| # taz.de -- Nazispiele und die „nationale Erhebung“: Fanatiker unter sich | |
| > Ideologisierungen zum Fanatismus haben unterschiedlich lange Vorläufe, im | |
| > Ergebnis sind sie ähnlich. Manchmal finden sie beim Spieleabend statt. | |
| Bild: Das Brettspiel „Juden raus“ kam 1938 auf den Markt | |
| Die Situation war bizarr: In einem Kriegsgefangenenlager mitten in der | |
| amerikanischen Provinz grüßten deutsche Gefangene ihre Bewacher mit „Sieg | |
| Heil!“ und feierten Hitlers Geburtstag. Mithäftlinge, die es wagten, sich | |
| kritisch über den Nationalsozialismus zu äußern, wurden zusammengeschlagen. | |
| Einige von ihnen erlitten kurz darauf „Unfälle“ oder begingen überraschend | |
| „Selbstmord“. | |
| In dem Fernsehfilm „Anwalt des Feindes“ werden diese Vorfälle in fiktiver | |
| Form aufgegriffen. Walter Matthau spielt darin einen amerikanischen Anwalt, | |
| der mitten im Krieg einen deutschen Kriegsgefangenen verteidigen muss. Er | |
| hält den Mann anfangs für schuldig, deckt dann aber die Machenschaften | |
| einer NS-Clique auf. Der Film basiert zu großen Teilen auf authentischen | |
| Berichten aus den National Archives in Washington. | |
| Wenn man sie liest, wird klar, wie schwer es den Bewachern fiel, die | |
| Fanatiker unter Kontrolle zu bekommen. Sie hörten ihre Zellen ab, sie lasen | |
| ihre Post und sie versuchten parallel dazu immer wieder, ihnen mit | |
| Bildungsvorträgen, Büchern und Zeitungen demokratische Ideen | |
| näherzubringen. Trotzdem planten im Frühling 1945 Häftlinge eine letzte | |
| Aktion. | |
| Laut dem Bericht eines Gefangenenpriesters sollten „alle Verräter“ und das | |
| amerikanische Wachpersonal umgebracht werden: „Der Hara-Kiri-Club wird | |
| seine Arbeit beginnen, sobald der Krieg als absolut verloren gilt … zuerst | |
| sollen alle Feiglinge im Camp umgebracht werden, dann der Kommandant … | |
| Jeder wird morden, bis er selbst umgebracht wird.“ | |
| ## Ideologisierung begann vor der Einschulung | |
| Diese Fanatiker waren, [1][genau wie Rushdies Attentäter Hadi Matar], | |
| relativ jung. Während Matar sich seine [2][Ideologie bei einer | |
| Libanonreise] und aus dem Internet zusammenklaubte, hatten seine | |
| fanatischen Vorgänger jedoch eine längere Vorlaufzeit. Ihre Ideologisierung | |
| begann schon lange vor der Einschulung, beim Spieleabend mit der Familie. | |
| In einem gerade erschienenen Aufsatz zeigt [3][der Wiener Historiker Murray | |
| Hall], wie populär diese Spiele in Deutschland und Österreich waren. Schon | |
| im Dezember 1932 pries der Völkische Beobachter: „Das schönste | |
| Weihnachtsgeschenk für jedes deutsche Haus ist das erstklassige historische | |
| Gesellschaftsspiel ‚Der Siegeslauf des Hakenkreuzes. Die Bewegung von der | |
| Gründung bis zum Ziel in sechsfarbiger Darstellung‘.“ | |
| Nachdem dieses Ziel einen Monat später tatsächlich erreicht war, boomte der | |
| NS-Spielemarkt. Reißenden Absatz erfuhr das in Chemnitz entwickelte | |
| Kampfspiel „Sakakampf“ mit SA-Spielfiguren aus Zinn (SA-Figuren gingen | |
| immer, es gab sie auch als Kerzenhalter und aus Schokolade). | |
| Zufriedene Kunden fand auch das Brettspiel „Juden raus!“. Es erschien 1938 | |
| und richtete sich an die ganze Familie. Ziel des Spiels war es, möglichst | |
| viele Juden nach Palästina zu verjagen: [4][„Gelingt es Dir, sechs Juden | |
| rauszujagen, bist Du Sieger ohne Fragen!“] | |
| ## Kein Schinken mit Hakenkreuz | |
| Aber nicht alle kommerziellen Hits wurden von den Nazis unterstützt. Murray | |
| Hall zeigt, dass die Parteiführung von Anfang an besorgt war, Symbole der | |
| „nationalen Erhebung“ könnten herabgewürdigt werden. | |
| Mit dem „Gesetz zum Schutze der nationalen Symbole“ vom Mai 1933 wollte man | |
| seine Marke rein halten: „Torten mit Hakenkreuzen, Schinken mit | |
| Hakenkreuzen, Führerbilder in den Geschäftsauslagen in unwürdiger | |
| Umrahmung, z. B. zwischen Damenwäsche, zwischen Schnapsflaschen, zwischen | |
| Wurst und Schinken“ wurden nicht toleriert. Auch dürfte das „Deutschland- | |
| und Horst-Wessel-Lied nur in nüchternem Zustand gesungen werden.“ | |
| Eine Vorschrift, die heute bei vielen Neonazis leider in Vergessenheit | |
| geraten ist. In amerikanischen Gefangenlagern wurde sie (wohl auch aus | |
| Mangel an Alkohol) respektiert. Berichten zufolge verlief die letzte | |
| Geburtstagsfeier für den Führer stilvoll. | |
| Nur der Hara-Kiri-Club erreichte im Mai 1945 sein Ziel nicht mehr. Man | |
| hatte die Anführer noch rechtzeitig „verlegt“. | |
| 30 Aug 2022 | |
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| [3] http://verlagsgeschichte.murrayhall.com/ | |
| [4] https://wienerholocaustlibrary.org/object/obj046/ | |
| ## AUTOREN | |
| Karina Urbach | |
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