| # taz.de -- Kürzungen an Hochschulen: Kampf gegen das Spardiktat | |
| > Wegen rigider Kürzungspläne stehen ganze Studiengänge vor dem Aus. | |
| > Studierende und Wissenschaftler*innen in Berlin und Göttingen wehren | |
| > sich dagegen. | |
| Bild: Ende Juni planen Studierende ihren Protest auf einer Wiese vor der Humbol… | |
| Berlin taz | Stell dir vor, du beginnst dein Studium – und von einem auf | |
| den anderen Tag existiert dein Fach nicht mehr. Dieses Szenario droht unter | |
| anderem Marie B. Die 25-Jährige studiert Sozial- und Kulturanthropologie, | |
| kurz SKA, an der Freien Universität Berlin. Ihr Studiengang könnte bald | |
| eingestellt werden. Grund dafür ist der [1][rigide Sparplan des | |
| schwarz-roten Senats], der auch die Hochschulen der Hauptstadt massiv | |
| trifft. Allein in diesem Jahr sollen sie 142 Millionen Euro weniger | |
| erhalten – ein Minus von 8 Prozent. In den Folgejahren drohen weitere | |
| Einbußen. | |
| Die Folgen sind bereits spürbar: Die Semesterbeiträge und Mensapreise sind | |
| gestiegen, in einigen Fachbereichen gelten Einstellungsstopps, an manchen | |
| Wissenschaftsstandorten könnten ganze Forschungsbereiche gestrichen werden. | |
| Marie B. und ihre Kommiliton*innen an der FU wollen das nicht | |
| hinnehmen. Ihr Fach soll nach den Plänen der Uni besonders viel zum | |
| Sparziel der Landesregierung beitragen, sagen sie: Statt der zunächst für | |
| alle Fachbereiche veranschlagten 10 Prozent könnte hier knapp ein Drittel | |
| der Finanzmittel wegfallen. | |
| Damit müsste einer der Studiengänge sofort eingestampft werden. Und das, | |
| obwohl die Bachelor- und Masterstudiengänge immer ausgebucht, manchmal | |
| sogar überbucht sind. Die Studierenden lernen kritisches ethnografisches | |
| Arbeiten, Regionalexpertise zu Afrika, Südostasien, Lateinamerika, aber | |
| auch über Migrationskontexte in Deutschland. | |
| Dass die Kürzungspläne die Sozial- und Kulturanthropologie im Vergleich zu | |
| anderen besonders hart treffen, bestätigt auch Hansjörg Dilger, Professor | |
| am Institut für Sozial- und Kulturanthropologie an der Freien Universität | |
| Berlin. „Die Kürzungen bei uns sind total unverhältnismäßig“, sagt er d… | |
| taz. Die kritischen Sozialwissenschaften seien „im Moment weltweit und auch | |
| in Deutschland unter Beschuss“. Dabei seien diese „gerade im Kontext der | |
| gesellschaftlichen Entwicklungen mit Rechtsruck, mit wachsendem Rassismus, | |
| Antisemitismus“ besonders wichtig. | |
| Vonseiten der FU heißt es allerdings, dass die Kürzungen „nicht auf | |
| einzelne Fächer beschränkt“ seien. Alle Fachbereiche seien „gleichermaßen | |
| von einer Kürzung von 10 Prozent betroffen.„Aktuell fänden strategische | |
| Gespräche zwischen der Hochschulleitung und den Fachbereichen statt. Noch | |
| gäbe es keine abschließenden Entscheidungen. | |
| ## Welche Folgen hätte eine Kürzung? | |
| Würde ihr Studiengang gekürzt, könnte Marie B. nicht mehr ihren Abschluss | |
| in Berlin machen. Aber ihr geht es nicht nur um ihr persönliches Schicksal: | |
| „Ich finde es vor allen Dingen gesellschaftlich gesehen so fatal, dass an | |
| Bildung gekürzt wird und wo stattdessen das Geld hinfließt, also auf | |
| Bundesebene ins Militär mit Sondervermögen, in Berlin in die Polizei“, sagt | |
| Marie am Rande eines Treffens Ende Juni mit Kommiliton*innen. Auf einer | |
| Wiese vor der Humboldt-Universität bereiten sie eine Protestaktion bei der | |
| Langen Nacht der Wissenschaften vor. Im Plenum besprechen sie ihre | |
| Strategie, verteilen Verantwortlichkeiten, fertigen Demoschilder an. Rund | |
| 30 Personen sind gekommen. | |
| Einig sind sie sich, dass es fatal sei, ausgerechnet in Zeiten von | |
| zunehmender Demokratieverdrossenheit und Rechtsruck ausgerechnet an Bildung | |
| zu sparen. „Wir wollen nicht nur gegen die Kürzungen einstehen, wir fordern | |
| ein Sondervermögen für Bildung“, sagt Sophie Witt aus dem SKA-Master. | |
| „Viele sind genau für Sozial- und Kulturanthropologie nach Berlin gezogen“, | |
| ergänzt Goundo K., 21, Studentin im Bachelor. Sie sieht in diesen Fächern | |
| einen großen gesellschaftlichen Wert. „Hier können wir den Diskurs | |
| beeinflussen, der zum Beispiel Afrika immer wieder komisch abbildet.“ | |
| ## Umgang mit Protesten | |
| Die Studierenden protestieren aber nicht nur gegen die Kürzungen an sich, | |
| sondern auch gegen die Haltung des FU-Präsidiums. Während einer | |
| Protestaktion vor dem Präsidiumsgebäude mit etwa 500 Teilnehmenden hatte es | |
| laut Studierenden eigentlich eine Zusage des Präsidenten Günter Ziegler | |
| gegeben, dass er zu einem Gespräch kommen würde – stattdessen sahen sich | |
| die Protestierenden mit der Polizei konfrontiert. Viele Studierende | |
| wünschen sich allgemein einen ernsteren Umgang mit Protesten. | |
| Das Präsidium der FU bestätigt gegenüber der taz, dass es die Absicht gab, | |
| an der Kundgebung teilzunehmen. Doch während der Kundgebung seien | |
| „Sprechchöre und Äußerungen teils in aufgeheizter Stimmung laut“ geworde… | |
| „Ein Austausch zu den Haushaltkürzungen war nicht mehr möglich.“ Die | |
| Polizei sei „nicht auf Geheiß der Hochschulleitung vor dem Präsidium | |
| postiert“ worden. | |
| ## Unterstützung aus der Wissenschaft | |
| In Bezug auf die Kürzungen fordern die Studierenden den vollen Einsatz der | |
| Universitätsleitung. Es sei noch nicht alles verloren. „An der Universität | |
| wird alles teurer. Sehr viele Studierende haben sowieso schon | |
| Existenzangst“, sagt Tony L. Die 20-Jährige studiert Theaterwissenschaften, | |
| Germanistik und Philosophie und nimmt auch an den Protesten teil. Gerade | |
| werde es „für Studierende aus Arbeiter:innenfamilien noch schwerer, | |
| als es sowieso schon ist“. | |
| Auch aus der Wissenschaft kommt Unterstützung: In [2][einem offenen Brief], | |
| den bereits mehr als 2.000 Wissenschaftler*innen unterzeichnet haben, | |
| wird die schwarz-rote Regierung zum Umdenken aufgefordert: „Sie bedrohen | |
| den Wissenschaftsstandort Berlin, die wirtschaftliche und demokratische | |
| Zukunft und den sozialen Zusammenhalt in dieser Stadt!“, heißt es darin. | |
| Dass der Berliner Senat einlenkt, ist unwahrscheinlich. Am Montag erst | |
| bestätigte Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra (SPD) im | |
| Wissenschaftsausschuss des Abgeordnetenhauses, dass die Hochschulen 10 | |
| Prozent der derzeitigen Studienplatzkapazitäten abbauen müssten – das | |
| entspricht 25.000 Plätzen. Möglicherweise schreiten aber noch die Gerichte | |
| ein. Die Berliner Hochschulen bereiten aktuell unter Federführung der | |
| Technischen Universität Berlin eine Klage gegen das Land Berlin vor. Sie | |
| sehen in den Sparvorgaben eine Verletzung der Hochschulverträge, die ihnen | |
| eine Grundfinanzierung von knapp 2 Milliarden Euro zusichert. | |
| Auch in anderen Bundesländern stehen Kürzungen im Raum. In Hessen gab es am | |
| Dienstag in mehreren Universitätsstädten Proteste gegen mögliche | |
| Etatkürzungen im Rahmen des Hochschulpakts von Bund und Ländern. Nach | |
| Angaben der Hochschulen reißen die Pläne der schwarz-roten Landesregierung | |
| ein Loch von rund einer Milliarde Euro in ihr Budget für die nächsten sechs | |
| Jahre. | |
| ## Geschlechterforschung hart getroffen | |
| Welche Fachbereiche besonders von Einsparungen betroffen sind, zeigt sich | |
| beispielsweise an der Universität Göttingen. Dort ist die Professur für | |
| Diversitätsforschung gestrichen worden – und damit auch der gleichnamige | |
| Studiengang. Aus Sicht der Fachgruppe Geschlechterforschung in Göttingen | |
| sei es „kein Zufall, dass insbesondere die Geschlechter- und | |
| Diversitätsforschung von Einschnitten betroffen sind“, heißt es in einem | |
| offenen Brief. Diese Fächer gehörten zu den gesellschaftlich umkämpftesten | |
| – „sie polarisieren, sie stellen Machtverhältnisse infrage, sie haben | |
| weniger Rückhalt in konservativen akademischen Strukturen.“ | |
| Die finanziellen Einschnitte werden von der Universität Göttingen mit | |
| Sparzwang begründet. In dem offenen Brief wird kritisiert, dass die | |
| Diversitäts- und Geschlechterforschung im Gegensatz zu anderen | |
| Studiengängen überproportional betroffen sei. Größere Studiengänge haben | |
| nicht nur mehr Ressourcen, sondern wären von Kürzungen auch nicht so stark | |
| betroffen. Die Fachgruppe bemängelt, Kürzungen an ihren Bereichen seien | |
| entschieden worden, ohne zu prüfen, ob es in anderen Bereichen mit weniger | |
| starken Konsequenzen bewältigbar gewesen wäre. | |
| Bei den Betroffenen sorgt das für Frust – und ernsthafte Sorgen. Luise | |
| Plettner und ihre Kolleginnen Alicia Kopitzki und Paulina Gauly aus der | |
| Fachgruppe Geschlechterforschung berichten der taz, dass sich das | |
| politische Klima an ihrer Uni verändert hat. „Das sind ja explizite | |
| Angriffe gegen die Wissenschaftsfreiheit, und diese Bedrohungslage wird so | |
| nicht so stark wahrgenommen.“ | |
| Sie führten Gespräche mit Professoren, die offen sagen, dass die | |
| Geschlechterforschung schließen solle, weil sie aus ihrer Perspektive kein | |
| Studiengang sei. Wenn strukturell Bereiche wie die Geschlechterforschung, | |
| Diversitätsforschung und Anthropologie gekürzt werden, fürchten sie, seien | |
| Soziologie und Politikwissenschaften nicht weit. Das könne „einen | |
| Präzedenzfall“ schaffen. | |
| Wohin das führen kann, sieht man derzeit in den USA. Dort steht [3][die | |
| Wissenschaftsfreiheit massiv unter Beschuss.] In Berlin werden derweil die | |
| Kürzungen noch ausgehandelt. Für Marie B. und ihre Mitstudierenden ist | |
| klar, dass sie nicht kampflos aufgeben. Noch ist Zeit. Bis Ende September | |
| will die FU klären, wo gekürzt wird – und wo nicht. | |
| 9 Jul 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Kuerzungen-an-den-Unis-/!6092313 | |
| [2] https://www.zeit.de/news/2025-07/09/offener-brief-gegen-geplante-kuerzungen… | |
| [3] /Forschung-und-Wissenschaft/!6080760 | |
| ## AUTOREN | |
| Luna Afra Evans | |
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