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# taz.de -- Guillermo del Toros „Frankenstein“: Der Schönling ist das Biest
> Guillermo del Toro hat mit "Frankenstein" einen sehr teuren Film gedreht.
> Trotz Jacob Elordi als Monster wirkt der Film seltsam zusammengezimmert.
Bild: Einen Fuß fürs Monster abzutrennen, ist Voraussetzung dafür, dass es s…
Hat Netflix Guillermo del Toro in den Stoff gequatscht? Oder warum
eskaliert sein "Frankenstein" schon in den ersten Minuten so heftig, als
wollte man die Binger:innen mit dem Pilot einer neuen Serie gleich
wegföhnen und anfixen?
Da steckt ein Schiff im ewigen Eis. Die Crew um Captain Anderson (Lars
Mikkelsen) ist verzweifelt. Alle wollen weg, erst recht, als nach einer
Explosion dieser Victor Frankenstein (Oscar Isaac) und vor allem sein
Geschöpf, das ihn bis ans Ende der Welt verfolgt hat, auftauchen.
Das Biest im Kapuzenanzug prügelt sich auf der Suche nach seinem Papa durch
die bis an die Zähne bewaffneten Matrosen. Es metzelt sie ab, bricht sie
durch, buchstäblich, und schmeißt sie wie Papierflieger gegen den
Schiffsbug, das einem die Ohren dröhnen und die Augen brennen.
Del Toros Adaption von Mary Shelleys Gothicliteratur-Klassiker von 1818,
die [1][beim Filmfest in Venedig Premiere feierte], beginnt als das, was
sie insgesamt ist: ein bildgewaltig-blutiges Jahrmarktspektakel.
## Del Toro liebt Märchen und Monster
Dass sich der mexikanische Regisseur und Produzent des Stoffes annimmt, war
keine Frage der Zeit, sondern vielmehr vorherbestimmt, Schicksal. Keiner
liebt und zelebriert Monster, Märchen und Fantasy wie er. Keiner hat sich
mit seinen schauerromantischen, düster-poetischen Ausstattungsfilmen so
sehr sein eigenes Terrain abgesteckt wie del Toro.
In "Pan’s Labyrinth", seinem besten Film, findet ein Mädchen auf der Flucht
vor dem Zweiten Weltkrieg und dem Terror des Franco-Regimes eine düstere
Traumwelt voller bizarrer Wesen: ein Film, der vor Einbildungskraft
explodiert und in der Horror-Fantasywelt den Horror der Wirklichkeit
reflektiert.
Del Toro hat einen sprücheklopfenden, teufelsähnlichen Dämon mehrfach auf
Weltrettungsmission geschickt ([2]["Hellboy"]). Er hat von der erst
unwahrscheinlichen und schließlich folgerichtigen Liebe zwischen einer
stummen Putzfrau und einem Amphibienwesen in einem Geheimlabor auf dem
Höhepunkt des Kalten Krieges erzählt ([3]["Shape of Water"]).
Zuletzt hat er den berühmten Holzjungen mit der verräterischen Nase zum
animationsfilmischen Leben erweckt ([4]["Guillermo del Toro’s Pinocchio"]).
Nun, im Comebackjahr der Schauerklassiker, mit den Draculas von
Autorenfilmer Radu Jude und von Luc Besson [5][sowie Robert Eggers
"Nosferatu"] erweckt del Toro also Frankensteins Monster zum Leben.
Von dem Schiff aus, in dem Captain Anderson dem Verfolgten zu Filmbeginn
Unterschlupf gewährt, während alle bibbernd die Rückkehr des Monsters
fürchten, rekapituliert Victor Frankenstein seine (altbekannte) Geschichte,
seine Mad-Scientist-Werdung sozusagen.
Weil die geliebte Mama (Mia Goth) bei der Geburt seines jüngeren Bruders
William (Felix Kammerer) verstirbt, ist für Victor früh klar, dass er dem
Tod und Gott ein Schnippchen schlagen möchte. Im Studium doktert er sich
erste Objekte aus Leichenteilen zusammen und wird von den Professoren und
den Kommilitonen verlacht.
Mit Harlander (Christoph Waltz), Onkel von Elizabeth (ebenfalls Goth),
seiner Schwägerin in spe, kommt ein Förderer auf den Plan, mit dem Victor
seinen Traum realisieren kann. Beim Locationscouting findet das Duo
infernale einen abgelegenen Turm, der dem von Sauron aus "Herr der Ringe"
in nichts nachsteht.
Mit der nötigen Inneneinrichtung aus Elektroden, Laborkrams und mehr und
den auf dem Schlachtfeld zusammengesammelten Leichenteilen kann das
Monsterexperiment, ja: kann der kreative Orgasmus beginnen. Del Toro
verpackt seine Version der Geschichte in visuell beeindruckende, dabei aber
so penetrant auf Schauwerte hin überdekorierte Bilder, dass man sich
schnell an ihnen satt sieht.
Die Kamera fliegt durch den Schreckensturm mit all seinen morbiden Details.
So begleitet sie das kreativ-kreatürliche Treiben, bis Victor schließlich
im heftigsten Unwetter aufs Dach klettert, um den Leiter für den nötigen
blitzinduzierten Strom im Schaffensvollrausch selbst zu installieren.
Und dann ist es da, das Monster, das sicher nicht ohne Hintergedanken von
Jacob Elordi gespielt wird, dem hünenhaften Schönling aus der
Teenie-Dramaserie "Euphoria" oder der amoralischen Klassensatire
"Saltburn". Hier krakeelt der Schwarm als unsterblicher,
zusammengeschusterter, höllisch kräftiger Gollum-Verschnitt in
Basketballer-Übergröße durch die Szenerie.
## Viel Bumm, viel Krach und wenig Überraschung
Elordi als sensibles Monster ist das Ereignis in diesem sonst trotz allem
Bumm und Krach wenig überraschenden Film. Er treibt seinen Papa nahe an die
Depression, als er angekettet im Keller nicht seinen intellektuellen
Erwartungen entspricht. Mit unfreiwilliger Komik kippt der Film hier
kurzzeitig in eine monströse Familien-Dramedy über einen von seiner
Carework überforderten Vater.
Ein erstes Menscheln erlernt der Monsterknabe mit Elizabeth, die ihn ihm
eben etwas anderes sieht. Wie schon in Mary Shelleys Vorlage, so lässt auch
del Toro im zweiten Teil seines bisher teuersten Films das Geschöpf selbst
seine Geschichte erzählen und erweitert damit die Perspektive.
Wer ist hier das eigentliche Monster? Dieser alten Frage widmet sich die
neue "Frankenstein"-Verfilmung spätestens dann, wenn sie dem Geschöpf bei
seiner intellektuellen Adoleszenz als heimlicher Gast auf einem abgelegenen
Hof zuschaut. Und wenn es schmerzlich lernen muss, dass seine
Andersartigkeit zu heftiger Exklusion führt, was brutale Exzesse zur Folge
hat.
## Peinliche Wölfe können Frankenstein nicht töten
Die völlig künstlich aussehenden CGI-Wölfe, die das Geschöpf mit einem
nicht nachvollziehbaren Gore-Faktor zerreißt, sind die Talsohle des Films.
Del Toros "Frankenstein" wirkt, wie das Ungetüm im Film, selbst wie ein
seltsam zusammengezimmertes Unikum. Einerseits ist die Liebe des Regisseurs
zu dem Stoff in jeder Filmsekunde zu spüren, in jedem kunstvoll
(über)gestalteten, schrecklich schönen Bild mit den vielen, vielen Details.
In vielerlei Hinsicht erfüllt der Film damit so ziemlich genau das, was man
von dem Mexikaner erwartet hat. Doch zugleich erstickt sein "Frankenstein"
unter den auf Märchen gebürsteten Superlativen zwischen melodramatischem
Overkill und rüder Brutalität.
Dass del Toro seinen Film komplett als klassizistische Adaption angelegt
hat, wundert ebenfalls kaum, ist aber dennoch ein Statement. Klar hat das
Kino als Ort für Eskapismus eine Daseinsberechtigung.
Aber bei den Steilvorlagen unserer Gegenwart – Stichwort KI als
Creation-Tool – ist das schon bemerkenswert. [6][Yorgos Lanthimos hat
zuletzt mit "Poor Things"] gezeigt, wie sich Motive aus dem
Frankenstein-Mythos für Gegenwärtiges fruchtbar machen lassen.
In retrofuturistischem Setting erzählte er eine feministische
Frankenstein-Variante und machte sein von Emma Stone gespieltes Monster zum
Spiegel für unseren Umgang mit Sprache, für Machthierarchien, Rollenbilder
und sexuelle Identitäten. Demgegenüber wirkt del Toros "Frankenstein" eher
wie eine Michael-Bay-Version des Mythos: audiovisuell bombastisch, aber mit
eben nicht viel mehr dahinter.
Shelleys Vorlage dagegen wird immer wieder den Weg ins Kino finden. Im
kommenden Jahr schon bringt Maggie Gyllenhaal mit "The Bride! – Es lebe die
Braut" eine moderne Interpretation von "Frankensteins Braut", James Whales
Klassiker aus dem Jahr 1935, in die Kinos. Frankenstein ist eben
unsterblich.
22 Oct 2025
## LINKS
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[4] /Pinocchio-Animationsfilm-im-Kino/!5897108
[5] /Robert-Eggers-Nosferatu--Der-Untote/!6056560
[6] /Poor-Things-mit-Emma-Stone/!5983071
## AUTOREN
Jens Balkenborg
## TAGS
Monster
Romantik
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Kino
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Florentina Holzinger
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