| # taz.de -- Die Grünen und die Bomben: Atomwaffen raus! Oder? | |
| > Im neuen Grundsatzprogramm fordern die Grünen den Abzug der Atomwaffen | |
| > aus Deutschland. Doch einige in der Partei klangen zuletzt weniger | |
| > entschieden. | |
| Bild: Tornados können Atombomben transportieren, erreichen aber kaum Ziele au�… | |
| Die Bomben in Büchel? Karl-Wilhelm Koch macht erst mal einen kleinen | |
| Scherz. Einen großen Vorteil habe die Sache ja, sagt der linke Basisgrüne | |
| am Telefon. „Ich weiß als einer der ersten, wenn der Dritte Weltkrieg | |
| losgeht.“ Keine 15 Kilometer Luftlinie von seinem Wohnort Mehren in der | |
| Vulkaneifel, Rheinland-Pfalz, lagern 20 amerikanische Atombomben auf dem | |
| Fliegerhorst Büchel. Dass eine russische Atomrakete auf dieses Ziel | |
| ausgerichtet ist, ist nicht unwahrscheinlich. | |
| Karl-Wilhelm Koch, im Grünen-Kreisverband Vulkaneifel aktiv, will aber aus | |
| ganz anderen Gründen, dass die Dinger möglichst schnell aus Deutschland | |
| verschwinden. Nukleare Waffen richteten solch verheerende Schäden an, dass | |
| sie zu ächten seien. „Diese Waffen“, sagt er, „sind ein Anachronismus der | |
| Geschichte.“ Es sei eine urgrüne Forderung, dass die US-Bomben aus Büchel | |
| abgezogen würden. Im Juli war er mit FriedensaktivistInnen wieder | |
| protestieren, auf einer Wiese direkt neben dem Tor des Militärgeländes. | |
| Mit der urgrünen Forderung hat Koch recht, eigentlich. Uneigentlich ist es | |
| aber so, dass die Grünen nach der Bundestagswahl 2021 regieren, vielleicht | |
| gar den oder die AußenministerIn stellen wollen. Und da wird es | |
| kompliziert. Doch von vorn. | |
| Seit den 1950ern sind in Deutschland amerikanische Atomwaffen stationiert, | |
| in Zeiten des Kalten Krieges waren es Tausende. Übrig geblieben sind bis | |
| heute die Freifallbomben des Typs B61 in Büchel. Das Konzept ist eine | |
| Arbeitsteilung: Sie sollen im Kriegsfall von deutschen Tornados, gesteuert | |
| von deutschen PilotInnen, ins Ziel geflogen werden. Die Nato nennt dieses | |
| Prinzip „nukleare Teilhabe“. | |
| Einige der Bomben verfügten über die dreizehnfache Zerstörungskraft der | |
| über Hiroshima abgeworfenen Bombe, welche mehr als 60.000 Menschen tötete, | |
| sagt der Greenpeace-Experte Christoph von Lieven. Selbst wenn man Kochs | |
| grundsätzliche Kritik an Atomwaffen nicht teilt und nukleare Abschreckung | |
| angesichts der komplizierten Weltlage nötig findet, ist der militärische | |
| Sinn der Büchel-Bomben fragwürdig. Die Tornados haben einen Kampfradius von | |
| höchstens 1.390 Kilometern und erreichen deshalb kaum Ziele außerhalb von | |
| Nato-Staaten. Selbst ein über Polen in der Luft betankter Tornado käme | |
| maximal in russisches Gebiet hinter der ukrainischen Ostgrenze. Weiter ins | |
| Landesinnere stünde sowieso die russische Luftabwehr im Weg. | |
| Irrsinn also, ein Relikt aus dem Kalten Krieg, wie es der Basisgrüne Koch | |
| behauptet? Fakt ist: Mit seiner Position steht er in der Partei nicht | |
| allein. Die Grünen lehnen Kriegseinsätze der Bundeswehr zwar schon lange | |
| nicht mehr kategorisch ab, das [1][Nein zu Atomwaffe]n ist für viele aber | |
| noch immer ein zentrales Anliegen. So sagt die Abgeordnete Katja Keul, in | |
| der Bundestagsfraktion für Abrüstung zuständig: „In Koalitionsverhandlungen | |
| sollte die andere Seite bei gewissen Punkten wissen, dass wir Grüne auf | |
| jeden Fall etwas erreichen müssen. Dazu gehören die Atomwaffen. Wir sind | |
| entschlossen, in dieses Gefecht reinzugehen und hart zu verhandeln.“ | |
| Einige in der Partei klingen mittlerweile aber auch nicht mehr ganz so | |
| entschieden. Der Abgeordnete Tobias Lindner zum Beispiel, Obmann im | |
| Verteidigungsausschuss, will zwar auch aus der nuklearen Teilhabe raus, hat | |
| es aber nicht sehr eilig damit. Als er Mitte November auf dem Podium des | |
| „Nato Talk“ sitzt, einer Konferenz der Bundesregierung mit Thinktanks und | |
| hochrangigen Militärs, lehnt er einen schnellen Abzug ab. Er wolle lieber | |
| dafür arbeiten, dass es „2030 oder 2035“ vielleicht ein „window of | |
| opportunity“ gebe, in dem man mit Russland über eine Reduzierung der | |
| Atomwaffen auf beiden Seiten reden könne. Der grüne Ex-Außenminister | |
| Joschka Fischer sagt an gleicher Stelle sogar: Auf die US-Atomwaffen dürfe | |
| Deutschland gar nicht verzichten. | |
| Ein „window of opportunity“ im Jahr 2035, man würde jetzt gerne das Gesicht | |
| von Karl-Wilhelm Koch sehen. | |
| Als die Grünen kurz nach dem „Nato Talk“ auf ihrem digitalen Parteitag üb… | |
| das neue Grundsatzprogramm abstimmen, treffen die Positionen direkt | |
| aufeinander. Im Leitantrag der Parteispitze gibt es zu den Atombomben nur | |
| ein paar schwammige Sätze. Der linke Basisgrüne Koch wirbt daher im Vorfeld | |
| in einem Änderungsantrag dafür, den „sofortigen Abzug“ der Atomwaffen zu | |
| fordern. Auch der Bundesarbeitsgemeinschaft „Frieden und Internationales“ | |
| ist der Leitantrag des Bundesvorstandes in dem Punkt zu lasch. In dem | |
| innerparteilichen Thinktank sitzen ExpertInnen von der Basis, die | |
| Fachthemen entwickeln und einbringen. | |
| Der Vorstand hat kein Interesse an einer Abstimmung auf dem Parteitag, die | |
| die Aufmerksamkeit der Medien auf das heikle Thema lenken würde – und tritt | |
| mit den AntragstellerInnen in Verhandlungen. Das Ergebnis ist ein | |
| Kompromiss: Deutschland müsse dem Atomwaffenverbotsvertrag der Vereinten | |
| Nationen beitreten, der im Januar im Kraft tritt und den bisher 84 Staaten | |
| unterschrieben haben. „Dazu braucht es ein Deutschland frei von Atomwaffen | |
| und damit ein zügiges Ende der nuklearen Teilhabe“, heißt es im fertigen | |
| Grundsatzprogramm. | |
| Aus Karl-Wilhelm Kochs „sofort“ ist also ein „zügig“ geworden. „Ich … | |
| dem Kompromiss sehr zufrieden“, sagt er. „Mir war wichtig, dass ein klarer | |
| Bezug zur nötigen Schnelligkeit des Abzuges drinsteht.“ | |
| Die Bundesarbeitsgemeinschaft Frieden lässt mitteilen, man solle sich | |
| lieber direkt an den Bundesvorstand wenden. Mit der grünen Streitlust ist | |
| es angesichts der Hoffnung auf eine Regierungsbeteiligung nicht mehr weit | |
| her. Klar ist: Die neue Formulierung gibt der Parteispitze mehr Spielraum | |
| für Koalitionsverhandlungen. | |
| Für grün-rot-rote Gespräche bräuchte sie den nicht so sehr. Die Linkspartei | |
| ist kategorisch gegen die Atomwaffen und auch in der SPD bewegt sich etwas | |
| in diese Richtung. Fraktionschef Rolf Mützenich wirbt seit Monaten dafür, | |
| die nukleare Teilhabe zu beenden. In einer Mitte-links-Regierung könnte das | |
| Thema also an Dynamik gewinnen. | |
| In schwarz-grünen Koalitionsverhandlungen sähe das aber anders aus. Die | |
| Union hält die Atombomben in Büchel für einen wichtigen Baustein der | |
| sicherheitspolitischen Architektur. „Unverzichtbar“ nennt sie Fraktionsvize | |
| Johann Wadephul. Hier müssten sich die Grünen also ins Zeug legen, um | |
| zumindest einen akzeptablen Kompromiss zu erreichen. | |
| Wie weit sie der Union dabei entgegenkommen würden? Die Parteispitze hält | |
| sich lieber bedeckt – sendet aber versöhnliche Signale. In einem Interview | |
| mit der Süddeutschen Zeitung sagte Parteichefin Annalena Baerbock in dieser | |
| Woche, über einen Atomwaffenabzug müsse eine grüne Bundesregierung zunächst | |
| mit den deutschen Bündnispartnern sprechen: „Wir können ja nicht einfach | |
| sagen, wir schicken die US-Atomwaffen mal eben zurück in die USA.“ | |
| Das klingt sehr offen. Wie sehr sie in einer Regierung auf einem Abzug | |
| bestehen würde und was erste Schritte wären, wollte Baerbock auf Anfrage | |
| der taz nicht beantworten. Keine Zeit, leider, leider. | |
| Klar ist aber: Zu viele Zugeständnisse dürfte die Parteispitze in dieser | |
| Frage auch nicht machen. Der Basis und dem linken Flügel wäre das nach dem | |
| verschärften Grundsatzprogramm schwer zu vermitteln, die Friedensbewegung | |
| schaut genau auf den Kurs bei den Atomwaffen. | |
| „Das neue Grundsatzprogramm zieht eine rote Linie. Dahinter kommen die | |
| Grünen nicht mehr zurück“, sagt Leo Hoffmann-Axthelm von Ican, dem | |
| internationalen Anti-Atomwaffen-Bündnis, das 2017 den Friedensnobelpreis | |
| erhalten hat. Drei Forderungen hat er an die Partei: Erstens soll der | |
| Atomwaffenverbotsvertrag ins Wahlprogramm und zweitens als eines der | |
| Top-Ten-Themen in Koalitionsgespräche. Und drittens: Auf keinen Fall | |
| dürften die Grünen als Regierungspartei atomwaffenfähige Kampfflugzeuge | |
| beschaffen. | |
| Tatsächlich steht für die nächste Regierung eine wegweisende, sehr teure | |
| Entscheidung an. Die Tornados, unter die die Bomben im Ernstfall montiert | |
| werden, gibt es seit 1973. Sie sind so veraltet, dass die Wartung immer | |
| teurer und komplizierter wird – und ein Teil der Flotte gar nicht | |
| einsetzbar ist. Deutschland muss also neue Flugzeuge kaufen. | |
| Nicht alle Kampfflugzeuge sind aber mit den US-Atombomben kompatibel. | |
| Würden die Tornados etwa durch Eurofighter ersetzt, wäre das de facto das | |
| Ende der nuklearen Teilhabe. Kauft Deutschland dagegen amerikanische | |
| F18-Jets, wie es die CDU gerne hätte, wäre das eine Vorentscheidung für die | |
| Atombomben. Die F18 ist für die Atomwaffen nämlich grundsätzlich geeignet. | |
| Sie könnte allerdings auch nicht weiter als der Tornado fliegen – was | |
| zeigt, dass diese Atomwaffenfrage vor allem ein Schaukampf ist. | |
| Es wäre auch möglich, den Flugzeugkauf zu vertagen und erst die übernächste | |
| Regierung darüber entscheiden zu lassen. Der Nachteil: Bis die neuen Jets | |
| fertig sind, wären die Tornados tatsächlich am Ende und höchstens noch | |
| durch teure Reparaturen in der Luft zu halten. Bleiben die Grünen in | |
| Koalitionsverhandlungen standhaft und rückt auch die Union von ihrer Linie | |
| nicht ab, könnte es aber darauf hinauslaufen. „Das wäre das kleinere Übel, | |
| als Flugzeuge anzuschaffen, die die nukleare Teilhabe auf Jahre | |
| zementieren“, sagt die Abgeordnete Katja Keul. Sie würde am liebsten schon | |
| im Wahlprogramm festschreiben, keine Atombomber zu kaufen. | |
| Dem Basisgrünen Karl-Wilhelm Koch schwant bereits, dass die Bomben vor | |
| seiner Haustür länger bleiben könnten als gedacht. „Die Ansagen von | |
| Annalena waren mir zu wolkig“, sagt er. Sie hätten nicht die klare | |
| Beschlusslage im Grundsatzprogramm wiedergegeben. „Offenbar will man es | |
| sich mit der CDU nicht verscherzen.“ Auch beim nächsten Vor-Ort-Protest | |
| will er dabei sein. Im März beginnt die Aktion „20 Wochen gegen 20 | |
| Atombomben“. | |
| 5 Dec 2020 | |
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