| # taz.de -- Weltmusikfestival in Rudolstadt: Das Symbol der guten Absicht | |
| > In Rudolstadt startet am Freitag das größte deutsche Weltmusikfestival. | |
| > Die Kleinstadt war im April bekannt geworden, weil eine indischstämmige | |
| > Pfarrfamilie geflohen war. | |
| Bild: Konzept des Weltmusik-Festivals: "Wir leben Vielfalt vor, als Verheißung… | |
| Vor einigen Wochen wurde bekannt, dass die Familie des Pfarrers Reiner | |
| Andreas Neuschäfer bereits im September Rudolstadt verlassen hat, weil sie | |
| den dort erlebten Alltagsrassismus nicht mehr aushielt. Seine Frau Miriam, | |
| der man die indische Mutter ansieht, war mehrfach auf offener Straße | |
| angespuckt worden, berichtete der Pfarrer. Hinter ihrem Rücken sei über | |
| Zwangssterilisierung getuschelt worden. Der Sohn Jannik habe sogar | |
| versucht, seine etwas dunklere Haut hell zu schrubben, weil es in der | |
| Schule hieß, er schmiere sich mit Scheiße ein (taz vom 12. 4. 2008). | |
| Die Bürger Rudolstadts waren empört, doch weniger über die Vorfälle und | |
| ihre Wirkung auf die Pfarrersfamilie. Sie sahen sich vielmehr zu Unrecht | |
| kollektiv an den Pranger gestellt. | |
| Gut, dass es da ein Symbol gibt, das die guten Absichten der Saalestadt zu | |
| beweisen scheint - das Tanz- und Folkfest (TFF). Es ist das größte und | |
| wichtigste Weltmusikfestival in Deutschland und beginnt am kommenden | |
| Freitag. Rund 60.000 Besucher werden in der Saalestadt erwartet. Als im | |
| April die Wogen der Rassismusvorwürfe am höchsten schlugen, wurde die | |
| Existenz des Festivals rasch zum Argument. "Rudolstadt ist weltoffen", | |
| sagte der parteilose Bürgermeister Jörg Reichl, "das Tanz- und Folkfest ist | |
| gelebte Fremdenfreundlichkeit." | |
| Tatsächlich ist das Programm des TFF imposant. Auf mehr als zwanzig Bühnen | |
| zwischen Heidecksburg und Heinepark finden parallel Konzerte statt. Es | |
| kommen Künstler wie Bonnie Prince Billy aus den USA, die Madagascar All | |
| Stars oder die schwedische Sängerin Gunnel Mauritzson. Schwerpunkt ist in | |
| diesem Jahr Musik aus Israel. | |
| Doch die musikalische Multikultiszene reagierte auf die Nachricht von der | |
| geflohenen Pfarrersfamilie mit Empörung. Es gab viele böse Mails bis hin zu | |
| Boykottdrohungen für das Festival. "Das Tanz- und Folkfest ist der Buß- und | |
| Bettag für ein Jahr des Wegschauens, des Hinnehmens oder gar des | |
| Mitmachens", schrieb im April Luigi Lauer, Redakteur des Szenemagazins | |
| Folker. Pfarrer Neuschäfer sagte jetzt zur taz: "Ich habe das Festival | |
| immer als Fassade empfunden, einige Tage war heile Welt und dann kam die | |
| alte Intoleranz wieder zum Vorschein." | |
| Dass dieses Festival gerade in Rudolstadt stattfindet, ist ein historischer | |
| Zufall. Vor der Wende gab es dort das "Tanzfest der DDR" mit | |
| trachtenseligen Bühnendarbietungen. Ab 1991 übernahmen Folkmusiker aus | |
| Leipzig, verstärkt durch Westkollegen, das Kommando und machten das biedere | |
| Fest zu einem Weltmusikfestival mit europäischer Bedeutung. | |
| Die Macher des Festivals weisen nun alle Versuche zurück, das TFF als | |
| Staffage oder Kampfmittel zu instrumentalisieren. "Wir wollen einfach nur | |
| drei Tage lang die Welt in die Provinz tragen", sagt TFF-Medienmann Wolfram | |
| Böhme. Letztlich spreche das Konzept doch für sich: "Wir leben Vielfalt | |
| vor, als Verheißung und Genuss." Und das erreiche nicht nur die | |
| Zugereisten. "Immer mehr Konzertbesucher kommen auch aus Rudolstadt und dem | |
| Landkreis", so Böhme. | |
| Dass es beim Festival aber keine Manifestationen gegen Alltagsrassismus | |
| gibt, hat wohl auch persönliche Gründe. Viele Verantwortliche und Helfer | |
| des Festivals, wie Kulturdezernentin Petra Rottschalk (SPD), waren einst | |
| mit Neuschäfers gut bekannt. Nun sind in den Rudolstädter | |
| Intellektuellenzirkeln einige persönlich verletzt, weil der Pfarrer über | |
| mangelnde Unterstützung für seine Familie klagt. Im Gegenzug wird | |
| Neuschäfer vorgeworfen, dass er in persönlichen Gesprächen den erlebten | |
| Rassismus kaum oder gar nicht thematisiert habe. "Wir hätten doch sofort | |
| geholfen", heißt es bei den einstigen Freunden. Wie will man von außen | |
| entscheiden, wer Recht hat? Pfarrer Neuschäfer gibt sich inzwischen | |
| jedenfalls milde. "Ich bin mit der angestoßenen Entwicklung in Rudolstadt | |
| sehr zufrieden." Bürgermeister Reichl hat das Gespräch mit ihm gesucht, | |
| einen runden Tisch gegen Fremdenfeindlichkeit eingerichtet und im | |
| TFF-Programmheft ruft er zu "Courage gegen Rassismus und Rechtsextremismus" | |
| auf. | |
| Samstagabend gibt es im Hof von Neuschäfers Rudolstädter Wohnhaus eine | |
| Balkan- und Gypsy-Party mit der Band Taxi Sandanski. Wie seit Jahren stellt | |
| die Hausgemeinschaft dem Festival eine kleine lauschige Bühne zur | |
| Verfügung. Doch der Pfarrer wird das erste Wochenende lieber bei seiner | |
| Familie verbringen, die jetzt im Rheinland lebt. | |
| CHRISTIAN RATH | |
| 1 Jul 2008 | |
| ## AUTOREN | |
| Christian Rath | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA |