auf den Beistand der Preussen. Den
soll er aber nicht haben, wenn mir Grouchy heute ein wenig besser gehorcht
als Ney vorgestern! - Auf Ihre Plaetze, meine Herren!" rief er laut den
Generaelen zu.

D'Erlon, Reille, Lobau und Ney gruessten, warfen ihre Pferde herum und
setzten sie in Trab in der Richtung, aus der sie mit dem Kaiser gekommen
waren.

"Heute wollen wir vor allem kaltes Blut bewahren, lieber Ney", rief dieser
noch dem Marschall nach, dessen hochrotes Gesicht sich dabei ganz dunkel
faerbte.

"Der tolle Kerl wird mir heute durch die Lappen gehen, um sein
vorgestriges Troedeln wieder gutzumachen", sagte der Kaiser halb fuer sich,
winkte seinen Leibpagen heran und befahl ihm, den Tisch mit den Karten auf
dem kleinen Huegel, der sich etwas abseits von der Chaussee erhob,
aufstellen zu lassen. Er blickte dann ueber die Gegend hinaus, nach rechts
in die Verlaengerung des Tales hinein, wo sich vier Lieues entfernt die
Tuerme des Staedtchens Wawre auf dem blauen Dunst matt abzeichneten und der
Lasne-Bach auf dem Grund des Tales sein silbernes Band hinschlaengelte.

Von dort musste Grouchy mit seinen 30 000 Mann kommen. Er muesste auch schon
unterwegs sein. - Zwei Kuriere waren ihm schon waehrend der Nacht mit
dahingehenden Befehlen gesandt! Man sollte ihm gleich noch einen Boten
schicken, wenn sich nicht bald die Spitzen seiner Kolonnen drueben auf der
Hoehe zeigten, wo die Kapelle von St.-Lambert weiss leuchtete.

Noch einmal umfasste Napoleon mit einem Blick das ganze farbenpraechtige
Bild, das jetzt vom frei flutenden Sonnenlicht auf das praechtigste
vergoldet wurde. Seine Haltung straffte sich, seine Augen leuchteten.

"Die Erde ist stolz, so viele tapfere Maenner zu tragen", sagte er. "Die
ganze Natur laechelt unseren Helden und gruesst sie mit Siegesglanz!"

Er wandte sein Pferd und ritt langsam an dem allein dastehenden weissen
Gebaeude von Belle-Alliance vorbei, nach dem weiter hinten an der gleichen
Chaussee liegenden Pachthof Caillou, wo er sein Hauptquartier hatte.

Dort angekommen, fuehlte er ploetzlich, wie schon sooft in den letzten
Jahren, eine beginnende Ohnmacht im Gehirn.

Es war kein Wunder.

Am gestrigen Tag war er von frueh um fuenf bis zum spaeten Abend marschiert,
dann seit ein Uhr nachts wieder im Sattel, und hatte die Gegend und die
feindlichen Stellungen bei stroemendem Regen selbst rekognosziert. Jetzt
hatte er alles angeordnet, den Angriffsplan entworfen, die Armee
aufgestellt und gegen die Ungeduld seiner Generaele angekaempft, die schon
gleich in aller Fruehe angreifen wollten, ehe der Boden so weit von den
Regenguessen aufgetrocknet war, dass die Artillerie vorwaerts konnte. Das
spannte seelisch ab. Jetzt war er zu Ende, jetzt musste sein Gehirn Ruhe
haben.

Er rief seinen Bruder Jerome.

"Es ist zehn Uhr", sagte er. "Ich will eine Stunde schlafen. Um elf sollst
du mich wecken - die anderen wagen es ja nicht. Um elf Uhr, keine Minute
spaeter!"

Damit streckte er sich auf seinem Feldbett aus, legte seinen Kopf auf das
duenne Kopfkissen und schlief, wie er es jederzeit konnte, sofort ein.

Inzwischen marschierten die Preussen.

Durch unwegsames Gelaende strebten sie in grossem Bogen wieder zur Chaussee
Namur-Bruessel zurueck, die sie bei Sombreffe hatten verlassen muessen.

In Wawre rasteten sie, trockneten ihr durchnaesstes Zeug, schafften sich
etwas Warmes in den Leib, brachten ihre Waffen in Ordnung, ergaenzten ihre
Munition und waren guten Mutes trotz der Strapazen und der bei Ligny
erlittenen Verluste.

Dort langte bei Bluecher ein von Wellington abgesandter Bote an, mit der
Bitte, ihm so rasch wie moeglich eine Verstaerkung von zwei Korps zu senden.
Er wuerde dann die Schlacht von Napoleon annehmen.

"Ich breche mit allem auf, was ich bei mir habe", antwortete der
Feldmarschall, der nach seinem Sturz in der Lignyschlacht sich kaum noch
aufrecht zu halten vermochte.

"So krank ich auch bin," schrieb er gleichzeitig dem General Mueffling, der
im englischen Hauptquartier Preussen vertrat, "so werde ich mich dennoch an
die Spitze meiner Truppen stellen, um den rechten Fluegel des Feindes
sofort anzugreifen, wenn Napoleon etwas gegen den Herzog unternimmt."

Und im Tagesbefehl an seine Truppen, in dem er den Verlust der letzten
Schlacht dem Ausbleiben der Unterstuetzung durch die Englaender zuschrieb,
kuendigte er ihnen, aufrecht wie immer an: "Ich werde euch wieder vorwaerts
gegen den Feind fuehren. Wir werden ihn wieder schlagen, denn wir
muessen's!"

Er schickte dann seinen guten Doktor Bieske mit seinen Salben und Mixturen
zum Teufel, als dieser seine Quetschung wieder einreiben wollte.

"Heute", sagte er, "mag's den alten Knochen gleich sein, ob sie balsamiert
oder nicht balsamiert in die Ewigkeit gehen!" Er wankte dann zur Tuer
seines Hauses hinaus, wo seine pommerschen Regimenter gerade vorueberzogen
und ihn jubelnd begruessten, hielt sich am Tuerpfosten fest, um nicht dabei
zu fallen, liess sich aufs Pferd heben und war seelenvergnuegt, als er die
vier sicheren Beine seines Schimmels wieder unter sich fuehlte. Er lachte
ueber Grouchy, der ihn in verkehrter Richtung suchte und also nicht fand,
liess die Korps Thielmann und Zieten in Wawre zurueck, um diesen Marschall
aufzuhalten, und zog selbst an der Spitze der uebrigen Truppen nach Mont
St.-Jean ab.

Das war keine leichte Aufgabe.

Richtige, feste Chausseen waren nicht vorhanden. Die Feldwege waren alle
aufgeweicht und bald so vertreten, dass kein Fortkommen mehr war. Die
Soldaten wateten bis ueber die Knoechel im Schlamm. Die Kanonen und
Munitionskarren blieben stecken und konnten trotz den vereinten
Anstrengungen von Zugtieren und Soldaten kaum von der Stelle bewegt
werden.

"Vorwaerts, Kinder", rief Bluecher und ritt hinzu, um die Leute anzufeuern.

"Es geht nicht!" riefen diese keuchend.

"Es muss gehen! Ich hab's versprochen. Wollt ihr mich denn wortbruechig
machen?"

Nein, das wollten sie nicht! Das ginge nun auch nicht! Sie legten sich
doppelt ins Zeug, kamen aus der Patsche heraus und marschierten froehlich
weiter dem Feind entgegen.

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Puenktlich um elf erhob sich Napoleon von seinem Lager, ohne dass man ihn zu
wecken brauchte, und sofort war sein durch den Schlaf gestaerkter Geist
wieder in voller Taetigkeit.

Er begab sich zu dem kleinen Huegel am Pachthof La Belle-Alliance, von wo
aus die ganze Gegend zu ueberblicken war, setzte sich da in seinen
"Regiestuhl", wie er scherzend sagte, liess die Karten vor sich ausbreiten,
lachte vergnuegt und sagte:

"Mein Freund Talma muesste einmal als Volontaer bei mir antreten. Ich wuerde
ihm beibringen, wie man Massen bewegt!"

Einige Minuten vertiefte er sich in das Studium der Karte, stand dann auf,
winkte einen von den in respektvoller Entfernung stehenden Offizieren
heran und zeigte nach rechts.

"Aus dieser Richtung erwarte ich den Marschall Grouchy. Reiten Sie ihm
entgegen, sagen Sie ihm, er soll sich beeilen, mit seiner ganzen Macht
hierherzukommen! Und verlassen Sie ihn nicht, ehe er nicht in vollem
Anmarsch ist!"

Der Offizier salutierte, warf sich auf eins von den am Fusse des Huegels
stehenden Pferden und galoppierte davon.

Um halb zwoelf gab Napoleon das Zeichen.

Eine Salve aus hundertundzwanzig Feuerschluenden antwortete, spie einen
Orkan von Eisen ueber die englischen Stellungen, erschuetterte die Luft und
machte den Boden beben.

Nach einer halben Stunde hoerte der Hoellenlaerm auf, ebenso jaeh, wie er
angefangen hatte, und man konnte jetzt ein lebhaftes Geknatter vom linken
Fluegel hoeren, wo General Reille seine Infanterie gegen das Schloss
Houguemont fuehrte.

Napoleon achtete besonders eifrig darauf, ob der Gegner sich durch jene
Kaempfe verleiten lassen wuerde, Truppen zur Unterstuetzung seines rechten
Fluegels heranzuziehen, und so seinen linken, gegen den der Hauptangriff
beabsichtigt war, zu schwaechen.

Er wollte eben Ney befehlen, mit dem Zentrum und dem rechten Fluegel
vorzugehen. Als er aber vorher die Gegend mit dem Fernrohr absuchte,
stutzte er ploetzlich, reichte Soult das Glas und sagte: "Sehen Sie
dorthin, Herr Herzog, nach rechts, neben der Kapelle von St.-Lambert -
dort, ja! Ich sah da einen beweglichen Schatten. Was halten Sie davon?"

"Es koennten die Wipfel eines Gehoelzes sein", sagte der Marschall und gab
das Fernrohr zurueck.

"Es sind Truppen in Marsch!" sagte Napoleon und reichte sein Fernrohr
weiter an die anderen Offiziere, die seine Annahme bestaetigten.

Klein wie die Figuren einer Spielzeugschachtel bewegten sich die Truppen
auf der fernen Anhoehe, aber so vom blauen Dunst umnebelt, dass weder
Bewaffnung noch Uniform zu erkennen waren.

"Es koennen die Preussen sein!" meinte ein Offizier, indem er dem Kaiser das
Fernrohr zurueckgab.

"Es _muss_ Grouchy sein!" erwiderte Napoleon gereizt. "Man soll sofort
Kavallerie zum Rekognoszieren aussenden! Bis die Frage geklaert ist,
unterbleibt der Angriff Neys!"

Er brauchte nicht lange auf Bescheid zu warten.

Gleich darauf brachte man einen gefangenen schwarzen Husaren ein, der
einen Brief Bluechers an Wellington mithatte und aussagte, dass die Truppen,
die man drueben saehe, Preussen waeren, von Buelow gefuehrt wurden und
dreissigtausend Mann stark heranrueckten.

Napoleon gab sofort seine Befehle, und gleich darauf sah man aus der
zweiten Linie der franzoesischen Schlachtordnung das Korps des Grafen Lobau
rechts abschwenken, um sich vor der Flanke der Armee aufzustellen.

Das waren gleich zehntausend Mann weniger gegen die Englaender und doch
lange nicht genug, um die Preussen zu werfen. Aber gleichviel. Es genuegte,
um sie aufzuhalten, bis Grouchy kaeme, was ja bald der Fall sein wuerde.

Ney, der seine Ungeduld kaum noch meistern konnte, bekam endlich den
Befehl anzugreifen. Er stuerzte sich auf die Pachthoefe La Haye und
Papelotte und fing da ein blutiges Gemetzel an.

Gleichzeitig setzten sich die Divisionen d'Erlons in Bewegung. Sie gingen
in vier Kolonnen, zu je acht, auf fuenf Schritt Abstand hintereinander
gestaffelten Bataillonen vor, stiegen in das Tal hinab und waren gleich
drueben.

Erst als sie anfingen die Boeschung des entgegengesetzten Plateaus zu
ersteigen, gewann Napoleon einen rechten Ueberblick ueber ihre Aufstellung.
Ein Ausruf des Zornes flog ueber seine Lippen.

"Dieses leichtsinnige Schwein, dieser Ney!" murmelte er verdriesslich.
"Schickt mir die Sturmkolonnen ohne Flankenschutz - in Reih' und Glied
hintereinander vor! Wie, wenn sie jetzt einen Kavallerieangriff bekommen?!
Wozu habe ich meine Generaele, wenn ich mich jetzt um jedes Detail noch
kuemmern muss?"

Indes, kein Fluchen half mehr. Es blieb ihm auch keine Zeit, noch fuer
Aenderung zu sorgen. Der taktische Fehler war unabaenderlich da.

Mit gespannter Aufmerksamkeit verfolgte er den Verlauf des Angriffs. Er
sah, wie die Sturmtruppen am Wege von Ohain, der den Abhang in halber Hoehe
durchschneidet, nach kurzem Kampf die dort eingegrabenen Englaender
ueberwaeltigten und die Boeschung unaufhaltsam weiter erstiegen.

Jetzt waren sie oben - jetzt fingen sie an, sich auf dem Plateau zu
entwickeln, trotz dem Kartaetschenhagel, mit dem sie vom Feind ueberschuettet
wurden. Einige Minuten nur, und sie wuerden mit gesammelter Kraft auf die
Reihen Wellingtons vorstuermen. Der Durchbruch war in greifbarer Naehe!

"Moegen die Preussen marschieren!" murmelte Napoleon, "ehe sie herankommen,
bin ich mit den Bundesgenossen da oben fertig und gebe ihnen dann den
Rest!"

Er schwieg ploetzlich und blickte gespannt durchs Fernrohr hinueber - er
sah, wie sich aus dem Kornfelde da oben Rotroecke erhoben und aus naechster
Naehe auf die ueberraschten Truppen d'Erlons Feuer gaben, waehrend von links
Ponsonbys graue Dragoner in zwei Kolonnen zwischen die Reihen ihrer
offenen Flanke hineinstuermten und sie in Verwirrung brachten. Die
Vorwaertsbewegung stockte sofort; alles wankte und suchte sich einen
Augenblick zu halten, und dann rutschte die ganze Masse von Infanterie und
Kavallerie, in bunter Unordnung miteinander vermischt, auf die Sohle des
Tales hinunter.

"Da haben wir die Schweinerei! Ich hab's ja gesagt!" rief Napoleon, warf
sein Fernrohr auf den Tisch, sprang in den Sattel und galoppierte, so
schnell er konnte, zu den auf dem rechten Fluegel stehenden Kuerassieren
Milhauds hinueber, schickte ein paar Schwadronen von ihnen zur
Unterstuetzung vor, ritt dann zu den Truppen d'Erlons, half sie wieder
ordnen und sprach beruhigend auf sie ein.

Inzwischen marschierten die Preussen und kamen immer naeher und naeher. Von
den Anhoehen bei der Kapelle Saint-Lambert hatten sie schon in der Ferne
den Mont St.-Jean von Rauchwolken umkraenzt gesehen, aus denen Blitze
hervorzuckten. Das ferne Donnern der Geschuetze versetzte sie in freudige
Aufregung.

Sie stiegen die Boeschung nach dem Tal hinunter, so leicht, als ginge es
zum Tanz in der Dorfschenke. Und rutschten sie auf dem glitschigen Boden
aus, oder sanken in den fliessenden Sand des Lasnebachs ein, so war's nur
ein Vergnuegen mehr.

Singend plantschten sie weiter vorwaerts und freuten sich der Sonne, die
jetzt warm herniederstrahlte, die steifen Glieder durchwaermte und das
nasse Zeug trocknete. Als aber der Wald von Frichemont leer vor ihnen lag
und nicht einmal von einem Pferdeschwanz oder vom Fetzen eines
Infanteriemantels besetzt war, da jauchzten sie laut auf. Denn da haette
eine Handvoll entschlossener Leute ihnen das Fortkommen verteufelt sauer
machen koennen.

"Der Kaiser wird von hier aus nur seinen Grouchy erwartet haben", sagte
Bluecher schmunzelnd. "Er wird sich wundern, wie der sich veraendert hat,
wenn er mich sieht!"

Napoleon wunderte sich aber ueber nichts mehr. Am allerwenigsten ueber das
Versagen seiner Unterfuehrer oder die Nichtausfuehrung seiner Befehle.

Grouchy mit dem ganzen rechten Fluegel seiner Armee blieb aus. Die Preussen
kamen zu frueh an. Er stand vor einem schweren Entschluss.

Die Schlacht abbrechen, hiesse sich besiegt erklaeren. Es waere ein
Retirieren unter steten Kaempfen in der Flanke und im Ruecken. Die
Siegesfreudigkeit seiner Soldaten waere hin, die politischen Folgen
unuebersehbar. Auch ein halber Erfolg kaeme da einer Niederlage gleich.
Einzig ein grosser entscheidender Sieg konnte ihm jetzt helfen, wo ganz
Europa wieder auf ihn einstuermte.

Also _va banque_! Alles auf eine Karte gesetzt!

Er ueberblickte noch einmal die Situation.

Oben auf dem Plateau die englische Armee, die sich nicht vom Flecke
ruehrte.

Unten im Hohlweg ihre drei Vorwerke, um die noch erbittert gekaempft wurde.

Links hatte sich dort Reille mit seinen saemtlichen Divisionen in dem
Gehoelz um Schloss Houguemont derartig festgebissen, dass ein leerer Raum
zwischen ihm und den weiter rechts stehenden franzoesischen Truppen
entstanden war. Rechts suchten die Englaender die bereits eroberten
Pachthoefe La Haye und Papelotte zurueckzunehmen. In der Mitte balgte sich
Ney noch mit den Verteidigern von Haye Sainte herum, das er haben musste.

Denn von hier aus wollte Napoleon zum entscheidenden Sturm auf die
englischen Stellungen ansetzen. Sobald er die preussische Sturmflut in
seiner rechten Flanke eingedaemmt haben wuerde, wollte er mit der Garde und
der schweren Kavallerie ueber sie herfallen, sie vernichten und dann seine
ganze Kraft gegen die Preussen wenden.

Er gab den in der zweiten Linie stehenden Kuerassieren Milhauds Befehl, die
zwischen Neys und Reilles Truppen klaffende Luecke auszufuellen.

Langsam wie auf dem Paradeplatz ritt Milhaud mit seinen acht von Eisen
starrenden Regimentern von rechts nach links quer ueber das Feld und rueckte
in die erste Linie ein.

Die hinter ihm in der dritten Reihe stehende leichte Gardekavallerie
folgte, wie von einem Magneten angezogen, den Bewegungen der "Schweren".
Ihr Fuehrer, Lefebvre-Desnouettes, wartete nicht erst den Befehl des
Kaisers dazu ab. Und Ney, entzueckt, die schoene Kavallerie zur Verfuegung zu
haben, ging gleich mit ihnen durch.

Er sah oben auf dem Plateau sechzig englische Kanonen ohne Bespannung
stehen, dachte: "die nehmen wir!" Und vorwaerts - hui - sausten die
schweren Reitergeschwader ins Tal hinab, die Boeschung hinauf, zwischen die
Geschuetze hinein, ritt die dahinter stehende Division Alten um und stuerzte
sich auf die zweite Linie der englischen Infanterie, ohne sich um den
Hagelschauer von Geschossen zu kuemmern, der gegen ihre Kuerasse und Helme
prasselte.

Erst als zwischen den englischen Karrees die Gardekavallerie Somersets und
die Dragoner Dornbergs vorbrachen, mussten sie weichen. Es kam zu einem
erbitterten Nahkampf zwischen den beiden Reitereien, in dem die Franzosen
schliesslich doch die Oberhand behielten, als die Lanciers
Lefebvre-Desnouettes zur Unterstuetzung herankamen.

Napoleon war ausser sich, seine Kavallerie, die er sich fuer den
Hauptangriff aufgespart hatte, vorzeitig durch Ney verbraucht zu sehen.

"Dieser Mensch", rief er, "bleibt stets der gleiche! Er bringt mir alles
in Gefahr, weil er sich niemals zuegeln kann und immer eine Stunde zu frueh
loslegt!"

Aber einmal begonnen, musste der Angriff durchgefuehrt werden, wenn die
Kraefte nicht nutzlos vergeudet sein sollten.

Napoleon gab also Kellermann, der links im zweiten Treffen hielt, Befehl,
seine Kuerassiere zur Unterstuetzung vorzusenden.

Der gleiche Vorgang wiederholte sich dann wie vorhin, als Milhaud
vorrueckte. Sobald Kellermanns Kuerassiere sich in Bewegung setzten, folgte
automatisch die im dritten Treffen hinter ihnen stehende Gardereiterei -
zweitausend Grenadiere zu Pferd - und ging gleichzeitig mit ihnen so
energisch vor, dass Napoleons Rueckberufungsbefehl sie erst erreichte, als
es zu spaet war und sie schon im Kampf verwickelt waren.

Ney bemaechtigte sich ihrer sofort und fuehrte mit unerhoerter Wucht eine
Attacke mit zwanzig Schwadronen gegen die Englaender, sprengte ihre ersten
Linien, konnte aber den zaehen Widerstand der englischen Garde und der
Braunschweiger doch nicht brechen. Wellington schickte seine letzte
Kavallerie, die Cumberlandhusaren, vor. Angesichts des Gemetzels machten
diese aber sofort kehrt, nahmen Reissaus und rissen alles - Gepaeck,
Artilleriepark und Verwundete - in wilder Flucht gen Bruessel mit. Die
Schlacht waere fuer Wellington verloren gewesen, haette Ney jetzt Infanterie
gehabt, um den letzten Widerstand der englischen Infanterie zu brechen.

Haette Napoleon mit eigenen Augen den Zustand der in den letzten Zuegen
liegenden englischen Verteidigung sehen koennen, er haette keinen Augenblick
gezoegert, seine Garde hinzuschicken, um dem Gegner den Gnadenstoss zu
geben. Aber er hatte schon alle Haende voll mit den Preussen zu tun und
wagte nicht, sich seiner letzten Reserven zu entbloessen - er war auch
zornig ueber den Ungehorsam Neys und hatte nicht mehr die ueberlegene Ruhe,
die Situation zu erfassen.

Ein anderer aber hatte sie. Bluecher hatte von den gegenueberliegenden Hoehen
am Lasnetal gesehen, was auf dem Mont St.-Jean vorging. Er lachte vergnuegt
und hatte nicht uebel Lust, Wellington sein Ausbleiben bei Ligny
heimzuzahlen.

"Nun, Bruder Wellington," sagte er grimmig, "wenn ich dir jetzt kaeme, wie
du mir gestern kamst, das heisst: _gar nicht_, da saessest du jetzt boese in
der Klemme! Und das waere dir ob deines Wortbruches zu goennen. Ich werde
dir aber, obwohl ich ein Mecklenburger bin, zeigen, was ein Preusse ist,
naemlich: ein Mann, ein Wort!"

Er schickte also schleunigst Befehl an Zieten, von Wawre heranzuruecken, um
den englischen linken Fluegel zu verstaerken. Das Korps Pirch schickte er
zur Unterstuetzung gegen Lobau vor, der eine sehr starke
Verteidigungsstellung auf dem waldigen Vorgebirge zwischen dem Hohlweg des
Lasnebaches und dem Tal des Smohainbaches eingenommen hatte.

Um drei Uhr kam Buelow hier an und sah vor sich oben auf dem Rand der
Anhoehe Lobaus Kanonen -, die Kanoniere mit brennenden Lunten daneben. Er
teilte seine Truppen, schickte die Division Losthin rechts am Smohainbach
vor, die Division Hiller am Lasnebach gegen das hinter der franzoesischen
Front liegende Dorf Planchenois, mit Befehl, es zu nehmen und so die
Rueckzugsstrasse Napoleons zu bedrohen.

In dieser waldigen Schlucht, wo die hinter den Baeumen versteckten
Verteidiger ein ununterbrochenes Feuer unterhielten, drangen die Preussen
mit unerhoerter Wucht vor.

Napoleon warf, was er an Truppen hatte, ihnen entgegen und trieb sie
zurueck, musste aber wieder weichen. Er holte Sukkurs, schickte seine junge
Garde ins Feuer und saeuberte das Terrain von Feinden, aber musste es, trotz
allen Anstrengungen, zu guter Letzt wieder raeumen. Immer neue Kolonnen von
Feinden waelzten sich aus der Schlucht hervor und zehrten an seinen
Truppen, die sichtbar in ihrem Feuer zusammenschmolzen. Es war, als haette
sich die Erde aufgetan, um eine nimmer endenwollende Flut von Preussen ueber
ihn auszuspeien. Von Rauch und Feuer umwirbelt, quoll sie auf ihn zu,
alles niederreissend, alles ueberschwemmend. Und in den Wolken ueber ihnen
sah seine ueberhitzte Phantasie riesengross und zornig verzerrt das Antlitz
seines unversoehnlichsten Gegners, des alten Bluecher, dem Angriff immer
neuen Odem einhauchend und seine Preussen unaufhaltsam vorwaerts treibend.

Ein Schauer erfasste ihn zum erstenmal im Leben. Fuer eine Sekunde verlor
sein sonst immer klarer Geist das Gleichgewicht. Dann besann er sich
rasch. Er eilte zur alten Garde hin, nahm von deren fuenfzehn Bataillonen
zwei, setzte ihnen in kurzen Worten auseinander, dass die Entscheidung
nahe, und dass sie sie herbeifuehren und das Kaiserreich retten sollten. Sie
muessten den Feind wieder in den Hohlweg hineinwerfen, aus dem er niemals
haette herauskommen duerfen.

"_Vive l'empereur!_" schallte es ihm aus den Reihen der Baerenmuetzen als
Antwort entgegen. Dann traten sie mit unerschuetterlicher Ruhe zum Angriff
an, mit gefaelltem Bajonett, ohne einen Schuss zu tun, und warfen die
Preussen durch den ganzen Hohlweg bis ans andere Ende zurueck.

Diese ihre Bravour gab Napoleon seine Zuversicht wieder. Wenn nur zwei
Bataillone seiner alten Garde das gegen ein paar feindliche Divisionen
erreichen konnten, dann hatte es keine Not, dann sollte auch Ney welche
von ihnen haben!

Ney hielt noch mit seinen halberschoepften Kuerassieren und Gardegrenadieren
oben auf dem Plateau - ihm gegenueber der gaenzlich ermuedete Englaender,
beide ohne einen Schuss zu tun, beide darauf wartend, wer von ihnen zuerst
Hiebe bekommen wuerde. Eine Stunde standen sie schon so unbeweglich da, als
Napoleon endlich glaubte, die Preussen so weit zurueckgeworfen zu haben, dass
er Ney die erbetene Infanterie geben konnte.

Er stellte noch sechs Bataillone zur Sicherung seiner Front gegen die
Preussen auf und schickte den alten Friant mit vier Bataillonen gegen die
Englaender auf das Plateau hinauf!

Kaum hatte er den Befehl gegeben, da bemerkte er eine ploetzliche Unruhe in
der regungslosen Masse seiner Reiterei da oben. Auf der Bruesseler Chaussee
kam Ney herangesprengt, ohne Hut, mit durchloecherter Uniform, das Gesicht
geschwaerzt, der blonde Haarschopf wirr um das Haupt flatternd, und schrie,
seine Kavallerie wiche, wenn die Infanterie nicht sofort kaeme -, nahm dann
die Bataillone der Garde an sich und zog mit ihnen ab.

Da oben war immer noch der Sieg zum Greifen nahe. Hinter der englischen
Front floh alles, was Beine hatte. In Bruessel wusste man bereits, dass
Wellington die Schlacht verloren hatte, und Botschaften flogen von dort
mit der Kunde von Napoleons Sieg nach allen Richtungen in die Welt hinaus.

Unten im Tal kamen dann aber ploetzlich aus der Ecke, wo sich Napoleons
Front rechtwinklig zurueckbog, die Rufe "_sauve-qui-peut!_" Und aus den
Hoefen La Haye und Papelotte flohen die bisher siegreichen Leute der
Division Durutte. Alles hing vom Augenblick ab.

Die Schlacht war auf dem Punkt angelangt, wo der Geist der Panik
herangesaust kommt und ueber dem Gewimmel darauf lauert, auf wen von den
Kaempfern er sich stuerzen soll, und ob er hueben oder drueben den geringeren
Widerstand finden wird, wenn er sein Entsetzen loslaesst.

Hueben stand noch der kleine grosse Schlachtenkaiser aufrecht da und schaute
ungeduldig nach seinem ungetreuen Grouchy aus, der immer noch nicht kam,
um ihm das Schlachtenglueck zuzuwenden.

Oben auf dem Plateau stand der zaehe Englaender und sah die Reihen der
Baerenmuetzen auf sich zukommen. Ein Wink seiner Hand - die Garden Maitlands
warfen sich auf den Boden hin, um dem Ansturm Neys und Friants zu
begegnen, erhoben sich, schossen aus naechster Naehe und durchloecherten die
Reihen der alten Garde an hundert Stellen.

Aus mehreren Wunden blutend, ging Friant zurueck, holte sich von Napoleon,
der sie selbst herangefuehrt hatte, noch fuenf Bataillone von der alten
Garde zum Ersatz und zog mit ihnen wieder in den Kampf. Da sah Napoleon
die letzten Reste der englischen Reiterei unter Vivian und Vandeleur sich
ploetzlich wieder ermannen und zur Attacke vorstuerzen - er sah auch am Wald
von Soignes Preussen kommen, die Reiter Zietens voran.

Preussen ueberall und immer noch kein Grouchy! Er erbleichte -, es war die
Niederlage, die jetzt auf ihn einstuermte.

Zieten liess seine Reiter los, sie machten mit den Schwadronen Vivians und
Vandeleurs gemeinsame Sache und ueberfluteten in einem Augenblick das ganze
Schlachtfeld.

Wo Napoleon hinblickte, war ein Gewimmel von englischen und preussischen
Uniformen. Und er hatte keine Kavallerie mehr hier unten, um die
feindlichen Reiter zu verjagen, seitdem Ney ihm die letzte genommen hatte.
Das Fussvolk allein war gegen sie ohnmaechtig.

Seine Gardebataillone bildeten ueberall Karrees, die hier und dort wie
Felsen aus dem brandenden Meere emporragten und sich wohl wehrten, aber
die Sturmflut nicht aufhalten konnten.

Oben auf dem Plateau machten dann Milhauds Kuerassiere kehrt, um nicht von
der Hauptarmee abgeschnitten zu werden, und ritten wieder die Boeschung
hinunter. Auf dem abschuessigen Boden gerieten sie aber sofort in Unordnung
und halfen so nur den Wirrwarr vermehren.

Wellington ging jetzt zur Offensive ueber.

Keine Moeglichkeit fuer Napoleon, der Aufloesung noch irgendwo eine Wehr
entgegenzusetzen, und ein Bollwerk zu schaffen, hinter dem sich die
aufgeloesten Verbaende ordnen koennten.

"_Sauve-qui-peut!_" wurde die Losung - der Kehrreim, in den sich der
Siegestaumel der Franzosen jaeh aufloeste.

Napoleon sah das Nutzlose ein, jetzt, bei beginnender Nacht, wo er weder
gesehen noch gehoert werden konnte, seine Person dem Trubel
entgegenzustellen. Er liess sich in ein Karree einschliessen und ritt,
Jerome an seiner Seite, auf der Chaussee nach Charleroi fort, von den
vorbeiflutenden Truemmern seiner stolzen Armee mitgeschwemmt.

Ueber das Schlachtfeld zogen jetzt von verschiedenen Seiten die Preussen und
die Englaender gegen das weithin sichtbare Gehoeft Belle-Alliance hinan,
fegten den Boden von Feinden rein und nahmen die Verfolgung der fliehenden
Franzosen auf.

Die Preussen besorgten das Geschaeft allein. Bis Jenappes hielten sie die
Jagd durch, nahmen unterwegs Napoleon seine ganze Artillerie und Bagage ab
und scheuchten seine Truppen durch Kartaetschenschuesse auf, sobald sie sich
zur Ruhe setzen wollten.

In Jenappes goennten sie sich endlich selbst etwas Ruhe.

Bluecher, der trotz den Strapazen des vorhergehenden Marsches selbst die
Verfolgung leitete, war frisch wie ein Fisch im Wasser und von einem
seltenen Uebermut.

Als er vom Pferd stieg und in sein Quartier hineingehen wollte, trat ihm
ein alter Husar in der schwarzen Uniform, die er so gut kannte, entgegen
und legte die Hand an die Muetze.

Wie der Blitz fuhr ihm der Gedanke durch den Kopf: "Aha, da habe ich ja
meinen Solofaenger! Der fehlte mir noch! Der war heute wieder faellig. So
war's nach Kirrweiler, so war's bei Leipzig! Und heute war's ja wieder
eine Sache gewesen! Also, er ist da!"

Er liess den Husaren gar nicht erst zu Worte, sondern rief ihm gleich zu:
"Keinen Ton! Ich weiss, was du willst, ich weiss mit dir Bescheid! Komm,
trinken wir miteinander eine Pulle Sekt fuer den guten Fang! Und da hast du
auch deine zwanzig Mark! Soviel war's wohl wert, dass du mich damals den
Preussen einfingst! - Oder sollte ich schon im Preis gestiegen sein?"

Der alte Husar stand da, ohne zu begreifen, blickte bald Bluecher, bald das
Geldstueck an und schuettelte den Kopf.

"Wo haette ich? Was haette ich? Ich haette Eure Exzellenz gefangen? - - Wie
kaeme ich wohl zu der Ehre? Ich habe einen ganz anderen Fang gemacht!"

Und dabei nahm er aus der Tasche eine Handvoll Brillanten, liess sie aus
der einen Hand in die andere rieseln - hielt dem Marschall ein Etui hin,
in dem eine Sammlung der hoechsten und seltensten Orden der Welt, auch der
preussische Schwarze Adler, glitzerten, und zog unterm Arm noch einen Degen
und einen dreieckigen schwarzen Hut hervor, den man in der ganzen Welt
wohl kannte.

"Zu dem Hut gehoert auch ein grauer Mantel!" rief Bluecher aufgeregt, und
riss das Kleidungsstueck an sich. "Und in dem Mantel steckte ein ganz
besonderer Kerl! - Wo hast du den gelassen?"

"Der steckt wohl immer noch drin in dem naemlichen Mantel, denke ich! Und
den habe ich nicht erwischt!"

"Du bringst mir ein Stueck vom Fell des Loewen! Bringe mir den Loewen selbst,
und du wirst ein Fuerst, so wahr ich auch einer geworden bin. Ihm nach -
rasch -!"

Damit stuelpte er den Hut Napoleons auf den Kopf, nahm den Degen und die
Orden an sich und ging hinein.

Draussen blieb der Husar stehen. Er liess noch ein paarmal die glitzernden
Steine aus einer Hand in die andere rieseln, steckte sie in die Tasche,
schuettelte den Kopf und kratzte sich bedaechtig die Nase.

                                   *

Das war am achtzehnten Juni. Schon am siebenundzwanzigsten konnte Bluecher
seiner Frau aus Compiegne schreiben: "Hier sitz ich in dem Zimmer, wo
maria luise ihre Hochzeitsnacht Celebrierte, man kann nichts Schoeneres und
angenehmeres sehn als Compiene - -"

Am siebenten Juli rueckte Bluecher wieder in Paris ein und fuehrte so den
Gebrauch ein, auf jeden franzoesischen Einzug in Berlin mindestens zwei
deutsche in Paris folgen zu lassen, damit man sich das merke und sich auch
danach richte.

Der deutsche Michel stand also wieder in Paris.

Er benahm sich nicht wie der Ochse im Porzellanladen - auch pluenderte er
nicht und erpresste nichts. Ja, er getraute sich nicht einmal, die ihm
abgenommenen Milliarden zurueckzuverlangen - er war wieder gut und edel,
zeigte Gemuet, nahm Ruecksicht, dachte, man wuerde es ihm danken, und merkte
nicht, dass man ihn auslachte.

Die anderen, die machten es ganz anders, wenn sie an der Reihe waren und
siegten. Sie verstanden es, ihren Hass und ihre Rachsucht ins Gemuet des
Besiegten hineinzustampfen, dass der Schmerz drin blieb und wucherte und
zur Vergeltung trieb.

Es fehlte nicht an wohlmeinenden Mahnern, die Michel beim Ohr nahmen und
sagten: "Michel, werde hart, sonst geht's dir noch einmal ans Leben!"

Bluecher brauchte jene Mahner nicht. Er sprach deutsch mit den
franzoesischen Unterhaendlern und schrieb ihnen auch in dieser verpoenten
Sprache, zum Entsetzen aller Diplomaten, nicht zum wenigsten der
deutschen.

Er verfuegte Wegnahme aller geraubten Kunstschaetze, verlangte zweimonatige
Loehnung und neue Bekleidung fuer seine Truppen, legte der reichen Stadt
Paris eine Kontribution von hundert Millionen auf und befahl sofortige
Sprengung der Jenabruecke, ehe die Monarchen nach Paris kommen konnten, um
das zu verhindern.

Sie kamen aber schleunigst mit Extrapost an und inhibierten sowohl das wie
vieles andere, insbesondere die Auszahlung der hundert Millionen.

Sie kamen aber nicht schnell genug, um zu verhindern, dass Wellington in
seinem Gepaeck den vor drei Monaten ausgerissenen Koenig Ludwig XVIII.
mitbrachte - _Louis dixhuit_ - oder "_biscuit_", wie er fortan, als
zweimal gebackener Monarch, genannt wurde.

Die beiden Kaiser und der Koenig von Preussen hatten sich das franzoesische
Cousinat diesmal ganz anders gedacht. Sie waren nicht sehr davon erbaut,
auf dem Thron Frankreichs diesen ungeheuren Klumpen laechelndes, gekroentes,
suffisantes Fett wieder vorzufinden, der sich ohne weiteres als Hausherr
gerierte und ihnen die Rollen wohlerzogener Gaeste zuschob.

Sie fanden sich aber bald mit ihren Rollen ab und liessen den ungelenken
Mastodonten auf seinem koeniglichen Rollstuhl sitzen, allwo er denn auch
ein beschauliches Dasein fuehren konnte, sich tagtaeglich zwischen dem Bett,
der Tafel und dem geheimen Kabinett hin und her schieben liess und, fern
von den Schrecknissen des Krieges, von Werken des Friedens traeumen konnte,
als welche da sind: trueffiertes Wildbret, pikante Sossen, wohltemperierter
Burgunder und mehr desgleichen.

Bedenkt man die Verwuestung und Verarmung der anderen europaeischen Laender
waehrend der langen Kriegsjahre, so muss zugegeben werden, dass la France,
die Urheberin des ganzen Elends, doch mit ihrem neuen "Legitimen" billig
dabei weggekommen war. Denn, wenn er auch im guten Sinne nicht so viel
leistete, so tat er sich im boesen noch weniger hervor. Ganz wie das weisse
Pflaster, das von der bourbonischen Hausfarbe wohl den Namen hatte.





                                  14
                            DER GROeSSTE SIEG


Alt und grau, noch ruestig, aber von Ruhm und Ehren gesaettigt, kehrte er
zurueck zu den heimatlichen Gestaden, um die Staetten wiederzusehen, auf
denen er in jugendlichem Uebermut herumgetollt war.

Er trieb sich in der Stadt umher, durch die Strassen, ueber den Markt, in
den Kirchen, auf den Friedhoefen, versaeumte nicht, den Ratskeller auf seine
verborgenen Schaetze anzusprechen, und landete schliesslich auf dem Wall,
von wo aus er ueber den Hafen auf den Breitling hinausblicken konnte, der
im Sonnenschein glitzerte und blinkte. Lange stand er da, in wehmuetige
Gedanken versunken.

Das Wiedersehen mit der Heimat war so ganz anders, als er es sich waehrend
seines langen Lebens vorgestellt hatte.

Damals eine Welt, die fuer das Aufjauchzen der ersten Lebenslust kaum Raum
genug hatte, die zu eng, zu drueckend war - eine Fessel, die gesprengt
werden musste -, ein Kerker, aus dem es galt moeglichst schnell zu
entrinnen. Und jetzt leer, tot und verlassen von allem, was sich damals in
ihr draengte -, fremd und doch so vertraut zum Herzen sprechend wie ein
altes, lange nicht gehoertes Lied, das auf einmal ploetzlich wieder an
unsere Ohren dringt.

_Vanitas! Vanitatum vanitas!_

Man kaempft und strebt, ringt um Erfolg und Ehren, kommt weit herum, sieht
fremde Gesichter, knuepft neue Freundschaften an, bekommt Familie, schlaegt
irgendwo, wo's der Zufall will, Wurzel, wird in neuer Erde bodenstaendig,
glaubt sich dort beheimatet und bleibt ihr im Innersten doch ein Fremder.

Die Wurzeln, die einen noch an die Heimaterde binden, verkuemmern oft,
zerreissen aber nie. Die Traeume und Erinnerungen lassen Vergangenes wieder
lebendig erstehen. Man wandelt in ihnen noch auf den Gefilden der laengst
verflossenen Kindheit, balgt sich mit den alten Gespielen herum, erlebt
die ersten Hoffnungen, die ersten Enttaeuschungen wieder, und bei jedem
weiteren Schritt im Leben kehren die Gedanken wieder zu ihnen zurueck. Und
ueber allem anderen, ueber Siegesrausch und Triumph, leuchtet dann die
Frage: "Was werden die alten Gespielen, die Freunde, die Verwandten dazu
sagen! Sie werden sich wundern, wie weit ichs im Leben gebracht habe! Ich,
von dem sie so wenig hielten und dessen Flucht ins grosse Leben hinaus nur
ihr mitleidiges Misstrauen in den Erfolg begleitete!"

Endlich hat man den Erfolg errungen. Man hat festen Boden unter die Fuesse
bekommen. Und doch kommt keine rechte Siegesfreude auf, ehe nicht die
engere Heimat ihren Segen zum Gelingen gegeben hat.

Man brennt darauf, diesen Triumph zu feiern, kehrt wieder heim, sucht alte
Staetten, Wege, Gefilde auf, laesst die Blicke nach gewohnten Zielen
schweifen und wird gleich enttaeuscht.

Warum kommt nicht dort um die Ecke Freund Fritz gelaufen, munter, lustig
und zu jedem Streich bereit?

Wo bleibt heute Nachbars Lene, die sonst immer durchs Gartentor huschte,
sogleich bereit, den Zoll der Freundschaft von ihres Vaters Apfelbaeumen zu
entrichten?

Und der Herr Pastor, der wuerdig dort die Strasse herunterschreitet, das
Messbuch in den fromm gefalteten Haenden, die Blicke gesenkt, der Kuester mit
dem Kruzifix im gleichen Trott hinterher, wie hat er sich verjuengt! Damals
Schnee in den reichen Locken, jetzt blondester Flachs!

Dort sperrt ein fremdes Haus den gewohnten Blick ueber den Fluss, und
endlose Speicherbauten machen sich ruecksichtslos auf dem Gelaende breit, wo
die gewaltigsten Ereignisse der frohen Kindheit sich abspielten. In den
Gruenspan der Kirche sind frische Flicken von blankem Kupfer getrieben -
das Glockenspiel von damals knarrte und schnarrte ganz anders, ehe es zum
Herunterbimmeln des altgewohnten Chorals mit hinkendem, aber wuerdevollem
Pathos ausholte -, auch der Strasse am Elternhause gab die neue Zeit neues
Pflaster!

Und dann die zahllosen neuen Graeber auf dem Kirchhof, die die
altvertrauten schier verdraengen wollen!

Liegen wohl da alle die, deren freundliches Staunen ob spaet, aber doch
endlich gewonnener Anerkennung man heranzufordern kam?

Ja -, wozu war denn schliesslich alles da?

Wozu der Kampf und Sieg, wenn eben die, die die schoensten Kraenze
aufrichtiger, selbstloser Freude winden wuerden, laengst die Eitelkeit alles
Erdenstrebens mit etwas Besserem vertauschten? Waeren sie wenigstens in der
Erinnerung geblieben, wie sie waren - jung, lebenslustig, uebermuetig,
unbesiegbar. In der Erinnerung der Kindheit lebte bis jetzt noch alles,
was seither im Aufbluehen die Seele erfuellte! Und jetzt, nach dem
Wiedersehen, verblassten auch dort die Bilder und schwanden fuer immer. Die
neue Wirklichkeit loeschte ihre gluehenden Farben aus - eintoenige,
gleichgueltige Leere umfing die Sinne - das treu im Herzen gehuetete
Heiligtum sank hin, und Bitterkeit, Enttaeuschung und unendliche Wehmut
lagern ueber dem Truemmerfeld teurer Erinnerungen.

Darueber daemmerte aber wie ein Hauch der Ewigkeit die Antwort, die die
Heimat dann dem spaet Wiederkehrenden gab: "Was du suchtest, fandest du:
Ehren, Ruhm, Reichtum - fuer dich, aber nicht fuer mich! Hofftest du auch
von mir Kraenze, und spornte dich das zu immer neuem Ringen an - jetzt bist
du ja am Ziel - jetzt brauchst du meine Kraenze nicht mehr! Jetzt blueht dir
nur noch die Erkenntnis, die ich dir als letzte Lehre auf deinem letzten
Wege mitgebe: "_Aus dir selbst bist du nichts!_ Was du geleistet hast,
wurde dir vom Geber aller Gaben geschenkt! Sei dankbar, demuetige dich! Was
suchst du noch im Staube nach Ehren! Das Loch in der Erde ist dir sicher,
mehr kommt dir nicht zu!"

Das ist hart.

Das bange Vorgefuehl dieser Haerte war's wohl auch, das ihn immer wieder
davon abgehalten hatte, den Weg zurueck zu beschreiten, um nicht eher jene
Illusion zu verlieren, die ihm sooft sieghaft ueber alle Enttaeuschungen des
Lebens hinweghalf, bis sie nicht mehr gebraucht wurde. - -

Lange stand er noch, die Augen auf die glitzernde Wasserflaeche gerichtet,
mit den Gedanken spielend, die ueber ihn gekommen waren - am Grab der
Eltern - unter den Baeumen im Garten, wo er sooft als Junge geklettert war
- dort unten am Ufer, wo er sich mit all den anderen Rostocker Ruepeln nach
Herzenslust gebalgt hatte - mit Hans Joerg und Jochen und Christian Faber,
und wie sie alle hiessen!

Am Ufer der Warnow war ihr Schlachtfeld gewesen. Die merkwuerdigsten
Manoever hatten sie dort unten ausgefuehrt, unsterbliche Heldentaten
verrichtet, Siege erfochten, gegen die Hamilkars und Hannibals das reine
Nichts waren - sie hatten in Blut gewatet, hatten die Leichen haufenweise
uebereinandergetuermt! Und nach beendigter Schlacht waren die Gefallenen
ohne Ausnahme wieder lebendig geworden und zogen am naechsten schulfreien
Nachmittag wieder seelenfroh in den Kampf.

Und der Festungskrieg, der sich dort zwischen den Bretterstapeln
abgespielt hatte, der spottete jedes Vergleichs!

Viele brave und werte Genossen waren ihm in den spaeteren Kaempfen seines
Lebens nahegekommen, aber keiner naeher als die Gespielen, die ihm halfen,
die ganzen ungeheuren Erlebnisse der Kinderphantasie zu gestalten.

Wo die wohl alle geblieben waren?

Ob sie noch lebten - wie sie wohl aussahen, und ob sie sich nicht jetzt
dazu bequemen wuerden, ihn als den Staerkeren anzuerkennen?

Es waren obstinate Racker gewesen, steifnackige Krabaten, ganz wie er
selbst. In den Jugendkaempfen mit ihnen, da hatte er wohl eben das feste
Zupacken geuebt - da hatte sich am Ende der Keim zu den spaeteren Siegen
zuerst entfaltet?

Daher kam es wohl, dass er sooft im wilden Getuemmel grosser Geschehnisse
ploetzlich innehielt und sich beim ernsten Nachdenken ueber die hochwichtige
Frage ertappte: was wohl Hans Joerg zu diesem oder jenem gesagt haette, waere
er jetzt dabeigewesen, und was fuer ein Gesicht der alte Knabe wohl machen
wuerde, wenn er in der Avis die grosse Begebenheit fett gedruckt aufgetischt
bekaeme?

Aber der Hans Joerg war wohl auch so'n dicker, aufgeblasener Spiesser
geworden und hatte wohl ueber der Sorge seines Bauches laengst alles andere
vergessen!

Noch eine Weile blieb Bluecher oben. Er konnte sich nicht vom Blick uebers
Wasser trennen. Es war wohl ein allerletzter Abschied, den er jetzt nahm.

Endlich wandte er sich zum Gehen.

Da kam dort um die Ecke, gerade auf ihn zu, ein altes Maennlein, huestelnd
und sich raeuspernd, blieb vor ihm stehen, zog ehrerbietigst die Muetze,
blickte aus alten, mueden, halberloschenen Aeuglein neugierig zu ihm auf,
verzog sein gefurchtes, braunledernes Gesicht zu einem breiten,
vergnueglichen, aber zugleich verlegenen Laecheln, indes die Zunge hinter
den zahnlosen Lippen muehselig nach Worten suchte.

Endlich brachte er die Frage heraus, lange und wolluestig an jeder Silbe
lutschend:

"Verzeihen," sagte er, "wollen Ihro Hochgeboren nicht uebel aufnehmen, wenn
ich wage, gehorsamst eine Frage zu stellen - aber Sie sind ja woll der
Durchlauchtigste Feldmarschall Fuerst Bluecher selbst _in persona_?"

"Der bin ich!"

"Dachte ich mir auch gleich! Meine Alte las mir naemlich heute frueh vom
hohen Besuch unserer Stadt aus der Avis vor. Und da dachte ich gleich - da
musst du aber 'raus und nachschauen, ob du ihn nicht auch erwischen kannst.
Na, da haette ich ja Glueck gehabt! Nee -", sagte er dann und besah ihn sich
gruendlich von allen Seiten, "was fuer'n hoher und durchlauchtiger Herr aus
so'n ollen Rostocker Jungen wern kann! Das ist ja woll ganz und gar nicht
mehr moeglich! An so'n Mirakel haette wohl keiner von uns damals geglaubt,
als wir uns da unten mang die Bretter 'rumtollten. Aber das sind ja olle
Kamellen! An die denkt so'n hoher Herr ja woll nicht mehr!"

"Was?" rief Bluecher, und starrte den Alten mit unverhohlener Neugier an.
"Wer ist denn - - ja, ist das nur moeglich -? Das ist ja woll -"

"Jaha," meckerte der Alte und nickte vergnuegt, "der Hans Joerg, der bin ich
immer noch -"

"Ja, wahrhaftig! Alter Freund! Das war aber eine rechte Freude! Na, da muss
ich aber wirklich sagen! Eben stand ich hier und dachte an die alten
Zeiten zurueck und wunderte mich, wo ihr wohl alle seid, und was aus euch
geworden sein koennte! - Wo sind denn all die anderen, der Krischan Faber
und Jochen?"

"Die sind all tot! Den Krischan, den haben die Franzosen totgeschossen."

"Na, das haette er denn mit vielen braven Leuten gemeinsam gehabt. Ich war
auch oft nahe dran."

"Na, da hat der Himmel zu unserem Glueck Eure Durchlaucht davor bewahrt!"

"Was?! Wie hast du mich genannt? Willst du wohl?!"

"Durchlaucht, sagte ich -"

"Nenne ich dich Durchlaucht? Wie?!"

"Nee, aber ich kann mir doch nicht erlauben -"

"Wenn du der Hans Joerg bist und du erlaubst dir, mich anders als frueher zu
nennen - nun dann bist du eben nicht der rechte Hans Joerg. Dann fordre ich
dich vor die Pistole!"

"Das waere ja nicht der erste Zweikampf, den wir miteinander ausgefochten
haben!" lachte der Alte. "Erinnerst du dich noch, Gebhard, als wir um die
Wette nach der Boje da draussen hinausschwammen - ja, die schwimmt da noch
- und ich kam zuerst heran."

"I wo!"

"Jawoll, das tat ich. Und das passte dir nun nicht. Da bist du
untergetaucht und hast mich am Bein gepackt und zurueckgezogen, und ich
drehte mich dann um und versetzte dir eine -"

"Zwei hast du dafuer gekriegt."

"Jawoll - zwei - eine Balgerei ging da los, und ich habe dich noch
orntlich gedoppt -"

"Das erinnerst du falsch! So war's nicht - sicher nicht."

"Ob's so war? Dadrauf kannst du Gift nehmen, im Schwimmen, da war ich dir
ueber - da frag' nur all die anderen, die werden's bezeugen! Und zuerst kam
ich doch an die Boje ran - und zuerst war ich am Land -"

"Na - schneid nur nicht auf! - Ich werd' mir wohl denn schon nichts daraus
gemacht haben! Aber, das weiss ich noch bestimmt, im Schwimmen stellte ich
meinen Mann, und mach's heute noch!"

"Na - damals bist du aber unterlegen, Gebhard, und das stimmt. Und dann -
erinnerst du noch, als wir die grosse Schlacht auf dem Teutoburger Wald
schlugen und du der Hermann warst und ich der Varus? Weisst du noch, wie
wir dir alle deine Leute totschlugen und dich dann mit Stricken banden?" -

"Das luegst du!"

"Wahrhaftigen Gottes, das luege ich nicht. Du siegtest sonst immer, und
niedertraechtig hast du uns dann immer behandelt! Und da haben wir uns
schliesslich verschworen und deine Germanen mit Zuckerzeug bestochen -
meine ganze Sparbuechse ging drauf! Sie waren aber gern damit
einverstanden, ihrem Arminius einen Schabernack zu spielen. Das naechste
Mal, als der Kampf losging, da starben sie denn auch richtig wie die
Fliegen von dem Zuckerzeug, kaum dass wir sie angesehen hatten! Und da
dauerte es nicht lange - da hatten wir auch den Arminius bei den
Hammelbeinen und schnuerten sie ihm feste zusammen, daran erinnere ich mich
noch, als waere es gestern!"

"Das erinnerst du falsch, Hans Joerg, und das steck' dir hintern Spiegel!"

"Nun, das werde ich wohl wissen, wo ich dich selbst gebunden habe!"

"Das luegst du!"

"Mit 'nem richtigen Schiemannsknoten knuepfte ich dir deine Apostelpferde
zusammen. Ich hatte meine Mutter ihre Waescheleine zu dem Zweck gestibitzt.
Ich fuehle ja noch die Wichse, die sie mir dafuer gab. Und das sollte ich
mir nicht richtig erinnern?!"

"Nee - das ist nun und nimmermehr wahr!"

"Dass wir dich banden? Nun, so wahr, wie dass ich hier vor dir stehe!"

"Und wenn du doppelt und zehnfach vor mir staendest, so luegst du doch und
luegst doppelt!"

"Ich werde mich wohl von dir einen Luegner schelten lassen!"

"Nun, wenn du einer bist!"

"Selbst bist du einer!"

"Was wagst du!"

"Nun, das fehlte auch noch, dass ich das nicht wagen sollte! Es kann noch
besser kommen! Nimm dich nur in acht! Das waere nicht das erstemal, dass ich
dich auf den Ruecken lege!"

"Nun schweig aber!"

"Schweig selbst!"

"Wenn du jetzt nicht bald still bist -!"

"Denkst wohl, ich fuerchte mich vor dir!"

Hochrot im Gesicht standen die beiden Greise mit erhobenen Haenden und
zornig funkelnden Augen voreinander.

Da besannen sie sich wieder darauf, dass sie nicht mehr die Schulbuben von
Anno dazumal waren, sondern alte, gesetzte Maenner im Staate, und brachen
ploetzlich in ein helles Lachen aus. Sie lachten, dass sie sich auf die Knie
schlugen.

"Wahrhaftig," sagte Bluecher, "in einem Augenblick sind wir um sechzig
Jahre zurueckgekommen und zanken uns hier wie die dummen Jungen, die wir
waren, und tragen unsere unerledigten Streitigkeiten von damals aus. Ich
erinnere mich auch an den Vorfall, als waere er gestern geschehen. Es war
eine Niedertracht von dir, Hans Joerg, und davon gehe ich nicht ab! Aber
erinnerst du noch, wie ich da gebunden lag und ihr mich alle fuehlen
liesset, wie ich euch meistens unter der Fuchtel hatte - erinnerst du, als
ihr um mich tanztet und mich verspottetet, wie ich dann auf einmal frei
unter euch stand und deiner Mutter Waescheleine um eure Ohren sausen liess,
und wie ihr da alle lieft und euch wie die Ratten zwischen die
Bretterstapel verkrocht? Weisst du das noch?"

"Nun ja - du hattest eben die Leine durchgebissen - ich hab's nachher auf
meinem Ruecken ausbaden muessen!"

"Das hat dir nichts geschadet! Aber wenn ich an _den_ Sieg denke und an
den Triumph - nun, Katzbach war schon eine Sache, und Leipzig auch, von
Belle-Alliance und Paris nicht zu reden! Aber der Sieg ueber euch Rostocker
Lausbuben im Teutoburger Wald, hier am Ufer der Warnow - wahrhaftig -,
_das war doch mein schoenster Sieg!_ Und weil er auch der unblutigste war,
muessen wir ihn jetzt ordentlich mit Rebenblut begiessen! Gekneipt haben wir
ja damals noch nicht. Aber den Weg zu mancher guten Pulle Rotspon habe ich
wohl nachher gefunden. Und du schon auch! Komm, Hans Joerg, finden wir den
Weg einmal im Leben auch zusammen!"

Arm in Arm zogen sie dann ab. Bluecher lang und stattlich und Hans Joerg
klein und huestelnd, aber mit fuerstlicher Haltung und mit dem Widerschein
all der Siege seines grossen alten Kampfgenossen in den Augen. So gingen
sie zurueck in die gute alte Zeit, aus der sie gekommen waren, und blieben
da beisammen und liessen die "ernsthaften" Kaempfe dieser Welt sein, was sie
ihnen immer gewesen waren: - Schlacken am Gold ihres Kindergemuets.






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***END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DAS HEILIGE DONNERWETTER. EIN BLUeCHERROMAN***



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May 07, 2012

           Project Gutenberg TEI edition 1
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efforts of hundreds of volunteers and donations from people in all walks
of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the assistance
they need, is critical to reaching Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~}'s goals and ensuring
that the Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} collection will remain freely available for
generations to come. In 2001, the Project Gutenberg Literary Archive
Foundation was created to provide a secure and permanent future for
Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} and future generations. To learn more about the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation and how your efforts and donations
can help, see Sections 3 and 4 and the Foundation web page at
http://www.pglaf.org.


                               Section 3.


  Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation


The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the state of
Mississippi and granted tax exempt status by the Internal Revenue Service.
The Foundation's EIN or federal tax identification number is 64-6221541.
Its 501(c)(3) letter is posted at
http://www.gutenberg.org/fundraising/pglaf. Contributions to the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation are tax deductible to the full
extent permitted by U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr.
S. Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
throughout numerous locations. Its business office is located at 809 North
1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email
[email protected]. Email contact links and up to date contact information
can be found at the Foundation's web site and official page at
http://www.pglaf.org

For additional contact information:


   Dr. Gregory B. Newby
   Chief Executive and Director
   [email protected]


                               Section 4.


 Information about Donations to the Project Gutenberg Literary Archive
                               Foundation


Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} depends upon and cannot survive without wide spread
public support and donations to carry out its mission of increasing the
number of public domain and licensed works that can be freely distributed
in machine readable form accessible by the widest array of equipment
including outdated equipment. Many small donations ($1 to $5,000) are
particularly important to maintaining tax exempt status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United States.
Compliance requirements are not uniform and it takes a considerable
effort, much paperwork and many fees to meet and keep up with these
requirements. We do not solicit donations in locations where we have not
received written confirmation of compliance. To SEND DONATIONS or
determine the status of compliance for any particular state visit
http://www.gutenberg.org/fundraising/donate

While we cannot and do not solicit contributions from states where we have
not met the solicitation requirements, we know of no prohibition against
accepting unsolicited donations from donors in such states who approach us
with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make any
statements concerning tax treatment of donations received from outside the
United States. U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation methods
and addresses. Donations are accepted in a number of other ways including
checks, online payments and credit card donations. To donate, please
visit: http://www.gutenberg.org/fundraising/donate


                               Section 5.


     General Information About Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} electronic works.


Professor Michael S. Hart is the originator of the Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~}
concept of a library of electronic works that could be freely shared with
anyone. For thirty years, he produced and distributed Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~}
eBooks with only a loose network of volunteer support.

Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} eBooks are often created from several printed editions,
all of which are confirmed as Public Domain in the U.S. unless a copyright
notice is included. Thus, we do not necessarily keep eBooks in compliance
with any particular paper edition.

Each eBook is in a subdirectory of the same number as the eBook's eBook
number, often in several formats including plain vanilla ASCII, compressed
(zipped), HTML and others.

Corrected _editions_ of our eBooks replace the old file and take over the
old filename and etext number. The replaced older file is renamed.
_Versions_ based on separate sources are treated as new eBooks receiving
new filenames and etext numbers.

Most people start at our Web site which has the main PG search facility:


   http://www.gutenberg.org


This Web site includes information about Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~}, including how
to make donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation,
how to help produce our new eBooks, and how to subscribe to our email
newsletter to hear about new eBooks.






***FINIS***