| # taz.de -- 500 Jahre deutsches Reinheitsgebot: „Elf nehm ich noch“ | |
| > Trotz 500 Jahren Reinheitsgebot wird viel Schund mit Bier getrieben: | |
| > Craftbeer, Indian Pale Ale. Der schönste Rausch ist der von einem Hellen. | |
| Bild: Prost, Prost, Prost, Prost, Prost, Prost, Prost, Prost, Prost, Prost und … | |
| ## „Ein Helles, bitte!“ | |
| Schmeckt auch schon um diese Zeit. Habe ich viel zu selten gemacht in der | |
| letzten Zeit. Es ist ja auch immer so viel zu tun. Schaut gut aus. Und | |
| schön kalt ist es auch. Dann probieren wir doch mal. Kann man lassen. Das | |
| weiß ich schon, dass das kein besonderes Bier ist, eher ein normales, zwar | |
| von einer Privatbrauerei, aber trotzdem ein Industriebier. Das schmeckt | |
| eben wie das Bier schmeckt, das man schon immer getrunken hat. Und weil man | |
| immer gern Bier getrunken hat, schmeckt es eben gut. Auch um diese Zeit | |
| schon. | |
| ## „Machst du mir noch eins, bitte!“ | |
| Es hat eben jeder sein Bier. Da kann man auch schön streiten drüber. Für | |
| den einen ist ein Helles Plörre, der andere kriegt ein herbes Pils kaum | |
| runter. Und dann gehört da auch immer eine Geschichte dazu. Wenn einer am | |
| liebsten Kölsch trinkt, Alt aber nicht ausstehen kann, dann liegt das nicht | |
| unbedingt immer am Geschmack. Im Urlaub schmecken einem oft Biere, die man | |
| zu Hause am liebsten wegschütten würde. Und es kann gut sein, dass man im | |
| Sommer einen anderen Biergeschmack hat als im Winter. Heute bleibe ich beim | |
| Hellen. Man bleibt eh meistens bei dem Bier, mit dem man angefangen hat. | |
| Manchmal bleibt man sein Leben lang bei dem Bier, mit dem man sich seinen | |
| ersten Rausch angesoffen hat. Sind ja auch oft schöne Erinnerungen. Und | |
| dass man sich seinerzeit hat übergeben müssen, spielt heute eh keine Rolle | |
| mehr. | |
| ## „Gibst du mir noch ein Helles, bitte?“ | |
| Es geht doch nichts über einen gesunden Bierdurst. Wenn ich mir vorstelle, | |
| ich hätte jetzt schon einen Liter Limo getrunken oder eine Apfelschorle. | |
| Schon der Gedanke an den klebrigen Mund, den man dann hat, lässt einen doch | |
| sofort zum Bierglas greifen. Heute schmeckt's endlich mal wieder so wie | |
| früher. Wahrscheinlich, weil egal ist, was noch kommt. Klar, irgendwie hat | |
| man immer was vor. Eine Waschmaschine machen, oder die Steuer und dann ist | |
| da noch die Lampe, die man schon seit zwei Wochen an die Decke hängen | |
| wollte. Trotzdem, ein schlechtes Gewissen braucht man ja wohl nicht zu | |
| haben, wenn man die fünf Kilometer hierher mit dem Rad gefahren ist. Es | |
| sind schon viele Kalorien in so einem halben Liter, aber man kann ja auch | |
| was dagegen machen. Radfahren, Laufen oder so. Müsste man halt mal | |
| anfangen. Aber das wird heute sowieso nichts mehr. | |
| ## „Eins nehm ich noch.“ | |
| Sich so richtig in einen Tag hineintrinken. Nein, das muss heute wirklich | |
| nicht sein. Das sollte man ja auch nicht allein machen. Ist schon besser, | |
| wenn da jemand dabei ist. Das muss nicht einmal einer sein, mit dem man | |
| dann viel redet. Das kann auch einer sein, den man fast gar nicht kennt, | |
| und der vielleicht sowieso nicht gern viel sagt. Wenn ein neues Bier kommt, | |
| dann schaut man sich kurz in die Augen, stößt an und dann merkt man schon, | |
| dass der andere genau das Gleiche will, wie man selbst. Stunden kann das | |
| gehen. Und wenn man den ganzen Tag nicht gesprochen hat, dann hat man auch | |
| nicht so viel nachzudenken, wenn man dann am Abend im Bett liegt. Dem | |
| Schlaf schadet das jedenfalls nicht. Darf man halt keinen Schnaps trinken. | |
| Und wenn man dann trotzdem mit einem Schädel aufwacht, dann muss man sich | |
| nur eins sagen: Diesen schönen Rausch kann einem keiner mehr nehmen. | |
| ## „Ja, mach noch mal voll, bitte!“ | |
| Stimmt, ist schon wieder leer. Ich seh schon: Heute läuft's richtig gut. | |
| Das müsste man eigentlich ausnutzen. Gibt's eigentlich ein Getränk, von dem | |
| man die gleiche Menge trinken kann wie Bier? Dann braucht man doch gar | |
| nicht erst anfangen, etwas anderes zu trinken. | |
| ## „Ja, ja, bitte!“ | |
| Haben eigentlich die ganzen Experten, die sich gerade über den Wert des | |
| Reinheitsgebots streiten, schon mal einen richtig schönen Bierrausch | |
| gehabt? Wissen diese ganzen Craftbeer-Heinis eigentlich, wie schön Saufen | |
| sein kann? Wie viel Indian Pale Ale kann man eigentlich trinken? Mag schon | |
| sein, dass das Reinheitsgebot gar nichts drüber aussagt, wie rein ein Bier | |
| ist. Kann schon sein, dass das Reinheitsgebot für die Brauer, die wirklich | |
| neue Biere kreieren wollen, ein Hemmschuh ist. Aber wer braucht eigentlich | |
| solche Ales und Stouts? Wer sein Bier nicht trinken kann, ohne seinen | |
| Sommelier zu fragen, ob das jetzt zu dem Lammkarree passt, das er grade | |
| bestellt hat, für den gibt es doch schon ein Getränk: Wein. Wer möchte | |
| schon in einem Land leben, in dem junge Menschen lieber Wasser bestellen | |
| als Bier und das dann mit dem Satz begründen: „Nein, lieber kein Bier, da | |
| kenne ich mich nicht aus!“ | |
| ## „Ja, ja, ist ja sowieso noch gar nicht spät.“ | |
| Radler ist auch so eine Sache. Da kann man sich schon fragen, was die Leute | |
| eigentlich für eine Meinung von Bier haben, wenn sie es mit Limo mischen. | |
| Ist ja auch kalorienmäßig kein Gewinn. Und frischer ist es auch nicht als | |
| ein normales Bier. Alkoholfreies Biermixgetränk mit Grapefruitgeschmack. | |
| Wer so etwas trinkt, der hält auch eine Reiswaffel für ein | |
| Geschmackserlebnis. Nein, das ist das Allerletzte. Dann soll man halt ohne | |
| Auto kommen oder ein Wasser trinken, wenn's wirklich nicht anders geht. | |
| ## „Ein Kleines nehme ich noch.“ | |
| Man muss ja nicht übertreiben. Ein Rausch wird nicht besser, wenn man ihn | |
| sich schnell holt. So ein kleines Helles ist wie eine kleine Pause. Nicht | |
| nichts, aber eben auch nicht viel mehr. | |
| ## „So, jetzt gibst mir wieder eine ganze Halbe.“ | |
| Man muss es wirklich nicht übertreiben mit der Pause. Keine Angst. Das weiß | |
| man doch, wenn man einer ist, der dann zu singen anfängt. Aber wenn ein | |
| anderer anfängt, dann ist da doch nichts dabei. Also nicht die schlimmen | |
| Dinger, sondern echte Musik. Aber besser ist es schon, wenn man nicht | |
| singt. Kann man irgendwann dann sowieso nicht mehr beurteilen, wie sich das | |
| anhört, was man da singt. Und wer kennt heute schon noch die alten Lieder. | |
| Da braucht man wirklich keine Angst zu haben. Lieber über etwas Schönes | |
| nachdenken oder etwas Verrücktes, was man vielleicht schon immer mal machen | |
| wollte. Und wenn man sich am nächsten Tag nicht mehr daran erinnern kann, | |
| obwohl man sich das fest vorgenommen hat, macht das auch nichts. Dass man | |
| an was Schönes gedacht hat, weiß man ja doch meistens. Nur was das Schöne | |
| war, das ist eben irgendwie weg. | |
| ## „Wenn schon, denn schon.“ | |
| Auf die Tasche muss man aufpassen, wenn man eine dabei hat. Brille | |
| Schlüssel, Geldbeutel sowieso. Und dass man noch Geld hat für ein Taxi oder | |
| eine U-Bahn-Karte. Und dass man noch mal auf's Klo geht, bevor man | |
| aufbricht. Trinken kann man so lange, wie man das Bier nicht riecht. Wenn | |
| einem der Biergeruch in die Nase steigt, dann weiß man, dass man aufhören | |
| sollte. Dann schmeckt es nicht mehr. Und wenn es nicht mehr schmeckt, dann | |
| hat es sowieso keinen Sinn mehr. | |
| ## „Ein Kleines noch und dann zahlen, bitte!“ | |
| Wenn man rausgeht, merkt man es erst so richtig, wie es einem geht. Wenn | |
| man einen Gefühlsrausch hat, dann torkelt man nicht. Und wenn man torkelt, | |
| dann ist es eher ein Körperrausch. Tasche, Brille, Schlüssel, Geldbeutel. | |
| Und die Waschmaschine kann man ja auch noch anschalten. Es geht doch nichts | |
| über ein gutes Bier. Und morgen ist wieder ein Tag. | |
| 23 Apr 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Andreas Rüttenauer | |
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