| # taz.de -- Taiwans Küche bietet Überraschungen: Schlangengalle und Seegurken… | |
| > Glibbrige Seegurken, Stinky Tofu, Giftschlangen, Sargbrot und | |
| > Schweineblutpudding: Ein Streifzug durch Taipehs verführerische | |
| > Nachtmärkte. | |
| Bild: Buntes Nachtleben in den Straßen von Taipeh. | |
| Wenn Din-Fu Hung (62) einen Drink mixt, dann bleiben die Passanten in der | |
| Snake Alley stehen. Nicht, weil der Typ vom Huaxi-Touristennachtmarkt so | |
| aussieht wie die chinesische Ausgabe von Tommy Lee Jones. Auch nicht, weil | |
| ihm ein paar Finger fehlen, was ja eigentlich eher ungewöhnlich ist für | |
| einen Barkeeper in der Millionenmetropole Taipeh oder anderswo. Sondern | |
| weil dieser Mann organische Special Cocktails mixt wie kein Zweiter in ganz | |
| Taiwan, und das obendrein werbewirksam per Mikrofon kommentiert. | |
| Als Erstes greift Din-Fu beherzt in einen engmaschigen Stahlkorb und | |
| zaubert eine dunkelbraun-gefleckte Schlange ans Licht. Gut einen Meter ist | |
| diese asiatische Bumbusotter lang, und es gibt kein Entrinnen: Der | |
| Schlangenmann hält sie mit eiserner Hand. Dann fuchtelt er mit dem | |
| züngelnden Reptil knapp vor unseren Gesichtern herum. Auge in Auge. | |
| Längst hat das Publikum eine Mischung aus Neugier und Schauder ergriffen. | |
| Besonders die Kinder schauen wie gebannt. Dann geht alles sehr schnell, | |
| einem Peitschenhieb gleich schleudert Din-Fu die Giftotter kopfüber auf den | |
| Boden. | |
| Ein Raunen geht durch die Menge, Mitleid ist nicht dabei. Das Verhältnis | |
| Mensch und Nutztier, Fressen und Gefressenwerden, ist in Taiwan klar | |
| definiert. Im nächsten Augenblick hängt der Kopf der Schlange in einer | |
| Schlinge, und Din-Fu macht sich mit einer kleinen Schere vorsichtig über | |
| ihre Eingeweide her, durchtrennt die Bauchschlagader und lässt sie stilvoll | |
| in eine gläserne Karaffe ausbluten. | |
| Nun folgt das Beste, der grüne Gallensaft. Sieht aus wie Waldmeisterbrause, | |
| schmeckt vermutlich etwas herber. Ob ich denn nicht probieren wolle, mit | |
| Wasser gestreckt vielleicht? Beide Essenzen seien äußerst gesund und seit | |
| Menschengedenken fester Bestandteil der Traditionellen Chinesischen | |
| Medizin. | |
| Nein, ich möchte nicht, so viel Naturalismus ist mir einfach eine Spur zu | |
| viel. Doch lieber das Fleisch? Gegrillt, gebraten oder gekocht in einer | |
| klaren Brühe? Später gern, ja. Ich gebe vor, verabredet zu sein. Dann | |
| erwarte er mich später. | |
| Mir steht der Sinn nach gewöhnlicherer Kost. Nirgends in Taipeh soll die | |
| Auswahl größer sein als auf dem Shilin Night Market. „Das Essen ist der | |
| Himmel des Lebens“, sagt ein altes chinesisches Sprichwort. Dann muss | |
| Shilin mitten im Himmel liegen. Hier wird die Nacht zum Tag, Hunderte | |
| Garküchen wetteifern um die Gunst von Abertausenden verwöhnten Gaumen. | |
| Allein die Auswahl an Nudelgerichten überfordert mich. Vegetarisch oder | |
| doch mit Fisch? Aber welcher? Barrakuda, Milchfisch, Blauer Marlin, Tuna, | |
| Gefleckter Zackenbarsch, Talipia-Buntbarsch, Flussbarsch, Karpfen, | |
| gegrillte Sepien oder doch lieber mit Krabben? Herzhaft gewürzter Rogen der | |
| Meeräsche? Oder feinstes Sashimi von fangfrischem Schwertfisch? Oder etwas | |
| Veganes aus dem Wasser? Frischer Seegrassalat klingt interessant. Oder eine | |
| Algensuppe? | |
| Ich nehme einen glitschigen Seegurkensalat. Der ist überraschenderweise | |
| viel bissfester als erwartet, schmeckt dafür aber sehr gesund, sprich | |
| geschmacksneutral. Danach ein bisschen Seetangsuppe, schon besser. Als | |
| nächsten Gang bestelle ich Sargbrot und bekomme Bohnenkraut und Curryhuhn | |
| in ausgehöhltem Teig in Sargform. | |
| Obwohl schon halbwegs satt, möchte ich unbedingt ein sehr beliebtes und | |
| überaus preiswertes Alltagsgericht probieren: Omelette mit Austern und | |
| Kohl. Die Schalentiere werden bis zu ihrer Zubereitung lebend in Aquarien | |
| gehalten, genau wie kleinere Fische oder Krabben. Generell gilt, wenn | |
| irgend möglich, werden Tiere erst direkt vor dem Verzehr getötet. | |
| Man muss schon ein richtiger Naturbursche oder waschechter Asiat sein, um | |
| die halbwegs flüssigen Austern zwischen den Eiern zu mögen. Das Gleiche | |
| gilt für das Nationalgericht Chou Doufu, besser als Stinky Tofu bekannt. | |
| Harzer Roller ist nix dagegen. | |
| Die fermentierte Bohnenpaste stinkt bestialisch – schmeckt hingegen | |
| überraschend gut. Kurz bevor ich platze, probiere ich noch schnell den | |
| populären Schweineblutpudding am Stiel. Ziemlich markant. Ach nein, dann | |
| doch lieber Klebereisbällchen mit süßer Bohnenpaste. Sind die lecker! | |
| Zu guter Letzt gönne ich mir noch einen Oolong-Tee. Ein Hochgenuss, ein | |
| Gedicht! Erst jetzt verstehe ich, warum die edelsten Oolongs aus dem | |
| Hochland von Alishan mehrere tausend Euro das Kilo kosten. | |
| ## Nur noch zwei Schlangenrestaurants | |
| Din-Fu, der Schlangenmann, begrüßt mich herzlich, als ich zurückkomme. Er | |
| habe mir schon ein klares Süppchen mit Bambusotter beiseitegestellt. Zwei | |
| Seelen kämpfen ach in meiner Brust: Neugier und Ekel. Dabei sehen die | |
| gehäuteten weißen Fleischstückchen mit etwas Fantasie sogar appetitlich | |
| aus. | |
| Seit 1968 betreibt Din-Fue seine „Forschungsstelle für Asiatische | |
| Schlangen“. So heißt sein Spezialitätenrestaurant ins Deutsche übersetzt. | |
| Doch die Zeiten stehen schlecht. In der gesamten Snake Alley haben nur zwei | |
| Schlangenrestaurants überlebt. | |
| „Die jungen Leute von heute möchten keine Schlangen mehr essen“, resümiert | |
| Din-Fu, „das gilt als altmodisch. Früher war Schlange ein weit verbreitetes | |
| Arme-Leute-Gericht.“ | |
| Kobra, Viper und Co. stehen als Synonym für eine entbehrungsreiche | |
| Vergangenheit. Der Schlangenmann hatte die Zeichen der Zeit erkannt und | |
| sich auf die sich wandelnde Klientel eingestellt, hat aus der profanen | |
| Essenszubereitung ein touristisches Happening gemacht. | |
| ## „Snake of Seven Steps“ | |
| Er ist eine lebende Legende, der Einzige, der seine Reptilien noch selbst | |
| fängt und im eigenen Restaurant vor seinen Gästen zubereitet. Die | |
| Bambusotter schmeckt wie eine Mischung aus Huhn und Kaninchen. Das Fleisch | |
| ist fest, dabei nicht zäh, bio und obendrein Slowfood. Was will man mehr? | |
| Ungefähr 40.000-mal war Din-Fu schneller als seine Beute. Dreimal nicht. | |
| Beim ersten Biss war er schon 20 Jahre im Geschäft. Das ihn gerade eine | |
| Chinesische Nasenotter erwischte, war einfach Pech. Der Volksmund nennt sie | |
| auch „Snake of Seven Steps“. | |
| Man könne also noch genau sieben Schritte laufen, bevor man tot umfällt. | |
| Sich selbst den linken Zeigefinger abzuhacken kostete selbst Din-Fu | |
| Überwindung. Beim zweiten und dritten Mal ging es schon viel einfacher. | |
| Die fehlenden Finger machen es ihm heute nicht gerade leichter, Nachwuchs | |
| für das Geschäft zu finden. Wenn er geht, stirbt auch ein Stück Kultur in | |
| Taiwan. | |
| 10 Dec 2011 | |
| ## AUTOREN | |
| Marc Vorsatz | |
| ## TAGS | |
| Kenia | |
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