Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Gut geschmiert ist viel gewonnen
> Vorläufige Bilanz der Ermittlungen gegen den brasilianischen
> Industriegiganten Odebrecht
Bild: Assunta-Waldburg, The Gateway, 2012, 40 x 60 cm
von Anne Vigna
Gut gelaunt wie immer trat Emílio Odebrecht, Expräsident des größten
brasilianischen Industriekonzerns,[1]im Dezember 2016 vor den
Staatsanwälten auf, die wegen umfangreicher Korruptionsvorwürfe gegen ihn
ermitteln. Die „Operação Lava Jato“ („Operation Autowaschanlage“, da …
mit einer einfachen Geldwäsche-Ermittlung an einer Autowaschanlage begann)
hält das Land schon seit drei Jahren in Atem.
Man hätte also eine angespannte Atmosphäre erwarten können, denn Odebrecht
und 76 weiteren Führungskräften seines Konzerns wird vorgeworfen, jahrelang
Bestechungsgelder verteilt zu haben. Damit wollte man sich
milliardenschwere und überteuerte Bauaufträge sichern, besonders des
halbstaatlichen Ölkonzerns Petrobras. Doch der Exboss lächelte und scherzte
sogar, als er „umfassende Kooperation“ anbot: Im Gegenzug für sein
Schuldgeständnis muss er nicht ins Gefängnis.
Die Zeugenaussage wurde gefilmt und das Video veröffentlicht. Darin
versichert Odebrecht, man habe schon immer Schmiergeld zahlen müssen, um an
Bauaufträge heranzukommen, in Brasilien genauso wie im Ausland. „Das läuft
schon seit 30 Jahren so. Die ganze Presse wusste Bescheid. Warum gerade
jetzt diese Enthüllungen?“ – „Irgendwann ist es eben so weit“, antwort…
ihm ein Richter, der nicht ins Bild kommt. Da schlägt der Exfirmenchef mit
der Faust auf den Tisch und erklärt: „Sehr gut. Sie als junge Staatsanwälte
werden die ganze Unterstützung unserer Organisation bekommen. Angefangen
bei mir selbst.“
Im Dezember 2016 wurde vor einem New Yorker Bundesgericht ein Vergleich
zwischen brasilianischen, US-amerikanischen und Schweizer Justizbehörden
geschlossen. Odebrecht soll zwischen 2001 und 2016 Bestechungsgelder in
Höhe von 780 Millionen Dollar gezahlt haben. Die Strafe bemaß sich nach den
Gewinnen, die der Konzern dank der gut gefüllten Briefumschläge erzielt
hatte: 3,36 Milliarden Dollar; ein halbes Jahr später wurde diese Summe auf
2,6 Milliarden Dollar korrigiert. Doch erst im April 2017 erfuhr man, wem,
wie und warum Odebrecht diese Geschenke gemacht hatte.
Nachdem die Familie Odebrecht lange alles abgestritten hatte, packte sie
schließlich aus, um die Freilassung des 48-jährigen Marcelo zu erwirken.
Der Sohn Emílios und letzte Präsident des Konzerns war zu 19 Jahren Haft
verurteilt worden. Noch deutlicher wurde das Bild nach der Verhaftung einer
Sekretärin, die elf Jahre in der „Schmiergeldabteilung“ des Konzerns
gearbeitet hatte. Bei der Operation entdeckte die Polizei eine Liste mit
Decknamen, daneben stand jeweils eine ansehnliche Summe. Daraufhin legten
plötzlich 77 Manager ein Geständnis ab. „Die Organisation“ war offenbar
nicht immer der Inbegriff der „unternehmerischen Tugend“ gewesen, die die
Firmensprecher gern im Munde führten.
„Moralische Größe ist die Basis für materiellen Reichtum“, erklärte
Norberto Odebrecht, der Gründer des Familienunternehmens und Vater von
Emílio; die drei stattlichen Bände seiner „Philosophie“ bekommen alle
Mitarbeiter zu lesen. Eine gute Führungspersönlichkeit sollte, so meint der
große Mann, „ein vorbildliches Leben führen“, das ganz der Firma und „d…
Dienst am Kunden“ gewidmet ist. „Heute kann man Norbertos Werke ganz neu
lesen“, spöttelt Malu Gaspar, Journalistin bei der
MonatszeitschriftPiaui.„Wenn er behauptete, alle Bedürfnisse des Kunden
befriedigen zu wollen, hatte er bestimmt auch die Schmiergelder im Sinn.“
Der Konzern war wohl nicht nur dank der „Odebrecht’schen
Unternehmenskultur“ zu einem Riesen herangewachsen, sondern weil er es
geschafft hatte, ein ausgeklügeltes Korruptionssystem zu etablieren. Unter
Marcelos Geschäftsführung wurde dieses System perfektioniert.
Der letzte Chef der Schmiergeldabteilung, Hilberto Mascarenhas, erläuterte
den Richtern, wie die Sache mit den Parallelzahlungen funktionierte. Sie
erfolgten über rund 40 Bankkonten, die größtenteils in Steueroasen angelegt
waren, außerdem durch einfache Geldkuriere. „Marcelo hat mich 2006 gebeten,
die Abteilung umzustrukturieren. Ihm war klar, dass wir die illegalen
Zahlungen erhöhen mussten, wenn das Unternehmen wachsen sollte“, erklärte
der ehemalige leitende Angestellte.
## Eine ganz spezielle Wachstumsstrategie
Ab 2006 wurden alle entsprechenden Zahlungen über eine eigens programmierte
Software abgewickelt. Um mögliche Kontrollen zu überlisten, wurden die
Zahlungen über Tochterfirmen im Ausland getätigt. Die Beträge liefen
anschließend über Steueroasen (Panama, die Jungferninseln und insbesondere
den Inselstaat Antigua und Barbuda in der Karibik), aber auch über Banken
in Großbritannien, den USA, in Österreich, Monaco und der Schweiz. Von dort
aus wurde das Geld auf Konten transferiert, deren Verwalter zwar für
Odebrecht arbeiteten, aber nicht beim Konzern angestellt waren. Am Ende
landete es, diesmal mithilfe von Geldwechselfirmen, in Brasilien.
Ein weiteres Datensystem, dessen Server in der Schweiz stand, war allein
für den Austausch von Nachrichten und E-Mails zwischen den Geldhändlern und
der Vertriebsabteilung von Odebrecht eingerichtet worden. Auch hier trugen
alle Vermittler Decknamen; ihre wahre Identität kannten nur die
Abteilungsleiter.
Das System war so komplex, dass die Ermittler es ohne die
Kronzeugenregelung vermutlich nie hätten aufdecken können. Die Summen lagen
deutlich höher als vom New Yorker Bundesgericht angenommen. Laut
Mascarenhas sollen zwischen 2006 und 2014 insgesamt 3,3 Milliarden Dollar
Bestechungsgelder und geheime Zuwendungen an Parteien[2]– nicht nur
brasilianische – geflossen sein.
„Ich habe Marcelo mehrfach wegen dieser astronomischen Summen gewarnt. Das
war mittlerweile geradezu selbstmörderisch, aber seine Antwort lautete
stets: weitermachen“, berichtete Mascarenhas im Rahmen seiner „belohnten
Kooperation“. Zwei Kurven schnellten schon bald in die Höhe: die der
Schmiergelder und die der an Land gezogenen Aufträge. Nachdem die
Parallelzahlungen 2006 noch 60 Millionen Dollar betragen hatte, kletterten
sie 2013 auf 730 Millionen, während sich der Umsatz von 11,3 auf 41,4
Milliarden Dollar fast vervierfachte.
Neben Marcelo Odebrecht spielte Cláudio Melo Filho eine Schlüsselrolle.
Seit 2004 war er offiziell zuständig für „institutionelle Beziehungen“. Er
kümmerte sich um die Bestechung von Parlamentariern, damit sie für
Maßnahmen stimmten – oder sogar Gesetzesvorlagen einbrachten –, die für d…
Konzern von Vorteil waren. Die konservative Partei der Brasilianischen
Demokratischen Bewegung (PMDB) des amtierenden Präsidenten Michel Temer war
der größte Empfänger dieser Zuwendungen. Unter den PMDB-Senatoren fanden
sich, wie Melo Filho berichtet, „sowohl die Parlamentarier, die den
Interessen der Firma am treuesten ergeben waren“, als auch diejenigen, „die
die höchsten Zuwendungen verlangten“. Die Parlamentarier waren käuflich,
aber dankbar: 2012 ehrten sie Cláudio Melo Filho mit der parlamentarischen
Verdienstmedaille.
Alles in allem verrieten die von der Justiz befragten Odebrecht-Manager 415
Mandatsträger aus 26 (von 35) Parteien, in 21 (von 26) Bundesstaaten,
darunter die letzten fünf PräsidentInnen Brasiliens: José Sarney, Fernando
Collor de Mello, Fernando Henrique Cardoso, Luiz Inácio Lula da Silva und
Dilma Rousseff.
Auch der amtierende Präsident Michel Temer wird in den Aussagen mehrfach
erwähnt, aber er darf laut Verfassung für Handlungen, die vor seiner
Amtszeit liegen, nicht angeklagt werden. Acht Minister seines Kabinetts
sowie seine beiden engsten Berater stehen auf der Liste. Zudem fielen die
Namen der Präsidenten des Senats und der Abgeordnetenkammer, von 28
Senatoren, 48 Abgeordneten und 12 Gouverneuren. Im Laufe seiner Vernehmung
gab Marcelo Odebrecht an, der Partei der Arbeiter (PT) zwischen 2008 und
2015 umgerechnet 100 Millionen Euro, zusätzlich zu den offiziellen
Wahlkampfspenden, überwiesen zu haben.
„Die Expräsidenten Lula und Dilma wussten von unserer Unterstützung, aber
sie haben nie direkt Geld verlangt“, erklärte er. „Amigo“ – so soll Lu…
Deckname auf den Kontoauszügen von Odebrecht gelautet haben. Der „Freund“
mag sich nicht persönlich bereichert haben, profitiert hat er wohl
trotzdem: Es gab Zuwendungen für sein Institut und seine Vorträge sowie für
die Renovierung eines Landhauses, das ihm nicht gehörte, das er aber
nutzte. Lula selbst bestreitet die Vorwürfe.[3]
## Unterschlagungen in mindestens zwölf Ländern
Aécio Neves, der glücklose Kandidat der Partei der Brasilianischen
Sozialdemokratie (PSDB) bei der letzten Präsidentschaftswahl, soll 50
Millionen Euro für seinen Wahlkampf erhalten haben, während seine Partei im
Bundesstaat São Paulo Schmiergelder verlangte: 2 Prozent von der
Auftragssumme für die Metrolinie 2, außerdem 4 Millionen Euro für den
Wahlkampf von Gouverneur Geraldo Alckmin in den Jahren 2010 und 2014. Die
PMDB strich ihrerseits Bestechungsgelder im Senat ein, in dem sie die
stärkste Partei war, „eine Tatsache, die Michel Temer bekannt war“,
versichert Melo Filho. In Rio de Janeiro finanzierte die regierende PMDB
ihre Wahlkampagnen über den Bau von Sportstätten für die Olympischen Spiele
2016.
Die Justiz muss nun zwischen denjenigen unterscheiden, die
Bestechungsgelder annahmen, um sich persönliche Vorteile zu verschaffen
(wie der ehemalige Parlamentspräsident Eduardo Cunha, der Bankkonten in der
Schweiz besaß), und denen, die wie Antonio Palocci im Auftrag ihrer Partei
gehandelt haben. Letzterer war von 2003 bis 2006 Finanzminister. Der für
den Mammutprozess zuständige Bundesrichter Sérgio Moro verurteilte Palocci
zu 12 Jahren Haft, weil er für die schwarzen Kassen der PT (Partei der
Arbeiter) verantwortlich gewesen sein soll, was der Betroffene bestreitet.
Am 1. Juni 2017 gaben dann Odebrecht-Manager in mindestens 12 Ländern
Unterschlagungen zu. Betroffen waren Venezuela, die Dominikanische
Republik, Panama, Peru, Argentinien, Ecuador, Guatemala, Mexiko, Kolumbien,
Angola, Mosambik – und Frankreich. Bereits 2008 hatten Frankreichs
Präsident Nicolas Sarkozy und Lula da Silva einen Vertrag über den Verkauf
von Technologie für den Bau von Atom-U-Booten unterzeichnet. Beteiligt sein
sollten sowohl Odebrecht als auch die französische Firma Direction des
constructions navales (DCNS); im Mai 2017 reiste eine Abordnung der
französischen Staatsanwaltschaft nach Brasília.
Im Gegenzug für seine Kooperation hofft der Skandalkonzern, weiter
Geschäfte machen zu können. Schließlich scheint es in einigen Ländern mit
der Unabhängigkeit der Justiz nicht weit her zu sein. So muss Perus (links
stehender) Expräsident Ollanta Humala, wie im Juli angeordnet, für 18
Monate in U-Haft, obwohl die größten Odebrecht-Bauvorhaben in die
Amtszeiten der konservativen Präsidenten Alan García und Alberto Fujimori
fielen, die aber beide nicht behelligt wurden. Der Exchef von
Odebrecht-Peru ist, wie er selbst zugegeben hat, mit García befreundet – in
seinem Geständnis erwähnt er den Politiker nie.
Und warum ließ die brasilianische Justiz am 31. Juli die Aussagen des Chefs
von Odebrecht-Venezuela an die Tageszeitung O Globo durchsickern? Das
Unternehmen soll den Wahlkampf von Präsident Nicolás Maduro mit 35
Millionen Dollar und den seines Kontrahenten Henrique Capriles mit 15
Millionen Dollar finanziert haben.
Die Odebrecht-Gruppe legt Wert darauf, dass die Enthüllungen geheim
bleiben, da es sonst schwierig für sie wird, an neue Aufträge
heranzukommen. Seit drei Jahren hat Petrobras 23 brasilianischen
Unternehmen, gegen die Ermittlungsverfahren laufen, darunter auch
Odebrecht, verboten, sich an Ausschreibungen zu beteiligen. Außerdem
untersucht das Transparenzministerium derzeit noch, wer bei Odebrecht
eigentlich die juristische Verantwortung trägt. Solange die Untersuchung
läuft, bekommt Odebrecht keinen neuen öffentlichen Auftrag. Nun droht
angeblich die Pleite. Der Konzern hat in drei Jahren 100 000 Mitarbeiter
entlassen. Ende 2016 hatte er nur noch 80 000 Beschäftigte; sein
Auftragsbuch schrumpfte zusammen, mehrere Geschäftszweige mussten verkauft
werden, um Schulden abzubauen.
Für Bruno Brandão von der Organisation Transparency International Brasilien
ist Odebrecht unhaltbar. Er kennt das Argument, dass
Korruptionsermittlungen die Wirtschaft schwächen. Dabei müsste Brasilien
gestärkt aus dieser Krise hervorgehen. Dass Brasilien nach wie vor eines
der Länder mit der größten Ungleichheit ist, liegt Brandão zufolge „an der
unguten Nähe zwischen den wirtschaftlichen und politischen Eliten und am
ständigen Austausch von Gefälligkeiten, wie ihn die Odebrecht-Manager
beschreiben“.
1↑ Der Konzern ist in den Bereichen Hoch- und Tiefbau, Wasserwirtschaft,
Agrarindustrie, Immobilien, Rüstung, Transport und Logistik,
Versicherungswesen, Umwelt sowie Petrochemie tätig.
2↑ Siehe Lamia Oualalou, „Parlamentarismus auf brasilianisch“, Le Monde
diplomatique,November 2015.
3↑ Im Juli 2017 verurteilte der Richter Moro den ehemaligen Präsidenten zu
neuneinhalb Jahren Haft wegen Korruption. Er hielt es für erwiesen, dass
Lula eine Wohnung als Geschenk angenommen hatte, die die Baufirma OAS – die
nichts mit Odebrecht zu tun hat – für ihn renoviert hatte. Der Vorwurf
stützt sich ausschließlich auf „belohnte Kooperation“ von OAS-Mitarbeiter…
Aus dem Französischen von Regine Schmidt
Anne Vigna ist Journalistin in Rio de Janeiro.
7 Sep 2017
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.