| # taz.de -- Gamification der Arbeit: Ein Wolfsbaby als Belohnung | |
| > Arbeit als Mittel der Selbstoptimierung mit lockeren Spielen verbinden. | |
| > Ist „Gamification“ unproduktiver Spaß oder einfach nur Kapitalismus? | |
| Bild: Alle brauchen ein bisschen Spielzeit | |
| Dopamin flutet mein Hirn, als ich ein Kreuz auf meinem Bingo mache. Das | |
| dritte schon dieses Jahr! Heute habe ich es endlich geschafft, mir eine | |
| Massagepistole zu kaufen. Das stand ewig auf meiner To-do-Liste. | |
| Es ist das erste große Kreuz auf meinem Neujahrsbingo, die ersten beiden | |
| waren kleine für geschaffte Teilaufgaben. Zum Beispiel habe ich das erste | |
| von zehn Büchern, die ich dieses Jahr lesen will, durch. Stolz starre ich | |
| auf die bunten Kästchen. | |
| Es gibt zig Möglichkeiten, das Leben in ein Spiel zu verwandeln. | |
| [1][To-do-Listen und Bingos sind nur der Anfang]. Mein TikTok-Algorithmus | |
| spült mir Creator:innen rein, die Excel-Spreadsheets verkaufen. Es gibt | |
| welche für den Haushalt, für Finanzen oder Fitness – alle in Pastellfarben. | |
| Ich finde sogar Excel-Sheets für strategisches Dating. | |
| Diverse Apps und Programme haben das To-do-Listen-Game professionalisiert. | |
| Bei „Habitica“ bekomme ich für jede Aufgabe virtuelles Geld und | |
| Erfahrungspunkte. Nach drei Tagen Produktivität werde ich mit einem Ei, aus | |
| dem ein Haustier schlüpft, belohnt. Ein Wolfsjunges, wie süß! | |
| Maximale Produktivität | |
| Aber ist das noch Spiel oder einfach Neoliberalismus? Will ich meinen Spaß | |
| am Spiel wirklich ausnutzen, um mich zu maximaler Produktivität | |
| anzutreiben? | |
| Die britischen Soziologen Jamie Woodcock und Mark Johnson sagen, es gibt | |
| Gamifizierung von oben und von unten. Von oben heißt: Chef:innen nutzen | |
| Strukturen des Spielens, um mich dazu zu bringen, mehr zu arbeiten. Je mehr | |
| ich leiste, desto höher werden meine Prämien oder desto eher werde ich zur | |
| Mitarbeiter:in der Woche gekürt. | |
| Wenn ich mir Produktivitätsapps herunterlade, werde ich meine eigene | |
| Chefin. Ich treibe mich an, anstrengende Dinge zu tun, um zu funktionieren, | |
| indem ich meinen Spieltrieb anzapfe. Vielen Menschen hilft Gamifizierung, | |
| um in der Leistungsgesellschaft klarzukommen. | |
| Andererseits ist das Ziel von solcher Gamifizierung immer, den Kapitalismus | |
| aufrechtzuerhalten. Die Apps erzählen uns zwar, wir würden profitieren, | |
| weil wir fitter, produktiver und glücklicher werden. In Wirklichkeit | |
| profitieren Unternehmen und Reiche von unserer Arbeit, unserem Konsum oder | |
| unseren Daten. | |
| ## Zocken statt Homeoffice | |
| Als Widerstand gegen Gamifizierung von oben schlagen Woodcock und Johnson | |
| Gamifizierung von unten vor. Dann stehen nicht mehr die Spielstrukturen im | |
| Mittelpunkt der Arbeit, sondern das Ziel des Spielens. Und das ist immer: | |
| Spaß. Sinnloser, unproduktiver Spaß. Wenn ich meinen Arbeitslaptop zum | |
| Beispiel für Minesweeper nutze, statt zu arbeiten. [2][Wenn ich im | |
| Homeoffice zocke]. Wenn ich hier keine Gaming-Kolumne aufschreibe, sondern | |
| nur eine Liste meiner Lieblingswörter. | |
| Mein Bingo ist ein perfekter Mittelweg. Klar steckt da Selbstoptimierung | |
| drin. Meine Masterarbeit schreiben, 10 Bücher lesen. Irgendwie muss ich ja | |
| was schaffen. Aber ich will auch auf ein Festival gehen, eine Freundin in | |
| Köln besuchen und ein neues Land bereisen. 2025 soll Spaß bringen. | |
| 12 Jan 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Alexandra Hilpert | |
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