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# taz.de -- Elefanten, die verdursten
> Die 58. Kunstbiennale von Venedig, die an diesem Samstag eröffnet, will
> den Eigensinn der Kunst stärken. Afrika bildet die Avantgarde, aus den
> USA stammen die meisten Künstler
Bild: Automatisierter Sisyphos: Installation „Can’t Help Myself“ von Sun …
Von Brigitte Werneburg
Anders als seine VorgängerInnen hat Ralph Rugoff, der künstlerische Leiter
der 58. Ausgabe der Kunstbiennale von Venedig, seiner Ausstellung zwar ein
Motto, aber kein übergreifendes Thema gegeben. „Mögest du in interessanten
Zeiten leben“ soll ein alter chinesischer Fluch sein, ist als solcher aber
ein Fake, weil eine britische Erfindung. Der Wahlspruch will die
Kunstausstellung an unsere Gegenwart andocken, die in den USA Donald Trump
am Ruder sieht, in Europa den Brexit drohen und weltweit
rechtspopulistische und autoritäre Regime auf dem Vormarsch.
Da möchte der gebürtige US-Amerikaner, der seit 2006 die Londoner Hayward
Gallery leitet, den Eigensinn der Kunst stärken und argumentiert gegen ihre
Disziplinierung durch eine kuratorische Leitidee. Das überzeugt in der
Theorie, aber nicht wirklich in der Praxis. In der Abfolge der Räume kommt
es im Zentralpavillon in den Giardini zwar immer wieder zu Momenten
glücklicher Verblüffung. Trotzdem weiß man nicht zu sagen, ob die Schau,
die überrascht, damit auch schon gewinnt.
Tatsächlich erschließt sich die Zusammenstellung der Arbeiten und die
Kombination der Künstler und Künstlerinnen offenbar allein über das
Bemühen, einen lebendigen, bunten und unterhaltsamen Parcours zu
installieren. Und so stößt man von „The Decorated Shed“, der
Miniaturnachbildung eines nächtlich erleuchteten amerikanischen Suburb von
Alex Da Corte (*1980), auf eine geradezu vorbildliche Museumsinstallation
zum Thema Raumfahrt. Allerdings, entgegen der properen Aufmachung mit dem
Heldenbild des Astronauten erzählt Halil Altindere (*1971) in „Space
Refugee“ die Geschichte eines Flüchtlings in Istanbul.
Muhammed Ahmed Faris ist Syriens erster und einziger Kosmonaut, der 1987
mit den Sowjets ins All startete. Als Regimegegner fristet er nun ein
Flüchtlingsdasein in der Türkei und Altindere fragt, wenn kein Land
Flüchtlinge aufnehmen will, sollten sie womöglich auf dem Mars Zuflucht
suchen? Auch Kunst, die politisch Stellung nimmt, ist Rugoff ein Anliegen
und widerspricht nicht seinem erklärten Wunsch, dass die Besucher an seinem
Rahmenprogramm für die Internationalen Pavillons „Vergnügen haben“ sollen.
Ob seine Aufspaltung der Kunstausstellung in eine Proposition A und eine
Proposition B dieses Vergnügen verdoppelt, ist freilich fraglich.
Denn Ralph Rugoff traf mit seiner Reduzierung der Teilnehmerzahl auf nur 79
Künstlerinnen eine richtige Entscheidung, sabotierte sie dann aber gleich
wieder, indem er diese 79 Positionen zweimal zeigt, einmal in den Giardini
und noch einmal in den riesigen Hallen der Seilerei im Arsenale. Derart
soll die Bandbreite von Material, Genres und Medien aufgezeigt werden, die
im Werk der Künstler sichtbar wird. Oft läuft es aber nur auf eine
Verdoppelung heraus.
Sun Yuan (*1972) und Peng Yu (*1974) aus Peking etwa arbeiten offenbar
stets mit einem Konzept drastischer Effekte. Für die Installation „Can’t
Help Myself“ hat das Duo einen Industrieroboter so programmiert, dass er
– Sisyphos gleich – vergeblich versucht, mit dem Wischer seines mächtigen
Hebearms am Boden suppende blutrote Farbe aufzuwischen. Bei „Dear“ im
Arsenale schlägt dann ein schwarzes, mit Druckluft bewegtes Kabel, das aus
der Sitzfläche eines an das Washingtoner Lincoln Memorial erinnernden
Marmorthrons herauskommt, plötzlich mit ohrenbetäubendem Lärm wie wild
gegen die Glasscheiben, die die BesucherInnen vor der Peitsche schützen.
Grundsätzlich ist aber eine gute Auswahl an Arbeiten zu sehen, viel
gegenständliche Malerei, nicht immer überzeugend, dazu Video, wirklich
interessante Fotografie, und ein Spektrum an Skulptur, die so lebendig
wirkt, dass man meint, hier sollte man noch mal genauer schauen. Die
Forderung, gleich viele Frauen wie Männer zu zeigen, übererfüllt Rugoff mit
52 Prozent Künstlerinnen, der Eindruck von Diversität allerdings täuscht.
Mit 17 KünstlerInnen stellen die USA knapp ein Viertel der TeilnehmerInnen
und noch aufschlussreicher: Knapp ein Drittel der 79 KünstlerInnen lebt und
arbeitet in den USA. Gleich dahinter kommt Berlin, von wo 14
Teilnehmerinnen anreisten.
Diversität in die Biennale bringen die Länderpavillons. Neben Madagaskar
und Malaysia sind zum ersten Mal auch Ghana und Pakistan dabei. Felicia
Abban, Ghanas erste Studiofotografin, ist mit ihren in den 1960er und
1970er Jahren entstandenen Porträtaufnahmen von Accras Bourgeoisie in
Venedig eine wirkliche Entdeckung. Sonst aber wartet Ghana mit bekannten
Künstlern wie Lynette Yiadom-Boakye auf. Für ihre figurative Malerei war
sie 2013 für den Turner Prize nominiert,. Der Bildhauer El Anatsui, berühmt
für seine monumentalen Wandskulpturen aus Flaschenverschlüssen, hat derzeit
eine große Einzelausstellung im Münchner Haus der Kunst. Und auch John
Akomfrah ist ein international wichtiger Filmemacher. In einer dreiteiligen
Filminstallation zeigt er von Dürre gezeichnetes, niedergehaltenes und auch
schon erlöschendes Leben, Elefanten, die verdursten, es bricht einem das
Herz.
Das postkoloniale Afrika tritt als Vorhut, Avantgarde unserer globalen
nächsten Zukunft auf. Unsere nächste Vergangenheit heißt, besonders in
Venedig, Kolonialismus. Das Königreich Belgien errichtete den ersten
Pavillon in den Giardini. Auf einem Wetterbericht von 1939, also aus den
Zeiten der britischen Herrschaft über den indischen Subkontinent, bauen
Naiza Khans „Manora Field Notes“ im Pakistanischen Pavillon auf. Die
multidisziplinär arbeitende Künstlerin beleuchtet anhand der Entwicklung
der Karachi vorgelagerten Insel Manora den generellen Strukturwandel in der
Region, Belange postkolonialer Planung, Klimawandel, Umsiedlung und
Vertreibung.
Die „Manora Field Notes“ sind vielschichtig, Sound, Film und Skulptur
greifen ineinander, dazu kommt das Alltagsobjekt der am Strand stehenden
Aussichtsgläser, die den weniger begüterten Einwohnern von Karachi, die auf
der Insel Ferien machen, das rare Vergnügen verschaffen, endlich einmal den
Horizont absuchen zu können. Kolonialismus und Postkolonialismus sind für
Naiza Khan ganz deutlich, wie sie sagt, eine Geschichte der Wahrnehmung und
ihrer Instrumente.
Sie definieren unsere kulturelle Wahrnehmung und bestimmen, was wir für
glaubwürdig halten. Diesen Sachverhalt dreht nun Tamás Waliczky im
Ungarischen Pavillon um. Er gehört – wie der von Katalonien – zu den
Pavillons, die man scheut. Befürchtet man doch Kunst als Mittel
nationalistischer Indoktrination zu erleben. Aber Waliczky, der seit 1992
nicht mehr in Ungarn lebt, ist ein im Bereich Neue Medien international
anerkannter Künstler. In minutiöser Arbeit am Computer hat er
dreiundzwanzig Kameras, Projektoren und Bildbetrachter konstruiert, die
schräge, fantastische bis wahnsinnige Wahrnehmungsvorstellungen oder
-wünsche in Apparate übersetzen: sehr lustig und mit deutlich erkennbarer
politischer Stoßrichtung.
Das vermag die Kunst: Auch die Tomatenkisten aus grünem Plastik von den
Feldern in Sizilien, die Natascha Sadr Haghighian in den letzten Raum des
deutschen Pavillons gestellt hat, sind solche politischen
Wahrnehmungsapparate, um das komplexe Drama von Flucht und migrantischem
Überleben zu erfassen. Die Staumauer dagegen versperrt nur die Sicht.
Bis 24. November, Venedig
11 May 2019
## AUTOREN
Brigitte Werneburg
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