# taz.de -- Merkels Sommer-Pressekonferenz: Der Herbst der Kanzlerin | |
> Bescheiden inszeniert sich Angela Merkel in der Bundespressekonferenz. | |
> Von der Flüchtlingskanzlerin ist nicht viel geblieben. | |
Bild: Angela Merkel in der Sommerpressekonferenz am Freitag | |
Berlin taz | Die Sommerpressekonferenz von Angela Merkel ist ein Ritual. | |
[1][Vor fünf Jahren fiel hier der berühmte Satz „Wir schaffen das“,] der | |
wie kein anderer das Bild von Merkel veränderte. Dass es in diesem Jahr | |
draußen nun schon herbstlich stürmt, passt irgendwie. Dies ist wohl der | |
vorletzte Auftritt der Kanzlerin in der Bundespressekonferenz vor ihrem | |
Abtritt. | |
Die zentrale Botschaft lautet: „Wir haben die Coronakrise gut bewältigt.“ | |
Man könne „einigermaßen zufrieden sein“. Natürlich warnt Merkel vor dem, | |
was das Virus im Winter anrichten kann. Es gibt drei Ziele: Die Schulen | |
müssen funktionsfähig, die Wirtschaft müsse intakt bleiben. Und es gelte, | |
besonders verletzliche Gruppen, Pflegebedürftige, Familien in kleinen | |
Wohnungen, Kleinunternehmer, KünstlerInnen besser zu schützen. Nein, Fehler | |
habe die Regierung nicht gemacht, sondern stets der Lage entsprechend ihre | |
Politik justiert. | |
Auf die Frage, was ihr denn seit ihrem berühmten „Wir schaffen das“-Satz | |
selbst zu schaffen gemacht habe, antwortet sie vergnügt: „Nichts. Ich bin | |
ja noch da.“ Ansonsten ist sie der Krise entsprechend ernst. Es gab schon | |
heiterere Auftritte. | |
Die mannigfachen, kreativen Versuche, Persönliches von ihr zu erfahren, | |
lässt sie professionell an sich abperlen. Seit Corona könne sie eben nicht | |
mehr reisen, aber, so ist zu erfahren, sie schätzt Videokonferenzen, | |
jedenfalls wenn es nicht mehr als 15 Teilnehmer sind. Wenn man sich kennt, | |
sei das gar nicht mal schlechter als ein Treffen vis-à-vis. Allerdings mit | |
einer Einschränkung: Leider wisse man ja nie, wer bei Videokonferenzen so | |
zuhört. | |
## Ein biblischer Satz universell verwendbar | |
Ist sie nach 15 Jahren nicht froh, sich nicht mehr um den CDU-Parteitag im | |
Dezember und den Wahlkampf sorgen zu müssen? Alles habe seine Zeit, sagt | |
Merkel, schnell und direkt, als gelte es einen Brand auszutreten. Dieser | |
biblische Satz ist universell verwendbar und taugt in seiner Allgemeinheit | |
als ideale Formel, um sich gegen neugierige Blicke zu wappnen. „Es ist kein | |
Nachteil, dass ich mich vollständig auf das Regieren konzentrieren kann“, | |
sagt Merkel, die es wie niemand vor ihr verstanden hat, Bescheidenheit zu | |
einer Demonstration sanfter Macht zu machen. | |
Jede Frage nach ihrer Befindlichkeit, etwa was sie als Ex-Kanzlerin machen | |
werde, lässt sie ins Leere laufen. Darüber habe sie sich noch keine | |
Gedanken gemacht. Sie werde „erst mal weiterarbeiten“ und sei | |
„optimistisch“, dass sich schon irgendwas finden lasse. Das ist perfektes | |
Understatement, unprätentiös und recht preußisch. | |
Alle Ich-Fragen lenkt sie ins Unverbindliche, um von dort zielsicher auf | |
künftige Aufgaben wie die Förderung der Wasserstofftechnologie zu sprechen | |
zu kommen. Die scheinbare Abwesenheit des Egos, eine für CDU-Politiker | |
recht seltene Eigenschaft, ist ein Grund für Merkels dauerhaften Erfolg. | |
Sie bietet wenig Angriffsflächen. | |
Die Kanzlerin lobt das Ziel, dass Europa 2050 der erste klimaneutrale | |
Kontinent sein will. Sie lobt auch ausdrücklich die deutsch-französische | |
Initiative in der EU, um die Coronafolgen zu dämpfen. Deutschland könne und | |
müsse mehr tun als andere, um die EU zu stabilisieren, sagt sie. Das war | |
nicht immer so, in der Finanzkrise 2009 hat sie das anders gesehen. | |
Sie warnt davor, immer das größere Bild zeichnend, wegen [2][des Falls | |
Nawalny] die Russlandpolitik hektisch zu verschärfen oder nun die | |
[3][Nordstream-2-Pipeline] infrage zu stellen. Man müsse Russland als | |
geostrategischen Akteur betrachten, [4][ohne den in Syrien wenig geht.] In | |
[5][Belarus gelte es zu deeskaliere]n, desgleichen im Streit [6][zwischen | |
der Türkei und Griechenland]. | |
## Ein Lob des Erreichten | |
Politisch neu ist all das nicht. Der Zweck des Auftritts ist nicht, eine | |
Nachricht zu promoten, sondern das Erreichte zu loben, das Kommende zu | |
skizzieren und Sicherheit auszustrahlen. | |
Ist von der Flüchtlingskanzlerin noch etwas geblieben? Sie würde die | |
wesentlichen Entscheidungen wieder so treffen, sagt sie. Dass Deutschland | |
2020 bei [7][den überfüllten Flüchtlingslagern in Griechenland] helfen | |
kann, glaubt sie aber kaum. [8][Thüringen, Berlin und manche Kommunen | |
würden gern Flüchtlinge aufnehmen, CSU-Innenminister Seehofer hat das | |
verboten]. Merkel steht da 2020 hinter Seehofer. | |
Wenn wir mehr Flüchtlinge aufnehmen würden, so Merkel, wäre eine | |
europäische Lösung noch ferner. Außerdem würden die Bundesländer bei den | |
Kosten für neue Flüchtlinge ja doch wieder beim Bund die Hand aufhalten. | |
Das ist nicht neu. Aber es erinnert daran, dass es in dem scheinbar | |
sanften, ausgleichenden Merkelismus immer auch eine Kältekammer gibt. | |
28 Aug 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Fuenf-Jahre-Wir-schaffen-das/!5701650 | |
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[6] /Streit-zwischen-Tuerkei-und-Griechenland/!5709277 | |
[7] /Fluechtlingslager-Moria-auf-Lesbos/!5664220 | |
[8] /Aufnahme-von-Gefluechteten/!5702044 | |
## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
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Energie | |
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