| # taz.de -- Niedersachsen holt Bomben aus der Erde: Der Kampfstoff geht weiter | |
| > In der Lüneburger Heide liegen zahllose Sprengkörper, auch solche mit | |
| > Giftgas. Lange galt das als unproblematisch. Jetzt wird aufwändig | |
| > saniert. | |
| Bild: Hier trainieren Einsatzkräfte schon die Versorgung eines mit Giftgas kon… | |
| Bremen taz | Der mit Giftgas und Granaten verseuchte Dethlinger Teich bei | |
| Munster in der Lüneburger Heide „muss komplett saniert werden“. Das sagte | |
| der niedersächsische Umweltminister Olaf Lies gestern dem zuständigen | |
| Landtagsausschuss. [1][„Wir können nicht einfach einen Deckel drauf machen | |
| und hoffen, dass nichts passiert“], so der SPD-Politiker. Das jedoch war | |
| seit 1952 herrschende Politik in Niedersachsen. Laut einer gestern | |
| vorgestellten „Machbarkeitsstudie“ werden die Kosten der mindestens drei | |
| Jahre dauernden Sanierung auf 50 Millionen Euro geschätzt – diese Zahl | |
| kursiert in Fachkreisen bereits seit Jahren. | |
| Im Dethlinger Teich wurden ab 1942 Kampf- und Sprengmittel in Bomben und | |
| Fässern versenkt – was und wie viel genau, ist aber bis heute unklar. 1952 | |
| wurde die ehemalige Kieselgurgrube mit Bunkerschrott aufgeschüttet und mit | |
| Erde zugedeckt, nachdem Anwohner*innen die Metalle dort zu Geld machen | |
| wollten. Die Altlasten sind zum großen Teil Hinterlassenschaften der | |
| Wehrmacht, die im nahe gelegenen Oerrel chemische Waffen produzierte und | |
| lagerte. Nach 1945 kippten aber auch die Briten Kampfstoffe in den Teich, | |
| weil sie sie für nicht mehr transportfähig hielten. | |
| Der Heidekreis vermutet dort unter anderem 100.000 Zündladungen, 3.800 | |
| Kampfstoffgranaten, 200 bis 300 entschärfte und in den Teich entleerte | |
| Bomben mit dem Giftgas Phosgen und 15 bis 20 entleerte 500 Kilo-Bomben mit | |
| Lost, besser bekannt als Senfgas (siehe Kasten). Seit 1957 gibt es dort | |
| eine Messstelle für das Grundwasser, seit 1971 auch eine für Arsen. | |
| 1984 teilte der damalige CDU-Innenminister auf eine Anfrage der SPD mit, | |
| „dass nach heutigem Erkenntnisstand eine Beeinträchtigung des | |
| Grundwasservorkommens nicht zu befürchten ist“. 2014 erklärte der grüne | |
| Umweltminister Stefan Wenzel dann auf Anfrage der CDU, dass man davon | |
| ausgehe, dass der Dethlinger Teich „im Wesentlichen nur oberflächennah | |
| Schadstoffe an das benachbarte Grundwasser abgebe“. Zwar gebe es ein | |
| „großes Schadstoffpotenzial“, so Wenzel, aber auch „erhebliche | |
| Unsicherheiten bei der Bewertung des Umweltrisikos“. | |
| 2017 änderte sich diese Einschätzung dann: „Wir haben deutlich mehr | |
| gefunden als erwartet“, sagte seinerzeit ein Sprecher der Unteren | |
| Wasserbehörde des Heidekreises. „Der Teich dürfte durchlässiger sein als | |
| erhofft.“ Bei Abbauprodukten von Lost wurden – dank neuer Messstellen – | |
| seinerzeit bis zu 2.183 Mikrogramm pro Liter nachgewiesen, wie der Kreis | |
| mitteilte, bei Arsen waren es bis zu 120 Mikrogramm. Doch während die | |
| Höchstgehalte bei Arsen bis 2009 noch rund 500 Mikrogramm betrugen, waren | |
| es bei den Lost-Abbauprodukten seinerzeit nur etwa 250 Mikrogramm pro | |
| Liter. | |
| Zudem seien die teilweise sehr niedrigen pH-Werte ein Indiz für den Kontakt | |
| des Wassers mit Kampfstoffen, sagte die Wasserbehörde 2017. „Das könnte | |
| eine der größten Altlasten chemischer Kampfstoffe in Deutschland sein“, | |
| sagte ein Umwelttechniker des Heidekreises schon damals über den Dethlinger | |
| Teich. | |
| Zunächst einmal ist die betroffene Kommune für derartige Funde zuständig. | |
| „Wenn eine Gefahr für Leib und Leben nachgewiesen werden kann, muss der | |
| Bund als Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches die Kosten tragen“, hieß es | |
| von der Unteren Wasserbehörde schon vor Jahren. Umweltminister Lies ist da | |
| zurückhaltender: Er sei sich „sicher, dass wir mit dem Bund zu einer guten | |
| und tragfähigen Lösung kommen“. Der Umgang mit diesem Kampfmittelfund | |
| einzigartiger Dimension dürfe nicht am Geld scheitern. | |
| Schon 1984 dachte die niedersächsische Landesregierung über eine Bergung | |
| der Kampfstoffe nach – damals war man aber der Ansicht, dass die damit | |
| verbundene Gefahr wegen der im Teich liegenden Sprengmittel zu groß sei. | |
| 2 Dec 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Jan Zier | |
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