| # taz.de -- Mittelalter und Popkultur: „Wir sind die Hobbits“ | |
| > Warum vereinnahmen Rechte gerne Mittelalter-Fantasy? Und warum ist die | |
| > Epoche für uns so wichtig? Forscherin Theresa Specht über Popkultur im | |
| > Wandel. | |
| Bild: Triste Klamotten, lange Schwerter und viele weiße Männer: Ob das wohl w… | |
| taz: Italiens neofaschistische [1][Ministerpräsidentin Giorgia Meloni ist | |
| „Herr der Ringe“-Fan] und sagte, sie nehme sich die Hobbits zum Vorbild, um | |
| Italien zu befreien. Tolkiens Welt scheint für ihre rechte Ideologie | |
| anschlussfähig. Wieso? | |
| Theresa Specht: Das Mittelalter und speziell die Fantasy sind nicht an sich | |
| rechtsgerichtet – es ist eher so, dass solche Ideologien diese Welten | |
| vereinnahmen. Damit soll eine Botschaft nach außen getragen werden, die | |
| alle kennen: Die einen sind gut, die anderen böse. Wir sind die Hobbits, | |
| und das da sind die Orks. Für Meloni und ihre Partei bietet das eine | |
| anschlussfähige Folie für ihre Ideologie. | |
| taz: Ist das ein Einzelfall? | |
| Specht: Nein, ultrarechte Gruppierungen versuchen immer wieder, das | |
| Mittelalter und die Fantasy in den Dienst zu nehmen – man erinnere sich nur | |
| an das Atréju-Festival, das von Meloni ins Leben gerufen wurde und sich | |
| nach einer Figur aus Michael Endes „Die unendliche Geschichte“ benannt hat. | |
| Meist geht es um ein weißes, dominant männliches Mittelalter, um politische | |
| Positionen zu rechtfertigen. Übrigens auch mal so, dass die Hobbits ganz | |
| anders dargestellt wurden: AfD-Plakate zeigten das Auenland und Politiker | |
| Cem Özdemir und Anton Hofreiter karikiert als Hobbits. Da war zu lesen: | |
| „Willkommen im Auenland“ mit Forderungen wie „Keine Autos, keine | |
| Kraftwerke, kein Fleisch“. Das Bild wird also umgedreht. Wenn Fantasywelten | |
| populär sind, ist die Reichweite der Botschaften größer. | |
| taz: Apropos Reichweite. Wieso ist das Mittelalter so spannend für die | |
| Popkultur? | |
| Specht: Weil unsere Gesellschaft einen anderen Bezug zum Mittelalter hat | |
| als zu anderen historischen Epochen. Jedes Kind war schon auf einer Burg, | |
| kennt Schwerter oder hat ein Fachwerkhaus gesehen. Diese Dinge stammen aus | |
| dem Mittelalter und befinden sich dennoch täglich um uns herum. Außerdem | |
| haben viele Aspekte unserer gegenwärtigen Kultur ihre Wurzeln im | |
| Mittelalter, man denke nur an Universitäten oder Städte als demokratische | |
| Gemeinwesen, Armeen oder das Bankenwesen. Diese haben ihren Ursprung im | |
| Mittelalter und prägen unsere Gegenwart noch heute. Der italienische | |
| Schriftsteller Umberto Eco hat einmal gesagt, das Mittelalter sei so etwas | |
| wie unsere kollektive Kindheit. In diesem offenen Raum von Vergangenem | |
| lässt sich platzieren, was für uns als Gesellschaft anschlussfähig scheint. | |
| taz: Wie realistisch wollen die popkulturellen Darstellungen des | |
| Mittelalters sein? | |
| Specht: Fantasywelten wollen das Mittelalter als historische Epoche nicht | |
| wissenschaftlich korrekt darstellen, sondern benutzen das, was man sich | |
| unter dem Mittelalter vorstellt, als Raum für das Vergangene und | |
| Archaische. Schwerter, Schilde, Drachen, Ritter und Fräulein werden ihrem | |
| Ursprungskontext entnommen und mit anderen Dingen in einer neuen Welt | |
| zusammengebracht. Einen wissenschaftlichen Anspruch gibt es dabei nicht. | |
| Doppeläxte wie in „Herr der Ringe“ beispielsweise waren keine | |
| mittelalterlichen Waffen, sondern entstammen der Bronzezeit oder der | |
| Antike. Mein Kollege Hans Velten bezeichnet das Mittelalter in diesem | |
| Kontext als gefräßig. | |
| taz: Heißt? | |
| Specht: Dass sich das Mittelalter Dinge aus angrenzenden Epochen | |
| einverleiben kann, ohne dass sie Irritationen auslösen. Wir nehmen es so | |
| hin und es passt zu unseren Erwartungen. Bei [2][„Game of Thrones“] | |
| beispielsweise kommen mehrere Herrschaftsformen verschiedener Epochen | |
| zusammen – mal auf die Herrscherfigur zugeschnitten, mal an die freien | |
| Städte aus Oberitalien erinnernd. Komponenten werden verbunden, ohne dass | |
| wir Dissonanzen empfinden. Es wird noch mittelalterlicher, als das | |
| Mittelalter eigentlich war. | |
| taz: Also gibt es das Mittelalter in der Popkultur gar nicht? | |
| Specht: So gesehen gibt es viele verschiedene Welten, die manchmal aber | |
| große Schnittmengen aufweisen. Wir sprechen deswegen vom | |
| Sekundärmittelalter – also einem Mittelalter, das aus Versatzstücken | |
| erschaffen wurde. | |
| taz: Was wir in Literatur, Games und Serien beobachten, kann also gar nicht | |
| authentisch sein?Specht: Die Welten sollen sich nach Mittelalterlichkeit | |
| anfühlen. Ob das eingelöst wird, entscheiden nicht Faktenchecks, sondern | |
| die Rezipient:innen. Meist nehmen wir Stereotype als authentisch wahr, also | |
| Motive und Figuren, die uns häufig begegnet sind, wie magische Objekte, | |
| Hexenverbrennungen und Wikingerhelme. Bei unserer Forschung stellen wir | |
| aber weniger die Frage, ob etwas richtig oder falsch dargestellt wurde – | |
| sondern eher, welche Objekte aus dem Mittelalter genommen werden und auf | |
| welche aktuellen Erzählungen die dargestellten Geschichten Bezug nehmen. | |
| taz: Das Mittelalter ist nicht unbedingt berüchtigt für Frauenrechte. | |
| Beobachten Sie Bewegung in Sachen Geschlechtergerechtigkeit? | |
| Specht: Im Gewand des Mittelalters werden in der Popkultur | |
| gesellschaftliche Debatten geführt und reflektiert. [3][Bei „House of the | |
| Dragon“ verbünden sich weibliche Figuren miteinander] und loten ihre | |
| Handlungsspielräume aus, also wie sie Macht ausüben können. So lässt sich | |
| ein größeres Gewicht für geschlechtsspezifische Handlungsräume feststellen. | |
| Ob das schon feministisch-progressiv zu lesen ist, ist eine andere Frage. | |
| Beim Cast von „The Rings of Power“ gab es darüber hinaus die Diskussion, ob | |
| Zwerge und Elben von Schwarzen Schauspieler:innen gespielt werden | |
| sollen. Die einen argumentieren, im Mittelalter habe es angeblich keine | |
| Schwarzen Krieger gegeben, während die anderen sagen: Das ist Fantasy, und | |
| deswegen können und sollten wir es machen. | |
| taz: Inwiefern verändern die Darstellungen des Mittelalters unser Bild vom | |
| Mittelalter? | |
| Specht: Sie prägen uns. Normalerweise stellen wir uns das Mittelalter eher | |
| düster vor: Es regnet ständig, ist kalt, überall liegen Schlamm und | |
| Exkremente und es gibt ständig kriegerische Konflikte. Diese Darstellung | |
| durchzieht viele Produktionen und erfüllt wiederum unsere Erwartungen. | |
| Spannend wird also sein, wie lange wir solche Stereotype noch vorfinden, | |
| aber auch inwiefern ein globales Mittelalter ohne die starke Fixierung auf | |
| Mittel- und Nordeuropa eine Rolle spielen könnte. Das wird unsere | |
| Vorstellungen weiter beeinflussen. | |
| 10 Sep 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Juli Katz | |
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