| # taz.de -- Die Schattenseite des Kita-Systems | |
| > In städtischen Kitas wird der Personalschlüssel oft unterschritten. Wie | |
| > die Lage in privaten Kitas derzeit ist, weiß der Senat nicht, denn die | |
| > kontrollieren sich selbst | |
| Bild: Kita-Kinder: Haben mal mehr und mal weniger Betreuung | |
| Von Kaija Kutter | |
| Die Kita-Volksinitiative in Hamburg hat bekanntlich durchgesetzt, dass ab | |
| 2021 für Krippen und ab 2024 für die übrigen Kita-Kinder bessere | |
| Personalschlüssel gelten. Doch wie nun am Rande des Familienausschusses | |
| durch eine Protokollnotiz publik wurde, dürfen Kita-Anbieter seit jeher von | |
| vereinbarten Schlüsseln abweichen. Und zwar im Jahresdurchschnitt um bis zu | |
| zehn Prozent. Erst bei einer Personalversorgung von unter 90 Prozent wird | |
| eine Linie überschritten, ab der dies meldepflichtig ist. | |
| Der FDP-Politiker Daniel Oetzel nahm dies zum Anlass, eine Anfrage zu | |
| stellen. Er wollte jetzt vom rot-grünen Senat wissen, wie oft Kitas bisher | |
| die derzeit gültigen Betreuungsschlüssel um bis zu zehn Prozent oder sogar | |
| mehr unterschritten haben. Die Antwort des Senats ist interessant. Von den | |
| 177 stadteigenen Elbkinder-Kitas schaffte es in den Jahren 2016 und 2017 | |
| nur knapp jede Dritte, diese rote Linie in keinem Monat zu unterschreiten. | |
| Allein 2017 lagen 86 Elbkinder-Kitas für ein bis drei Monate und 39 sogar | |
| vier bis sechs Monate unter der 90-Prozent-Versorgung. | |
| Oetzel fragte auch, wie dies bei den rund 900 Kitas freier Träger aussieht. | |
| Die Sozialbehörde „verfügt nicht über die Informationen“, so die Antwort. | |
| Und die drei großen Kita-Dachverbände konnten in der kurzen Zeit zur | |
| Beantwortung der Anfrage keine Daten liefern. Offenbar habe der Senat | |
| „nicht den Anspruch, den vereinbarten Betreuungsschlüssel auch | |
| durchzusetzen“, sagt Oetzel. | |
| Die Sozialbehörde sieht das weniger dramatisch. Die Erlaubnis zum | |
| Unterschreiten der 100-Prozent-Versorgung sei nötig, um den Kitas im | |
| Gutscheinsystem eine „flexible Anpassung an Nachfrageschwankungen“ zu | |
| ermöglichen. Bei erhöhter Nachfrage könnten zusätzlich Kinder aufgenommen | |
| werden, „ohne dass sofort zusätzliches Personal eingestellt werden muss“, | |
| erklärt Behördensprecher Marcel Schweitzer. Die zusätzlichen Einnahmen | |
| durch die Gutscheine wiederum dienten als Ausgleich für Zeiten mit | |
| Unterauslastung, ohne sofort Personal abbauen zu müssen. Das Risiko, dass | |
| der Fachkraftschlüssel im Gutscheinsystem dauerhaft unterschritten wird, | |
| schätze die Behörde „gering“ ein. | |
| Bisher prüft die Kita-Aufsicht nur die Personalsituation in Kitas, wenn es | |
| dazu einen Anlass gibt, wie etwa Elternbeschwerden. Seit 2014 sei nur ein | |
| Fall bekannt, in dem eine Kita kurzfristig nach einer Beschwerde | |
| geschlossen werden musste, sagt Schweitzer. In 24 Fällen hätten Kitas von | |
| sich aus wegen unvorhergesehener Personalausfälle den Betrieb geschlossen. | |
| Laut Schweitzer ist auch die Personallage bei den Elbkinder-Kitas mit | |
| jahresdurchschnittlich 99 Prozent in 2016 und 106 Prozent in 2017 | |
| „insgesamt sehr gut“. Es kommt auf die Betrachtung an. Alle Träger, | |
| städtische wie private, verrechnen beim Jahresdurchschnitt der Phasen mit | |
| zu viel und zu wenig Personal. | |
| Der Vertrag zum Gutscheinsystem fordere aus gutem Grund keine | |
| stichtagsgenaue, sondern eine jahresdurchschnittliche Personalausstattung, | |
| sagt Martin Peters vom Paritätischen Wohlfahrtsverband. Denn nach den | |
| Sommerferien verließen viele Kinder, die eingeschult werden, die Kita, das | |
| Personal sei aber gleichbleibend da. Dann liege die Versorgung bei über 100 | |
| Prozent. In den Wochen vor der Einschulung seien mehr Kinder da, sodass der | |
| Schlüssel unter 100 Prozent liege. „Dafür benötigen Kitas diese | |
| grundsätzliche Schwankungsbreite“, so Peters. | |
| Der Rechnungshof nahm daran Anstoß und hat dies zuletzt in seinem Bericht | |
| von 2015 moniert. Deshalb hätten die Verbände selbst Werte erhoben. „Die | |
| Auslastung lag zwischen 96 und gut 100 Prozent“, sagt Jens Stappenbeck, | |
| Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (AGFW). | |
| „Eine Unterschreitung konnte damals nicht festgestellt werden“, sagt er. | |
| Und die AGFW gehe davon aus, dass es auch heute nicht regelhaft zu | |
| Unterschreitungen komme. Andernfalls hätte die AGFW dies von ihren | |
| Mitgliedsverbänden erfahren. Oetzel stütze sich in seiner Kritik auf Zahlen | |
| der Anfrage, die monatsweise die Auslastung angeben. Dies widerspreche der | |
| „Systematik“ des Landesrahmenvertrags und gebe ein „verzerrtes Bild“ , … | |
| Stappenbeck. | |
| Den Wind aus den Segeln nimmt nun zudem die Ankündigung, dass es ab dem | |
| nächsten Jahr ein Kita-Prüfverfahren geben soll. Dann kann die | |
| Kita-Aufsicht auch ohne Anlass – nach schriftlicher Anmeldung – prüfen, ob | |
| eine Kita sich an die Regeln hält. „Die Überprüfung der | |
| jahresdurchschnittlichen Personalmenge gehört dazu“, sagt Sabine Kümmerle, | |
| Geschäftsführerin des alternativen Wohlfahrtsverbandes Soal, der 180 Kitas | |
| vertritt. Aus ihrer Sicht gebe es schon heute ausreichende Regelungen zu | |
| den Meldepflichten bei Personalunterschreitungen, aber die würden durch die | |
| neuen Prüfungen „noch erweitert“, so Kümmerle. | |
| Marina Jachenholz, Betriebsrätin der Elbkinder-Kitas, findet die | |
| Betrachtung dieser Jahresdurchschnittswerte falsch. „Die Zahlen werden sich | |
| zurechtgerechnet“, sagt sie. „Die Frage stellt sich: Was braucht ein Kind | |
| jeden Tag. Dem sind die Sommerferien herzlich egal.“ Das | |
| Kita-Gutscheinsystem sei an dieser Stelle sehr schlecht. Es animiere | |
| Träger, schon im Januar und Februar Kinder aufzunehmen und 110 Prozent | |
| Auslastung zu kommen, damit nach den Ferien keine Unterauslastung entsteht. | |
| Sie ist überzeugt, dass die Werte der FDP-Anfrage repräsentativ sind. „Die | |
| Werte sind mitnichten nur bei den Elbkinder-Kitas so schlecht“, sagt sie. | |
| „Es werden ja alle nach dem gleichen System vergütet. | |
| Jahresdurchschnittswerte sind reine Betrachtung am grünen Tisch.“ Ob Kinder | |
| richtig versorgt sind, lasse sich nur mit einer Stichtagsprüfung | |
| feststellen. „Ich rate Elternvertretern, sich das Monat für Monat | |
| vorrechnen zu lassen.“ | |
| 16 Nov 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Kaija Kutter | |
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