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# taz.de -- Ost-West-Gefälle war gestern: Armut zerlegt Deutschland
> Der Paritätische Wohlfahrtsverband hat den ersten Atlas zur regionalen
> Verteilung der Armut in Deutschland vorgelegt. Er zeigt deutlich: Die
> alte Diskussion vom Ost-West-Gefälle ist überholt.
Bild: Irgendwo in Deutschland: Der Unterschied zwischen Arm und Reich wird viel…
BERLIN taz |Die Armut spaltet Deutschland: In den vergangenen Jahren ist
nicht nur der Abstand zwischen Gut- und Schlechtverdienern gewachsen. Die
Einkommen verteilen sich auch höchst unterschiedlich über die Republik. In
seinem "Armutsatlas" hat der Paritätische Wohlfahrtsverband nun erstmals
für das ganze Land eine Übersicht erstellt, wie hoch das Armutsrisiko in
welchen Regionen ist. Die Spreizung beträgt dabei bis zu 19,4
Prozentpunkte: Die Armutsquote im Schwarzwald liegt bei 7,6, die in
Vorpommern bei 27 Prozent.
Der Atlas zeigt, wie wenig Durchschnittswerte überhaupt noch taugen. Die
Armutsquote betrug im Jahr 2007 im Bundesdurchschnitt 14,3 Prozent. Das
heißt, dass 14,3 Prozent der Menschen am oder unter dem EU-weit anerkannten
Grenzwert für Armut leben. Dieser beträgt 60 Prozent des mittleren
Einkommens. Im Jahr 2007 waren das für einen Single 764 Euro.
Die Aufschlüsselung nach 96 so genannten Raumordnungsregionen verrät nun,
dass die in Wirtschaftsfragen etablierte Ost-West-Diskussion nicht mehr
weit führt. Der Hauptgeschäftführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands
Ulrich Schneider erklärte am Montag in Berlin: "Es muss zwingend
unterschieden werden zwischen Süd-, Nordwest- und Ostdeutschland."
In Bayern, Baden-Württemberg und Hessen beträgt die Armutsquote knapp elf
Prozent. Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Bremen und
Hamburg beträgt sie 15 Prozent, und in Ostdeutschland 20 Prozent. Der Osten
weist dabei noch die höchste Homogenität auf. Allein in Niedersachsen sind
die Unterschiede dagegen gewaltig: In Südheide rings um Celle beträgt die
Armutsquote 12,4 Prozent, in Ostfriesland erreicht sie 20,3 Prozent.
Im untersuchten Zeitraum 2005 bis 2007 haben sich die Armutsquoten zwar
insgesamt etwas gebessert und etwa in den Stadtstaaten leicht zum Vorteil
entwickelt. "Doch hat die Spreizung in den drei Jahren zwischen den
Regionen gleichzeitig noch zugenommen", sagte Schneider. "Deutschland droht
auseinanderzubrechen." Weil aus Gegenden wie Vorpommern die Arbeitskräfte
abwanderten, gerieten sie in einen Teufelskreis mit dem Ergebnis: "Ganze
Regionen sind abgehängt."
Harsche kritik übte Schneider deshalb an der Krisenpolitik der
Bundesregierung. Der Atlas erfasse nur noch das letzte "Boomjahr" 2007. Man
brauche wenig Phantasie, um sich auszumalen, welche Folgen die
Wirtschaftskrise seit 2008 für die beschriebenen Tendenzen haben werde. Die
Konjunkturpakete I und II jedoch "sind eher dazu geeignet, die regionale
und soziale Zerrissenheit Deutschlands noch zu vergrößern statt sie zu
bekämpfen."
Das Kurzarbeitergeld sei die einzige Maßnahme, die das Geld dorthin lenke,
wo es gebraucht werde. Die Abwrackprämie dagegen gehe "komplett an den
Armen vorbei", sagte Schneider. Statt nun Milliarden in Wohlstandsregionen
zu pumpen, müsse die Arbeitsmarktpolitik konsequent regionalisiert werden
und müssten die regionalen Wirkungen von Transfers überprüft werden. Vor
allem aber müsse der Hartz IV-Satz von derzeit 351 Euro auf 440 Euro
angehoben werden.
Auch das Statistische Bundesamt veröffentlichte am Montag neue Armutsdaten.
Sie entsprachen denen des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, weil sie
ebenfalls auf dem Mikrozensus basierten, für den jährlich etwa 830.000
Personen befragt werden. Doch ergebe sich eine "ergänzende Perspektive",
wenn man zur Armutsberechnung sich nicht auf das
Bundesdurchschnittseinkommen, sondern auf das Landesdurchschnittseinkommen
beziehe, schrieben die amtlichen Statistiker. Dann hätte plötzlich
Thüringen die niedrigste Armutsgefährdungsquote.
Rudolf Martens, der den Atlas für den Paritätischen Verband erstellt hat,
wehrte sich jedoch dagegen, die Statistik aufzuweichen: "Ein absurdes
Ergebnis, das mit der Realität kollidiert". Wer so messe, verabschiede sich
endgültig von der Idee des Grundgesetzes, in Deutschland "gleichwertige
Lebensverhältnisse" herzustellen, ergänzte Schäfer.
Der Armutsexperte vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW)
Markus Grabka sagte zur taz, der Wohlfahrtsverband übertreibe das
Armutsrisiko nicht. Die verwendete Methode weise darauf hin, "dass das
wahre Ausmaß sogar etwas größer sein könnte". Auf jeden Fall werde die
Wirtschaftskrise die Armut stark vergrößern.
18 May 2009
## AUTOREN
U. Winkelmann
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