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# taz.de -- Anwalt über „Cumhuriyet“-Prozess: „Wir kämpfen weiter“
> Mehrere Mitarbeiter der regierungskritischen türkischen Zeitung
> „Cumhuriyet“ sind zu langen Haftstrafen verurteilt wurden. Zu Unrecht,
> findet deren Anwalt.
Bild: „Gerechtigkeit für cumhuriyet“ steht auf dem Schild, das ein Demonst…
Taz: Herr Yalçın, nachdem die Richter am vergangenen Mittwoch [1][ihre
Urteile gesprochen hatten], kam mit dem Herausgeber der Cumhuriyet, Akın
Atalay, erst einmal der letzte Mitarbeiter der Zeitung, der noch in U-Haft
saß, frei. Endlich sind sie alle wieder zusammen in der Redaktion.
Abbas Yalçın: Ja, wir sind natürlich froh darüber. Doch angesichts der
unvergleichlich hohen Strafen, die verhängt wurden, darf nicht übersehen
werden, dass kein einziger Tag davon zu recht verhängt wurde. Dass unsere
Mandanten verurteilt wurden, ohne dass irgendein Beweis für ihre Beihilfe
zu einer terroristischen Vereinigung vorliegen würde, ist absolut unfair
und unrechtmäßig.
Wie hoch sind die Strafen bei ähnlichen Vorwürfen denn sonst?
Personen, die wegen der Mitgliedschaft bei FETÖ („Fethullahistische
Terrororganisation“, Anm.d.Red.) angeklagt sind, bekommen in der Praxis
sechs Jahre und drei Monate. Für die Mitgliedschaft in einer
terroristischen Vereinigung sind also sechs Jahre und drei Monate üblich.
Gegen die Cumhuriyet-Mitarbeiter wurden nun Strafen von bis zu acht Jahren
und einem Monat verhängt, und zwar allein wegen Beihilfe, noch nicht einmal
wegen der Mitgliedschaft in einer Terrororganisation. Emre Iper, der in der
Buchhaltung beschäftigt ist, wurde der Propaganda für eine terroristische
Vereinigung bezichtigt. Die meisten Menschen würden wegen einer solchen
Anschuldigung keinen einzigen Tag in Haft kommen. Die Haftstrafen wurden
unter Auflagen zur Bewährung ausgesetzt. Emre Iper bekam wegen drei Tweets
an seine gerade einmal 32 Follower drei Jahre, einen Monat und 15 Tage
Haft. Nur weil er Mitarbeiter der Cumhuriyet ist.
Müssen die Cumhuriyet-Mitarbeiter nach der langen Untersuchungshaft nun ins
Gefängnis? Oder können Sie rechtlich noch einlenken?
Es ist zu früh, um das beurteilen zu können. Die Urteile müssen bestätigt
sein bevor jemand ins Gefängnis kommt, das kann Jahre dauern. Uns steht
noch der Weg der Revision offen, wir werden uns an das Berufungsgericht
weden. In einem System, in dem die Rechtsprechung funktioniert und eine
faire Gerichtsbarkeit gegeben ist, müsste dieses Berufungsgericht die
Angeklagten unverzüglich freisprechen. Wenn nötig, ziehen wir auch vor das
Verfassungsgericht und danach zum Europäischen Gerichtshof für
Menschengerichte (EGMR).
Nehmen wir an, die türkische Justiz fällt kein gerechtes Urteil. Welchen
Einfluss könnte der EGMR dann noch nehmen?
Wir können uns ja gar nicht direkt an den EGMR wenden, wir müssen zunächst
zum Verfassungsgericht gehen. Erst wenn das Ergebnis dort negativ ist,
können wir beim EGMR klagen. Verfassungsgericht und EGMR arbeiten extrem
behäbig. Wir haben noch nicht einmal eine Antwort auf unsere Anträge wegen
unrechtmäßiger Haft vom Verfassungsgericht. Auch der EGMR hat die Sache in
die Länge gezogen, um kein Urteil sprechen zu müssen. Wir hatten wegen
unrechtmäßiger Haft geklagt, jetzt werden wir uns wegen unfairer
Prozessführung dorthin wenden.
Hat die Regierung mit diesem Prozess ihr Ziel erreicht?
Nein, wir stehen ungebrochen aufrecht. Wir üben unsere journalistische
Tätigkeit weiter aus wie immer. Sie werden die Cumhuriyet nicht zum
Schweigen bringen. Es läuft ja nicht bloß dieser Prozess, es sind darüber
hinaus eine ganze Reihe von Ermittlungen, Straf- und
Entschädigungsprozessen anhängig. Obendrein gibt es finanzielle
Schwierigkeiten, man scheut sich, Werbeanzeigen bei uns aufzugeben. Seit
zwei Jahren kämpfen wir unter diesen Umständen und das werden wir auch
weiterhin tun.
Wie viele Prozesse laufen noch gegen die Cumhuriyet?
Allein seit 2016 sind über 50 Prozesse gegen die Cumhuriyet anhängig.
Wie geht es nun für sie weiter?
Nach wie vor sind Journalisten und Anwälte in Haft. Die Mahnwachen für
Gerechtigkeit vor dem Gerichtspalast in Istanbul gehen weiter. Wir stehen
vor Wahlen, wahrscheinlich wird die Regierung den politischen Druck
erhöhen. Wir werden weiterkämpfen, es hat gerade erst angefangen. Das
zeigen auch die Worte unseres Vorstandsvorsitzenden Rechtsanwalt Akın
Atalay, der am Mittwoch aus der Haft freikam: „Wir werden da weitermachen,
wo wir stehengeblieben sind“.
Aus dem Türkischen von Sabine Adatepe
30 Apr 2018
## LINKS
[1] /Cumhuriyet-Prozess-in-der-Tuerkei/!5501544/
## AUTOREN
Ali Çelikkan
## TAGS
Cumhuriyet
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Recep Tayyip Erdoğan
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