| # taz.de -- Gebärstreik als Klimaschutz-Maßnahme: Kinderlos fürs Klima? | |
| > Die „birthstrike“-Bewegung diskutiert den persönlichen Verzicht auf | |
| > Kinder für den Klimaschutz. Effizienter wären Spenden für mehr | |
| > Geburtenkontrolle. | |
| Bild: Kondome gegen die Klimakrise? | |
| Der Verzicht auf Kinder scheint die radikalste und gemäß Studien der | |
| [1][Lund-Universität] in Schweden die effizienteste Maßnahme zu sein, die | |
| der Einzelne zum [2][Klimaschutz] beisteuern kann. Der Verzicht aufs Auto | |
| spart demnach 1 bis 5,3 Tonnen CO2-Äquivalent pro Jahr, aber der Verzicht | |
| auf ein Kind 23,7 bis 117,7 Tonnen CO2-Äquivalent pro Jahr. Es hat sich | |
| eine eigene Bewegung namens „birthstrike“ gebildet, in deren Reihen diese | |
| Fragen diskutiert werden. Was ist davon zu halten? | |
| Wer auf freiwilliger Basis Klimagase reduzieren will, sollte das vielleicht | |
| eher da tun, wo es am effizientesten ist. Dazu ein Rechenbeispiel: Ein Jahr | |
| lang auf Fleisch verzichten spart 450 kg Emissionen ein. Das bringt eine | |
| Ersparnis von 650 Euro. Setzt man diese Summe für durchdachte Spenden in | |
| Ländern des globalen Südens ein, vermeidet man 28.000 kg CO2. Spenden ist | |
| rund 50-mal effizienter, als den eigenen Fußabdruck zu kontrollieren, dafür | |
| gibt es viele Beispiele. | |
| Nun könnte man mit den Verfasserinnen meinen, auf Kinder zu verzichten sei | |
| aber viel effizienter als auf Fleisch zu verzichten. Auch hier kann Spenden | |
| jedoch mehr. Wenn weniger Kinderkriegen das effizienteste Mittel ist, kann | |
| man es durch Spenden besser durchsetzen. Man kann für den Einsatz von | |
| Verhütungsmitteln gegen ungewollte Kinder in der „Dritten Welt“ spenden. So | |
| vermeidet man wesentlich mehr Kinder, als man je privat in die Welt setzen | |
| könnte. Das Argument hinkt, dass CO2-Vermeidung in wohlhabenden Ländern | |
| ökologisches Schwergewicht habe, während in der Dritten Welt kaum emittiert | |
| werde. | |
| In Zukunft werden wir hier eine Energiewende erleben, während die Dritte | |
| Welt nachholendes Wachstum auslebt. Aber: Wer sind wir, dass wir | |
| bevölkerungspolitisch Einfluss auf den globalen Süden nehmen, nur um | |
| unseren (Klima-)Wohlstand nicht zu gefährden? Erstens stellen wir aber mit | |
| Verhütungsmitteln und Beratung nur ein Angebot zur Verfügung, um ungewollte | |
| Schwangerschaften zu vermeiden. Durch Aufklärung und Verhütung kämpft man | |
| auch gleichzeitig für Frauenrechte, Bildung und gegen Armut. Zweitens geht | |
| es nicht um unseren Wohlstand, sondern darum, so viele Emissionen zu | |
| vermeiden wie möglich. | |
| ## Bevölkerungspolitik durch Anreize ist verantwortbar | |
| Über den Weg des Spendens gäbe es noch viel zu sagen: etwa, dass er nur | |
| eine Zeit lang zu begehen ist und dass dies kein Ablasshandel ist, solang | |
| man nicht nur Emissionen kompensiert, sondern systematisch mehr spendet, | |
| als man selber emittiert. Wir sind einem Denken verhaftet, das besagt: Ich | |
| selbst und mein Verhalten bin der Nabel der Welt. Bei mir muss ich | |
| anfangen und das muss wehtun. Das ist falsch. Es geht nicht um meinen | |
| moralischen Masochismus, sondern darum, möglichst viel Klimagas | |
| einzusparen. | |
| Wir sollten uns zudem freiwillig so engagieren, dass wir uns nicht | |
| überfordern. Wer sich wirklich Kinder wünscht, wird durch die Unterdrückung | |
| dieses Wunsches langfristig unglücklich werden. Jedenfalls ist dieser Weg | |
| nicht nur ineffizient, wie der ganze Ansatzpunkt am ökologischen | |
| Fußabdruck, sondern er verschleißt auch die Motivation zum Klimaschutz. Der | |
| Verzicht auf eigene [3][Kinder] für den Klimaschutz verbindet hohe | |
| Wohlergehenskosten mit mangelnder Wirkung. Keine gute Kombination. | |
| Neben der privaten hat die Frage der Geburtenkontrolle auch eine politische | |
| Dimension. Die neue Bundesregierung will den Klimaschutz im Inland | |
| anpacken. Dabei darf sie nicht vergessen, dass sie im Ausland wesentlich | |
| mehr als 2 Prozent der weltweiten Emissionen beeinflussen kann. Deshalb hat | |
| sie den Klimaschutz ja auch zum Teil im Außenministerium angesiedelt. | |
| Ungenutztes Potenzial ließe sich dabei bei der Bevölkerungspolitik nutzen. | |
| Geburtenkontrolle bietet sich als Stellschraube für den Klimaschutz | |
| politisch besonders deshalb an, weil sie Staaten kaum etwas kostet, ja | |
| sogar Geld sparen hilft. Sie durchzuführen bedeutet keinen globalen | |
| Wettbewerbsnachteil und sie erfordert keine technologischen Wunder und | |
| Risiken. | |
| Gegen eine staatlich gelenkte Geburtenkontrolle spricht aber: Die freie | |
| Wahl der Nachkommenzahl ist ein Grundrecht, das etwa vom achten Prinzip der | |
| UN-Kairo-Konferenz betont wird. Eine weitere häufige Kritik an jedweder | |
| Bevölkerungspolitik ist die, dass hier die Privatsphäre der Menschen derart | |
| stark berührt sei, dass Staaten sich gänzlich zurückzuziehen hätten. Der | |
| Gedanke einer „mit Zwang“ vertretenen Bevölkerungspolitik wird von Kirchen | |
| und vielen NGOs abgelehnt. Weiterhin muss hinterfragt werden, ob weniger | |
| Kinder wirklich einen nennenswerten Beitrag zum Klimaschutz leisten. Die | |
| Antwort ist eindeutig: Dieser Beitrag soll nach Daten der US-Akademie der | |
| Wissenschaften schätzungsweise ein Fünftel einer Reduktion der Klimagase | |
| bringen, die wir benötigen. | |
| Wie könnte man diese lohnende Politik konform mit den Menschenrechten | |
| umsetzen? | |
| Einerseits kann man nur ein Angebot zur Verfügung stellen und es dabei | |
| bewenden lassen. Aber man könnte auch staatliche Anreize zur Verhütung zur | |
| Verfügung schaffen. Ein Verbot des Kinderkriegens, das mit hohen | |
| Freiheitsstrafen sanktioniert wird, wäre ein Zwang. Und eine Aufhebung des | |
| Rechts auf freie Fortpflanzung. Aber was, wenn die Ausübung eines Rechtes | |
| nur erschwert wird? | |
| Staaten setzen fortwährend Anreize und Sanktionen, die bestimmte | |
| Rechtsausübungen erschweren oder erleichtern. Im Falle der | |
| Bevölkerungspolitik leben wir aktuell in einem System, das starke Anreize | |
| für das Kinderkriegen setzt, wie das Kindergeld. Niemand wird behaupten, | |
| dass derlei Anreize es verunmöglichen, sich gegen Kinder zu entscheiden. | |
| Solange aber niemand gezwungen wird, bewegt man sich im grünen Bereich- | |
| Bevölkerungspolitik durch Anreize und Sanktionen ist prinzipiell | |
| verantwortbar, ebenso ein Fonds für solche Anreize seitens der Europäer. Ob | |
| Staaten Mittel aus diesem „Populationsfonds“ abrufen, unterliegt | |
| selbstverständlich ihrer souveränen Entscheidung. | |
| 18 Mar 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://iopscience.iop.org/article/10.1088/1748-9326/aa7541 | |
| [2] /Europaeische-Wirtschaft-und-Klimaschutz/!5839791 | |
| [3] /Kinderfrei-Lehrerin-bekommt-Aerger/!5594001 | |
| ## AUTOREN | |
| Bernward Gesang | |
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