| # taz.de -- Ich habe doch keine Vorurteile | |
| > STICHWORT In Mira Nairs „The Reluctant Fundamentalist“ gerät ein New | |
| > Yorker Consultant unter Terrorismusverdacht. Leider fehlt es dem Film an | |
| > der nötigen Komplexität | |
| Leider hat sich der Nachbar in den Kopf gesetzt, den Ästen eines Baums im | |
| weitläufigen, üppig grünen Garten seines schönen Hauses mit der Motorsäge | |
| beizukommen. Das garstige Geräusch dringt durch die Fenster und die Türen | |
| unserer Wohnung und durch die Stöpsel in meinen empfindlichen Ohren; die | |
| Säge heult auf, flaut ab, heult auf, Rücksicht kennt sie keine. Zum milden | |
| Humanismus des Eröffnungsfilms „The Reluctant Fundamentalist“ passt das gar | |
| nicht, aber natürlich hat ein Anwohner der Via Scutari am Lido di Venezia | |
| keinen Grund, davon Notiz zu nehmen. | |
| ## Am Teehaustisch | |
| Die Regisseurin des Films ist die in Indien aufgewachsene, in New York, | |
| Kampala und Delhi lebende Regisseurin Mira Nair. In den Mittelpunkt von | |
| „The Reluctant Fundamentalist“ stellt sie die Konversation zweier Männer: | |
| Bobby (Liev Schreiber), ein US-amerikanischer Journalist, sitzt mit Changez | |
| (Riz Ahmed) an einem Teehaustisch in Lahore. Er hält sein pakistanisches | |
| Gegenüber für einen islamistischen Fundamentalisten, mehr noch, für einen | |
| Terroristen, der in eine Entführung verwickelt ist. Changez wiederum | |
| beharrt darauf, dass Bobby sich seine Geschichte vollständig anhört, nicht | |
| nur Schnipsel, und dass er seine Vorurteile ablegt. „Ich bin Journalist“, | |
| erwidert Bobby beleidigt, „ich habe keine Vorurteile.“ Aber da ahnt man | |
| schon, dass Bobby nicht immer die Wahrheit sagt. | |
| ## Einen Bart wachsen lassen | |
| In langen Rückblenden erfährt man dann zunächst mehr über Changez. Er | |
| studiert in Princeton, macht Karriere bei einem New Yorker | |
| Consulting-Unternehmen, doch nach dem 11. September 2001 ändert sich sein | |
| Leben in den USA, ohne dass er etwas dagegen tun könnte. | |
| Am Flughafen wird er besonders gründlich durchsucht, seine Kollegen | |
| tuscheln böse, als er sich einen Bart wachsen lässt, auf der Straße wird er | |
| ohne Grund festgenommen, seine Freundin Erica (Kate Hudson), eine | |
| Künstlerin, missbraucht sein Vertrauen, indem sie private Gespräche und | |
| Fotos in eine Multimediainstallation einspeist. Nach und nach verliert | |
| Chan- gez den Glauben an seine New Yorker Existenz, und irgend- wann kehrt | |
| er ihr dann den Rücken. | |
| ## Ostentative Musik | |
| Nair verbindet Standards des Arthouse-Kinos mit einigen Elementen aus | |
| Agenten- und Actionfilmen und setzt dabei Musik ähnlich ostentativ ein, wie | |
| man das aus dem populären indischen Kino kennt: so, dass die Musik die | |
| Handlung und die Dialoge doppelt und verstärkt, statt sie subtil zu | |
| flankieren. | |
| ## Verweigere dich! | |
| Den Film bringt das in eine ungute Zwischenposition, weil er, indem er | |
| europäisch inspiriertes Arthouse und indischen Mainstream versöhnen möchte, | |
| beides verfehlt. Was Schauplätze und die sogenannten Production Values | |
| angeht, macht „The Reluctant Fundamentalist“ einiges her, die humanistische | |
| Botschaft – lass dich bloß nicht dazu zwingen, eine Seite einzunehmen! | |
| Verweigere dich der dichotomischen Logik des „us vs. them“! – ist | |
| überdeutlich formuliert und tut in dieser Überdeutlichkeit niemandem | |
| ernsthaft weh. | |
| Mehrmals sagt Changez zu Bobby, er dürfe sich vom äußeren Anschein nicht | |
| täuschen lassen, weil die Dinge immer komplizierter liegen. Schade, dass | |
| Nair diesen Gedanken ihres Helden von Anfang an gezielt untergräbt, indem | |
| sie alle Komplexität aus „The Reluctant Fundamentalist“ verbannt. | |
| CRISTINA NORD | |
| 30 Aug 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| CRISTINA NORD | |
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