| # taz.de -- Produktionsbedingungen von Smartphones: Dilemma bei Tchibo | |
| > Der Kaffeeröster verkauft jetzt fair produzierte Smartphones. Das könnte | |
| > bei Käufer:innen zu Enttäuschungen führen – denn Fairness ist relativ. | |
| Bild: Tschibo verkauft jetzt auch fair produzierte Smartphones – aber Fairnes… | |
| Es ist ein ungelöstes Dilemma, wenn nachhaltig, fair oder ökologisch | |
| produzierte Waren auf die Vertriebsstruktur des Mainstreams treffen: Wenn | |
| also Bio-Gemüse im konventionellen Supermarkt liegt oder wenn Kleidung aus | |
| fairer Produktion im Discounter auf der Stange hängt. Weil es die Frage | |
| aufwirft: Ist das jetzt gut, weil eine breite Masse an Menschen Zugang zu | |
| diesen für Umwelt, Herstellende und Konsument:innen besseren Waren hat? | |
| Oder ist es schlecht, weil damit häufig ausbeuterische Vertriebsstrukturen | |
| gestärkt werden inklusive aller Risiken für die Produzent:innen? | |
| Das Dilemma ist längst nicht ausdiskutiert, da schraubt Tchibo die Debatte | |
| gerade eine Umdrehung weiter. Das Unternehmen verkauft bereits fair | |
| gehandelten Kaffee und nachhaltige Kleidung. Neu dazugekommen ist nun im | |
| Onlinehandel: das [1][Fairphone 3]. Pikanterweise kurz bevor die | |
| Fairphone-Produzent:innen das Fairphone 3+ vorgestellt haben, das ein paar | |
| der viel kritisierten Probleme des Fairphone 3 durch bessere Hardware lösen | |
| soll, aber das ist ein Nebenaspekt. | |
| Zentral ist die Frage: Wenn das nicht nur ein Testballon ist und das Gerät | |
| in ein paar Monaten wieder aus dem Sortiment verschwindet, sondern der | |
| Anfang davon ist, dass so fair wie möglich produzierte Elektronik langsam | |
| den Weg von fairem Kaffee und Ökokleidung geht, aus der Nische raus, in den | |
| Mainstream rein – was heißt das? | |
| Tchibo ist nicht der erste Mainstream-Vertriebskanal. Auch die Telekom | |
| verkauft aktuell das Fairphone 3. Aber wer sich dort umschaut, ist immerhin | |
| schon auf der Suche nach einem Telefon und stöbert nicht gerade im | |
| Onlineshop nach Bettwäsche oder Trachtenmode. Diese breitere Verfügbarkeit | |
| ist erst einmal gut. Denn sie steigert die Sichtbarkeit. Im besten Fall | |
| löst das einen Denkanstoß aus: Aha, da gibt es ein Fairphone. Moment, heißt | |
| das, mein Telefon ist nicht fair? Und was ist daran eigentlich nicht fair? | |
| Das passiert nicht, wenn das Fairphone nur über die eigene Webseite | |
| vertrieben wird, denn die klickt nur an, wer sich bereits mit dem Thema | |
| auseinandergesetzt hat. Wenn sich jetzt ein:e Nutzer:in, derart angestupst, | |
| in das Thema einliest, ohnehin ein neues Smartphone benötigt und sich dann | |
| für das Fairphone entscheidet – super. | |
| ## Elektronik ist kein Kaffee | |
| Das Problem liegt woanders. Dafür ist es wichtig, sich bewusst zu machen, | |
| dass Elektronik deutlich komplexer ist als Kaffee oder Kleidung. Das liegt | |
| an mehreren Faktoren: Erstens an der reinen Zahl der Komponenten und | |
| benötigten Materialien, die die Lieferketten deutlich unübersichtlicher | |
| machen. So besteht ein Smartphone aus deutlich mehr als 1.000 Teilen. | |
| Zweitens an Patenten, die für einzelne Komponenten von Elektronik | |
| bestehen. Und die beispielsweise beim Fairphone 1 verhinderten, dass die | |
| Hersteller ihr Versprechen, das Betriebssystem aktuell zu halten, umsetzen | |
| konnten. | |
| Und drittens an der Art der Materialien. In Elektronik befinden sich | |
| Rohstoffe, die nur in wenigen Teilen der Welt und unter teilweise | |
| katastrophalen Bedingungen abgebaut werden. Wenn es einige | |
| Textilunternehmen schon als zu kompliziert darstellen, Näherinnen in | |
| Bangladesch besser zu bezahlen, dann ist es ein ungleich größeres | |
| Unterfangen, in einer Konfliktregion wie dem Kongo dafür zu sorgen, Gold | |
| oder [2][Koltan] unter einigermaßen fairen Bedingungen zu gewinnen. | |
| Technik auf das Fairness-Niveau eines fairen T-Shirts zu heben ist also | |
| kompliziert und aktuell noch nicht erreicht. Selbst das Unternehmen hinter | |
| Fairphone bezeichnet das aktuelle Modell als „Unser bisher fairstes | |
| Smartphone“ und signalisiert damit: Da ist noch Luft nach oben. | |
| Für informierte Kund:innen ist das eine Dissonanz, mit der sie leben müssen | |
| (oder ihnen sind andere Aspekte wichtiger, etwa die Reparierbarkeit – hier | |
| ist das Fairphone weit vorne). Für Uninformierte, die ihr Fairphone en | |
| passant bei Tchibo kaufen, könnte es, wenn sie den Hintergrund | |
| herausfinden, einer Produktenttäuschung gleichkommen. | |
| Denn Tchibo nennt das Fairphone „ein fair hergestelltes Smartphone“. Klar, | |
| vermutlich ist in der Kürze eines durchschnittlichen Online-Einkaufs nicht | |
| mehr Zeit für die Hintergründe der Koltan-Gewinnung im Kongo. Aber | |
| andererseits: Wann, wenn nicht hier, wäre die Gelegenheit für ein bisschen | |
| grundlegende Wissensvermittlung? Schließlich geht es den | |
| Fairphone-Macher:innen laut eigener Aussage nicht darum, sofort ein perfekt | |
| faires Gerät vorzulegen, sondern darum, die Welt Schritt für Schritt zu | |
| verändern. Und dazu gehören auch die Konsument:innen. | |
| Schwieriger zu lösen ist das Preis-Leistungs-Dilemma. Das Fairphone 3 | |
| kostet so viel wie ein Mittelklassegerät, ist aber technisch weniger gut | |
| aufgestellt. Nutzer:innen berichten von diversen Software-Problemen, einem | |
| schwächelnden Akku und einer Kamera, die schlechter ist als die von anderen | |
| Geräten dieser Preisklasse. | |
| Auch hier gilt: Wer sich bewusst für das Fairphone entscheidet, weiß | |
| vermutlich um dessen Schwächen. Wer es als Gelegenheitskauf erwirbt, bei | |
| dem wird sich womöglich der Eindruck festsetzen: Faire Hardware ist Mist. | |
| Ähnlich unklug wäre es, ein fair produziertes T-Shirt zu verkaufen, das | |
| miserabel verarbeitete Nähte hat. | |
| Natürlich befindet sich das Unternehmen hinter Fairphone in einem Dilemma. | |
| Durch die kleinere Stückzahl werden sie immer teurer fertigen als Apple, | |
| Samsung oder Huawei und damit ein schlechteres Preis-Leistungs-Verhältnis | |
| bieten können. Doch die Beschreibung bei Tchibo, das Gerät biete „die | |
| Ausstattung und Eigenschaften eines vollwertigen Smartphones“, suggeriert | |
| etwas anderes. | |
| Für die Sache wäre es das Beste, die großen Hersteller würden mit geballter | |
| Marktmacht auf Nachhaltigkeit setzen, ihre Telefone reparierbar machen und | |
| mit Nachdruck an der Fairness in den Lieferketten arbeiten. Solange das | |
| nicht in Sicht ist, hilft vielleicht eine offene Kommunikation von | |
| Anbietern fairer Technik, die erklärt, warum neueste Hardware auch bei | |
| einem Smartphone nicht immer alles ist. | |
| 14 Sep 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Svenja Bergt | |
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