| # taz.de -- Als der Arzt zum Dealer wurde | |
| > In den USA sind rezeptpflichtige Opioide zur Einstiegsdroge geworden – | |
| > ein Lagebericht aus Ohio | |
| von Maxime Robin | |
| Es gibt zahlreiche Todesarten, doch in der Leichenhalle von Lorain County | |
| am Rand des Bundesstaats Ohio stehen fünf zur Auswahl: natürlicher Tod, | |
| Tötung, Selbsttötung, Unfall oder ungeklärte Todesursache. Der Drogentod | |
| gilt als Unfall. 132 Drogentote gab es 2016 in Lorain County, vor vier | |
| Jahren waren es noch um die 40 gewesen. | |
| Wenn die Überdosis extrem hoch war, gibt der Gerichtsmediziner Stephen | |
| Evans manchmal auch Selbsttötung als Todesursache an. „Andere Counties | |
| klassifizieren einen Drogentod als Tötung, wenn die Dealer ein mit Fentanyl | |
| verschnittenes Puder verkauft haben. Fentanyl ist ein Schmerzmittel, das | |
| hundertmal stärker ist als Heroin.“ Das bislang älteste Drogenopfer in | |
| Lorain County war 2017 ein 75 Jahre alter Mann, der sich die Spritze mit | |
| seinem Enkel geteilt hatte. | |
| Lorain County (ungefähr 300 000 Einwohner) liegt im Einzugsgebiet von | |
| Cleveland, mit dem Eriesee im Norden und einer stark ländlich geprägten | |
| Gegend im Süden. Als 2012 die Zahl der Drogentoten erstmals stieg, ging die | |
| Polizei zunächst von gepanschten Drogen aus, was die toxikologischen | |
| Untersuchungen aber nicht bestätigten. Es gab einfach nur mehr Leute, die | |
| sich Opioide spritzten, und zwar nicht nur in den Armenvierteln und | |
| schwarzen Ghettos von Cleveland und Cincinnati, sondern auch in den kleinen | |
| Ortschaften der weißen Mittelschicht. | |
| Abgesehen von West Virginia sterben in den USA inzwischen nirgendwo so | |
| viele Menschen an einer Opioidüberdosis wie in Ohio (4000 Tote im Jahr | |
| 2016; 2003 waren es 365). 89 Prozent der Opfer sind Weiße, 10 Prozent sind | |
| Schwarze und Hispanics (16,5 Prozent der Bevölkerung).[1] | |
| Die 500 Polizisten und Sanitäter von Lorain County haben seitdem immer das | |
| „Gegengift“ Narcan dabei. „Wir waren die Pioniere auf dem Gebiet“, erin… | |
| sich Hilfssheriff Dennis Cavanaugh. Er schätzt, dass allein 2013 durch | |
| Narcan, das bei Atemstillstand über die Nase verabreicht wird, 350 Menschen | |
| gerettet werden konnten. In Supermärkten wird das Medikament kostenlos | |
| verteilt, damit notfalls jeder Hilfe leisten kann. | |
| 2016 hat die Drogenkrise ein weiteres Mal zur Verkürzung der | |
| Lebenserwartung in den USA beigetragen.[2]Dort sterben jedes Jahr mehr | |
| Menschen durch Opiumderivate (65 000 Todesopfer) als durch Verkehrsunfälle | |
| (37 000) oder Schusswaffen (39 000). Donald Trump, der im Wahlkampf unter | |
| anderem versprochen hatte, das Drogenproblem der weißen Mittelschicht auf | |
| dem Land zu lösen, rief nach seiner Wahl den „nationalen | |
| Gesundheitsnotstand“ aus. In Lorain County rufen seine Worte nur ein | |
| Achselzucken hervor. | |
| „Der Bundesfonds hat für den Gesundheitsnotstand eine Reserve von 57 000 | |
| Dollar“, seufzt Thomas D. Stuber, Präsident und CEO der privaten | |
| Hilfsorganisation Lorain County Alcohol and Drug Abuses Services, Inc | |
| (LCADA Way), die Rehakliniken für Drogensüchtige betreibt. „Dieses Geld | |
| würde noch nicht einmal für unser County reichen. Und dann für das ganze | |
| Land?“ Er hielte es für besser, wenn, wie bei einem Hurrikan, der | |
| „nationale Notstand“ ausgerufen würde. | |
| Im Januar 2018 gibt es in Lorain County noch nicht einmal eine | |
| Entzugseinrichtung, die diesen Namen verdiente. Um eine zu finden, muss man | |
| schon nach Cleveland oder in die Bundeshauptstadt Columbus fahren. In | |
| Stubers Rehaklinik in Elyria, einer Stadt im nördlichen Ohio, werden die | |
| Drogensüchtigen einmal am Tag versorgt. „Wir geben ihnen Medikamente gegen | |
| die Entzugserscheinungen. Die Symptome verschwinden zwar nicht und der | |
| Patient fühlt sich immer noch schlecht, aber es macht den Zustand | |
| erträglicher. Am zweiten Tag beginnen wir mit der Beratung.“ | |
| Hilfssheriff Dennis Cavanaugh leitet die Drogenfahndung, 15 Polizeibeamte | |
| sind im Einsatz. Seiner Einschätzung nach haben 80 bis 90 Prozent der | |
| Straftaten im County mit Drogenhandel oder Beschaffungskriminalität zu tun. | |
| Seit drei Jahren gibt es in Elyria ein Sondergericht für Drogenabhängige. | |
| An diesem Dienstagmorgen Ende November, einen Tag vor Thanksgiving, sitzen | |
| 30 junge Leute im Gerichtssaal 702. Einmal in der Woche werden sie | |
| vorgeladen. Durch sie bekommt die Drogenkrise, die die mit Superlativen um | |
| sich werfende Presse als die schlimmste in der US-Geschichte bezeichnet, | |
| ein Gesicht: Es ist weiß, kommt aus den städtischen Randgebieten oder vom | |
| Land, hat ein Dach über dem Kopf und lebt in relativ geordneten | |
| Familienstrukturen. | |
| Das aktuelle Phantombild eines Rauschgiftsüchtigen in den USA ist kein | |
| Rock-’n’-Roll-Star und auch kein armer Schwarzer aus Harlem wie in den | |
| 1970er Jahren. Der Tod sucht das vorstädtische und ländliche Amerika heim, | |
| wo alle eine Garage besitzen und manche zwei Autos. Drogenabhängig ist der | |
| Nachbarsjunge, der den Rasen mäht, um sein Taschengeld aufzubessern, oder | |
| die Cheerleaderin der Fußballschulmannschaft. Der Heroinkonsum hat in allen | |
| sozialen Schichten rasant zugenommen, doch in der unteren Mittelschicht mit | |
| Jahreseinkommen zwischen 20 000 und 50 000 Dollar (zwischen 16 000 und 40 | |
| 000 Euro) fiel der Anstieg zwischen 2002 und 2013 mit 77 Prozent besonders | |
| hoch aus.[3] | |
| Einmal in den Fängen der Justiz, wandern die jungen Leute von Lorain County | |
| von der Einrichtung für Drogensüchtige direkt ins Gefängnis. Der Deal, den | |
| ihnen Richter John Miraldi anbietet, ist einfach: Wenn sie aufhören Drogen | |
| zu nehmen, sieht die Justiz von einer Bestrafung ab. Aber die | |
| Opioidabhängigkeit schafft ihre eigene Logik. „Der Konsument kann ohne | |
| seine Dosis buchstäblich nicht mehr funktionieren. Die Entzugserscheinungen | |
| sind sehr heftig“, erklärt Stuber, der seit 38 Jahren in der Drogenhilfe | |
| arbeitet. Er hat schon viele schwangere Frauen gesehen, die den Entzug | |
| abbrechen. „Die Droge übernimmt völlig die Kontrolle über das Individuum, | |
| die Struktur des Gehirns verändert sich.“ Die neuen Drogen sind zudem | |
| härter und stärker als frühere. Um ihrer Macht zu entkommen, sind | |
| übermenschliche Kräfte vonnöten, und „man ist niemals wirklich geheilt“, | |
| sagt der Exjunkie Ed Barrett, der heute das Primary Purpose Center in | |
| Elyria leitet. „Es ist eine lebenslange Abhängigkeit.“ | |
| ## Der Tod sucht die weißenVorstädte heim | |
| Im Gericht stellt sich Richter Miraldi auf seine jungen Zuhörer ein. Er | |
| vermeidet juristische Fachausdrücke und schlägt einen väterlichen Ton an. | |
| „Thanksgiving steht vor der Tür, meine Freunde. Ich weiß, das ist eine | |
| schwierige Zeit. Es kann sein, dass ihr feiert und irgendwelche Angehörigen | |
| von euch trinken oder Drogen nehmen. Das wird hart. Nehmt euch in Acht.“ | |
| Ein Vormund hat die Aufgabe, die jungen Leute bei ihrer Resozialisierung zu | |
| begleiten, vor allem bei der Jobsuche. Die ersten Schritte finden unter | |
| verstärkter Beobachtung statt, mit Urinkontrollen und täglichen Anrufen. | |
| Mal streng, mal verständnisvoll hebt Richter Miraldi die Erfolge der | |
| einzelnen Teilnehmer hervor und droht denen mit der Rückkehr ins Gefängnis, | |
| „die die Vorladungen schwänzen oder ihre Urinproben verdünnen“. | |
| „Ich habe zwei Leute aus dem Programm ausgeschlossen“, erklärt der Richter | |
| seinem Publikum. „Die eine ist schwanger und wäre letzte Woche fast an | |
| einer Überdosis gestorben.“ Die andere sei von einer Gerichtsangestellten | |
| auf einem Parkplatz im Stadtzentrum beinahe überfahren worden. „Sie hat | |
| sich tagelang Drogen gespritzt und sich praktisch vor das Auto geworfen. | |
| Jetzt sitzt sie erst mal für sechs Monate im Gefängnis.“ Danach bittet John | |
| Miraldi jede Teilnehmerin unter dem Applaus der anderen zu sich nach vorn. | |
| Jeder bekommt zur Belohnung ein „Diplom“ überreicht. „Meghan ist seit 31 | |
| Tagen clean. Sie ist jetzt in Phase zwei des Programms und hat eine | |
| Unterkunft gefunden. Bravo!“ Verlegen oder verschmitzt lächelnd treten die | |
| jungen Leute nacheinander nach vorn. Der Entzug ist eine Gratwanderung: Die | |
| Lokalpresse berichtete, dass sich im vergangenen Juni eine Teilnehmerin | |
| während der Sitzung eine Überdosis gespritzt hat. | |
| Mindestens 100 Tage lang, so sieht es das Programm vor, darf man nicht | |
| allein gelassen werden und muss seine Gewohnheiten vollständig ändern, | |
| „einen Strich unter sein früheres Leben machen und die früheren Freunde | |
| aufgeben“, erklärt Meghan Kaple, die junge Frau, die seit 31 Tagen clean | |
| ist. Damals hat sie sich freiwillig von der Polizei festnehmen lassen, | |
| „fertig vom Stoff, fertig mit allem“. Sie lebt heute in einer Einrichtung | |
| für Frauen, wo sie im Unterschied zu ihrem früheren Drogenalltag ein | |
| strenges Reglement befolgen muss: „Früh aufstehen, Yoga, Gruppentherapie. | |
| Telefonverbot.“ Vor elf Jahren geriet sie in die Drogenspirale, nachdem ihr | |
| Hausarzt ihr Analgetika gegen Rückenschmerzen verschrieben hatte. | |
| Die meisten Drogensüchtigen kommen wie Meghan Kaple nicht über Spritzen mit | |
| Opiaten in Berührung, sondern durch Medikamente, die ihnen ein Arzt | |
| verschrieben hat. „Nur sehr wenige Drogensüchtige fangen gleich mit Heroin | |
| an“, bestätigt Thomas Stuber. In den Drogenkrisen der 1970er und 1990er | |
| Jahre waren 80 Prozent der Konsumenten harter Drogen männlich. In der | |
| aktuellen Krise beginnt die Sucht mit einem Besuch beim Hausarzt, Zahnarzt | |
| oder bei einem Sportmediziner. „Wir behandeln viele Frauen, die auf der | |
| Highschool oder an der Universität Sport getrieben haben.“ | |
| Die Büchse der Pandora hatten vor 20 Jahren ein paar Pharmafirmen geöffnet, | |
| darunter vor allem Purdue Pharma mit seiner Superpille OxyContin, die | |
| Experten einhellig für die Katastrophe verantwortlich machen (siehe | |
| nebenstehender Kasten). Das Schmerzmittel gehört in die Gruppe der | |
| stärksten Opioidanalgetika (Stufe III) und besteht aus dem synthetischen | |
| Opiumderivat Oxycodone. Es war ursprünglich für sterbende Krebspatienten | |
| und schlimme postoperative Schmerzen entwickelt worden. | |
| 1995 startete Purdue Pharma eine aggressive Lobbykampagne. Der Schmerz | |
| wurde, unabhängig von seiner Intensität, zum neuen Feind des medizinischen | |
| Körpers erklärt. Von Purdue Pharma finanzierte Studien empfahlen den | |
| Ärzten, den Schmerz – neben Puls, Körpertemperatur, Blutdruck und Atmung – | |
| als „fünftes Vitalzeichen“ zu betrachten. Im Mai 1996 gab die US-Behörde | |
| für Lebens- und Arzneimittel (US Food and Drug Administration, FDA) grünes | |
| Licht für das Analgetikum OxyContin. | |
| Purdue Pharma entsandte daraufhin mehr als 700 Vertreter, die in Kliniken | |
| und Arztpraxen für das Medikament warben. Es wurden Videos, Broschüren und | |
| Lieder veröffentlicht, die das Wundermittel priesen, und es gab 34 000 | |
| Gutscheine für kostenlose Verschreibungen. 1996 hatte Purdue Pharma mit dem | |
| Verkauf von OxyContin 45 Millionen Dollar eingenommen. Vier Jahre später | |
| waren die Einnahmen auf 1 Milliarde Dollar gestiegen und übertrafen die von | |
| Viagra. | |
| Doktor Evans war Notarzt, bevor er Rechtsmediziner wurde. „Als ich Anfang | |
| der 1980er Jahre von der Uni kam, hätte man in der ambulanten Behandlung | |
| niemals so starke Analgetika wie OxyContin gegen Schmerzen verabreicht. | |
| Ende der 1990er Jahre begann man schon nach dem Ziehen eines Weisheitszahns | |
| oder bei einem verstauchten Knöchel Narkotika zu verschreiben. Schon bei | |
| leichten Schmerzen galt die Einnahme einer OxyContin oder einer Percocet | |
| als gerechtfertigt.“ Und es dauerte nicht lange, dass die Patienten diese | |
| Hammermittel auch gut vertrugen. | |
| Doktor Evans erzählt von Zeiten, als die Leute mit jedem „kleinen | |
| Wehwehchen“ in die Notaufnahme stürmten und die Pillen verlangten, als | |
| wären es Bonbons. „Wenn wir ihnen keine Percocet verschrieben, drohten sie, | |
| uns anzuzeigen. Sie täuschten vor, krank zu sein. Manche haben sich für die | |
| Tabletten sogar die Venen aufgeschnitten.“ | |
| Die Anweisungen von Behörden, die Ansprüche der Patienten und die Kliniken, | |
| die sich um die „Kundenzufriedenheit“ bemühen sollten: „Der Druck kam von | |
| allen Seiten.“ Dr. Evans, der damals massenhaft Opioide verschrieb, zählt | |
| heute die Toten. Seit 1999 sind 200 000 US-Amerikaner an einer Überdosis | |
| OxyContin und anderer Medikamente gestorben. | |
| Im Lauf der 2000er Jahre verbreitete sich OxyContin auch in Ohio. In | |
| einigen von Fabrikschließungen gebeutelten Gemeinden trug der Handel mit | |
| den Analgetika zur Wiederbelebung verödeter Stadtzentren bei. Tricksereien | |
| mit der Sozialhilfe wurden gang und gäbe. Arme Menschen mit | |
| Krankenversicherung deckten sich in großzügigen Krankenhäusern, sogenannten | |
| Pill Mills (Pillenmühlen), kostenlos mit Tabletten ein, verkauften sie dann | |
| schwarz weiter und bereicherten nebenbei die beteiligten Ärzte mit dem Geld | |
| der Steuerzahler. In mehreren Städten im Südwesten Ohios, wie etwa | |
| Portsmouth, wurde „Oxy“ zur gebräuchlichen Tauschwährung: Für eine Table… | |
| konnte man vom Nachbarn alles Mögliche bekommen.[4] | |
| 2012 verordneten die Ärzte von Ohio 793 Millionen Dosen, das sind 68 | |
| Tabletten pro Einwohner.[5]Purdue Pharma soll wie ein Kartell vorgegangen | |
| sein, um potenziell empfängliche Regionen zu ermitteln, in denen die | |
| Arbeitslosigkeit, die Armut und die Zahl der Arbeitsunfälle am höchsten | |
| waren. Während viele ehrliche Ärzte das Medikament verschrieben, ohne von | |
| seinem Suchtpotenzial zu wissen, hat das Unternehmen, wie interne Dokumente | |
| belegen, aktiv Krankenhäuser und Kliniken gefördert, deren alleiniger Zweck | |
| darin bestand, OxyContin in Umlauf zu bringen.[6] | |
| Die staatlichen Stellen reagierten nur zögerlich. Bis die Regierung das | |
| Problem erkannte und den Kampf gegen Gefälligkeitsdiagnosen aufnahm, waren | |
| bereits viele Bürger, die nicht mehr an ihre gewohnten Tabletten | |
| herankamen, dazu übergangen, ihre Sucht auf der Straße zu stillen. „Eine | |
| Percocet kostet auf dem Schwarzmarkt 50 Dollar. Ein Tütchen Heroin 5 oder | |
| 10 Dollar. Billiger als ein Sixpack Bier“, sagt Evans. „So wurde eine ganze | |
| Bevölkerung zum Heroin bekehrt.“ | |
| ## Die Pharmalobby pries ihrneues Schmerzmittel an | |
| Die Entwicklung vom Medikamentenkonsum hin zum Konsum von Heroin hat sich | |
| schleichend vollzogen. Die mexikanischen Heroindealer, die oft aus dem | |
| Bundesstaat Jalisco stammen und sich mit dem Mohnanbau auskennen, | |
| beherrschen den riesigen ländlichen Markt. Sie haben ihre Verkaufsmethoden | |
| modernisiert und agieren wesentlich diskreter als die Dealer in den | |
| Großstädten. Trotz der großen Konkurrenz im Heroingeschäft – die den | |
| niedrigen Preis der Droge erklärt – greifen die Dealer auf dem Land kaum zu | |
| Schusswaffen, um ihre Rechnungen zu begleichen oder ihr Territorium zu | |
| verteidigen. | |
| Das Puder wird per SMS bestellt und von den Verkäufern mit dem Auto | |
| geliefert. Das Konzept der „Kundenzufriedenheit“ ist auch den Dealern | |
| wichtig, sie verteilen Visitenkarten und Treuepunkte. „Ganz am Anfang musst | |
| du dich vielleicht an irgendwelche dubiosen Orte trauen. Aber sobald du die | |
| Verbindungen hast und ein guter Kunde bist, ist es wie Pizzabestellen“, | |
| erzählt Ed Barrett. Wenn der Konsument einen Entzug versucht und sich nicht | |
| mehr meldet, bedrängt ihn der Dealer per Telefon oder klingelt bei ihm zu | |
| Hause, um ihm Drogen anzubieten. | |
| Seit OxyContin auf dem Markt ist, überlagern sich die Drogenwellen wie die | |
| Sedimente am Ufer des Eriesees. Zu den rezeptpflichtigen Pillen wie | |
| OxyContin sind mittlerweile andere erschreckend starke, synthetische | |
| Substanzen hinzugekommen. Die Behörden sind heillos überfordert, und die | |
| Bevölkerung ist ratlos und reagiert auf zweierlei Weise. „Die eine Hälfte | |
| ist von der Sucht eines Angehörigen direkt betroffen“, erklärt Thomas | |
| Stuber. „Sie begreift, dass Abhängigkeit eine Krankheit ist, und will, dass | |
| eine Lösung gefunden wird. Die andere Hälfte findet, dass es für die | |
| Drogensüchtigen keine Entschuldigung gibt. Solange sie nicht ihren eigenen | |
| Sohn auf dem Fußboden seines Zimmers liegen gesehen haben, denken sie, das | |
| ist nicht ihr Problem.“ | |
| Bei Präventionsveranstaltungen auf dem Land kommt es immer wieder vor, dass | |
| jemand aus dem Publikum den Experten auf dem Podium zuruft, die Dealer | |
| müssten mit dem Tod bestraft werden. „Aber der Deal beginnt mit dem | |
| Hausarzt oder dem Medizinschränkchen der Eltern“, erklärt Doktor Evans. | |
| „Bei 90 Prozent unserer Kinder beginnt die Spirale mit einem Medikament von | |
| Mama oder Papa. Du bist 15, deine Freunde übernachten bei dir, und ihr | |
| klaut eine Percocet. Soll man dafür Mama und Papa erschießen?“ | |
| 1↑ „Opioid overdose death by race/ethnicity“, The Henry J. Kaiser Family | |
| Foundation, Menlo Park (California), www.kff.org. | |
| 2↑ Die Lebenserwartung in den USA ist zwischen 2014 und 2016 von 78 Jahren | |
| und 9 Monaten um 2 Monate gesunken, siehe „Soaring overdose deaths cut US | |
| life expectancy for a second consecutive year, CDC says“, Los Angeles | |
| Times,20. Dezember 2017. | |
| 3↑ „Today’s Heroin Epidemic Infographics“, Centers for Disease Control … | |
| Prevention, Atlanta, www.cdc.gov. | |
| 4↑ Sam Quinones, „Dreamland: The True Tale of America’s Opiate Epidemic�… | |
| London/New York (Bloomsbury Press) 2015. | |
| 5↑ „Opioides prescribed to Ohio patients decrease by 162 million doses | |
| since 2012“, Board of Pharmacy, State of Ohio, 25. Januar 2017. | |
| 6↑ Harriet Ryan, Lisa Girion und Scott Glover, „More than 1 million | |
| OxyContin pills ended up in the hands of criminals and addicts. What the | |
| drugmaker knew“, Los Angeles Times,10. Juli 2016. | |
| Aus dem Französischen von Uta Rüenauver | |
| Maxime Robin ist Journalist. | |
| 8 Feb 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Maxime Robin | |
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