Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Wirtschaft: TFA im Doppelpack
> Die Bad Wimpfener Firma Solvay verklappt seit Jahren TFA, eine besonders
> aggressive PFAS-Chemikalie, in den Neckar. Von der Politik ist das
> genehmigt. Bei Mannheim und Heidelberg führt das zu Problemen mit dem
> Trinkwasser, Quellen und Gewässer um Bad Wimpfen sind belastet. Plötzlich
> herrscht Alarmstimmung in den Amtsstuben. Und nicht nur dort.
Bild: Kommt das TFA auch aus der Luft? Auf den Höhen um Bad Wimpfen laufen Mes…
Von Gunter Haug
Es tut sich allmählich was in Sachen Ewigkeitschemikalie TFA, dem
Fluorchemieproduzenten Solvay und dessen seit Jahren in Bad Wimpfen
praktizierte Wasservergiftung. Endlich, nachdem sich – ausgelöst durch die
Berichterstattung in Kontext – auch mehr und mehr überregionale Medien für
den Skandal um die behördlich erlaubte Einleitung des
fortpflanzungstoxischen Stoffes in den Neckar zu interessieren beginnen.
Und sogar im Regierungspräsidium Stuttgart, das die Einleitung der giftigen
Stoffe genehmigt hat, sowie im übergeordneten baden-württembergischen
Umweltministerium scheint sich ganz allmählich die Erkenntnis
durchzusetzen, dass man die Dinge nicht einfach wie bisher vorgesehen
weiterlaufen lassen kann: Die Firma, die Fluorprodukte für die
Autoindustrie, für Pestizide und die Pharmaindustrie herstellt, hat ganz
offiziell bis Ende 2044 die Erlaubnis zur Einleitung von 24 Kilogramm TFA
in den Neckar, und das jeden Tag. Fragt sich nur, wer sich nun zuerst aus
der Deckung wagt. Schließlich geht es einerseits zwar um den Umweltschutz –
und der war bekanntlich ja mal ein grünes Kernthema.
Aber andererseits dräut am Horizont bedrohlich die Landtagswahl. Und da
sieht es bislang in Sachen Wahlerfolg gar nicht gut aus für Kretschmanns
Erben. Was also tun? Sich jetzt plötzlich mutig mit der einflussreichen
Lobby der chemischen Industrie in den Clinch begeben, um damit („Wir haben
es ja schon immer gesagt“) wieder mal als tendenziell wirtschaftsfeindliche
Verbotspartei an den Pranger gestellt zu werden? Sich also kurz vor
Torschluss doch noch auf seine grünen Fundamente zurückbesinnen und das
tun, wofür ein Großteil ihrer Anhänger die Grünen einst gewählt hat:
Nämlich Politik so zu gestalten, dass auch die nachfolgenden Generationen
noch eine lebenswerte Umwelt vorfinden?
## Zu Wasser, zu Lande und in der Luft
Seit Monaten sucht man mehr oder minder fieberhaft nach der Quelle des neu
entdeckten Übels. Wie kann es sein, dass die Gewässerverseuchung schon
oberhalb des Werkgeländes von Solvay nachzuweisen ist? Wie kommt dieses TFA
denn den Berg hoch? Bislang gibt es keine Antwort darauf, dafür aber seit
Kurzem einen neuen Verdacht: die Abgasreiniger des Fluorchemieproduzenten.
Die sollen ja eigentlich, wie schon der Name sagt, die Abluft möglichst
sauber in den Himmel über Bad Wimpfen blasen, aber so ganz und gar klinisch
rein scheint das nicht zu funktionieren. Und so wurde Solvay vom
Regierungspräsidium im Rahmen der Verwaltungsvorschrift „Technische
Anleitung zur Reinhaltung der Luft“ (TA Luft) die Genehmigung erteilt, 20
Milligramm TFA pro Kubikmeter aus den Rohren zu blasen, von bis zu 200
Kilogramm im Jahr ist da die Rede. Notiz am Rande: Das Ganze wird seit 2024
so praktiziert, obwohl die neue TA Luft, in der TFA in die
Gefährdungsklasse 1 hochgestuft wurde, bereits seit 2021 in Kraft ist.
Also nicht nur unten in den Neckar rein, sondern auch oben aus dem
Schornstein raus. TFA im Doppelpack. Kann es folglich sein, dass die
Abgaswäscher die Ursache der Bad Wimpfener Quellenverseuchung darstellen?
Gut möglich, aber noch nicht bewiesen. Zu diesem Zweck sind deshalb nun auf
den Höhen um Bad Wimpfen sogenannte Depositionsmessungen angelaufen, mit
denen das Regenwasser aufgefangen und beprobt wird, ob die Menge des aus
dem Himmel rieselnden TFA womöglich des Rätsels Lösung darstellt.
Die Einwohner:innen von Bad Wimpfen haben davon nichts erfahren, denn die
Beprobungsstellen werden vom Regierungspräsidium „zur Vorbeugung gegen
Manipulation“ geheim gehalten – und sind aber dennoch kinderleicht zu
finden.
Erste Ergebnisse seien, bekundet die Behörde, freilich erst in einigen
Monaten zu erwarten. In der Zwischenzeit emittiert Solvay, zum wachsenden
Verdruss vieler Bürger:innen in der Region, weiterhin ordentlich TFA in die
Umwelt.
## Wirklich nix zu machen?
„Man kann da halt leider nichts machen“, klagt der im Umweltministerium
zuständige Staatssekretär Andre Baumann auf entsprechende Vorhaltungen, die
Emissionen endlich zu verbieten. Er würde ja gerne wollen, aber ihm seien
die Hände gebunden, da es nach wie vor keinen gesetzlichen Grenzwert für
die Einleitung von TFA in Gewässer gebe. „Was soll ich also tun? Geben Sie
mir eine gesetzliche Handhabe!“
Doch immerhin eine klitzekleine Anmerkung lässt aufhorchen: Die Genehmigung
einer Einleitung von acht Tonnen TFA pro Jahr bis 31.12.2044 sei nicht
unbedingt in Stein gemeißelt. Denn dann, wenn eventuell in zwei Jahren auch
bei der EU die neuen Erkenntnisse über die Toxizität von TFA vorlägen (die
es freilich schon längst gibt) und endlich ein verbindlicher Grenzwert
eingeführt werde, dann könne man reagieren. Bis dahin, leider, niente.
Dabei gäbe es durchaus juristische Hebel, die man auf europäischer Ebene in
Bewegung setzen könnte – so man denn den Mut dazu aufbringt. Laut
Europäischem Gerichtshof (EUGH) ist es nämlich möglich, den vorsorgenden
Umweltschutz anzuwenden, wenn neueste wissenschaftliche Erkenntnisse zur
Toxizität eines Stoffes vorliegen. Wer‘s nicht glauben mag, schaue sich die
EUGH-Rechtssachen C 308/22, C 309/22 und C 310/22 im Hinblick auf Pestizide
genauer an. Damit können nationale Behörden nach genauer Analyse ihre
eigenen Bewertungen vornehmen und Verbote erteilen. Und was im Hinblick auf
die gesundheitsgefährlichen Pestizide gilt, müsste auch auf die
Fluorchemikalien anwendbar sein, da bei dieser Stoffgruppe am Ende oftmals
dieselben hochproblematischen Abbauprodukte (TFA) zu finden sind. Das wäre
natürlich ein mutiger Schritt gegen die finanzstarke Chemielobby. Zumindest
einer, den man mal versuchen könnte.
Allerdings hätten Argumente gegen die Macht der Großindustrie kaum eine
Chance, ist sich einer der profiliertesten TFA-Experten, Professor Michael
Müller vom Lehrstuhl für Pharmazeutische und medizinische Chemie an der
Universität Freiburg, sicher: „Solange die Politik der Chemielobby mehr
glaubt als der Wissenschaft, solange stehen wir auf verlorenem Posten.
Siehe beispielsweise den Koalitionsvertrag zwischen CDU und SPD, in dem es
dezidiert heißt, dass ein Verbot von PFAS nicht in infrage kommt.“ Spiel,
Satz und Sieg im Match zwischen Chemischer Industrie und Umwelt.
## Das Zeug bleibt uns ewig
Was im Hinblick auf TFA eine besonders bittere Note enthält: Denn TFA, das
kleinste und fieseste Molekül der PFAS Gruppe schlüpft überall durch und
man kann es weder mit Aktivkohle, noch durch Verbrennen wieder einfangen.
„Egal, wie hoch die Temperaturen sind“, sagt Pharmakologe Müller. „Und w…
es in der Umwelt ist, bleibt es ewig, mindestens 50.000 Jahre lang. Sie
kriegen das Zeug nicht mehr los, auch nicht durch noch so hohe
Temperaturen. Es gibt keinerlei technische Möglichkeit, TFA unschädlich zu
machen. Wer etwas anderes sagt, ist bestenfalls naiv, schlimmstenfalls
verfolgt er wirtschaftliche Interessen.“
Jahr für Jahr regnet es mittlerweile 80 Tonnen TFA auf uns herab, allein in
Deutschland. Und die Spitze der Bugwelle ist noch längst nicht erreicht.
Denn TFA ist inzwischen überall: nicht nur im Wasser, sondern auch im
Getreide, Wein, und infolgedessen längst auch im menschlichen Körper, in
dem es sich immer weiter anreichert. Seit mindestens 20 Jahren ist das so.
Was bei in diesem Jahr geborenen Kindern im Laufe ihres Lebens zu
exorbitant höheren Konzentrationen des Giftes in ihrem Körper führen wird,
als bei heutigen Erwachsenen. Und bei der Erforschung der
Gesundheitsgefahren ist man erst ganz am Anfang.
Angesichts solcher Szenarien hat die Deutschen Umwelthilfe (DUH) nun eine
Klage gegen das Regierungspräsidium Stuttgart angedroht. „Die zuständigen
deutschen Bundesbehörden haben die Chemikalie jüngst als
‚fortpflanzungsgefährdend, sehr persistent und sehr mobil‘ bewertet“,
schreibt die Organisation in der dazugehörigen Pressemitteilung. Und auch
der BUND-Landesverband Baden-Württemberg erwägt eine solche Klage, nachdem
er jahrelang vergeblich gefordert hatte, Solvay die Genehmigung für die
Verklappung der acht Tonnen TFA in den Neckar zu verbieten.
## Der Blick in den Abgrund
Aber was kann eine solche Klageandrohung wie die der DUH auf das
Einleitungsverbot in den Neckar bewirken? „Bestenfalls nichts“, meint
Professor Müller, „Schlimmstenfalls das genaue Gegenteil. Denn man macht
sich damit nur zum nützlichen Idioten für die Chemielobby, indem man vom
eigentlichen Kern des Problems ablenkt und uns nur auf die Einleitung ins
Wasser starren lässt, die selbstverständlich unbedingt verboten werden
muss. Aber diese einseitige Fixierung nur auf das Abfallwasser verschleiert
den Blick nach oben. In den Himmel über Bad Wimpfen.“ Und selbst das greift
nach Meinung des Experten noch viel zu kurz, denn es könne längst nicht
mehr nur um ein Verbot von TFA gehen, sondern unbedingt um ein generelles
Verbot aller PFAS-Verbindungen.
Denn TFA ist ein Abbaustoff vieler der über 10.000 PFAS-Chemikalien, den
zunächst noch gar niemand auf der Rechnung hatte. Das erklärt auch, weshalb
die TFA-Belastung in Deutschland von Jahr zu Jahr steigt. Bis hin zu den 80
Tonnen, die auf uns jährlich herunterregnen. Von dieser Warte aus
betrachtet, sind die acht Tonnen, die Solvay jährlich in den Neckar
schütten darf, zwar eine Riesenumweltsauerei, aber letztendlich eben doch
nur „Peanuts“, eine Prozentzahl hinter dem Komma. Was genauso erschreckend
wie eindeutig aufzeigt, welch gigantische Größenordnung das Problem mit
dieser Ewigkeitschemikalie mittlerweile angenommen hat. Mit anderen Worten:
Wir schauen bereits in den Abgrund. Dagegen hilft kein politisches
Taktieren mehr, sondern nur ein rasches, mutiges Vorgehen. Ungefähr wie
damals, bei den Protesten gegen die Atomkraft. Als sich daraus eine völlig
neue politische Kraft herausgebildet hat. Aber das ist lange her.
13 Sep 2025
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.