| # taz.de -- Macrons neues Kabinett: Der Pseudofeminist | |
| > Macron hat Gleichstellung als „großes nationales Anliegen“ begraben. Im | |
| > Kabinett sitzen Männer, gegen die Vergewaltigungsvorwürfe bestehen. | |
| Bild: „Mein erstes Ziel als Feminist ist es, als solcher von den Frauen anerk… | |
| Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron ist seit drei Jahren an der | |
| Macht, seine [1][dritte Regierung wurde am 6. Juli gebildet] – und als die | |
| Namen der Minister*innen enthüllt worden waren, habe ich mir die Augen | |
| gerieben. Ich wollte sichergehen, ob ich wirklich richtig gelesen habe. | |
| Gewiss, man hatte damit rechnen können, dass er Persönlichkeiten aus allen | |
| politischen Lagern abwirbt, für sein politisches und ideologisches | |
| Mischmasch. Dem Präsidenten erlaubt dieses Vorgehen, die Spaltungen bei | |
| seinen politischen Kontrahenten zu vergrößern. | |
| Für ihn ist das ungefährlich, da er ohnehin alles selbst entscheidet. So | |
| repräsentieren seine Minister*innen, die von den Grünen oder den | |
| Sozialisten stammen und vor ihrer Landung im Macron-Land noch von ihren | |
| Unebenheiten befreit werden, nur sich selbst. Und auch wenn den | |
| Minister*innen ihre Berufung schmeichelt, bleiben sie Einzelkämpfer*innen, | |
| die weder die Bürger*innen noch die Partei hinter sich haben. „Lernt, dass | |
| jeder Schmeichler auf Kosten dessen lebt, der ihn hört!“, heißt es in einer | |
| Fabel des französischen Dichters Jean de La Fontaine. | |
| Aber es gibt noch eine anderes großes Problemfeld: die Frauen. Macron hat | |
| 2017, als er an die Macht kam, viele Versprechungen gemacht. Als ich mich | |
| daran erinnerte, habe ich die Augen beim Lesen der neuen Kabinettsliste | |
| noch weiter aufgerissen. Damals hatte er erklärt, er wolle die | |
| Gleichstellung von Frauen und Männern zu „dem großen nationalen Anliegen“ | |
| seiner fünfjährigen Amtszeit machen. 2016 hatte er mit einem | |
| Gewinnerlächeln deklamiert: „Mein erstes Ziel als Feminist ist es, als | |
| solcher von den Frauen anerkannt zu werden.“ Wie seltsam ausgedrückt, hatte | |
| ich damals gedacht. Als ob man nicht erst einmal als Feminist handeln | |
| müsse, um als Feminist anerkannt zu werden. | |
| Aber kommen wir zurück zur Zusammensetzung der dritten Regierung, geführt | |
| vom Premierminister [2][Jean Castex.] Erinnern wir uns nebenbei einmal kurz | |
| daran, was ein Vertrauter des früheren Regierungschefs der Tageszeitung Le | |
| Monde sagte: Castex habe angesichts einer paritätische Regierungsumbildung | |
| nur einen Mangel, er sei keine Frau. Die erste Lehre der jüngsten | |
| Kabinettsumbildung: Keine Frau zu sein, hat Jean Castex nicht daran | |
| gehindert, Premierminister zu werden – wie gehabt, könnten wir sagen, denn | |
| Edith Cresson im Jahr 1991 ist die Einzige, die es in Frankreich je auf | |
| diesen Posten geschafft hat. | |
| ## Feministin ausgebremst | |
| Als Innenminister wurde Gérald Darmanin berufen. Der frühere | |
| Haushaltsminister ist befördert worden. Aber gegen ihn gibt es laufende | |
| Ermittlungen wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung, sexueller Belästigung | |
| und Machtmissbrauchs, die er im Jahr 2009 verübt haben soll. Nachdem die | |
| Ermittlungen 2018 eingestellt worden waren, hat das Berufungsgericht in | |
| Paris am 11. Juni angeordnet, sie wieder aufzunehmen. | |
| Natürlich gilt für Darmanin die Unschuldsvermutung. Aber muss man einen | |
| Mann, gegen den wegen Vergewaltigungsvorwürfen ermittelt wird, auf den | |
| Posten des „ersten französischen Polizisten“ berufen? Und was soll man üb… | |
| die Äußerungen aus dem Umfeld des Präsidenten sagen? Man begrüße, dass sich | |
| die Dinge bezüglich der Anzeige „in die richtige Richtung“ entwickelten, | |
| zumal der Minister „nach Höherem strebe“. Welche Botschaft sendet man damit | |
| an die Opfer sexualisierter Gewalt? Das ist die zweite Lehre der | |
| Kabinettsumbildung: der Élysée-Palast begrüßt, dass ein | |
| Vergewaltigungsvorwurf keineswegs die Beförderung eines Manns an die Spitze | |
| des Innenministeriums behindert. | |
| Wie sieht es indes mit Feminist*innen in der Regierung aus? Da ist | |
| jedenfalls seit 2017 eine Staatssekretärin für die Gleichstellung der | |
| Geschlechter, [3][Marlène Schiappa]. Sie wurde gerade zur beigeordneten | |
| Ministerin für Staatsbürgerschaft gemacht. Bittere Ironie: Schiappa, die | |
| 2017 einen Essay über die „Vergewaltigungskultur“ (Rape Culture) schrieb | |
| mit dem Titel „Wo sind die Vergewaltiger?“, arbeitet von nun an unter | |
| Innenministers Gérald Darmanin. | |
| ## Frauen protestieren gegen Macron | |
| Und nicht zu vergessen: Justizminister Éric Dupont-Moretti, ein | |
| großmäuliger, medienwirksamer Anwalt. Als Anwalt hat er den früheren | |
| Staatssekretär Georges Tron verteidigt. Tron war wegen Vergewaltigung | |
| angeklagt, dann freigesprochen worden – die andere Seite hat allerdings | |
| Berufung eingelegt. Dupont-Moretti hat sich nicht damit begnügt, seinen | |
| Mandanten zu verteidigen. Er hat auch die Nebenklägerinnen mit den Worten | |
| angegriffen: „Ich würde Ihnen an die Kehle springen.“ Er hat eine | |
| Organisation angegriffen, die Frauen zu Hilfe kommt, die bei der Arbeit | |
| Opfer sexualisierter Gewalt werden. Und er greift regelmäßig Frauen an, die | |
| sexualisierte Gewalt im Rahmen der #MeToo-Bewegung anprangern. Das ist die | |
| dritte Lehre dieser Regierungsumbildung: Indem dieser Mann zum | |
| Justizminister gemacht wurde, wird den Opfern sexualisierter Gewalt | |
| vermittelt: Ihr seid nichts. | |
| So ist das „große nationale Anliegen“ drei Jahre nach der Wahl Emmanuel | |
| Macrons begraben. Aus dem eigenständigen Ministerium für Frauenrechte, das | |
| er im Wahlkampf versprochen hat, wurde nichts. Es wurde verwässert in ein | |
| beigeordnetes Ministerium mit lächerlich niedrigem Budget. Und man ernennt | |
| Personen auf Minister*innenposten, die Opfern sexualisierter Gewalt | |
| feindlich gesinnt sind, ja, sogar Männer, gegen die Vergewaltigungsvorwürfe | |
| bestehen. | |
| Es überrascht nicht, dass sich seit dem 6. Juli die Demonstrationen mehren: | |
| Am vergangenen Samstag etwa demonstrierten Tausende in Paris und anderen | |
| Städten. Protest gibt es nicht nur in Frankreich. Sogar in Berlin haben | |
| sich am Freitag Frauen vor der französischen Botschaft getroffen, um gegen | |
| das zu protestieren, was eine Journalistin des Online-Nachrichtenportals | |
| Médiapart eine „Kriegserklärung gegen die Frauenrechte“ nannte. | |
| Übersetzung: Eva Oer | |
| 14 Jul 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Johanna Luyssen | |
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