| # taz.de -- Urteil zum Esra-Roman: "Zu eindeutig, zu provokativ" | |
| > Mit seinem Roman "Esra" hat Maxim Biller Grenzen überschritten, sagt | |
| > Verlagsjurist Rainer Dresen. Und sagt, was Biller hätte anders machen | |
| > können. | |
| Bild: Sieht im Urteil auch einen Fortschritt für die Kunstfreiheit: Rainer Dre… | |
| taz: Herr Dresen, müssen Schriftsteller nach dem "Esra"-Beschluss des | |
| Bundesverfassungsgerichts künftig vorsichtiger sein als bisher? | |
| Rainer Dresen: Nein. Karlsruhe hat die bisherige Linie der Rechtsprechung | |
| bestätigt. Da wurde nichts verschärft. | |
| Sie haben mit diesem Urteil also gerechnet? | |
| Dass die Intimsphäre konkreter Personen in der Abwägung höher gewichtet | |
| wird als die Kunstfreiheit, das hat mich überhaupt nicht überrascht. Im | |
| Ergebnis haben das ja auch alle vier mit dem Fall befassten Instanzen so | |
| gesehen: das Landgericht München, das Oberlandesgericht, der | |
| Bundesgerichtshof und jetzt auch das Bundesverfassungsgericht. Das zeigt | |
| doch, dass man den Fall eigentlich kaum anders entscheiden konnte. | |
| Drei von acht Verfassungsrichtern hätten die Kunstfreiheit höher gewichtet. | |
| Die Haltung "Wenn das Kunst ist, dann darf Kunst alles" hat sich zu recht | |
| nicht durchgesetzt. Immerhin wird der Schutz der Intimsphäre aus der | |
| Menschenwürde abgeleitet - und das ist der höchste Wert des Grundgesetzes. | |
| Hätte der Verlag Kiepenheuer & Witsch auf die Verfassungsbeschwerde | |
| verzichten sollen? | |
| Ich finde es natürlich gut, wenn sich ein Verlag derart massiv vor seinen | |
| Autor stellt. Aber das Buch "Esra" war vielleicht nicht der beste Anlass. | |
| Zu eindeutig und zu provokativ hat der Autor Maxim Biller hier Grenzen | |
| überschritten. Er hat diese Überschreitung ja auch im Buch mehrfach | |
| thematisiert. So sagt etwa Esra sinngemäß zum Ich-Erzähler Adam, sie wolle | |
| ihm nicht ihre Brüste zeigen, um später dann zu lesen, sie habe ihm die | |
| Brüste gezeigt. | |
| Alle reden nur über Sex, aber auch die beschriebene Krankheit des Kindes | |
| hat im Prozess eine wichtige Rolle gespielt. | |
| Ja, das war die zweite eindeutige Grenzüberschreitung. Es kann nicht sein, | |
| dass ein klar erkennbares Kind möglicherweise erst aus einem Buch erfährt, | |
| dass es eine tödliche Krankheit hat. | |
| Zu welcher Verfremdung der Figur Esra hätten Sie als Verlagsjurist dem | |
| Autor geraten? | |
| Sie hätte so verfremdet werden müssen, dass sie auch für ihr engstes Umfeld | |
| nicht mehr eindeutig als die Exfreundin des Autors erkennbar ist. Man hätte | |
| die realen Straßennamen weglassen können, sie hätte Iranerin statt Türkin | |
| sein können, und dass sie mal den Bundesfilmpreis gewonnen hat, wäre wohl | |
| besser nicht erwähnt worden. So viele türkische Bundesfilmpreisträgerinnen | |
| aus München-Schwabing gibt es nun doch nicht. Den Grundcharakter der | |
| Geschichte hätten solche Verfremdungen nicht verändert. Dem Leser ist es | |
| doch egal, in welcher Straße die Protagonistin wohnt. | |
| Wie lange sind Sie als Verlagsjurist mit einem Buch beschäftigt? | |
| In schwierigen Fällen ein bis zwei Wochen. Aber ich lese nicht alle Romane | |
| unseres Hauses vorab, meist nur, wenn der Autor darauf hinweist, dass es | |
| Probleme geben könnte. Viel hängt ja auch von der persönlichen | |
| Konstellation der Beteiligten ab. So muss man vorsichtiger sein, wenn der | |
| Autor mit Personen, die sich wiedererkennen könnten, zerstritten ist. | |
| Wer trägt das Prozessrisiko, der Autor oder der Verlag? | |
| In unseren Autorenverträge haben wir eine Klausel, die den Autor | |
| verpflichtet, den Verlag auf mögliche Probleme mit Persönlichkeitsrechten | |
| hinzuweisen. Wenn er das macht, ist es Aufgabe des Verlags, in Absprache | |
| mit dem Autor eine vertretbare Lösung zu finden. Falls es trotzdem zu | |
| Rechtsstreitigkeiten kommt, trägt der Verlag das Risiko. | |
| Versuchen Sie als Verlagsjurist, alle Risiken auszuschließen? | |
| Nein, ein Buch das völlig geglättet ist, interessiert die Leser ja auch | |
| nicht. Deshalb nehmen wir als Verlag gewisse Risiken in Kauf. Angestellte | |
| Verlagsjustiziare sind dabei risikofreudiger als externe Anwälte, die | |
| selbst das Haftungsrisiko tragen. | |
| Verändert das "Esra"-Urteil nicht doch das Klima in den Verlagen? | |
| Das mag sein, auch weil die Berichterstattung so aufgeregt war. Dabei wird | |
| allerdings übersehen, dass das Verfassungsgericht die Rechtslage teilweise | |
| sogar liberalisiert hat. Wenn sich jemand in einer Romanfigur einfach nur | |
| zu negativ porträtiert sieht, dann kann dies künftig nicht mehr als | |
| Verletzung des Persönlichkeitsrechts beanstandet werden. Die Richter haben | |
| betont - und das ist neu -, dass es bei Romanfiguren eine Vermutung dafür | |
| gibt, dass die Handlung erfunden ist. | |
| Was galt bisher? | |
| Bei Klägern, die nicht Personen der Zeitgeschichte sind, pochten die | |
| Gerichte bisher auf das Recht am eigenen Lebensbild. | |
| Damit konnten also selbst wohlwollende Darstellungen unterbunden werden, | |
| wenn konkrete Personen sich in einzelnen Romanfiguren wiedererkannten? | |
| Ja. Und jetzt sollen sogar eindeutig negative Darstellungen möglich sein - | |
| solange die Intimsphäre der erkennbaren Person respektiert wird und keine | |
| ehrenrührigen falschen Tatsachenbehauptungen enthalten sind. Das ist doch | |
| ein deutlicher Fortschritt für die Kunstfreiheit. | |
| INTERVIEW: CHRISTIAN RATH | |
| 16 Oct 2007 | |
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