| # taz.de -- Schulplatzmangel für Geflüchtete: Viel zu lange Ferien | |
| > Neue Schulplätze für geflüchtete Kinder entstehen immer langsamer. In den | |
| > Notunterkünften steigt derweil die Verweildauer – ohne Schulangebot. | |
| Bild: Große Solidarität: Viele Schulen haben Willkommensklassen eingerichtet … | |
| Berlin taz | Die Tür zu Raum 209 im zweiten Stock des ehemaligen | |
| Schulgebäudes in Schöneberg ist nur leicht angelehnt. Konzentriertes | |
| Stimmengemurmel auf Englisch und Ukrainisch dringt auf den Flur. Drinnen | |
| wiederholt eine Schüler*innengruppe englische Zeitformen. Andere | |
| blicken auf die Tafel: Algebra, die Variablen x und y wollen berechnet | |
| werden. | |
| Der Anschein schulischer Normalität trügt: Der [1][Verein „Schöneberg | |
| hilft“] hat hier, unweit des S-Bahnhofs Südkreuz, bereits [2][kurz nach | |
| Kriegsbeginn am 24. Februar 2022] ehrenamtlich Lerngruppen für ukrainische | |
| Kinder und Jugendliche eingerichtet – weil reguläre Schulplätze in der | |
| Stadt Mangelware sind. Einen geregelten Schulalltag gibt es für viele | |
| geflüchtete Kinder erst Wochen oder Monate nach der Registrierung in | |
| Berlin. | |
| Man verstehe sich deshalb als „Brücke“, als „Nothilfe“, sagt | |
| Schöneberg-hilft-Mitgründer Hans-Jürgen Kuhn. 30 Kinder, aufgeteilt in | |
| mehrere Lerngruppen, lernen hier an drei Tagen pro Woche – nach | |
| ukrainischem Lehrplan. Die sechs Lehrerinnen sind selbst aus der Ukraine | |
| geflüchtet. Computer und Materialien hat der Verein über Spenden beschafft, | |
| teils auch über Fördermittel von Stiftungen. Es gebe immer mehr Kinder auf | |
| der Warteliste, als sie Plätze anbieten könnten, sagt Kuhn. | |
| Tatsächlich wissen die bezirklichen Schulämter kaum noch, wo sie | |
| geflüchtete Kinder unterbringen sollen. Die Bildungsverwaltung verweist | |
| zwar auf 7.373 ukrainische Kinder, für die man seit Kriegsbeginn einen | |
| Schulplatz gefunden habe. Allerdings: Das Tempo, mit dem neue Lerngruppen | |
| geschaffen werden können, stagniert. Ab Ende Januar kamen innerhalb von | |
| vier Wochen nur Plätze für 123 Kinder dazu, wie eine taz-Anfrage ergeben | |
| hat – berlinweit. | |
| „Derzeit sind die Schulplätze in den Willkommensklassen ausgeschöpft und es | |
| wird eine Warteliste geführt“, teilt der Schulstadtrat von | |
| Tempelhof-Schöneberg, Tobias Dollase (parteilos, für CDU) mit. 77 | |
| Grundschulplätze und 112 Oberschulplätze fehlen Dollase. Etwa die Hälfte | |
| der Kinder auf der Warteliste seien ukrainische Staatsbürger*innen. | |
| ## Zu kleine Unterrichtsräume | |
| Wie groß die Raumnot ist, zeigt sich auch daran, dass die Schulen die | |
| maximale Gruppenstärke von 15 Kindern mitunter gar nicht voll ausschöpfen | |
| können, „weil die Räume der Lerngruppen zu klein für eine Erhöhung der | |
| Kapazitäten sind“, wie Dollase schreibt. | |
| [3][Mittes Schulstadträtin Maja Lasić] (SPD) berichtet von 34 | |
| Schüler*innen auf der Warteliste, davon sieben ukrainische Kinder im | |
| Grundschulalter. Für die jüngeren Schüler*innen sei es besonders | |
| herausfordernd, einen Schulplatz zu finden, weil die Wege nicht zu weit | |
| werden dürfen. Lasić lagert in Mitte inzwischen auch einzelne Lerngruppen | |
| an die Volkshochschule aus, weil es dort noch Raumkapazitäten gibt. | |
| Aus Reinickendorf heißt es hingegen, das sei keine Option. Aber das | |
| Schulamt könne „in der Regel innerhalb von 2 bis 3 Wochen“ einen Platz | |
| vermitteln. Schulstadtrat Harald Muschner „(CDU) findet das „sehr zügig“. | |
| Die Schulen richteten „laufend neue Willkommensklassen in den Grund- und | |
| Oberschulen“ ein. | |
| Hans-Jürgen Kuhn von „Schöneberg hilft“ plädiert dennoch dafür, auch die | |
| Räumlichkeiten freier Träger etwa aus der Jugendhilfe verstärkt für | |
| Lerngruppen zu nutzen: „Ich bekomme von vielen Einrichtungen die | |
| Rückmeldung: Bei uns stehen vormittags die Räume leer.“ Er schätzt, dass | |
| man allein in Schöneberg dadurch schnell Raum für „20 Lerngruppen zu | |
| jeweils 10 bis 12 Kindern“ schaffen könne. | |
| Kuhn vermisst Unterstützung für seine Ideen aus der Bildungsverwaltung. Es | |
| gebe die „Doktrin, dass Integration nur über die Regelschule möglich sei“, | |
| glaubt er. Dabei sei es ja auch ein „psychosoziales Entlastungsmoment“, | |
| wenn den Kindern zumindest vormittags ein bisschen Normalität geboten | |
| werden könne. Und wieso nicht weitermachen im ukrainischen Lehrplan – | |
| während man auf den Platz in der Willkommensklasse zum Deutschlernen warte? | |
| „Man darf das nicht gegeneinander ausspielen“, sagt Kuhn. | |
| ## Nadelöhr Unterbringung | |
| Weil die Stiftungsmittel Ende Februar auslaufen, hat er über das Programm | |
| „Fit für die Schule“ Geld für Lerngruppen beantragt. Das Programm läuft | |
| über die Deutsche Kinder- und Jugenstiftung, gefördert von der | |
| Bildungsverwaltung. Kuhn hofft das Angebot in Schöneberg auf täglichen | |
| Betrieb ausweiten und auch Deutschgruppen anbieten zu können. Laut Kuhn | |
| gibt es dafür noch keine Finanzierungszusage. | |
| Die Bildungsverwaltung widerspricht auf taz-Anfrage: Die Fortsetzung der | |
| bereits bestehenden Lerngruppen sei „gesicher“, so ein Sprecher. „Eine | |
| Ausweitung der Anzahl der Gruppen ist geplant.“ | |
| Ein riesiges Nadelöhr für die Schulplatzsuche ist allerdings auch die | |
| schwierige Unterbringungssituation. Ein Sprecher des Landesamts für | |
| Flüchtlingsangelegenheiten, kurz LAF, sagt: „Zurzeit kann es auch mal 2 bis | |
| 3 Monate dauern, bis wir eine adäquate Unterkunft gefunden haben. [4][Die | |
| Kapazitäten in den Gemeinschaftseinrichtungen sind weiterhin knapp].“ Ein | |
| Sprecher der Integrationsverwaltung spricht von „im Durchschnitt um die 40 | |
| Tage“ Wartezeit für Familien, „im Einzelfall kann es schneller gehen“. | |
| Erst wenn die Kinder aus den großen Notunterkünften in Tegel – für die | |
| ukrainischen Geflüchteten – sowie Reinickendorf und Tempelhof in den | |
| Gemeinschaftsunterkünften in den Bezirken untergebracht werden, werden sie | |
| überhaupt als schulpflichtig im jeweils zuständigen Schulamt gemeldet. Bis | |
| dahin passiert sehr oft: nichts. Hans-Jürgen Kuhn sagt, es brauche | |
| Angebote, quasi Pop-up-Schools, direkt in den großen Notunterkünften. Die | |
| Bildungsverwaltung äußert sich auf Anfrage nicht dazu, ob man diese | |
| Notwendigkeit ebenfalls erkennt. | |
| 25 Feb 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Versorgung-von-Gefluechteten/!5900601 | |
| [2] /-Nachrichten-im-Ukraine-Krieg-/!5917928 | |
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| [4] /Unterbringung-von-Gefluechteten/!5903854 | |
| ## AUTOREN | |
| Anna Klöpper | |
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| Schulbau | |
| Astrid-Sabine Busse | |
| wochentaz | |
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