# taz.de -- Regisseur über Frauen in der Politik: „Macht galt als unweiblich… | |
> Regisseur Torsten Körner porträtiert in „Die Unbeugsamen“ Politikerinnen | |
> der Bonner Republik. Ein Gespräch über Sexismus und Durchhaltevermögen. | |
Bild: Fraktionssprecherinnen der Grünen im Deutschen Bundestag 1984 | |
taz: Herr Körner, Sie beschreiben in Ihrem Dokumentarfilm, wie die frühen | |
Frauen und Ministerinnen der Bonner Republik die Politik revolutionierten. | |
Was haben die Frauen reingebracht, was anders war? | |
Torsten Körner: Die Unionspolitikerin Helene Weber hat 1949 vor dem | |
Bundestag gesagt: „Der reine Männerstaat ist das Verderben der Völker.“ S… | |
hat nur Gelächter der Männer geerntet, das gibt einem sehr zu denken. In | |
den 50er und 60er Jahren haben die Frauen einen kritischen Blick an diese | |
Männerformation, die Männerrepublik eingebracht. | |
Das Parlament war nach dem Krieg das letzte Reservoir übersteigerter | |
Männlichkeit, sagt die FDPlerin Lieselotte Funcke. In allen anderen | |
Gesellschaftsbereichen hatte der Mann ja schon gezeigt, dass er es nicht so | |
draufhat. | |
Zwölf Frauen kommen in Interviews zu Wort, darunter Ingrid Matthäus-Maier | |
(SPD, früher FDP), Herta Däubler-Gmelin (SPD), Rita Süssmuth (CDU) und | |
Christa Nickels (Grüne). Sie nennen Sie „Die Unbeugsamen“. Warum? | |
Das steht für Standhaftigkeit und Machtanspruch und für Frauen, die nicht | |
klein beigeben. Politik galt als unweiblich, Macht galt als unweiblich. | |
Aber alle Interviewpartnerinnen des Films haben sich über Parteigrenzen | |
hinweg unerschrocken in diese Männerwelt gestellt. | |
All diese Pionierinnen begannen von den 50ern bis in die 70er damit, das | |
Parlament neu zu beatmen und Löcher in die Bretter der Männerköpfe zu | |
bohren. Klar mussten sie politisch Kompromisse machen – aber biografisch | |
haben sie sich nicht gebeugt. | |
Die junge Grüne Waltraud Schoppe hält 1983 eine Rede zu körperlicher | |
Selbstbestimmung, die Männer der Union buhen sie aus und bezeichnen sie als | |
Hexe. Hat Sie erstaunt, wie bleiern diese Zeit in Bezug auf | |
Geschlechterrollen noch war? | |
Im Rückblick hat mich schon überrascht, wie unreflektiert auch ich selbst | |
zu Zeiten der Bonner Republik auf diese Autosuggestion hereingefallen bin, | |
dass frau Macht nicht kann. Wir hatten uns alle miteinander verabredet, | |
Männer wie Frauen, dass eine Frau keine Kanzlerin sein kann. Mir fiel | |
während der Arbeit am Film wie Schuppen von den Augen, welche Denkblockade | |
das war. In dem Moment kam mir die gesamte Bonner Republik verdächtig und | |
unvollständig vor. | |
Die frühere FDPlerin Helga Schuchardt erzählt, wie ihr der | |
Bundestagspräsident Richard Stücklen mit dem Daumen über den Rücken fährt, | |
um zu ertasten, ob sie einen BH trägt. Gleichzeitig berichten die Frauen, | |
dass sie den Männern in solchen Situationen das Gefühl geben mussten, dass | |
das schon irgendwie alles okay sei – sonst wäre das auf sie selbst | |
zurückgefallen. Hat sich das geändert? | |
Frau Schuchardt hat sich später sogar bei Stücklen entschuldigt, weil sie | |
den Vorfall angeblich an die Presse durchgestochen habe, was sie nicht mal | |
getan hat. Das ist ja eigentlich noch bestürzender: dass frau meinte, sich | |
dafür entschuldigen zu müssen. | |
Ich würde sagen, so ein Verhalten wie das von Stücklen gibt es im Parlament | |
heute nicht mehr, zumindest nicht auf der Vorderbühne. Ich hoffe, dass | |
Frauen solche Sachen sofort anzeigen würden und Kollegen, die sich so | |
verhalten, draußen wären. | |
Gleichzeitig hat [1][#Metoo] gezeigt, wie viele Fälle es gibt, die unter | |
dem Deckel gehalten werden. | |
Im kulturellen Bereich und anderen Arbeitswelten ist es für Frauen aufgrund | |
wirtschaftlicher Abhängigkeiten von Männern, die immer noch die | |
Schlüsselpositionen besetzen, tatsächlich noch schwerer. In der Politik ist | |
das hoffentlich anders, weil diese Sphäre unter Dauerbeobachtung steht. | |
Gleichzeitig hat sich viel Frauenhass in die digitale Welt verlagert. | |
Politikerinnen müssen [2][drei- bis viermal mehr Hass und Hetze aushalten] | |
als Politiker, das sieht man an Renate Künast und anderen. | |
Wie kamen Sie auf die Idee zum Film? | |
Ich habe 2013 ein Buch über Willy Brandt geschrieben und mit vielen | |
Politikerinnen und Journalistinnen gesprochen. All diese Frauen hatten | |
umwerfende, atmosphärisch starke Geschichten zu erzählen. Sie hatten einen | |
ganz anderen Blick auf Politik als Männer, eine viel größere Sensibilität | |
für Details und begriffen Politik nicht einseitig als Machtoption. Ich | |
wollte diese anderen Blicke zu einem Chor machen. Deshalb habe ich auch nur | |
Frauen für den Film interviewt. Die Männer sprechen sonst mehr als genug. | |
Ihre Geschlechtsgenossen kommen nicht gut weg. Sie benehmen sich | |
gönnerhaft, oft hämisch. Wie war das, als Mann so einen Film zu machen? | |
Für mich war es kein Schock, zu sehen, wie die Männer sich selbst | |
entlarven. Mir hat es sogar gefallen: Ich brauche sie nicht mit einem | |
Kommentar aus dem Hintergrund zu überführen, die erledigen sich selbst. Ich | |
freue mich außerdem, wenn der Typus retroseliger Machtmann, von denen etwa | |
Friedrich Merz eines der letzten Fossilien ist, von der Bildfläche abtritt. | |
Haben Sie einen feministischen Film gedreht? | |
Ich würde schon sagen, dass es ein feministischer Film geworden ist. Aber | |
nicht aus der Absicht heraus, einen feministischen Film zu machen, sondern | |
durch die Kraft der Erzählerinnen und durch die Zuschauerinnen. Ich habe | |
mich in eine Reihe von Previews gesetzt, um zu sehen, wie das Publikum | |
reagiert. Der Film emotionalisiert sehr stark, die Zuschauerinnen eignen | |
ihn sich an. Weil er Erfahrungen artikuliert, Demütigungen, die viele | |
Frauen auch in anderen Feldern gemacht haben. Gleichzeitig glaube ich, dass | |
Männer von dem Film am meisten lernen können. | |
Inwiefern? | |
Wenn sie offen sind, begeben sie sich auf eine Bildungsreise und betrachten | |
Machtformationen, die durch Männer geprägt sind, mit mehr Fragezeichen als | |
vorher. Und vielleicht entsteht mehr Empathie für das weibliche Gegenüber | |
im Alltag, in Entscheidungs- und Kommunikationssituationen. | |
Zentrale frauenpolitische Themen wie den Paragrafen 218 oder auch | |
Vergewaltigung in der Ehe streifen Sie nur am Rande. Warum? | |
Die Kraft der Haupterzählung liegt im Kampf der Frauen um Teilhabe. Auch | |
die Quote kommt kaum vor: weil man dann sofort in eine komplexe, strittige | |
Erzählung abrutschen und den Fokus verlieren würde. Vielleicht hätte ich | |
mich da als Mann auch verhoben. Ich brauchte eine Erzählung, die alle | |
Frauen mitnimmt und stärkt und sich nicht mit unterschiedlichen Positionen | |
zu einzelnen Fragestellungen beschäftigt. | |
Über manches kann man heute lachen, weil es aus einer anderen Zeit stammt. | |
Manches scheint erschreckend aktuell, zum Beispiel die Frage, wie | |
Politikerinnen Arbeit und Kinder vereinbaren. Was wirkt heute nach? | |
Mich hat überrascht, dass sich der Film auf mehreren Ebenen aktualisiert. | |
Immer noch haben Frauen es schwerer in der Politik, weil die Care-Arbeit | |
meistens bei ihnen hängen bleibt. JournalistInnen gehen mit Politikerinnen | |
immer noch anders um. Renate Schmidt erzählt im Kapitel über Umweltschutz | |
davon, wie ihre Kinder sie zu Demos mitnehmen, das hat einen Bezug zu | |
Fridays for Future. | |
Im Kapitel über die Wehrmachtsausstellung schreit der Neonazi „Presse lügt, | |
Presse lügt!“, was auf die AfD und den Rechtsruck verweist. Insgesamt ist | |
der Frauenanteil in den Länderparlamenten und dem Bundestag heute außerdem | |
so niedrig wie lange nicht. Der Film setzt sich selbst auf die | |
Tagesordnung. | |
1 Sep 2021 | |
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## AUTOREN | |
Patricia Hecht | |
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