| # taz.de -- Bürgerräte als neues politisches Mittel: Reale oder gefühlte Par… | |
| > Bürgerräte sollen den gesellschaftlichen Zusammenhalt fördern. Fraglich | |
| > ist nur, ob echte Teilhabe in Massendemokratien überhaupt möglich ist. | |
| Bild: Wer bestimmt über tatsächliche Teilhabe an Entscheidungen? | |
| [1][Steffen Mau] brachte sie kürzlich wieder in die Diskussion ein: | |
| Bürgerräte. Vor allem im Osten könnten sie politisch sinnvoll sein. Aber | |
| nicht nur dort – überall, wo die grundlegende Unzufriedenheit mit der | |
| Demokratie, die Entfremdung von den Institutionen, die soziale Wut bekämpft | |
| werden sollen, werden sie aus dem Hut gezaubert: [2][Bürgerräte als neues | |
| politische Mittel] gegen jenes Unbehagen, das den Rechten Aufwind verleiht. | |
| Obwohl – so neu ist diese Vorstellung gar nicht. Seit der | |
| „partizipatorischen Revolution“ in den 1970er Jahren gilt diese Art der | |
| politischen Beteiligung als demokratisches Allheilmittel. Immer wenn es | |
| früher in Diskussionen um demokratische Teilhabe ging, erzählte jemand mit | |
| leuchtenden Augen von munizipalen Partizipationsmodellen in Südamerika. Da | |
| würde ein ganzer Ort zusammenkommen und gemeinsam entscheiden. | |
| Die Vorstellung einer Vollversammlung aller Bürger, die gemeinsam über ihre | |
| kollektiven Angelegenheiten entscheiden, in der jeder zu Wort kommt ist | |
| zweifellos eine schöne Vorstellung. Aber sie geht an der Realität einer | |
| Massendemokratie vorbei. Man muss also die Frage stellen: Ist Partizipation | |
| unter den Bedingungen einer Massengesellschaft überhaupt möglich? | |
| Entscheidend für diese Frage ist, dass nie klar unterschieden wird: Geht es | |
| bei Bürgerräten um eine reale Partizipation oder eine bloß gefühlte? Geht | |
| es um die objektive Realität der Entscheidungen, der harten Fakten, der | |
| messbaren Resultate? Oder geht es um die subjektive Realität der | |
| Partizipation – also das Gefühl, gehört und anerkannt zu werden? | |
| Vernachlässigte Unterscheidung | |
| Es ist kein Zufall, dass diese Unterscheidung vernachlässigt wird. Denn | |
| sowohl eine tatsächlich kollektive Entscheidungsfindung (vor allem auf | |
| lokaler Ebene) als auch die bloße „Befriedigung jenes prickelnden Triebs, | |
| seine eigene Meinung zu sagen“, wie Hegel es sehr anschaulich nannte – | |
| beides wird rein instrumentell verstanden: als Mittel, um den | |
| gesellschaftlichen Zusammenhalt zu fördern. | |
| „Bürgerräte erhöhen nachweislich die Zufriedenheit mit der Demokratie“, … | |
| etwa [3][der Politologe Marcel Lewandowsky kürzlich in der taz] ungewollt | |
| verräterisch meinte. Verräterisch, denn damit wird allein die subjektive | |
| Zufriedenheit zum Ziel. | |
| Genau in diese Kerbe schlug auch Emmanuel Macron anfangs mit seinem Konzept | |
| zur Erneuerung der Demokratie: Diese sollte an einer Neugestaltung der | |
| politischen Kommunikation mit den Bürgern genesen. Dazu dienten seine | |
| vielen Treffen überall im Land. Bürgerversammlungen im wahrsten Sinne, um | |
| die Leute vor Ort zu Wort kommen zu lassen. | |
| Der Effekt dieses Konzepts ist nicht die tatsächliche Teilhabe an | |
| Entscheidungen, sondern etwas anderes: Diese Vorstellung einer | |
| massentauglichen direkten Demokratie bedarf einer Art von Räumen, die in | |
| klassischen Parteien nicht vorgesehen sind. Sie braucht Foren, wo Leute | |
| gehört werden, wo sie zu Wort kommen – das bedeutet immerhin eine gewisse | |
| Öffnung. Aber ohne dass damit eine reale Teilhabe an Entscheidungen | |
| einherginge. | |
| Begegnung der Verschiedenen | |
| Dieser neue Resonanzraum erschöpft sich also nicht in dem subjektiven | |
| Gefühl zu partizipieren – es ist auch ein neuer Ort der Begegnung. Denn | |
| anders als in Bezirksgruppen oder Parteisektionen treffen sich da nicht | |
| einfach Parteigenossen, um sich als Gleiche zu bestätigen – sondern | |
| vielmehr ganz verschiedene Einzelne. | |
| Und genau an solchen Orten für die Verschiedenheit mangelt es. Und dennoch | |
| haftet solchen Bürgerräten etwas Therapeutisches an. Dass das nicht reicht, | |
| zeigt das Beispiel Macron. | |
| Der Aufstand der „Gelbwesten“ hatte ihm seine Botschaft in verkehrter Form | |
| zurückgeschleudert. Denn die „Gelbwesten“ hatten Partizipation ganz anders | |
| buchstabiert: nicht als Dialog, sondern als vehementes Aufbegehren. Und | |
| selbst darauf reagierte Macron mit einem „grand débat national“, einer | |
| nationalen Debatte: Leute sollten landesweit ihre Beschwerden artikulieren | |
| und deponieren. In Gesprächskreisen, Beschwerdeheften und Wunschzetteln. | |
| Eine nationale Gesprächstherapie – die ganz offensichtlich fehlgeschlagen | |
| ist. | |
| 23 Jul 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Isolde Charim | |
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